Der Vorhang
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Ein Roman, der alles, was wir über autobiografisches Schreiben zu wissen glauben, über den Haufen wirft. Die unglaubliche und mitreißend erzählte Geschichte von zwei Fluchten in beide Teile Deutschlands.
1953 flüchtet eine junge Familie aus der DDR in den Westen. Die Gründe für die Flucht kann das Kind nur erahnen, aber schon bald ist die frühe Erinnerung an das östliche Deutschland verblasst: Das sogenannte Wirtschaftswunder verschafft den Eltern einen kleinen Wohlstand, als sie in einer rheinischen Kleinstadt ein Einzelhandelsgeschäft gründen. Zunächst geht es gut, doch dann werden die einstigen Gewinner des Aufschwungs zu Verlierern der Marktwirtschaft. Immer deutlicher wird auch die soziale Ausgrenzung des unverheirateten Paares in der katholischen Provinz. Und so entschließen sie sich zu einer erneuten Flucht: Diesmal zurück nach Ostdeutschland. Lange nach der Wende fährt das Kind zurück in die alte westdeutsche Heimat. Aber der Versuch, die eigene Kindheit jenseits des Eisernen Vorhangs wiederzufinden, endet am Rand eines großen Lochs, dem Braunkohletagebau Hambach, der viele uralte Dörfer und einen ganzen Wald geschluckt hat und schon bis an die Stadt ihrer Kindheit heranreicht.
Wo nichts mehr gefördert werden kann, entstehen neue Landschaften mit riesigen Seen. So endet ihre Reise in die Vergangenheit in einer imaginären Landschaft der Zukunft; das Zeitalter der Kohle ist zu Ende, Köln ist eine Hafenstadt, das große Loch wird geflutet und die rheinische Bucht ist wie vor 30 Millionen Jahren von einem großen tropischen Meer bedeckt.
Отрывок из книги
BEATRIX LANGNER
Eine (beinahe) wahre Geschichte
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Dat is aber ohne Frühstück, brummte er und steckte den Schein achtlos in seine Hosentasche.
Kein Problem, sagte ich, nahm meine Tasche und stieg die Treppe hinauf. Hinter mir erlosch das Licht, eine Tür schlug, ein Schlüssel drehte sich im Schloss, ich war allein. Im Zimmer brannte eine nackte Glühbirne an der Decke, im Nachttischschränkchen lag, in schwarzes Kunstleder gebunden, ein katholisches Gebetbuch. Schrank, Bett, Nachttische, zwei Stühle, alles helle Esche oder Birke, frühe sechziger Jahre, Gelsenkirchener Barock, das zwanzigste Jahrhundert war hier vor langer Zeit eingedöst. Ich stellte die Tasche ab, wusch Gesicht und Hände über dem kleinen Waschbecken und zog die Gardine zurück, das Fenster ging auf einen kleinen Garten mit niedrigen Obstbäumen, so viel war in der Dunkelheit zu erkennen. Es war noch zu früh zum Schlafen, ich war hungrig, das Zimmer war ungeheizt, also behielt ich den Mantel an und ging durch das kalte, stille Haus noch einmal hinunter auf die Straße. Es nieselte. An manchen Hauseingängen blieb ich stehen, berührt von dem einen oder anderen heranwehenden Gesicht, einer Straßenflucht, einem Zimmer mit Blick auf ein Vorgärtchen, die wieder verschwanden, ohne deutlich zu werden. Etwas fehlte. Kein inneres Bild wollte sich einstellen, das meine eigene Anwesenheit an diesem Ort, in dieser Straße beglaubigt hätte.
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