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ОглавлениеAntonia Heinrich
Was unter dem Mond geschah
© der Texte: Antonia Heinrich (2016),
c/o AutorenServices.de, König-Konrad-Straße 22, 36039 Fulda
E-Mail: antonia.heinrich@gmx.net
© des Titelbilds: kesipun – Fotolia
Ersteller des E-Books: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin
1.
Bridget verließ das Produktionsbüro. Schade, das war die vorerst letzte Sitzung bei diesem Projekt gewesen. Sie würde es vermissen. Es war eine ganz neue Erfahrung für sie. Sie, eine promovierte Kunsthistorikerin, half einer Produktionsfirma, bei einem Film die geschichtliche Genauigkeit einzuhalten. Sie hatte ihr Bestes gegeben. Es war nicht immer einfach gewesen, die Produzenten und Autoren auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, zumal die Einfälle der Drehbuchautoren bestimmt die besseren Effekte im Film erzielt hätten. Aber sie hatten sie nun einmal engagiert und sie tat ihre Arbeit, und zwar kompromisslos. Sie hatte nur erlaubt, ihren Namen im Abspann zu nennen, wenn sie ihre Verbesserungen auch einarbeiten würden. Es waren zähe Verhandlungen gewesen, zugegeben, aber es hatte sich gelohnt. Zufrieden mit ihrer Arbeit, ging sie, nach ihrer Verabschiedung in der zurückliegenden Sitzung, den hellen Flur der Firma entlang. Ihr Gang war beschwingt. Es war ein gutes Gefühl, das sie hatte. Sie würde erst wieder kurz vor Abschluss der Dreharbeiten gebraucht werden, zur Überprüfung des Ganzen.
„Bridget, einen Augenblick bitte.“
Sie hörte die Stimme des Produzenten hinter sich. Und wie jedes Mal, wenn er sie ansprach, was in den letzten Wochen des Öfteren der Fall war, schlich sich ein leises Kribbeln in ihre Ohren, gepaart mit etwas Unbehagen. Ihre erste Reaktion war, einfach weiterzulaufen, aber er war der Juniorchef der Firma und da gehörte es sich, dass man stehenblieb, wenn er einen ansprach. Sie drehte sich um und sah ihn an. Er kam auf sie zu. Wie unglaublich gut dieser Mann aussah, groß, etwas über 1,90, schlank, fast etwas zu schlank für seine Größe, ein ovales, freundliches Gesicht, mit einer geraden Nase, dunklen Augen, Augenbrauen, die nach außen hin etwas hochgezogen waren und mit einer geradezu unanständig ebenmäßigen Haut für einen Mann. Er trug sein dunkles, etwas lockiges Haar etwas zu lang, was ihm einen spitzbübischen Ausdruck verlieh. Er stand nun vor ihr und knetete fast verlegen seine Hände. Es belustigte Bridget ein bisschen, da sie wusste, was er sonst für ein selbstbewusstes und sicheres Auftreten bei der Arbeit an den Tag legte.
„Da Ihre Arbeit hier jetzt erst mal erledigt ist, möchte ich Sie fragen, oder besser gesagt bitten.“ Er suchte sichtlich nach Worten. „Nun, ich wollte Sie zum Essen einladen, heute Abend. Bevor Sie wieder nach Hause fliegen.“
Er sah sie an und sie schaute in seine dunklen Augen. Diese dunklen Augen, die sie von Anfang an verunsichert hatten. Sie hatte das Gefühl, wenn er sie ansah, heftete sich ihr Blick an sie und ließ sie nicht mehr los. Sie hatte sich in den letzten Monaten mehrfach dabei ertappt, wie sie von diesen Augen fasziniert worden war, immer darauf bedacht, dass er sie nicht dabei erwischte. Bridget musste sich eingestehen, dass sie immer ein eigenartiges Prickeln dabei verspürte. Sie hätte sich in diese Augen versenken, sich in ihnen verlieren können, aber das durfte sie nicht.
„Nick“, sie nannte ihn beim Vornamen. Eine amerikanische Sitte, die ihr als Engländerin am Anfang nicht leicht gefallen war.
„Sie wissen, dass ich nur wenig Zeit habe.“ Diese Ausrede war sehr mager und sie wusste es. „Ich würde sehr gerne mitgehen, aber ich fürchte...“
Er ließ sie nicht ausreden. „Nein, nein. Sie haben meine Einladungen schon oft genug ausgeschlagen. Dieses Mal gebe ich mich nicht mit einem Nein zufrieden.“
Nun war er wieder der selbstbewusste Mann, den sie kannte und es imponierte ihr sogar. Zugleich war sie erschrocken, heute ließ er sich wohl nicht so leicht abwimmeln, wie in den vergangenen Wochen. Er hatte sie schon oft genug eingeladen. Erst zum Essen, dann wollte er ihr die Gegend zeigen, auch Theater hatte er vorgeschlagen. Sie hatte es immer geschafft, keine der Einladungen anzunehmen, damit sie keine Zeit mit ihm außerhalb der Arbeit verbringen musste. Nur einmal bei einer Party, die die Firma veranstaltet hatte, war sie dabei gewesen. Diese Einladung hatte sie einfach nicht ausschlagen können, denn das hätte ein schlechtes Bild auf sie geworfen. Und, bei aller gebotenen Vorsicht, das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Sie aß aber nur eine Kleinigkeit, hielt etwas small talk mit den Mitarbeitern und verabschiedete sich nach angemessener Frist früh von der Feier.
Sie war Nick Page absichtlich aus dem Weg gegangen, denn er hatte etwas an sich, das ihr hätte gefährlich werden können und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Dieses Mal allerdings schien es, als könnte sie der Einladung nicht so einfach entkommen.
Sie dachte blitzschnell nach, aber es fiel ihr keine Ausrede mehr ein, ohne dass sie unhöflich gewirkt hätte.
„Gut“, sagte sie, „ich überlege es mir.“
„Oh nein. Diesmal wird auch nicht überlegt. Ich hole Sie um acht Uhr ab. Wo wohnen Sie eigentlich?“
Sie gab nach, was die Einladung betraf, aber auch nur das: „Also gut, um acht Uhr. Aber Sie brauchen mich nicht abzuholen, ich komme hierher.“
„Ich kann Sie doch abholen.“
Sie blieb hartnäckig. „Um acht Uhr hier. Bis dann.“ Sie lächelte ihn freundlich an, drehte sich um und eilte schnell die breite Treppe zur Eingangshalle hinab.
Er wollte ihr nachsetzen, doch es kam ein Assistent und bat ihn zu einem der Drehbuchautoren, der ein Problem hatte. Nick sah ihr noch nach, drehte sich aber dann mit einem leisen Lächeln weg und folgte dem Assistenten. Das wäre geschafft. Diesmal hatte er sie. Das wäre doch gelacht, wenn er, der Produzent des Films, es nicht geschafft hätte, diese eiserne Jungfrau, wie sie mittlerweile genannt wurde, zu knacken. Sie hatte ihn von Anfang an interessiert. Sie machte sich rar und erzählte nichts über sich. Das spornte ihn nur noch mehr an, etwas über sie herauszufinden. Dass sie ausnehmend hübsch war, groß, etwa 172, schlank, brünette halblange Haare, grüne Augen, mit einer kleinen Stupsnase und einen sinnlich geschwungenen Mund hatte, machte die Sache nur umso reizvoller. Und jetzt war die vorerst letzte Gelegenheit.
2.
„Na, wieder mal abgeblitzt?“ Marc, Drehbuchautor und Freund von Nick, goss sich gerade einen Drink ein, als Nick von seinem Assistenten in dessen Büro geführt wurde.
„Auch einen?“ Er lächelte süffisant und hob das Glas, doch Nick winkte ab.
„Nein, danke, diesmal lasse ich sie nicht so leicht davon kommen.“ Er ließ sich auf das Sofa fallen, das in Marcs Büro stand.
Marc ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich und trank einen kleinen Schluck. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann wandte er sich zu Nick: „Ich sage Dir, irgendetwas stimmt mit unserer eisernen Jungfrau nicht. Ich habe noch selten jemanden in diesem Geschäft erlebt, der so unnahbar war.“ Er machte eine kleine Pause, drehte das Glas in seiner Hand und sah auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit, die sich darin drehte. Dann sah er Nick an.
„Eigentlich noch gar niemanden. Gut, sie ist Engländerin, aber trotzdem.“
„Wir gehen heute Abend essen. Ich werde es Dich dann wissen lassen.“ Nick erhob sich vom Sofa. „War noch was?“
Marc stellte sein Glas ab und drehte sich zu seiner Tastatur, die auf dem Schreibtisch vor dem Bildschirm lag. Er tippte darauf herum und öffnete einen Ordner in seinem Programm.
„Ja, ich möchte Deine Meinung zu diesem Vorschlag wissen.“
3.
Bridget eilte die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle auf den Vorplatz. Dort wartete schon eine schwarze Limousine auf sie. Sie grüßte kurz den Fahrer, der ihr die Tür aufhielt, stieg ein und der Wagen fuhr los. Sie saß auf der Rückbank und dachte nach, was jetzt geschehen sollte. Sie hatte eine Verabredung für den Abend. Mit dem Mann, mit dem sie es am Liebsten vermieden hätte: Nick. Das Handy klingelte. Sie nahm es aus ihrer Tasche, sah kurz auf das Display und sah, wer es war. Sie meldete sich mit einem kurzen „Hallo Juliet. Wie geht’s?“
Juliet, ihre beste Freundin seit Kindertagen. Es war klar, dass sie jetzt anrief. Sie hatte ein Gespür dafür, wenn es Bridget nicht gut ging.
„Mir geht’s gut und Dir?“ fragte Juliet.
„Ich weiß es nicht.“
„Du weißt es nicht? Wie geht das?“
„Ich kann jetzt nicht sprechen. Ich rufe Dich nachher zurück.“ Bridget fürchtete, vom Fahrer belauscht zu werden. Sie hatte gelernt, vorsichtig zu sein.
Juliet verstand sogleich. „In Ordnung. Mach das. Ich bin sehr gespannt.“
„Bis dann.“
Sie legten beide auf. Juliet war nicht nur ihre beste Freundin. Sie war wie eine Schwester, ja mehr noch, falls so etwas möglich war. Ihr konnte sie vertrauen. Sie wussten alles voneinander. Sie würde sie fragen. Juliet würde wissen, was zu tun war. Sie wusste immer Rat, wenn ihre Freundin Probleme hatte. Sie war nicht ganz so behütet aufgewachsen wie Bridget und hatte schon mehr Erfahrung. Etwas beruhigt lehnte sie sich gegen die Rückenlehne und atmete tief durch. Der Wagen beschleunigte und fuhr auf den Highway. Nach ein paar Kilometern verließ er ihn und schwenkte in Richtung Vororte ab. Sie fuhren durch Wohngebiete und dann kam er in Richtung Meer. Die Grundstücke wurden größer, die Villen prächtiger. Dann kamen sie in eine Gegend, in der die Häuser nicht mehr von der Straße aus zu sehen waren. Es waren hohe Zäune oder Mauern um die Anwesen gezogen und dahinter standen hohe Bäume und Hecken. Bei einem dieser Anwesen bog der Wagen von der Straße ab. Das Tor ging wie von Geisterhand auf und der Wagen fuhr langsam hindurch. Das Tor schloss sich ebenso lautlos wieder. Der Wagen rollte die Auffahrt hinauf und hielt vor dem Haus. Der Fahrer stieg aus und hielt Bridget die Autotür auf.
Sie stieg aus, sah den Fahrer kurz an und sagte „Vielen Dank, Gus.“ Sie ging in Richtung Haustür, die von einem älteren, grauhaarigen Herrn im schwarzen Anzug aufgehalten wurde.
„Guten Tag Miss.“ Er sah sie ernst an.
„Guten Tag Mr. Simmons. War es nicht leichtsinnig, mich nur von Gus abholen zu lassen?“
Ihm entging der leicht ironische Unterton in der Frage nicht. „Ich hatte gehofft, dass es Ihnen auffallen würde. Aber in Anbetracht dessen, dass dies vorläufig Ihr letzter Tag in der Firma war, konnte ich das Risiko wohl eingehen.“
Sie gingen zusammen durch die große Eingangshalle. Mitten in der Halle blieb Bridget stehen und drehte sich zu Mr. Simmons um. Sie nahm allen Mut zusammen und sagte: „Ich brauche den Fahrer nachher. Er muss mich gegen halb acht noch einmal zur Firma fahren.“
Sofort wurde Mr. Simmons aufmerksam. Er streckte sich, sein Körper verriet eine Anspannung, die Bridget sofort auffiel.
„Warum?“ fragte er. „Ich dachte, die Arbeit ist vorerst getan. Laut Vertrag werden Sie erst wieder zum Filmschnitt gebraucht.“
Bridget stand jetzt ebenso unter Spannung. Sollte sie die Wahrheit sagen und riskieren, dass man sie nicht gehen ließ, oder sollte sie sich etwas einfallen lassen? Sie entschied sich für ein bisschen von Beidem. „Eben weil es mein letzter Tag war, hat man mich zu einer kleinen Party eingeladen. Sie findet um acht Uhr statt. Ich habe zugesagt.“
Bei Mr. Simmons schwoll eine Ader am Hals zusehends an. „Warum haben Sie das getan, ohne es vorher mit mir abzustimmen? Sie wissen ganz genau, dass so etwas geplant werden muss.“
Bridget sah Hilfe suchend zur Decke, dann sah sie ihr gegenüber wieder an und sagte: „Mr. Simmons, was hätte ich sagen sollen, als ich eingeladen wurde? Moment bitte, ich muss erst meinen Sicherheitschef fragen, ob ich kommen darf? Wie hätte das ausgesehen? Hätte das nicht erst recht Verdacht erregt? Und das wollen wir doch gerade nicht. Ich werde also hingehen, ein bisschen bleiben und dann wieder gehen. Gus kann mich dann wieder abholen.“
Simmons behagte das Ganze nicht. Man sah es ihm an. Seine Kiefer arbeiteten und die Ader am Hals trat immer mehr hervor.
„Sie wissen, was ich meine. Wie sollen wir für Ihre Sicherheit sorgen, wenn Sie mich vor vollendete Tatsachen stellen? Wie soll ich so schnell Sicherheitspersonal in die Firma bringen?“
Bridget wurde es mulmig. Personal in die Firma? Sie musste schon den Gedanken im Keim ersticken. Sie musste versuchen ihn zu beruhigen. „Das wird nicht nötig sein. Die Veranstaltung ist spontan. Keiner wusste vorher davon, also gibt es auch kein Sicherheitsrisiko. Bitte, Mr. Simmons, lassen Sie mich gehen. Ich verspreche auch, sehr vorsichtig zu sein.“
Sie redete jetzt sehr beruhigend auf ihn ein, obwohl es ihre ganze Beherrschung kostete: „Ich kann mich doch nicht immer vor den Veranstaltungen drücken. Das habe ich seit ich hier bin schon die ganze Zeit über getan. Wissen Sie, wie man mich hinter vorgehaltener Hand nennt? Die eiserne Jungfrau. Und das, weil ich jeder Einladung aus dem Weg gegangen bin. Es ist nicht nett zu wissen, dass so über einen geredet wird. Außerdem hat es hier wirklich sehr interessante Leute gegeben.“ Sie senkte den Kopf und sagte leiser: „ Es wäre sehr schön gewesen, den einen oder anderen näher kennenzulernen.“
Mr. Simmons sog hörbar die Luft durch die Nase ein und ließ sie ebenso wieder entweichen. „Also gut, aber wir werden auf dem Parkplatz bleiben und auf Sie warten.“
Bridget wollte schon aufatmen, aber das mit dem Parkplatz gefiel ihr nicht. Man würde sehen, wie sie mit Nick wegfahren würde. Sie musste versuchen, das zu verhindern.
„Was soll das heißen? Sie wollen mich hinbringen und dann auf dem Parkplatz warten? Was, wenn das jemand sieht? Man wird glauben, ich habe einen Babysitter.“
„So ähnlich ist es ja auch. Es heißt nur anders: Sicherheit.“
„Das ist nicht witzig, Mr. Simmons. Und das wissen Sie.“
„Es soll auch nicht witzig sein. Ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich, Miss. Und das nehme ich, wie Sie wissen, sehr ernst.“
Bridget schnaubte: „Ja, das weiß ich und ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür. Aber manchmal nehmen Sie das zu ernst. Was soll denn schon passieren?“
Simmons sah sie an, hob die Arme und ließ sie fallen: „Also gut, Vorschlag: Gus bringt Sie hin und wartet auf einem benachbarten Parkplatz. Wenn Sie nach Hause wollen, melden Sie sich und er ist schneller bei Ihnen. Ist das akzeptabel?“
Bridget glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Das war ja traumhaft. Fast zu schön, um wahr zu sein. War das auch wirklich wahr? In ihr regte sich ein leises Misstrauen. Es war immer verdächtig, wenn Simmons so freundlich war. Egal. Jetzt hieß es, sich vorzubereiten. Sie lächelte Simmons an: „Einverstanden. Danke Mr. Simmons. Ich gehe nach oben und mache mich fertig.“
Sie warf ihm eine Kusshand zu und eilte beschwingt die große geschwungene Treppe nach oben zu ihrem Zimmer.
4.
Simmons drehte sich um und ging den Flur entlang, an der Küche vorbei, in ein geräumiges Büro. Dort saßen vier Sicherheitsbeamte, alle in schwarzen Anzügen, weißen Hemden und Krawatten, ebenso Gus, der Fahrer. Sie hatten Kaffeetassen vor sich und unterhielten sich. Als Simmons das Büro betrat, verstummten sie und richteten ihre Blicke auf ihn. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich.
„Meine Herren, Planänderung. Sie ist heute Abend eingeladen. Man gibt wohl ihr zu Ehren eine kleine Abschiedsparty. Ich habe mit ihr abgesprochen, dass Sie sie hinbringen.“ Er blickte auf Gus, der kurz nickte. „Und dann warten Sie auf einem benachbarten Parkplatz.“
„Ist das Ihr Ernst? Sie lassen sie alleine hingehen?“ fragte Gus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es Mr. Simmons zuließ, keine Kontrolle über seinen Schützling zu haben. Schon, dass er sie heute alleine abholen konnte, hatte ihn erstaunt. Sonst waren immer mindestens ein, meistens zwei Sicherheitsleute dabei. Manchmal sogar ein zweites Fahrzeug.
„Natürlich nicht.“
Mr. Simmons zeigte auf die zwei Männer, die neben ihm saßen.
“Sie beide nehmen den weißen Rover und fahren vorher zum Parkplatz der Firma. Sie verhalten sich erstmal unauffällig und halten Augen und Ohren offen. Wir werden die ganze Zeit Kontakt halten.“ Die beiden Männer nickten.
„Sie sagte, es fängt um acht Uhr an. Sie fahren etwa eine halbe Stunde vorher los.“ Er sah Gus an und der nickte. Bis dahin waren es noch zwei Stunden.
5.
Bridget trat in ihr Zimmer, legte ihre Tasche auf die Kommode neben der Tür und ging ins Bad. In dem großen Badezimmer, das fast wie ein Wohnzimmer möbliert war, gab es eine riesige Palme. Bridget griff unter eines der Blätter und machte ein Handy weg, das dort mit einem Klebestreifen festgeklebt war. Es war ebenso grün, wie das Blatt unter dem es hing, so dass es fast unsichtbar war. Für Gespräche mit Juliet benutzte sie dieses einfache prepaid Handy, dessen SIM-Karte sie alle paar Wochen durch eine neue ersetzte. Alles nur, damit sie ein vertrautes Gespräch führen konnte, ohne dabei abgehört zu werden.
Sie ließ Wasser in die Wanne laufen, um etwaige Mikrofone im Badezimmer zu stören und ging durch eine Tür auf einen kleinen Balkon. Sie wählte Juliets Nummer. Es klingelte zwei Mal und Juliet war dran.
„Kannst Du sprechen?“ fragte Bridget nach einer kurzen Begrüßung.
Juliet antwortete: „Ja, alles klar. Raus mit der Sprache. Was gibt es?“
Bridget lächelte „Er hat mich eingeladen.“
„Und?“
„Und ich habe zugesagt. Er hat diesmal nicht locker gelassen.“
„Weiß Dein Wachhund davon?“
„ Wo denkst du hin? Natürlich nicht. Ich habe ihm gesagt, es gäbe eine kleine Feier wegen meines letzten Tages. Nach einer kurzen Diskussion hat er versprochen mich hinfahren zu lassen und erst wieder abzuholen, wenn ich es will.“
Juliet war nicht überzeugt. „Und Du glaubst das? Hört sich gar nicht nach Simmons an. Pass auf Dich auf, Bridget.“
„Keine Angst, das mache ich schon. Ich bin sowieso hin- und hergerissen.“
„Warum? Das ist doch schön, dass sich Dein Traumprinz doch noch mal durchgerungen hat, Dich einzuladen.“
Bridget seufzte. „Ja, schon, aber ich weiß nicht, ob es richtig war, anzunehmen. Ob es richtig ist, mit ihm essen zu gehen.“
„Warum?“ fragte Juliet unbefangen.
„Warum, warum? Du kannst fragen. Warum wohl?“ Bridget blickte auf den Boden und erkannte ihre Lage, mal wieder.
Juliet holte tief Luft: „Jetzt hör mir mal gut zu. Seit Du da drüben bist, schwärmst Du mir mehr oder weniger von diesem Nick vor. Er lädt Dich ein, aber Du sagst nie zu. Gehst ihm, wenn möglich, sogar aus dem Weg. Und mir schmachtest Du von ihm vor. Jetzt fasse Dir ein Herz und gehe frohen Mutes zu dieser Verabredung. Genieße sie, aber pass auf, was um Dich herum vorgeht. Das Wohlwollen von Simmons gefällt mir nicht.“
„Bei Dir hört sich das alles so einfach an.“
„Das ist es auch.“
Bridget wurde ärgerlich: „Nein, Juliet, das ist es nicht.“ Der letzte Satz klang resigniert: „Nicht bei mir.“
Juliet konnte Bridget förmlich vor sich sehen. Sie hätte sie jetzt am liebsten in die Arme genommen. In solchen Momenten tat sie ihr leid. „Also gut. Du bist ein braves Mädchen, immer gewesen und hast immer gemacht, was man von Dir verlangt hat.“
Bridget schnaubte, doch Juliet fuhr fort: „Gut, bis auf ein paar Ausnahmen, aber doch im Großen und Ganzen. Nun lebe. Nimm Dir etwas Spaß und wenn es nur für heute ist. Du bist jung und hast auch ein Recht darauf. Die Zeit vergeht schnell genug. Wie gesagt: genieße es. Vielleicht hast Du ja Glück und er ist ein Langweiler.“
„Glück?“ Bridget musste lachen. „Wie meinst Du das?“
„Na dann besteht ja keine Gefahr, dass Du Dich in ihn verliebst. Ergo: alles bleibt beim Alten.“
„Und wenn er kein Langweiler ist?“ Bridget fragte es ängstlich.
Juliets Stimme wurde höher. „Na umso besser.“ Ihre Stimme wurde wieder tiefer: “Darum kümmern wir uns dann. Jetzt mach Dich erst mal schön. Was ziehst Du an?“
Darüber hatte Bridget ja noch gar nicht nachgedacht. Sie unterdrückte ein leises Gefühl der Panik. „Ich, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo es hin geht. Ich hätte vielleicht nach dem Dresscode fragen sollen.“
Juliet lachte: „Du bist wirklich von Deinen vielen offiziellen Anlässen verdorben. Wird höchste Zeit, dass Du mal wieder unter normale Menschen kommst. Wie wäre es mit einem kleinen Schwarzen? Damit kann man eigentlich nichts falsch machen.“
Bridget lächelte erleichtert: „Ja, das stimmt. Müsste ich eigentlich dabei haben. Mach‘s gut, Süße. Ich muss mich umziehen.“
Juliet lächelte: „Mach Du es auch gut.“ Sie legten beide auf. Juliet steckte das Handy ein und sagte vor sich hin: „Und lebe endlich. Bevor es zu spät ist.“
6.
Bridget ging zurück ins Bad. Die Wanne war fast voll und drohte überzulaufen.
„Ach herrje. Dich habe ich ja ganz vergessen.“ Schnell machte sie den Wasserhahn zu. „Wenn jetzt schon mal Wasser drin ist.“
Sie begann, sich die Jeans auszuziehen, die weiße Hemdbluse und ihre Unterwäsche, ließ etwas Wasser ablaufen und stieg hinein. Das warme Wasser entspannte sie. Sie genoss die Wärme und das weiche Plätschern um sie herum. Sie wusch sich die Haare, seifte ihren Körper und duschte alles ab. Sie schwankte zwischen den Gefühlen der Vorfreude, der Unsicherheit, Glück und, wie immer ein bisschen dabei, Resignation. Das Gefühl war immer da, auch die Angst, vor der Freude. Sie ärgerte sich, auch wie immer, dass das so war. Sie konnte nichts genießen oder einfach geschehen lassen und annehmen, ohne daran zu denken, was es für Konsequenzen haben könnte. Aber diesmal wollte sie auf Juliet hören und keine schlechten Gedanken zulassen.
Sie hätte ihr von ihm vorgeschwärmt, hatte Juliet gesagt. Bridget musste bei dem Gedanken lächeln. Davon wusste sie ja gar nichts. Hatte ihr Unterbewusstsein ihr einen Streich gespielt? Hatte sie doch über Nick geredet, ohne es selbst zu merken. Muss wohl so gewesen sein. Sonst hätte es Juliet ja nicht sagen können.
Oje, das würde wohl doch kein einfaches Essen heute werden. Aber, wie hatte sie gesagt, vielleicht ist er ja ein Langweiler? Dann würde es sich wirklich bald erledigt haben. Was sie bis jetzt von ihm kennengelernt hatte, war aber alles andere als langweilig. Was, wenn sie ihn mögen würde, oder sogar mehr? Sie schalt sich selbst eine Närrin und befahl sich, jetzt damit aufzuhören.
„Jetzt warte es doch erst mal ab.“ sagte sie zu sich selbst, stieg aus der Wanne und begann sich abzutrocknen. Sie schminkte sich sorgfältig, föhnte ihre braunen Haare, wobei sie ihre wenigen Naturlocken ermunterte, sich zu kringeln, steckte sie lässig hoch und zog sich sorgfältig an. Tatsächlich fand sich ein schwarzes Etuikleid unter ihrer Garderobe. Sie wählte schwarze, mit Spitzen besetzte Unterwäsche, schwarze halterlose Strümpfe und dazu schwarze Samtpumps. Abgerundet wurde das ganze durch ein vierreihiges Perlenhalsband. Sie schaute in den Spiegel und war sehr zufrieden mit dem, was sie da sah. Jetzt noch ein leichtes Jäckchen, oder ein Cape, dann war die Garderobe perfekt. Die Nächte empfand sie immer als kühl, auch im Sommer. Das war eine ihrer Besonderheiten. Sie brauchte immer etwas um die Schultern. Das gab ihr Geborgenheit. Sie fand ein Cape und warf es sich über.
Sie nahm ihr Handy und ein paar andere Utensilien aus ihrer Tasche, gab sie in eine kleine, schwarze Abendhandtasche und ging aus dem Zimmer. Unten wartete schon Gus mit dem Wagen. Sie lächelte ihn freundlich an, als er ihr die Tür aufhielt: „Danke, Gus.“
„Miss.“ Antwortete er knapp, stieg in den Wagen und fuhr los.
Bridget war die ganze Fahrt über freudig aufgeregt. Sie würde heute einen schönen Abend erleben und sie würde ihn sich nicht verderben lassen. Sie war fest entschlossen.
7.
Der Wagen fuhr vor den Eingang der Firma. Bridget stieg aus, dankte dem Fahrer und sah aus dem Augenwinkel, wie sich die große Limousine langsam wieder in Bewegung setzte. Sie betrat die Eingangshalle durch die große Glastür und sah, dass Nick nicht da war. Das war schon mal gut. So hatte Gus ihn nicht sehen können.
Sie ging auf die Rezeption zu, an der nur ein verdutzter Nachtportier saß, der sie fragend anschaute. Er kannte sie, da er schon öfters Dienst hatte, wenn die Sitzungen, an denen Bridget teilgenommen hatte, erst spät in der Nacht zu Ende waren.
„Guten Abend, Miss. Haben Sie was vergessen?“ Der Portier war wie immer gut informiert.
„Nein, danke. Ich warte nur auf jemanden. Könnte ich kurz die Toilette benutzen?“ Bridget wollte aus der Eingangshalle kommen. Sie wollte sehen, ob Gus tatsächlich weggefahren war und wenn nicht, sollte er sehen, dass sie im Inneren des Gebäudes verschwand.
„Aber natürlich.“ sagte der Portier. „Sie wissen ja, wo es hingeht.“
Sie lächelte ihn an und ging auf die große Treppe zu, stieg sie hoch und bog in den Flur ab, in dem sich die Toiletten befanden. Vom Waschraum der Toilette aus konnte sie den Parkplatz überblicken. Es standen ein paar Wagen da, aber nicht die große schwarze Limousine. Simmons hatte Wort gehalten. Sie war angenehm überrascht. Ganz hatte sie noch nicht daran geglaubt. Sie sah kurz in den Spiegel und verließ den Waschraum in Richtung Rezeption. Als sie die Treppe herunter kam, sah sie Nick. Er sah unverschämt gut aus. Er trug einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine silbergraue Krawatte. Eine Strähne seiner dunklen Locken hing ihm in die Stirn. Er lehnte mit einem Arm auf der Theke der Rezeption, unterhielt sich mit dem Portier und lachte.
Als er Bridget die Treppe herunterkommen sah, fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. Es verschlug ihm fast die Sprache, Hallo, Hallo, Hallo, dachte er, stellte sich gerade hin und sagte zum Portier: „Da kommt meine Verabredung. Danke, Marv.“
Der Portier hob eine Hand zum Gruß und sagte: „Guten Abend, Mr. Page, Miss“.
Nick ging auf Bridget zu und er konnte nur eines denken: Wie schön sie war. Das also verbarg sich hinter Jeans und weißer Hemdbluse, die sie immer trug, wenn sie in der Firma war.
„Guten Abend, Bridget. Sie sehen wunderschön aus. Nicht, dass Ihnen Jeans nicht stehen würden.“ Begrüßte er sie mit einem Zwinkern seines rechten Auges. Er bot ihr seinen Arm und sie hakte sich bei ihm unter. Die Berührung mit ihm blieb nicht ohne Folgen für sie. Bridgets Gefühl in der Magengrube vibrierte.
„Danke“, sagte sie. „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Ich wusste ja nicht, dass Abendgarderobe angesagt war. Sie hatten bei Ihrer Einladung keinen Dresscode mitgegeben. Hätte ich das gewusst, hätte ich was Langes angezogen.“
Sie gingen zusammen zur Tür, vor der sein Wagen stand. Ein schwarzer Porsche Cayenne. Er öffnete ihr die Beifahrertür und meinte lächelnd: „Es ist perfekt.“
Bridget stieg ein und gab sich diesem seltsamen Gefühl hin, das sich ihrer bemächtigte. Sie konnte es noch nicht einordnen. Es war beflügelnd, aber auch beängstigend. Es saß mitten in ihrem Magen. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Ein Gefühl der Geborgenheit und gleichzeitig der Unsicherheit. Noch nie hatte jemand so etwas in ihr wach gerufen. Sie wusste nicht, ob sie sich dem wirklich hingeben sollte. Da fielen ihr wieder Juliets Worte ein: Genieße es. Sie war sich wieder mal nicht sicher, ob sie das einfach so konnte. Aber heute wollte sie es probieren. Also gut. Lassen wir es beginnen.
Nick nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr los. Er fuhr die Straße entlang und bog auf den Zubringer zum Highway ein.
Dass sich ein weißer Rover vom Parkplatz gelöst hatte und ihnen in weitem Abstand folgte, war ihr nicht aufgefallen. Im Wagen saßen zwei Männer.
Der Beifahrer sprach in sein Mikrofon: „Sie ist in einen Wagen gestiegen, schwarzer Porsche Cayenne. Kennzeichen kann ich noch nicht sehen. Fahren in Richtung Westen. Sind dran.“
In der Villa sprang Simmons vom Stuhl: „Ich hab‘s gewusst. Sie hat uns angelogen.“
Bridget war neugierig: „Wohin geht es?“
Nick lächelte. „Möchten Sie sich nicht überraschen lassen?“ Er sah sie kurz von der Seite an. „Ich glaube, es wird Ihnen gefallen.“
Eine Ampel vor ihnen schaltete auf Rot und er musste bremsen. Bridget genoss die Fahrt und schaute aus dem Fenster.
„Mögen Sie Musik?“ fragte Nick und drückte ein paar Knöpfe am Lenkrad.
„Ja, sehr. Ich finde, schöne Musik macht aus einem Augenblick eine perfekte Zeit.“ Oje, dachte sie, philosophische Betrachtungen am Anfang sind nicht gerade ein guter Start. Sie schaute zu Nick, aber der blickte weiter auf die Straße. Ein kleines Lächeln spielte um seinen Mund.
„Ich höre gerne klassische Musik.“ sagte sie ein wenig leiser.
Sogleich drückte er nochmals die Knöpfe und aus den Lautsprechern erklangen leise Geigentöne. „Ich liebe auch klassische Musik.“ Er sah sie kurz an und lächelte etwas mehr. „Da hätten wir ja schon mal was gemeinsam. Ich glaube, der Ort, den ich gewählt habe, gefällt Ihnen wirklich.“
Bridget ließ den Blick aus dem Fenster schweifen, dabei fiel er auf ihren Rückspiegel. Dort sah sie einen weißen Rover ein Stück hinter ihnen. Sie erschrak. Simmons! Oh, nein! Schoß es ihr durch den Kopf. Sofort arbeitete ihr Hirn auf Hochtouren. Deshalb war er so freundlich gewesen. Er hatte nicht vor, sie alleine zu lassen. Also wusste er mittlerweile auch von ihrer kleinen Lüge. Jetzt gab es zwei Möglichkeiten. Sie entschied sich für den Kampf.
„Sind Sie ein guter Autofahrer?“
Überrascht blickte Nick sie an. Das Lächeln war verschwunden. „Wie meinen Sie das?“
„Naja, fahren Sie gerne schnell? Übertreten Sie manchmal die Regeln? Zu schnell fahren oder so was in der Richtung?“
Er wirkte etwas verunsichert: „Naja, ich fahre schon gerne zügig, aber das wird hier nicht so gerne gesehen.“
Sie fuhren wieder auf eine Ampel zu. Sie schaltete gerade von grün auf gelb.
Jetzt, dachte sie. „Geben Sie Gas.“
„Was?“ Er zögerte.
Sie wurde lauter: „Los, geben sie Gas.“
Er gab Gas und der Wagen schoss über die Kreuzung. Sie sah im Rückspiegel, wie der weiße Rover stehen bleiben musste, weil es schon Querverkehr gab. Sie entspannte sich und lehnte sich wieder in den Sitz.
„Das haben Sie gut gemacht.“ Lobte sie ihn.
Er war jetzt hoch konzentriert: „Sie wirken nicht gerade wie ein Verkehrsrowdy. Was sollte das?“
Es war ihm nicht entgangen, dass sie plötzlich erschrocken und angespannt gewesen war. Ebenso war ihm ihre anschließende Erleichterung aufgefallen. Ob es etwas mit dem weißen Rover im Rückspiegel zu tun hatte? Das versprach ein interessanter Abend zu werden.
Jetzt bloß nichts Falsches sagen, dachte sie. „Ich wollte nur mal sehen, was für eine Beschleunigung dieser Wagen hat. Ganz beachtlich, muss ich sagen.“
Er lächelte wieder: „So so, Sie wollten nur mal sehen. Ich hoffe, Sie waren zufrieden?“
Sie lächelte jetzt ebenso und sah ihn dabei an. Aber jetzt war sie auf der Hut. So schnell würde Simmons nicht aufgeben. Sie fuhren auf den Highway und jetzt gab Nick richtig Gas. Sie unterhielten sich nur wenig und wenn, dann über Belangloses.
Wie ihr die Arbeit gefallen hatte, dass es etwas gänzlich Neues für sie war und sie es sich am Anfang nicht vorstellen konnte. Sie schaute ab und zu in den Rückspiegel und tatsächlich, nach ein paar Minuten war der weiße Rover wieder im Rückspiegel zu sehen.
Ihr Lächeln erstarrte und sie setzte sich wieder gerade hin. Ihm entging ihre aufkommende Nervosität nicht. Er sah in den Rückspiegel und sah ebenfalls den weißen Rover. „Ein Freund von Ihnen?“
Bridget erstarrte. „Sie haben ihn bemerkt?“
„Ja, vorhin an der Ampel schon. Sollen wir ihn abschütteln?“
„Können Sie das denn?“ fragte sie hoffnungsvoll.
„Mal sehen.“
Nick schaute in den Rückspiegel. Vor ihnen kam eine Abfahrt. Auf dem Highway war ziemlich viel los. Es war schon spät und die Menschen wollten nach Hause. Er lenkte den Wagen auf die linke Spur und es sah aus, als wollte er überholen. Der Rover folgte ein paar Fahrzeuge hinter ihnen auf ihrer Spur. Kurz bevor die Abfahrt abging, lenkte Nick den Wagen ruckartig nach rechts und sie schossen immer schneller werdend zwischen zwei anderen Fahrzeugen auf die Ausfahrt zu. Der Rover konnte wegen des Verkehrs nicht folgen und musste weiter fahren. Sie rasten die Abfahrt hinaus und fuhren erst einmal die Straße geradeaus. Nick ließ den Wagen etwas ausrollen und verringerte so die Geschwindigkeit.
„So“, sagte er und atmete hörbar aus. „Zwei Verkehrsverstöße in der ersten halben Stunde unserer Verabredung. Wenn das so weitergeht, begehen wir dann am Ende des Abends einen Banküberfall?“
Bridget senkte den Kopf und lächelte: „Ich hoffe nicht.“
„Jetzt müssen wir einen kleinen Umweg machen. Ich nehme an, Sie legen Wert drauf, dass uns die Herren im Rover nicht mehr finden?“
Bridget sah in an: „Das wäre schön.“
„Sagen Sie mir, wer das ist? Oder muss ich unwissend all diese Straftaten begehen?“
„Könnten wir das auf nachher beim Essen verschieben? Dann haben wir vielleicht Ruhe dazu.“
„Okay, aber Sie sind mir eine Erklärung schuldig.“
Aus seinem Ton war die Freundlichkeit gewichen. Er erinnerte sie jetzt an den Geschäftsmann, den sie kennengelernt hatte.
Na, das konnte ja heiter werden. Bridget überlegte fieberhaft, was sie ihm erzählen könnte. Sollte sie die Wahrheit sagen oder etwas erfinden? Wahrheit ging nicht. Diesen Gedanken verwarf sie gleich wieder. Jetzt mussten sie erst mal sehen, dass sie die Verfolger nicht mehr fanden. So wie es aussah, schaffte er es.
Nick fuhr in Richtung einer kleinen Ortschaft, die direkt am Highway lag. Er lenkte den Wagen in die kleine Stadt hinein und bog die erste Straße rechts ab. An einer Parkbucht hielt er an und schaltete den Motor aus. Von wegen beim Essen, er wollte gleich wissen, mit wem er es zu tun hatte.
Er drehte sich zu ihr und sah sie ernst an: „Also raus mit der Sprache, wer verfolgt Sie in dem weißen Rover? Ihr Ehemann, Ihr eifersüchtiger Freund oder schulden Sie jemandem Geld?“
Bridget hatte eine Idee. Sie würde etwas erzählen. Nicht alles, aber zumindest nicht lügen. Sie erwiderte seinen Blick.
„Nichts von alledem. Es sind Sicherheitsleute, die auf mich aufpassen sollen. Mein Vater hat sie engagiert, damit mir hier nichts passiert. Sie haben ja schon bemerkt, dass ich nicht viele Kontakte außerhalb Ihrer Firma geknüpft habe. Gar keine eigentlich. Ich habe mir mit einer kleinen, sagen wir improvisierten Unwahrheit, für heute Abend frei genommen.“
„Das war also der Grund, warum Sie jede Einladung ausgeschlagen haben?“ Nick war fast etwas erleichtert. Er hatte mit Schlimmerem gerechnet.
„Ja. Meine Eltern sind sehr wohlhabend und haben immer Angst um mich. Dass ich ein normales Studium absolvieren und vor allem diesen Auftrag hier annehmen durfte, hat für mich schon an ein Wunder gegrenzt.“
„Deshalb auch die Geheimnistuerei um Ihren Wohnsitz?“
Sie sah ihn an und es zerbrach ihr fast das Herz. Sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. „Ja, auch das. Niemand sollte wissen, wo ich während meines Aufenthaltes hier wohne.“ Bridget rang verzweifelt die Hände. „Nick, wenn Sie jetzt von der Einladung zurücktreten wollen, würde ich das verstehen. Ich habe Ihnen schon genug Scherereien bereitet.“ Sie sah ihn an. Insgeheim wünschte sie, er würde es nicht tun.
Er sah ihr in die Augen, grün, wie ein Fluss im Herbst und mit einem Hauch Traurigkeit im Blick. Jetzt, da schon die Dämmerung kam, erschienen sie etwas dunkler.
„Nein, ganz im Gegenteil. Der Abend wird doch jetzt erst interessant.“
Er startete den Wagen, lenkte ihn aus dem Parkplatz und fuhr los.
8.
Der weiße Rover fuhr auf dem Highway rechts ran. Der Beifahrer sprach in sein Mikrofon, das er am Revers trug: „Sie haben uns abgehängt. Haben sie verloren.“
Aus den Ohrhörern kam die zornige Stimme von Simmons: „Was! Wie kann denn sowas... Na egal. Wir orten sie über ihr Handy. Ich ahnte gleich, dass das mit der Abschiedsparty nicht stimmte. Fahren Sie weiter in die Richtung. Wenn sie diesen Highway benutzt haben, tauchen sie vielleicht wieder auf. O‘Neal, was hat der Portier gesagt?“
Vor der Firma stand ein grauer Van, in den O‘Neal gerade auf den Beifahrersitz stieg. Der Fahrer startete den Wagen und fuhr los.
O‘Neal sagte: „Nicht viel. Hat zwar bestätigt, dass sie hier war, hat aber angeblich nicht gesehen, mit wem sie weggefahren ist. Sie war auf der Toilette, kam wieder herunter und verließ dann das Gebäude. Er hat nichts weiter gesehen. Lügt offensichtlich, aber ich kann nichts tun. “
Simmons saß in der Villa am Schreibtisch und hatte versuchte, Bridget über ihr Handy zu orten. Er schloss den Laptop, klemmte ihn sich unter den Arm und lief zur Hintertür. Dort wartete schon ein Wagen mit angelassenem Motor. Simmons sprang auf den Beifahrersitz und bellte den Fahrer an: „Los.“
Der Wagen verließ mit quietschenden Reifen das Anwesen.
Simmons öffnete den Laptop, nach wenigen Sekunden sprach er in sein Headset: „Ich habe sie. Sie befinden sich in einem kleinen Nest namens Daytona, First Road. Alle fahren sofort dahin.“ Simmons programmierte das Navigationsgerät und der Fahrer beschleunigte den Wagen.
9.
Nick lenkte den Wagen über die Brücke, die über den Highway führte und blieb auf der Landstraße. Sie sah ihn fragend an.
Er sah weiter auf die Straße und meinte: „Ich glaube, den Highway meiden wir jetzt. Dauert zwar etwas länger, ist aber sicherer. Ihre Freunde suchen vielleicht noch nach Ihnen.“
Sie senkte den Blick und meinte leise: „Ganz bestimmt sogar.“
Nick fuhr den Wagen jetzt ruhig durch die Landschaft. Sie sprachen nicht mehr. Das Schweigen war nicht sehr angenehm. Bridget fühlte sich nicht besonders wohl. Der Abend hatte schon ganz anders begonnen, als sie es sich vorgestellt hatte. Dieser verflixte Simmons. Konnte er ihr nicht ein paar Stunden unbewacht gönnen?
Nach einiger Zeit bog Nick vor einem Schild rechts ab und es öffnete sich wie von Geisterhand ein Tor. Bridget konnte nur kurz einen Blick auf das Schild am Eingang werfen und erkannte die Worte Mirror Beach Country Club. Ihr wurde mulmig. Sie hatte jetzt nicht gerade Lust auf einen Club.
„Glauben Sie, das ist eine gute Idee? Hier zu sein, meine ich?“ fragte sie vorsichtig.
„Warum nicht?“ Er sah sie kurz an. Sie fuhren durch einen Park eine langgezogene Auffahrt hinauf und hielten vor dem Eingang eines imposanten Gebäudes. Sogleich war ein junger Mann parat, der Nick mit den Worten „Guten Abend Mr. Page. Ich parke Ihren Wagen.“ begrüßte.
Nick stieg aus und sagte: „Danke Oliver.“
Er ging um den Wagen herum, hielt Bridget die Tür auf und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.
Sie blieb sitzen und sah ihn an: „Bitte, Nick, es ist mir alles sehr unangenehm. Es wäre besser, ich rufe mir ein Taxi, fahre nach Hause und wir vergessen das Alles.“
„Oh nein.“
Nick hatte zu seiner guten Laune zurück gefunden. Er hatte es endlich geschafft, dass diese Frau seine Einladung angenommen hatte. Das würde er sich jetzt nicht verderben lassen. „Dieser Club hier ist ein Muster an Diskretion. Ich würde hier sogar nach Verübung eines Verbrechens Zuflucht suchen. Also genaugenommen passt er heute gerade richtig.“ Er grinste sie an, wurde dann aber gleich wieder ernst. „Wir vergessen jetzt mal die Schwierigkeiten, die wir hatten, und tun so, als würde unsere Verabredung jetzt erst beginnen. Einverstanden?“
Bridget dachte kurz nach. Sie wollte nicht wirklich nach Hause. Sie wollte den Abend mit ihm verbringen und sei es nur diesen einen Abend. Den wollte sie sich nicht nehmen lassen. Sie lächelte ihn an: „ Gut. Einverstanden.“
Sie nahm seine Hand und stieg aus dem Wagen. Sie standen vor einem schlossähnlichen Gebäude in Fachwerkbauweise. Es war ein rechteckiger Bau, der rechts und links jeweils von einem runden Turm eingerahmt wurde. Bridget warf einen Blick auf die geschmackvoll arrangierten Blumenbeete gegenüber des Gebäudes. Es waren mehrere Beete mit verschiedenen pinkfarbenen Rosen darin, die alle recht üppig blühten. Die Beete waren rund und von kleinen Buchshecken eingerahmt. Das ganze befand sich auf einer riesigen Rasenfläche. Es wirkte, als wären die Rosenbeete kleine Teppiche auf einer großen, grünen Wiese. An den Türmen rankten sich Kletterrosen empor, die ebenfalls blühten. Das ganze machte einen sehr gepflegten Eindruck. An diesem Ort konnte man sich wirklich wohl fühlen.
Nick geleitete sie zur gläsernen Eingangstür, die sich geräuschlos öffnete. Sie betraten eine sehr geschmackvoll eingerichtete Eingangshalle, in der sich edle hölzerne Wandvertäfelungen mit klassischen Möbeln ergänzten. Die Möbel waren alle aus Holz, die Sessel und Sofas mit dicken gestreiften Polstern belegt. Auf der Seite des Eingangs waren bodentiefe Fenster, vor denen kleine Tische standen. Auf jedem Tisch standen Vasen mit Rosensträußen oder kleine Blumengestecke. Von der hohen Decke aus verströmte ein riesiger Kristallleuchter ein angenehmes, warmes Licht. Es machte alles einen sehr beruhigenden Eindruck. Nirgends war etwas von Hektik zu spüren. Hinter der Rezeption war die Theke hell angestrahlt. Das Licht fiel auf die Angestellten, die in ihren taupefarbenen Uniformen und den weißen Hemden die Optik der Behaglichkeit fortsetzten.
Noch vor der Rezeption kam ein Herr im dunklen Anzug auf sie zu und begrüßte Nick mit Handschlag: „Guten Abend, Mr. Page. Ich freue mich, Sie wieder einmal bei uns begrüßen zu dürfen.“ Er wandte sich Bridget zu: „Und, wie ich sehe, in überaus charmanter Begleitung.“
Er streckte Bridget die Hand hin: „Willkommen im Mirror Beach Country Club, Madame. Ich bin Armand.“
Bridget erwiderte mit einem freundlichen Lächeln seinen Händedruck. Er deutete einen formvollendeten Handkuss an. Ihr war aufgefallen, dass er nicht nach ihrem Namen gefragt hatte und dass Nick sie auch nicht vorgestellt hatte. Diskretion schien man hier wirklich groß zu schreiben. Sie fühlte sich gleich ein bisschen wohler.
Nick erwiderte die freundliche Begrüßung: „Guten Abend, Armand. Die Arbeit. Man kommt zu nichts. Aber heute Abend wollen wir Ihre Annehmlichkeiten genießen.“
„Wir werden unser Bestes tun. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch begleiten?“
Er ging voran und geleitete sie einen Gang entlang.
Bridget fiel auf, dass an den Wänden Bilder klassischer Maler in schweren goldenen Rahmen hingen. Die Wände selbst waren in einem angenehmen grünen Farbton gehalten, die den Landschaftsbildern noch mehr Leuchtkraft gaben. Jedes einzelne Bild wurde von einer über ihm verdeckt angebrachten Lichtleiste beleuchtet. Der Fußboden bestand aus alten, blankpolierten Holzdielen, über die zum Teil wertvolle Teppiche gelegt worden waren. Diese schluckten die Schritte, so dass eine eigentümliche Ruhe in diesem Bereich vorherrschte. Ab und zu ging ein Durchgang zu einzelnen Räumen vom Gang ab, die farblich alle unterschiedlich gestaltet waren. Rote Wände, blaue Wände, dazu passende schwere Vorhänge vor den deckenhohen Holzfenstern, in der Mitte riesige Kristalllüster, deren Licht gedimmt schien. Leise Musik war zu hören. Es standen Tische darin, die mit weißen Decken, wertvollem Porzellan und Kristallgläsern gedeckt waren. Überall darauf befanden sich silberne Kerzenleuchter mit brennenden weißen Kerzen. Auf den Stühlen saßen gut gelaunte Menschen, einzelne Paare, aber auch Gruppen, die miteinander aßen, redeten und scherzten.
Bridget fing an, sich wohl zu fühlen. Dies war eine ähnliche Atmosphäre, wie die, die sie von zuhause gewohnt war. Es erstaunte und erschreckte sie zugleich. Sie fragte sich, wie viele Gefühle man gleichzeitig empfinden konnte. In Gegenwart von Nick waren es ziemlich viele.
Armand führte sie in einen Raum, dessen Wände flaschengrün gehalten waren und zeigte ihnen einen gedeckten Tisch an einem der großen Holzfenster. Er hob einen Stuhl für sie an und sagte: „Ich hoffe, der Tisch ist zu Ihrer Zufriedenheit, Mr. Page.“
Er beugte sich verschwörerisch zu Bridget herunter: „Es ist fast Vollmond und gegen später können Sie vielleicht sehen, was diesem Club seinen Namen gegeben hat.“ Er wies zur Bekräftigung seiner Aussage aus dem Fenster.
„Der Tisch ist ganz wunderbar, Armand. Danke.“ Sagte Nick.
Armand nickte kurz mit dem Kopf, rückte Bridget den Stuhl zurecht und sie setzten sich. Dann verschwand er. Nick setzte sich ihr schräg gegenüber, so dass sie beide sich ansehen und ebenso, mit kurzem Kopfdrehen, aus dem Fenster blicken konnten. So saßen sie mit dem Rücken zu den anderen Gästen, was Bridget sehr gut fand. Es beruhigte sie, niemand Fremden ins Gesicht sehen zu müssen. Ein Kellner kam lautlos an den Tisch, gab jedem eine riesengroße Karte, die dunkelgrün eingeschlagen war, legte die Weinkarte auf den Tisch, goss etwas Wasser in die bereitstehenden Gläser und entfernte sich nach einem kurzen freundlichen Kopfnicken von Nick ebenso wieder.
„So, nun wollen wir mal sehen, was man uns heute anbietet. Sie haben hoffentlich Hunger. Ich jedenfalls, wenn ich das so sagen darf, fühle mich nach all der Aufregung mit Ihnen schon ziemlich hungrig.“
Er lächelte sie spitzbübisch an und sie konnte nicht anders, als zurück zu lächeln. Wenn er lächelte, bildeten sich um seine Mundwinkel zwei hübsche Grübchen. Sie fand, das machte sein Lächeln umso liebenswerter. Dieses Lächeln, das sie von Anfang an fasziniert hatte, ebenso wie seine Augen. Jedes Mal, wenn er lächelte, spürte sie einen Stich im Magen. Es war einfach unwiderstehlich.
„Ich muss zugeben, etwas Hunger habe ich auch. Ich habe heute nur gefrühstückt. Da Ihr Autor bei der Besprechung die Mittagspause hat ausfallen lassen, ist das schon ein Weilchen her.“
„Dann werden Sie sich freuen zu hören, dass die Küche hier vorzüglich ist. Sie werden schon sehen.“
Sie sahen beide in die Speisekarte.
Nach ein paar Minuten kam Armand an den Tisch: „Darf ich fragen, ob die Herrschaften schon etwas gewählt haben?“
Nick schaute sie über den Rand der Speisekarte an: „Und, etwas gefunden?“
Bridget hatte schnell gewählt. Sie bestellte einen leichten Salat als Entree und als Hauptgang ein Fischgericht. Nick nahm zuerst ebenfalls einen Salat und als Hauptgang ein Steak. Das Dessert ließen sie erstmal offen.
Armand bedankte sich für die Bestellung, drehte sich um und ging.
„In Amerika muss wohl ein Steak sein, oder?“ fragte Bridget schmunzelnd. „Für einen so noblen Club hat man hier eine recht deftige Speisekarte. Ich hätte etwas Feineres erwartet.“
„Enttäuscht?“ fragte Nick.
„Oh nein. Es ist wirklich wunderbar hier. Nur das hat mich etwas gewundert.“
Der Ober kam an den Tisch und gab Nick die Weinkarte: „Bitte sehr, Sir. Wünschen die Herrschaften eine Empfehlung?“
Nick nahm die Karte, warf einen kurzen Blick darauf, dann sah er Bridget fragend an: „Ich glaube, wir nehmen als Aperitif Champagner, einverstanden?“
Bridget lächelte ihn an und nickte: „Oh ja, sehr gerne.“ Sie hatte nicht gewagt, den Vorschlag zu machen. Champagner beruhigte sie immer etwas. Sie fühlte sich in diesem Club erstaunlich wohl, was zu einem Großteil auch an seiner Gegenwart lag.
Nick sah den jungen Mann an, gab ihm die Weinkarte zurück und sagte: „Dann also Champagner, bitte.“
Der junge Mann nahm die Karte, sagte „Sehr gerne, Sir.“ Und entfernte sich.
10.
In Daytona bogen indessen ein schwarzer Van, ein weißer Rover und eine schwarze Limousine fast gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen in die First Road ein. Sie hielten ruckartig vor der Hausnummer 31. Aus jedem Wagen sprangen zwei Männer und sie trafen sich alle auf dem Bürgersteig vor einem Laden. Sie sahen sich suchend um. Keine Spur von Bridget oder einem verdächtigen Wagen, mit dem sie hierher gekommen sein könnte. So wie es aussah, nur Einheimische, auf dem Weg nach Hause und ein paar Touristen. Nr. 31 war ein Biokostladen, der gerade von einem jungen schlaksig wirkenden Burschen zugeschlossen wurde.
Simmons hielt auf ihn zu: „Eine Frage, junger Mann. Haben Sie hier heute Abend eine Frau in einem schwarzen Kleid gesehen? Ziemlich hübsch, braune Haare, womöglich in Begleitung.“
Der Junge roch ein Geschäft und fragte: „Wer will das denn wissen?“
Simmons wusste gleich, woher der Wind wehte, griff in die Tasche und gab dem Jungen den ersten Schein, 10 Dollar, den er zu fassen bekam.
Der Junge, grinste, steckte den Schein ein und sagte: „Ich sehe hier viele Frauen.“ Da sah er eine Falte auf der Stirn seines Gegenübers. Der Typ verstand wohl doch keinen Spaß. Er beeilte sich zu sagen: „Nein, eine Hübsche im schwarzen Kleid wäre mir sicher aufgefallen.“
Er bückte sich, um seine Tragetaschen aufzuheben, da fiel ihm ein Handy aus der Hosentasche. Simmons sah es fallen und erkannte es sofort.
„Wo haben Sie das her?“ bellte er ihn an. Der Junge erschrak, wollte es aufheben, aber Simmons war schneller.
Der Junge stammelte: „Das gehört mir. Geben Sie es her.“
Simmons ging noch einen Schritt auf ihn zu. Seine Stimme war jetzt ganz leise, aber dafür umso bedrohlicher: „Woher Sie das haben, will ich wissen.“ Dabei hielt er dem Jungen das Handy direkt vor das Gesicht.
Dieser wich zurück und sagte: “Komische Geschichte. Da kam vorhin ein Wagen, der hielt kurz an, die Scheibe ging runter und jemand warf es da vorne in den Mülleimer.“ Er zeigte mit der rechten Hand auf einen Mülleimer an einer Straßenkreuzung.
Simmons kochte vor Wut: „Wann war das? Können Sie sich erinnern, was das für ein Wagen war? Vielleicht sogar das Nummernschild?“
Der Junge traute sich jetzt nicht mehr, nochmals Geld für die Informationen zu verlangen. Die Kerle hatten anscheinend wirklich keinen Humor. „Es war ein schwarzer Porsche Cayenne. Tolle Karre. Sieht man hier nicht oft. Gefällt mir gut. Das Nummernschild habe ich nur kurz gesehen, war irgendwas mit PA. Hab‘s mir nicht gemerkt. Hatte grad viel Kundschaft. Habe nur gesehen, dass da was rausflog. In meiner Pause bin ich dann gleich zum Mülleimer um nachzusehen, was jemand aus so einem Wagen weg wirft. Ehrlich Mann. Ich sage die Wahrheit. Sie können es behalten.“
Simmons tippte auf dem Handy herum: „Sie hat alles gelöscht. Es ist leer.“ Er steckte es ein. Grußlos ging er mit seinen Leuten zurück zu den Wagen.
Dort angekommen sagte er zu seinen Männern: „Der Junge hatte ihr Handy. Sie waren also hier. Sie hat es aus dem Wagen geworfen. Schwarzer Porsche Cayenne, Nummernschild irgendwas mit PA. Ich nehme an, das ist der Wagen dieses Produzenten Page. Sie ist also mit ihm unterwegs.“
Er wandte sich an einen der Männer. „Alfred, Sie werden seine Handy-Nummer feststellen. Ich rufe ihn dann an.“ Der Angesprochene schob die Tür des Vans auf und stieg sofort ein.
Einer der Männer sagte: „Damit kompromittieren Sie sie aber. Ist das klug? Sie soll doch unerkannt bleiben.“
Simmons dachte nach. Das stimmte. Aber er war stinksauer. Sie hatte ihn angelogen. Er hatte nachgegeben und sie hatte ihn angelogen. Dass er auch nicht Wort gehalten hatte, verdrängte er dabei kurzerhand. Er war immerhin für sie verantwortlich. Da heiligte der Zweck die Mittel. Simmons schnaubte. Das gefiel ihm alles nicht.
„Das ist mir jetzt egal. Wir finden sie und bringen sie so schnell wie möglich nach Hause.“
Er beugte sich in den Van: „Wie weit sind Sie?“
Alfred hatte gerade sein Handy am Ohr, er hielt die Hand darauf und antwortete: „Ich versuche gerade, Pages Assistentin ans Telefon zu bekommen.“ Er nahm die Hand weg und sprach in sein Handy: „Hallo, Mrs, Bishop, mein Name ist Alfred Buck. Ein Mitarbeiter Ihrer Firma sagte mir, dass Sie die Assistentin von Mr. Page sind. Ich muss ihn dringend sprechen. Könnten Sie mir freundlicherweise seine Nummer geben?“
11.
Agatha Bishop war seit drei Jahren die Assistentin, Privatsekretärin und Mädchen für alles für Nick Page. Wer zu ihm wollte, musste an ihr vorbei, und das war nicht so einfach. Sie hatte ein gutes Gespür für Menschen und war ein Organisationsgenie. Nick hatte damals eine Sekretärin für seine Produktionsfirma gesucht. Sie war die erste, die zum Vorstellungsgespräch kam. Als er ihre Zeugnisse sah, war er erstaunt. Sie war eigentlich Anwaltsgehilfin. Nach ihrer erfolgreich absolvierten Ausbildung hatte ihr ein halbes Jahr Praxis bei einer Anwaltsfirma gezeigt, dass sie diese Arbeit nicht ausfüllte. Sie wollte sich verändern, da kam ihr das Stellenangebot einer Filmproduktionsfirma gerade recht. Eine Freundin hatte sie darauf aufmerksam gemacht.
Nick mochte die große, attraktive Rothaarige auf Anhieb und auch ihr war der neue Chef gleich sympathisch. Die Chemie stimmte vom ersten Augenblick an zwischen ihnen. Und doch war es nie mehr als Sympathie und große Achtung, die beide füreinander empfanden.
Das Arbeitsverhältnis war von Offenheit und einem hohen Maß an Vertrauen geprägt. Sie hatten sich in diesen drei Jahren so gut kennengelernt, dass manchmal keine Worte zwischen ihnen nötig waren, um zu wissen was der Andere dachte. Obwohl ihr Umgang miteinander mehr an Freunde denken ließ, blieb ihr Verhältnis geschäftlich.
Agatha war natürlich über die Verabredung vom heutigen Abend informiert, hatte sie doch selbst den Tisch im Club reserviert. Dass sie das Ganze diskret behandelte, war selbstverständlich. Sie hatte von Anfang an bemerkt, dass ihr Chef die Engländerin anders ansah als andere Frauen. Auch war zu spüren, dass er die ganze Zeit, seit Bridget hier war, unter einer seltsamen Spannung zu stehen schien. Die Verabredung heute würde vielleicht Neues bringen. Agatha war sehr gespannt auf den Ausgang des Abends. Obwohl ihr die Frau doch manchmal recht seltsam vorkam. Aber Nick mochte sie offensichtlich und nur das zählte. Als nun dieser Alfred Buck anrief und Nicks Nummer haben wollte, schrillten bei ihr die Alarmglocken.
12.
Agatha antwortete in besonders geschäftsmäßigem Ton: „Es ist Freitagabend. Mr. Page ist im Wochenende. Um was geht es bitte?“
„Das möchte ich ihm lieber selbst sagen. Geben Sie mir bitte seine Nummer.“
„Tut mir leid, das ist ausgeschlossen. Wenn Sie mit Mr. Page reden wollen, müssen Sie sich bis Montag gedulden. Sie dürfen mich gerne noch einmal anrufen. Wir machen dann einen Termin aus. Natürlich nachdem Sie mir den Grund ihres Anrufs genannt haben.“
Mr. Buck versuchte es noch einmal: „Es wäre aber von großer Wichtigkeit, dass ich ihn gleich sprechen könnte.“
Agatha blieb unbeeindruckt: „Wenn Sie mir sagen würden, um was es geht, könnte ich selbst beurteilen, ob diese Sache wirklich so dringend ist.“
„Tut mir leid, das geht nicht.“
„Dann tut es mir auch leid.“ Sie legte auf und wählte sogleich Nicks Nummer. Das Ganze kam ihr doch sehr spanisch vor. Nick hatte sein Handy auf vibrieren gestellt. Sie waren gerade mit der Vorspeise fertig, als er das leichte Gefühl spürte, welches der Vibrationsalarm verursachte.
Er vermutete gleich, dass es Agatha war. Da Agatha wusste, wo er war und dass er nicht gestört werden wollte, musste es wohl wichtig sein. Nick entschuldigte sich bei Bridget für einen Augenblick, stand vom Tisch auf und ging aus dem Zimmer. Er ging den Gang entlang zu den Herrentoiletten und trat ein.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er alleine war, nahm er das Handy aus seiner Jackentasche: „Agatha, was ist? Entschuldige, aber Du weißt, dass Du störst?“
Sie lächelte: „Ich weiß und ich hoffe sogar für Dich, dass ich störe, denn dann läuft es gut. Aber eben hat mich ein Alfred Buck angerufen, hat sich wichtig aufgeblasen und nach Deiner Handynummer gefragt. Ich sagte ihm, dass Du im Wochenende wärst. Er solle am Montag wieder anrufen, dann werden wir einen Termin vereinbaren. Er wollte sich erst nicht abwimmeln lassen, hat aber auch auf meine Nachfrage nicht gesagt, was er von Dir will. Ich dachte, da Du mit der geheimnisvollen Engländerin unterwegs bist, wolltest Du das vielleicht wissen.“
„Oh ja, da hast Du recht. Das wollte ich wissen. Und danke, dass Du ihn abgewimmelt hast.“
„Schönen Abend noch.“
„Dir auch.“
Sie legten beide auf. Nick dachte kurz nach. Das wurde ja immer interessanter. Er schaltete das Handy jetzt aus, er wollte nicht noch einmal gestört werden, wusch sich schnell die Hände und ging wieder zum Tisch zurück.
13.
„Ich habe mitgehört.“ Simmons stand an der Tür des Vans und kochte vor Wut. So schnell würde er sich nicht geschlagen geben. „Wir fahren nach Hause. Dort überprüfen wir das Handy dieser Agatha.“
Die Sicherheitsbeamten verteilten sich wieder auf die Fahrzeuge und fuhren rasch davon. Sie kamen alle gleichzeitig bei der Villa an und stiegen aus ihren Wagen. Sie liefen alle schnellen Schrittes ums Haus zum Hintereingang und traten ein. Sie versammelten sich im Büro. Simmons trat an den Schreibtisch und winkte Alfred zu sich.
„Sie haben doch eine Möglichkeit, mit der Sie feststellen können, mit welcher Nummer ein Handy telefoniert hat.“
Alfred Buck zierte sich: „Ja, schon, aber das ist nicht ganz legal.“
Simmons lief rot an, die Halsschlagader zeichnete sich gefährlich unter seiner Haut ab. Er herrschte Alfred an: „Egal, los, machen Sie schon.“
Alfred atmete hörbar aus und setzte sich an den Schreibtisch. Er öffnete das Programm. Wohl war ihm nicht dabei, aber Chef war nun mal Chef. Es dauerte etwa zehn Minuten, da verlor Simmons die Geduld: „Dauert das noch lange?“
Alfred sah nicht hoch: „Ich hab‘s gleich.“
Er zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. „Da, 22.35 Uhr, das war kurz nachdem ich mit ihr gesprochen hatte. Sie hat diese Nummer gewählt.“
„Gut und jetzt das Handy mit der Nummer orten.“
„Mr. Simmons“, Alfred versuchte ihm das Illegale seines Tuns zu verdeutlichen, aber Simmons schnitt ihm das Wort ab. „Los, nun machen Sie schon.“
Alfred schnaubte nochmals, gehorchte dann aber. Nach etwa 15 Minuten, Simmons hatte die lange Wartezeit nur ausgehalten, weil einer der Männer Kaffee für alle geholt hatte, musste er schließlich mitteilen: „Das Handy lässt sich nicht orten. Es ist wahrscheinlich ausgeschaltet.“
„Verdammt!“ bellte Simmons und versetzte dem Papierkorb einen Tritt, so dass dieser umfiel. „Wenn jemand noch eine Idee hat, soll er es sagen.“
Simmons beruhigte sich wieder etwas, lief aber im Zimmer auf und ab. Die Männer sahen sich an. Keinem wollte etwas einfallen.
Schließlich sagte Alfred: „Wir werden wohl warten müssen, bis sie von alleine wieder auftaucht. Bis dahin können wir nichts tun.“
Simmons sah ihn böse an. Alfred hatte ausgesprochen, was er selbst gedacht hatte, aber nicht wahr haben wollte. Dieses Mal hatte sie gewonnen. Sie hatte ihn reingelegt.
14.
Der Hauptgang war gerade abgeräumt worden. Sie blieben auch nach dem Aperitif beim Champagner. Bridget, leicht beschwingt durch den Genuss des Getränks, fühlte sich wohl wie schon lange nicht mehr.
Von wegen Langweiler. Nick war ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Nachdem ihr Gespräch anfangs etwas steif war, kam es doch im Laufe des Essens richtig in die Gänge.
Er unterhielt sie mit Geschichten über seine Familie, er war der Älteste von vier Geschwistern, drei Jungen und ein Mädchen. Seine zwei Brüder, Logan und Michael, waren Anwälte, Teresa, die Jüngste studierte noch und zwar Medizin. Sie schlug aus der Art, wie er meinte, und wollte Ärztin werden.
Er selbst hatte Betriebswirtschaft und Jura studiert und stieg dann in die Produktionsfirma seines Vaters Tom ein. Seine Mutter Kirstie war früher Schauspielerin gewesen, hatte sich dann aber der Familie gewidmet. Nur ab und zu arbeitete sie in der Firma mit.
Sie waren eine „normale“ Familie, die sich regelmäßig zu Hause traf, zusammen feierten und auch mal heftig stritten.
Bridget hörte begeistert zu. Für sie hörte sich das an wie der Himmel auf Erden. Ihre Kindheit und Jugend war da gänzlich grauer und einsamer, geprägt von Internaten und Hauslehrern. Um nicht von sich erzählen zu müssen, stellte sie ihm auch häufig Fragen, die er gerne und ausschweifend beantwortete. Sie sprachen auch über den Film, an dem sie zusammen gearbeitet hatten, Filme, die die Firma schon gemacht hatte, erfolgreiche und weniger erfolgreiche. Dann kamen sie auf die Kunstgeschichte.
Jetzt war sie in ihrem Element. Sie berichtete von ihren Studienjahren in Rom, Florenz, Paris und London. Und passte aber immer auf, nicht zu viel Persönliches von sich preiszugeben. Mittlerweile war es schon nach Mitternacht. Bridget fühlte sich in Nicks Gegenwart immer besser. Hatte sie sich jemals in Gesellschaft eines Mannes so gut gefühlt?
Nick hörte ihr aufmerksam zu. Er war schon mehrfach in Europa gewesen und kannte die Städte, in denen sie zeitweise gelebt hatte, ebenfalls, zumindest mehr oder weniger.
Als sie gerade über London sprachen, fragte er plötzlich unvermittelt: „Und was ist mit Ihrer Familie? Sie haben noch gar nichts über sie erzählt.“
Bridget verdarb es schlagartig die Laune. Ihr Gesicht bekam einen neutralen, fast abweisenden Ausdruck.
Er erschrak: „Verzeihen Sie bitte. Ich wollte nicht neugierig sein. Aber Sie haben mir vorhin im Wagen eine Erklärung versprochen. Die hätte ich jetzt gerne.“ Als sie nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: „Und ein kleines bisschen habe ich den Verdacht, des könnte mit ihrer Familie zusammenhängen.“ Dabei sah er sie erwartungsvoll an.
Bridget blickte auf das Tischtuch, dann straffte sie sich. „Sie haben Recht, aber wie ich Ihnen schon sagte, meine Eltern sind sehr wohlhabend und haben Angst um ihre Kinder. Deshalb besorgen sie uns, egal, wohin wir uns bewegen, immer Bodyguards, die auf uns aufpassen. Das kann manchmal sehr lästig sein. Wie Sie sich vorstellen können, hätte man ja auch gerne mal was vor, von dem Mama und Papa nicht gleich Bescheid wissen sollen. Mit Sicherheit im Nacken geht das leider nicht. Heute habe ich es mal geschafft. Dank Ihnen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Sie betupfte mit der weißen, gestärkten Serviette ihre Mundwinkel, legte sie dann auf den Tisch und blickte ihn ernst an.
Nick entging nicht, wie unangenehm ihr das Thema war. Ok, wenn sie nicht darüber reden wollte. Auch gut. Man muss auch nicht gleich bei der ersten Verabredung alles wissen. Vorerst begnügte er sich mit dieser, wenn auch vagen Auskunft. Er legte seine Serviette ebenfalls auf den Tisch.
„Hätten Sie Lust, zu tanzen?“
„Wie bitte?“ sie reagierte erstaunt. Damit hatte sie jetzt überhaupt nicht gerechnet.
„Tanzen? Ob Sie gerne tanzen würden?“ Er stand auf, ging zu ihrem Stuhl und rückte ihn weg, als sie aufstand.
„Ja, gerne, wenn Sie möchten.“ stammelte sie.
Er führte sie aus dem Raum hinaus auf den Flur, wo man von Ferne leise Tanzmusik hörte. Sie gingen einige Schritte geradeaus, ein paar Treppenstufen hinab und standen dann in einer Bar, in der sich auf einer Tanzfläche einige Paare zu angenehmer Musik drehten. Eine Kapelle von vier Männern spielte in einer Ecke. Überall standen kleine Tische mit Sesseln, in denen Leute saßen, etwas tranken, den tanzenden Paaren zusahen oder sich unterhielten.
Er zog sie auf die Tanzfläche, legte den Arm um sie und sie fingen an zu tanzen. Doch das Stück war zu Ende. Die Kapelle ließ es langsam ausklingen. Die Paare hörten kurz auf sich zu drehen. Einige Paare verließen die Tanzfläche. Da setzte die Musik wieder ein. Andere Paare kamen hinzu. Bridget blieb fast das Herz stehen. Sie spielten „Falling in Love with you“ von Elvis Presley.
Nick zog sie an sich, nicht dass sie sich gewehrt hätte. Sie tanzten eng zusammen, langsam zur Musik. Bridget bewegte sich automatisch dazu. Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Es fühlte sich so wunderbar an. Nichts anderes hatte in ihrem Kopf Platz. Nur seine Nähe, sein Geruch, seine Berührung. Die Musik hörte sie nur noch von Weitem. Das Fühlen stand im Vordergrund. Es war wie ein Rausch und das bei klarem Verstand. Sie gab sich allen Eindrücken hin und genoss.
Nick hielt sie fest. Er wollte sie nie wieder loslassen. Sie roch so gut. Sie bewegte sich so gleichmäßig und schmiegte sich an ihn. Alles war perfekt. Konnte eine Frau so perfekt sein? Der Abend war bisher, abgesehen von den Anfangsturbulenzen, wunderschön gewesen. Nick hatte so etwas ebenfalls noch nicht erlebt. Die Frauen, mit denen er bisher ausgegangen war, hatten ihn irgendwie immer zum Nachdenken gebracht. Mit ihr musste man nicht denken. Er hatte das Gefühl, es wurde ihm abgenommen, oder es war überflüssig. Er fragte sich, mit was für Frauen er bisher ausgegangen war. Bei keiner hatte er sich so gefühlt. Bridget war anders, ganz anders.
Jetzt bloß keinen Fehler machen und sie erschrecken. Er hatte vorhin bemerkt, wie schnell das ging. Das Stück war vorüber. Sie standen noch einen Moment so da und genossen den Augenblick, sich zu berühren und bedauerten beide, als es vorbei war. Die Musiker spielten jetzt etwas Schnelleres.
Sie lösten sich voneinander und sahen sich in die Augen. Da kam Nick eine Idee. „Kommen Sie mit. Ich will Ihnen was zeigen.“
Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her.
An der einen Seite der Bar waren die deckenhohen Balkontüren geöffnet. Er führte sie hinaus. Das Gebäude war umgeben von einer breiten Terrasse, die mit Tischen und Stühlen möbliert war.
Es war eine laue Nacht. Die Stühle waren mit dicken Polstern belegt, auf einigen saßen ein paar Leute. Auf den Tischen brannten kleine Kerzen in gläsernen Windlichtern. Ein breiter Weg führte durch den Garten zum Strand. Entlang des Weges waren kleine Lichter in den Boden eingelassen. Bridget sah selbst im Mondschein, dass der Garten wunderschön war. Sie erkannte Bäume, Hecken und Gras. Einige Blumenbeete konnte sie auch ausmachen.
Sie gingen schweigend Hand in Hand nebeneinander her. Als sie auf den Sandstrand trafen, bot sich ihnen ein wunderschönes Bild. Der Mond stand über dem Meer und spiegelte sich im glatten Wasser. Ein paar sehr helle Sterne taten es ihm gleich.
Bridget stand da und staunte.
Nick lächelte und sie sahen sich kurz von der Seite an: „Das wollte ich Dir zeigen.“
Bridget sah auf die Szenerie, die sich ihnen bot: „Nick, es ist wunderschön.“ Sie machte eine kleine Pause. „Deshalb Mirror Beach.“
„Wollen wir ein paar Schritte entlang gehen?“
„Gerne, aber ich fürchte, das machen meine Pumps nicht mit.“ Es kam ihr ein Gedanke. „Moment.“
Sie bückte sich und zog sie rasch aus. Sie nahm sie in die eine Hand und mit der anderen griff sie wieder nach Nicks Hand. Dann spazierten sie Hand in Hand den Strand entlang.
Etwa 100 Meter entfernt hatten ein paar Jugendliche ein Feuer aus Treibholz angefacht, um das sie im Kreis saßen. Sie hatten zwei Gitarren dabei, auf denen sie spielten und dazu sangen.
Sie gingen an der Gruppe vorbei, immer weiter am Meer entlang. Als sie in einiger Entfernung von den jungen Leuten waren, blieb Nick plötzlich stehen und drehte sich zu ihr.
Sie standen sich nun gegenüber. Sie schaute aber nicht zu ihm hoch. Sie traute es sich nicht. Da griff er mit der einen Hand unter ihr Kinn und wollte ihr Gesicht zu sich heben. Sie hob den Kopf aber nicht. „Bridget?“ flüsterte er.
Sie antwortete ebenso leise: „Bitte Nick, tu das nicht.“
„Was nicht?“
„Bitte nicht.“ Sie flehte ihn regelrecht an.
„Was denn?“
Sie hob den Kopf und sagte: „Das.“
Er küsste sie kurz zärtlich auf den Mund. „Das?“
„Ja, das.“
Er küsste sie nochmals: „Und warum nicht?“
Sie sah ihm in die Augen. In diese wunderschönen dunklen Augen. „Weil es dann kein Zurück mehr für mich gibt.“
Eine Träne löste sich von ihrem rechten Auge und rann über ihre Wange. Er wischte sie mit einem Finger weg und lächelte dabei: „Das hat es für mich nicht mehr gegeben, seit Du das erste Mal durch die Tür der Halle gekommen bist.“
Er umarmte sie fest und doch zärtlich, sie schlang ihre Arme um ihn, spürte seinen Körper, den er an ihren drückte und sie versanken in einem Kuss. Einem langen und innigen, nicht enden wollenden Kuss. Er war voller Zärtlichkeit und doch fordernd. Er versprach alles und sie wusste, dass sie nichts davon halten konnte. Aber sie gab sich dem Kuss einfach hin. Nick spielte sanft mit ihrer Zungenspitze, zog sich wieder zurück, spielte wieder mit ihr.
Es war der schönste Kuss, den Bridget je erlebt hatte. Nicht, dass sie viel Erfahrung in diesen Dingen hatte. Sie war zwar 25 Jahre alt, aber immer noch Jungfrau. Und jetzt loderte in ihr eine Flamme, die alles andere aufzehrte.
Sie fühlte ein seltsames Ziehen in der Magengegend. Ihr Herz musste wohl ein paar Schläge ausgesetzt haben. So fühlte es sich jedenfalls an. Es gab nur noch sie beide. Die Zeit stand still, das Meer traute sich nicht zu rauschen und selbst der Mond schien zu lächeln. Sie presste sich an Nick und zog ihn gleichzeitig an sich. Er spürte ihre Unsicherheit und wollte sie ihr nehmen. Wie gut es tat, sie zu küssen, sie zu halten. Er wollte sie nie wieder loslassen. Keiner wusste, wie lange der Kuss gedauert hatte. Sie lösten ihre Lippen voneinander und sahen sich in die Augen.
Plötzlich hörten sie Beifall und Gejohle. Die Jugendlichen hatten sie beobachtet und gaben nun ihren Kommentar dazu ab. Sie sangen „Bring back that loving feeling“.
Nick sah zu ihnen hin und meinte: „Die finden es offensichtlich gut.“
Bridget lächelte und es überlief sie ein Schauer. Sie war ohne Cape hier herunter gekommen und nun fröstelte sie etwas. Was aber weniger an der Temperatur lag, als an der Reaktion ihres Körpers auf diese wunderbare Situation.
Nick hatte es bemerkt. „Du frierst ja.“
Er zog sein Jackett aus und legte es um sie. Dann liefen sie eng umschlungen wieder in Richtung Country Club. Vor dem Weg zum Gebäude küssten sie sich noch einmal. Es war wie beim ersten Mal. Alles um sie herum verschwand. Der Kuss dauerte fast noch länger als der erste. Bridget wünschte, er würde nie enden. Konnte es so viel Glück geben? Konnte man so etwas empfinden? Sie konnte wirklich nicht mehr zurück. Sie hatte sich hoffnungslos in diesen wunderbaren Mann verliebt. Na warte, Juliet, ihr zu so etwas zu raten. Von wegen darum kümmern wir uns, wenn es passiert. Jetzt war es passiert. Was sollte sie nun tun? Es durfte doch nicht sein. Wie sollte sie ihm das beibringen? Und wie sollte sie selbst damit leben? Sie lösten sich voneinander und gingen Hand in Hand den Weg zum Gebäude hoch.
15.
Sie saß tiefer im Schlamassel als je zuvor. Nicht, dass sie Probleme mit ihrem Sicherheitschef bekommen würde, nein, sie hatte auch noch Probleme mit sich selbst.
Nach diesen unglaublichen Küssen vermischte sich nun dieses wunderbare Glücksgefühl mit einem schlechtem Gewissen und das Ganze getragen von ihrem anerzogenem Pflichtbewusstsein.
Auf der Terrasse angekommen fragte Nick: „Wollen wir uns noch etwas setzen?“
Es saßen nur noch wenige Gäste auf den Stühlen, die sich leise unterhielten. Bridget setzte sich auf einen Stuhl, schüttelte den Sand von ihren Füßen und zog ihre Pumps wieder an. „Es ist schon spät. Ich glaube, es ist jetzt besser, ich fahre nach Hause.“
Aus seinem Gesicht wich alle Farbe: „Das kann doch unmöglich Dein Ernst sein.“ Er setzte sich auf den benachbarten Stuhl. „Du kannst doch jetzt nicht nach Hause wollen?“
Sie sah ihn jedoch ernst an, stand auf und strich ihr Kleid glatt: „Glaub mir, es ist besser so.“
Er stand ebenfalls auf, nahm ihre Hand und sagte laut: „Bridget!“
Die wenigen Gäste drehten die Köpfe zu ihnen.
Nick erschrak und fuhr leiser fort: „Was soll denn das? Wir haben uns soeben geküsst und jetzt willst Du nach Hause?“
Sie nahm ihre Hand zurück und mit einer schwungvollen Umdrehung seines Jacketts zog sie es sich von den Schultern. Das zu tun tat ihr fast körperlich weh. Es zu tragen hatte sich angefühlt wie eine Umarmung von ihm. Es hatte sie nicht nur warm gehalten, es hatte sie auch eine Geborgenheit fühlen lassen, die sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Sie atmete schnell noch den Rest seines After Shaves ein, das von seinem Revers ausging, und gab es ihm dann zurück.
„Wie gesagt, es ist besser so.“ Sie lief so schnell sie in den Pumps elegant laufen konnte in Richtung Eingangstür. Die Tränen schossen ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen. Sie konnte kaum sehen, wohin sie ging.
Er holte sie kurz vor der Tür ein und hielt sie am Arm fest: „Bitte geh nicht.“
Sie blieb ruckartig stehen, wischte die Tränen mit dem Handrücken fort und drehte sich dann zu ihm um: „Bitte, Nick, Du verstehst das nicht, aber ich kann nicht bleiben. Was da eben passiert ist, war das Schönste, was ich je erlebt habe. Bitte lass es eine schöne Erinnerung bleiben und lass mich gehen.“
Jetzt war sein Kampfgeist geweckt. Er zog sie etwas abseits auf die Terrasse, wo niemand mehr saß und hielt sie an beiden Armen fest. „Was soll denn das jetzt? Eine Erinnerung, sagst Du? Ich dachte, das wäre ein Anfang.“
Sie schluchzte: „Es kann kein Anfang sein. Versteh das bitte.“
„Wie soll ich das denn verstehen? Willst Du es mir nicht wenigstens erklären?“
„Ich kann es Dir nicht erklären. Aber glaube mir, Du wirst mir dafür dankbar sein.“
Jetzt wurde er ärgerlich. „Wofür dankbar? Dass Du jetzt gehst? Ich werde Dir alles andere als dankbar dafür sein.“
Sie sah zur Seite und holte tief Luft.
Er fragte: „Du bist doch verheiratet?“ Er ließ sie los. „Wenn es das ist, fahre ich Dich sofort nach Hause. Wenn nicht, dann nenn mir den Grund. Wir schaffen ihn aus der Welt. Zusammen können wir das.“
Es aus der Welt schaffen. Wenn er das sagte, könnte man es fast glauben. Sie schluckte, dann sagte sie mit belegter Stimme: „Ich bin nicht verheiratet.“ Sie senkte den Kopf und fuhr leiser fort: „Aber so gut wie.“ Sie holte tief Luft und sagte lauter: „Es ist kompliziert.“
Nick erstarrte: „Was soll das heißen?“
Sie sah ihn flehentlich an. Er sah die Tränen in ihren Augen, aber jetzt würde er nicht locker lassen. „Ich kann Dir nicht mehr darüber sagen. Bitte begreif das doch endlich. Es ist das Beste, wenn wir uns hier trennen, und zwar für uns beide.“
„Sag mir nicht, was das Beste für mich ist. Jedenfalls nicht, dass Du jetzt gehst, und das ohne Erklärung. Ich will wissen, was der Grund für Dein Handeln ist.“
Sie wurde jetzt böse. Warum konnte er sich nicht zufrieden geben. Er konnte doch jede Frau haben. Was wollte er ausgerechnet von ihr? Sie kannten sich doch kaum. Doch sie wusste, warum. Ihr ging es genauso. Sie wollte ihn und doch konnte sie nicht nachgeben. Er spürte ihren Zwiespalt, wie sie mit sich kämpfte. Die Tränen in ihren Augen straften ihre Worte Lügen. Sie hatte sich genauso in ihn verliebt, wie er sich in sie. Warum nur, hatte sie das zugelassen? Er jedenfalls würde nicht so schnell aufgeben. Sie lief einige Schritte auf der Terrasse hin und her und rieb sich dabei die Hände.
Nick entschied sich für Angriff: „Liebst Du ihn?“
„Wen?“
„Na denjenigen, mit dem Du fast verheiratet bist.“
Sie blieb stehen und sah ihn an: „Warum willst Du das wissen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Neugier.“
Was sollte das jetzt? Wollte er Zeit gewinnen? Es war schon in den frühen Morgenstunden. Simmons war sicher in Alarmbereitschaft. Er würde bestimmt nach ihr suchen. Vielleicht hatte er auch schon Meldung nach Hause gemacht. Nein, es durfte nicht sein. Ihre Gedanken rasten in ihrem Kopf. „Das geht Dich nichts an.“
Er trat auf sie zu, nahm ihre rechte Hand in seine beiden Hände, sah darauf und sagte sehr sanft: „Doch, ich glaube, das geht mich etwas an. Ich liebe Dich nämlich.“ Und nach einer kurzen Pause „Und Du mich.“
Er sah ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick nur kurz stand. Ihr liefen die Tränen über die Wangen. Sie drehte den Kopf zur Seite. „Du kennst mich doch gar nicht.“
„Wenn man den Menschen gefunden hat, der für einen die Welt bedeutet, muss man ihn dann kennen?“ Nick holte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte ihr die Tränen weg. „Oder habe ich nicht Recht?“
Er zog sie an sich und senkte langsam seinen Lippen auf ihre. Zuerst legte er sie nur sanft darauf, dann wurde es ein richtiger Kuss. Sie ließ ihn gewähren. Sie hatte kaum noch Kraft, Widerstand zu leisten. Es wurde ein leidenschaftlicher Kuss, dann fast zornig. Sie war froh, dass er das tat, und gleichzeitig nahm sie es ihm übel. Wie konnte er sie nur so quälen? Sie umarmte ihn, presste ihren Körper an seinen, als wolle sie mit ihm verschmelzen. Er hielt sie fest, als wollte er sie nie wieder los lassen. Dann, als sie den Kuss beendet hatten, hielten sie sich noch einen Moment umschlungen. Sie nahm den letzten Rest von Selbstbeherrschung zusammen.
„Ja, Du hast Recht.“ sagte sie, riss sich von ihm los und rannte in das Gebäude.
„Bridget!“ Er rief ihr nach, aber sie war schon im Haus verschwunden.
Er zögerte kurz, dann nahm er seine Jacke vom Stuhl und ging ihr nach. So wie es aussah, liebte sie ihn, wollte ihnen aber trotzdem keine Chance geben. Warum nur? Was sollte er jetzt tun?
16.
Bridget lief einfach den Flur entlang. Sie kannte sich hier nicht aus. Wo waren ihr Cape und ihre Tasche? Nach ihrer Erinnerung hatte sie beides am Tisch, an dem sie gegessen hatten, liegen lassen. Sie versuchte sich zu orientieren. Die Bar war links von ihr. Sie bog nach rechts und plötzlich stand sie vor dem Raum. Sie sah ihre Sachen noch auf dem Stuhl liegen. Bridget ging hinein, legte sich das Cape um, nahm ihre Tasche und kehrte zurück auf den Flur. Sie schlug die Richtung ein, von der sie annahm, dass sie zur Rezeption führte. Auf dem Weg kam sie an einer Damentoilette vorbei. Sie betrat den elegant eingerichteten Waschraum und stellte sich vor das Waschbecken. Sie stützte sich mit beiden Händen auf den Holztisch, auf dem das Waschbecken stand, sah sich im Spiegel an und heulte drauflos. Wie hatte sie es nur soweit kommen lassen können? Hätte sie die Einladung doch wieder ausgeschlagen. Sie hätte sich und ihm viel Schmerz erspart. Na warte Juliet, du kannst was erleben. Von wegen lebe, bevor es zu spät ist. Wenn sich leben so anfühlte, konnte sie gerne darauf verzichten.
Die Tür ging auf und eine Dame kam herein. Sie lächelte Bridget kurz an und ging dann weiter in den Raum mit den Kabinen. Bridget riss sich zusammen, nahm eines der zusammengerollten Tücher aus dem bereitgestellten Korb und trocknete ihre Tränen. Sie richtete ihre Haare etwas und frischte das Make up auf. Es war nicht einfach. Sie hatte zu viel geweint. Das konnte sie nicht ganz verdecken, doch sie tat, was sie konnte. Als sie mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden war, verließ sie den Waschraum und ging in die Richtung, in der sie die Rezeption vermutete.
Dort wartete Nick bereits. Als sie ihn sah, bog sie vor ihm ab. Sie wollte nicht mehr mit ihm sprechen. Konnte es nicht. Sie konnte schon seinen Anblick kaum ertragen.
Er schnitt ihr den Weg ab: „Komm, ich fahre Dich nach Hause.“ Er nahm sie beim Arm und führte sie nach draußen. Sie ließ es willenlos geschehen. Da stand schon sein Wagen. Er ließ sie einsteigen, schloss die Tür, dann nahm er selbst auf dem Fahrersitz Platz.
17.
Er startete den Wagen und fragte: „Sagst Du mir die Adresse?“
Sie nannte sie ihm. Was spielte es jetzt noch für eine Rolle, geheim zu halten, wo sie wohnte. Sie hatte das Gefühl, nichts spielte mehr eine Rolle. Er gab sie in das Navigationsgerät ein und fuhr los. Sie fuhren schweigend durch die Nacht. Das Schweigen war fast greifbar. Es waberte im Wagen wie dicker Nebel. Es wurde nur kurz von der Stimme des Navigators unterbrochen, um sich dann dicker und unangenehmer wieder auf sie zu senken.
Bridget sah ab und zu verstohlen zu ihm hin. Seine Miene war ausdruckslos. Er kämpfte mit sich. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Als der Navigator meldete, dass sie nach 50 Metern das Ziel erreicht hatten, fuhr Nick den Wagen rechts ran. Er hatte die Hände auf dem Lenkrad liegen lassen und sah nach vorne: „Und was jetzt? War es das wirklich?“
Bridget sah auch nach vorne. In ihrer Welt stimmte nichts mehr. Nichts war mehr gewiss. Diese Nacht hatte alles verändert. Sie nahm allen Mut zusammen: „Ich weiß es nicht.“
Jetzt wurde er ärgerlich: „Was heißt denn das jetzt schon wieder?“
„Dass ich mir nicht mehr sicher bin. Gestern noch war alles klar, vorherbestimmt und geordnet und jetzt fühle ich nur“ Sie suchte nach dem richtigen Wort „Durcheinander, Chaos und Unsicherheit. Ja, Angst.“ Sie wusste nicht, ob sie es gefunden hatte.
„Vorherbestimmt?“ fragte er und sah sie an.
Sie schaute weiter nach vorne. „Ja, vorherbestimmt. Das ist das, was Du nicht verstehst. Mein Leben ist geplant, schon seit meiner Kindheit. Ich habe nur in wenigen Dingen die Freiheit selbst zu entscheiden, was ich tue und was nicht. Dieser Film war eine dieser wenigen Entscheidungen und es hat weiß Gott viel gebraucht, dass ich es realisieren durfte.“ Sie sah ihn jetzt an. „Und ich habe jede Sekunde genossen.“
Er konnte nicht glauben, was er da gehört hatte. „Vorherbestimmt? Wer bestimmt denn Dein Leben? So etwas gibt es heute noch? Das kann ich wirklich kaum glauben.“
Bridget lachte unfroh: „Ja, das kann niemand glauben. Niemand glaubt, dass es so etwas noch gibt, aber so ist es nun mal. Leider.“
Sie sahen sich an. So langsam löste sich bei Nick der Knoten, den er die ganze Zeit in der Brust hatte. Das war also der Grund für ihre Zurückhaltung. Ihre Absagen der ganzen Einladungen. Und für das Verhalten von heute Abend. Es lag nicht bei ihm, es lag bei ihr. Einerseits war er erleichtert. Er nahm ihre Hand.
„Und es gibt keine Möglichkeit, dem zu entkommen?“
Sie lächelte ihn wehmütig an.
„Ich weiß es nicht. Ich bin mit keiner anderen Option aufgewachsen. Ich wurde so erzogen. Ich habe erst seit heute Abend einen Grund, das Ganze in Frage zu stellen.“
Sie beugten sich zueinander und küssten sich. Es war nur ein kurzer, aber sehr liebevoller und zärtlicher Kuss.
„Und wie geht es jetzt weiter?“ fragte er. Fast fürchtete er die Antwort.
„Ich nehme an, dass das Sicherheitsteam um Mr. Simmons mich jetzt so schnell wie möglich nach Hause bringen wird. Mein Rückflug war erst für übermorgen geplant. Wie ich ihn kenne, wird er mich heute schon in das nächste Flugzeug setzen, das nach London fliegt.“
„Und wie geht es mit uns weiter?“
„Willst Du denn nach alldem, dass es noch weiter geht?“
Er fasste sie mit einer Hand um den Nacken, zog sie zu sich und küsste sie. Dieses Mal dauerte es länger.
„Genügt das als Antwort?“
In diesem Moment ging die Autotür auf. Sie schraken auseinander. Mr. Simmons stand davor, hatte die Tür in der Hand und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: „Miss Bridget, würden Sie sich bitte verabschieden und dann aussteigen! Und das ist nicht als Bitte gedacht.“
Sie nahm allen Mut zusammen: „Dann haben Sie bitte die Güte und machen die Tür zu, damit ich mich in Ruhe verabschieden kann.“
Als sie das gesagt hatte, sah sie den Ausdruck in Simmons‘ Gesicht. Er würde mitnichten die Tür schließen und dabei riskieren, dass sie los fuhren.
„Ich verspreche dann mitzukommen.“
Simmons schaute noch grimmiger.
„Ehrenwort.“ sagte Bridget.
Simmons knallte die Tür zu und stellte sich vor den Wagen. Wenn sie los fuhren, mussten sie ihn schon überfahren.
Bridget und Nick sahen sich an und küssten sich leidenschaftlich. Sie wollten die Zeit nutzen, um sich zu spüren. Keiner dachte daran, Vorkehrungen für ein Wiedersehen zu treffen. Die Zeit war zu kostbar. Sie schmiegten sich, so gut es ging, aneinander und versanken in ihrem Kuss, in diesem Meer von Seligkeit. Nach einigen Minuten klopfte Simmons auf die Motorhaube.
Sie lösten sich voneinander und sahen sich in die Augen.
„Ich werde Dich finden.“ sagte Nick und Bridget antwortete: „Und ich werde auf Dich warten.“
Sie waren so selig, dass sie glaubten, sie könnten es mit der ganzen Welt aufnehmen. Nichts würde sie mehr trennen können.
Simmons öffnete die Tür und Bridget löste sich von ihm. Sie stieg aus und sah ihn noch einmal lächelnd an, dann warf Simmons die Tür hinter ihr zu und Nick sah sie mit ihm auf das Tor zu gehen. Das Tor öffnete sich, sie drehte sich noch einmal um und winkte ihm zu, dann verschwand sie darin.
18.
Nick wartete, bis das Tor wieder ganz geschlossen war, dann startete er den Wagen. Er fuhr los, aktivierte das Telefon und rief Agatha an. Es klingelte ein paar Mal, bis sie sich etwas verschlafen meldete:
„Ein Anruf um diese Zeit? Wie darf ich das verstehen?“
Nick war nicht gerade zum Plaudern aufgelegt.
„Tut mir leid. Du musst mir sofort einen Flug auf der ersten Maschine, die heute nach London geht, buchen. Und dort brauche ich einen Mietwagen. Kriegst Du das hin?“
Sofort war Agatha hell wach.
„Geht klar. Ich schicke Dir die Daten auf Dein Handy. Gute Reise.“
„Danke.“
Nick jagte den Wagen über den Highway. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause. Er musste aus diesem Anzug raus und ein paar Sachen holen.
Das Page-Anwesen war ähnlich der Villa, in der Bridget wohnte, nur noch um einiges größer. Das Haus bestand aus einem Hauptbau und zwei Flügeln, Armen, wie sie von der Familie genannt wurden, da sie so an das Haus angebaut waren, als würde das Haupthaus die Arme ausbreiten. Nick bewohnte den Nordflügel, seine Eltern den Südflügel, im Haupthaus waren die Wohnzimmer, Arbeitszimmer, die Küche und Esszimmer. Seine Geschwister wohnten auch im Nordflügel, wenn sie zu Besuch waren.
Früher war es schon so, dass die Kinder den einen, die Eltern den anderen Flügel bewohnten und so hatte man es beibehalten.
Das Haus selbst lag in einem großen Park, der von einem Heer von Gärtnern gepflegt wurde. Ein Pool mit Badehaus und ein Tennisplatz waren sehr harmonisch in das Gelände integriert. Nach Westen endete das Grundstück am Strand direkt am Meer.
Das Anwesen war sehr schön, außerdem für Nick sehr bequem, so dass es ihn nicht dauerhaft aus dem Haus zog. In der Nähe der Firma hatte er noch eine Wohnung, die er benutzte, wenn es mal später wurde, oder er eine Verabredung hatte, die er seinen Eltern nicht zumuten wollte.
Er bog von der Straße in das Anwesen ein, und parkte den Wagen vor dem Haupteingang. Seine Mutter hasste es, wenn die Autos nicht in die Garage gefahren wurden. Aber er brauchte den Wagen sowieso gleich wieder.
Mittlerweile war es früher Morgen. Er lief durch die Eingangstür, durchquerte die Halle und nahm immer zwei Stufen auf einmal die breite Treppe hinauf. In seinem Zimmer angekommen, fing er an, sich im Gehen auszuziehen. Die Krawatte hatte er schon im Wagen abgenommen. Er riss an den Hemdknöpfen. Als die nicht schnell genug aufgingen, streifte er sich ungeduldig das Hemd über den Kopf, gleichzeitig schlüpfte er aus den Schuhen, zog sich schnell die Hose aus und eilte ins Bad. Dort stieg er in die Dusche und stellte sie auf ziemlich heiß.
Er bemerkte nicht, wie jemand an die Tür klopfte.
„Nick, bist Du da?“ Seine Mutter steckte den Kopf zur Tür herein.
Sie war eine große, etwas dralle, gut aussehende Frau. Ihre üppigen glatten braunen Haare hatte sie lässig hochgesteckt, so dass ihr ein paar Strähnen ins Gesicht und auf die Schultern fielen. Sie trug ein langes, mit bunten Blumen bedrucktes Kleid, denn sie liebte Blumen über alles.
Sie ging zur Badezimmertür und klopfte. Sie hörte Wasser rauschen und nickte mit dem Kopf.
„Er ist da.“ sagte sie zu sich und sah die verstreuten Kleider im Zimmer liegen. Sie schüttelte seufzend den Kopf und setzte sich auf das Bett.
„Da hatte es wohl jemand eilig.“
Auf der Kommode neben der Badezimmertür lag sein Handy, das jetzt ein leises Vibrieren von sich gab. Kirstie stand auf und warf einen Blick auf das Handy. Es zeigte eine Nachricht von Agatha an. Sie wunderte sich, dass die Assistentin ihres Sohnes am Samstag so früh morgens eine Nachricht schickte.
Sie hob das Hemd vom Boden auf, stellte die Schuhe zusammen unter die Kommode und hängte Hemd und Hosen über einen Stuhl.
In diesem Augenblick ging die Badezimmertür auf. Nick kam heraus, nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet. Mit einem anderen Handtuch rubbelte er sich die Haare trocken.
„Hallo, Mom.“
„Hallo, mein Schatz. Ich habe geklopft, aber Du hast mich nicht gehört.“
„Wie Du siehst, ich war unter der Dusche.“
Sie lächelte verschwörerisch: „Oh ja, das sehe ich und wie ich noch weiter sehe, warst Du heute Nacht nicht zuhause. Wie war dein Date mit dieser Engländerin?“
Nick hatte weder Zeit noch Nerven, seiner Mutter jetzt alles zu erzählen. Da im Hause Page aber Ehrlichkeit über alles ging, entschied er sich für eine Kurzfassung.
„Mom, hör zu, diese Engländerin, wie Du sie nennst, ist die wundervollste Frau, die ich je getroffen habe. Es war der schönste Abend, den ich bisher mit einer Frau verbracht habe und, wenn ich es recht überlege, auch der interessanteste.“
„Aber Nick, das ist ja wundervoll.“ Kirstie freute sich herzlich für ihren Sohn. „Und weiter?“
„Nichts weiter. Das ist es ja. So wie es aussieht, muss sie heute nach London zurück fliegen.“
„Was? Wieso denn das?“ fragte sie verdutzt.
„Komplizierte Geschichte. Ich mach es kurz: Sie hat ein Leben dort und ich will, dass sie das aufgibt.“
Kirsties Gesicht verlor das Lachen. „Nick, das tust Du nicht. Du kannst sie nicht zwingen, ihr Leben aufzugeben.“
„Nur wenn, sie das auch will. Und ich glaube, das tut sie bereits.“
Kirstie schaute ihren Sohn besorgt an: „Junge, ich hoffe, Du weißt, was du tust.“
Nick hatte sich während des Gesprächs angezogen, eine blaue Jeans, ein weißes Hemd, und einen dazu passenden schwarzen Blazer.
Er streifte sich gerade den Gürtel in die Jeans, als er zu seiner Mutter sagte: „Ja, das hoffe ich auch. Vertrau mir Mom. Ich kann Dir jetzt nicht alles erzählen. Nur so viel: ich fliege heute ebenfalls nach London. Ich gebe sie nicht kampflos auf.“
Kirstie war insgeheim stolz auf ihren Sohn. Er war ein Mann der Tat. Wie sein Vater. Er wollte etwas, ging drauf los und holte es sich. Dafür liebte sie ihn nach über 35 Jahren Ehe unter anderem immer noch.
„Ist Dad da?“ fragte Nick aus dem Badezimmer.
Kirstie überlegte kurz und sagte dann: „Ja, er war vorhin noch in seinem Arbeitszimmer.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Kirstie sagte: „Herein“ und schon streckte Nicks Vater Tom den Kopf zur Tür herein: „Hey, was machst Du denn hier? Ist Nick da?“
Der kam gerade aus dem Badezimmer, nahm sein Handy von der Kommode und sagte: „Hey Dad, ich muss mit Dir reden.“
Sein Vater betrat das Zimmer und sagte in ernstem Ton: „Hey Sohn, trifft sich gut. Ich mit Dir auch. Ich erwarte Dich in meinem Büro.“ Tom drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Nick und Kirstie waren beide über den kühlen Ton von Tom überrascht. Sie sahen sich an. Nick zuckte mit den Schultern und fing an, einige Sachen aus den Kommoden und Schränken zu holen und legte sie aufs Bett.
„Bitte sag Rosa, sie soll mir einen Rucksack mit diesen Sachen und sonst allem Notwendigen packen. Ich gehe zu Dad.“
Er nahm sein Handy und las Agathas Nachricht, der Flug ging um zwei Uhr am Nachmittag, jetzt war es 9.30 Uhr, es war also noch etwas Zeit. Er machte hinter einem Bild einen Tresor auf, holte seinen Reisepass und etwas Bargeld heraus und steckte es in eine Innentasche seines Blazers. Nick hielt seiner Mutter die Tür auf und sie verließen beide das Zimmer.
Kirstie ging schnell dem Zimmermädchen Bescheid sagen, Nick ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Sie trafen beide gleichzeitig im Büro von Vater Page ein. Die Tür war offen.
Tom saß auf der ledernen Couch und stand auf, als Nick und Kirstie hereinkamen. „So, Sohn, ich muss Dir leider etwas sagen, das mir nicht gefällt.“
Kirstie setzte sich auf die Couch, Nick nahm in einem Sessel Platz. Er nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse dann auf den davor stehenden Couchtisch.
Nick schwante nichts Gutes. Diese Anrede hatte sein Vater immer benutzt, wenn er als Kind etwas angestellt hatte. Nick bekam damals, wie auch heute noch, heiße Ohren, wenn er sie hörte. Es bedeutete selten etwas Gute. Tom stand vor der Couch, holte tief Luft und fing an: „Ich habe Deine englische Kunsthistorikerin überprüfen lassen.“
Nicks Miene verdüsterte sich: „Warum?“ „
„Sie kam mir von Anfang an merkwürdig vor.“
„Dad, sie ist Engländerin.“ warf Nick ein.
„Das entschuldigt nicht alles.“ brummte Tom. Er holte hörbar Luft: „Außerdem, kam es Dir nicht auch komisch vor, dass sie von Sicherheitsleuten zur Firma gefahren und abgeholt wurde?“
Tom ging zum Schreibtisch, nahm eine Mappe, die dort lag und brachte sie zu Nick. Er hielt sie ihm hin.
„Was ist das?“ fragte Nick. Er nahm sie nicht.
„Das ist das Ergebnis einer Recherche, die ich bei einem europäischen Privatdetektiv in Auftrag gegeben habe.“
Nick wurde ärgerlich und stand auf: „Du hast was?“
Tom fuhr fort: „Wie gesagt, sie kam mir von Anfang an merkwürdig vor. Und wie sich gezeigt hat, hatte ich Recht damit. Es gibt keine Bridget Malloy, die in Rom, Paris oder London Kunstgeschichte studiert hat.“
Nick hatte das Gefühl, man zog ihm den Boden unter den Füßen weg.
Er wurde aschfahl und schaute von seinem Vater zu seiner Mutter und wieder zurück. Das durfte doch nicht wahr sein. Was stimmte jetzt wieder nicht? Er nahm die Mappe, die ihm sein Vater immer noch hinhielt, öffnete sie und sah hinein. In der Mappe lag das Schreiben einer Privatdetektei. Nick überflog es nur kurz. Dort stand es tatsächlich. Schwarz auf weiß. Er setzte sich wieder, schloss die Mappe und warf sie mit Schwung auf den Tisch.
Kirstie sah, wie sehr ihn diese Mitteilung mitnahm. Es hatte ihn anscheinend ziemlich schwer erwischt. Sie fragte: „Und wer ist diese Frau dann?“
Tom sah sie an. „Das weiß ich nicht. Ich habe den Detektiv nur beauftragt, die Vita, die uns von dieser Frau vorgelegt wurde zu überprüfen. Er hat keine einzige Übereinstimmung gefunden. Es ist alles erfunden. Bridget Malloy gibt es nicht.“
Nick erhob sich, steckte die Hände in die Hosentaschen, ging zum Fenster und schaute hinaus. Der Blick in den Park, der das Haus umgab, hatte ihn bisher immer beruhigt. Diesmal sah er ihn gar nicht. Er murmelte: „Bridget, Bridget, was stimmt eigentlich bei dir?“
Tom wandte sich ihm zu. „Was tun wir jetzt? Ich meine im Hinblick auf den Film. Wie sind wir eigentlich zu ihr gekommen?“
Daran hatte Nick ja noch gar nicht gedacht. Sie hatten sie engagiert, damit sie die geschichtliche Genauigkeit bei der Produktion des Filmes, wie bei der Ausstattung im Auge behielt. Was, wenn sie gar keine Expertin war? Wenn sie einer Betrügerin aufgesessen waren?
Das konnte er nicht glauben. Sie war sehr professionell bei der Arbeit gewesen. Sie hatte viele wertvolle Hinweise gegeben und sie meistens auch noch nachgewiesen. Nick wurde schnell zum Geschäftsmann.
Er drehte sich um und sah seinen Vater an: „Beim Projekt bleibt alles, wie es ist. Ich glaube nicht, dass sie in dieser Hinsicht eine Betrügerin war. Ihre Arbeit war absolut professionell. Wir hatten an der Universität Florenz angefragt, ob sie uns eine Expertin für Da Vinci nennen könnten. Daraufhin hatte sich Bridget Malloy gemeldet. Hast Du noch jemandem von Deinem Verdacht erzählt, oder das Ergebnis dieses Detektivs gezeigt?“
Tom schüttelte den Kopf: „Nein, bis jetzt nicht. Ich wollte es erst Dir zeigen. Ich weiß nicht, ob es klug ist, es dabei zu belassen.“
„Doch, wir belassen es dabei. Wir haben bis jetzt zu viel Geld in das Projekt gesteckt, als dass wir es jetzt noch ohne großen Aufwand ändern könnten. Wenn Du das nicht gemerkt hättest, hätten wir fertig gedreht, sie wäre zum Grobschnitt nochmals dazu gekommen. Keiner hätte was bemerkt.“
„Ja, aber jetzt wissen wir es.“ wandte Tom ein.
„Was wissen wir? Dass ihr Name nicht Bridget Malloy ist. Und den Rest finde ich raus.“
„Wie willst Du das machen?“ So gefiel Tom sein Sohn. Obwohl er nicht ganz damit einverstanden war, was nun geschehen sollte.
„Wie Ihr wisst, war ich gestern mit ihr essen. Es war ein wundervoller Abend.“ Nick meinte, die Karten jetzt auf den Tisch legen zu müssen. Die Lage war zu ernst. „Wenn er auch etwas holprig angefangen hatte.“
„Was meinst Du mit holprig?“ fragte Kirstie neugierig. Sie wollte es jetzt genau wissen.
Nick sah auf die Uhr. Etwas Zeit hatte er noch. Er und Tom setzten sich wieder und Nick fing an zu erzählen. Er erzählte den Ablauf des Abends in groben Zügen und schloss mit den Worten: „Um zwei Uhr heute Nachmittag geht mein Flug nach London. Ich hoffe, sie ist ebenfalls im Flugzeug. Dort werde ich dann weitersehen. Wenn nicht, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.“
„Hältst Du das wirklich für richtig? Mir kommt das alles sehr mysteriös vor und ich weiß nicht, ob ich des Rätsels Lösung kennen möchte.“ Tom sah Nick eindringlich an. Er sah das Projekt in Gefahr und das gefiel ihm absolut nicht.
Nick war umso entschlossener: „Und ob ich das für richtig halte. Jetzt möchte ich erst recht wissen, wer sie ist.“
„Na schön. Ich fahre Dich zum Flughafen.“ sagte Tom.
Sie standen alle auf. Kirstie umarmte ihren Sohn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Mach‘s gut, mein Schatz.“
Er umarmte sie und küsste sie ebenfalls auf die Wange „Danke Mom. Ich bin bald wieder da.“
In der Eingangshalle stand schon sein fertig gepackter Rucksack. Er schlüpfte mit einem Arm durch die Riemen und hievte ihn sich auf die Schulter, verließ das Haus und stieg zu seinem Vater ins Auto.
19.
Als sich das Tor hinter Bridget und Simmons schloss, überkam Bridget plötzlich ein ungutes Gefühl. Wie sollte Nick sie denn finden? Er kannte doch noch nicht einmal ihren richtigen Namen. Und sie glaubte auch nicht, dass sie nach der heutigen Nacht noch einmal herkommen und ihre Arbeit am Film beenden durfte. Leise Panik stieg in ihr auf. Ihre Ohren begannen zu rauschen. Sie hatte nicht mal mehr seine Handynummer. Ihr Handy hatte sie ja aus dem Fenster geworfen. Obwohl, sie konnte ihn vielleicht über Agatha erreichen. Wenn es ihr jemals wieder gelingen sollte, ungestört zu telefonieren.
Sie gingen durch die Eingangstür in die Halle. Bridget wollte abbiegen auf die Treppe nach oben, doch Simmons hielt sie am Arm fest und zog sie in eines der großen Wohnzimmer.
Er war sichtlich mieser Laune. „Bitte sehr, Mylady. Wir haben zuerst zu reden.“
Sie betraten den großen Raum, der auf der Gartenseite von einer riesigen Fensterfront begrenzt war. Die deckenhohen Fenstertüren waren eingerahmt von hellen Vorhängen. An der Stirnseite beherrschte ein großer weißer Kamin aus Marmor die Wand. Über ihm hing ein riesiger Spiegel. Davor standen etliche Sofas mit dicken blau-weiß-gold gestreiften Polstern. Simmons führte Bridget zu einem der Sofas. „So, bitte Platz zu nehmen.“ Bridget setzte sich. „Und nun höre ich.“
„Was wollen Sie denn hören?“ Bridget gab sich selbstsicherer, als sie war, aber sie hatte nicht die geringste Lust auf dieses Verhör. Sie kannte das Prozedere von früher schon. Man zwang sie zu „beichten“ und dann wurde alles schnell wieder gerade gebogen. Beweise verschwanden und Zeugen wussten plötzlich von nichts mehr, als hätte es die Begebenheit nie gegeben. Dazu war sie diesmal aber nicht bereit.
Simmons konnte sich nur mit Mühe beherrschen nicht zu schreien: „Was passiert ist, will ich wissen.“
Bridget erhob sich: „Verzeihen Sie, aber das geht Sie nichts an.“
Simmons trat zu ihr: „Und ob mich das was angeht. Also gut, dann anders. Wo waren Sie? Wohin sind Sie gefahren, nachdem Sie uns abgehängt haben?“ Es kostete ihn sichtlich Überwindung das zuzugeben.
Bridget setzte sich wieder und schlug einen ruhigen neutralen Ton an: „Es tut mir leid, Mr. Simmons. Ich werde Ihnen, was den gestrigen Abend angeht, keine Auskunft geben.“ Sie blickte ihn herausfordernd an.
Simmons beherrschte sich mühsam: „Nun denn, auch gut.“ Er gab Alfred, der die ganze Zeit an der Tür gestanden hatte, einen Wink. Der nickte und ging aus dem Zimmer. „Ich habe London über Ihr Verschwinden informieren müssen. Dort war man nicht sehr amüsiert.“
Bridget musste trotz allem lächeln. „Das kann ich mir vorstellen. Dann wird’s wohl nichts mit der nächsten Gehaltserhöhung.“
Simmons überging die Bemerkung. „Wir fliegen noch heute nach Hause. Ihr Vertrag mit der Firma wird gekündigt. Die Arbeit dort wird wohl jemand anders erledigen müssen.“
Bridget hörte es und sah ihre Befürchtungen bestätigt. Genauso hatte sie es sich vorgestellt. Aber ein Gutes hatte es. Wenn man schon weiß was kommt, ist man nicht mehr überrascht.
„Ihr Gepäck wird schon gepackt. Bitte gehen Sie jetzt nach oben und machen sich reisefertig. Wir fahren gegen elf Uhr zum Flughafen. Das Flugzeug geht um zwei Uhr nachmittags.“ Bridget stand auf und ging nach oben. Sie war insgeheim etwas stolz auf sich. Diesmal hatte sie nichts erzählt. Sie ging in ihr Zimmer und sah sich um. Ein Mädchen stand am Schrank, legte ihre Kleider zusammen und in einen Koffer. „Guten Tag Miss.“ sagte das Mädchen. „Was möchten Sie für die Reise anziehen?“
Bridget konnte gerade keinen Gedanken dahingehend fassen, was sie anziehen wollte. Sie sagte: „Bitte legen Sie mir eine Hose und eine Bluse heraus. Egal welche. Und eine passende Jacke. Ich gehe ins Bad.“
„Jawohl, Miss.“
Bridget ging ins Badezimmer und gleich zur Palme. Natürlich, das Handy war weg. Man hatte wohl gestern Abend ihre Zimmer auf den Kopf gestellt und kein Fleckchen ausgelassen. Sie warf ihre Kleider von sich und stieg unter die Dusche. Als sie wieder in ihr Zimmer kam, war das Mädchen verschwunden und die frischen Sachen lagen auf einem Stuhl. Bridget hatte sich ein Handtuch umgewickelt, legte sich auf das Bett und drehte sich auf die Seite. Sie wusste nicht, ob sie heulen oder lachen, sich freuen oder ärgern sollte. Sie fühlte in ihrem Inneren eine Seligkeit, wenn sie an Nick dachte. Ob es ihm genauso ging? Sie wusste es nicht, hoffte es jedoch. Vielleicht war es ihm doch zu viel, was er gestern mit ihr erlebt hatte? Nein, bestimmt nicht. Sie war nicht sicher, was passieren würde. Nur eines war sicher. Sie musste zurück nach London. Man brachte sie weg von hier, weg von Nick. Dem Liebsten, was sie auf der Welt gefunden hatte. Sie hoffte, dass er Wort halten und sie finden würde. Sie erkannte, was die Liebe ausmachte: Hoffnung.
20.
Bridget und Simmons betraten den Bereich der ersten Klasse des Flugzeuges als Letzte. Die anderen Passagiere saßen schon alle auf ihren Sitzen. Dies war aus Sicherheitsgründen immer so. Die Flugzeugtüren schlossen sich unmittelbar hinter ihnen. Die Sitzplätze der ersten Klasse waren nur etwa knapp zur Hälfte besetzt. Ein gutaussehender Steward führte sie zu ihren Plätzen. Simmons saß schräg hinter Bridget. So konnte er sie besser im Auge behalten. Er freute sich auf den Flug. Im Flugzeug konnte ja nichts passieren. Sie konnte schlecht unterwegs aussteigen.
Er flog diesmal allein mit ihr. Die amerikanischen Sicherheitsleute waren nur für den Aufenthalt in den Staaten angeheuert worden. In London würde man sie dann von den eigenen Leuten abholen lassen.
Jetzt freute er sich erst mal auf eine Mütze voll Schlaf. Die konnte er gut gebrauchen. Er machte es sich bequem und noch bevor das Flugzeug abhob, war er eingeschlafen.
Bridget setzte sich bequem hin und betrachtete die Kabine. Das war es also. Ihr Abenteuer war zu Ende. Ihr stiegen beinahe die Tränen in die Augen, aber sie kämpfte sie nieder. Sie wollte nicht in der Öffentlichkeit weinen.
Sie sah nach hinten, Simmons hatte die Augen geschlossen. Schlief er, oder wollte er nur, dass sie das dachte? Aber was hätte sie hier tun können? Sie hatte kein Handy und abhauen konnte sie auch nicht. Gefangen im Käfig, dachte sie. Das Motto meines Lebens. Sie sah sich in der Kabine um und betrachtete die anderen Passagiere, beziehungsweise, was man von ihnen sah. Kaum halbe Köpfe, die über die Rückenlehnen ragten. Als das Flugzeug seine Reisehöhe erreichte, kamen die Stewardessen und fragten, ob sie etwas anbieten durften. Bridget bestellte sich nur ein Wasser und schaltete lustlos den Bordcomputer vor sich an. Was sollte sie sonst die nächsten Stunden tun? Grübeln? Nachdenken, wie es weitergehen würde? Sie hätte doch nur schlechte Gedanken gehabt und dadurch auch noch miese Laune bekommen. Ihre Stimmung und das selige Gefühl in der Magengegend wollte sie sich aber um keinen Preis verderben lassen. Da ließ sie sich lieber von einem Film ablenken. Sie wählte einen Film über Robin Hood. Als er anfing, sah sie, dass er von Nicks Produktionsfirma hergestellt worden war. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Omen? Egal, sie schaute ihn sich an.
Während der Film lief, ging plötzlich ein Mann an ihr vorbei. Sie sah es nur aus den Augenwinkeln. In diesem Moment fiel ihr ein Stück Papier in den Schoß. Sie wollte schon protestieren, bewarf sie da etwa jemand mit Müll? Aber der Mann war schon wieder zu seinem Sitz zurückgegangen.
Sie betrachtete das Papier und stellte fest, dass es ein zusammengefalteter Zettel war. Sie entfaltete ihn und las: in zehn Minuten WC vorne links. Bridgets Herz klopfte bis zum Hals: Nick! Durfte das wahr sein? Er war hier im Flugzeug. Das Glück schwappte über sie.
Sie drehte sich zu Simmons um. Der schlief selig und hatte nichts mitbekommen. Die Stewardess hatte ihn mit einer Decke zugedeckt. Sie sah auf die Uhr. Die Zeiger bewegten sich viel zu langsam. Die zehn Minuten dauerten ewig. Das konnte auch Robin Hood nicht ändern. Kurz bevor die Zeit um war, erhob sich ein Mann weiter vorne von seinem Platz und ging zum WC.
Bridget sah auf die Uhr. Endlich, es war soweit. Sie erhob sich und ging den Gang entlang, öffnete die Tür der Toilette und ihr Herz hüpfte vor Freude. Schnell zog sie die Tür zu und fiel geradewegs in Nicks Arme. Er saß auf der geschlossenen Toilette und zog sie auf sich. Sie küssten sich, lachten, hielten sich eng umschlungen und küssten sich wieder.
Als sie wieder zu Atem kamen keuchte Bridget: „Du bist verrückt.“
„Ja, mein Schatz, nach Dir.“
„Und was jetzt?“
Nick streckte sich: „Ich habe einen Plan, aber Du musst mir dabei helfen.“
Bridget war selig, das zu hören. Sie hatte Recht behalten: Mit ihm war alles möglich, vielleicht sogar das Unmögliche. „Lass hören.“
„Wie geht das Aussteigen bei Dir vonstatten?“
„Normalerweise fährt eine Limousine auf das Rollfeld und wir steigen als Erste aus.“
Nick dachte nach; „Das ist schlecht. Zu wenig Zeit.“
„Ich könnte etwas Zeit herausschlagen, indem ich sage, sie müssten nochmals anhalten, mir ist schlecht und ich müsste dringend zur Toilette.“
„Kriegst Du das hin?“
Bridget nickte: „Ja, ich glaube schon. Und dann?“
„Agatha hat mir einen Mietwagen besorgt. Mit dem könnten wir dann das Flughafengelände verlassen. Glaubst Du, Du schaffst es bis zum Mietwagenschalter?“
„Welchen?“
Nick zog sein Handy aus der Jackentasche und tippte ein paar Mal darauf herum.
„Car rent. Ist am westlichen Ausgang.“
Bridget lächelte ihn an: „Ich werde es jedenfalls probieren.“
„Ok, ich warte dort auf Dich. Ich kenne mich aber in diesem Teil der Welt nicht aus. Weißt Du, wohin wir fahren können? Wir bräuchten zuerst einmal einen sicheren Unterschlupf.“
Bridget dachte kurz nach, dann fiel ihr etwas ein. Sie hatte den perfekten Ort dafür. Etwas weit entfernt, aber machbar.
„Da weiß ich was. Ist ein Stück zu fahren, aber ich glaube, sicher.“
Sie küssten sich lange und zärtlich. Bridget ließ sich fallen und genoss das warme Gefühl, das sich in ihr breit machte. Wie wunderbar er sich anfühlte. Heute Morgen noch hatte sie befürchtet, dass sie sich niemals wieder sehen würden. Und jetzt war er hier. Sie wollte nicht weiter denken. Ließ es einfach geschehen. Als sie sich voneinander lösten, sahen sie sich in die Augen.
Sie flüsterte: „Wir brauchen aber noch einen Plan B. Was, wenn es nicht klappt?“
Nick dachte kurz nach. Dann sah er sie fast schelmisch lächelnd an: „Ganz einfach, dann warte ich in den nächsten Tagen um zehn Uhr morgens am westlichen Beichtstuhl in der Westminster Abbey.“
Bridget lachte: „ Oh, Nick. Mit Dir hört sich das alles so einfach an. Ich muss jetzt wohl zurück? Simmons hat zwar den Anschein erweckt zu schlafen, aber ich traue ihm nicht.“
Sie küssten sich immer wieder.
„Ja, musst Du wohl.“
Bridget stand auf. Er hielt sie an der Hand: „Noch eins.“
Sie machte wieder einen Schritt zurück: „Ja?“
„Wie heißt Du?“ Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt.
Das versuchte Lächeln misslang ihr: „Du weißt es?“
Nick wurde ernst: „Ich weiß nur, dass Du nicht Bridget Malloy bist. Es gibt keine Bridget Malloy mit dem Lebenslauf, den Du uns vorgelegt hast.“
Was jetzt? Sie war drauf und dran mit diesem wunderbaren Mann durchzubrennen. Jetzt musste Ehrlichkeit sein, zumindest ein kleines bisschen: „Bridget stimmt. Malloy ist ein abgewandelter Name. Er musste herhalten, damit ich dieses Projekt machen konnte. Bitte, Nick, das ist alles kompliziert. Ich werde es Dir erklären, wenn wir in Sicherheit sind. Ich verspreche es.“
„Ein abgewandelter Name?“ fragte er ungläubig.
„Ja, bitte, ich erkläre es Dir später. Vertrau mir einfach.“
Nick schüttelte den Kopf: „Ich muss total verrückt sein. Aber gut. Ich vertraue Dir.“
„Danke. Ich liebe Dich.“ Sie küssten sich noch einmal, dann schlüpfte Bridget aus der Tür.
Nick sah in den Spiegel und sagte zu sich selbst: „Ich muss wirklich total verrückt sein.“
21.
Das Flugzeug setzte nach ruhigem Flug pünktlich in London Heathrow auf. An der parking position fuhr eine schwarze Limousine vor. Bridget und Simmons, der gut geschlafen hatte, deshalb aber nicht besserer Laune war, wurden als erstes von Bord gebeten. Sie stiegen die Gangway hinab und schon sprang ein Sicherheitsbeamter aus dem Wagen, der die Wagentür aufriss. Bridget und Simmons nahmen auf der Rückbank Platz. Sogleich setzte sich der Wagen in Bewegung. Sie stöhnte leise.
Simmons sah sie an: „Geht es Ihnen nicht gut?“
Bridget hielt sich den Bauch und verzog das Gesicht: „Nein, ich habe Bauchschmerzen.“
Vor Aufregung stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Sie war es nicht gewohnt, so dreist zu lügen. Der Schweiß konnte aber auch hilfreich sein. Sie tat etwas, das sie niemals für möglich gehalten hätte. Sie hatte sich verliebt, in einen Amerikaner. Das war in ihrem geplanten Leben nicht vorgesehen. Sie wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte. Nick würde es schon wissen. Sie verließ sich einfach auf ihn.
Simmons sah sie an: „Sie schwitzen ja.“
„Mir ist wirklich nicht gut.“ Es war nicht ganz gelogen. Sie fühlte ein flaues Gefühl im Magen und ihr war tatsächlich der kalte Schweiß ausgebrochen. Sie wartete, bis der Wagen im Bereich des Flughafengebäudes war.
„Könnte ich bitte nochmals eine Toilette aufsuchen?“ fragte sie.
Er klopfte an die Scheibe zum Fahrer. Der ließ die Scheibe herunter.
Simmons sagte: „Bitte fahren Sie zum Gebäude. Wir brauchen eine Toilette und zwar schnell.“
Der Fahrer nickte und die Scheibe schloss sich wieder. Bridget stöhnte erneut. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, als der Wagen am westlichen Flughafengebäude hielt. Sie beobachtete unauffällig die Umgebung und versuchte sich zu orientieren. Der Fahrer hielt ihr die Wagentür auf und sie stieg aus. Als sie das Gebäude betrat, folgte Simmons dicht hinter ihr. Im Inneren des Gebäudes suchte sie die Schilder zur Toilette. Es dauerte nicht lange und sie fand eine. Als sie die Örtlichkeit betreten wollte, hielt Simmons sie zurück: „Moment bitte.“
Er wollte hineingehen, doch sie sah ihn ungläubig an: „Das wollen Sie doch nicht wirklich tun?“
Simmons schnaubte, öffnete dann aber die Tür und ließ sie eintreten. Sie lief durch den Vorraum, an dem rechts und links Waschbecken angebracht waren, suchte sich eine Kabine aus, betrat diese und schloss ab. Jetzt musste sie etwas auf Zeit spielen.
Nick musste erst die Wagenschlüssel holen. Das konnte ein bisschen dauern. Dann musste sie sehen, wie sie Simmons abschüttelte. Das würde weniger einfach werden.
Nach etwa zehn Minuten kam Simmons herein und rief nach ihr: „Mrs. Malloy?“ Er benutzte ihren Decknamen. „Wo sind Sie? Wie geht es Ihnen? Kann ich etwas für Sie tun?“
Er hatte es tatsächlich gewagt, die Damentoilette zu betreten. Der Kerl hatte wirklich keine Skrupel.
Bridget stöhnte: „Mir geht es noch nicht gut. Ich brauche noch ein paar Minuten.“
„Ich warte wieder draußen. Soll ich einen Arzt rufen?“
Bridget erschrak: „Nein, nein. Ich glaube es geht gleich wieder. Geben Sie mir nur noch ein bisschen Zeit.“
Da hörte Bridget eine Dame ungehalten sagen: „Sie wissen schon, dass dies hier die Damentoilette ist? Was fällt Ihnen ein, sie zu betreten?“
Simmons knurrte nur ein „Verzeihung.“ und die Tür fiel wieder zu.
Die Dame regte sich noch etwas auf, als Bridget eine Idee kam. Sie ging vorsichtig nachsehend, ob Simmons auch wirklich die Toilette verlassen hatte, aus der Kabine und sah eine sehr vornehme Dame in einem dunkelblauen Kostüm, die an einem Waschbecken stand und sich gerade ihre Frisur richtete. Bridget ging zum Waschbecken und fing an sich die Hände zu waschen. Sie sah die Dame von der Seite an und begann: „Habe ich das eben richtig bemerkt? War ein Mann hier drin?“
Die Dame hielt in ihrer Bewegung inne und sah Bridget an: „Ja, man stelle sich das vor. Nicht mal mehr vor der Gelegenheit machen die Kerle halt. Unerhört.“
Sie fuhr fort mit ihrer Frisur.
Jetzt oder nie, dachte Bridget: „Ich glaube, der Mann ist auf der Suche nach mir. Er hat mich schon die ganze Zeit, seit ich auf dem Flughafen bin, verfolgt. Ich wollte nur meine Eltern abholen, aber die haben Verspätung und deshalb warte ich hier schon seit zwei Stunden. Ich habe schon länger bemerkt, dass mich jemand beobachtet. Hatte er einen dunklen Anzug an, graues Haar, etwas älter schon und einen Handychip am Ohr?“
Die Augen der Dame wurden immer größer: „Ja, genau, so sah er aus. Sie müssen zur Polizei gehen.“
„Ich fürchte, die werden nichts tun. Nur weil ich etwas vermute, wird niemand etwas unternehmen.“
Die Dame empörte sich immer mehr: „ Wirklich unerhört. Was man sich bieten lassen muss.“
Und jetzt legte Bridget nach: „Würden Sie mir helfen, ihn zu überlisten?“
Die Dame, froh helfen zu können, ereiferte sich: „Aber ja. Was kann ich tun?“
„Ich werde mich jetzt hinter der Eingangstür verstecken. Wenn er tatsächlich wieder hereinkommt, lassen Sie ihn in den Raum mit den Kabinen gehen. Wenn er darin ist, verwickeln sie ihn, so lange es geht, in ein Gespräch. Ich werde derweil versuchen, mich aus dem Staub zu machen.“
„Guter Plan. Verstecken Sie sich.“
Bridget quetschte sich hinter die Tür, die Dame ging in den Kabinenraum und schon ging die Tür auf. Simmons kam herein und ging, als er Bridget nicht im Raum bei den Waschbecken sah, weiter in Richtung Kabinen. Bridget schlüpfte durch die Tür und lief ruhig nach rechts. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, musste zuerst sehen, welche Richtung die richtige war, aber sie durfte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen. Sie ging ruhig weiter, einfach gerade aus. Anhand der Schilder versuchte sie zu bestimmen wo sie war und wohin sie musste. Sie musste nur schnell so weit wie möglich von der Toilette weg. In diesem Bereich des Flughafens war sie noch nie gewesen. Plötzlich sah sie ein Schild, das die ankommenden Passagiere auf Autovermietungen hinwies. Sie folgte schnellen Schrittes der Richtung, in die das Schild wies und hoffte inständig, dass es der richtige Ausgang war.
Simmons hatte indessen ein kurzes Gespräch mit der hilfsbereiten Dame. Sie beschimpfte ihn noch einmal und er untersuchte derweil die Kabinen.
Als er merkte, dass Bridget nicht mehr hier war, herrschte er die Dame an: „Was hat Sie Ihnen erzählt?“
Plötzlich war es ihr nicht mehr so wohl in ihrer Haut. Sie antwortete: „Dass Sie sie verfolgen würden.“
Simmons wusste alles. Sie hatte ihn schon wieder reingelegt. Er wurde wohl alt. Er lief aus der Toilette und sah sich um. Er sprach in das Mikrofon, das unter seinem Revers versteckt war: „Achtung, an alle: Lady Bridget ist weg. Sofort das ganze westliche Ankunftsgebäude absuchen. Aber unauffällig. Weit kann sie noch nicht sein. Treffen uns am Meeting Point.“
Vor dem Gebäude stand die Limousine, mit der sie abgeholt worden waren. Dahinter stand ein schwarzer Jeep. Aus beiden Wagen stiegen Männer mit schwarzen Anzügen und Ohrsteckern aus, die das Gebäude betraten und sofort in alle Richtungen ausschwärmten.
22.
Nick stieg aus dem Flugzeug aus. Er betrat mit den anderen Passagieren das Ankunftsgebäude und erledigte die Zollformalitäten. Obwohl alles ziemlich flott voranging, dauerte es ihm zu lange. Alle paar Minuten sah er auf die Uhr und wunderte sich, dass immer nur so wenig Zeit vergangen war. Das Gelingen ihres Plans hing viel vom Timing ab. Und würde Bridget es schaffen, den Mietwagenschalter zu erreichen? Sie hatte sich noch nie auf einem Flughafen zurechtfinden müssen, geschweige denn einen Schalter finden. Und Heathrow war riesig. Endlich stand er vor dem Tresen der Autovermietung und nahm seinen Schlüssel in Empfang.
Er war so konzentriert mit der schnellen Abwicklung der Formalitäten beschäftigt, dass ihm nicht auffiel, was um ihn herum vorging. „Ich hätte noch ein attraktives Upgrade für Sie, Mr. Page. Darf ich es Ihnen mal zeigen?“
Der freundliche Herr von der Autovermietung tat nur seinen Job. Er musste das jeden Kunden fragen, der vorgebucht hatte.
Nick hatte dafür aber im Moment gar kein Verständnis. Er beherrschte sich jedoch, lächelte und sagte: „Nein danke, geben Sie mir einfach, was gebucht ist.“
Der Angestellte lächelte nicht mehr so freundlich, gab Nick die Schlüssel, zeigte ihm, wo er unterschreiben musste und erklärte, wo der Wagen stand.
Endlich war alles erledigt und er konnte sich nun umsehen, wo Bridget blieb. Neben der Autovermietung war ein Starbucks. Er holte sich, um nicht aufzufallen, einen Espresso und blieb vor dem Eingang des Starbucks an einem Tisch stehen.
Bridget sah ihn schon von Weitem. Ihr Herz machte einen Sprung vor Freude, als sie ihn da stehen sah. Er hatte sie noch nicht bemerkt, entspannte sich kurz und gab sich in diesem Moment ganz seinem Espresso hin.
Er wollte nicht daran denken, ob es richtig ist, was er tat, sich auf ein Abenteuer einzulassen, mit einer Frau, die er nicht kannte. Ein Abenteuer, das einer Flucht glich und er wusste noch nicht mal, wovor sie flüchteten. Auf die Erklärung war er gespannt. Diese Gedanken waren ihm während des Fluges dauernd in irgendeiner Form durch den Kopf gegangen.
Wenn er sich doch nur nicht so schrecklich in sie verliebt hätte. Wenn er an sie dachte, sah er ihre wunderschönen grünen Augen, die so einen traurigen Schimmer hatten, ihr seidiges braunes Haar, in das er seine Nase beim Tanzen versenkt hatte, hörte ihr Lachen, als er ihr von seiner Familie erzählte, spürte ihre schlanke Figur, die sie immer unter Jeans und weiter Bluse versteckt hatte und ihren ersten Kuss. Ein Kuss, den er sich nicht erträumt hatte. Er hatte so etwas noch nicht erlebt und er hatte schon einige Freundinnen gehabt. Aber keine war auch nur annähernd wie sie. Bei keiner hatte er je so etwas gefühlt, wie bei ihr. Trotz aller Widrigkeiten hatte es sich richtig angefühlt. Ja, er glaubte schon, dass sie alle Aufregung wert war.
23.
Bridget lief so schnell es die vielen Leute, die hier unterwegs waren, zuließen, in seine Richtung. Plötzlich erstarrte sie und blieb stehen. Sie sah zwei Männer in Uniform, Flughafenpolizei, auf Nick zugehen.
Sie sprachen in ihre Mikrofone und gingen dann direkt zu ihm. Nick hatte gerade auf die Uhr gesehen und sah die beiden Beamten erst, als sie direkt vor ihm standen.
Einer der Beamten, nach dem Aufdruck auf seinem Hemd ein Mr. Hubbard, sagte zu ihm: „Mr. Nick Page?“
Er sah hoch und antwortete: „Ja.“
„Wir müssen Sie bitten mit uns zu kommen. Bitte folgen Sie uns widerstandslos und vermeiden Sie Aufsehen. Das ist in unser aller Interesse.“
Nick war überrascht, fing sich aber gleich: „ Was liegt denn gegen mich vor?“
Die beiden Polizisten sahen sich an, dann fuhr Mr. Hubbard fort: „Das klären wir in unserem Büro. Bitte kommen Sie jetzt einfach mit.“
Nick war nicht bereit, der Aufforderung zu folgen. Polizei, das ging dann doch zu weit.
„Ich komme auf keinen Fall mit, bevor Sie mir nicht gesagt haben, was Sie von mir wollen.“
Mr. Hubbard versuchte es noch einmal: „Wir haben nur den Befehl, Sie umgehend in unser Büro zu bringen. Alles Weitere wird unser Chef Ihnen sagen.“
Nick sah ein, dass er die beiden Polizisten nicht so ohne Weiteres los wurde. Er würde wohl mitgehen müssen.
„Also gut.“
Die beiden Polizisten sahen sich an und atmeten merklich auf. Sie fühlten sich nicht ganz wohl in ihrer Haut. Sie hatten den Auftrag erhalten, diesen Amerikaner auf ihre Dienststelle zu bringen, man hatte ihnen aber nicht gesagt, warum. Nick schulterte seinen Rucksack, die beiden Beamten nahmen ihn in ihre Mitte und sie gingen los.
Einige Umstehende, die die Szene beobachtet hatten, lächelten bedauernd, andere grinsten schadenfroh. War wohl wieder einer, der anscheinend etwas Verbotenes mit sich führte. Geschah ihm recht. Selbst schuld, wenn er sich erwischen ließ.
24.
Bridget sah die Szene aus einiger Entfernung. Sie blieb mitten zwischen den vielen Menschen, die hier unterwegs waren, stehen. Ihre Gedanken rasten. Simmons! Wieder mal. Wahrscheinlich hatte er die Flughafenpolizei alarmiert und die hatten die Passagierliste gecheckt.
Sie hatten bestimmt auch schon die Autovermietungen überprüft und wussten, dass Nick einen Wagen gebucht hatte. Jetzt hatten sie ihn.
Sie musste sich etwas einfallen lassen und zwar schnell. Sie folgte den Dreien in einiger Entfernung. Gleichzeitig musste sie aufpassen, dass sie nicht ihren eigenen Verfolgern in die Arme lief. Simmons hatte bestimmt schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu finden.
Die Wanderung ging durch die ganze Ankunftshalle, vorbei an den vielen Geschäften, Getränkeständen und sonstigen Läden. Vor einer unscheinbaren Tür, neben der ein kleiner Magnetscanner mit Zahlentastatur hing, stoppten sie. Einer der Polizisten tippte einen Code in das Gerät, die Tür ging mit einem lauten Klicken auf und die Beamten verschwanden mit Nick hinter der Tür. Die Tür ging automatisch wieder hinter ihnen zu. Bridget rutschte das Herz in die Kniekehle. Sie hatte ihn verloren. Was sollte sie jetzt tun?
25.
Die Beamten brachten Nick hinter der Tür, die ins Freie führte, zu einem Wagen.
„Bitte steigen Sie ein.“ Sagte Mr. Hubbard und hielt ihm die Tür auf.
Nick nahm im Wagen auf der Rückbank Platz, Mr. Hubbard setzte sich zu ihm, der andere Polizist setzte sich auf den Fahrersitz, startete den Wagen und sie fuhren los.
Der Wagen fuhr unter Gebäuden, zwischen Flugzeugen, auf aufgemalten Straßen und an viel Personal des Flughafens vorbei. An einem Gebäude, Nick hatte mittlerweile die Orientierung verloren, hielt der Wagen an und sie stiegen aus. Vor ihnen war wieder eine unscheinbare Tür mit Zahlenschloss. Mr. Hubbard gab wieder einen Code ein, die Tür schwang auf und sie traten ein. Durch ein Labyrinth von Gängen und Treppen ging es ins Innere des Gebäudes.
Nick dachte schon, es würde kein Ende nehmen, da öffnete sich eine Tür und sie betraten ein modern eingerichtetes Büro. Hinter dem Schreibtisch saß ein hagerer älterer Mann, mit freundlichem Gesicht, weißen Haaren und im grauen Anzug. Er erhob sich, als die Beamten mit Nick eintraten und ging mit einem freundlichen Lächeln und ausgestreckter Rechten auf Nick zu.
„Ah, da sind Sie ja. Mr. Page, nehme ich an.“ Und an die Beamten gewandt: „Danke meine Herren, Sie können gehen.“
Er schüttelte Nick die Hand: „Mein Name ist Reefs, bitte setzen Sie sich.“ Er zeigt auf die lederne Sitzgruppe, die neben dem Schreibtisch stand.
Nick hatte keine Lust auf Höflichkeiten. Er blieb stehen: „Warum bin ich hier? Hier bei Ihnen, meine ich?“
Reefs ging zu einem kleinen Beistelltisch und fragte: „Darf ich Ihnen etwas anbieten? Tee, Kaffee, Wasser oder etwas Stärkeres?“
Nick riss sich sichtlich zusammen: „Nein, danke. Ich wiederhole: Warum bin ich hier?“
Reefs kam wieder auf ihn zu und sagte: „Sie wissen es nicht?“
„Nein, sonst würde ich nicht fragen.“
„Das ist jetzt erstaunlich. Ich dachte, das wäre offensichtlich.“ Erwiderte Reefs, drehte sich um, ging um seinen Schreibtisch und setzte sich wieder.
„Ist es nicht, also?“
Er stütze die Ellenbogen auf und faltete die Hände: „Mr. Page, Sie pflegen, sagen wir mal, eine Bekanntschaft zu einer Dame.“ Er machte eine Pause.
„Und?“ fragte Nick.
„Es gibt hier bei uns in England Personen, die stehen unter besonderem, nun, Schutz.“ sagte Reefs und lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. „Ich denke, Sie haben mittlerweile schon bemerkt, dass die Bekanntschaft mit dieser Dame, nicht ganz unkompliziert ist?“
Nick sagte nichts, sah ihn nur an.
Reefs stand auf. Seine Freundlichkeit war einer fast unwirschen Ernsthaftigkeit gewichen: „Mr. Page, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie in diesem Land nicht willkommen sind. Ich muss Sie bitten, den nächsten Flug nach Hause zu nehmen.“
Nick traute seinen Ohren nicht: „Wie bitte?“
Sein Ton wurde noch schärfer: „Sie haben mich verstanden. Der nächste Flug nach Los Angeles geht morgen früh um acht Uhr. Ich darf Sie bitten, solange Gast in unserem Flughafenhotel zu sein. Es wird alles für Sie vorbereitet.“
Er drückte auf einen Knopf. Sofort ging die Tür auf und die beiden Polizisten traten ein. Reefs wandte sich an sie: „Mr. Page wird uns morgen früh wieder verlassen. Bitte begleiten Sie ihn zum Hotel und leisten Sie ihm bis dahin, wie besprochen, Gesellschaft.“
Die beiden Polizisten nickten und sahen dann zu Nick. Er stand wie versteinert. Man warf ihn aus England hinaus und das unter Polizeischutz. Das wurde ja immer schöner. Die Polizisten setzten sich in Bewegung. Nick ging automatisch mit. Erst mal tun, was sie sagen, entschied er. Dadurch gewinne ich etwas Zeit.
Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wer war Bridget wirklich? Eine Person, die unter besonderem Schutz steht, hatte dieser Mr. Reefs gesagt. Aber jetzt musste er erst einmal weg, die beiden Polizisten los werden und sich dann auf die Suche nach ihr machen. Ob es ihr gelungen war, Simmons abzuhängen? Die Polizisten gingen erneut endlose Gänge mit ihm entlang und Treppen hinunter. Nick versuchte gar nicht erst, sich zu orientieren. Er folgte den Polizisten einfach. Nach einiger Zeit standen sie wieder vor der kleinen Tür, durch die sie gekommen waren.
Mr. Hubbard gab den Code ein, die Tür öffnete sich und davor stand der Wagen. Sie stiegen wieder alle wie vorhin in den Wagen und fuhren los. Nach ein paar Minuten Fahrt durch das Labyrinth des Flughafens fuhren sie am Eingang des Hotels vor. Der Fahrer stieg aus und hielt Nick die Tür auf, während dessen stieg Hubbard ebenfalls aus und sie betraten zusammen das Hotel durch eine große Glastür, die sich mit einem leisen Zischen öffnete. Mr. Hubbard ging zum Rezeptionisten und holte den Schlüssel, während Nick von dem anderen Polizisten zum Lift begleitet wurde.
Da kam Nick eine Idee. Jetzt musste er genau aufpassen. Es könnte klappen. Es waren zwei Lifte nebeneinander.
Der Polizist drückte den Liftknopf und sie warteten.
Nick sah nach oben und sah, dass der Lift, vor dem sie standen, hier seine Endstation hatte. Beim anderen Lift brannte der Pfeil nach unten. Er fuhr also weiter. Dieser war zuerst in der Halle. Die Tür öffnete sich und ein paar Leute stiegen aus. Jetzt musste er die richtige Zeit abwarten.
Hubbard stand noch an der Rezeption und sprach mit dem Angestellten dort. Der andere Polizist stand etwa einen Meter entfernt von Nick. Nick täuschte ein Niesen vor und der Polizist drehte sich weg. In diesem Moment gingen die Lifttüren wieder zu. Nick schlüpfte gerade noch hinein. Der Polizist wollte noch hinterher springen, aber es war zu spät. Die Türen reagierten nicht mehr, sie schlossen sich.
Nick lächelte dem Pärchen, das in Bademänteln im Lift stand freundlich zu. Im Keller war anscheinend der Wellnessbereich und die Beiden waren auf dem Weg zum Schwimmbad.
In der Halle waren die Polizisten in heller Aufregung. Hubbard hatte gesehen, was geschehen war und rief dem anderen Polizisten zu, der wie wild auf den Liftknopf drückte: „Das hat keinen Sinn. Los, die Treppe, er fährt nach unten.“
Sie rannten beide zur Treppe und eilten sie, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter.
Mit dem Lift unten angekommen, stieg das Pärchen aus. Nick nahm nun allen Mut zusammen und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Wenn er Glück hatte, waren die Polizisten auf dem Weg über die Treppe nach unten.
Im Erdgeschoss angekommen öffneten sich die Türen des Lifts. Er wartete einen Augenblick, dann wagte er einen Blick nach draußen. An der Rezeption standen viele Leute, es war wohl gerade ein Reisebus mit Japanern angekommen. Niemand beachtete ihn. Er durchquerte beherrscht, jedoch so schnell er unauffällig konnte, die Halle, ging durch die Glastür nach draußen und kam dann auf dem Vorplatz. Er musste in irgendeine Richtung gehen, um nicht aufzufallen. Da war rechts so gut wie links. Er wandte sich nach rechts und ging schnellen Schrittes, aber immer darauf bedacht, keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Er drehte sich ein paar Mal um, aber von den Polizisten war nichts mehr zu sehen. In einiger Entfernung sah er eine Reihe von Taxis stehen. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Wo war Bridget? Hatte er eine Chance, eine Nadel in diesem riesigen Heuhaufen zu finden? Zumal er jetzt bestimmt auch noch die Flughafenpolizei auf den Fersen hatte. Er ging zu einem der Taxis und stieg ein.
26.
Bridget blieb nur kurz stehen. Sie hatte Nick fast gehabt und nun doch verloren. Was sollte sie jetzt tun? Sie drehte sich um und ging langsam zu den Läden zurück. Da kam ihr eine Idee. Sie machte erneut kehrt und steuerte auf die Autovermietung zu. Ein Versuch war es wert.
Sie ging zu der Theke und sogleich war ein Angestellter bei ihr. Der Angestellte war noch sehr jung, etwas dicklich, mit strähnigem, etwas zu langem Haar und einem Bart. Er lehnte sich über die Theke: „Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“
Sie legte einen verzweifelten Ton in ihre Stimme: „Oh ja, das können Sie sicher. Mein Mann hat einen Mietwagen bei Ihnen gebucht und vorhin den Schlüssel abgeholt. Er hat ihn mir gegeben und ist noch Zigaretten einkaufen gegangen. Ich musste dringend zur Toilette und da ist mir der Schlüssel in die Schüssel gefallen. Leider hatte ich schon die Spülung betätigt. Der Schlüssel ist weg. Jetzt wollte ich Sie fragen, ob Sie nicht einen Ersatzschlüssel für den Wagen haben. Ich bezahle Ihnen jeden Preis. Wenn mein Mann das erfährt, oh je, Sie können sich nicht vorstellen, was er mit mir machen wird. Er hält mich so schon für einen Tollpatsch. Können Sie mir helfen?“
Sie sah den Angestellten von unter her verzweifelt an und schob eine bisschen die Unterlippe vor. Der stellte sich gerade hin und holte theatralisch Luft: „Sie wissen, dass das nicht billig wird. Die Schlüssel müssen extra angefertigt werden.“
Bridget dachte, nun mach dich nicht wichtig. Das ist mir egal. Rück einfach den Ersatzschlüssel raus.
Sie sprach mit verzweifelter Stimme weiter: „Gibt es denn keine Möglichkeit mir zu helfen? Ich dachte, so ein kompetenter und gutaussehender junger Mann wie Sie, wäre mit gewissen Schwierigkeiten vertraut und könnte jedes Problem lösen. So dachte ich jedenfalls, als ich Sie von Weitem sah.“ Oh Nein, dachte sie. Jetzt muss ich dem Kerl auch noch den Bart kraulen. Aber es half. „Wie ist denn Ihr Name?“
„Page.“
Sichtlich geschmeichelt durch das Kompliment, errötete der junge Mann leicht. Er drehte sich um, ging zu einem Schlüsselkasten, kramte darin herum, holte einen Schlüssel heraus, las das Etikett und kam zurück. „Da haben wir ja den Ersatzschlüssel. Ich muss Ihnen den aber auf die Rechnung setzen.“
„Oh, das ist schon in Ordnung. Nach diesem Urlaub hier, wird mein Mann gerne die Rechnung bezahlen. Dafür werde ich schon sorgen, wenn sie wissen, was ich meine.“ Sie sah den jungen Mann an und lächelte verschwörerisch. Sie schlug innerlich die Hände über dem Kopf zusammen. Zu was ließ sie sich herab? Aber egal. Es musste sein.
Der junge Mann errötete jetzt bis unter die Haarspitzen.
„Könnten Sie mir jetzt noch verraten, wo der Wagen steht?“ fragte Bridget, „Mein Mann hat es mir erklärt, aber in der Aufregung habe ich es vergessen.“