Читать книгу Jacquot Ohnohr - Александр Дюма - Страница 1

Einleitung

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Es ist die Geschichte des Meutenführers eines Bojaren, vielleicht des letzten Repräsentanten der alten moskowitischen Sitten aus der Zeit Peter des Großen und Biren's, die ich erzählen will.

Freilich wird in meiner Erzählung ein wenig mehr von dem Herrn und der Dame, als von dem Diener die Rede sein, und meine Geschichte könnte ebenso gut »Die Prinzessin Varvara« oder »Der Fürst Grubenski«, als »Jacquot Ohnohr« betitelt sein; aber was will man sagen, zu einer Zeit, wo man sich eher damit beschäftigt, den Titel eines Romans oder eines Drama's zu suchen, als man den Gegenstand sucht, und wo der Titel die beste Gewähr für den Erfolg leistet, scheint mir Jacquot Ohnohr Alles, was von Originalität erforderlich ist, zu enthalten, um die Neugierde der Leser zu erregen.

Ich werde also bei Jacquot Ohnohr bleiben.

Ich hatte oft in St. Petersburg, in Moskau und besonders in Nichney-Nowgorod von dem Fürsten Alexis Iwanowitsch Grubenski sprechen hören; man erwähnte von ihm die unglaublichsten Uebertriebenheiten; aber diese Uebertriebenheiten, die den am meisten entwickelten englischen Humor weit hinter sich gelassen hätten, wurden selbst hinsichtlich des Burlesken, ich weiß nicht von welchem düsteren Gewölk verdunkelt, welches über diesem fremdartigen Dasein schwebte. Man fühlte, daß, obgleich von der Zeit und von den Anstrengungen derjenigen, welche ein Interesse dabei hatten, ihn ganz verschwinden zu lassen, zur Hälfte ausgelöscht, an dem Leben des Letzten der Bojaren, wie man ihn allgemein in dem Gouvernement von Nichney-Nowgorod nannte, einer von jenen dunkelrothen Flecken haftete, der, gleich denjenigen, die man auf dem Fußboden in der Hirschgalerie in Fontainebleau und des königlichen Cabinets zu Blois zeigt, vergossenes Blut verräth.

Ueberall hat man mir gesagt:

»Wenn Sie sich zufällig in Makarieff aufhalten sollten, so vergessen Sie nicht, dem Kloster gegenüber auf der anderen Seite der Wolga die Ruinen des Schlosses Grubenski zu besuchen. Besonders,« fügte man hinzu, »vergessen Sie nicht, sich die Galerie der Portraits zeigen zu lassen.«

Nur die, welche mit mir gereist sind, können meine Beharrlichkeit unter solchen Umständen schätzen; wenn ich irgendwo eine Sage, eine Ueberlieferung, eine Chronik wittere, so kann keine Einwendung, keine Bitte, kein Widerspruch etwas machen; wenn ich einmal die Spur gefunden habe, verfolge ich sie auch bis zu Ende.

Auch hatte mir der Capitain des Dampfboots, welches mich von Nichney nach Kasan fahren sollte, versprechen müssen, nicht zu verfehlen, in Makarieff anzuhalten, möchte er es nun bei Tage oder bei Nacht passieren.

In der That, sobald man, ich will nicht sagen Makarieff – man sieht Makarieff nicht über der Wolga – sondern die ausgezackten Mauern des alten Klosters, welches bis an das Ufer des Flusses vortritt, aus der Ferne erblickte, kam der Capitain, seinem Versprechen getreu, und sagte:

»Monsieur Dumas, bereiten. Sie sich vor, wenn es noch Ihre Absicht ist, in Makarieff auszusteigen; in zehn Minuten werden wir dort sein.«

Zehn Minuten später waren wir in der That dort, und auf das Zeichen, welches ich ihm gab, stieß ein Boot vom linken Ufer der Wolga ab und kam, mich von dem Dampfboot abzuholen.

Darauf bemerkte ich, daß ein junger russischer Officier, mit welchem ich während unserer Flußfahrt einige Worte gewechselt hatte, dieselben Vorbereitungen wie ich machte.

»Steigen Sie vielleicht auch in Makarieff aus, mein Herr?« fragte ich ihn.

»Ach! ja, mein Herr; ich stehe dort in Garnison.«

»Dieses Ach! ist wenig schmeichelhaft für Makarieff.«

»Es ist ein abscheuliches Loch, und es wundert mich, daß Sie dort aussteigen, da Sie nicht dazu gezwungen sind. Was Teufel haben Sie in Makarieff zu thun?«

»Zwei sehr wichtige Dinge: ich will dort einen Koffer kaufen und das Schloß Grubenski besuchen; und ich gestehe Ihnen, als ich sah, daß Sie Ihr Gepäck in Bereitschaft brachten, freute ich mich über das, was Sie in Verzweiflung setzte. Indem ich Ihre ganze Höflichkeit schätzte, sagte ich mir: Da ist ein Führer, wie gefunden für meinen Einkauf und für meinen Besuch!«

»Was das betrifft,« entgegnete mir der junge Offizier, »da haben Sie sich nicht getäuscht, und ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie über mich verfügen wollen. Die Zerstreuungen in Makarieff sind selten; Sie bieten mir die Ihrer Gesellschaft an, und ich nehme sie von ganzem Herzen an. Es ist der Honig, womit man den Rand eines Gefäßes bestreicht, worin man den Kindern eine Arznei giebt. Jetzt lassen Sie mich einige Bedingungen stellen.«

»Thun Sie es, ich nehme sie zum voraus an.«

»Sie begreifen, daß Niemand mehr in Makarieff anhält, seitdem die Messe von Makarieff nach Nichney-Nowgorod verlegt worden ist.«

»Außer Denen, die dort einen Koffer kaufen und das Schloß Grubenski besuchen wollen.«

»Ja, aber die sind selten. Es ist keine Herberge mehr in Makarieff, oder wenn noch eine da ist, so ist sie schlimmer, als wenn gar keine da wäre.«

»Ah! da sehe ich, wohin Sie kommen wollen: Sie wollen mir Kost und Wohnung anbieten; ich bin in Rußland schon an diese Art gewöhnt.«

»Gerade so.«

»Ein Anderer würde Umstände machen; ich nehme es an.«

Und ich reichte ihm die Hand.

»Ah! meiner Treu,« sagte er, »ich ließ mir nicht träumen, daß ich ein solches Glück haben würde. Steigen Sie also aus, ich bitte Sie.«

Und in der That legte das Boot, welches uns ans Land bringen sollte, an das Fahrzeug an.

Ich sagte dem Capitain des Dampfschiffes und den wenigen Personen, mit welchen ich während der dreitägigen Fahrt auf der Wolga Bekanntschaft gemacht hatte, Lebewohl und nahm meinen Platz in dem Boote ein.

Mein junger Capitain folgte mir.

»Ah! Sie sind es, Herr Graf!« sagte der Bootsmann zu ihm, als er ihn erkannte; »der Wagen erwartet Sie seit gestern Abend.«

»Ja,« sagte der junge Mann, »ich glaubte gestern anzukommen; aber diese elenden Dampfboote gehen wie Schildkröten. – Und es geht. Alles gut in Makarieff?«

»Gott sei Dank, Herr Graf, Alles geht gut.«

»Ich hoffe, er würde sagen, das Feuer habe die Stadt niedergebrannt und die Garnison sei nach St. Petersburg gerufen oder wenigstens nach Kasan versetzt worden. Es ist Nichts damit; unterwerfen wir uns dem Willen Gottes!«

Und der Graf stieß einen so ernstlichen Seufzer aus, – als hätte er wirklich gehofft, daß die Stadt niedergebrannt sein möchte.

Ein Wagen und ein Bedienter in französischer Livrée erwarteten uns am Ufer des Flusses. Es war keine Droschke, sondern ein eleganter amerikanischer Wagen.

Dieser Anblick gewährte mir eine große Hoffnung: nämlich, daß ich in dem Zimmer, welches mein Wirth mir anbieten würde, ein Bett und eine Waschschale finden dürfte, zwei Dinge, die ich seit meiner Abreise aus Moskau niemals vereint gefunden.

Ich hatte mich nicht getäuscht: das Haus des Grafen Vaninkoff – das war der Name meines jungen Officiers – war nach französischer Mode möbliert und ich fand ungefähr eine Wert von der Wolga mein pariser Schlafzimmer.

Der Thee erwartete uns – zum Glück ächter russischer Thee, schmackhaft und duftend und überdies nach allen Regeln der Wissenschaft bereitet, die sich ein moskowitischer Kammerdiener hinsichtlich des Theé's angeeignet.

Indem wir unsere Gläser leerten – in Rußland wird der Thee aus Gläsern getrunken und nur die Damen haben Auspruch an Tassen – indem wir unsere Gläser leerten, verabredeten wir, daß der Ausflug nach dem Schlosse Grubenski am folgendem Tage nach dem Frühstück gemacht werden solle.

Schon am Abend wurden Befehle ertheilt, daß zwischen zehn und elf Uhr Morgens ein Boot zu unserer Verfügung stehen solle. Ueberdies wollten der Graf Vaninkoff und ich vor dem Frühstück einen Besuch in den zwei oder drei am besten assortierten Koffermagazinen machen.

Um neun Uhr war der Graf auf und wir durcheilten zusammen, natürlich im Wagen, die Stadt; denn als ächter russischer Edelmann machte unser junger Officier, wenn er nicht dazu gezwungen wurde, keine hundert Schritte zu Fuß.

Ich kaufte zwei Koffer. Es versteht sich von selbst, daß mein Wirth nicht gestattete, daß ich sie bezahlte. Was will man sagen? Es ist die Landessitte – man muß sich darein fügen.

Nach einem vortrefflichen Frühstück – der Graf hatte einen französischen Koch – stiegen wir wieder in den Wagen, dann in die Barke und fuhren über die Wolga.

Auf der anderen Seite warteten unser zwei Pferde, die von zwei Bedienten gehalten wurden. Es war ein Berg, so hoch wie der Montmartre, zu übersteigen, und es war eine zu große Anstrengung für einen dieser Männer, welche die Gipfel des Kaukasus auf Wegen erklimmen, die nur den Gemsen und den Steinböcken allein bekannt sind, wenn es sich darum handelt, Schamyl unter den Wolken oder in der Tiefe seiner Abgründe zu bekämpfen.

Wir schwangen uns in den Sattel, und zehn Minuten später hatten wir die Ruinen des Schlosses Grubenski vor uns. Es war ein glänzendes Gebäude, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nach den Plänen des berühmten Baumeisters Rastrelli errichtet, der den Winterpalast in St. Petersburg und den Palast Tzaritzina in der Nähe von Moskau erbaut hat. Seit dreißig oder vierzig Jahren verlassen, hat er das Schicksal aller verlassenen Dinge gehabt, das heißt, außer einigen Dienstgebäuden, einer Galerie und einem Pavillon ist er in Ruinen zerfallen. Am Fuße desselben ist, gerade seitdem sich das Leben von ihm zurückgezogen, eine Art Uferdorf Namens Niskevo entstanden, und von der Höhe des Berges scheint das Schloß aus der alten Zeit einen düsteren Blick auf die junge Thätigkeit dieses erst gestern geborenen Kindes zu werfen.

Freilich, wenn das Gespenst von Granit seine Augen weiter sendet und nach der Seite der Wolga hinblickt, begegnet es dem Kloster Makarieff, und in der Nacht, wenn Alles um sie her schläft, können die beiden Greise mit Hilfe des Windes sich geheimnißvoll über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge mit einander unterreden, indem das Schloß die Zeit beklagt, wo seine Salons, seine Pavillons, eine Galerien von Licht funkelten und mit Gästen angefüllt waren, die das Geräusch ihrer Gesänge, das Klirren der Gläser und die Töne der Instrumente des Festes dem Echo preisgaben, während das Kloster die Zeit der priesterlichen Feierlichkeiten bedauert, wo es zu sechzig Dörfern, seinen Vasallen, mit der Stimme seiner zwölf Glocken und den Gesängen feiner zweihundert Mönche sprach.

Gegenwärtig bewohnen nur noch zwölf Mönche das Kloster. Das Schloß, welches das Geschlecht seiner berühmten Herren hat erlöschen sehen, gehört jetzt dem Zollpächter, Herrn Kirdiapine, dessen Vater ehemals dritter Kellner in der ersten Herberge von Makarieff war, als Makarieff Herbergen hatte, oder vielmehr, als Makarieff eine Messe hatte.

Wir waren von Makarieff zum Flusse gekommen, wir waren vom rechten Ufer zum linken Ufer der Wolga hinübergesetzt, wir hatten den Berg erstiegen, der zu den Ruinen führt, doch hatten wir nur den leichtesten Theil unserer Pilgerschaft zurückgelegt.

Es blieb noch übrig, uns die Schlüssel zu dem Schlosse zu verschaffen.

In der That hatten die zwei oder drei Diener, welchen die Bewachung dieser ehrwürdigen Ruinen anvertraut war, nicht denken können, daß Jemand den Einfall haben würde, sie zu besuchen, da sie nicht fürchteten, daß irgend eine schwarze Bande die zerstören werde, und nicht ohne Grund gemeint, daß sie sich wohl auf einige Zeit entfernen könnten, um ihre Dienste den Schiffscapitainen als Auslader und Lastträger anzubieten, indem ihnen diese Industrie die doppelte Erholung gewährte, jeden Tag in Gesellschaft und an demselben Tische den Genuß von einem oder zwei Gläsern Thee mit Zucker zu haben, welchen Luxus die Leute von der niederen Classe in Rußland am meisten schätzen.

An diesem Tage hatten sie begonnen, wie sie hätten enden sollen, und obgleich es kaum Mittag war, befanden sich meine drei Burschen schon im Wirthshause. Der eine von ihnen willigte ein, sich in Folge des Versprechens von zwanzig Kopeken, die der Kammerdiener des Grafen ihm in unserem Namen zuzusichern das Recht zu haben glaubte, stören zu lassen, und stieg mit den Schlüsseln hinauf.

Das Aufsuchen und die Unterhandlung hatte beinahe eine Stunde gewährt. Uebrigens hatten wir unsere Zeit nicht verloren; durch eine Bresche waren wir in die Gärten eingedrungen, die ehemals zu dem Schlosse gehörten, und wahrscheinlich auch jetzt dazu gehören. Sie bildeten einen ungeheuren Park, der sich zwei Werten weit auf der Höhe des Berges erstreckte und der am Ende dem Abhange folgend bis zur Wolga hinunterging. Aber dort war das Werk der Zeit, im Gegentheil zu dem Zerstörungswerke, gegen die Gebäude ausgeübt, wohlthätig und malerisch gewesen; sich selber überlassen, waren die Bäume zu einer riesenhaften Entwickelung gelangt, wo sie einzeln standen, und wunderbar verwachsen, wo sie vereint waren. Da waren Lindenalleen, die unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth gepflanzt sein mußten, und die für die Strahlen der Sonne so undurchdringlich waren, daß es schien, sobald man in diese Alleen eintrat, als wäre man in das Innere der Bergwerke hinuntergestiegen, und als verfolge man einen jener Gänge in den Eingeweiden des Uralgebirges.

An einigen Stellen, wenn man aus diesen Alleen hervorkam, oder in der Mitte von Rasenplätzen, die von hohem Grase und Dornen überwachsen waren, erblickte man steinerne Fußgestelle, auf welchen sich ehemals Statuen, Meisterwerke oder wenigstens Copien von Meisterwerken des Alterthums erhoben. Auf einem dieser Fußgestelle fanden wir noch die Buchstaben JOV… OMNIPOT… und auf einem anderen die Inschrift: Venus und Adonis.

Als wir aus der Hauptallee kamen und uns links wendeten, kamen wir zu dem tiefen und jetzt beinahe ausgetrockneten Bette eines künstlichen Baches; in der Tiefe floß noch ein schwacher Strom von klarem Wasser aus einer benachbarten Quelle, die wir nur mit aller Mühe auffinden konnten, so sehr war sie von hohem Grase überwachen. Dieser Bach war aller Wahrscheinlichkeit nach ehemals der größte Schmuck des Gartens gewesen, den er der ganzen Länge nach schlangenförmig durchfloß; einige Bogen, die mit großer Kühnheit von dem einen Ufer des Baches zu dem andern hinüber geschlagen waren, bildeten bezaubernde Brücken, die noch heute gangbar sind, obgleich sie nutzlos geworden.

An der verborgensten Stelle des Parks entdeckten wir einen Pavillon. Es war das Ochsenauge des Fürsten Alexis; aber ach! seit langer Zeit hatten die Winterstürme – jetzt die einzigen Gäste – die Thüren und Fenster losgerissen und weit weggeworfen. Wenn diese Mauern, welche Ohren und Augen gehabt haben, eine Zunge hätten, so würden sie ohne Zweifel heutiges Tages Geschichten erzählen, worüber die Mauern von Monceaux und Trianon erröthen würden; aber sie sind stumm, außer wenn der Sturm ihnen eine Stimme leiht, und diese düstere und strenge Stimme sagt den Denkmälern, was die Erfahrung jeden Tag dem Menschen sagt: »Es ist nichts Gewisses und Ewiges, als der Tod.«

An der Mauer befanden sich noch ziemlich gut erhaltene mythologische Fresken. Diese Fresken rührten ohne Zweifel von einem französischen Maler aus der Schule Bouchers her; sie stellten Venus und Mars dar, in dem Netze des Vulkan gefangen; die Entführung der Europa durch den famosen weißen Stier, dessen Gestalt Jupiter angenommen hatte; eine Leda, die den göttlichen Schwan liebevoll an ihre Brust drückt; endlich eine Diana im Bade, die von Aetäon überrascht wird.

Die Decke war eingestürzt.

Diesem Pavillon gegenüber befand sich ein Haufen von Steinen und Ziegeln, größtentheils mit Dornen und Epheu überwachen. Ich fragte meinen jungen Officier, ob er wisse, was dieser Haufen Steine und Ziegeln zu bedeuten habe.

»Ich glaube bei einem früheren Ausfluge, den ich zu diesen Ruinen machte, gehört zu haben,« antwortete er mir, »daß diese Trümmer ehemals einen ähnlichen Pavillon bildeten, wie dieser ist.«

»Ist er eingestürzt?« fragte ich.

»Nein, wie man mir versichert, ist er absichtlich zerstört worden.«

»Und warum das? Wissen Sie es?«

»Ich weiß nur, was man über diesen Gegenstand erzählt.«

»Und was erzählt man? Ich sage Ihnen vorher, ich bin der größte Frager auf der Welt.«

»Man erzählt, daß der letzte Fürst Danilo Borisowitsch, als er vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren hier in diesem Pavillon war, einen so seltsamen Fund that, daß er sich nicht nur entschloß, ihn zu zerstören, sondern auch den ersten Streich mit der Haue führte.«

»Und was fand er denn in diesem Pavillon?«

»Ah! das ist gerade das Geheimniß! Man spricht von einem zugemauerten, verbarrikadierten Zimmer, in welches Niemand den Einfall, oder vielmehr den Muth gehabt hatte einzudringen. Der Fürst Danilo trat, ohne daß es Jemand wußte, dort ein, wie man sagt, und sah darin etwas so Schreckliches, daß er todtenblaß herauskam und, wie schon gesagt, den Befehl zu der Zerstörung gab.«

In diesem Augenblick sahen wir den Diener des neuen Besitzers, des Herrn Kirdiapine, den das Versprechen von zwanzig Kopeken aus dem Wirthshause gelockt hatte, auf uns zukommen. Ich befragte ihn über den demolierten Pavillon; aber er wußte noch weniger davon, als der Capitain Vaninkoff, der, wie wir gesehen, nicht viel wußte.

Der Diener hatte die Schlüssel zu dem Schlosse und erbot sich, es uns zu öffnen. Ich nahm es an, indem ich hoffte, Etwas zu finden, was ein Band zwischen dem Schlosse und dem Pavillon herstellen würde.

Der Diener ging voran und führte uns durch eine Seitenthüre ein, die zu dem Vorsaale ging. Kaum war die Thüre geöffnet, als uns eine feuchte und ungesunde Luft entgegen kam; bei jedem Schritte, den wir auf den Pflastersteinen thaten, erhob sich ein dichter Staub, und der Wind, der hinter uns her durch die offene Thüre hereinkam, bewegte an den Wänden die zerrissenen und niederhängenden Lappen einer glänzenden Tapete, die in gerader Linie vermöge eines fürstlichen oder königlichen Geschenks von den Gobelins herstammen mußte.

»Was an dem Schlosse am besten erhalten ist,« sagte uns unser Cicerone, »das ist die Galerie der Portraits.«

Da dies auch aller Wahrscheinlichkeit nach das Interessanteste war, so ließen wir uns dorthin führen und vernachlässigten deshalb die übrigen Theile des Schlosses.

Ich weiß nicht, ob es eine vorgefaßte Meinung oder eine Wirklichkeit war, wenn es wirklich die Wirkung des Pinsels der Künstler war oder der Art, wie die Gemälde beleuchtet waren, aber es schien mir, als ob alle diese Portraits von düsteren Farben uns, welche kamen, um sie in ihrer stummen Vereinigung und in ihrer tiefen Einsamkeit zu stören, Blicke des Hasses und Grolles zuwarfen; man hätte sagen sollen, daß sie von ihren reich ausgeschnitzten Rahmen, die sich aber von der Zeit verbogen und verschoben hatten, zu uns sagen wollten: »Wer seid Ihr, lebende Eindringlinge, überlästige Besucher? Wer hat Euch das Recht gegeben, das Schweigen der Todten zu beunruhigen? Entfernt Euch; wir kennen Euch nicht, und wir sind Euch unbekannt. Ihr mögt uns ansehen und uns befragen, wie Ihr wollt, Ihr werdet Nichts von unserem thörichten Leben, von unseren lärmenden Vergnügungen, von unseren homerischen Gastmählern und unseren ungezügelten Leidenschaften erfahren!«

»Dies ist der Fürst Alexis Iwanowitsch Grubenski,« sagte uns der Mann, der uns begleitete, als wenn er auf die stumme Frage antwortete, die ich an die modernsten dieser Portraits richtete.

Meine Blicke wendeten sich demnach zu dem Bildnisse eines Mannes von hoher Statur. Seine freie Stirn, seine dichten Augenbrauen, eine römische Nase, eine stark vorspringende Unterlippe deuteten einen starken und energischen Willen an, gleich unerbittlich und unwiderstehlich. Sein Mund lächelte, aber es lag etwas Falbes und Drohendes in seinem Lächeln. Es schien mir, daß es für dieses Gesicht nur eines schwachen Widerspruchs bedürfe, um zu machen, daß seine Stirn es mit den Falten des Haffes bedecke, daß seine schwarzen Augen, voll Verschlagenheit, für den Augenblick leicht verschleiert, in der Aufregung eines glühenden Zornes blitzen könnten.

Neben dem Fürsten, in einem Kostüm aus der Zeit Ludwig des Sechzehnten – und man weiß, daß Rußland zu jener Zeit in der Mode um einige Jahre hinter uns zurück war – hing das Portrait einer Frau von hohem Wuchse. Diese Frau trug ein Kleid von gelbem Atlas mit Spitzen besetzt, nach der Mode aus dem Ende der Regierungszeit Ludwig des Sechzehnten, was für uns hinsichtlich des Datums dem Anfange des Kaiserreiches gleich kommt. Ihr Gesicht war bezaubernd; ihre Auge: athmeten einen lebhaften Verstand, vereint mit einer unbeschreiblichen Traurigkeit. Diese Frau mußte gewiß unglücklich gewesen sein, und wenn sie einige Augenblicke der Freude in ihrem Leben gehabt, so waren diese Augenblicke, nachdem sie aufgeleuchtet, mit der Schnelligkeit des Blitzes verschwunden.

»Es ist die Fürstin Marfa Petrowna,« sagte der Diener zu mir, welcher die Aufmerksamkeit bemerkte, die ich auf dieses Portrait richtete, »die Gemahlin des Fürsten Alexis.«

Aber schon hatten sich meine Augen von diesem Portrait, so interessant es war, abgewendet, um sich auf ein anderes zu richten. Diese Dame trug ein hechtblaues Kleid, wie man in Rußland bis zum Jahre 1806 oder 1807 getragen; ihre Taille war schlank und coquett gewölbt, ihre Hand, von reizender Form und voll aristokratischer Feinheit, hielt einen Eisenhartzweig; aber wie seltsam! das Gesicht dieses entzückenden Wesens war mit einer ungeheuren Lage schwarzer Farbe bedeckt.

»Was ist dies für ein Portrait?« fragte ich lebhaft den Diener, der mir die anderen genannt hatte.

»Ah!« entgegnete er mir, »über dieses Portrait kann man nur Muthmaßungen anstellen, denn Niemand weiß es genau. Indessen nach der verbreitetsten Ansicht stellt es die Schwiegertochter des Fürsten Alexis, die Gemahlin des Prinzen Boris Alexiowitsch, die Mutter es Fürsten Danilo, vor.«

»Aber warum diese Lage von schwarzer Farbe auf dem Gesichte?«

»Das mag der Himmel wissen! Wahrscheinlich war die Dame nicht schön.«

»Hat man keine Ueberlieferung davon?«

Der Diener zauderte.

»Man darf nicht immer. Alles glauben, was man erzählt,« sagte er.

»Aber was erzählt man denn?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Es giebt nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der die Wahrheit darüber weiß,« sagte er; »aber er hat nie Etwas sagen wollen.«

»Und wer ist – dieser Mann?«

»Sie kennen ihn, Herr Graf.«

»Ich?« rief der junge Capitain.

»Ja, es ist Jacquot Ohnohr.«

»Dessen Enkel im Dienste meines Vaters ist?«

»Gerade derselbe.«

»Er lebt also noch?«

»Er hat eben sein hundertstes Jahr vollendet.«

»Und wo wohnt er?« fragte ich.

»Er wohnt in Makarieff.«

»Hören Sie, Capitain?«

»Ja, aber er hatte das Gelübde abgelegt, wenn er das hundertste Jahr erreichen würde, eine Wallfahrt zu dem Kloster Troiza zu machen. Vorgestern hat er sein hundertstes Jahr erreicht, und gestern ist er abgereist.«

»Sapristi! da habe ich keine Wahrscheinlichkeit!« rief ich.

»Nun, wir wollen sehen,« sagte der Capitain zu mir; »wenn Sie noch einen Tag in Makarieff bei mir bleiben wollen, so verspreche ich Ihnen Eins.«

»Und was denn?«

»Jacquot bei seiner Rückkehr kommen zu lassen, ihn zu bewegen, die Geschichte des Fürsten Grubenski von einem Ende zum anderen zu erzählen, und sie. Ihnen zu schicken.«

»Das wollten Sie thun, Graf?«

»Auf Ehre.«

»In dem Falle bleibe ich nicht blos einen, sondern zwei Tage bei Ihnen.«

Und ich wäre nicht nur zwei Tage, sondern acht Tage, vierzehn Tage, ja einen Monat bei ihm geblieben, hätten mich nicht meine beiden Reisegefährten in Kasan erwartet.

Der Graf Vaninkoff war freilich ein charmanter Mann und überdies ein Mann von Wort.

Und der Beweis davon ist, daß ich zwei Monate nach meiner Rückkehr nach Frankreich das Manuscript erhielt, welches man hier lesen wird, gerade wie er es mir schickte, und woran ich, um ihm nicht seinen originellen Charakter zu rauben, durchaus Nichts, als den Titel, verändert habe.

Es war »Die alten Jahre« betitelt, und schien von einem ehemaligen Intendanten des Fürsten Danilo, Sohnes des Fürsten Boris, Sohnes des Fürsten Alexis, geschrieben zu sein.

Wo und wie der Graf Vaninkoff dieses Manuscript entdeckt hat, weiß ich nicht, und ich glaube auch nicht, daß es von großer Wichtigkeit für meine Leser sein wird, es zu wissen.

Daß es sie unterhalte, ist Alles, was nöthig ist.

Jacquot Ohnohr

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