Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer
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Andree Richard. Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

Vorwort

Einleitung. Historischer Ueberblick und Geschichte der Erforschung Abessiniens

Das Land, seine Pflanzen- und Thierwelt

Das Volk, seine Sitten und Gebräuche, Handel und Industrie

Religion, Kirche und Geistlichkeit Abessiniens. Das Missionswesen

Der Ackerbau und die Viehzucht Abessiniens

Massaua und die abessinische Küstenlandschaft

G. Lejean’s Reise durch Abessinien

Reisen in den nördlichen und nordwestlichen Grenzländern Abessiniens

Schoa und die britische Gesandtschaft unter Major Harris

Theodoros II., Negus von Aethiopien

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„In den ersten Jahrhunderten unserer Aera stand Abessinien auf der Höhe der damaligen Kultur; das Christenthum, das ununterbrochen von Aegypten den Nil hinauf bis hierher reichte, schuf einen stetigen Verkehr mit dem römischen Reiche. In Glauben, Sitte, Recht und Feinheit des Lebens war es uns ähnlich; doch seit es von dem Abendlande durch die Fortschritte des Islam abgeschnitten ist, blieb seine Entwicklung stehen, und wie, wer steht, zurückgeht, so ist auch Abessinien zurückgegangen und ist verwildert, wenn es auch jetzt noch Europa viel näher steht als dem nachbarlichen Afrika. Es ist umringt von Feinden, wie die Rose von Dornen; im Norden, wo das Hochland in Stufen abfällt und endlich in unabsehbare Tiefebenen sich endet, wohnen muhamedanische Völker, meist rebellische Kinder des Hochlandes, die hellfarbigen Habab, die Leute von Barka; ihnen folgen noch nördlicher die altnomadischen fremdredenden Hadendoa. Im Westen begrenzt Abessinien das Nilland, türkischer Herrschaft unterworfen, im Süden das halb muhamedanische, halb teufelanbetende Volk der Galla. Wohl brauchte es Jahrhunderte, das Hochland vor allen diesen Feinden dem Christenthume zu wahren. Doch jetzt steht Abessinien gegen außen unabhängig da; es hat nur die inneren Feinde zu fürchten, die Anarchie, den freiwilligen Verfall seiner Religion und Sitte, den Selbstmord.“

So charakterisirt einer der besten Kenner des Landes, Werner Munzinger, die Lage der „afrikanischen Schweiz“, die von alters her das Interesse der europäischen Völker wach zu halten wußte, schon wegen der Gleichartigkeit der Religion, welche uns mit ihren Bewohnern verbindet. Dorthin verlegte man den Sitz des schwarzen Erzpriesters Johannes, dorthin zogen Glaubensboten und wissenschaftliche Forscher in großer Zahl und übermittelten uns Kunde von den Wundern des so verschiedenartig gestalteten Landes. Bald sind es die heißfeuchten Niederungen mit tödtlichem Klima, tropischem Pflanzenwuchs und belebt von den Riesen der Thierwelt, bald kahle, vom Winde gepeitschte Hochebenen, über denen die gezackten, kuppel- und domförmigen Bergriesen bis in die Eisregion hineinragen, dann wieder die verschiedenen Stämme des Landes, ausgezeichnet vor ihren Nachbarn durch leibliche und geistige Vorzüge, doch tief gesunken, die uns jene Berichte vorführen. Endlich aber ist es die mehr als tausendjährige, wol anfangs in den Schleier der Sage gehüllte Geschichte des Landes, die mit ihrem Dynastienwechsel, ihren blutigen Bürgerkriegen und Religionskämpfen uns unwillkürlich anzieht. Ja, Geschichte auf afrikanischem Boden! Welche Anomalie! Denn sehen wir ab von den muhamedanischen Staaten und den alten, vorübergehenden Kulturreichen im Norden des schwarzen Erdtheils, so bietet uns allein Abessinien eine Geschichte, ein Reich in Afrika dar. Staatenbildungen, Historie bei den Negervölkern zu suchen, wäre vergebliche Mühe; Abessinien aber hat beides, und der Grund dafür liegt in der Abstammung, der Begabung seiner Bewohner, die gleich uns zur kaukasischen Rasse gehören, denn sie sind äthiopische Semiten, Verwandte der Araber, Phönizier, Juden.

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James Bruce, geboren den 14. Dezember 1730 zu Kinnaird in Schottland, wird für alle Zeiten als einer der bedeutendsten unter den abessinischen Reisenden dastehen. In Algier, wo er 1763 als englischer Konsul angestellt worden war, beschäftigte er sich eifrig mit dem Studium der morgenländischen Sprachen und machte von dort aus Reisen längs der Küste des Mittelmeers, den Nil aufwärts bis Syene und nach Baalbek und Palmyra in Asien, wo er die berühmten Alterthümer zeichnete. So vorbereitet trat er im Jahre 1769 seine große Reise an, auf der er von Massaua unter großen Mühen und Gefahren bis Gondar gelangte, wo er sich bei der hier ausgebrochenen Blatternseuche durch Anwendung europäischer Heilmittel sowol bei Hofe als im Volke großes Ansehen erwarb und Gelegenheit fand, in alle Einzelheiten des Volkslebens einzudringen, sowie mit dem furchtbaren Ras Michael freundlich zu verkehren. Er blieb über drei Jahre in Abessinien, fand die Quelle des Abai oder Blauen Nil im Südwesten des Tanasees und brachte ein ganzes Jahr damit zu, seine Reise nördlich durch das Land der wilden Schankela oder Schangalla (Heiden) und Nubien nach Alexandria fortzusetzen, das er im Mai 1773 glücklich erreichte. Seine Reisebeschreibung (Travels into Abyssinia) gab er in fünf Bänden erst 1790 zu Edinburg heraus, worauf er bald (16. April 1794) durch einen Sturz von der Treppe sein Leben endete. Er, der so vielen Gefahren getrotzt, so große Mühen und Beschwerden muthig ertragen, endete auf diese Weise! Die letzten vier Jahre seines Lebens waren ihm noch außerordentlich verbittert worden. Als er sein umfangreiches Werk veröffentlichte, fand das Publikum darin eine solche Menge von ungewöhnlichen Nachrichten, Uebertreibungen und Ungeheuerlichkeiten, daß man den Reisenden kurzweg für einen Lügner erklärte. Er wurde mit Zuschriften bestürmt, die weisen Kritiker behandelten ihn unbarmherzig, und namentlich konnte man sich über die Angabe, daß die Abessinier rohes Fleisch von lebenden Thieren genössen, nicht beruhigen, eine Angabe, auf die wir ausführlich zurückkommen. Man nannte ihn Mr. Mendax, Herr Lügner; aber die Zeit hat ihn gerechtfertigt, wenn er selbst auch nicht die Genugthuung erlebte, die Zweifler bekehrt zu sehen.

Drei Jahrzehnte waren seit Veröffentlichung von Bruce’s so oft angefochtener Beschreibung verflossen, als die englische Regierung den ersten Entschluß faßte, mit dem merkwürdigen abessinischen Volke in Verbindung zu treten. Lord Valentia wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts beauftragt, eine Reise ums Kap der guten Hoffnung herum nach dem Rothen Meere zu machen, die ganze ostafrikanische Küste wissenschaftlich zu untersuchen, besonders die genauesten Nachrichten über Abessinien einzuziehen und die geeigneten Schritte zu thun, eine Verbindung mit diesem Lande anzuknüpfen. Diese Reise war von vielen wichtigen Resultaten für die genauere Bekanntschaft mit den hervorragendsten Punkten an der ostafrikanischen Küste, sowie für die Belebung des indischen Handels begleitet; jedoch hatte sie für Abessinien nicht den Erfolg, den sie hätte haben können, wenn die Unterhandlungen kräftiger betrieben worden wären. Valentia selbst blieb in Mocha an der arabischen Küste, während er seinen wissenschaftlich gebildeten, tüchtigen Sekretär Henry Salt mit der Sendung nach Abessinien betraute. Dieser machte die Reise über Massaua, Arkiko, Halai, Dixan nach der Provinz Enderta, wo er, da er nicht zum Könige selbst in Gondar gelangen konnte, mit dem Ras Walda Selassié unterhandelte. (Vergl. oben S. 14S. 14.) Es gelang dem gewandten Salt durch die glänzenden Geschenke, welche er dem Ras im Namen Georg’s III. von England überreichte, denselben vom Wohlwollen der englischen Regierung zu überzeugen und ihn zu einer Verbindung mit England zu bewegen. Er kehrte mit ausführlichen Nachrichten über das Land und seine Bewohner und mit der Ueberzeugung zurück, daß sich hier England für die Erweiterung seines Handels als auch der Kultur ein weites und günstiges Feld eröffne. Einer von Salt’s Begleitern, Pearce, blieb am Hofe des Ras zurück. Dieser ersten Reise folgte bald darauf, gegen das Jahr 1814, nachdem Salt’s Gönner, Lord Valentia, in den Pairsstand erhoben worden war, eine zweite Gesandtschaft unter Salt’s eigener Führerschaft. Diese hatte den Erfolg, daß das gute Vernehmen zwischen England und dem alten Ras gestärkt und durch Pearce’s längeren Aufenthalt die Bekanntschaft mit Abessinien vermehrt wurde. Wieder traten nun politische Wirren in Tigrié ein, welche England die Lust benahmen, weiter in die Angelegenheiten des Landes einzugreifen, bis im Jahre 1841 Kapitän Harris nach Schoa ging und jene politische Mission ausführte, von welcher wir eine ausführliche Schilderung weiter unten nach dessen 1844 zu London erschienenem dreibändigen Werke „The highlands of Aethiopia“ mittheilen.

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