Tatort Schule in S-Kaltental

Tatort Schule in S-Kaltental
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Eine böse Überraschung für Lehrer und Schüler des Anna-Schäufele-Gymnasiums in Stuttgart-Kaltental: Am Montagmorgen nach einem Wochenende mit Abi-Ball liegt eine junge Lehrerin tot in einem der Klassenzimmer. Ein Fall für das Ermittlerduo Gero Wolfer und Felicitas Ulmer, die aufgrund der Verletzungen von einem gewaltsamen Tod der Frau ausgehen müssen. Die Ermittlungen des Hauptkommissars beleuchten ein Lehrerkollegium, in dem es nicht immer freundschaftlich zugeht. Sie beschließen, die junge Kommissarin Ulmer undercover als Referendarin in die Schule einzuschleusen. Es gelingt ihr, einem Verdächtigen auf die Spur zu kommen und eine rasante und gefährliche Flucht beginnt.

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Christine Bütterlin. Tatort Schule in S-Kaltental

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt

Sie würde tatsächlich zu spät kommen, da half auch kein entschiedener Tritt aufs Gaspedal mehr. Barbara Sommersberg schob ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz schon mal in Richtung Tür. Fertig machen zum Ausstieg! Jetzt aber los – und Tempo! Blöd, dass es am Anna-Scheufele-Gymnasium in Kaltental keinen direkten Zugang vom Parkplatz zum Hauptgebäude gab, um noch halbwegs rechtzeitig und ungesehen von der Schulleitung zu den Klassenzimmern zu gelangen. Echt blöd, ärgerte sie sich. Also los!

Bärbeißige ältere Mitglieder des Lehrerkollegiums hätten – allerdings außer Hörweite der Schulleitung – gemurmelt: »Kuschelpädagogik«, »Wohlfühlschule«, »der Traum besorgter Helikoptermütter« – und einander vielsagend angeschaut. Gut, dass es eben auch Lehrer wie sie gab, die auf Leistung allergrößten Wert legten. Sonst würden die Schüler ja nicht einmal einen mittleren Abschluss schaffen! Oder nur diejenigen, die von sich aus fleißig arbeiteten, um sich das Schulstipendium für sozial schwächer gestellte Familien zu sichern! Und dann waren ja noch all diejenigen, die in Musik, bildender Kunst und Theaterspiel glänzten und daher besondere Förderung erfuhren. Ja, dieses Privatgymnasium konnte sich schon sehen lassen!

Fast Viertel nach zehn Uhr: Die Stimme der Sekretärin tönte aus den Lautsprechern des Schulhauses:

Kommen Sie, Herr Kommissar! Ich führe Sie in die Turnhalle zu unserem Sportreferendar, Herrn Schellfuß. Die Damen nennen ihn den ›schönen Frank‹, hat man mir erzählt. Seinen Mentor, Herrn Maier, habe ich schon verständigt, den Unterricht für ihn weiterzuführen.« Auf dem Schulhof waren vier Unterstufenschüler damit beschäftigt, Überbleibsel vom Abifest, Tüten, Dosen, Papier und dergleichen mit langen Greifzangen aufzupicken und in Eimer zu befördern, sie ließen sich Zeit dabei. Religion, Musik, Geschichte – wo fehlten sie jetzt wohl und würden nach getaner Arbeit dann im Lauf der Unterrichtsstunde eintrudeln? Rechts vom Haupteingang sprinteten zwei Mittelstufenschüler – Raucher wahrscheinlich – in langen Sätzen auf das Schulgebäude zu. Sie hatten den Schulleiter erblickt. Zum Unterricht würden auch sie zu spät kommen. Der Schulleiter ließ sie unbeachtet und schritt mit seinem Begleiter zielstrebig über den Schulhof zur Sporthalle und auf die Turnhallentür zu

Oh hallo, Günther! Hallo Walter! Was habt ihr herausgefunden?«, rief Felicitas Ulmer noch unter der Tür zum Büro ihren Kollegen von der Spurensicherung zu

Anna-Scheufele-Gymnasium, 12.15 Uhr. Viele Schüler strömten dem Ausgang zu

Gerocksruhe« – ertönte die neutral aber nicht unfreundlich klingende Frauenstimme vom Lautsprecher, die den in sich versunkenen Fahrgast der Straßenbahnlinie 15 aus seinen Gedanken riss. Die Bahn ruckelte gerade in eine lang geschwungene Kurve, die den Fahrgästen den Blick auf die Stadt unten im Talkessel freigab. Der Fahrgast, ein Herr wohl um die fünfzig, in guter, aber arg zerknautschter, gemäßigt sportlicher Kleidung, schreckte auf und blickte hinunter auf das überwiegend hellgraue Häusermeer, dessen unregelmäßige Konturen sich wie beim sanften Sinkflug eines Passagierflugzeugs immer deutlicher abzeichneten. In blassem Ziegelrot manche Dächer unten, viel Wald und grün bewachsene Hangabschnitte weiter oben. Gerocksruhe erst, ach so! Na, gut. Besser, es geht nicht so schnell! Oh nein! Dieses Quietschen der Bahn in den Schienen! Das sprengt einem ja den Kopf. Verdammt! Zwei Aspirin hatte er schon eingenommen, und immer noch Kopfweh! Der starke Kaffee am Morgen, nein »Mittag«, der vorsichtige Fußmarsch durch den Wald zur Straßenbahnhaltestelle, die frische Luft, was konnte er denn noch tun! Kaputt, fix und fertig – jetzt heim, wieder ins Bett und alles vergessen, das wäre es! Das ganze letzte Jahr vergessen mit seinen Höhen – gab es die überhaupt? – und seinen vielen Tiefen

Degerloch, endlich! Die Uhr zeigte 13.45. Felicitas Ulmer bog in die Reutlinger Straße ein. Ah, da vorne der Wagen von Gero Wolfer. Da musste es sein. Sie ging auf das Haus mit dem Vorgärtchen zu, in dem die zu Tode gekommene Lehrerin, Frau Hartig, gewohnt hatte. Erster Stock, klingeln; Gero Wolfer öffnete ihr. Neben ihm stand ein junger Mann – ein groß gewordener Junge, sehr schmal, schwarzhaarig, wohl Anfang dreißig in einem grauen Anzug, wie er jedem jungen Bankbeamten hätte karriereförderlich sein können

In Stuttgart war es inzwischen unerträglich schwül-heiß geworden. Die graue Wolkenfront hatte ein kurzzeitig von Westen aufkommender Wind in Bewegung gebracht, doch lastete die Hitze noch immer über der Stadt. Kommissar Wolfer steuerte das Anna-Scheufele-Gymnasium in Kaltental an. Zwar lag es nicht mehr ganz im Talkessel, aber zu heiß war es auch hier; kaum dass er aus dem Waldstück, das zu durchfahren war, herauskurvte, spürte er wieder die drückende Schwüle. Rechts die separat vom Hauptgebäude der Schule liegende Turn- und Festhalle, ein Glas- und Betonbau, und ihm vorgelagert nach Westen die Sportanlagen. Weit und breit niemand zu sehen. Jetzt ein kühles Bier im Schatten, am liebsten gleich im Mineralbad Leuze. Er dachte an das sprudelnde Kaltbecken dort, erspähte im Schulhof einen Schattenparkplatz unter den Ahornbäumen und schleppte sich dann die Treppe in den ersten Stock des Privatgymnasiums hoch. Es war kurz nach drei Uhr. Die Mittagshitze hatte das Treppenhaus so erwärmt, dass man glauben konnte, man träte in den Saunabereich eines Wellnesshotels

Kommissar Gero Wolfer fuhr direkt von Kaltental hoch nach Degerloch zur Wohnung der Toten. Wie viel angenehmer wäre es jetzt – schoss ihm durch den Kopf – mit der »Zacke«, der sich steil den Berg hoch arbeitenden Zahnradbahn, vom Talkessel Stuttgarts die Alte Weinsteige hoch nach Degerloch zu fahren! Selten nur hatte er Zeit gefunden, dieses in Stuttgart beliebte Gefährt zu nutzen. Einmal hatte er auch die Chance genutzt, sein Fahrrad unten an der Endhaltestelle Marienplatz auf die Ladefläche der Bahn zu laden. Zum Glück war noch einer der Transportplätze frei gewesen. Ja, jetzt mit dem Rad unterwegs sein, den kühlenden Fahrtwind zu genießen, oben in Degerloch dann das Rad von der Rampe der Bahn abladen und durch den Wald zur Hochfläche beim Fernsehturm, der »Waldau«, strampeln – ja, das wäre es! Sehnsuchtsvoll wurde ihm das während der Autofahrt bewusst. Wie fast immer, war er eilig unterwegs, um seinen aktuellen Fall, heute den Tod der Lehrerin Hartig, zu lösen

Unterdessen fuhr Felicitas Ulmer nach Sillenbuch zum vereinbarten Nachmittags-Besprechungstermin mit ihrer neu gewonnenen Mentorin Barbara Sommersberg. Sie hatte eindeutig den besseren Part im Verlauf der Ermittlungen erwischt, denn die Vorbesprechung ihres Unterrichts wickelte sich im Garten bei Kaffee und Kuchen unter einem schattigen Apfelbaum ab. Frau Sommersberg schien es Spaß zu machen, die junge Kollegin in ihre neue Rolle einzuweisen. Weder sie noch die Kommissarin legten eine besondere Eile an den Tag, und während die Gastgeberin in der Küche das Geschirr und alles Zubehör holte, hatte Felicitas Ulmer zu Hause in Botnang angerufen und sich bei ihren beiden Männern, Rainer und dem kleinen Benjamin, gemeldet. »Alles im grünen Bereich«, hatte Rainer sie beruhigt. »Benjamin schläft tief und fest, die Arme wieder nach oben rechtwinklig abgelegt, unser kleiner ›Engel‹, sonst Bengel. Endlich ist himmlische Ruhe hier eingekehrt. Vorher habe ich noch das tausendste Foto von ihm gemacht. Es geht ihm gut, selbst wenn du weg bist.«

Im Auto angekommen, meldete sich Kommissarin Ulmer bei dem Kollegen Walter im Präsidium, der sie angerufen hatte, zurück. Er ratterte gleich los

Na, dann knöpfen wir uns doch mal Herrn Buchhorn vor, den der Hausmeister als weiteren möglichen Nachtbesucher im Gymnasiums-Hauptbau, nannte. Nicht nur beim Schulpsychologen, sondern auch in der Lehrerbibliothek habe Licht gebrannt, hatte der Hausmeister, der bei dem Abifest um 23 Uhr über den Hof ging, gesagt. Auch wenig später noch, glaubte er dort oben Licht zu sehen. Er habe dem aber keine weitere Beachtung geschenkt. Du hättest mal hören sollen, was er alles über den Lehrer, der die Bibliothek betreut, sagte. Das muss schon ein seltsamer Vogel sein, der Herr Buchhorn, oder wie die Schüler anscheinend sagen, der ›Buchwurm‹

Tatsächlich, das Licht einer Leselampe in der Bibliothek der Schule im ersten Stock auf der Nordseite des Gebäudes, dessen Eingangstür jedoch abgeschlossen war, spendete etwas Helligkeit. Also den Schlüssel vom Hausmeister holen und hoch die Treppen! Kommissar Gero Wolfer klopfte und trat ein. Er sah, wie eine groß gewachsene Gestalt mit schütterem grauem Haar erschrocken zusammenzuckte und sich vom Stuhl erhob. Hinter einer altmodischen großen Brille blickten zwei taubenblaue Augen so drein, als verstünden sie die Welt nun gar nicht mehr. »Guten Abend, tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Sind Sie Herr Buchhorn?«

Im Anna-Scheufele-Gymnasium angelangt, strebte Oberstudienrätin Sommersberg wie immer rasch dem Hauptgebäude zu. Die Schulbusse lieferten gerade Scharen von Schülern ab. Der Alltag schien wieder eingezogen zu sein, auch, wenn einige Schülergrüppchen über den »Unfall« der Frau Hartig die wildesten Spekulationen äußerten. Der noch blasse wolkenlose Himmel versprach einen weiteren schönen Sommertag. 8.40 Uhr: Frau Sommersberg in Begleitung einer flotten jungen rothaarigen Frau betrat den Raum 401, das Klassenzimmer der 10c. Niemand zu sehen. Unterdrücktes Gekicher im Raum. Plötzlich sitzen etwa fünfzehn Jugendliche an ihren Tischen (und nicht mehr zusammengekauert unter ihnen), vergnügt und schlaksig. »Guten Morgen«, ertönt es streng vom Lehrerpult »und wo ist der Rest der Klasse?« Da öffnen sich wie bei einem Theaterstück seitlich in den Kulissen die Wandschränke und aus den Türen erscheinen die restlichen sechs Personen. »Oh, wie lustig!«, entfährt es grimmig stöhnend der Lehrerin. »Was soll sich da unser Gast denken. Vielleicht will sie gar nicht bei euch unterrichten …«

Seit acht Uhr habe ich mich jetzt mit diesen beiden ach so anständigen, angepassten, ängstlichen, langweiligen Jungbürgern abgegeben«, polterte Kriminalhauptkommissar Gero Wolfer in seinem Büro ins Telefon, nachdem er Alwin Hartig und dessen Freundin Ingrid Ziegel vernommen hatte. »Nichts gesehen, nichts gehört, wo ist das Problem? Schuld sind, wenn überhaupt wer, irgendwelche anderen. Die beiden Liebenden haben von nichts eine Ahnung. Nur, dass sie zusammen ferngesehen haben, das wissen sie, und dass es mit Frau Hartig, und zwischen den Eheleuten Hartig sogar, nie Streit gab, das behaupten sie auch. Also angeblich kein Ehedrama. – Aber klar doch habe ich sie getrennt vernommen, Felix! Du hättest die Freundin dieses Ehemanns mit ihren braunen Rehaugen sehen sollen. Ja, eine harmlos wirkende Krankenschwester, diese Blonde mit der lieb geföhnten Frisur! – Er? Na ja, der verweist natürlich auf pubertierende Schüler oder rachsüchtige Eltern von Schülern als mögliche Schuldige, weil seine Ehefrau eine so konsequente Lehrerin gewesen sei, auch bei Abiprüfungen. Sie habe niemandem etwas geschenkt. Auch den Externen, den Erwachsenen im Abi, den Abendgymnasiums-Schülern nicht, die sie nur mündlich zu prüfen gehabt hatte. Hast du von der Liste schon welche überprüft? Die Verdächtigen werde ich mir dann selbst vorknöpfen, Stichwort ›zerstochener Autoreifen‹.«

Na, das lief doch prima. Hab’ ich’s doch gewusst, Frau Kollegin«, ruft Barbara Sommersberg schon etwas außer Atem auf der zweiten Treppe, die sie im Eilschritt nach oben nehmen, zu Felicitas Ulmer herüber. »Jetzt zum Oberstufenkurs Geschichte!« Wieder öffnet sie die Klassenzimmertür erwartungsvoll, ruft laut »Guten Morgen!« Und diesmal sitzen etwa geradezu brav fünfzehn junge Erwachsene im Halbrund mit ihren Schreibsachen und Büchern vor sich. »Guten Morgen«, grüßen einige zurück, manche schmunzeln beim Anblick der flotten jungen Neuen. »Das ist unsere neue Referendarin, Frau Ulmer. Sie unterrichtet Gemeinschaftskunde, Psychologie und auch Deutsch. In unserer besonderen Situation nach dem Tod von Frau Hartig werden Frau Ulmer und ich mit Ihnen zusammen versuchen, zu einer Aussprache zu kommen, auch, um die Umstände dieses Todesfalls etwas zu klären. Sie haben ja Frau Hartig fast jeden Tag im Unterricht gehabt und für manche war sie ja zusätzlich noch Tutorin. Um die Abivorbereitung für nächstes Jahr und den Unterricht brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Eine Vertretung wird organisiert werden. Ziemlich sicher werde ich das sein. Aber zur Sache: Frau Ulmer war am Wochenende noch nicht da. Das Einfachste wäre also, wenn Sie ihr und mir – ich war verhindert und konnte nicht kommen – vom Abifest berichten würden.«

Quer über den Schulhof trotteten währenddessen der große Schäferhund und sein Herrchen, Hausmeister Kächele, dem Kommissar entgegen. Fast hätte man meinen können, Herr Kächele sei es, der die Ermittlungen führe, denn wie üblich gab der fast zwei Meter große blonde Hüne mit entschiedenem Gesichtsausdruck Anweisungen per Mobiltelefon, während er sich nun mit schnelleren Schritten dem Schulgebäude näherte. »Morgen, Herr Kächele! Das hätten Sie uns aber gleich sagen dürfen, dass das Fenster da drüben aufstand. Was hat Sie davon abgehalten?«

Bei der Sekretärin erkundigte sich der Kommissar, ob der Oberstudienrat Buchhorn in der Bibliothek sei oder wo sonst im Hause er ihn finden könne. Die Sekretärin warf einen Blick in den Raumbelegungsplan und verkündete Herr Buchhorn halte gerade Unterricht

Zehn Uhr an diesem Dienstagvormittag war es wohl gewesen, als die Wohnungsklingel im Haus der Frau Dettinger in der Reutlinger Straße schrill ertönte. Seit dem Tod ihrer Mieterin Patrizia Hartig war die Hausbesitzerin nicht mehr wie sonst bei jedem Klingeln zur Haustür geeilt. Neuerdings beäugte sie zuerst den Hauseingang durch ein Fenster hinter Gardinen und Blumenstöcken stehend. Es klingelte zum dritten Mal. Draußen stand eine junge Frau. Ach, das ist doch die Freundin von Herrn Hartig, dachte sie erleichtert und ging, um ihr zu öffnen

Endlich Schule aus, es war 13 Uhr! Puh, wie lang so ein Schulvormittag sein konnte! Gar nicht »frisch« sah die junge Kriminalkommissarin aus. Sie fühlte sich auch nicht so. Dabei hatte Felicitas Ulmer selbst ja nur zwei Unterrichtsstunden gehalten und sich die übrige Zeit im Hause umgesehen und mit Schülern und Lehrern zwanglos Gespräche geführt. Bei der 10a hatte sie sich hinten in die letzte Reihe gesetzt und nur zugehört, wie Frau Sommersberg mit der Klasse über das Abifest und alles, was damit und mit dem Schulklima zusammenhing, diskutierte. Wichtiges Neues hatte sich aber bei all den Gesprächen nicht ergeben. Schüler der Mittel- und Unterstufe ergingen sich gern in den wildesten Spekulationen, manche empfanden sich offenbar wie Mitwirkende in einer TV-Reality-Show nach dem Motto »endlich mal was los«. Andere wirkten ängstlich. Zeit, dass Licht in das Dunkel um den Tod von Frau Hartig kam! Felicitas Ulmer ging vor ihrem inneren Auge noch einmal den Vormittag durch: Sie hatte ihren Kollegen Wolfer angerufen, von dem nicht ganz geschlossenem Fenster im Erdgeschoss erfahren und sich dieses auch unauffällig angesehen, nachdem sie mit einigen Oberstufenschülerinnen und Schülern im Aufenthaltsraum dort auf einem leicht demolierten wuchtigen Ledersofa sitzend Kaffee getrunken hatte. Aber jetzt ging es ja ab zum Mittagessen mit Kolleginnen ins nicht weit von der Schule gelegene Sportvereinsheim. Dort – so hatten die neuen Kolleginnen ihr berichtet – pflegte die Lehrerschaft öfters zum Pizzaessen zu erscheinen. Es waren immer die gleichen Gruppen, die dort hinstrebten: die Jungen, die Neuen, die Singles, ein paar, die weiter auswärts wohnten und solche, die nachmittags Unterricht oder sonst etwas in der Schule zu tun hatten. Eine Gruppe startete jeweils schon um 12.10 Uhr, die zweite dann um 13 Uhr, wie jetzt die Kolleginnen, die bereitwillig auf den Wunsch der Neuen, sie etwas in den Schulbetrieb einzuführen, eingegangen waren. Ein runder Tisch wurde gewählt und die Bestellungen aufgegeben. Man saß im Freien unter blauen Sonnenschirmen. Außer den Lehrerinnen waren im Moment keinerlei Gäste da. Diese waren entweder schon wieder fort, oder – meist Rentnerinnen und Rentner – trudelten dann zur Kaffeezeit am Nachmittag ein, so berichteten die Kolleginnen ihrer neuesten Referendarin Felicitas Ulmer

Sorgfältig und nachdrücklich im wahrsten Sinn des Wortes versah Oberstudienrat Buchhorn gerade die neuesten Hefte »Informationen zur politischen Bildung«, »Politik und Unterricht« mit dem Schulstempel »Lehrerbibliothek – Anna-Scheufele-Gymnasium Stuttgart«, da ging nach kurzem Klopfen die Tür auf. Es war 14.14 Uhr: Kommissar Wolfer, wie angekündigt. Herr Buchhorn legte behutsam den Stempel in die Schublade neben das Stempelkissen, schob die Schublade zu und begrüßte den Besucher. Er bot ihm dieses Mal seinen – nüchtern betrachtet schulmuseumsreifen – Schreibtischstuhl an

Als Kriminalhauptkommissar Wolfer bald darauf die Tür zum kleinen Klassenraum 211 öffnete, wandten sich ihm zwölf Gesichter von ernst dreinschauenden jungen Leuten zu. »Leidtragende« oder besser »Betroffene« schauen so, schoss es ihm durch den Kopf. Einer hustete, die anderen schauten erwartungsvoll nach vorne. Der Kommissar setzte sich nicht an das Pult oder genauer das Lehrerschreibtischmöbel vorne, sondern zog sich einen der kleinen Einzeltische und einen Stuhl her, sodass er ihnen weniger augenfällig als Autoritätsträger gegenübersaß

So ein Blödsinn! So eine Granatendummheit! Wie oft hatte sie ihrem Vater schon gesagt, er solle die Kirschen von dem großen Baum im Garten nicht mehr mithilfe der Leiter ernten. Es war einfach zu gefährlich. Er mit seinen über sechzig Jahren und seinen Knieproblemen, noch dazu auf der alten Holzleiter. Er könnte doch jemanden aus der Nachbarschaft bitten, wenigstens die Kirschen von den oberen Zweigen herunter zu holen oder warten, bis sie selbst oder Rainer dazu Zeit hätten. Gut, sie hatten beide fast nie Zeit, gestand sich Felicitas Ulmer ein. Aber für die paar Zweige würden sie sich die Zeit dann eben nehmen. Oder, wenn es gar so eilig wäre, dann könnte er sich doch wenigstens eine neue Leiter kaufen, statt auf die alte morsche zu steigen. Sie seufzte grimmig auf: Ja, und Heilig’s Blechle, fluchte sie bei sich, wenn ihm das zu teuer war, dann könnte er doch die Leiter vom Nachbar leihen. Der hatte eine anständige Leiter, eine aus Alu. Aber nein. Ihr Vater musste doch immer seinen Kopf durchsetzen. Und er »musste« Dinge, die »man« schon immer so gemacht hatte, auch weiter so machen. So ein »Simpel«, so ein »Jenseitssimpel«. Und jetzt lag er also mit angebrochener Hüfte im »Olgäle«, will sagen in der Orthopädie des Olgahospitals, nicht in der Kinderorthopädie, von welcher das Krankenhaus im Volksmund seinen liebevoll schwäbischen Namen hatte, sondern in der dortigen Abteilung für Erwachsene. Ja, zum Kuckuck, hätte ihr Vater sich und der Familie diesen Unfall nicht ersparen können? Die arme Mutter, sie war im Krankenwagen mitgefahren und bei ihm geblieben, bis alles geklärt war. Den kleinen Benjamin hatte sie in der Babytragetasche in die Obhut der Nachbarin abgegeben und hoch und heilig versichert, sie oder ihre Tochter würden sich bald melden. Denn die Nachbarin musste, wie sie sagte, dann ihrerseits auch weg

Der Schulleiter des Anna-Scheufele-Gymnasiums hatte schon wieder hohen Besuch. Dr. Grauerer hatte sich kurzfristig noch mal angemeldet. Seine Sekretärin führte den hohen Beamten mit achtungsvollem Blick in das Büro ihres Chefs

Gegen sechs Uhr abends gelangte Felicitas Ulmer im Präsidium an. Gero Wolfer saß über die Akten gebeugt. Sie tauschten ihre Tagesergebnisse aus. Der Fall Patrizia Hartig stellte sich weiterhin unklar dar. Wer nur hatte Patrizia Hartig zu Tode gebracht? Gero hatte den Sohn des Handwerkers Schmidt aus der Elektrobranche gesprochen. Andreas, siebzehn Jahre alt und in Klasse 10b des Anna-Scheufele-Gymnasiums, der bekanntermaßen mit Frau Hartigs Notengebung total unzufrieden war, hatte zwar mit seinen Klassenkameraden das Abifest besucht. Den Jungs war es aber schon vor 23 Uhr zu langweilig geworden, sodass Andreas und ein paar seiner Kumpels miteinander, wie er sich ausdrückte, »einen saufen gegangen« waren, und dann in der Wohnung des einen mit Computerspielen bis morgens um fünf Uhr die Nacht gestaltet hatten. Auf dem Fest getanzt hatte Andreas nicht. »Das wäre ja wohl auch der Tanz mit dem Elefanten geworden, egal welche junge Frau sich dazu bereitgefunden hätte!«

So, wie ich sie kenne …« – sie stockte – »… kannte, muss man jetzt ja sagen, hat Patrizia sicher Tagebuch geführt, sagen wir mal zumindest zeitweise«, bemerkte Barbara Sommersberg mehrmals nickend und ließ ihre Blicke wie zur Bestätigung ihrer Vermutung prüfend über die Bücherzeilen des hohen Wandregals in der Wohnung der Patrizia Hartig schweifen. Die Hitze des Tages war etwas zurückgegangen an diesem Dienstagabend. Jetzt, am Feierabend, wurde es erträglicher. Barbara Sommersberg war von Sillenbuch herüber nach Degerloch gekommen. Sie trug ausgebeulte alte Bermudajeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Gute Mädchen kommen in den Himmel – böse überall hin.« Gut, dass ihre Schüler sie so nicht sehen, fuhr es Felicitas Ulmer durch den Kopf. Auch die Kurzhaarfrisur der älteren Kollegin hatte sich quasi entspannt und lag fast platt am Kopf an, während sie morgens in der Schule noch mit fülliger Sprungkraft relative Jugendlichkeit und gepflegtes Aussehen signalisiert hatte

Der Dienstagabend schien unter keinem günstigen Stern zu stehen. In seiner Wohnung in der Bismarckstraße war der mit seiner Abiturnote unzufriedene Absolvent des »Abendgymmis« nicht anzutreffen gewesen. Alle im Moment möglichen und nötigen Maßnahmen waren getroffen worden

Wartuschek – da stand der Name auf dem Klingelschild. Ziemlich verschmutzt war diese Klingelleiste des hohen Mietshauses, das gerade um die Ecke beim Marienplatz und drei Häuser weiter stadtauswärts Richtung Heslach stand. Keine ruhige Wohnlage

Ich weiß nicht, was Sie wollen. Bloß, weil unsere Prüfungen vom Abendgymnasium am Anna-Scheufele-Gymnasium sein mussten, soll ich jetzt die Lehrerin da angemeckert und womöglich noch gekillt haben. Hört mal, Ihr tickt doch nicht richtig! Bloß, weil Ihr niemand Schuldigen gefunden habt, soll’s jetzt einer von uns gewesen sein. Ausländer – natürlich! Das kennen wir schon.«

Es war nicht zu schaffen. Gerade noch Brezeln im Vorbeifahren beim Bäcker konnten sie besorgen. Der Chef hatte sie zu sich beordert, auf dem schnellsten Weg. Als die verdeckte Ermittlerin Ulmer und ihr Kollege Wolfer, das Büro ihres »Chefs« – Herr Mägerle wünschte so und nicht anders, auch nicht mit Titel, angeredet zu werden – betraten, war klar, dass dieser die Unterredung nicht grundlos anberaumt hatte. Wer und was nur hatten ihn dazu veranlasst, dieses Mal seine schwarz-grauen buschigen Augenbrauen einander in so schrägem Winkel anzunähern! Seine Raubvogelnase hob sich im Profil so scharf ab, wie der Schnabel eines gefährlichen Vogels. Wortlos wies er sie an, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Immerhin, dachte Felicitas Ulmer, bekommen wir nicht stehend den Grund dieses Termins entgegengedonnert

Den nehme ich mir aber jetzt noch mal vor!«, knurrte Gero Wolfer im Flur vor sich hin. Er konnte nur Alwin Hartig, den vom Schicksal geprüften Ehemann, meinen

Ja, sie war schon empfindlich …!«, sagte Alwin Hartig, den Gero Wolfer während dessen kurzer Mittagspause in seinem Büro in der Silberburgstraße aufgesucht hatte. Er schien wieder leidlich genesen zu sein. Das hatte den Kommissar tief aufatmen lassen. Im Moment aber schien der Hinterbliebene in die Vergangenheit abzutauchen

Wenn ihre Mutter nur endlich wieder käme! Das wurde zu lang jetzt. Verflixt noch mal! Das würde Ärger geben, wenn sie jetzt nicht wieder sofort ihrem Dienst nachginge, stellte sich Kriminalhauptkommissarin Ulmer vor. Ungeduldig schaute sie zum etwa siebenundsiebzigsten Mal auf die Garageneinfahrt unten an der Sommerhalde. Wo ihre Mutter nur blieb! Wenigstens Benjamin, dem Winzling in seinem Kinderbett, schien Felicitas’ Anwesenheit Ruhe und Entspannung gebracht zu haben. Er schlief jetzt fest. Ein Anblick himmlischen Friedens, die Ärmchen rechtwinklig nach oben gelegt. Sie seufzte erleichtert auf. Dem »Butzele«, wie die Nachbarin Frau Häberle immer sagte, ging es wieder besser. Das war das Allerwichtigste. Dafür würde sie, wenn nötig, Spott oder eine Rüge in Kauf nehmen

So, Frau Dettinger, das hat toll geschmeckt. Vielen Dank auch«, sagte die Kriminalkommissarin artig und gab das Tablett mit dem Geschirr zurück

Wieder einmal spurtete Kommissar Gero Wolfer die Treppen des Mietshauses Ecke Böblinger Straße/Tannenstraße, ganz nahe beim Marienplatz, in dem die Wartuscheks wohnten, hoch. Heute keuchte er noch heftiger, als er oben angelangt auf den Klingelknopf drückte. Er hatte Glück. Wieder öffnete die schmächtige Frau Wartuschek und wieder schaute sie ihn aus ihren blauen Augen intensiv forschend an. »Herr Kommissar, Sie …?«

Die Mittagshitze lag wie eine Decke über Kaltental. Kein Lüftchen rührte sich. Wie in der Sauna – man sollte sich einfach hinlegen und relaxen, ging es Felicitas Ulmer durch den Kopf. Sie atmete erschöpft aus, als sie vor der Haustür des verschachtelt gebauten Eigenheims von Oberstudienrat Buchhorn stand. Sie klingelte. Nichts, aber auch gar nichts rührte sich. Es war Viertel nach ein Uhr. Siesta. Die Zeit schien still zu stehen. Sie klingelte nochmals. Nichts. Jetzt im kühlen Schatten sitzen, mit einem kalten Getränk und die Beine hochlegen! Könnte es sein, dass Herr Buchhorn genau das auch gedacht hatte und auf seiner Terrasse lag? Sie ging zwischen den Berberitzen und Zwergkiefern in Richtung Rückseite seines Häuschens. Ein großer Buchsbaumbusch trennte die Sitzecke ab, über die sich das Holzgestell einer Pergola wölbte, von Wildem Wein überwachsen. Schön hier, dachte sie. Stimmen waren vom Haus her zu vernehmen. Die Kommissarin blieb unschlüssig an der obersten Stufe des Gartenzugangs stehen. Die Balkontür stand weit offen. Die Stimmen wurden lauter, zwei Männerstimmen, jetzt heftig und gut vernehmbar. Ein Streit schien sich hochzuschaukeln. Sie schlich zur Ecke des dichten Buchsbusches. Ihr Mobiltelefon schaltete sie aus. Es sollte sie nicht im dümmsten Moment verraten

Es war kurz vor fünf. Keine Nachrichten von den Mannheimer Kollegen. Gero Wolfer hatte die Mobiltelefonnummer von Boris ermittelt. Der Junge meldete sich nicht und konnte nicht geortet werden. Gero berichtete von seinen Ermittlungen am Nachmittag. Seine Besuche bei den Kumpels von Boris hatten keinerlei Hinweise auf dessen Verbleib gebracht. In der elterlichen Wohnung, die er als Erstes angesteuert hatte, war niemand da gewesen, zumindest war ihm auf sein Klingeln hin nicht geöffnet worden, und auch das Telefon hatte keiner abgenommen. Gero Wolfer sah, wie deprimiert und müde die Kollegin Ulmer drein sah, obwohl sie ganz Ohr war. Im Moment machte sie ihrem Namen keine Ehre

Mehr als zehn Minuten dauerte das Warten nun schon. Boris sah auf die Uhr. Nein, länger. 17.40 Uhr war es bereits. Der junge Mann im Dienstzimmer der Friedhofsverwaltung hatte ihm erklärt, ohne Einwilligung des Ehemanns der Frau Hartig ginge es nicht. Er werde ihn gleich anrufen. Theoretisch könne sich ja jeder als Verwandter ausgeben und Zutritt verlangen

Es ist nicht zu glauben, Günther, sie hat es kommen sehen. Unsere abenteuerliche Gefühlsspezialistin Felicitas Ulmer, die Frau, die mal die Dienstwaffe, mal die Handschellen und auch mal begleitende Kollegen weglässt. Die hat sich das einfach schon mal so vorgestellt – verrückte Idee oder nicht! Und so kam’s dann auch. Aber der Junge, dieser Boris, der ist ja völlig durchgeknallt!«

Zu Herrn Buchhorn wollen Sie?«, fragte die rundliche Schwester im Gang der Chirurgiestation des Marienhospitals

Also ein richtig gutes Gutachten meine ich. Das schreiben Sie ihm doch, dem Boris, Herr Strack?«

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Christine Bütterlin

TATORT SCHULE

.....

TATORT SCHULE

IN S-KALTENTAL

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