Читать книгу Der Herzog und Das Madchen - Барбара Картленд - Страница 1

Erstes Kapitel ~ 1817

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Diener mit gepuderten Perücken und goldbetreßten Livreen löschten die Kerzen im großen Speisezimmer. Nur die in den goldenen Kandelabern auf der Tafel ließen sie brennen. Diese sechs Kerzen schufen eine Lichtinsel im Raum, in der sich auch der kostbare Tischschmuck widerspiegelte.

Der Tisch, nach der vom Prinzregenten eingeführten Manier ohne Tafeltuch gedeckt, war so blank poliert, daß sich darin alles wie in einem Spiegel reflektierte.

Der Butler stellte eine Karaffe mit Portwein und eine zweite mit Brandy auf den Tisch. Dann zog er sich nach einem letzten prüfenden Blick zurück, gefolgt von den Dienern.

Der Herzog von Kingswood lehnte sich entspannt zurück und sagte zu dem neben ihm sitzenden Herrn: „Bevil, du bist heute Abend ungewohnt wortkarg. Ist etwas nicht in Ordnung?“

Der Angesprochene zögerte einen Moment, dann antwortete er: „Ich hätte mir eigentlich denken können, daß ich vor dir nichts verborgen halten kann, Nolan. Dafür kennst du mich viel zu gut. Ja, ich muß dir etwas sagen.“

Der Herzog wartete gelassen ab. Sein Gesicht zeigte einen leicht zynischen Ausdruck, und wer ihn so sah, hätte meinen können, die Welt hielte nichts Überraschendes mehr für ihn bereit, ja, nichts was auch nur sein Interesse hätte erregen können.

Es mutete sonderbar an, daß ein Mann, der über unermeßlichen Reichtum verfügte und dem kein Wunsch unerfüllt blieb, so blasiert und gelangweilt wirkte.

Weder seine zahlreichen Freunde noch die bezaubernden Damen, von denen er umschwärmt wurde und die ihn für immer an sich zu fesseln versuchten, hatten es geschafft, die Aufmerksamkeit des Herzogs über längere Zeit auf sich zu lenken.

Sein Gast hingegen war von ganz anderer Wesensart.

Major Bevil Haverington war ebenso alt wie der Herzog, sah jedoch jünger aus als dieser, was vielleicht seiner Freude am Leben zuzuschreiben war und seiner einfachen, unkomplizierten Natur, die ihn befähigte, allem etwas Positives abzugewinnen.

In gewisser Hinsicht war es merkwürdig, daß die beiden miteinander befreundet waren, aber sie kannten sich schon sehr lange. Ihre Beziehung reichte bis in die gemeinsam verbrachte Schul- und Studentenzeit in Eton und Oxford zurück. Anschließend hatten sie während der langen, harten Kriegsjahre in Portugal in demselben Regiment gedient.

Viele der Männer, die an diesem Feldzug teilgenommen hatten, waren in kurzer Zeit um einige Jahre gealtert und konnten danach, wie im Falle des Herzogs, das Leben nie wieder mit unbefangenem Blick sehen.

Major Haverington hingegen hatte jede einzelne Phase der Kämpfe genossen. Als Berufssoldat hatte er auch anschließend, nach Kriegsende, nie die Absicht gezeigt, dem Regiment den Rücken zu kehren.

Der Herzog jedoch hatte sich nach dem Tod seines Vaters gezwungen gesehen, seinen Abschied zu nehmen, obwohl er einer der jüngsten Kommandanten gewesen war.

Er war nach Hause zurückgekehrt, um sich um seine Besitzungen zu kümmern und den ihm zustehenden Sitz im Oberhaus wie auch im Grafschaftsrat und bei Gericht einzunehmen.

Der Prinzregent hatte ihn mit offenen Armen empfangen, ebenso zahlreiche Mitglieder der ,Beau Monde', der Eleganten Welt, deren Verhalten überwiegend selbstsüchtige Gründe hatte.

Es war ungewöhnlich für den Herzog, mit nur einem einzigen Freund allein in Kingswood zu sein. Er hatte jedoch von seinem Verwalter unerwartet die Nachricht bekommen, daß seine Anwesenheit unbedingt erforderlich sei, und daraufhin kurzentschlossen Bevil Haverington eingeladen, ihm Gesellschaft zu leisten.

Dieser folgte der Einladung nur allzu gern.

Ein Grund dafür war die Tatsache, daß er gern mit seinem Freund allein war, um mit ihm über alte Zeiten zu sprechen, um Erinnerungen wiederaufleben zu lassen, die für die meisten ihrer Freunde überaus langweilig waren.

Schon bei ihrer Ankunft auf dem prachtvollen alten Herrensitz, der seit der Zeit Charles II. der Familie Wood gehörte, war dem Herzog aufgefallen, daß sein Freund sehr reserviert und zudem von einer gewissen Unrast getrieben war.

Der Herzog erwartete, nun gleich die Erklärung dafür zu bekommen, und er wußte auch, daß es sich, wenn schon nicht um etwas Unangenehmes, so doch um etwas handeln mußte, das nicht zur Gemütlichkeit des Abends beitragen würde.

Er trank einen Schluck Portwein, ehe er seinen Freund ermunterte: „Los, Bevil, heraus damit! Wenn es etwas gibt, das ich nicht ausstehen kann, so ist es, das Schlimmste befürchten zu müssen.“

„So furchtbar ist es nun auch wieder nicht“, beschwichtigte ihn Major Haverington. „Andererseits wirst du nicht gerade begeistert sein.“

„Das wäre allerdings nichts Neues für mich“, meinte der Herzog in einem erneuten Anflug von Zynismus.

„Es handelt sich um Richard.“

„Das hätte ich mir gleich denken können.“

„Er benimmt sich wie der reinste Narr.“

„Auch das ist nicht weiter ungewöhnlich.“

„Diesmal ist es ernster als du glaubst. Er hat Delyth Maulden einen Heiratsantrag gemacht, und sie hat ihn angenommen.“

Der Herzog erstarrte, ein Zeichen dafür, daß die Nachricht ihn unvorbereitet traf. Seine Reaktion war hart: „Ich wußte ja, daß Richard ein Dummkopf ist, aber daß er ein derartiger Idiot ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.“

„Eines ist sicher, Delyth Maulden wird Richard nicht wieder freigeben, dafür hat sie einen zu guten Fang gemacht“, stellte der Major trocken fest.

Er spielte mit dem Stiel seines Glases und fuhr fort: „Seitdem Gosport sich geweigert hat, sie zu heiraten, ist sie ständig auf der Suche nach einem neuen Kandidaten von Rang und Namen gewesen.“

„Ja, Gosports Mutter konnte im allerletzten Moment einschreiten“, sagte der Herzog. „Delyth hatte ihn schon fast vor den Traualtar geschleppt.“

Beide schwiegen, während sie an den schwachen und gutmütigen jungen Marquis von Gosport dachten, der sich und seinen Titel der gefeiertsten und zweifellos raffiniertesten Schönheit ganz Londons zu Füßen gelegt hatte.

Beinahe hätte es damit geendet, daß er für den Rest seines Lebens mit ihr belastet gewesen wäre.

Lady Delyth Maulden, die Tochter des durch seine Liederlichkeit verarmten Herzogs von Hull war fünf Jahre zuvor wie ein Sturmwind über die gute Gesellschaft hereingebrochen.

Sie war ohne Zweifel eine betörende Schönheit. Die Stutzer und Gecken, die sich um den Hof von St. James scharten, stets bereit, einer neuen Schönheit zu huldigen, hatten sie zur ,Unvergleichlichen' erhoben und ihre Reize in zahlreichen Trinksprüchen gepriesen.

Die Damen der Gesellschaft, in deren Häusern Lady Delyth empfangen wurde, entdeckten als Erste, daß sie es an Verworfenheit mit ihrem Vater aufnehmen konnte und daß ihre Zügellosigkeit selbst in diesem Zeitalter der Unmoral über das hinausging, was stillschweigend hingenommen wurde.

Ihre Liebhaber lösten einander in immer rascherer Folge ab. Obwohl sie versucht haben mochte, ihre Affären diskret abzuwickeln, wurden im White’s Club schon bald regelrechte Wetten darüber abgeschlossen, wen sie sich als nächstes Opfer suchen würde.

Der Herzog hatte zwar gehört, daß sein junger Verwandter und Erbe, Richard Wood, ihren Reizen erlegen sei, doch hatte er dem Gerede weiter keine Beachtung geschenkt.

Es könne dem Jungen nicht schaden, hatte der Herzog sich gedacht, am eigenen Leibe zu erfahren, wie Delyth ihm jeden Pfennig, den er besaß, und viele andere, die er nicht besaß, aus der Tasche ziehen würde.

Sollte Richard dabei seiner Illusion beraubt werden, würde er sicherlich vorsichtiger sein, wenn er das nächste Mal sein Herz verschenkte.

Nie aber war es dem Herzog in den Sinn gekommen, Delyth könnte es auf eine Ehe mit Richard abgesehen haben. Jetzt wurde ihm klar, daß er sich nicht viel klüger verhalten hatte als sein Erbe.

Es lag auf der Hand, daß Delyth Maulden glaubte, mit Richard einen besonders großen Fisch an Land gezogen zu haben, denn es war allgemein bekannt, daß der Herzog nicht nur einmal, sondern Dutzende von Malen erklärt hatte, er habe nicht die Absicht, jemals zu heiraten.

Eine solche Erklärung war für einen Mann seines Standes so ungewöhnlich und sensationell, daß sie eine allgemeine Neugier entfachte. Alle rätselten darüber, was den Herzog wohl bewegen mochte, Junggeselle zu bleiben, wo sich doch gemäß den Gesetzen und der Tradition des Adels sein ganzes Sinnen und Streben darauf richten sollte, einen Sohn zu haben.

Der Herzog aber tat nichts, um diese Neugierde zu stillen.

Er ließ nur immer wieder verlauten, er habe nicht die Absicht zu heiraten. Nach seinem Tod, der gewiß noch viele Jahre auf sich warten lasse, würde Richard zweifellos seinen Platz einnehmen und bewundernswert gut ausfüllen.

Niemand wollte so recht daran glauben, daß der Herzog seinem Vorsatz treu bleiben würde.

Und doch waren vier Jahre vergangen, seitdem er den Titel geerbt hatte, ohne daß sich an seinen zahlreichen Liebesaffären mit schönen, geistreichen und unweigerlich mit einem Ehemann ausgestatteten Frauen etwas geändert hatte.

Trotz allem war der Familienstolz des Herzogs stark ausgeprägt.

Als junger Mann hatte er nicht im Traum daran gedacht, daß der Titel je auf ihn übergehen würde, denn sein Vater war nicht der älteste Sohn, und sein Onkel hatte bereits einen Sohn und Erben und dazu die Aussicht, noch viele Nachkommen zu zeugen. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Die Familie wurde von Unfällen und Krankheiten heimgesucht, so daß sich der Herzog zu einem Zeitpunkt, als er es am wenigsten erwartete, als Titelerbe wiederfand.

Ungeachtet seines nicht ganz einwandfreien privaten Lebenswandels, den er als eine höchst persönliche Sache ansah, die niemanden etwas anging, trat er in der Öffentlichkeit würdig und seiner Stellung entsprechend auf.

Seinen Pflichten kam er pünktlich und mit einer Förmlichkeit nach, die zuweilen geradezu ehrfurchtgebietend wirkte.

Daher bedeutete die Vorstellung, daß jemand wie Lady Delyth Maulden einmal Herzogin von Kingswood und Herrin seines Hauses werden würde, für ihn einen größeren Schock, als sein Freund Bevil Haverington vorhergesehen hatte.

„Verdammt noch mal! Wie kommt er denn bloß auf die Idee, Delyth heiraten zu wollen?“

„Dafür hat Delyth gesorgt. Richard ist ihr so verfallen, daß er ihr die Sterne samt Mond vom Himmel holen würde.“

Die Züge des Herzogs verhärteten sich.

„Seit wann weißt du davon?“

„Ich erfuhr es gestern Abend und dachte mir, ich erzähle es dir erst, wenn wir Gelegenheit haben, es in aller Ruhe und unter vier Augen zu besprechen.“

„Was gibt es da zu besprechen?“ entgegnete der Herzog heftig. „Delyth Maulden hat von Richard ein Eheversprechen bekommen, und sie wird nicht zulassen, daß er sich seinem Versprechen entzieht.“

„Das steht zu befürchten“, mußte Major Haverington ihm recht geben.

Der Herzog saß völlig bewegungslos da. Sein Freund wußte genau, was in ihm vorging.

Diese Miene hatte er stets an ihm gesehen, wenn sie sich in einer strategisch unmöglichen Position einem zahlenmäßig weit überlegenen Feind gegenüber sahen.

Und doch hatte er unter solchen aussichtslosen Umständen viele Male miterlebt, wie der Herzog scheinbar aus reiner Willenskraft seine Truppen vor dem fast sicheren Untergang bewahrte und zum Sieg führte.

Gleichzeitig war dem Major durchaus klar, daß Krieg und Liebe zwei verschiedene und nicht unbedingt miteinander vergleichbare Dinge waren und daß der junge Richard sich tief in diese Affäre verstrickt hatte.

Als der Herzog stumm blieb, sagte er schließlich: „Tatsächlich befinden sich die beiden im Moment gar nicht weit von hier. Sie sind auf Schloß Tring.“

„Ein guter Soldat, dieser Tring“, äußerte der Herzog ganz automatisch.

„Seit dem Ende des Krieges hat er sich ziemlich wild aufgeführt“, setzte Major Haverington hinzu.

„Seine Gesellschaften sind zu laut für meinen Geschmack. Für Delyth aber sind sie genau richtig.“

Der Herzog stellte sich die von Haverington angesprochene Art von Gesellschaften vor dem Hintergrund von Kingswood vor.

Die Vorstellung war ihm unerträglich.

Er wußte, wie betrunkene Gäste sich aufführten, männliche wie weibliche ohne Unterschied, und wie leicht dabei Kunstschätze in Scherben gingen, die nicht so einfach zu ersetzen waren wie ein angeknackster Ruf.

Er haute mit der geballten Faust auf den Tisch, so daß die Gläser klirrten.

„Ich werde es nicht zulassen! Hörst du, Bevil? Ich werde nicht zulassen, daß Richard dieses Frauenzimmer heiratet!“

„Und wie willst du es verhindern?“ fragte der Major schonungslos. „Kannst du dir nicht etwas einfallen lassen? Damals in Portugal, als wir zusammen kämpften, da stecktest du voller guter Ideen.“

„Tja, wenn wir noch in Portugal wären, dann könnten wir Delyth entführen lassen oder Richard an Bord eines besonders langsamen Schiffes nach Hause schicken“, erwiderte Haverington. „Aber wir sind jetzt in England und nicht mehr in Portugal.“

Der Herzog blickte den Major finster an: „Wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Du weißt doch, den jungen Morpeth hat sie so ruiniert, daß er sich aufs Land zurückziehen mußte.“

„Ohne einen Pfennig“, ergänzte Major Haverington. „Nur sein Name ist ihm geblieben. Und Morpeth war nicht der Einzige. Aber was Richard angeht, so hat sie die Absicht, seine Frau zu werden. Und auch wenn du Delyth nicht magst, mußt du doch zugeben, daß sie die Kingswood-Diamanten voller Anmut zu tragen wüßte.“

„Eher werfe ich jeden einzelnen Stein mit eigenen Händen in den See“, sagte der Herzog wütend.

Sein Glas war leer. Er wollte nach dem Portwein greifen, überlegte es sich jedoch anders und nahm den Brandy. „Der Gedanke, daß Delyth Richard und letztlich auch mich zum Narren machen könnte, regt mich derart auf, daß ich mich vergessen und einen Mord begehen könnte.“

„Nun, es gäbe eine ganz einfache Lösung.“

„Und die wäre?“

„Du mußt selbst heiraten und einen Erben in die Welt setzen!“'

Major Haverington hatte noch nicht ausgesprochen, als er ein Wetterleuchten im Antlitz seines Freundes sah, das ihm trotz ihrer langjährigen Freundschaft Angst machte. Was würde er zu dem Vorschlag sagen?

„Nicht einmal, um Richard zu retten und zu verhindern, daß aus Kingswood ein Nobelbordell wird, würde ich mich auf eine Heirat einlassen!“

„Aber warum denn nicht? Woher hast du nur deine lächerlichen Ansichten über Ehe und Familie?“ fragte Major Haverington.

Seiner Meinung nach war lächerlich eine milde Umschreibung für die Haltung des Herzogs.

Der Herzog von Kingswood war nicht nur einer der reichsten Männer Englands, mit einem Besitz gesegnet, um den ihn viele seiner Standesgenossen beneideten, sondern er war auch so attraktiv, daß die Frauen, die ihn verfolgten, es gewiß nicht nur auf seinen Rang oder sein Vermögen abgesehen hatten.

Die meisten liebten ihn um seiner selbst willen.

Als der Major den Herzog so ansah, hörte er im Geiste, was ihm einst eine dieser Frauen verzweifelt anvertraut hatte: „Ich habe Nolan geliebt. Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt. Und als er mich verließ, da wußte ich, daß ich nie wieder glücklich sein würde.“

„Aber warum hat er Sie verlassen?“ hatte er die Ärmste gefragt.

„Ich wünschte, ich wüßte es“, hatte sie geseufzt. „In ihm ist etwas Hartes und Unnahbares, etwas, an das keine Frau herankommen kann. Ein Eisblock, den niemand zu schmelzen vermag.“

Diese Vorstellung war dem Major damals absonderlich erschienen, doch hatte er die gleiche Geschichte inzwischen noch so oft zu hören bekommen, daß er allmählich anfing, sie zu glauben.

Aus eigener Anschauung wußte er, daß der Herzog, der nur allzu gern genoß, was die Gunst einer Schönen ihm bot, seinerseits nichts zu geben bereit war.

Zwar mangelte es ihm nicht an Großzügigkeit, ganz im Gegenteil, doch die Frauen, die ihn liebten, gaben sich mit Diamanten und Perlen nicht zufrieden, sie wollten sein Herz.

Nie aber hatte er einer Frau erlaubt, es zu besitzen.

Der Herzog erhob sich, so als hielte er das Thema für erledigt. Sein Glas mit dem Brandy hatte er nicht angerührt.

Der Major stand ebenfalls auf. Gemeinsam gingen sie die breiten, mit herrlichen Gemälden geschmückten Gänge entlang in die große Bibliothek, in die der Herzog sich mit seinen engsten Freunden zum Gespräch zurückzuziehen pflegte.

Die großen, behaglichen Sessel, dazu als Hintergrund die Bücherreihen, die den Neid jedes Gelehrten erweckt hätten, die reich verzierte Decke, sowie der mit einer vergoldeten Balustrade versehene Balkon in Etagenhöhe - das alles zusammen bot ein Bild, das dem Auge wohltat.

Für den Major war die Bibliothek einer der schönsten Räume, die er je gesehen hatte, und sie schien ihm der passende Hintergrund für den Herrn des Hauses zu sein.

Der Herzog ließ sich in einem Sessel vor dem steinernen Kamin nieder, welcher zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts aus Italien herbeigeschafft worden war.

Im Kamin brannte ein Feuer, denn die Mainächte waren noch ziemlich kühl.

Der Major hatte sich vor das Feuer gestellt.

„Weißt du, Nolan, ich bedaure, daß ich dir eine schlechte Nachricht überbringen mußte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte nichts gesagt und du hättest es mit der Zeit selber herausgefunden.“

„Mir ist lieber, ich habe es von dir erfahren als von jemand anderem.“

„Ich hoffte, du würdest das sagen.“

„Wenigstens können wir beide ganz aufrichtig miteinander sein“, meinte der Herzog. „Wir wissen beide, daß Richard bald die Hölle auf Erden haben wird, wenn er Delyth heiratet.“

„Ja, weil er sie liebt.“

„Das sage ich doch! Richard ist vertrauensselig und idealistisch.“ Der Herzog ließ eine Pause eintreten, ehe er mit zynischer Miene fortfuhr: „Als ich in Richards Alter war, hatte ich längst keine Ideale mehr.“

„Und warum nicht? Was war denn passiert?“

„Das werde ich weder dir noch irgend jemand anderem sagen. Jedenfalls kann ich gut verstehen, was er durchmachen wird.“

„Und siehst du eine Möglichkeit, das zu verhindern?“

„Es muß einfach eine Möglichkeit geben!“

Drei Stunden später waren sie nicht viel weiter gekommen, von welcher Seite sie die Sache auch betrachteten. An andere Gesprächsthemen war nicht zu denken, unweigerlich kamen sie immer wieder auf Delyth Maulden und ihre neueste Eroberung zurück.

Delyth hatte ihre Verführungskünste nämlich auch an ihnen ausprobiert.

Der Herzog hatte sich immun gezeigt; die Verlockung ihrer großen Augen und ihrer roten Lippen hatte ihm nichts anhaben können.

Major Haverington war weder reich noch von hohem Rang, darum hatte sich Delyth mit ihm nicht allzu viel Mühe gegeben.

Eigentlich hatte sie damals auf Tring Castle, auf der Gesellschaft, von der der Major gesprochen hatte, nur ein wenig mit ihm getändelt.

Der Major konnte sich genau erinnern, wie bezaubernd sie im Mondlicht ausgesehen hatte, als er sie auf ihren nachdrücklich geäußerten Wunsch hin auf die Terrasse geführt hatte.

Delyth hatte ihn unter ihren langen Wimpern hervor angesehen, und als sich beide über die Balustrade lehnten, war sie ganz nahe an ihn herangerückt, so daß er den verführerischen Duft ihres Haares und das tiefe Dekolleté ihres Abendkleides bemerken mußte.

Er war ihr um ein Haar erlegen und hatte sich ihren Erwartungen entsprechend benommen, doch eine Salve betrunkenen Gelächters aus dem Raum hinter ihnen hatte den Major gerettet.

Fest entschlossen hatte er sie wieder zu ihren Freunden zurückgeführt, obwohl ihr das gar nicht gefiel. Später zeigte sich, daß er sie sich damit zu einer unerbittlichen Gegnerin gemacht hatte.

Die Kaminuhr schlug die volle Stunde, und der Major blickte auf: „Es ist ein Uhr! Wenn du morgen so früh wie üblicherweise mit mir ausreiten willst, dann gehe ich jetzt lieber ins Bett!“

„Gute Idee“, bemerkte der Herzog. „Wir haben heute Abend geredet und geredet und sind der Lösung des Problems keinen Schritt näher gekommen.“

„Vielleicht fällt mir ja im Traum etwas ein“, meinte der Major scherzend, „aber sehr wahrscheinlich ist es wohl nicht.“

Auf dem Weg zur Tür merkte er, daß der Herzog keine Anstalten machte, ihm zu folgen.

„Bleibst du noch auf?“ fragte er.

„Ja, eine Weile. In der Armee mußte ich mit ein paar Stunden Schlaf auskommen. Diese Gewohnheit habe ich beibehalten, besser gesagt, es fällt mir schwer, sie aufzugeben.“

Der Major gähnte.

„Nun, was mich angeht, ich bin müde. Gute Nacht, Nolan.“

„Gute Nacht, Bevil.“

Kaum hatte sich die Tür hinter seinem Gast geschlossen, nahm der Herzog eine Zeitung zur Hand, die auf dem Hocker vor dem Kamin gelegen hatte.

Er blätterte die ,Times' auf, legte sie jedoch gleich darauf auf seinen Schoß und verfiel ins Sinnieren.

Wie konnte er Richard nur davon überzeugen, daß er im Begriff stand, den größten Fehler seines Lebens zu begehen?

Der Junge war für ihn so etwas wie ein Rekrut, dem man noch alles beibringen mußte. Sein Beschützerinstinkt meldete sich, ein Gefühl, das er vielen jungen Männern entgegengebracht hatte, die aus England gekommen waren und unter ihm in Portugal gekämpft hatten.

Sie fürchteten den unbekannten Feind und den Tod, noch mehr aber fürchteten sie, in den Augen der Kameraden feige zu erscheinen.

Er erinnerte sich, wie er sich unter seine Soldaten gemischt hatte, wie er mit ihnen gesprochen, sie ermutigt, ihnen Kraft gegeben hatte. Ein Rekrut mußte Befehlen gehorchen.

Richard dagegen war ein freier Mensch.

Der Herzog sah sich nachdenklich um. Wie schön die Bibliothek war, und wie friedlich.

Um keinen Preis konnte er zulassen, daß die Gesellschaft, mit der Delyth Maulden sich umgab, sein Haus in einen Rummelplatz verwandelte, wie er es des Öfteren in anderen Herrenhäusern beobachtet hatte.

Die Zügellosigkeit der jungen, reichen Nichtstuer, die seit der Jahrhundertwende ständig zugenommen hatte, war von den gesetzteren Mitgliedern der Gesellschaft scharf kritisiert worden.

Sie hatten aber mit ihrer Kritik nicht viel ausrichten können, denn der Prinz von Wales selber hatte dieses Verhalten gefördert, bevor er Prinzregent wurde.

Mit den Jahren war er zwar mäßiger und vorsichtiger geworden, doch die lange Reihe seiner nunmehr ältlichen Geliebten wurde von den Karikaturisten immer noch unbarmherzig gegeißelt.

Die Gesellschaft hatte einen Lebensstil entwickelt, den zu ändern nun sehr schwierig war. Einige der jungen Edelleute legten ein Benehmen an den Tag, das den Herzog wünschen ließ, sie seinem Befehl unterstellt zu sehen, damit er ihnen mit gehöriger Strenge, versteht sich, Lebensart und Manieren beibringen könnte.

Delyth Maulden nun galt als Anführerin einer ganzen Schar schöner junger Frauen, die unter Mißachtung ihrer weiblichen Rolle an wilden Gesellschaften, wahnwitzigen Eskapaden und Ausschweifungen teilnahmen, die in der Vergangenheit ausschließlich Schauspielerinnen und Prostituierten vorbehalten gewesen waren.

Und sie sollte die zukünftige Herzogin von Kingswood sein!

Delyth Maulden wußte nur zu gut, daß eine Ehe mit Richard ihr manche bis dahin verschlossene Tür öffnen würde und daß man sie als Herzogin von Kingswood sogar in Kreisen willkommen heißen mußte, die ihr bisher die kalte Schulter gezeigt hatten.

„Herzogin von Kingswood!“

Zähneknirschend äußerte der Herzog diese Worte. Er wandte erstaunt den Kopf, als die Tür geöffnet wurde.

Ein Diener trat ein und wartete, bis der Herzog ihm seine Aufmerksamkeit zuwandte.

„Was gibt es?“

„Lord Tring ist gekommen, Euer Gnaden. Er möchte Sie sprechen.“

„Was? Um diese Zeit?“ rief der Herzog aus, um sogleich hinzuzusetzen: „Bitte Seine Lordschaft herein.“

Es dauerte nur wenige Sekunden, während der sein Gast den Gang entlang geleitet wurde.

Dann meldete der Diener: „Lord Tring, Euer Gnaden.“

Der Herzog sah seinem späten Gast auf den ersten Blick an, daß etwas nicht in Ordnung war.

Lord Tring trug Abendkleidung, hatte aber über die hautengen, mit einem Steg versehenen Beinkleider Reitstiefel gezogen. Seine kompliziert gebundene Krawatte war verrutscht und zerdrückt.

Sein Haar, das er wie der Prinzregent nach Windstoßmanier trug, fiel ihm zerrauft in die Stirn.

„Einen schönen guten Abend, Tring“, begrüßte ihn der Herzog ganz ruhig. „Was führt Sie zu dieser nächtlichen Stunde zu mir?“

Der junge Mann vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, ob der Diener bereits die Tür geschlossen hatte.

Dann erst sagte er mit seltsam unsicherer Stimme: „Ich mußte kommen, Sir! Sie sind der einzige Mensch, der weiß, was zu tun ist, und der mit dieser Situation fertig werden kann.“

Der Herzog erkannte, daß der junge Mann ihn wie einen Offizier und Vorgesetzten ansprach. Er konnte in seinen Augen ein Vertrauen lesen, das ihm sehr wohl bekannt war und das ihn stets rührte.

„Beruhigen Sie sich, und trinken Sie etwas“, sagte er. „Und dann erzählen Sie mir, was passiert ist.“

Lord Tring trat hastig an den Tisch mit den Getränken. Er schien einen Schluck bitter nötig zu haben.

Er schenkte sich einen großen Brandy ein und trank das Glas in einem Zug leer. Mit unsicherer Hand strich er sich das Haar aus der Stirn und trat nun wieder vor den Herzog hin.

„Es geht um Richard, Sir.“

„Richard?“ rief der Herzog aus. „Was ist mit ihm?“

Lord Tring tat einen tiefen Atemzug, ehe er antwortete: „Er hat Sir Joceline Gadsby erschossen und anschließend versucht, sich selbst zu töten.“

Der Herzog bewahrte die Ruhe, während er Lord Tring durchdringend musterte, so als versuche er, in dessen Gesicht für die eben gehörten Worte eine Bestätigung zu finden.

Es vergingen einige Augenblicke, ehe er, immer noch ganz ruhig, sagte: „Setzen Sie sich. Sie sehen aus, als hätten Sie einen Gewaltritt hinter sich.“

Lord Tring ließ sich in einen Sessel sinken, als ob seine Beine ihm den Dienst versagten.

„Als ich sah, was passiert war“, stöhnte er, „da wußte ich, daß Sie der einzige Mensch sind, der helfen kann.“

„Warum hat Richard Gadsby erschossen?“ fragte der Herzog.

Er hatte den Baron als unangenehmen und geschwätzigen Kerl in Erinnerung, dem er im White’s Club stets aus dem Weg gegangen war.

Er hielt den Mann für einen Außenseiter und fragte sich, wie dieser überhaupt in den Klub aufgenommen worden war.

Und in diesem Augenblick wurde ihm klar, was Lord Tring antworten würde.

„Richard ertappte ihn“, sagte Seine Lordschaft peinlich berührt. „Er ertappte ihn mit Lady Delyth.“

„Wo?“

„Im ... im Bett, Sir.“

Bis jetzt hatte der Herzog gestanden, aber nun setzte er sich ebenfalls.

„Berichten Sie von Anfang an!“ befahl er.

„Richard kam vor zwei Tagen zu mir auf Besuch“, erzählte Lord Tring. „Am Abend seiner Ankunft gab er seine Verlobung mit Lady Delyth bekannt. Natürlich ließen wir das junge Paar hochleben und wünschten ihm viel Glück.“

„Natürlich!“ warf der Herzog sarkastisch ein.

„Einige der anwesenden Herren behaupteten, ihr Herz wäre gebrochen. Sie versuchten, halb im Scherz, Lady Delyth umzustimmen.“

Was ihnen gewiß nicht gelang, dachte der Herzog bei sich, während Lord Tring fortfuhr: „Es sollte sich herausstellen, daß Sir Joceline ein ... ein alter Freund von Lady Delyth war, der sich durch ihre Verlobung gekränkt fühlte.“

Der Herzog wußte sehr wohl, daß die Umschreibung alter Freund, die Lord Tring gebraucht hatte, nichts anderes bedeutete, als daß der Betreffende, wie so viele andere, der Liebhaber von Delyth Maulden gewesen war. Nur gehörte er zu jenem Männertyp, der sich mit einem ,Nein‘ als Antwort nicht zufrieden gab, selbst dann nicht, wenn sie mit einem anderen verlobt war.

„Was hat sich heute zugetragen?“ wollte der Herzog wissen.

„Wir gingen alle früh zu Bett, weil die meisten von uns morgen am Rennen teilnehmen wollten. Ich ging als Letzter hinauf und hatte mich noch nicht ausgezogen, weil ich noch mit meinem Kammerdiener besprach, was ich morgen anziehen wollte.

Und während wir miteinander berieten, hörte ich plötzlich einen Knall. Im ersten Moment dachte ich, es wäre eine Explosion, und als ich noch überlegte, wie es wohl dazu gekommen sein könnte, krachte es von Neuem. In einem der Räume im ersten Stock, ganz in der Nähe, mußte jemand einen Schuß abgegeben haben.

Ich riß die Tür auf, stürzte den Gang entlang, da sah ich, daß die Tür zum Schlafzimmer von Lady Delyth offenstand ...“

Lord Tring machte eine Pause. Er hatte Schwierigkeiten, weiterzusprechen.

„Los, reden Sie. Was haben Sie gesehen?“ drängte der Herzog.

„Richard muß vor dem Bett gestanden haben, als er schoß. Er hatte Lady Delyth und Gadsby überrascht, während sie zusammen waren“, sagte Lord Tring verhalten. „Gadsby war tot, die Laken blutgetränkt.“

„Und Richard?“

„Richard lag auf dem Boden mit einer Schußwunde über dem Herzen.“

Lord Tring schluckte. Die Vorstellung bereitete ihm Übelkeit.

„Was taten Sie als nächstes?“

„Zuerst kümmerte ich mich um Richard. Ich stellte fest, daß er trotz der stark blutenden Wunde noch lebte. Wie Sie wissen, Sir, habe ich genug Verwundete gesehen und irre mich nicht.“

„Ja, das weiß ich. Fahren Sie fort!“

„Ich holte nun meinen Kammerdiener. Gemeinsam hoben wir Richard auf und schleppten ihn in sein Zimmer, das Gott sei Dank gleich nebenan war. Dann lief ich sofort zurück.“

„Was tat Lady Delyth, als Sie zurückkamen?“

„Sie war aufgestanden und hatte sich etwas angezogen“, erwiderte Lord Tring. „Sie war bleich, aber gefaßt.

,Joceline ist tot‘, sagte sie, ,und wenn Ihnen kein Ausweg einfällt, wird Richard dafür hängen.'

,Sie dürfen mit niemandem sprechen und müssen die Tür verschließen!' befahl ich ihr. Und dann kam ich hierher.“

Wieder sah Lord Tring den Herzog mit den Augen eines Menschen an, der unendlich erleichtert ist, seine Last nicht mehr allein tragen zu müssen.

Der Herzog stand auf.

„Sie haben richtig gehandelt“, sagte er. „Sind Sie sicher, daß Ihr Kammerdiener in der Lage ist, sich während Ihrer Abwesenheit angemessen um Richard zu kümmern?“

„Sir, er war mit mir im selben Regiment und versteht mehr von Wunden und deren Behandlung als die Hälfte der Ärzte, die wir bei der Armee hatten.“

Dazu gehört nicht besonders viel, dachte der Herzog bei sich. Laut aber sagte er: „Ich lasse ein Pferd satteln und reite mit Ihnen zurück. Es dauert nicht lange, bis ich umgezogen bin. Sie können sich inzwischen noch ein Glas einschenken.“

Er ging hinaus und wies einen der Diensthabenden an, ihm ein Pferd satteln zu lassen.

Sein Kammerdiener erwartete ihn bereits in seinem Schlafzimmer.

„Hawkins, ich reite hinüber nach Tring Castle und hole Mr. Richard“, erklärte der Herzog. „Er hat leider einen Unfall gehabt und braucht sorgsame Pflege. Du wirst dich um ihn kümmern.“

„Was ist denn mit Mr. Richard passiert, Euer Gnaden?“ fragte der Kammerdiener.

„Er wurde verwundet“, gab der Herzog vorsichtig Auskunft.

„In einem Duell, Euer Gnaden?“

„Ja, Hawkins, ganz recht, in einem Duell.“

Das Pferd, das der Herzog zu satteln befohlen hatte, wurde, Sekunden ehe er die Treppe herunterschritt, vor den Eingang gebracht.

Lord Tring war ebenfalls bereit.

Er sah noch immer bleich und mitgenommen aus, aber er hatte seine Haare in Ordnung gebracht und seine Krawatte zurecht gerückt. Der Herzog wußte, daß der junge Mann sich nun zusammengerissen hatte wie vor einem zu erwartenden Gefecht.

„Sollen wir Richard in einem Ihrer Wagen hierher schaffen, oder sollen wir eines meiner Gefährte nehmen?“ fragte der Herzog.

„Meine Wagen stehen zu Ihren Diensten, Sir.“

„Sehr schön. Lassen Sie ein Gefährt anspannen, sobald wir ankommen.“

Sie ritten die von Eichen gesäumte Auffahrt entlang, passierten die großen Tore mit den vergoldeten Spitzen und den Pförtnerhäuschen zu beiden Seiten.

Nachdem sie die Landstraße überquert hatten, ritten sie querfeldein auf direktem Weg auf Tring Castle zu.

Da beide hervorragende Reiter waren und ganz ausgezeichnete Pferde hatten, hörte man unterwegs nichts als das Donnern der Hufe, und die Meilen zwischen den beiden Herrensitzen schmolzen rasch dahin.

Der Mond beleuchtete den Weg und tauchte das alte Schloß, an dem so viele Generationen gebaut hatten, in ein romantisches Licht.

Aber hinter diesen ehrwürdigen, alten Mauern war nun etwas Grausiges und Schändliches geschehen, ein Skandal, den es um jeden Preis zu vertuschen galt.

Ein Duell galt zwar als ehrenhafte Art, einen Konflikt aus der Welt zu schaffen, doch für Mord an einem verheirateten Mann wurde die Todesstrafe verhängt.

Der Herzog wollte nicht, daß Richard für ein Verbrechen büßte, das offensichtlich einzig und allein auf das Konto einer Frau ging, die ihn noch am Verlobungsabend betrogen hatte.

Vor dem Portal angekommen, ließ Lord Tring sich eilig aus dem Sattel gleiten, während der Herzog darauf bedacht war, in aller Ruhe abzusitzen, um den Eindruck von Gelassenheit zu erwecken.

In der großen Eingangshalle warteten zwei Lakaien, die sich beeilten, den Ankömmlingen Hüte und Reithandschuhe abzunehmen.

Lord Tring trug eine abwartende Haltung zur Schau, als bedürfe er für sein weiteres Vorgehen der Anweisungen des Herzogs.

„Wollten Sie nicht einen Wagen vorfahren lassen?“ erinnerte ihn der Herzog.

„Ja, natürlich!“ versicherte Lord Tring.

Er gab die entsprechenden Anordnungen, worauf einer der Lakaien eilig zu den Stallungen lief. Nun erst schritt der Herzog die Treppe hinauf, geleitet von Lord Tring, der ihn zu dem breiten Flur führte, von dem die Herrschaftszimmer abgingen.

Der Herzog fand es überaus geschmacklos, daß man Lady Delyth den Raum überlassen hatte, der der Mutter Lord Trings bis zu ihrem Tod als Schlafzimmer gedient hatte.

Dieser Raum gehörte zu den Sehenswürdigkeiten des Schlosses. Königin Elisabeth sollte während einer ihrer Reisen durch das Land darin übernachtet haben. Man erzählte sich, daß die Vielzahl ihres Gefolges und der Prunk der ihr zu Ehren veranstalteten Festlichkeiten ihre Gastgeber an den Rand des Ruins gebracht hätten.

Lord Tring klopfte an und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

Delyth Maulden saß in einem verführerischen Negligé an ihrem Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel.

Das lange, schwarze Haar fiel ihr lose über die Schultern. Ihr Gesicht, das, wie der Herzog sich unwillig eingestehen mußte, hinreißend schön war, wirkte vollkommen beherrscht.

Sir Joceline, den eine Kugel mitten ins Herz getroffen hatte, lag auf dem Bett.

Ohne Lady Delyth weiter zu beachten, trat der Herzog ans Bett, um den Toten näher in Augenschein nehmen zu können.

„Sie müssen ihn ankleiden lassen“, wies er Lord Tring an.

„Dann lassen Sie ihn hinaus auf den Gang schaffen. Laken und Überzüge müssen vernichtet werden. Ihr Kammerdiener muß das erledigen, ohne daß irgend jemand im Haus etwas davon bemerkt.“

Der Herzog wandte sich zum Gehen.

„Ich möchte jetzt Richard sehen.“

„Ja, natürlich“, gab Lord Tring zurück.

„Haben Sie mir denn nichts zu sagen?“ warf Lady Delyth ein.

Der Herzog hielt inne. Nach kurzem Überlegen antwortete er ihr: „Sie werden aussagen, daß auf dem Flur ein Duell stattfand, ein Zweikampf zwischen zwei Herren, die beim Abendessen dem Alkohol zu reichlich zugesprochen hatten.“

Er ließ eine Pause eintreten, ehe er fortfuhr.

„Sie waren zu diesem Zeitpunkt angekleidet. Der Streit begann, als Sie gemeinsam mit den Herren die Treppe hinaufgingen. Der Anlaß war eine Nichtigkeit - sagen wir, ein Streit darüber, wer beim morgigen Ausritt Ihr Begleiter sein würde.“

Der Herzog sah sie eindringlich an, als er weitersprach: „Eines muß Ihnen klar sein: Ich erfinde diese Geschichte keinesfalls, um Ihren Ruf zu retten, sondern nur, um Richard davor zu bewahren, wegen Mordes angeklagt zu werden.“

„Er ist ein hysterischer Narr, weiter nichts!“ rief Lady Delyth geringschätzig aus.

„Da gebe ich Ihnen recht“, erwiderte der Herzog. „Und dazu völlig mit Blindheit geschlagen. Ansonsten hätten ihm die Augen darüber aufgehen müssen, was Sie eigentlich sind - eine Dirne!“

Seine Worte wirkten wie ein Peitschenschlag. Er machte energisch kehrt und verließ das Zimmer, gefolgt von Lord Tring.

Sie betraten nun den Raum, in den man Richard gebracht hatte. Der Herzog sah seinen Neffen angezogen auf dem Bett liegen. Sein Hemd war offen, und man sah, daß er einen Brustverband trug.

Richard war erschreckend bleich. Der Herzog legte ihm seine Hand auf die Stirn und fühlte, daß sie heiß war. Den Pulsschlag konnte er ebenfalls spüren, wenn auch nur schwach.

„Ich werde ihn mit zu mir nach Hause nehmen“, sagte er zu Lord Tring. „Sobald ich weg bin und Sir Jocelines Leiche bekleidet ist, reiten Sie schleunigst zum obersten Sheriff. Er war mit Ihrem Vater befreundet. Bestimmt wird er alles tun, was in seiner Macht steht, um Ihnen zu helfen.“

„Ich werde tun, was Sie sagen. Ich danke Ihnen Sir.“

Der Respekt in seiner Stimme war nicht zu überhören. Lord Tring hatte das Gefühl, sein militärischer Vorgesetzter habe sein Problem gelöst, wie so oft schon in der Vergangenheit.

„Sie müssen darauf achten, daß Ihre Aussagen mit denen von Lady Delyth übereinstimmen. Was Sie sagen, ist dabei nicht so wichtig, weil keiner der beiden Kontrahenten Ihnen widersprechen wird.“

Sein Ton war schroff, denn er hatte Richards Verwundung als sehr schwerwiegend erkannt. Es bestand sogar die Gefahr, daß dieser an der sich selbst zugefügten Verwundung sterben würde.

Obwohl ein Transport nicht ganz ungefährlich war, wollte der Herzog Richard unbedingt in Hawkins Pflege geben.

Zwar war auch Harris, der Kammerdiener Lord Trings, mit seinem Herrn im Krieg gewesen, doch Lord Tring war noch jung, und so war der Herzog davon überzeugt, daß auch sein Kammerdiener weniger Erfahrung in der Krankenpflege hatte als Hawkins. Hawkins diente dem Herzog immerhin schon seit zehn Jahren.

„Würden Sie wohl nachsehen, ob der Wagen schon vorgefahren ist?“ fragte der Herzog laut. „Wenn alles bereit ist, können wir Richard herunterschaffen. Noch etwas, Tring: Wenn der Sheriff kommt und Gadsbys Leichnam untersucht, dann muß dieser eine Duellpistole in der Hand halten, aus der vor kurzem ein Schuß abgegeben wurde. Ist das klar?“

„Sie denken aber auch an alles, Sir!“ rief Lord Tring voller Bewunderung aus.

„Ich versuche es wenigstens“, erwiderte der Herzog.

Auf der langsamen Rückfahrt über gewundene Landstraßen hatte der Herzog mit dem Rücken zum Kutscher im Wagen Platz genommen.

Während er dasaß und den bewußtlosen Richard betrachtete, den man auf den Rücksitz gebettet hatte, kam ihm der Gedanke, daß es nur gerecht gewesen wäre, wenn Richard die zweite Kugel gegen Delyth Maulden anstatt gegen sich selbst gerichtet hatte.

Als erfahrenem Frauenkenner war ihm nicht entgangen, daß Delyth trotz ihrer äußerlichen Ruhe und Gelassenheit zutiefst erschüttert war. Aber in ihrer Selbstsucht konnte sie an niemand anderen denken als an sich.

Sie hatte jetzt nicht nur einen Geliebten verloren, sondern gleich zwei, den reichen Sir Joceline und Richard, dem ein Herzogstitel in Aussicht stand.

Die Tatsache, daß ihretwegen ein Duell ausgetragen worden war, würde niemanden weiter in Erstaunen setzen und ihrem ohnehin schon ramponierten Ruf nicht viel schaden.

Gleichzeitig aber war sich die Öffentlichkeit darin einig, daß keine anständige Frau aus guter Familie es so weit kommen lassen durfte, daß man ihretwegen ein Duell austrug.

Trat dieser Fall dennoch ein, dann gaben sich alle Beteiligten allergrößte Mühe, die wahre Ursache zu vertuschen. Meist wurde irgendein anderer Grund vorgeschoben, um die betroffene Dame aus dem Spiel zu lassen.

Doch Lady Delyth mit ihren liederlichen, verkommenen Freunden würde sich zweifellos etwas darauf einbilden, überlegte der Herzog mißmutig.

Nun, im Moment war jedenfalls sicher, daß kein Mann, dem wie Richard Titel und Vermögen in Aussicht standen, ihr je wieder einen Heiratsantrag machen würde. Deswegen stellte sich der Herzog die Frage, ob Delyth sich nicht trotz allem, was geschehen war, an das Verlöbnis klammern würde.

Dies war ebenfalls ein Grund gewesen, warum er sich entschlossen hatte, Richard von Tring Castle fortzuschaffen.

Wenn nämlich Delyth Maulden eine Möglichkeit sah, aus dieser schändlichen Angelegenheit unbeschadet herauszukommen und sich außerdem noch für die Zukunft abzusichern, dann würde sie davon Gebrauch machen.

War Richard erst auf Kingswood, so war es ein Leichtes, dafür zu sorgen, daß sie ihm nicht mehr in die Quere kam. Gleichzeitig würde man der Gesellschaft zu verstehen geben, daß das Verlöbnis ein jähes Ende gefunden hätte.

„Verdammtes Weibsstück!“ stieß der Herzog hervor und betrachtete das bleiche Antlitz seines bewußtlosen Erben. „Verdammtes Weibsstück, verfluchte Weiber! Im Grunde genommen sind sie sich alle gleich, eine wie die andere!“

Der Herzog und Das Madchen

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