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Zwei junge Leute reisten vor einiger Zeit zusammen von Marseille nach Paris.

Obwohl sie Landsleute waren, kannten sie sich doch keineswegs einander und der große Author, der für die Liebesbühne arbeitet, der bald Tragödien, bald Comödien verfertigte, wie es ihm gerade in den Kram paßt, der Zufall hatte es dießmal so gefügt, daß sich die beiden jungen Leute, welche sich in ihrem Leben noch nicht gesehen hatten, in einem Eisenbahnwagen zum ersten Male gegenüber befinden sollten.

Da sich die beiden Leute gegenseitig nicht abstoßend vorkamen,so ist es auch nicht zu verwundern, daß sie bald in ein Gespräch miteinander geriethen.

In der ersten halben Stunde unterhielten sie sich natürlich vom Regen und vom Sonnenschein, vom Wetter im Allgemeinen, vom elektrischen Telegraphen, von der neuen Primadonna, von der fabelhaften Schnelligkeit des Reisens, von Diesem und Jenem, von dem so auf Reisen zu reden pflegt, meist zu dem einzigen Zwecke, um die Zunge nicht einschlafen zu lassen.

Dieses Bunte Allerlei wird denn auch gar manchmal das Vorspiel zu einem eingehenderen und zusammenhängenden Gespräch und geht diesem voraus, wie die ungeordneten und durcheinander schwirrenden Töne der Künstler der stimmenden Musiker der Ouverturer zu einer Oper vorausgehen.

Nach Verlauf einer guten halben Stunde boten sich die jungen Leute schon gegenseitig Cigarren an, durch welches Medium ihre unstäten Gedanken plötzlich über Meere schweiften, phantasievolle Ausflüge nach Manilla und nach der Havanna machten, um sich jedoch bald wieder durch die Wirklichkeit in Gestalt ihrer schlechten Cigarren in das Land der Tabakeregie zurückversetzt zu sehen und nun eben diese, alle Poesie des Rauchens zernichtende Regie den kräftigsten und tiefgefühltesten Verwünschungen preiszugeben

Auf der Station zu Macon aßen sie eine Kleinigkeit zum Zeitvertreib und tranken auch einen Schluck Wein dazu, theilten sich ihre Beobachtungen über das hübsche Füßchen dieser, oder das niedliche Gesichtchen jener Reisenden mit, und ihre Vertraulichkeit sah sich durch diesen Austausch nur gefördert.

Die jungen Leutchen gefielen sich so gut. sie schlossen sich dermaßen an einander, daß sie, noch ehe sie die Hälfte ihres Weges zurückgelegt, sich schon, so zu sagen, ihn ganzes Herz geöffnet hatten. Jeder kannte in dem Innern des Andern lesen wie in einem offenen Buche: das kommt vor, so lange man noch jung ist, denn die Jugend ist mittheilsam.

»Ich,« – sprach Julius von Cerisy, »ich gehe nach Paris, um mir eine hübsche Mitgift zu holen in der Gestalt der einzigen Tochter eines alten Freundes meines Vaters.«

»Ich,« – erwiderte ihm darauf Eduard Pernier, – »ich beabsichtige eigentlich nur eine kleine Luftveränderung, mit der Hoffnung im Hintergrunde, dadurch vielleicht auch eine kleine oder noch lieber große Veränderung meiner Lebensstellung herbeizuführen. Da ich in Marseille nichts hatte und Nichts war, so schmeichle ich mir mit der Hoffnung, daß ich in Paris wenigstens ebensoviel, wenn nicht mehr finden werde, und so steuere ich denn mit philosophischer Gelassenschaft nach dem modernen Babylon, obschon die Segel meines Lebensschiffleins von nichts Anderem, als von bangem Zweifel und drückender Unwissenheit geschwellt sind.«

»Mein zukünftiger Schwiegervater,« entgegnete ihm seht Julius, »hat gewiß einflußreiche Freunde und Bekannte, und wenn ich Ihnen in irgend etwas nützlich werden kann . . .«

»So sollen Sie an mir keinen Undankbaren finden . . . Es ist gewiß eine Neigungsheirath, zu der Sie so freudig eilen?«

»Das hoffe ich.«

»Wie, Sie hoffen es nur?«

»Allerdings!«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das ist doch eine äußerst einfache Sache. Mein Vater hat zu mir gesagt: Fräulein Louise von Vieuville ist jetzt achtzehn Jahre alt, sie ist hübsch, von sanftem Charakter gut erzogen und noch obendrein die einzige Tochter.«

»Wahrhaftig, das sind lauter gute Eigenschaften,« unterbrach ihn Eduard.

»Ihr Vater,« fuhr der meinige fort, »ist ein alter Jugendfreund von mir. Seit zwanzig Jahren tragen wir uns mit der Hoffnung, die Bande unserer alten Freundschaft nur noch fester zu schließen, indem wir eines Tages Alle zusammen nur eine Familie ausmachen. Wie ich einen Sahn bekommen habe, hat er sich eine Tochter gewünscht, nur um dieses Zweckes willen, und sein Wunsch ist ihm in Erfüllung gegangen. Von Dir hängt es nun ah, ab unsere sorgsam aufgebauten Luftschlösser zu Tage treten oder ob sie in Trümmer gehen sollen.«

»Und Sie haben so ohne Weiteres Ja gesagt?« frug Eduard.

»Und warum auch nicht?« erwiderte Julius.

»Also verheirathen Sie sich nach Art der Prinzen, nachdem die diplomatischen Verhandlungen so weit gediehen sind?«

»Finden Sie diese Art nicht ganz praktisch?«

»Praktisch vielleicht, aber nicht nach meinem Geschmack. Wenn ich je einmal meine persönliche Freiheit, mein Glück, mein Alles aufs Spiel setzen sollte, so müßte ich die Karten selbst in her Hand halten und das Spiel nach meinem Kopfe lenken.«

»Wenn ich von einer Neigung gefesselt gewesen wäre, – ja! Aber mein Herz ist frei wie der Vogel in her Luft. . . . Und dann, welcher Bräutigam kennt jemals seine Zukünftige? Und ich möchte hinzufügen: Welche Zukünftige keimt jemals ihren Bräutigam?

»Und doch . . . «

»Thun wir hoch einmal die Augen auf,« – fiel ihm Julius ins Wort, – »und sehen wir, wie hie Dinge gewöhnlich zugehen. Eine Familie zieht ihre Erkundigungen ein über einen jungen Mann, auf den eine freundliche Nachbarin, oder eine geschäftige Base aufmerksam gemacht, oder den die Mama auf einem Balle aufgegabelt hat. Vielleicht ist er auch auf einer Wasserpartie ins Garn gegangen oder auf einer Landpartie gefischt worden, – das thut Nichts zur Sache. Gut! Wenn der Candidat keine offenbaren groben Fehler hat, wenn er gut tanzt, sich hübsch trägt, sich anständig benimmt, den gewöhnlichen sehr laxen Begriffen von einer guten Erziehung entspricht und wenn die Hauptsache, der Geldpunkt, keine Schwierigkeiten darbietet, so kriegt er eben die Erlaubnis, einmal sein Glück bei der Einzigen zu probieren. Ist es so?«

»Ja, beinahe oder in vielen Fällen.wenigstens.«

»Was thut dann der junge Mann?« fuhr Julius fort; »er zieht seine besten Rasiermesser ab, pflanzt die untadeligsten Halskragen und hie unwiderstehlichsten Binden auf, wird zärtlich, aufmerksam und besorgt, spielt die entzückendsten Variationen über das ewige immer wirderkehrende Thema her Liebe und versteckt seine Klauen unter rosigen und wohlgeschliffenen Nägeln. Mit Einem Wort, er verbirgt die Fehler, die er hat und schmückt sich für den Augenblick mit guten Eigenschaften, die er nie besessen.«

Eduard nickte mit dem Kopfe und lächelte dabei.

Gehen wir nun zu dem jungen Fräulein über,« fuhr Julius fort. »Ihre Mutter hat ihr aufs Strengste anempfohlen, über ihre Zunge zu wachen und beständig auf sich Acht zu geben; sie hat das Töchterlein mit den genauesten Auseinandersetzungen über die Gefahr belehrt, ihren wahren Charakter zu zeigen; sie hat ihr eingeprägt, daß um ihre Lippen beständig ein freundliches Lächeln spielen muss, wie bei einer Tänzerin, welche eben eine Pirouette beendet hat, und daß sie auf ihrem Gesichte nie zeigt, was in ihrem Herzen vorgeht. Sie ist, ich meine nämlich die Zukünftige, schon vom frühsten Morgen an von Kopf bis zu Fuß eingeschnürt und bcrinolint, reizend, frisirt und geschmückt, wenn auch hie und da mit fremden Federn, bebändert und betüllt, – kurz zum Entzücken. Sogar ihre sehr engen Stiefelchen mit hohen Absätzen, wenn sie heim Gehen knarren wie ein Wagenrad mit Hemmschuhen, tönen in den Ohren des Liebenden wie eine himmlische Musik . . . Sie lachen?«

»Ja,« entgegnete Eduard, »über die realistische Ausmalung des Gemäldes.

»Keine Ausmalung, nur unverfälschte Wahrheit! Setzt man Ihnen etwas Gebackenes vor,« so hat sie es gebacken. Diesen hübschen Alcibiadeskopf, Niemand, als sie , hat ihn gezeichnet. Dieses perlengestickte Arbeitstischchen ist das Werk ihrer Feenhände. Hören Sie den Flügel im Nebenzimmer? Sie phantasiert! Sie geht vom Weißgeräthe in die Speisekammer, von ihren Blumen zu ihrem Vöglein, von der Stickerei zum Strickstrumpf. Sie ist überall, sie ist fleißig, arbeitsam, sparsam. . . . Sie Auserwählter unter Tausenden, daß Sie diesen einzigen Edelstein unter den Kieseln, dieß duftende Veilchen unter den Disteln gefunden haben!«

»Hören Sie einmal,« warf Eduard ein, »Sie müssen Wittwer von wenigstens zwei bis drei Frauen sein?«

»Gott bewahre mich vor solchem Geschick! Nein! Aber ich bin ein bisschen Advocat und da bekommt man so Allerlei zu hören und zu sehen, was zur Enrnüchterung der Seele beiträgt.«

»Desto schlimmer für Sie, denn in den Illusionen ruht unser Glück.«

»Was nun gar die Geistes- und Herzenseigenschaften anbelangt,« fuhr Julius, ohne sieh in seinem Redestrome stören zu lassen, fort, »so versteht es sich ganz von selbst, daß bloß diese Zukünftige alle besitzt. Sie ist bescheiden in ihrer Toilette, hegt eine große Geringschätzung für Schmucksachen und Kaschemir-Shawls und begreift gar nicht, wie eine Frau darein ihr höchstes Glück sehen kann. Der Lärm betäubt sie, der Ball hat für sie etwas Beengendes und das Theater langweilt sie . . . Ihr Königreich ist ihr stiller, häuslicher Kreis: das wahre Glück besteht nur in der Vereinigung zweier Seelen, die für einander geschaffen sind. Die ihrige ist für die Ihrige geschaffen, wohlverstanden und umgekehrt! Ein Herz und eine Hütte: Philemon und Baucis, Romeo und Julia, Petrarca und Laura, Hero und Leander und was weiß ich! Kurz, lieber Freund, sie ist der zur Frau geworbene Engel; es ist der Engel, der in höchsteigener Person ganz express für Sie vom Himmel heruntergestiegen ist, und das ist hoch eine große Aufmerksamkeit von ihm, nicht wahr?«

Der Verstorbene als Bräutigam

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