Wie ich meine Zeitung verlor
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Er ist jung und eifrig. Er ist stolz auf sich und auf die große Zeitung, bei der er arbeiten darf. Er genießt es, die Dinge kühl und gegebenenfalls scharf niederschreiben zu dürfen, er genießt es umso mehr, da es in seinem vorherigen journalistischen Leben nicht möglich war; er ist der erste Ostler in der Redaktion. Zunächst arbeitet er im Sportressort, dann als Reporter. Über Jahre geschieht und gelingt alles wie selbstverständlich, weit ist diese Welt hier und offen – bis das Vorherige, das Bedrängende von Neuem aufscheint, in eleganterer Form, mit dramatischen Folgen … «Immer heißt es, wir müssen uns unsere Geschichten erzählen, von Ost nach West und zurück, aber wenn man's tut, und es ist ja schon eine riesige Entblößung, es zu tun, dann wird abgewunken und gesagt, lass doch dein Moralisieren.» Seine Geschichte führt auch zu der Frage, die sich vielen Lesern bei der Zeitungslektüre stellt: Was denken sich Reporter und Kommentatoren eigentlich bei dem, was sie schreiben? Machen sie routiniert ihren Job, verfolgen sie ein höheres Ziel, sind Ehrgeiz oder Gefallsucht, Recherchelust und Aufdeckungsfreude im Spiel? Ist das von Aufklärungsfuror oder von Interessen, ist es von Vernunft oder der Meinung des Chefredakteurs geleitet? Aus diesen Fragen und Zweifeln speist sich ein seit Jahren wachsendes Misstrauen gegen die Presse, das sich in wütenden Protesten, in rechten Propagandalosungen, in dumpfen Ressentiments ebenso wie in scharfsinniger Kritik und nüchternen wissenschaftlichen Analysen niederschlägt. Wie aber reflektieren die betroffenen Journalisten das fragil gewordene Verhältnis zu ihren Lesern, zu den Strukturen, in denen sie arbeiten, zu ihren Arbeitgebern, zum Ethos ihres Berufs? Birk Meinhardt, der lange für eine Tageszeitung gearbeitet hat, gehört zu den wenigen, die sich einer genauen Selbstbefragung unterzogen haben und ihre Position auf dem brüchigen Pflaster des Medienbetriebs zu orten versuchen. Seine Geschichte ist die eines leidenschaftlichen Journalisten, der als erster Ostler in der Redaktion eines angesehenen Blattes arbeitet und lange blind bleibt für die Widerstände, auf die seine Arbeit zunehmend trifft. Es ist die Geschichte einer Ernüchterung und – schließlich – einer Entzweiung. Er hat sie aufgeschrieben und stellt sie in die aufgeregten Diskussionen auf dem Feld, wo um Meinungsfreiheit ge- und die vermeintliche «Lügenpresse» bekämpft wird. Ist er ein Held der Pressefreiheit, ein Nestbeschmutzer, ein Ankläger, oder ist er einfach nur überempfindlich?
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Die Rechte an den hier erstmals veröffentlichten Reportagen lagen bei der Zeitung. Die Chefredaktion übertrug sie mir auf meine Bitte hin, dafür danke ich ihr.
Eine Art Atrium, ein gläsernes Oval innerhalb eines großen fensterlosen Raumes, der aber heller und frischer wirkt als die Sitzungsräume des Gebäudes, in dem ich bis zum vergangenen Jahr gearbeitet habe, obwohl es dort jeweils eine ganze Fensterfront gab; ich habe noch das Flackern des Neonlichts unter den Lidern, das Summen der Klimaanlage im Ohr, die trockene Luft in der Nase; der Sitzungsraum der Wochenzeitung im zehnten Stock und jener der FDJ-Zeitung im achten waren identisch.
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Abends gebe ich in einer Gastwirtschaft meinen Einstand für die Kollegen des Sportressorts, nicht wie bei uns Abteilung heißt es, sondern Ressort. Unaufgesetzte, fast spielerische Eingemeindung, Stunden schon, da ruft ein freier Mitarbeiter mir zu, du hast natürlich den Ostbonus. Wenn es nach Leistung gegangen wäre, hätte ich die offene Stelle kriegen müssen. Sofort strecken sich ihm Hände entgegen, mit der Innenseite voran, wie von Polizisten, die den Verkehr stoppen, ej, rufen dazu einige in Richtung des Freien, ganz ruhig, ganz ruhig. Dann machen wir weiter, als wäre nichts gewesen, aber ich bin noch überwältigt von der Chuzpe des Burschen. Ich weiß auch gar nicht, ob er nicht recht hat. Ich ziehe es, während ich Konversation betreibe, fortwährend in Erwägung; so ist es oft, kaum sagt jemand einen Satz mit größter Gewißheit, schon bin ich geneigt, über den Satz nachzudenken, nur wegen der Gewißheit, mit der er hervorgebracht worden ist.
Das Niveau im Ressort ist hoch, jeder hat in seiner Art zu schreiben etwas, das die anderen sich von ihm abschauen können, ein jeweils einzelnes und zugleich ein gemeinsames Strecken, es beglückt mich, daran teilzunehmen. Wir haben auch einen feinen, einen großzügigen Chef, er dirigiert sanft und kritisiert nicht rabiat: Nachdem ich im Spätdienst in die Überschrift einer Nachricht Schweinfurth geschrieben habe, nimmt er mich am Morgen beiseite und sagt milde, Schweinfurt schreibt sich eigentlich ohne h. Acherje, sage ich. Deutsche lernen Deutschland kennen, gibt er nur zurück.
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