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MAURICE BARRÈS

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»Immerzu traurig, Amaryllis! sollten dich die jungen Herrn im Stich gelassen haben, deine Blüten welk, deine Wohlgerüche ausgehaucht sein? Ließ Atys, das göttliche Kind, von dir mit seinen eitlen Liebkosungen? Amaryllis, wünsch dir was, einen Gott oder ein Kleinod, wünsch dir alles, außer Liebe, die kann ich hinfort nicht mehr; – obendrein, was vermöchte nicht ein Lächeln von einer, die Aphrodite zärtlich liebt?«

So sprach Lucius gelinde mit Amaryllis, der sehr jungen Kurtisane mit den Goldaugen und dem goldenen Haar; und ihr Barkschiff gleitet dazu auf dem blauen Kanal hin, und die Seerosen rauschen.

Von den schlafenden Bäumen wacht unbewegt das Spiegelbild auf der Oberfläche des tiefen Wassers. Das Ufer wartet prunkend auf mit seinen wollüstigen Landhäusern, seinen Pomeranzenhainen und seiner großen Stille. Zwischen dem grünen Gezweig leuchtet zuweilen der gelb gewordene Marmor einer Gottfigur auf, und das unveränderliche Verhalten dieser manchen Götter scheint wie eine Geringschätzung der veränderlichen, schillernden Reden der leichtblütigen Orientalin und ihres skeptischen Freunds. Weit, weit und in der Wärme blaßrosenfarben verfließend ist es nur die Linie der Berge, der Hort der Einsiedlerischen und der wilden Tiere, die ein wenig diesen Himmelstraum verstört. Und nun ist man schon dem Gestade sehr nah, an dem die Stadt wollüstig hingelagert ist, von den Lippen der Wellen und der Winde geschmeichelt, die Stadt, die die Arme über das Meer ausstreckt und das ganze All herbeizurufen scheint, herbei ans Duft ausströmende und fieberhaft durchwühlte Bett, der Agonie einer Welt zu Hilfe und zu der Geburt neuer Jahrhunderte.

Mit einer müden, überdrüßigen Grazie ruht sich Amaryllis auf weißen Seidenpolstern aus. Der schwere Mantel aus Blattsilber – als ob er verwundend eindränge auf den nachgebenden Mädchenleib. Die runden blaugeäderten Arme liegen wie eine Krone um das Gesicht der Jungfrau, das die Jünglinge auspeitscht. Und so geht das leise Lied ihrer Stimme:

»Lach immer, Lucius, lach zu. Wenn ein Sterblicher meine Langeweile zerstreuen kann, bist du’s, von dem ich’s hoffe. Du hast geliebt, Lucius, man erzählt, daß du geweint hast vor Betten, die dich verschmähten oder die zu kalt waren. Heut, überdrüssig, lachst du über die Frau. Begreif’ doch, daß mich dies ewige Geseufze der Männer zur Verzweiflung bringt. Ich bin jung und schön und langweile mich, ja, Lucius. Die Zärtlichkeiten dieses Atys, die Mysterien der Isis und wie groß Serapis sei, befriedigen meine Sehnsüchte nicht; was will mir Aphrodite? Ich bin es, die die Liebe erregt; ich weiß um ihre Leiden, und daß sie einen tot machen, denn Liebesgirren wird zur Gewohnheit. Ich bin eine Syrierin, die Tochter einer Freigelassenen, die eine Seherin war; du bist ein Römer, fast ein Hellene, du weißt dich lustig zu machen, Lucius, aber trösten wär ein Süßeres, Köstlicheres.«

Der Römer lehnte an einem Schaft des purpurnen und schwarzen Baldachins und spielte mit den Goldquasten seiner gelbseidenen Tunika. Die Eleganz seiner Bewegungen erzählte, daß er ein Lebemann war, gewöhnt, es zu sein, und müde, es zu sein. Er meidet gern die ernsten Worte, die bald geschmacklos klingen.

»Du, Amaryllis. Laß mich, bitte, ein wenig erstaunt sein, daß so ein kleines Herz soviel leiden mag, und was sich hinter so einer schmalen Stirn Merkwürdiges aufhält. Du hast junge reiche Liebhaber, hast Philosophen, ja, hast sogar Affen, die dich allzusamm’ aufheitern können. Und da sehnst du Götter herbei und Dinge, die nicht einmal Namen haben!«

Die bläuliche Seide ihres Obergewandes ließ den jungen Weibleib, in Brokat starrend, durchscheinen. Die schlanken Finger spielten mit der gelblichen Kristallkapsel, darin ihre Mutter dereinst Beschwörungsgebete verschloß. Nichts war hörbar als das Wasser unter der Barke; und von Zeit zu Zeit schoß ein Fisch auf, daß sein Leib ein silberner Blitz war. Aber das zermarterte Herz des Kindes war traurig.

»In welches Theater, zu welcher Wundertäterin oder in was für einen Tempel geht unsere Amaryllis heute? Ich möchte sie doch gerne führen, wohin sie es treibt, ehe ich selber ins Serapeum gehe.«

»Du bist von der Athene eingeladen?« fragte die Junge und erhob sich, und ihre Stimme klang aufgeweckter. »Athene! Sie weiß die Dinge, so sagt man, und die Götter beschützen sie. Einmal, mitten unter Blumen und jungen verliebten Leuten war ich, da hab’ ich sie gesehen, auf einem Turme vom Serapeum, sie war verzückt und ganz in Weiß. Meine Freunde jauchzten ihr zu, aber ich war gar nicht eifersüchtig, weil sie doch eine keusche Gottheit ist. Und dann kamen von jenen Menschen dazu, die ein Kreuz anbeten und alle Gewißheit besitzen, und pfiffen sie aus. Über ihr erblaßte der Mond, hoch über aller Roheit. Aber jene andern wurden in Licht von der aufgehenden Sonne getaucht, wie in Blut, in Siegerblut, und ich muß denken, das sei eine Vorbedeutung. Sag, wie macht die sich denn die Seelen dienstbar? Ist sie schöner als ich, sag’? Vielleicht könnte sie mich heilen.«

»Immerfort träumst du doch, Amaryllis. Deine Träume verderben dir die Freude am Leben. Lächle lieber, du meine liebe Lydierin, und zu deinem Munde werden die einen kommen und an deinem Kuß zerbrechen, die andern kommen und ihre letzten Täuschungen loswerden. Raub’ du die Stunde aus, die gegenwärtig ist, leb’ an den Liebesbränden der Jüngsten und an den Freundschaftsfeuern derer, die wollustmüde geworden sind – und laß die Jungfrau vom Serapeum sich von Vergangenem nähren!«

Und er beugte sich und hielt die Hand der Amaryllis in seinen Händen. Aber Amaryllis fing an zu weinen:

»Bei unseren Lüsten, die dir noch gegenwärtig sind, bei deiner Liebe, die du zu meinen kleinen Grübchen empfandest, bei dem Haß, mit dem du die Christen hassest, die mich nicht mögen, bei meinem Weinen, das mich wieder häßlich machen wird, Lucius – Lucius, bring mich zu der Athene!«

Der junge Mann hielt sie mit seinen Armen auf und kniete vor ihr:

»Du bist dazu ausersehen,« sagte er, »daß du einen gesunden und schönen Leib trägst. Wer möchte den öffnen und die Gedanken in ihn einlassen, die doch alles entstellen!«

Indes, da sie nicht aufhörte zu jammern, und der froheste Tag durch Tränen einer Frau zu einem betrüblichen werden mag:

»Nun, gut, Amaryllis. Lächle und gib mir die Hand, daß wir zur Athene gehen und daß ich dich weise, wie eine junge Schülerin.«

Da hob das Kind den Kopf auf. Es erstrahlte das feine Gesicht, und ganz schnell richteten die Hände im Haar. Die Ruderstangen hielten an, und die Barke stieß leicht ans Ufer, wo eine Menge Volks promenierte.

»Ins Serapeum!« sagte sie groß.

In einer Sänfte und im Schatten der Säulengänge kamen sie langsam vorwärts, unter den Parfüms all der möglichen Stämme dieses durch allerlei seltsamste Prostitutionen des Weibes und junger Männer gesteigerten Orients. An einer Straßenecke, plötzlich, stürzte ihnen dann ein Pöbel mit Heulen entgegen, lauter wilde Gestalten und von etwas sehr begeistert. Christen warens, die so daherstürzten und die Juden erschlagen wollten. Die Kurtisane erzittert; duckt ihr feines Gesicht an die Draperien; und unter dem rieselnden Goldhaar will es ein wenig lächeln und sucht die Augen des Lucius. Da schrie einer aus der Flut, die sich daherwälzte, einer, der alles mit seinem Wuchs überragte und der sie alle aufreizte, schrie:

Der Mord an der Jungfrau

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