Alles ist beseelt
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»A Viable Animism« – Im englischen Titel seines aktuellen Buches bezieht sich der gebürtige Amerikaner Ashley Curtis sehr bewusst auf die Rede des Wissenschaftshistorikers Lynn White Jr. aus dem Jahr 1966. Diese bildet auch den Ausgangspunkt zu Curtis' philosophischer Argumentation für eine »praktikable Entsprechung zum Animismus«. Denn wie White vor über 50 Jahren ist Curtis der Überzeugung, dass nur eine grundlegende Veränderung unseres Weltbildes uns aus der globalen ökologischen Krise führen kann.
In »Die historischen Ursachen unserer ökologischen Krise« (Science, 03/1967) macht White das westliche, christlich geprägte, nachaufklärerische Weltbild mit seinem starren Mensch-Natur-Dualismus für die massive Schädigung des Planeten durch den Menschen verantwortlich. Wenn die ökologischen Probleme primär philosophischen Ursprungs sind und nicht wissenschaftlich, technisch, politisch oder ökonomisch begründet, dann können sie folglich auch nur über einen philosophischen Wandel gelöst werden.
Doch wie kann ein solcher Wandel geschehen? Wie könnte ein alternatives Weltbild aussehen, das den Menschen daran hindert, die Natur für seine eigenen Zwecke auszubeuten und zu zerstören? Ist eine Lehre der Allbeseelung in unserer Zeit überhaupt denkbar?
Gegen die Umsetzung einer »praktikablen Entsprechung zum Animismus« spricht der tief verankerte Glaube an die Rechtmäßigkeit und Logik des Cartesianismus, an die Unterteilung in erlebendes Subjekt und unbelebte Materie, und allem voran in die unbestrittene Überlegenheit des Verstandes. Deshalb macht Ashley Curtis es sich in »Alles ist beseelt« zur Aufgabe, die Argumente des Cartesianismus zu zerlegen und glaubwürdig darzustellen, dass sie eben nicht so offensichtlich und selbstverständlich wahr sind, wie wir annehmen. Dann – so die Hoffnung – werden Leser:innen fähig sein, den Animismus unvoreingenommen zu beurteilen und vielleicht – mit ein wenig Glück – ändert sich sogar etwas in der Art, wie sie die Welt wahrnehmen.
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Ashley Curtis. Alles ist beseelt
ASHLEY CURTIS. ALLES IST BESEELT
INHALT
EINFÜHRUNG. White bringt unsere Welt zum Wackeln (I) Worin eine intellektuelle Bombe platzt und wir über eine blaue Murmel staunen. 1
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KAPITEL 1. Der Gute Bischof. Worin das Konzept von Materie hinterfragt und von einem Stuhl geträumt wird
KAPITEL 2. Der Heilige David. Worin ein Fehler der westlichen Wissenschaft aufgedeckt wird und ein Philosoph sich mit Brettspielen aus der Melancholie rettet
KAPITEL 3. Zombies, Gürteltiere und Quadratwurzeln. Worin wir über Bewusstsein und unheimliche Kreaturen philosophieren und Sätze vielleicht zu Nilpferden werden
KAPITEL 4. Raben, Elch und Wunderwaffen. Worin wir über Magie und Gestaltwandlung nachdenken und Elche zu verführerischen Frauen werden
KAPITEL 5. Rauszoomen und Reinzoomen. Worin wir die (Un-)Vereinbarkeit von Physik und Animismus betrachten und Elfen Pilze in Drähten umherschieben. 1
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KAPITEL 6. Sein oder Nichtsein. Worin wir zwei Thesen über die Bedeutung von Existenz vergleichen und man auf einem Bahnsteig von Tahiti träumt. 1
2
3
4
KAPITEL 7. Füreinander bestimmt. Worin sich der Kartesianismus als vermenschlichend entpuppt und für Atome keine Zufälligkeit existiert
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3
FAZIT. White bringt unsere Welt zum Wackeln (II) Worin Spüren über Denken gestellt und ein Kindheitsort zum Hoffnungsträger wird
ANHANG. Die noblen Wilden oder: War es früher auch nicht besser?118. Pierre L. Ibisch und Norbert Jung, in: Der Mensch im globalen Ökosystem
QUELLENANGABEN
Отрывок из книги
WIE EIN WELTBILD UNSEREN PLANETEN RETTEN KANN
Aus dem Englischen von Sabine Wolf
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White fragte: »Was sollen wir tun?«, und antwortete: »Bis jetzt weiß niemand eine Antwort.« Aber eigentlich hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung. Wir sollten »zu einer neuen Religion finden« – und damit meinte er wie gesagt nicht, zu einer anderen Konfession zu konvertieren, sondern uns von bestimmten grundlegenden Werten zu befreien, die zweitausend Jahre Christentum in unserer religiösen wie säkularen Kultur verankert haben. White hatte auch eine recht konkrete Vorstellung davon, wie diese neue »Religion« auszusehen hätte. In einem Artikel von 1973 benannte er es ganz klar: »Das religiöse Problem besteht darin, eine praktikable Entsprechung zum Animismus zu finden.«27
Man könnte meinen, jetzt sei es an der Zeit, White aus dem Fenster zu werfen. Denn sein »religiöses Problem« ist ein ziemlich großes – vielleicht sogar noch größer als die potenziellen Probleme, die entstünden, wenn die obere Atmosphäre mit Schwefeldioxid angereichert würde. Und dieses »religiöse Problem« ist so groß, weil sich die meisten unserer Zeitgenossen einig sind, wenn sie sich denn bei irgendetwas einig sind, dass Animismus eben nicht praktikabel ist. Animismus – die Erfahrung, dass neben nichtmenschlichen Tieren auch Pflanzen, Flüsse, Berge, Wolken, Sterne, Steine und Wetterlagen nicht leblose oder unbelebte Bestandteile der Welt sind, sondern wahrnehmende und erfahrende Wesen – bedeutet für die meisten von uns primitive Illusion, das naive »magische Denken« abergläubischer, unaufgeklärter, vorwissenschaftlicher Völker. Von dieser Warte aus betrachtet, haben wir uns nicht etwa vom Animismus gelöst, weil wir einfach eine Lebensweise vorgezogen haben, in der der Mensch als von der Natur getrennt und über sie herrschend gilt (obwohl vielleicht auch das zutrifft), sondern weil unsere mühsam konstruierte, gewissenhaft überprüfte Wissenschaft einfach recht hat und der Animismus nicht. Und deshalb, Dr. White, selbst wenn wir uns alle miteinander wieder dem Animismus verschreiben wollten, um so unser eigenes Leben zu retten, das unserer Kinder und das unseres Planeten, könnten wir das gar nicht – genauso wenig, wie wir plötzlich, um unser eigenes Überleben zu sichern, glauben könnten, die Erde bilde das Zentrum des Sonnensystems oder die Sterne blieben bis in alle Ewigkeit an ihren Punkten am Himmelszelt. Denn das ist einfach nicht so.
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