Aus meinem Leben. Erster Teil
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Bebel August. Aus meinem Leben. Erster Teil
Vorwort
Aus der Kinder- und Jugendzeit
Die Lehr- und Wanderjahre
Zurück nach Wetzlar und weiter!
Mein Eintritt in die Arbeiterbewegung und das öffentliche Leben
Lassalles Auftreten und dessen Folgen
Der Vereinstag der deutschen Arbeitervereine
Friedrich Albert Lange
Neue soziale Erscheinungen
Der Stuttgarter Vereinstag
Wilhelm Liebknecht
Zunehmende Verstimmung in den Arbeitervereinen
Die Katastrophe von 1866
Nach dem Krieg
Die Weiterentwicklung
Persönliches
Der Marsch nach Nürnberg
Die Gewerkschaftsbewegung
Meine erste Verurteilung
Vor Barmen-Elberfeld
Отрывок из книги
Will man einen Menschen genauer beurteilen, so muß man die Geschichte seiner Kinder- und Jugendjahre kennen. Der Mensch kommt mit einer Anzahl Anlagen und Charaktereigenschaften zur Welt, deren Entwicklung von den ihn umgebenden Zuständen sehr wesentlich abhängt. Anlagen und Charaktereigenschaften können durch Erziehung und Beispiel der Umgebung gefördert oder gehemmt, ja bis zu einem gewissen Grade unterdrückt werden. Es hängt alsdann von den Verhältnissen im späteren Leben, öfter auch von der Energie der betreffenden Persönlichkeit ab, ob und wie fehlerhafte Erziehung oder unterdrückt gewesene Eigenschaften sich Geltung verschaffen. Das kostet oft genug einen schweren Kampf mit sich selbst, denn die Eindrücke, die der Mensch in seiner Kinder- und Jugendzeit empfängt, beeinflussen am meisten sein Fühlen und Denken. Was immer im späteren Leben die Verhältnisse aus dem einzelnen machen, die Eindrücke seiner Jugend wirken im guten wie im schlimmen Sinne auf ihn, und oft bestimmen sie sein Handeln.
Ich wenigstens muß eingestehen, daß die Eindrücke und Erlebnisse in den Kinder- und Jugendjahren mich häufig in einer Weise gefangen nahmen, daß ich Mühe hatte, mich ihrer zu erwehren, und ganz los geworden bin ich sie nie.
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Die Krankheit meines Vaters machte unterdes rapide Fortschritte. Bereits am 19. Oktober 1846 starb er nach etwa zweijähriger Ehe. So war meine Mutter binnen drei Jahren zum zweitenmal Witwe und wir vaterlose Waisen. Auch aus dieser Ehe hatte die Mutter keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Nunmehr blieb ihr nichts übrig, als nach ihrer Heimat Wetzlar überzusiedeln. Anfang November wurden abermals die Siebensachen auf einen Wagen geladen – die heutigen Möbelwagen gab es wohl zu jener Zeit noch nicht – und wurde die Reise nach Köln angetreten. Das Wetter war häßlich. Es war kalt und regnerisch. In Köln wurde der Hausrat am Rheinufer unter freiem Himmel aufs Pflaster gesetzt, um von dort per Schiff nach Koblenz und von dort wieder per Wagen das Lahntal hinauf nach Wetzlar transportiert zu werden. Als wir abends gegen 10 Uhr die Schiffskajüte zur Fahrt nach Koblenz betraten, war diese mit Menschen überfüllt und herrschte ein Tabaksqualm zum Ersticken. Da uns niemand Platz machte, legten wir zwei Jungen, todmüde wie wir waren, uns dicht an der Tür auf den Fußboden und schliefen, wie nur müde Kinder schlafen können. Den fünften oder sechsten Tag kamen wir endlich in Wetzlar an, in dem damals noch meine Großmutter und vier verheiratete Geschwister – drei Schwestern und ein Bruder – meiner Mutter lebten.
Unsere eigentliche Jugendzeit verlebten wir jetzt hier. Wetzlar, eine kleine, romantisch gelegene Stadt, besaß damals eine ganz vortreffliche Volksschule. Zunächst kamen wir beide in die Armenschule, die sich in einem großen Gebäude, dem Deutschen Haus, das ehemals den deutschen Ordensrittern gehörte, befand. In dem großen Vorhof zu diesem Gebäude steht links das einstöckige Haus, in dem einst Charlotte Buff, die Heldin in Goethes Werther, wohnte. Der Zufall wollte, daß ich später mehreremal in diesem Hause übernachtete, als einer meiner Vettern Cicerone für das Charlotte-Buff-Zimmer wurde. Ich kann mich auch noch der Feier zum hundertsten Geburtstag Goethes (1849) erinnern, die am Wildbacher Brunnen stattfand, woselbst sich die Goethelinde befindet. Der Brunnen heißt seit jener Zeit Goethebrunnen. Zehn Jahre später wohnte ich der Feier zu Schillers hundertstem Geburtstag im Salzburger Stadttheater bei.
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