Читать книгу Die Bräutigame der Babette Bomberling - Alice Berend - Страница 1
Die Bräutigame der Babette Bomberling
ОглавлениеDer Mensch hat's nicht leicht. Das einfachste Tier hat es besser.
Wenn sich zwei Esel begegnen, weiß jeder von ihnen sofort, daß er einen Esel getroffen hat. Stehn sich zwei Menschen gegenüber, wissen sie noch lange nicht, wen sie vor sich haben. Sie ahnen nicht einmal, ob sie ihren rechten Handschuh in den rechten Handschuh des andern legen dürfen.
Denn selbst ein Name spricht selten genug.
Erst am Beruf erkennt ein guter Bürger den andern. Erst wenn man erfahren hat, womit sich der liebe Nächste, mehr oder weniger, steuerpflichtig macht, kann man die innere Sicherheit finden, die jedes positive Wissen verleiht.
Aufs Ungewisse von jedem Mitmenschen das Beste zu glauben, ehrt einen. Man soll es sogar. Aber man stößt dabei auf Überraschungen. Und Überraschungen sind selten angenehm.
Niemanden wird es beglücken, wenn sich im Theater der nette, rundliche Herr Nachbar, den man für einen gediegenen Rentier hielt, unvermutet als Sargfabrikant en gros und en detail vorstellt. Ohne Entzücken streift man nun die Eleganz seiner vollen, lächelnden Gattin, die der lebendigste Beweis für das Blühen seines Geschäftes ist. Auch wenn es der Freundliche uns nicht noch vor dem Wiederaufgehen des Vorhangs zuraunte, wir ahnten es, daß sein Umsatz von Jahr zu Jahr steigt.
Man soll dem ehrlichen Wirken seines Nächsten das reichste Gedeihen wünschen . . . Der Mensch hat's nicht leicht . . .
Keiner wußte besser Bescheid um alle Arten dieser geheimen Gedanken, als Frau Anna Bomberling, geborene Kolpe.
Sie, die seit einundzwanzig Jahren die bessere Hälfte eines Sargfabrikanten war und den blühenden Beruf ihres Gatten doch noch nicht liebgewonnen hatte.
Trotzdem er es verdient hätte. Denn sie verdankte ihm eine Lebensweise, die weit alle Mädchenträume übertraf, die sie einstmals in des Vaters Schmiede gesponnen hatte, wenn die Funken stoben und die um sich schlagenden Pferde der Fuhrleute neue Hufeisen bekamen.
Sie hatte heute nicht nur einen echten Hasenpelz, wie damals die junge Frau Amtmann, sondern wärmte sich mit Zobel und Chinchilla. Sie hatte nicht nur einen schönen Sohn, ihr Hermann war sogar Student und verkehrte nur mit den feinsten Leuten. Sie hatte nicht nur ein süßes Mädchen mit blonden Locken und blauen Schleifchen darin, ihre Babette war sogar so fein, zierlich und vornehm, daß der Vater ihr sicher befohlen hätte, die Schmiede dreimal auszufegen, ehe ein solches Fräulein über die Schwelle treten durfte. Sie hatte einen guten, zärtlichen Mann, der den ganzen Tag über nicht zu Haus war. Und doch war sie nicht glücklich.
Denn auch Gewohnheit macht es nicht schöner, wenn man immer wieder bemerken muß, daß jeder Bekannte an etwas Unangenehmes erinnert wird, sobald er einen erblickt. Es bleibt kränkend, daß Fremde, wenn sie herausgefühlt haben, wer man ist, zusammenzucken, wie wenn sie sich an einer unsichtbaren Nadel gestochen hätten.
Und das Schlimmste war, daß es Frau Anna ganz im Geheimen den Leuten immer weniger verargen konnte. Die Jahre machen erfahren. Je älter sie wurde, je besser lernte sie die anderen verstehen.
Wenn sie an grauen und regenfeuchten Tagen, trotz der wohligen Wärme ihrer feinen Zimmer, immer wieder fröstelte und Gicht und Alter zu spüren glaubte, schauerte sie entsetzt zusammen, wenn ihr Mann frisch und froh nach Haus kam, sie in die rechte Backe kniff und sagte: »Altes Mäuschen, das Geschäft blüht!«
Und wenn sie auf ihren Abonnementsplätzen im Hoftheater ein klassisches Stück mit angesehen hatten, wo am Schluß alle edlen Menschen tot ausgestreckt am Boden lagen und Bomberling dann auf dem Heimweg, in seiner Freude, daß es aus war, ein wenig zärtlich werden wollte, da kicherte sie nicht mehr, wie vielleicht früher einmal, sondern noch ganz im Bann des vielen Pathos, das sie geschluckt hatte, stieß sie ihn mit schauernder Gebärde fort und sagte:
»Laß mich zufrieden. Mit dem Tod bist du im Bund!«
Das war ungerecht. Denn trotz seines Berufes hatte August Bomberling noch nie einen Toten gesehen. Das wäre ihm ebenso unangenehm gewesen wie jedem andern Menschen.
Es war überhaupt nichts Grauenhaftes an ihm. Im Gegenteil. Er stand seinem Geschäft nicht nur in rastloser Tüchtigkeit vor, sondern mit der ganzen Heiterkeit, die ein rechtschaffener Sinn und die gesunde Regelmäßigkeit aller Körperverrichtungen dem Menschen geben.
Niemand ging aus Bomberlings Laden, dem er nicht selbst die Tür geöffnet und mit einer Verbeugung versichert hätte:
»Es war mir ein Vergnügen, beehren Sie mich wieder.«
Aber leider läßt sich das Glück der Ehe mit Fleiß und Gediegenheit allein nicht erzwingen.
August Bomberling merkte bald, daß er von dem, was ihn am meisten beschäftigte, zu Haus nicht reden durfte, wenn er's gut haben wollte. Und das wollte er. So lernte er schweigen, wo's Not tat. Das war in den ersten Ehejahren nicht immer leicht; denn Frau Anna begann sich bald mit ihrer Kleidung mehr nach dem Pariser Journal als nach dem Hauptbuch seines Geschäfts zu richten. Aber er hatte seine Frau lieb, und das half ihm vorwärts.
Ihm war überhaupt nichts zuwider.
Er konnte nicht begreifen, was man auszusetzen hatte an seinem Beruf, der ehrlich und notwendig war. Auf die natürlichste Weise von der Welt war er zu ihm gekommen. Als seine Meisterarbeit als Tischler fertig war, da hatte er den Weg ins Leben nach einer Gelegenheit entlang gespäht, die möglichst rasch vorwärts bringt. Er hatte sich auf die Schwelle der Werkstatt gesetzt und sich ruhig und klar vorgestellt, was von allen Dingen seines Handwerks wohl das gangbarste wäre. Ob es nicht etwas gäbe, was einfach ein jeder haben müsse, ob er wolle oder nicht.
An einem Tisch saßen viele. Einen Schrank hatte selten jemand allein, selbst ein Bett hat nicht jedes in der Welt für sich. Er selbst teilte das seine mit zwei kleineren Brüdern.
Da flitzte ein Pfiff über seine Lippen, ein anderes Bett war ihm eingefallen. Bei dem gab's nichts zu teilen. Das bekam der ärmste Tölpel für sich allein. Er grübelte weiter. Je mehr er sich mit diesem Gedanken beschäftigte, um so mehr Vorzüge fielen ihm ein.
Da gab's kein Umtauschen. Da gab's keine Nörgelei mit Reparaturen. Daran wurde nichts unmodern. Da ging man nicht nach langem Handeln wieder lächelnd zur Ladentür hinaus, um sich's dankend noch einmal zu überlegen. Da mußte man kaufen, da half kein Zappeln.
Immer lustigere Lieder pfiff er, während die Gedanken tanzten. Lächelnd hatte er zu Anna Kolpe hinübergeschmunzelt, die schlank und blond die Kartoffeln schälte und auf die Hufeisen sah.
An dem gleichen Abend war er zum Schmied gegangen und hatte ihm seine Pläne anvertraut. Eine Sargfabrik wollte er anfangen und sich die Anna holen, sobald das Geschäft im Schwunge war. Ob der Schmied einige Tausende wagen wollte? Es wäre eine aufgelegte Sache, und er begann ihm die Vorzüge seines gangbaren Artikels an den Fingern herzuzählen. Erstens: jeder braucht's, ob er will oder nicht. Zweitens: Umtausch ausgeschlossen. Drittens: Reparaturen . . .
Der Schmied hatte ihn unterbrochen und ihm versichert, daß er ihm auch ohne weitere Ausführlichkeiten glaube. Doch meinte er, daß sie im Dorf so etwas nicht brauchten. Er sah dabei rückwärts über seine Schulter, wie wenn er jemanden hinter sich spüre. Eine solche Sache wäre etwas für die große Stadt. Die Anna könnte er gewiß einmal kriegen, wenn er's zu etwas gebracht hätte. Dafür müsse er sich aber die paar Tausend wo anders suchen. Alles mit Maßen.
Bomberling hatte sich froh bedankt, daß er die Anna haben sollte, wenn es ihm gut gehn werde, und war zu seinem Meister geschwenkt.
Der gab ihm die paar Tausend, als er die neumodischen Pläne des Gesellen erfuhr.
Diese jungen Plänezimmerer waren am besten in der Stadt aufgehoben, die groß und entfernt war. Hier war man selber. – – –
Ehe Bomberling damals wieder heimkam, waren viele heiße Hufeisen geschmiedet worden.
Anna sah, daß Augusts Schnurrbart dick und blond war und seine Augen blau und froh blickten. Sie sagte sich, daß er in der großen Stadt wohne, wo man mitten drinnen im Leben saß. Was kümmerte sie sein dummes Geschäft, das nur für die Toten da war.
Es gab Hochzeit. Den Brautkranz in einer Tortenschachtel und viele Kisten voll neuer Wäsche, in jedem Stück ein Hufeisen eingestickt, fuhr man am andern Tage glückselig nach der Stadt. Die kleine Wohnung lag vier Treppen hoch, und die schlanke Anna war stolz über das große Stück Stadt, das sie von ihren Fenstern übersehen konnte.
Nun war das alles lange her. Die Stadt war mit jedem Zeigerdrehen gewachsen, und der Umsatz von Bomberlings Fabrik hatte Schritt mit ihr gehalten.
Man wohnte im ersten Stockwerk und war selbst ein Teil dieser großen Stadt geworden. An Kleidung sowohl, wie an der in Grenzen gehaltenen Wohlbeleibtheit war man von weitem als gut fundierter Bürger erkenntlich.
Anna Bomberling, die gnädige Frau, hatte nicht die geringste Ahnung mehr, daß man der goldenen Sonne zumuten durfte, rote, mit grüner Seife gewaschene Flanellhosen auf Bodenkammern oder ordinären Gartenzäunen zu trocknen.
Man weiß, was man sieht. Und in Bomberlings Heim, das sie jetzt bezogen hatten, als ihre Ehe in das dritte Jahrzehnt bog, erinnerte nichts mehr an eine Vergangenheit mit Schmiede und Tischlerwerkstatt.
Selbst die alten Familienbilder waren verschwunden, die bisher die Wände geschmückt hatten, in breiten schwarzen Rahmen, aus Leistenresten der Fabrik gezimmert.
Frau Bomberling hatte erklärt, daß sie die alten Gesichter nicht mehr sehen konnte, und Bomberling hatte sich, wie stets, ihrem Wunsche gefügt. Ihm war es gleich, was an der Wand hing. Nur die großen Kreidezeichnungen von seinen und Annas Eltern waren nicht auf den Boden gekommen, sondern schmückten die mit Bügeleisen verzierte Tapete des Plättzimmers.
Der Herr Dekoratör, der es übernommen hatte, die Wohnung mit Prima-Geschmack einzurichten, hatte erklärt, daß es jetzt die meisten Herrschaften so machten. Und er verstand seine Sache. Er nannte sich nicht umsonst »Spezialist für Wohnungskultur«, er war es auch.
Die Vorderräume von Bomberlings Wohnung waren unter seinen Händen ein Stück moderner Kultur geworden. In den feinen Duft des Modeparfüms, dem stets der würzige Soßenhauch eines großen Bratens diskret untermischt war, atmeten sie eine starke Vornehmheit aus.
Schon auf der Diele lag ein großer Perserteppich, der echt war.
Jeder Besucher, dem Frau Bomberling den Preis dieses Gegenstandes zuflüsterte, fuhr zusammen, als habe ihn jemand auf den kleinen Zeh getreten.
Dies bewies Frau Bomberling, daß sich Selbstüberwindung belohnt, denn eigentlich hatte sie den Perser nicht haben wollen. Sie wollte nicht so viel Geld ausgeben für einen alten Fetzen voll türkischen Ungeziefers. Sie meinte, Imitation wäre sauberer und billiger und mache denselben Effekt.
Aber der Spezialist für Geschmack hatte beschwörend seine Hände erhoben, an denen die meisten Fingerspitzen blau unterlaufen waren, weil auch der geschickteste Mensch nicht immer den Nagel auf den Kopf treffen kann. Mit Wehmut in den schmalen, rot geränderten Augen hatte er der gnädigen Frau erklärt, daß auf der Diele ein echter Orientale liegen müsse. In den hinteren Zimmern und den Räumen, die sie bewohnten, konnte man so viel Imitation haben, wie man wollte. Noblesse oblige.
Da hatte Frau Bomberling nachgegeben; denn sie baute dieses Heim nicht zum Vergnügen so vornehm auf. Sie hatte ihre Absichten damit.
Drei stilvolle Zimmer reihten sich der Diele an. Im Salon standen die Möbel aus einem alten englischen Schloß. Über der Erkerbrüstung des breiten Fensters hatte ein lateinisches Buch, im alten Einband aus Schweinsleder, stets aufgeklappt, dazuliegen. An der Wand hing ein englischer Kupferstich, worauf in einem wohlgepflegten Park ein lächelnder junger Mann bemüht war, einem lächelnden Mädchen aus guter Familie den Verlobungsring anzustecken. Jedesmal, wenn Frau Bomberling durch diesen feierlichen Raum ging, dessen Vorhänge aus gelber Seide immer geschlossen waren, lächelten das Bild und sie sich an.
Sonst hatte sie mancherlei Ärger mit diesem Salon. Die Mädchen konnten nicht begreifen, daß das lateinische Buch aufgeschlagen auf der feingeschnitzten Holzbrüstung zu liegen habe. Jedesmal, wenn sie Staub wischten, klappten sie es zu. Obwohl sie in den feinsten Familien gewesen.
Von diesem Salon aus kam man in das Teezimmer. Seine besondere Sehenswürdigkeit bestand in der Tassensammlung einer russischen Gräfin. Auf jeder emaillierten Schale war ein Zar oder mindestens ein Großfürst.
»Wenn ich nur wüßte, wozu wir das alles nötig haben,« hatte Bomberling gesagt, als man ihn das erstemal durch die fertige Pracht seines Heims führte. Frau Anna hatte nichts geantwortet. Sie tauschte nur wieder ein Lächeln mit dem kupfergestochenen Paar an der Wand.
An dem gläsernen Tassenschrank vorbei ging es zwischen zwei Kelims ins Musikzimmer. Hier beherrschte der große Flügel den Raum, an dem Babette Klavier und Gesang übte. Von einer Damastdecke hob sich wie eine große gediegene Bonbonniere der blanke Mahagonikasten ab, in dem Hermanns Geige ruhte.
Babette und Hermann waren, was musikalisches Gefühl betraf, nicht gerade erblich belastet zu nennen.
Bomberling gestand, so unnötig es Frau Anna auch fand, noch heute jedem offen ein, daß ihm Musik ein Geräusch wie jedes andere sei. Aber daß er einen Lokomotivenpfiff einem Geigensolo vorziehe, weil er kürzer sei.
Frau Anna dagegen wurde vor jedem Grammophon tief bewegt.
Außerdem wußte sie, daß Musik zum guten Ton gehöre. So spielte Babette Klavier und Hermann geigte.
Das Musikzimmer gehörte also eigentlich schon zu den gewohnten Räumen. Das sah man auch an den vielen Blumen, die dort in allen Vasen standen; denn Babette liebte die Blumen und kaufte sie, wo sie sie sah. Sie brachte alle Woche eine andere Lieblingsblume, die sie für die schönste der Welt erklärte, am Gürtel und am Jackett trug, und mit der sie alle bewohnten Zimmer zu schmücken versuchte.
Besonders das ihre. Zwischen den weiß lackierten Möbeln und den hellen Mullgardinen, dem blanken Spiegel, hinter dem die Photographien berühmter Männer steckten, und zwischen den vielen Blumen hatten die Hände des Geschmacksspezialisten nichts anrühren dürfen.
Ebenso wenig wie im Nebenzimmer, wo Hermann zwischen Büchern, Heften, Pfeifen, Tintenfässern, Rapieren und der Galerie schöner Frauenköpfe nur in einer von ihm selbst bestimmten Unordnung hausen wollte.
Eine lange Pfeife im Mund und eine Knallbonbonmütze auf dem dicken Blondhaar war er dem Spezialisten in der behäbigen Breitschultrigkeit, die er vom Vater übernommen hatte, auf der Schwelle seines Zimmers entgegengetreten und hatte ihm erklärt, daß vor dieser Tür seine Geschmackskultur aufzuhören habe. Hier herrsche schon die nächste Generation.
Und dann hatten Babette und er ein Lachduett von vielen Minuten angestimmt. Der Gehrock des Spezialisten verschwand mit langen Schritten, die lange Linie des Korridors herunter. Sein blanker Rücken spiegelte vornehm beherrschte Wut.
Aber merkwürdigerweise hatte auch Frau Bomberling ihn mit sanftem Lächeln gebeten, die Einrichtung des ehelichen Schlafzimmers ihr selbst zu überlassen.
Von Natur ist nichts schön, erst die Gewohnheit macht es dazu.
Es gibt so mancherlei liebgewordene Bequemlichkeit, die man nicht dem modernen Leben opfern möchte: einen einzigen Raum wollte sie haben, wo man sich wirklich zu Hause fühlte.
Vergeblich hatte der Kulturspezialist der gnädigen Frau vorgehalten, daß ein Betthimmel geradezu fabelhaft unmodern geworden sei, daß der dicke Engel, der aus vergoldetem Holz über den Betten schwebte, jeder Kunst entbehre und sogar anatomische Mängel aufweise.
Frau Bomberling war fest geblieben. Auch die Kultur muß ihre Grenzen haben.
Diesen Engel hatte ihr August eigenhändig geschnitzt und vergoldet. Sie hatte immer gefunden, daß Hermann ihm ähnlich sähe. –
Zwischen diesen Räumen mit eigner Atmosphäre und dem stummen Kulturgebiet auf der anderen Seite lag, als freundlicher Vermittler, das große Speisezimmer.
Es war der Raum, der am häufigsten alle Bomberlings vereint sah. Eichenmöbel und Lederstühle machten es behaglich. In einer Ecke tickte, fest und bestimmt, die große Standuhr. Am Fenster hüpfte ein Kanarienvogel im Bauer, den Hermann Napoleon getauft hatte, worauf Frau Bomberling stolz war.
Am Umgang erkennt man den Menschen.
Es lag Würde in ihrem Ton, wenn sie dem Mädchen sagte:
»Geben Sie Napoleon frisches Futter.«
An der Wand hing ein großes Stilleben, ein delikates Bild. Es war nicht nur von einem Maler gemalt, der weltberühmt war, es stellte eine echte Straßburger Gänseleberpastete vor, umgeben von Austern, roten Hummern, frischen Spargelbündeln und einem Strauß ausgewählter Rosen.
Der Geschmacksspezialist hatte Frau Bomberling auf dieses vornehme Bild aufmerksam gemacht, das aus dem Nachlaß eines Bankiers billig zu erstehen war. Frau Anna hatte es eigentlich teuer gefunden. Sie meinte, daß es der Maler zu einer Jahreszeit gemacht haben müsse, in der diese Delikatessen gerade besonders hoch im Preise gestanden hätten. Aber sie konnte sich nicht davon losreißen. So wurde es gekauft und dem Eßtisch gegenüber gehängt. Wo es gewiß am Platz war. Denn Kunst soll anregend wirken.
Der erste, der jeden Morgen, sobald der Frühstückstisch gedeckt war, dieses freundliche Zimmer betrat, war Bomberling selbst. Er war ein Frühaufsteher und genoß das Behagen eines kurzen Alleinseins an jedem Morgen aufs neue.
Erst ging er zum Fenster und sah nach dem Wetter, das er immer schön fand. Dann zwängte er einen seiner runden Finger in das Vogelbauer und lockte Napoleon, den er so früh am Morgen einfach Hänschen nannte. Und dann ging schon die Tür auf, und das Mädchen mit reiner Schürze und reinem Häubchen kam herein, sagte freundlich guten Morgen und stellte die blanke Kaffeekanne auf den sorgsam gedeckten Tisch.
Kaffeeduft gibt Behagen wie Sonnenschein.
Lächelnd setzte sich Bomberling an den Tisch, steckte sich die kleine Frühstücksserviette in den Kragen, der wie ein weißer Ring den vollen Hals mit dem Doppelkinn zusammenhielt, und packte das Messer zum Angriff . . .
Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte er sie sich oft als fröhliche Morgengäste ins Zimmer geholt. Er hatte sich Babette aufs Knie gesetzt, ihr gelbseidenes Haar gestreichelt, ihre kleinen weißen Finger auf den breiten Rücken seiner behaarten Hand gelegt und sich immer wieder gewundert, wie zierlich solche kleinen Mädelchen gearbeitet waren. Oder er hatte sich den dicken Hermann auf den kräftigen Rücken gebuckelt und war mit ihm um den Tisch herumgerannt. Das hatten sie Karussellfahren genannt.
Aber jetzt waren die Kinder groß und redeten gebildet. Er steckte seine Bissen gern ungeniert in den Mund.
Mit sicherer Hand faßte Bomberling die Leberwurst und säbelte sich ein dickes Stück herunter. Dann warf er die Wurst zurück und griff in das volle Semmelkörbchen. Ehe er Brot und Wurst vereinte, nahm er mit lautem Schlürfen einen großen Schluck des starken Kaffees. Wohlig wärmend rann die heiße Flüssigkeit ihren dunklen Weg.
Aber unser Wohlbehagen hängt nicht allein von unseren eigenen Anstrengungen ab.
Gerade als Bomberling, Brot und Wurst kauend, innen und außen gewärmt, in dem illustrierten Teil der Morgenzeitung den Katafalk eines aufgebahrten Milliardärs studierte, ging hinter seinem Rücken die Tür auf, und Frau Anna, im hellblauen Schlafrock, jedoch noch ohne die moderne Haarfülle, kam herein. Klirrend setzte sie das Schlüsselkörbchen neben die Leberwurst. Dann nahm sie Bomberling gegenüber Platz und begann, sich mit auffallend viel Geklapper dem Frühstück zu widmen. Mehrere Mal räusperte sie sich laut und klopfte mit dem Löffel gegen die Tasse, wie wenn sie eine öffentliche Ansprache halten wollte. Aber Bomberlings Aufmerksamkeit blieb bei Leberwurst und Katafalk.
Selbst als Frau Anna, langsam und nicht ohne Betonung, gesagt hatte:
»Wir sind im Oktober, mein August –« wendete er nicht den Kopf, sondern sagte kauend, die Augen in der Zeitung, daß er die Miete schon vom Geschäft aus bezahlt habe.
Das Selbstverständliche vergißt man zu achten.
Die hellblauen Schlafrockschultern zuckten geringschätzend, und Frau Anna sagte, daß sie, um das zu hören, nicht so früh aufgestanden wäre.
Bomberling legte rasch die Serviette fort, erhob sich und steckte sich eine Morgenzigarre an. Er war überzeugt davon, daß Frau Anna, wie immer, wenn sie einen Augenblick allein zusammen waren, ohne müde zu sein, ihm wieder einmal mitteilen würde, wie und was sie in all den Jahren gelitten habe, die Frau eines Sargmachers zu sein, und daß sie nicht eher ruhen werde, bis die Lebensbahn ihrer Kinder in ein höheres Milieu gelenkt wäre.
Daher beeilte er sich, rasch die Krümel von dem runden Hügel der Weste, über dem sich die dicke goldene Uhrkette schlängelte, abzuschütteln und sagte:
»Mein altes Mäuschen, ich muß leider schleunigst fort. Wenn du mir noch etwas zu sagen hast, telefoniere, du weißt: 8182.«
Er kniff Frau Anna in gewohnter Weise in die rechte Backe und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.
Aber ein Ehemann ist selten sein eigener Herr.
»Ich habe mit dir zu reden,« sagte Frau Anna sanft, aber fest. Und Bomberlings Füße waren gebannt.
Frau Anna begann. Aber sie hielt sich nur kurz bei dem vielen Leid auf, das sie durch die Art von Bomberlings Beruf gelitten. Sie sprach von Babette. In ernstem Ton erinnerte sie ihren Gatten daran, daß das Kind in diesem Oktober siebzehn Jahre alt werde. Und ehe noch Bomberling hatte einwenden können, daß er zu jedem Geschenk bereit sei, hatte sie ihm feierlich erklärt, daß viele Mädchen aus guter Familie in diesem Alter schon verlobt wären.
Sie schöpfte ein wenig Atem, und es gelang Bomberling zu sagen, daß ein Mädchen warten müsse, bis der Rechte kommt.
Dabei hatte er sich schon wieder zum Gehen gewandt, denn er wußte nicht, daß die Unterhaltung erst jetzt begann.
Ohne von seinen Worten Notiz zu nehmen sprach Frau Anna weiter, ohne Aufenthalt, ohne zu stocken.
So wie man redet, wenn man weiß, was man will. Sie teilte Bomberling mit, daß die Eltern für das Glück der Töchter zu sorgen hätten. Daß dies in seinen Kreisen zu den ersten Pflichten der menschlichen Natur gehöre.
Napoleon schmetterte in seinem Bauer einen langen Triller, und Frau Anna unterbrach sich und rief:
»Halt den Schnabel, Napoleon.«
Aber auch die Zwiesprache zwischen den Gatten wurde nun heftiger. Denn Frau Anna war etwas außer Atem gekommen, und Bomberling fand Zeit zu antworten.
Bis Frau Anna den Namen und das Einkommen eines Geheimen Regierungsrates über den Frühstückstisch schleuderte.
Erst nach einer Weile fragte Bomberling leise und verdutzt:
»Liebt sie ihn denn?«
»Sie kennt ihn doch noch gar nicht,« sagte Frau Anna, nun wirklich ärgerlich über so viel Schwerfälligkeit.
Sie goß sich Eau de Cologne auf das Taschentuch und tupfte sich hörbar atmend die Stirn.
Das war eine Wendung des Gesprächs, die Bomberling nicht fremd war. Er atmete erleichtert auf, zündete seine Zigarre, die bei dem schnellen Wortwechsel ausgegangen war, noch einmal an und maß dabei die teppichbelegte Strecke bis zur Tür. Da läutete es draußen.
Für den Großstädter ist die Flurklingel die Stimme des Schicksals. Es wollte offenbar Bomberling zur Hilfe kommen.
Frau Anna zuckte zusammen, griff ohne Zögern zum Schlüsselkorb und verschwand.
Bomberling war nicht der Mann, der Zeit verlor.
Im gleichen Augenblick war er zu der anderen Tür hinaus.
Draußen auf der Diele fand er sich seinem Neffen Paul gegenüber, der sich vergeblich bemühte, den Hut abzunehmen, denn er hatte die Arme voll Blumen.
Bomberling zog seine Uhr.
»Ist es nicht längst Geschäftszeit, Junge?« fragte er.
Paul bejahte das, aber auf dem Wege zur Fabrik habe er in einem Laden diese Blumen gesehen. Babette hatte gestern so bedauert, daß man nirgends mehr Maiglöckchen bekomme. Da hätte er ihr diese rasch bringen wollen.
»Dann tu's nur und komme mir dann nach,« sagte Bomberling.
Damit fiel die Tür hinter ihm zu. Er wollte seine Freiheit nicht noch einmal aufs Spiel setzen. –
Als ihn ein Stadtauto geschwind und geschickt durch das Gewimmel von Straßen und Plätzen trug, wo sich die frische Geschäftigkeit eines neuen Tages regte, dachte er, wie einfach es wäre, wenn aus Babette und Paul ein Paar werden würde.
Gerade im Jahr, als Babette geboren werden sollte, war ihm Paul, der damals zehnjährig war, als einzige Erbschaft eines Onkels zugefallen, den man in der ganzen Familie stets den Erbonkel genannt hatte.
Aber Testamente bergen noch mehr Wunder als andere Geheimnisse.
Als der Onkel starb, hinterließ er den betrübten Verwandten nichts als diesen Sohn. Die anderen lehnten die Annahme dieser Erbschaft ab. August trat sie an. Alle belächelten seine Dummheit, denn damals war sein Geschäft noch klein, und er hätte wohl genug an seinen eigenen Kindern haben können.
Aber unsere Dummheiten sind oft das Klügste, was wir im Leben tun. Paul war jetzt längst sein einziger Vertrauter in dem großen Fabrikbetrieb, der unaufhaltsam anwuchs und immer weitere Anforderungen an Überlegung und Arbeitskraft stellte.
Denn alles kommt anders. Er hatte gedacht, daß etwas, das nicht modern war, nicht unmodern werden konnte. Das war ein Irrtum gewesen. Man hatte den Stil erfunden. Alles mußte jetzt stilvoll sein. Man wollte auch hier Eigenart. Besondere Linien in der Schnitzerei. Mit Kunst gehämmerte Beschläge. Dann wurde das Verbrennungssystem immer moderner und beliebter. Man mußte auch geschmackvoll ausgestattete Urnen führen.
Als sich bei Paul ein nettes Zeichentalent zeigte, hatte ihn Bomberling auf die Kunstschule geschickt.
Er wurde sein erster Zeichner und leitete nun das große Schnitzatelier der Fabrik. Und das war gut; denn Bomberling konnte rechnen wie ein Finanzminister, aber vom Zeichnen verstand er so viel wie von der Musik. Es wollte ihm nicht einleuchten, warum ein Schnörkel schöner sein sollte, wenn er nach rechts umbog statt nach links. Die Menschen machten sich das Leben auf alle Weise verzwickt.
Er runzelte die Stirn. Der Geheime Regierungsrat fiel ihm ein.
Ärgerlich warf er den Stummel seiner Zigarre zum Wagenfenster hinaus. In der Großstadt findet alles sein Unterkommen. Ein Schusterjunge fing ihn auf und steckte ihn in den Mund.
Bomberling mußte lachen. Gesunde schleppen sich nicht lange mit Ungemach. Als das Auto hielt, war es Bomberling schon wieder behaglicher zumut, und als er erst bei der Arbeit war und die neueste Musterkollektion aus Ebenholz in Augenschein nahm, hatte er seine alte Fröhlichkeit wiedergefunden . . .
Inzwischen wartete Paul auf Babette.
Als nahen Verwandten des Hauses hatte ihn das Mädchen nicht in das Kulturgebiet, sondern in das Speisezimmer geführt. Dort war niemand, nur Napoleon trillerte einen Morgengesang. Das laute Stimmenduett der ehelichen Unterredung hatte ihn angeregt.
Paul sah ernsthaft auf den kleinen gelben Federball, der sich beleidigt aufplusterte, weil jemand näher kam, und dachte: »Du hast es gut. Du siehst sie alle Tage.«
Niemand kam. Paul ging zum Büfett, um sich in dem blanken Silbertablett zu spiegeln. Er hatte keine Ahnung, welche Krawatte er heute umgebunden hatte. Als er von Hause fortging, wußte er ja nicht, daß er Babette heute sprechen würde. Aber das einfältige Tablett verkleinerte ihn auf lächerliche Weise. Die Krawatte war nichts als ein undeutlicher Fleck.
Als Paul es mit den Fensterscheiben versuchen wollte, wurde er gestört. Babette war hereingekommen. Ihr blondes Haar schmiegte sich glatt an den zierlichen Kopf und leuchtete über den Ohren in zwei dicken Puffen. Ein schwarzes Samtkleid, gürtellos und eng geschnitten, das den Hals freigab, ließ ahnen, wie schön das ganze Mädchen war.
Mit ganz besonderer Sorgfalt hatte sich Babette heute bekleidet: Denn sie hatte etwas sehr Besonderes vor.
Ein Lächeln auf dem Gesicht, hatte sie Paul gefragt, was ihn so früh hergeführt habe, als sie auch schon die Blumen bemerkte und an Paul vorüber zum Tisch eilte.
»Wie schön!« rief sie. »Die ganze Nacht träumte ich von Maiglöckchen.«
Eilig nahm sie einen Busch von den weißen Blüten und hellgrünen Blättern in den Arm, um sie sofort in ihr Zimmer zu tragen.
In der Tür besann sie sich. Sie drehte sich lächelnd zu Paul zurück und sagte, daß er nicht etwa zu warten brauche, bis sie wieder zurückkäme, sie wisse ja, daß er in die Fabrik müsse. Dann nickte sie ihm freundlich zu und verschwand.
Langsam ging Paul hinaus. Er hätte den Hut viel rascher nehmen können, als er tat; denn seine Arme waren jetzt leer.
Als Babette zurückkam, goß sie sich stehend ein wenig Kaffee ein und biß in ein braunes Semmelchen. Kauend ging sie hin und her, mit ihren Blumen beschäftigt.
Sie hatte nie Geduld, sich schon am Morgen feierlich vors Essen zu setzen, und heut besonders nicht.
Sie hatte beschlossen, den berühmten Schauspieler zu besuchen, der als Romeo und Hamlet, als Don Carlos und Faust teils über ihrem Waschtisch hing, teils hinter ihrem Spiegel steckte. Sie wollte ihn um ein Autogramm bitten. Ob er die Blonden leiden mochte? Man sagte, daß er ein Südländer sei. In der italienischen Stunde mußte sie stets an ihn denken. Io t' amo = ich liebe dich.
Sie fuhr ertappt zusammen. Hermann war ins Zimmer gekommen und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.
»Vater schon bei seinen Särgen?« fragte er und gähnte.
Babette fragte zurück: ob etwa sein Frühaufstehen bedeute, daß er ins Kolleg ginge?
»Unsinn, Frühschoppen,« knurrte Hermann, gähnte wieder und klingelte nach warmem Kaffee.
Babette suchte den Rest der Blumen zusammen, nickte dem Bruder freundlich zu und ging hinaus. Sie mußte in den Unterricht zu Fräulein Grisheim hinaus.
Ehe sie die Wohnung verließ, suchte sie die Mutter auf.
Mißtrauen ist die Tugend der Hausfrau. Frau Bomberling saß in der Küche und beobachtete durchs Lorgnon das Kochen der Quittenmarmelade.
Babette gab ihr einen herzlichen Kuß und dachte zärtlich: »Wie stolz würde die Gute sein, wenn sie die Schwiegermutter des berühmtesten Schauspielers wäre.«
Die Mutter streichelte lächelnd Babettes weiche Wangen und dachte gerührt: Meine Geheime Frau Regierungsrat.
Hoffnung hat verschiedene Gesichter . . .
Zwischen den Büchern und Heften ein Bild ihres Romeo betrat Babette bald darauf mit fröhlichem Morgengruß Fräulein Grisheims Schulzimmer. Sie tauschte mit Hilde Wegner, ihrer Vertrauten. einen Blick des Einverständnisses. Heute also.
Dann begann der Unterricht.
Auch Mädchen müssen für den Kampf des Lebens gerüstet werden. Fräulein Grisheim führte die jungen Damen in die Sprache und Kunstgeschichte Italiens ein, damit sie auf der Hochzeitsreise Vergnügen hatten. Die Mädchen kicherten viel. Bei den einfachsten Sätzen lachten sie.
»Kellner, ist dieses Zimmer verschließbar?« sollte übersetzt werden, aber nichts war zu hören als das Gequietsch unterdrückten Lachens.
Fräulein Grisheim sah wütend in die blauen Augen und glatten Gesichter und suchte eilig die nächste Reihe des Vokabelbuchs. Mit ihrer harten Altmädchenstimme, die nie hatte Liebesworte sagen dürfen, schrie sie nun:
»Sie brauchen uns morgen früh nicht zu wecken.«
Auch das schien nicht das Richtige zu sein. Das Gequietsche verstärkte sich.
Aber auch die längste Stunde hat nur sechzig Minuten. Von einer nahen Fabrik pfiff es Mittag. Die Bücher klappten zu.
Das war die einzige Minute am Tage, wo Fräulein Grisheim lächelte . . .
Arm in Arm gingen Babette und Hilde Wegner durch die Straßen.
Sie waren Freundinnen, seit sie sich bei Fräulein Grisheim kennen gelernt hatten. Die tiefsten Gründe aller Freundschaft verbanden sie. Sie taten sich gegenseitig leid und sie beneideten einander.
Babette bewunderte an Hilden, daß ihr Vater ein höherer Beamter und ihr Bruder Offizier war, und sie bedauerte sie, weil sie schon zweiundzwanzig Jahr alt und gar nicht hübsch war. Hilden tat Babette leid, weil ihr Vater diese gräßliche, unheimliche Fabrik hatte und weil sie überhaupt nicht aus feiner Familie war. Aber sie beneidete sie um ihr blondes Haar, nach dem sich jeder auf der Straße umsah, und beinahe noch mehr um ihr behagliches, helles Mädchenzimmer.
Seit Hildes Bruder das Leutnantspatent hatte und nie mehr mit seinem Monatswechsel auskam, war die Wohnung ihrer Eltern sehr zusammengeschrumpft.
Nur die Repräsentationsräume waren geblieben.
Hilde schlief auf einem Ausziehsofa im Speisezimmer, und ihr kleines, buntes Hab und Gut aus Schleifen, Schleiern, Spitzenkragen und Ansichtskarten mußte sie in einem Tischkasten der Badestube aufbewahren, die zugleich ihr Ankleidezimmer vorstellte. Sie hatte keinen Fleck, der ihr gehörte.
Darum sehnte sie sich im geheimen, zu heiraten.
Babette und Hilde sprachen eifrig von dem großen Schauspieler, auf dessen Wohnung sie jetzt zuschritten. Bei jeder Anschlagsäule machten sie halt, um seinen Namen auf dem Theaterzettel zu lesen. Babette empfand, daß sein Ruhm auch sie anging. In wenigen Augenblicken würde sie vor ihm stehen.
Hilde sollte vor der Haustür warten. Sie bot sich an, mit hinaufzukommen, aber Babette nahm diesen Freundschaftsdienst nicht an. Mit dem zierlichen Kopfnicken, das sie immer anwandte, wenn sie jemanden nicht mehr brauchte, verschwand sie im Haus.
Ein Dienstmädchen, das einen dicken, kleinen Jungen auf dem Arm hatte, öffnete ihr die Wohnungstür und führte sie in ein buntes, mit Büchern und Bildern beladenes Zimmer.
Hier wartete Babette in großer Erregung.
Wie mochte seine Stimme klingen, wenn er guten Tag sagte? Konnte er überhaupt etwas anderes als Verse sprechen?
Aber auch Götter sind von Haus aus Menschen.
Im Nebenzimmer klapperten Teller und jemand sagte unwirsch:
»Kannst du denn dem Rindvieh von Köchin nicht beibringen, daß sie die Zwiebeln ordentlich braun brät?«
Babette zuckte zusammen. Das war seine Stimme. Deutlich hatte sie ihren Klang im Ohr, wie sie jubelte: »O Königin, das Leben ist doch schön.«
Jetzt wurde drinnen ein Stuhl beiseite geschoben. Schritte näherten sich der Tür.
Ohne zu überlegen lief Babette aus dem Zimmer. Flinker als eine Eidechse war sie aus der fremden Wohnung verschwunden.
Als Hilde sie mit vielen Fragen empfing, sagte sie, daß man über ein solches Erlebnis nicht sprechen könne.
Hilde blickte die blonde Freundin bewundernd an. In tiefem Schweigen schieden sie.
Aber als Babette nach Hause kam, nahm sie sämtliche Photographien dieses Mannes von der Wand und warf sie in einen schwarzen Kasten. Sie war wütend, daß ihr dabei die Tränen über die Backen kugelten.
Was ging sie ein Mensch an, der Zwiebeln aß.
Indessen hatte auch Babettes Mutter die Zeit genützt. Nachdem die Quittenmarmelade eingefüllt und die Gläser dreimal überzählt worden waren, war Frau Anna für eine Stunde in ihr Schlafzimmer verschwunden.
Die Zeit verändert.
Als sie wieder herauskam, war sie eine bedeutend schlankere, elegante Dame geworden, mit einer Fülle von Locken unter Hut und Schleier. Wie bei dem Frühling selbst wehte ein starker Blütenduft vor und hinter ihr her. Ehrerbietig legte das Mädchen die breite Pelzgarnitur um die vollen Schultern der gnädigen Frau, reichte ihr den großen Muff mit dem künstlichen Veilchenstrauß und öffnete die Tür zum Fahrstuhl.
Langsam glitt Frau Bomberling zur Erde nieder.
Sie wollte ihre Freundin, die Frau Geheimrätin, besuchen, eine feine und liebenswürdige Dame. Ihr verstorbener Mann war ein großer Gelehrter gewesen. Man hatte eine ganze Käferfamilie nach ihm benannt. Außerdem, wie so manches zusammentrifft, war die Rätin die Tante jenes Geheimen Regierungsrats.
Frau Geheimrat hatte es trotz der ehrenvollen Beziehung zu der neu entdeckten Käferfamilie recht knapp. Sie lebte ohne Dienstmädchen und ließ sich nur die gröbste Arbeit ihres Haushaltes von der Portierfrau besorgen. Das übrige tat sie selbst in Glacéhandschuhen und einem Häubchen auf dem Haar.
Aber auch mit Glacéhandschuhen angefaßt, bleibt der Alltag grob.
Die Portierfrau zeigte nicht genügend Respekt und grinste höhnisch, wenn sie den geringen Küchenabfall forttragen sollte. So hatte Frau Geheimrat ihre Freundin Bomberling gebeten, ihr doch einige Sektpfropfen mitzubringen, die sie dann und wann in den Abfalleimer der Küche werfen konnte.
Frau Anna hatte bereitwilligst zugesagt. Obgleich auch Bomberlings, wenn sie unter sich waren, ohne jeden übertriebenen Aufwand speisten.
Aber wir müssen uns der hohen Meinung unserer Freunde nicht unwert zeigen.
Frau Bomberling ging in ein Weingeschäft, bestellte einige Flaschen roten Tischwein und bat den Verkäufer um einige alte Champagnerpfropfen.
»Aber natürlich französische,« fügte sie hinzu.
Sie wurde von Frau Geheimrat mit großer Freude empfangen, denn diese hatte sich soeben fürchterlich geärgert und war überaus froh, jemandem ihr Herz ausschütten zu können. Die Portierfrau hatte eine kleine Gipsbüste zerschlagen, die Schiller dargestellt hatte. Statt ein Wort der Entschuldigung zu sagen hatte sie behauptet, daß Schiller doch nicht mehr modern sei.
»Was sagen Sie dazu?« fragte die Frau Rätin, vor Erregung zitternd.
Frau Bomberling errötete. Sie hatte keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Aber es schien ihr, daß das Theaterstück Don Carlos, das sie erst kürzlich mit Babette gesehen hatte, von diesem zerbrochenen Schiller gemacht worden war.
»Das sind so Ansichtssachen,« sagte sie zögernd.
»Gewiß, gewiß,« beeilte sich die Freundin zu sagen. – »Aber daß sich eine solche Person mir gegenüber ein literarisches Urteil herausnimmt. Ein kleiner Standesunterschied muß doch schließlich noch da sein.«
Frau Bomberling überreichte das Päckchen mit den Pfropfen und machte die Beschenkte darauf aufmerksam, daß es echte französische wären. Frau Rätin könne jederzeit neue bekommen. Diese dankte herzlich und versicherte, daß sie lange damit auskommen werde. Jeden Sonntag einen Pfropfen in den Kasten wäre reichlich genug. Man muß nicht verschwenden.
Nun war die Reihe zu erzählen an Frau Anna. Sie berichtete, wie fleißig ihre Kinder um ihre Bildung bemüht waren. Babette im italienischen Unterricht und Hermann im Kolleg. Und dann erkundigte sie sich höflich, ob Frau Rats Neffe inzwischen angekommen sei. Denn der Herr Regierungsrat sollte erst in diesen Tagen in die Großstadt versetzt werden.
Die Rätin nickte vor Freude. Gestern hatte der gute Junge sie besucht. Sie hatte ihm sofort von ihrer lieben Freundin und deren Angehörigen erzählt.
Frau Bomberling erkundigte sich behutsam nach dem Alter des guten Jungen.
Die Tante runzelte die schmale Stirn und sagte nach einiger Überlegung, daß sie das nicht so genau in ihrem armen alten Kopf habe. Er wäre wohl so gerade in die Vierzig hineinmarschiert. Vielleicht war er auch schon fünfundvierzig. Am Ende sogar achtundvierzig. Möglich ist alles. Aber wie dem auch sei. Im Vergleich zu der Höhe seines Titels sei die Zahl seiner Jahre immer noch niedrig.
So redeten sie noch allerhand, was so zwischen Mutter und Tante zu sprechen war. Als Frau Bomberling aufbrach, lud sie ihre liebe Freundin zum Abendessen ein an Babettchens siebzehntem Geburtstag. Wenn der Herr Regierungsrat sie begleiten wollte, würde er sehr willkommen sein.
Frau Rat versprach die Einladung zu übermitteln. Sie glaubte beinah, schon heute für ihn zusagen zu können.
Sie schieden mit dem Lächeln fester Freundschaft. –
Als Frau Bomberling auf die Straße trat, spiegelte sich die rötliche Herbstsonne schon in den billigen Dachwohnungen. Sie war also im Untergehen. Es fehlte nicht viel an der Stunde, wo bei Bomberlings gegessen wurde. Aber es war von jeher Frau Annas Vorrecht gewesen, einige Minuten zu spät zu kommen. Sie beschloß zu Fuß zu gehen, einige Bewegung würde ihr gut tun.
An der nächsten Straßenecke stand ein Wagen, überhäuft mit weißen Blumenkohlköpfen, die zu verblüffend billigen Preisen verkauft wurden.
Frau Anna hielt inne und trat an den Wagen, vor dem sich Frauen und Mädchen drängten und pufften. Sie vergaß immer wieder auf Augenblicke, daß es bei Bomberlings nicht auf fünf Pfennige mehr oder weniger ankam. Es gelang ihr, vier große, feste Köpfe zu erstehen und beim Schluß noch fünf Pfennige von dem billigen Preis herunterzuhandeln. Herzlich froh ging sie weiter.
Aber Besitztum ist Bürde. Bei jedem Schritt wurde das Paket schwerer. Das alte Zeitungspapier öffnete sich, und die prallen Köpfe begannen mit jedem Vorübergehenden zu kokettieren. Alle schienen diesem frechen Gemüse, das sich gegen das kostbare Pelzwerk drängte, zuzulächeln. Frau Anna mußte von Schritt zu Schritt mehr befürchten, daß ihr der Kohl davonrollte. Sie glühte vor Angst und Verlegenheit, und schließlich war ihr Widerstand gebrochen. Sie winkte einem Auto.
Einige Minuten später war sie zu Haus. Bomberling war schon da. Im Eßzimmer, wo die Fenstervorhänge zugezogen waren und das Licht behaglich den gedeckten Tisch beschien, wanderte er auf und ab.
»Mäuschen, mein Magen knurrt,« rief er fröhlich, als er Frau Anna kommen hörte.
Bald saßen alle um den Tisch.
Bomberling hielt sich nicht lange mit reden auf, sondern griff hastig zu.
Frau Anna hatte der Blumenkohl den Appetit verdorben.
Hermann, dessen Frühschoppen bis jetzt gedauert hatte, war von seinen Angehörigen durch einen dichten Nebel getrennt. Schleier wogten vor seinen Augen.
»Ich habe die Frau Geheimrat eingeladen,« sagte Frau Anna. »Zu einem Abendessen an Babettchens Geburtstag. Wahrscheinlich wird sie ihr Neffe, der Geheime Regierungsrat Koberstein, begleiten. Er soll ein scharmanter Mann sein.«
Babette verzog den Mund. Sie freute sich nicht mehr auf ihren Geburtstag.
Sobald das Essen beendet war, setzte sie sich wieder an den Flügel und spielte, im tiefen Dunkel, einen Trauermarsch nach dem anderen.
Aus Frühstück, Mittag und Abendbrot formten sich weiter die Tage, die auf Babettes Geburtstag zuschritten.
Aber Babette war wieder heiterer geworden. Die Zwiebeln des Romeo waren ein wenig vergessen. Denn Hildes Bruder, der Leutnant, war zu Besuch gekommen und holte die beiden Freundinnen jeden Mittag aus dem Unterricht ab.
Babette fand, daß eine Uniform das Straßenbild wohltuend belebte . . .
Frau Bomberling steckte in diesen Tagen über und über in Arbeit.
Von früh bis abend machte sie Einkäufe und Bestellungen. Sie scheute keine Mühe. Das Essen sollte gut und reichlich werden. Bomberlings Gäste sollten sich satt essen können.
Eines Mittags fand man beim Nachhausekommen auch eine Karte vor: Gustav Koberstein, Geheimer Regierungsrat.
Erfolg spornt an. Frau Anna schlief mit dem Kochbuch auf dem Nachttisch . . .
Und endlich war der Abend da.
Das ganze Kulturgebiet war hell erleuchtet. Von den Decken, aus den Wänden, auf den Tischen glühten die elektrischen Lampen. Der Kupferstich mit dem lächelnd verliebten Paar glich einem Spiegel, glitzernd warf er die vielen Lichter zurück. Die Zaren und Großfürsten im Tassenschrank glänzten in vollem Ordensschmuck.
Im Eßzimmer stand die gedeckte Tafel.
Babette hatte sie geschickt mit duftenden Veilchen bestreut. Seit heute morgen war diese kleine Blume ihr Liebling. Auch am Gürtel ihres weißen Kleides trug sie einen Strauß davon. Frau Bomberling fragte, von wem sie die vielen Veilchen eigentlich hätte. Babette konnte sich nicht recht entsinnen. Möglich, daß sie von Hildes Bruder, dem Leutnant, wären, antwortete sie.
Um den Hals trug Babette die haarfeine Goldkette, die ihr der Vater heute geschenkt.
Bomberling hatte sie selbst gekauft.
Er hatte das Auto vor einem eleganten Juwelierladen halten lassen und von dem vornehmen Herrn, der im Gesellschaftsanzug hinter dem Ladentisch stand, einen Schmuck für den sehr hübschen Hals einer jungen Dame verlangt. Man hatte ihm höflich zu dieser sehr feinen Goldschnur geraten, an der eine einzelne Perle wie ein aufgefangener Tautropfen hing. –
In seinem Büro hatte Bomberling sie noch einmal ausgepackt. An seinem Schreibtisch, wo sich schwarze und braune Holzleisten türmten und Zeichnungen von Särgen und Grabstätten wenig Raum ließen, saß er und ließ die feine Kette durch seine runden Finger gleiten. Als er sie sorgsam zurückgebettet hatte in das feine Lederkästchen, lag ein Lächeln, nachdenklich und zufrieden, auf seinem Gesicht.
Wo gehobelt wird, fallen Späne ab.
Babette war froh mit der Perle.
Als der Vater nach Haus kam, umarmte sie ihn und sagte:
»Ich muß immer daran denken, daß sie tief unten im Meer, verborgen in einer Muschel, lag.«
Und dann lief sie an den Flügel und spielte einen wilden Tanz.
Bomberling stand mit Staunen und Stolz vor der blitzenden Tafel. Er bewunderte Anna. Woher nur verstand sie das alles?
Er wußte nicht, daß in jeder Frau ein Stück Prinzessin steckt. Diese Tafel hatte Anna schon mit sechzehn Jahren gesehen. Als die Funken aus den Hufeisen stoben.
Aber wo war Anna? Bomberling hatte sie im ganzen Kulturgebiet vergeblich gesucht. Endlich fand er sie in der Plättstube, wo die Kreidezeichnungen beider Elternpaare auf Reihen von Weinflaschen und garnierten Schüsseln niederstarrten.
Hier stand Frau Bomberling mit Herrn Schütte. Herr Schütte war der Lohndiener. Frau Rätin hatte ihn ihrer Freundin empfohlen. Er war ein Diamant. Wo er half, blieb nichts zu wünschen übrig. Er tat restlos seine Pflicht.
Eben war er gekommen. Er bat nun um die speziellen Wünsche der Gnädigen. Frau Anna sprach erregt in sein Gesicht, das glatt und unbeweglich wie eine Wachsmaske blieb und nur schmerzlich zusammenzuckte, wenn die gnädige Frau den französischen Namen eines Gerichts aussprach.
Frau Anna war recht erleichtert, als Herr Schütte sie bald unterbrach und ihr mit einer dankbar ablehnenden Handbewegung zu verstehen gab, daß er schon genügend orientiert sei.
Er verbeugte sich und ging, um seine weißen Handschuhe zu holen, zu seinem Überzieher, den er bescheiden hier an der Vorratskammer an einen Nagel gehangen hatte. Er mußte eine Weile suchen und sah sich nervös nach Frau Anna um, die immer noch, ganz ohne Grund, hier anwesend war. Denn die Taschen dieses Mantels waren tief. Nicht jeder ist seines Namens wert. Das Futter dieses Rockes verdiente seinen Namen in des Wortes weitester Bedeutung. Nur an der Peripherie des Mantels angenäht, hatte es manches Rebhuhn, manche Pastete und manche Flasche Wein umschlossen, ganz abgesehen von dem Überfluß an Obst, Zigarren und Konfekt, an den es beständig gewohnt war. Denn Herr Schütte hatte eine Familie zu Haus. Jeder Mann muß für die Seinen sorgen.
Als Frau Anna ihren Gatten in der Tür erblickte, erschrak sie. Sie hatte ihm noch am Nachmittag telephonieren wollen, daß der Herr Regierungsrat vielleicht 48 Jahr sei. Entfernung mildert. August dies einfach ins Gesicht zu sagen, hatte sie von Tag zu Tag verschoben.
Aber jetzt war keine Zeit mehr zu Privatunterhaltungen. Es konnte jeden Augenblick klingeln. Bomberling mußte sich rasch einen schwarzen Anzug anziehen. Frau Anna war schon lange stattlich und pompös.
Herr Schütte, der jetzt die Handschuhe angezogen hatte, sagte mit dem vornehmen Flüsterton, der ihm eigen war:
»Verzeihung, gnädige Frau, man läßt es nicht zum Klingeln kommen. Ich begebe mich jetzt auf die Diele. Höre ich Schritte auf der Treppe, öffne ich. Ich muß die Herrschaften bitten, sich in den Salon zu begeben.«
Frau Anna bat höflich, ob sie noch einen raschen Blick in die Küche werfen dürfe. Herr Schütte erlaubte es mit einem bedauernden Achselzucken.
Als Frau Anna den Korridor zurückgeeilt kam, sagte Herr Schütte, ob die gnädige Frau nichts dagegen habe, wenn er beim Einschenken die Marke der Weine in die Ohren der Gäste flüstre. Er sei das so gewohnt.
»Muß das sein?« fragte Frau Anna und starrte erschreckt in die rasierte Unbeweglichkeit vor ihr.
Herr Schütte nickte wortlos.
Frau Anna schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie unsicher, sie glaube, nur der Sekt habe einen festen Namen.
Herr Schütte beruhigte sie. Das schadete gar nichts. Er murmele überhaupt nur ganz erstklassige Marken.
Damit verbeugte er sich und öffnete die Tür des Salons.
Ein tüchtiger Diener erspart manches.
Beruhigt rauschte Frau Anna hinein.
Bomberlings warteten.
Erst schien es, wie wenn alle die Einladung vergessen hätten. Aber dann kamen sie rasch hintereinander.
Zuerst Hilde Wegner und ihr Bruder Fritz in Uniform. Dann Paul mit schönen Blumen. Hinter ihm Bomberlings Lagerchef, ganz frisch vom Frisör. Am Arm führte er seine junge Frau, die in Trauer war. Sie sagte entschuldigend, daß sie ihre Großmutter verloren habe und eigentlich noch keine Festlichkeiten mitmachen dürfe. Aber diese kleine Abendgesellschaft sei ja kein großes Vergnügen.
Inzwischen war ein Studienfreund Hermanns gekommen, der vor jedem eine tadellose Verbeugung mit Hackenklappen gemacht hatte. Und endlich die Frau Geheimrätin mit ihrem Neffen, dem Geheimen Regierungsrat Gustav Koberstein.
Wenn es nicht nötig gewesen wäre, noch auf Onkel Albert und Tante Helene zu warten, hätte man sofort zu Tisch gehen können.
Babette saß auf einer Stuhllehne und beobachtete den neuen Bekannten, der sich neben den Vater gesetzt hatte und sich mit diesem unterhielt.
Er war groß und hager. Seine Nägel waren blank wie seine Lackschuhe. Seine Stirn reichte bis ins Genick.
Babette schnupperte ein wenig in die Luft. Dann rutschte sie rasch vom Stuhl. Sie wollte Hilde Wegner erzählen, daß sich der Herr Regierungsrat parfümiere.
Hermann und sein Freund verständigten sich mit einem Blick der Bewunderung über das Monokel des Herrn Rats, das fest, wie angeleimt, unter den Augenbrauen saß. Der Kerl war ein Kavalier. Ohne Frage. Inzwischen erzählte der Herr Regierungsrat, lässig in seinen Stuhl zurückgelehnt, diesem Sargfabrikanten vor allen Dingen erst einmal, daß er ein Kerl sei, der unglaublich schnell Karriere gemacht habe. Mit fabelhafter Fixigkeit, die ihm sobald keiner nachmachen werde.
Das war nicht zu Unrecht behauptet. Der Zufall läßt sich schwer wiederholen, und er war es gewesen, der den Herrn Koberstein so rasch hatte avancieren lassen. An einem Vormittag nämlich, als sich Herr Koberstein wieder einmal bodenlos langweilte, hatte er auf die leere Hälfte eines Aktenstückes, das er bearbeiten sollte, ein großes schönes Fragezeichen gezogen. Mit einem dicken Buckel, wie ein Gläubiger, und einer schlanken Taille, wie ein hübsches Mädchen. Und darunter einen Punkt, voll und rund wie die Erde. Gerade als er fertig damit war, wurde die Tür aufgerissen, und sein Vorgesetzter kam herein. Vergebens versuchte Herr Koberstein die Frucht seiner unverlangten Zeichenkunst zu verstecken.
»Sie haben etwas Fragwürdiges gefunden? Geben Sie her.«
Was einmal über uns verhängt ist, geschieht auch. Die Akten wurden geprüft. Herr Koberstein hatte eine große Unterschleifung aufgedeckt und seiner Behörde einen großen Dienst geleistet.
Es gehört zu den meisten Dingen viel weniger Verstand, als wir glauben.
Aber das war schließlich eine persönliche Angelegenheit des Herrn Regierungsrats. Es ist begreiflich, daß er nicht auf diese Einzelheiten zurückkam.
Außerdem wurde er durch das Erscheinen der letzten Gäste unterbrochen. Onkel Albert und Tante Helene waren gekommen.