Die Sozialdemokratie – ab ins Museum?
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Anton Pelinka. Die Sozialdemokratie – ab ins Museum?
1. Warum wir die Sozialdemokratie mögen müssen
2. Warum wir von der Sozialdemokratie enttäuscht sein müssen
3. Das Wesen der Sozialdemokratie
4. Die Voraussetzung sozialdemokratischer Geschichtsmächtigkeit ist der Wahlerfolg
5. Der Wahlerfolg setzt die Gewinnung der politischen Mitte voraus
6. Die »Basis« – ein beliebig verwendbares Konstrukt
7. Warum wir die Sozialdemokratie brauchen – trotz alledem
8. Warum wir nicht sicher sein können, dass die Sozialdemokratie diese Erwartungen erfüllen kann
9. Auf der Suche nach den Ursachen – der Verlust der Mitte
10. Das Reiten des Tigers – die Sozialdemokratie und die Megatrends
11. Die Hindernisse, die zu überwinden wären
12. Der Mythos der eigenen Unschuld
13. Der Mythos der Neutralität
14. Die Sozialdemokratie braucht ein klares Profil
15. Die Sozialdemokratie ist – erstens demokratisch …
16. … und zweitens ist sie sozial
17. Kreisky plus Brandt plus Mitterrand plus Blair
18. Die Sozialdemokratie wird europäisch sein – oder sie wird nicht mehr sein
Prof. Dr. Anton Pelinka
Bisher sind folgende Bände erschienen:
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Отрывок из книги
Diese Streitschrift ist von einem geschrieben, der sich sowohl als Insider als auch als Outsider versteht: Insider, weil er seit Jahrzehnten mit vielen befreundet ist, die er als SozialdemokratInnen schätzt und respektiert; Outsider, weil er selbst nie der Sozialdemokratischen Partei beigetreten ist; Insider, weil er vieles von dem verstehen gelernt hat, was die Sozialdemokratie bewegt; Outsider, weil er sich immer wieder geärgert, ja empört hat über das, was die real existierende Sozialdemokratie macht – und, mehr noch, was sie unterlässt. Die Streitschrift ist somit eine Gratwanderung zwischen verschämter Liebeserklärung und kaum verborgener Kampfansage.
Die Sozialdemokratie ist der »dritte Weg«, ein »Weder-noch«. Sie war und ist eine klare Absage an den schrecklich gescheiterten Versuch, über die Zwischenstationen einer »Diktatur des Proletariats« und eines »real existierenden Sozialismus« eine perfekte Gesellschaft zu konstruieren. Sie ist ebenso eine Absage an einen Sozialdarwinismus, der auch in seiner liberal-demokratischen Variante auf dem Recht des Stärkeren beharrt, Schwächeren diktieren zu können. Die Sozialdemokratie baut aber auch auf einem »Sowohl-als-auch«: Sozialdemokratie, das ist das Beharren auf einer »offenen Gesellschaft« und damit die Ablehnung eines latent totalitären Utopismus. Sozialdemokratie ist aber ebenso der in Politik umgesetzte Antrieb des Samariters, der überall dort hilft, wo Hilfe konkret nötig ist. Nicht zufällig nennt die SPÖ ihre karitative Vorfeldorganisation »Arbeiter-Samariter-Bund«. Das alles ist Sozialdemokratie – in ihrem Anspruch. Und auch wenn sie diesen Anspruch oft nicht erfüllt hat, hat sie ihn auch nicht prinzipiell aufgegeben. Sie ist ihm treu geblieben.
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Internationale Solidarität findet statt, wenn sozialdemokratische Stadtverwaltungen Che Guevara-Büsten aufstellen. Internationale Solidarität findet nicht statt, wenn es um die Rechtsstellung von ZuwanderInnen aus der Türkei oder Marokko oder Nigeria geht. Internationale Solidarität, das war der Protest gegen den von den USA geführten Vietnam-Krieg. Von dieser Solidarität war aber nichts zu spüren, wenn es darum ging, eine sozialdemokratische Handschrift bei der Entwicklung einer europäischen Asyl- und Zuwanderungspolitik zu entwickeln. Der Grund für dieses Defizit? Die sozialdemokratischen Erfolge haben aus ProletarierInnen KleinbürgerInnen gemacht; und die haben nun einiges zu verlieren. Sie sorgen sich um Urlaubs- und Pensionsansprüche, um ihre Kranken- und Unfallversicherung, um einen gewissen Wohnkomfort: alles, was eigentlich im Sinne der marxistischen Begrifflichkeit nicht unbedingt »proletarisch« ist, sondern nach »Bourgeoisie« schmeckt; alles, was gefährdet erscheint, wenn der Zuzug der Menschen von außerhalb in den Wohlstandsregionen Europas das Lohnniveau zu drücken droht und das, was als »eigen« wahrgenommen wird – Sprache und Konsumgewohnheiten und Freizeitverhalten und die Vertrautheit des Milieus – nun durch »Fremdes« herausgefordert wird.
Dass die Sozialdemokratie »Hoch die internationale Solidarität« zwar gerufen, nicht aber verwirklicht hat, das hat eine lange Vorgeschichte. Im Vorfeld des europäischen Totentanzes von 1914, der die erste der Weltkatastrophen des 20. Jahrhunderts auslöste, versuchte die Zweite (die sozialistische) Internationale ihr bestehendes Netzwerk zu nützen, um den Kriegsausbruch zu verhindern. Der Versuch scheiterte. Bald schon schossen deutsche und französische Proletarier aufeinander, und Arbeiter und Bauern in österreichisch-ungarischer Uniform kämpften gegen serbische und russische. Schon davor war die 1889 als übernationale Partei gegründete österreichische Sozialdemokratie zerfallen – die tschechisch- und die deutschsprachigen Genossen fanden nicht mehr zu einer gemeinsamen Basis. Im deutschen Reichstag stimmte 1914 die SPD (mit Ausnahme von Karl Liebknecht und Otto Rühle) für die Kriegskredite (und damit für den Krieg), und in der Arbeiter-Zeitung, dem Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie, feierte Friedrich Austerlitz dies als »Tag der deutschen Nation«. Nation schlug, Nation schlägt internationale Solidarität. Internationale Rhetorik ist das eine, die Wirklichkeit des Nationalen das andere.
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