Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens

Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens
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Ist es normal und sogar wünschenswert, Menschen im Alter von 65 oder 67 Jahren aus dem Erwerbsleben auszugliedern und sie zu Versorgungsfällen einer von ihnen selbst zu finanzierenden Rentenkasse zu machen? Durch die Belastungen und Wechselfälle eines Berufslebens in der Konkurrenzgesellschaft sind lohnabhängig Beschäftigte sogar oft noch früher verbraucht und sehnen die Rente geradezu herbei. Sie hoffen, gesund zu bleiben und stellen sich darauf ein, «was dann noch geht». Das Buch erklärt, warum es diese soziale Errungenschaft gibt und was sich die arbeitende Bevölkerung mit ihrer «Lebensleistung» als Lohn für das Leben im Alter einhandelt.

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Brigitte Geldermann. Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens

Impressum. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich

1. Der Ruhestand als Phase im modernen normierten Lebenslauf „Man lebt so vor sich hin und auf einmal wird man als den Alten zugehörig erklärt“ (Faulstich 2009, 8) Das „Rentenalter“: Verfallsdatum der Arbeitskraft. Im alten China traten die Männer mit dem 70. Lebensjahr von öffentlichen Ämtern zurück, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie behielten allerdings noch ihre volle Autorität in der Familie, auch nachdem sie die Leitung des Hauses dem ältesten Sohn übergeben hatten. Von ihren Kindern und Enkeln wurden sie verehrt als die künftigen Ahnen, denen kultische Dienste zu erweisen sein würden (vgl. Beauvoir 1972, 115) Dagegen gab es generell bis in das 20. Jahrhundert hinein keine festen Altersgrenzen für die Berufstätigkeit. Sie wurden in den modernen Industriestaaten erst ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführt. Davor beendeten die älteren Menschen ihre Arbeitstätigkeit in der Regel nicht wegen des Alters als solchem, sondern weil Krankheit oder Invalidität sie dazu zwangen, oder weil sie mit nachlassender Leistungsfähigkeit keine Beschäftigung mehr fanden. Für die Masse bedeutete das: Abhängigkeit von der Familie mit allen unerfreulichen Begleiterscheinungen, Armenhaus oder Bettelei. Gehörte man den besseren Ständen an, konnte man sich „zur Ruhe setzen“ und den Lebensabend genießen. Mit Bezug auf Autoren der Antike verbreitete sich in der englischen Oberschicht seit dem 17. Jahrhundert der Begriff des „retirement“. Der Ruhestand war Ausweis eines erfolgreichen Lebens und hohen Lebensstandards. Zur Finanzierung dieser arbeitsfreien Lebensphase entstanden unter anderem Lebensversicherungen. Das Beamtenrecht lieferte das Vorbild für eine Altersgrenze, mit der die Entlassung eines abhängig Beschäftigten möglich wird: Das preußische Zivilpensionsgesetz von 1882 bestimmte erstmals, dass Beamte nicht wie zuvor nur bei nachgewiesener Dienstunfähigkeit, sondern mit Erreichen des 65. Lebensjahres von Seiten des Staates oder auf eigenen Antrag pensioniert werden können (nicht müssen). Damit umging man die diskriminierende Dienstunfähigkeitsfeststellung. Beamte hatten im Unterschied zum besitzenden Bürgertum, das sich im Ruhestand auch politisch oder kulturell betätigen konnte, ein Interesse daran, möglichst lange im Amt zu bleiben, um die eigene Reputation zu erhalten oder sich qua Amt für Familieninteressen einzusetzen. Mögliche Aktivitäten im Ruhestand waren für sie durch die fortbestehende Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Dienstherrn begrenzt (vgl. Göckenjan 2000, 343) Historische Biografien sind voll von Beispielen lebenslanger Tätigkeit. Monarchen blieben ein Leben lang auf dem Thron, auch wenn sie das Regieren an Minister oder Verwandte delegieren konnten. Wissenschaftler und Künstler schufen Werke auch in reifen Jahren. So schrieb beispielsweise Alexander von Humboldt bis zu seinem Tod im Alter von 90 Jahren noch wissenschaftliche Darstellungen. Der Komponist Georg Philipp Telemann starb 1767 mit 86 Jahren im Amt des Hamburger Musikdirektors. Max Planck unternahm mit weit über 80 Jahren noch Vortragsreisen. Albert Einstein, der einmal gesagt haben soll: „Ein Physiker ist mit 30 Jahren praktisch tot.“- forschte bis zu seinem Tod mit 76 Jahren. Galilei verfasste seine wichtigsten Werke im Alter von über 70 Jahren. Auch heute ist es in manchen Bereichen durchaus üblich, nicht mit dem 65. Lebensjahr abzutreten. Konrad Adenauer war mit 87 Jahren noch deutscher Bundeskanzler. Sein späterer Amtsnachfolger Helmut Schmidt fand mit über 90 Jahren noch Gehör in der deutschen Politik und ihren Talkshows. Janet Yellen wurde 2014 mit 67 Jahren zur Chefin der US-Notenbank berufen. Der Schauspieler Yves Montand starb mit 70 Jahren am Filmset. Mit 82 Jahren nahm die Pianistin Elly Ney im Herbst 1964 als Solistin an einer 19-tägigen Tournee des Berliner Symphonischen Orchesters teil. Der Dirigent Lorin Maazel wurde mit Beschluss des Münchner Stadtrats vom 24. März 2010 für die Konzertsaison 2012, in der er sein 82. Lebensjahr erreichte, zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker berufen

Unter den Professoren, die in Deutschland in Pension geschickt werden, lehren etliche noch mehrere Jahre in den USA. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen. Es handelt sich dabei offensichtlich um privilegierte Personen, die sich auch nach mehr als vier Jahrzehnten im Beruf nicht aufgerieben haben und die Arbeit nicht als notwendiges Übel verstehen, dem man sich sobald wie möglich zu entziehen sucht. Auf den unteren Hierarchieebenen wird dagegen der Rentenbeginn zumeist herbeigesehnt, und sogar ein vorzeitiger Ausstieg trotz finanzieller Einbußen angestrebt. Allerdings finden sich nach wie vor - bzw. heute wieder vermehrt – „aktive Senioren“, die nachdem sie ihre angestammten Plätze in Fabriken und Büros geräumt haben, Minijobs als Putzfrau oder Aushilfe im Supermarkt übernehmen, um ihre magere Rente aufzubessern. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2017 12 Prozent der 65- bis 74-Jährigen erwerbstätig gegenüber 6 Prozent im Jahr 2007 (https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/Arbeitsmarkt/Erwerb_Rentenalter.html) Insgesamt waren 1 182.000 Personen, 737.000 Männer und 445.000 Frauen im Alter von über 65 erwerbstätig https://www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahrbuch/Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile) Zur Historie. Der Ruhestand als Phase in einem staatlich normierten Lebenslauf entsteht mit der Festlegung von Altersgrenzen, die zum Bezug einer Rente berechtigen. Pensionssysteme gab es zunächst für Beamte und Militärs. Die preußische Beamtenversorgung orientierte sich am 65. Lebensjahr, die staatliche Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter, die unter Reichskanzler Bismarck und Kaiser Wilhelm II. eingeführt wurde, sah das 70. Lebensjahr vor. Diese Altersgrenzen waren zunächst reine Verwaltungsdaten. In Verbindung mit anderen objektivierbaren Kriterien wie Beschäftigungsdauer und Verdienst waren sie Kalkulationsbasis für die Höhe der auszubezahlenden Rente und die Finanzierung des gesamten Systems (vgl. Borscheid 1992, 58). Ein automatisches Ausscheiden aus dem Arbeitsleben markierten sie nicht. Die Rente war nicht als Lohnersatz, sondern als Kompensation für nachlassende Arbeitskraft gedacht. Nach wie vor gab es Regelungen vor allem in Kommunalverwaltungen, nach denen Älteren zum Beispiel Tätigkeiten als Nachtwächter, Pförtner oder Rathausdiener übertragen wurden. Im bäuerlichen Umfeld wurde erwartet, dass sie mit leichten handwerklichen oder hauswirtschaftlichen Arbeiten wie Stricken, Spinnen, Besenbinden, Flechten oder Schnitzen zu ihrem Unterhalt beitrugen (vgl. Göckenjan 2000, 325). Nicht mehr Arbeitsfähige waren auf die Familie oder die Armenfürsorge verwiesen. Eine alimentierte Freistellung von Arbeit aufgrund des Lebensalters war nicht einmal Gegenstand von Sozialutopien (ebd. 309). Im Gegensatz dazu wurde Arbeiten auch im Alter noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als moralische Pflicht angesehen und automatische Pensionierung als entwürdigend für die Menschen, die dann nur noch als nutzlose Population zählten (ebd. 326 f.). Erst mit den Nationalsozialisten wurde die Ausmusterung der Alten in einen wohlverdienten „Lebensfeierabend“ umgedeutet (ebd. 332) Die pauschale Entlassung ganzer Jahrgänge aus dem Arbeitsleben kam auf mit der Einführung neuer, „wissenschaftlicher“ Produktionsmethoden (Stichwort „Taylorismus“) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die entsprechenden Rationalisierungsmaßnahmen stellten die Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeiters konsequent auf den Prüfstand. Sowohl im Zusammenhang der Zeit- und Bewegungsstudien des Taylorismus sowie der Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik über „Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft“, die ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit ab dem 40. Lebensjahr konstatierten, wurde eine zwangsweise Pensionierung mit einem bestimmten Lebensalter gefordert. 1929 wurde in Kalifornien das 70. Lebensjahr als automatische Pensionsgrenze erstmals eingeführt (vgl. Borscheid 1992, 59). Dass der durchschnittliche Lohnarbeiter nach 40 Arbeitsjahren verbraucht, den Anforderungen an einem rentablen Arbeitsplatz nicht mehr gewachsen ist, wurde eine offiziell anerkannte Tatsache. In Deutschland wurde keine Zwangspensionierung eingeführt, jedoch wurden die Älteren zunehmend aus der Wirtschaft verdrängt. Die gesetzliche Altersgrenze für den Rentenbezug erspart es den Arbeitgebern, ihren älteren Mitarbeitern wegen nachlassender Leistungsfähigkeit kündigen zu müssen. Noch nach Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 war der Renteneintritt nicht zwangsläufig mit einer Aufgabe der Erwerbstätigkeit verbunden. Speziell während der Boomphase der frühen 1960er Jahre stieg die Zahl der Männer und Frauen, die im Alter von 65 beziehungsweise 60 und mehr Jahren einer unselbstständigen Beschäftigung nachgingen, deutlich an. Erst infolge des Anstiegs der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1967/68 und endgültig nach der ersten Ölkrise von 1973 nahm der Druck auf die Älteren zu, zugunsten der Jüngeren aus dem Berufsleben auszuscheiden (vgl. 6. Altenbericht 2010, 84) Der systematische Austausch der älteren gegen leistungsfähigere, jüngere Erwerbspersonen sichert einen kontinuierlichen Zu- und Abfluss von Arbeitskräften und Qualifikationen. Dieser wird gewährleistet durch die staatliche Garantie eines „Lohnersatzes“, der von der Arbeitsbevölkerung als Lohn für eine Lebensleistung akzeptiert wird

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis etwa 1970 hat sich in allen Industriestaaten eine generelle Ruhestandsphase für männliche Arbeitnehmer ab etwa dem 65. Lebensjahr durchgesetzt. Die „Erwerbsbeteiligung3“ über 65-jähriger Männer sank in USA, Frankreich, Schweden, Großbritannien und Deutschland von 60 – 69 Prozent um 1900 auf zwischen 17 und 29 Prozent im Jahr 1970 (Kohli 1992, 239) 3 Dieser Terminus der Arbeitsmarktstatistiken ist ein Euphemismus: Die für viele bittere Notwendigkeit, sich von einem Unternehmen nach dessen Kriterien benützen zu lassen, um überhaupt eine Chance auf einen Lebensunterhalt zu haben, wird ausgedrückt als autonome Entscheidung für Erwerbstätigkeit

War zu Bismarcks Zeiten noch von einer „Arbeiterklasse“ die Rede, die durch ihre ökonomische Stellung charakterisiert war, so gelten heute die Kriterien und Unterscheidungen, die der moderne Sozialstaat setzt: Die Klasse wird damit auseinanderdividiert und mit durchaus konfligierenden Interessen versehen: in Beschäftigte und Arbeitslose sowie Alte (die Kostgänger) und Junge (die Beitragszahler). Durch das Rentensystem wird daraus ein „Generationenvertrag“, der auch als „Generationenkonflikt“ problematisiert wird. Dazu mehr in Kapitel 2. Verlängerung und Verkürzung der Ruhestandsphase als Mittel der Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik. Welche Altersgrenze genau festgelegt wird, also welche Lebensarbeitszeit man den Menschen zumuten will, hängt noch von anderen Faktoren ab als von der Einschätzung, mit welchem Alter die Leistungsfähigkeit im Schnitt ausgereizt ist. „Flexible Altersgrenzen“ definieren dabei Spielräume angesichts individueller Notlagen oder unternehmerischer Kalkulationen. Für die Arbeitsmarktpolitik ist das gesetzliche Rentenalter ein wesentliches Steuerungsinstrument. Der Soziologe Robert C. Atchley, Autor einer „Sociology of Retirement“, konstatiert: „At the societal level, retirement is primarily a mechanism for adjusting the supply of labor to the demand (Atchley 1976, 123).“ Bis Mitte der 80er Jahre wurden die Altersgrenzen unter dem Aspekt der Verkürzung der Lebensarbeitszeit festgelegt, um das Überangebot an Arbeit zu begrenzen und die weniger Leistungsfähigen „sozialverträglich“ als Arbeitnehmer und Lohnempfänger auszusortieren4. 4 Vgl. auch Kohli 1992: „Offensichtlich ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ein Schlüsselmechanismus zur Anpassung an die abnehmende Nachfrage nach beziehungsweise das wachsende Angebot an Arbeitskräften“ (242) Zusätzlich wurde in den 1970er Jahren durch verschiedene Regelungen den Unternehmen der Personalabbau via Frühverrentung schmackhaft gemacht. Frauen und ältere Arbeitslose konnten im Alter von 63 in Rente gehen, Schwerbehinderte – also noch weniger Leistungsfähige - schon mit 60 Jahren. Die so genannte „58er-Regelung“ bzw. der Paragraf 428 des Sozialgesetzbuch III zum „Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen“ förderte die Übergangsphase bis zum Rentenbeginn. Noch im Jahr 2003 lag der Anteil der Erwerbstätigen an allen 55- bis 64-Jährigen bei nur 39 Prozent (DZA 2005, 1) Mit der Rentenreform von 1992 fand hier eine grundsätzliche Umorientierung statt. Die Lebensarbeitszeit wurde seitdem sukzessive verlängert. Dabei wurden die bisherigen arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Kriterien von finanz- und wachstumspolitischen Überlegungen abgelöst und Besitzstände hinsichtlich Möglichkeiten und Ausstattung des Vorruhestands ohne größere öffentliche Diskussion beseitigt. Der Diskurs zur „demografischen Entwicklung“, auf den noch einzugehen sein wird, flankierte diese Politik. Im Rahmen der sogenannten Lissabon-Strategie haben sich die EU-Staaten im Jahr 2000 darauf geeinigt, die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeit­nehmer zu erhöhen. Bis 2010 sollte demnach in allen Mitgliedstaaten mindestens die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig sein. Nach Ergebnissen der Europäischen Arbeitskräfteerhebung erreichte Deutschland dieses Ziel mit einer Erwerbstätigenquote von 52 Prozent erstmals 2007. Die Quote ist seitdem weiter gestiegen und erlangte 2017 mit 58 Prozent ihren bisherigen Höchststand (Destatis 2018, 67) Was die 60- bis 64-Jährigen betrifft, so setzte nach Daten des Deutschen Alterssurveys hingegen erst zwischen 2002 und 2008 eine markante Entwicklung in der arbeitsmarkt- und rentenpolitisch gewünschten Richtung ein. Die Anteile der Erwerbstätigen im Alter von 54 bis 59 Jahren sowie von 60 bis 65 Jahren haben sich von 1996 zu 2014 um je 20 Prozentpunkte erhöht (1996: 56,6 Prozent, 2014: 76,1 Prozent für 54- bis 59-Jährige; 1996: 18,2 Prozent, 2014: 38,8 Prozent für 60- bis 65-Jährige). Der Anteil der erwerbstätigen Personen im Alter von 60 bis 65 Jahren lag jedoch auch 2014 deutlich unter dem Durchschnitt der erwerbstätigen Personen im Alter von 40 bis 65 Jahren (74,1 Prozent).5. (Das DZA erfasst hier die tatsächlich Erwerbstätigen, nicht die Erwerbspersonen, zu denen auch die Arbeitslosen zählen, allerdings nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern auch Selbstständige, mithelfende Familienangehörige und Beamte.) Der Anteil der Erwerbstätigen im Ruhestand nimmt von 5,1 Prozent im Jahr 1996 auf 11,6 Prozent im Jahr 2014 zu (vgl. Franke/Wetzel 2015, 43) 5 So kann man sich täuschen: Kohli (1992): „Nirgendwo ist es bisher gelungen, den Trend zum frühen Ruhestand umzukehren … Es ist anzunehmen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird, solange der allgemeine Angebotsüberschuss am Arbeitsmarkt und damit das geringe Interesse der Unternehmen an der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer fortbesteht“ (243) Während bei den Männern 14,7 Prozent im Ruhestand erwerbstätig sind, sind es bei den Frauen lediglich 8,6 Prozent. Ebenso sind mehr Personen mit hoher Bildung im Ruhestand erwerbstätig als Personen mit einem mittleren und niedrigen Bildungsniveau. Wie bereits vor dem Ruhestand, ist auch nach dem Ruhestandsübergang der Anteil der Erwerbstätigen in Westdeutschland mit 12,2 Prozent höher als der der Ostdeutschen (9,0 Prozent) (ebd. 56) Für die seit 1996 deutlich gestiegene Beschäftigung der 60- bis 64-Jährigen wird nicht nur der Reformkurs der Rentenpolitik verantwortlich gemacht, sondern auch das Nachrücken von geburtenstarken, besser gebildeten Jahrgängen in die Gruppe der älteren Erwerbstätigen, die mit höheren Qualifikationen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatten und gleichzeitig vom damaligen konjunkturellen Aufschwung am Arbeitsmarkt profitierten (DZA 2010, 2) Der Übergang in den Ruhestand. Die verbrauchte Arbeitnehmergeneration wird mittels institutioneller Arrangements aus dem Arbeitsmarkt ausgesteuert: Anspruchsvoraussetzungen für die Alimentierung durch Arbeitsverwaltung oder Rentenversicherungen weisen dem älteren Menschen einen Status als Rentner, als Arbeitsloser oder als Sozialfall zu. Seit dem Jahr 1996 bestand in Deutschland die Möglichkeit, den Übergang in die Rentenphase über Altersteilzeit zu gestalten. Nach dem novellierten Altersteilzeitgesetz wurde eine bis zum Jahresende 2009 angetretene Altersteilzeit über die Arbeitsverwaltung gefördert, wodurch ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres auf die Hälfte vermindern konnten. Bedingung ist lediglich, dass über einen Gesamtzeitraum von bis zu drei Jahren bzw. bei Regelung in einem Tarifvertrag bis zu sechs Jahren die Arbeitszeit im Durchschnitt halbiert wird. Bis zum Dezember 2009 wurden insgesamt 526.339 Altersteilzeitfälle von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt und gefördert. Mit einem Anteil von 93,5 Prozent wurde bei den 2009 bewilligten Fällen primär die Blockzeitlösung gewählt. Das Instrument Altersteilzeit dient damit ganz überwiegend dem vorzeitigen Wechsel in den Ruhestand und nicht, wie im Gesetz formuliert, dem gleitenden Übergang. Gleichzeitig haben sich die beschäftigungspolitischen Erwartungen nicht erfüllt, denn der Anteil der Arbeitslosen, die auf Altersteilzeitstellen nachrücken, ist seit 1997 kontinuierlich gesunken (6. Altenbericht 2010, 175). Das Interesse der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber an einer möglichst zeitigen Verrentung ist ungebrochen. 17,9 Prozent der Rentenzugänge im Jahr 2017 mündeten in die Erwerbsminderungsrente. Von diesen 165.638 Personen waren nur 47 Prozent im Jahr zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bei den Altersrentenzugängen im Jahr 2017 weist die Deutsche Rentenversicherung als letzten Versicherungstatus bei den Männern aus (DRV 2018, 75f.)

Bei den Rentenzugängen der Frauen 2017 war der letzte Versicherungsstatus:

Weniger als die Hälfte aller Neurentner hat also bis zum Rentenbeginn abhängig gearbeitet, wobei geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, sofern keine Versicherungsfreiheit in Anspruch genommen wurde, schon mit eingeschlossen sind. Die Quote hat sich allerdings in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Bei den Frauen ist das Ausscheiden aus dem Beruf noch weniger von einer festen Altersgrenze bestimmt. Teilzeit- und „Zuverdienst“- Beschäftigung war und ist vielfach auch heute noch bei ihnen Standard lange vor der Rente. Ihre Familienarbeit unterliegt keinem staatlichen Lebenslaufregime und wird nicht von der Arbeitsverwaltung erfasst. (Kindererziehungszeiten können allerdings der Rentenversicherung gemeldet werden und gehen in die Rentenberechnung ein.) Erwerbsbiografien von Frauen verlaufen weniger geradlinig, ihre „Erwerbsbeteiligung“ wird nicht nur durch ihre Situation am Arbeitsmarkt, sondern auch durch die Anforderungen der Familie bestimmt. Insgesamt sind die Frauenbeschäftigung und damit auch die Zahl der Ruheständlerinnen ständig gestiegen. Dass sie immer häufiger eine eigene Rente beziehen, sagt natürlich noch nichts über ihre materielle Lage im Ruhestand aus. Arbeitnehmer mit höheren Rentenanwartschaften gehen früher in Rente als solche mit geringen. Das Sozialversicherungssystem bestraft kurze oder unterbrochene Erwerbsbiografien. Die rigiden Wartezeitregelungen verlängern tendenziell die Übergangszeit zwischen Berufsaustritt und Renteneintritt (vgl. Radl 2007, 519). Die Anhebung der abschlagsfreien Altersgrenzen zwingt viele, den Rentenbeginn aufzuschieben (vgl. Brussig 2012, 2/19). Dennoch beziehen 36 Prozent aller Neurentner (2017) nicht den vollen Rentenbetrag, sondern kassieren einen Abschlag von im Schnitt 88 € im Monat (bei einem durchschnittlichen Rentenzahlbetrag von 816,08 € also mehr als 10 Prozent) bis an ihr Lebensende, weil sie ca. 30 Monate „zu früh“ in Rente gehen (vgl. DRV 2018, 80). Der Verdacht liegt nahe, dass ihnen Krankheit oder Arbeitslosigkeit keine andere Wahl lassen. Die Anhebung der abschlagsfreien Altersgrenzen und die Schließung von vorzeitig beziehbaren Altersrenten wurden in mehreren Schritten in den 1990er Jahren eingeführt und – abhängig von Geburtskohorte und Rentenart – zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam. Dafür nehmen die Rentenübergänge aus instabiler Beschäftigung zu. Immer mehr Menschen sind gezwungen, sich bis zum Rentenbeginn mit den Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, die sie auch danach noch benötigen. Der Deutsche Alterssurvey 2013 stellt fest: „Während das Renteneintrittsalter gestiegen ist, trifft dies auf das Alter, in dem Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nicht in vergleichbarer Weise zu. So liegt das Erwerbsaustritts­alter bei Personen, die zwischen 1996 und 2002 in Rente gegangen sind, bei durchschnittlich 57 Jahren. Bei Personen, die zwischen 2003 und 2008 in Rente gegangen sind, bei 56 Jahren und bei Personen mit einem Renteneintritt zwischen 2009 und 2011 bei 56,5 Jahren. Hier ist also bisher kein Trend in eine bestimmte Richtung zu beobachten (BMFSFJ 2013, 11).“ Die festgelegten Altersgrenzen bilden nur teilweise den Übergang aus einem Lebensberuf in die Rente ab. Wurde dieser Übergang noch bis vor einigen Jahren als Phase der Arbeitslosigkeit oder des Vorruhestands organisiert und finanziell ausgestattet, so fällt er zunehmend in die alleinige Verantwortung der Individuen. Nach Angaben des Deutschen Alterssurveys 2013 lag die Zeitspanne zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt für Personen, die 2009 – 2011 in Rente gegangen sind bei durchschnittlich 6,6 Jahren, im Vergleich zu 4,9 Jahren für Neurentner 1996 – 2002 (vgl. BMFSFJ 2013, 12). Überbrückt wurde diese Zeitspanne mit Altersteilzeit oder Vorruhestand, aber auch Phasen der Arbeitslosigkeit, Krankheit oder sonstiger Nichterwerbstätigkeit waren eingeschlossen. Letztere werden als „indirekter Rentenübergang“ bezeichnet, und die betroffenen Personen wiesen durchschnittlich 15 Jahre Abstand zwischen Erwerbstätigkeit und Rentenbezug auf, mit gravierenden Folgen für die Rentenhöhe. Die 66- bis 71-Jährigen des Jahres 2014 (Geburtsjahrgänge 1943/48) gingen mit durchschnittlich 62,3 Jahren in Rente, nachdem sie ihre Berufstätigkeit im Mittel mit 57,8 Jahren beendet hatten (vgl. Engstler/Romeu Gordo 2016, 69) Ärzte, Apotheker, Hochschullehrer ziehen sich vergleichsweise später aus dem Berufsleben zurück. Auch Manager arbeiten länger, andererseits aber auch Personen in einfachen Dienstleistungs- und in Agrarberufen. Am ehesten geben Bergleute, Gleisbauer oder Hilfsarbeiter den Beruf auf. Um die 65 Jahre herum geht die „Erwerbsbeteiligung“ in allen Berufen sehr stark zurück. Noch am geringsten ist dieser Rückgang bei Personen in einfachen Diensten, also z. B. bei Wachschutzpersonal oder bei Raum- und Gebäudereinigern. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der in diesen Bereichen beschäftigten Personen eine frühere Beschäftigung bereits aufgeben musste und eine einfache Tätigkeit – ggf. mit reduzierter Arbeitszeit - neu übernommen hat (vgl. Brussig 2010, 9f.) Die Wissenschaft unterscheidet bei den Determinanten des Renteneintritts „Pull“- und „Push-Ansätze“: Pull-Ansätze betonen den Stellenwert finanzieller Anreize – im wesentlichen die voraussichtliche Rentenhöhe, die den Arbeitnehmer zu einem früheren oder späteren Ausscheiden veranlassen. „Hingegen heben Push-Ansätze auf die strukturellen Zwangsmomente in der Ausgliederung älterer Arbeitnehmer aus den Betrieben ab (Radl 2007, 44).“ Dazu kommen „lebenslauforientierte Ansätze“, die auch moralische Kriterien einbeziehen, unter anderem, ob der Renteneintritt als legitimer Abschluss des Erwerbslebens interpretiert werden kann (vgl. ebd. 46) Diskussion über Altersgrenzen: Der Streit um den fiktiven Dachdeckergreis. Das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Alters-grenzenanpassungsgesetz) von 2007 sieht eine stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze vom 65. auf das 67. Lebensjahr vom Jahr 2012 an bis zum Jahr 2029 und entsprechende Anhebungen bei anderen Renten vor. Einwände gegen die Anhebung der Altersgrenzen für den Rentenbezug kamen und kommen überwiegend von den Gewerkschaften. Ein Argument ist dabei die besondere Belastung in bestimmten Berufen. Umfragen unter Arbeitnehmern sollen die Unzumutbarkeit eines längeren Verbleibs verdeutlichen. Die IG Metall gab dazu vor einigen Jahren diese Ergebnisse heraus:

Quelle: http://www.igmetall.de/hintergrund-rente-mit-67-4419.htm/eigene Darstellung. Die Gewerkschaft wehrt sich nicht gegen die massive Rentenkürzung für alle, sondern appelliert an das Mitgefühl für alte Gerüstbauer und Dachdecker. Die 19 Prozent der Ingenieure, die angeben, ihren Beruf nicht bis zum Rentenbezugsalter durchhalten zu können, erscheinen daneben vergleichsweise unbedeutend. Was immer von solchen Umfragen zu halten ist: Manche Berufe werden als stärker belastend und gesundheitsgefährdend wahrgenommen als andere. Es leuchtet ein, dass die eintretenden Schäden mit der Dauer der Berufsausübung zunehmen. Die Klausel „bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen“ ist als Mahnung an die Arbeitgeberseite gedacht, die ihren Beitrag dazu leisten soll, dass man auch am Bau bis 67 arbeiten kann. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dementiert mit dem Verweis auf „arbeitsgestalterische Möglichkeiten“ (deren Realisierung allerdings bislang wenigen „Good-Practice-Beispielen“ vorbehalten ist6) den grundsätzlich gesundheitsschädlichen Charakter der von ihr kommandierten Arbeit: 6 „So setzen nur 6,2 Prozent aller untersuchten Betriebe bestimmte Leistungsanforderungen für Ältere herab, und nur 5,1 Prozent statten die Arbeitsplätze altersgerecht aus. Meistens sind es eher größere Betriebe, die diese Maßnahmen anbieten (BMAS 2012, 15).“

Beide Seiten führen die besonderen Belastungen in bestimmten Berufen an, um dann über einige Jahre mehr oder weniger Tortur zu rechten. Dabei ist diese Diskussion für die Mehrzahl der Betroffenen irrelevant. So gingen 2011 ca. 60 Prozent der Versicherten in Bauberufen bereits vor dem 60. Lebensjahr in Rente (vgl. DRV 2012a, 177). Die Übergänge in Rente aus der Arbeitslosigkeit sind hier besonders hoch. Eine Studie zur Realisierbarkeit beruflich differenzierter Altersgrenzen, die besondere Belastungen berücksichtigen, kommt zu dem Schluss: „Die fehlenden Chancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gesund und erwerbstätig das Rentenalter zu erreichen, stellen ein erhebliches sozialpolitisches Problem dar. An diesem Problem werden auch beruflich differenzierte Altersgrenzen effektiv nur wenig ändern können. Lösungen müssen primär in der Arbeitsgestaltung und in der Erhaltung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit gesucht werden und erst nachrangig durch eine Variation rentenrechtlicher Regelungen“ (Brussig et al. 2011, 7) Die für die Rentenkürzung politisch Verantwortlichen kennen dagegen nur gesunde und leistungsfähige Ältere: „Für Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ist der Fall klar: Die Älteren, sagt die CDU-Politikerin, seien so fit wie nie zuvor und bekämen im Durchschnitt inzwischen 18 Jahre Rente. Wenn die Menschen aber immer länger das gesetzliche Altersgeld bezögen, könnten sie ‚auch ein bisschen länger arbeiten‘ (Süddeutsche.de vom 24.06.2013 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/erhoehung-des-rentenalters-furcht-vor-der-rente-mit-1.1703934).“ Ob die Betroffenen das auch so sehen, spielt jedenfalls keine Rolle. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière äußerte in einer Diskussion zum Instrument des Volksentscheids: „Es ist Aufgabe politischer Führung, auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, die man für richtig hält. Die Rente mit 67 hätte es mit einer Volksabstimmung nie gegeben“ (Die Welt 25.11.13 http://www.welt.de/politik/deutschland/article122233616/Volksabstimmungen-beguenstigen-die-Nein-Sager.html) Während die Gewerkschaften durch die Rente mit 67 eine Verschiebung potenzieller Rentnerkohorten in die Arbeitslosigkeit und damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit prognostizieren, begrüßen die Arbeitgeberverbände eine absehbare Linderung des Fachkräftemangels. Dies steht im Kontrast dazu, dass die Unternehmen früher Möglichkeiten, Entlassungen über Vorruhestandsregelungen abzuwickeln, gern wahrgenommen und 60-Jährige nicht als Fachkräftepotenzial angesehen haben. Heute hat allerdings die „Beitragssatzstabilität“ Priorität: „Notwendig ist die Anhebung der Regelaltersgrenze vor allem mit Blick auf die gesetzliche Rentenversicherung. Die gesetzlichen Beitragssatz- und Rentenniveauziele (max. 22 % bzw. mind. 43 % bis 2030) können ohne Rente mit 67 nicht eingehalten werden“ (BDA 2013, 1) Für Personalanpassungsmaßnahmen gibt es auch andere Instrumente als Frühverrentung. Veränderte Mechanismen des Personalaustauschs. Mit der „Deregulierung“ des Arbeitsmarkts ist der Einsatz von Arbeitskräften so flexibilisiert worden, dass Altersgrenzen als Instrument des Austauschs an Bedeutung verloren haben. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland haben sich seit den siebziger Jahren drastisch verändert. Während sich die Wachstumsraten erheblich verringert haben, ist die Produktivität stark gestiegen. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen ging zurück, und die Zahl der Erwerbspersonen nahm zu (vgl. Röger 2006, 25 ff.) Das „Normalarbeitsverhältnis“ – unbefristete, sozialversicherte Vollzeitbeschäftigung – ist heute für viele keine kalkulierbare Lebensgrundlage mehr wie in den Zeiten des Wirtschaftswunders. Der Lohn eines Mannes reicht nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren; Frauen müssen wenigstens etwas dazuverdienen und als Ersatzernährerinnen angesichts unsicherer Arbeitsplätze bereitstehen. Viele sind daher gezwungen, Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, die dem Maßstab der Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr entsprechen. Die zeitlichen Spielräume, die Frauen für die Familienarbeit benötigen, werden von der Wirtschaft gegen drastische Lohnabschläge gewährt. Der Staat schafft dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen wie 450 €-Jobs. Weitere Ergebnisse dieser Deregulierungspolitik waren u. a. die erweiterten Möglichkeiten für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge, Einschränkung des Kündigungsschutzes, Minderung von Transferzahlungen und verstärkte Anforderungen an Arbeitslose, sowie arbeitsrechtliche Verbesserungen für Teilzeitbeschäftigte (vgl. ebd. 27) Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berichtet, ist die selbstständige Beschäftigung in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies geht zum großen Teil auf Solo-Selbstständigkeit, überwiegend von Frauen, zurück. Bis Ende des Jahres 2011 startete ein erheblicher Teil der neuen Selbstständigen aus der Arbeitslosigkeit und wurde dabei mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) unterstützt (vgl. Gerner/Wießner 2012, 2). Bei einem geringen Selbstständigen-Einkommen ist allerdings eine wenigstens rudimentäre Absicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersrisiken kaum möglich (ebd., 5) Arbeitgeber haben neben Altersteilzeitregelungen für Ältere ein Repertoire der Vertragsgestaltung für die Integration Jüngerer, die zu nahezu jeder Bedingung den Einstieg ins Berufsleben suchen. Menschen, die mit 40, 50 Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren, haben nur geringe Chancen, zu vergleichbaren Konditionen wieder eingestellt zu werden und ihre Karriere bruchlos fortzusetzen. Mit 60 ist der Abstieg in Arbeitslosigkeit und/oder Hilfsjobs programmiert. Als Peter Hartz im Jahr 2002 sein Konzept für ein Brückengeld zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben vorstellte, war er selbst 61 Jahre alt und verkündete: „Einen wie mich würde ich doch auch nicht mehr einstellen (vgl. Niejahr 2005, 19).“ Ruhestand und Alter. Im staatlich geregelten dreigliedrigen Lebenslauf markiert der Eintritt in den Ruhestand den Beginn des Alters. Der zentralen Phase der Berufstätigkeit geht eine Erziehungs- und Bildungsphase voraus und folgt eine Ruhephase. Das Bildungs- und das Sozialversicherungssystem regulieren diese Phasen, die mit Jugend, Erwachsensein und Alter gleichgesetzt werden. Ein solcher Rückgriff auf Natürliches verleiht einer gesellschaftlichen Ordnung den Anschein von Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit (vgl. Kohli 1992, 234). Faktisch ist die Altersphase weit weniger reglementiert als die der Jugend, die unter dem Regime des Bildungssystems und die Erwachsenenphase die unter dem Diktat der Wirtschaft/des Arbeitslebens steht. Die Regularien des Renten- und Krankenversicherungswesens bestimmen zwar die oft erbärmlichen Lebensbedingungen der Alten, nicht jedoch deren Tagesablauf. Sie erlegen ihnen auch keine Pflichten auf. Ältere haben eine „roleless role“ in der Gesellschaft (Atchley 1976, 60) und werden zuweilen auch getadelt als Menschen, die „völlig unverpflichtet vor sich hinleben“ (Tews 1994, 58) Der Ruhestand als Phase zeichnet sich wesentlich aus durch den Gegensatz zum Erwerbsleben und legitimiert sich durch Alter als Hinfälligkeit „Ehe es nicht über uns hereinbricht, ist das Alter etwas, das nur die anderen betrifft“, so Simone de Beauvoir (2008, 10), die umfassend über die Situation alter Menschen und das Altersbild in verschiedenen Epochen berichtet. Das eigene Älterwerden wird zumeist verdrängt. Ganze Industriezweige leben davon, dass die Menschen ihr Altern nicht wahrhaben wollen. Sprüche wie: „Man ist so jung, wie man sich fühlt.“ oder Komplimente nach dem Muster: „Aber Sie sehen viel jünger aus.“ – belegen, dass das Alter tabuisiert wird. Wenn man mit Jüngeren über ihre Zukunft spricht, hört man oft: „So alt will ich gar nicht werden.“ Altern wird weitgehend mit negativen Veränderungen, mit Verfall, Verschlechterung und Degeneration der Fähigkeiten verbunden. Das Untauglichkeitsurteil, das eine kapitalistische Wirtschaft über die von ihr ruinierten alten Menschen fällt, wird auf das Alter an sich übertragen. Juristisch spielt das (höhere) Alter abgesehen vom öffentlichen Rentenwesen keine Rolle. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keinen Unterschied zwischen einem 40- und einem 100-Jährigen. Ähnliches gilt für den kulturellen Bereich: Es gibt eine Jugendliteratur und Kindertheater, aber keine Seniorenliteratur – abgesehen von der seit einiger Zeit anschwellenden Ratgeberschwemme. Mediale Angebote, die sich explizit an „Alte“ wenden, haben es schwer, da ja keiner dazugehören will. In Volkshochschulkursen und klassischen Konzerten sieht man zwar überwiegend Grauköpfe, die nach ihrem Selbstverständnis jedoch keine Besucher einer Seniorenveranstaltung sind. Im Marketing werden beschönigende Prägungen wie „Best Ager“ oder „Silver Generation“ gebraucht. Alt sein, bedeutet nicht mehr brauchbar und letztlich hilfsbedürftig zu sein. Und damit gilt der Mensch in der Konkurrenzgesellschaft nichts mehr, ist nur noch Verwahrungs- und Versorgungsobjekt. Das Alter als Lebensphase konstituiert sich unter Aspekten von Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Dabei wird seit einigen Jahren der Beginn des Alters mit einem bestimmten Lebensjahr in Frage gestellt und das pauschale Aussortieren aus dem Berufsleben kritisch gesehen, da die Aussortierten keinen gesellschaftlichen Beitrag mehr leisten und nur noch Kostgänger sind. Die Last für die Gesellschaft, die sie darstellen, gilt es möglichst zu verringern, die Alten differenziert zu betrachten, statt sie pauschal abzuqualifizieren und ihre nützlichen Seiten zu entdecken

2. Die Rente: Staatliche Zwangsbewirtschaftung von Arbeitslohn. Gesetzliche Rentenversicherung. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist mit ihren 37,6 Mio. aktiv Versicherten und 16,8 Mio. passiv Versicherten – Versicherte, die früher Beiträge gezahlt haben, dies aber aktuell nicht tun – und Beitragseinnahmen von 225 Mrd (Stand 2017,Quelle DRV 2018) sowie 269 Mrd gezahlten Renten (an 21 Mio. Rentner) die bei weitem größte Institution nicht nur im Bereich der Alterssicherung sondern der Sozialen Sicherung insgesamt in Deutschland. Die gesamten Ausgaben, zu denen auch Rehabilitationsleistungen und anderes gehören, betrugen im Jahr 2017 298 Mio Euro (Quelle: DRV 2018a). Zum Vergleich: Die Bundesagentur für Arbeit hatte im Jahr 2017 ein Budget von 36 Mrd. Euro (http://www.haushalt.arbeitsagentur.de/) Einführung der Rente als Stabilitätsfaktor bei Durchsetzung der Lohnarbeit. Berichte über die (Vor-) Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung feiern in aller Regel die heutige Form der Altersversorgung als soziale Errungenschaft. Durch die Rente sei der alte Mensch nicht mehr auf „Arbeit bis zum Grab“ oder die Fürsorge von Kindern und Wohlfahrtseinrichtungen angewiesen. Sie erlaube immerhin ein verlässliches, wenn auch oft bescheidenes Auskommen. Dass der Geldbetrag, den ein Rentner monatlich überwiesen bekommt, von staatlich definierten Anwartschaften abhängt, deren Kalkulation mit seinen Bedürfnissen und seinen vergangenen Leistungen als Arbeitnehmer nur am Rande zu tun hat, und insofern auch gar nicht verlässlich ist, bleibt zumeist ausgeblendet „Sicherheit im Alter“ durch eine gesicherte Rente wird für viele zum Arbeits- und Lebensziel (vgl. Göckenjahn 2000, 383) in der Gewissheit, dass diese durch Arbeit kaum zu erreichen ist. Ein kursorischer Rückblick durch einige Jahrhunderte zeigt, dass die soziale Lage der Alten früher ebenso wie heute wesentlich bestimmt wurde durch Besitzverhältnisse und die dazugehörigen rechtlichen Regelungen wie das Erbrecht. Grundbesitz verschaffte eine Machtstellung nicht nur gegenüber besitzlosen Bauern und Tagelöhnern, sondern auch gegenüber den eigenen Kindern. Dadurch konnte in gewissem Umfang die eigene Lage im Alter gesteuert werden. Die familialen Unterhaltspflichten wurden teilweise rechtlich abgesichert. Untergebene waren in den meisten Fällen vom Wohlwollen ihrer Dienstherren abhängig, die ihnen evtl. ein „Gnadenbrot“ gewährten. Auch gemeinschaftliche Regelungen zugunsten älterer Menschen gab es in verschiedenen Erwerbszweigen. In einigen Handwerken erleichterten es Konkurrenzverbote älteren Zunftmitgliedern, sich auch bei Nachlassen der körperlichen Kräfte und Fähigkeiten durch eigene Arbeit zu ernähren. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts reservierten die Städte in vielen Teilen Europas einen Teil der Arbeiten für unbemittelte ältere Handwerker und Arbeiter. 1491 schon wurde beispielsweise dem Basler Brunnenmeister im Fall altersbedingter Arbeitsunfähigkeit ein Drittel seines Gehalts gewährt (vgl. Höpflinger 2015, 1). Nachtwächter, Wegwarte, Rathausdiener usw. waren meist ältere Handwerker, die ohne diese Einkünfte der diskriminierenden Armenfürsorge anheimgefallen wären

Erste Wohltätigkeitseinrichtungen (Armenhäuser, Hospize) entstanden schon im späten Mittelalter. Beispielsweise wurde 1228 in St. Gallen die Stiftung des Heiliggeist-Spitals am Markt gegründet. Die Hospize, die allgemein für Kranke und Arme bestimmt waren, nahmen auch arbeitsunfähige Alte auf (vgl. Höpflinger 2015, 1) Alterspensionen - im Unterschied zu Invaliden- oder Witwenkassen - waren bis Ende des 18. Jahrhunderts auf Einzelfälle beschränkt und ohne Rechtsanspruch. Ab dem frühen 17. Jahrhundert etablierten sich in ganz Europa vergleichbare Pensionssysteme für das Militär und die zivilen Verwaltungen. Diese bestanden zunächst in der Errichtung von Krankenhäusern und Altenheimen für invalide und mittellose Soldaten und in der Zahlung kleiner Geldbeträge. Renten- und Pensionsregelungen, die zum Ziel hatten, einen erreichten sozialen Status und Lebensstandard im Alter abzusichern und die Zahlungen mit der Höhe der Besoldung während der aktiven Zeit zu verknüpfen gab es erst Ende des 18. Jahrhunderts. So entstand in Österreich 1781 auf Initiative von Kaiser Joseph II das erste zusammenfassende Pensionsgesetz für Beamte (‚Pensions-Normale‘) im deutschen Sprachraum. Dabei zählte nicht mehr die Bedürftigkeit, sondern rein die Invalidität. Der Beamte besaß einen Rechtsanspruch, und die Höhe der Pension war abhängig von Dienstjahren und vorangegangenem Gehalt. 1783 wurde in Genf erstmals für Offiziere und Soldaten der Republik ein Rentenreglement eingeführt. Im Verlauf des 19. Jh. wurde das System von Soldaten- und Beamtenpensionen von einigen Unternehmen auch auf Angestellte und ausgewählte Arbeitergruppen übertragen. Diese betrieblichen Rentenkassen dienten ebenso wie ihre staatlichen Vorbilder der Förderung der Loyalität der Mitarbeiter (vgl. Christen 2011, 39) Alter wird überhaupt erst durch den modernen Sozialstaat zur sozialen Kategorie (vgl. Göckenjahn 2000, 395) Die moderne Sozialpolitik mit ihrer Differenzierung von Armenfürsorge und Sozialversicherung geht zurück auf eine Situation der Zunahme und massenhaften Verelendung der Arbeiterschaft Mitte des 19. Jahrhunderts. Hungerrevolten und Aufstände gegen die Industriebarone sowie die Entstehung einer sozialistischen Arbeiterbewegung riefen die Staatsbürokratie in Deutschland, vor allem in Preußen, auf den Plan. Sie schuf eine Armengesetzgebung nach dem englischen „Less-eligibility-Prinzip“.8 Das heißt: „Die Lage des Unterstützten darf nicht über das Niveau des ärmsten Arbeiters erhoben werden“ (Tennstedt 1983, 233). Das Repertoire der Fürsorge für arbeitsunfähige und arbeitsscheue Arme nach dem Abschreckungsprinzip umfasste nicht nur Arbeitshäuser, sondern auch eine kontrollintensive, offene Armenpflege, die gerade noch das rasche Verhungern ausschloss. Demgegenüber sollte Arbeit auch zu niedrigsten Löhnen attraktiv bleiben. Dass der am Markt gebildete Lohn zum Leben reicht, ist die Prämisse aller Sozialpolitik bis heute. Da dies aber nicht der Fall ist, da der Lohnabhängige nicht für Zeiten der Arbeitslosigkeit und für das Alter sparen kann, wird dieser Grundsatz mittels eines Zwangsversicherungssystems ins Werk gesetzt. 8 Im deutschen Sozialrecht gab es bis 2010 das „Lohnabstandsgebot“ für die Sozialhilferegelsätze. Mit dem Ausbau des Niedriglohnsektors hat sich dieser Abstand inzwischen vielfach umgekehrt, so dass in manchen Bereichen Löhne unterhalb der Sozialhilfesätze gezahlt werden. So verdienten im Jahr 2013 1,3 Millionen Menschen in Deutschland so wenig, dass sie als sogenannte Aufstocker zusätzlich Arbeitslosengeld II bezogen. Das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz von 2011 enthält die Bestimmung nicht mehr. Für die Arbeiter wurde die soziale Sicherung der Bergarbeiter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Vorbild. Im Knappschaftswesen haben viele Charakteristika der sozialen Sicherung und Krankheitsfürsorge in Deutschland ihren Ursprung. Die Knappschaften wurden 1854 in Preußen Träger einer öffentlich-rechtlichen Arbeiterversicherung, die auch eine Invaliden- und damit Altersversorgung enthielt. Die staatliche Sozialversicherung der Arbeiter übernahm im wesentlichen dieses System. Die Einführung einer Rentenversicherung ist in Deutschland mit dem Namen Bismarck verknüpft, der von ihr eine integrative Wirkung erwartete. Es ist bezeichnend, dass die Geburtsstunde der Sozialpolitik mit der Epoche des Sozialistengesetzes zusammenfällt. Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ trat 1878 in Kraft und galt nach mehrmaliger Verlängerung bis 1890. Bereits in den ersten Wochen seiner Geltung löste die Polizei 200 sozialistische Vereine auf. Die Organisationen der Arbeiterbewegung wurden zerschlagen, ihre Zeitschriften verboten. Am 28. November 1878 wurde zur “Aufrechterhaltung der Ordnung“ in Berlin der kleine Belagerungszustand ausgerufen. Die sozialdemokratischen Parteiführer und Funktionäre waren polizeilicher Bespitzelung und Verfolgung ausgesetzt, viele gingen in den Untergrund oder emigrierten. Allein aus Preußen wurden 892 Sozialdemokraten ausgewiesen. Ähnliches geschah beispielsweise in Hamburg, Leipzig und Frankfurt am Main. Mit dem Verbot zahlreicher Gewerkschaften und Arbeiterunterstützungsvereine wurden auch deren Hilfskassen teils direkt beschlagnahmt, teils ruiniert. In den Reichstagsdebatten, die der Verabschiedung des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes vorhergingen, betonten mehrere Redner, dass der Kampf gegen die sozialistische Agitation durch Gewalt allein nicht zu gewinnen sei (vgl. Althammer 2009, 147). Am 17.11. 1881 verlas Bismarck zur Eröffnung des neu gewählten Reichstags eine Kaiserliche Sozialbotschaft: „Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Überzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde“ (zit. nach Althammer 2009, 148) Im Jahr 1889 verabschiedete der Reichstag das erste deutsche Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz. Es verpflichtete alle Arbeiter zwischen 16 und 70 Jahren in die Rentenkasse einzuzahlen. Der Beitragssatz von 1,7 Prozent wurde hälftig zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt. Ausgezahlt wurde die Rente mit Vollendung des 70. Lebensjahres an Personen, die einer lohnabhängigen Vollerwerbstätigkeit nachgingen, also als Kompensation des durch nachlassende Leistungsfähigkeit sinkenden Einkommens. Alter galt dabei als Unterfall von Invalidität. Eine Invalidenrente sollte das soziale Klima durch die Vermeidung von Haftpflichtstreitigkeiten bei Arbeitsunfällen verbessern. Für die Landbevölkerung gab es zunächst keine vergleichbare Einrichtung. Ziel der Rentenversicherung war nicht nur Linderung der Armut im Alter, sondern auch eine Entlastung der Kommunen im Bereich der Armenpflege. Bismarcks Absicht wird in seiner Erklärung zur Sozialpolitik im Reichstag am 18. Mai 1889 deutlich: „Wenn wir 700.000 kleine Rentner, die vom Reiche ihre Rente beziehen, haben, gerade in diesen Klassen, die sonst nicht viel zu verlieren haben und bei einer Veränderung irrtümlich glauben, dass sie viel gewinnen können, so halte ich das für einen außerordentlichen Vorteil; wenn sie auch nur 115 bis 200 Mark (im Jahr) zu verlieren haben, so erhält sie doch das Metall in ihrer Schwimmkraft; es mag noch so gering sein, es hält sie aufrecht… Und ich glaube, dass, wenn Sie uns diese Wohltat von mehr als einer halben Million kleinen Rentnern im Reiche schaffen können, Sie…auch den gemeinen Mann das Reich als eine wohltätige Einrichtung anzusehen lehren werden“ (Bismarck, o.J.: Fürst Bismarck‘s gesammelte Reden, 383) Auch heute noch gilt: „Die Sozialversicherung ist nicht Selbstzweck, sondern ein wichtiges Instrument zum Erhalt des sozialen Friedens“ (Homepage der Deutschen Rentenversicherung, URL: Deutsche-Rentenversicherung.de) Die Bismarcksche Rentenversicherung ist das historisch erste Beispiel einer gesetzlichen Rente für Arbeiter. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Vereinigte Königreich eine wöchentliche Zahlung an alle bedürftigen Personen über 70 Jahre, unabhängig von vergangener Berufstätigkeit und Einkommen einführte, war in Deutschland die Linderung der Altersarmut von vornherein mit dem Prinzip der Eigenleistung verknüpft, die die Rente von der Armenfürsorge abgrenzte. Die damalige Sozialgesetzgebung zeigt bereits die Charakteristika, die den modernen Sozialstaat im Unterschied zur vorindustriellen Armenfürsorge auszeichnen (vgl. Christen 2011, 72f):

Die diskriminierende Armenfürsorge mit Bedürftigkeitsprüfung besteht weiterhin. Es wird zwischen Versicherung und Versorgung unterschieden. 1911 wurde in der inzwischen neu geschaffenen gesonderten Angestelltenversicherung ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren festgelegt, das ab 1916 auch für Arbeiter galt. Hinterbliebenenrenten wurden 1911 sowohl Bestandteil der Arbeiter- als auch der Angestelltenrentenversicherung (vgl. Schmähl 2012, 44) Die Rente enthielt einen einheitlichen – einkommensunabhängigen – Grundbetrag sowie einen Steigerungsbetrag, der von Versicherungsjahren und der absoluten Höhe des Nominallohns während der Beitragszeiten abhing. Einen Bezug zur aktuellen Lohnhöhe bei der Erstberechnung oder eine „Dynamisierung“ während der Laufzeit gab es nicht. Diese Prinzipien der Rentenberechnung blieben bis zur Rentenreform 1957 gültig, in der DDR sogar bis zur Einführung des westdeutschen Rentenrechts 1990. Außer den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wurde die Rente durch einen Reichszuschuss finanziert, der als einheitlicher Betrag für jeden Rentenfall ausgezahlt wurde. Einkommensunterschiede während der aktiven Zeit wurden wurden daher im Rentenbezug nur abgeschwächt widergespiegelt. Der Gedanke der „Leistungsgerechtigkeit“ war noch nicht geboren. Schwerpunkt der Sozialpolitik in der Weimarer Republik war die Vollendung und Zentralisierung einer öffentlichen Verwaltung der Arbeit: Es wurde ein Reichsamt für Arbeitsvermittlung errichtet, Arbeitslosenversicherung und Arbeitnehmerschutz wurden reichsweit einheitlich geregelt (vgl. Henkel 2002, 49). Das System der neu eingerichteten Arbeitslosenversicherung brach allerdings während der Krisenjahre faktisch zusammen. Nach 1945 knüpfte man in der Bundesrepublik Deutschland an die Prinzipien und Instrumente der Arbeitslosenversicherung von 1927 an. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Gesundheitsfürsorge und Unfallverhütung ausgebaut. Die Sozialversicherungspflicht wurde auf einige selbstständige Berufe ausgeweitet, und ein Recht zur freiwilligen Versicherung in Invaliden- und Angestelltenversicherung für alle nicht versicherungspflichtigen Deutschen unter 40 Jahren eingeführt. Eine eigene Altersversicherung für selbstständige Handwerker wurde geschaffen. Die öffentliche Verwaltung von Arbeit wurde in eine zentrale Lenkung und Kontrolle umgewandelt (ebd. 57) Nach dem zweiten Weltkrieg stand in der Sozialpolitik zunächst die Bewältigung der Kriegsfolgen: Flüchtlinge, Witwen und Waisen, Kriegsversehrte, Wohnungsnot – im Vordergrund. Mit der Währungsreform wurde (im Dritten Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens vom 20.6.1948 – Umstellungsgesetz) der Wert der erworbenen Sozialversicherungsansprüche im Verhältnis eine Reichsmark zu einer D-Mark gesichert (während der allgemeine Umstellungskurs 10 RM zu 1 DM war) Das Versicherungsprinzip in der Sozialpolitik. Versicherung bedeutet: Leistungen setzen gezahlte Beiträge voraus. Eine Versicherung (Risikoversicherung) verteilt finanzielle Schadensfolgen auf eine möglichst große Zahl von gefährdeten Einzelfällen. Die Gesamtheit gleichartig Gefährdeter finanziert die tatsächlich eintretenden Schäden. Die Beiträge ergeben sich – abgesehen vom Gewinninteresse der Gesellschaft – aus dem Verhältnis der gesamten Schadenssumme in einer Periode zu der Zahl der Risikofälle = Beitragszahler. Jeder Beitragszahler erwirbt einen vertraglich festgelegten Anspruch auf Schadensausgleich und schützt sich so vor wirtschaftlicher Überforderung. Tritt der Schadensfall nicht ein, erhält er keine Leistung. Anders verhält es sich mit der Lebensversicherung, die in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert nach englischen Vorbildern, Fuß fasste. Beiträge und Versicherungsleistung werden vertraglich vereinbart und nach dem „Äquivalenzprinzip“ kalkuliert, das heißt, der insgesamt gezahlte Beitrag soll der Summe entsprechen, die die Versicherungsgesellschaft an Leistung und Kosten zu tragen hat. Ein Gewinn für die Versicherungsgesellschaft wird offiziell nicht kalkuliert, er entsteht „implizit“ aus der Wahl der Kalkulationsgrundlagen, aus Kostenvorteilen oder der Aufteilung der Überschüsse zwischen Versicherungsnehmer und –geber. Die Lebensversicherung ist eine Kombination aus Risikoversicherung und Geldanlage. Für einen vorzeitigen Todesfall des Versicherungsnehmers wird eine Summe vereinbart, die dessen Familie zugutekommt. Im „Erlebensfall“ erhält der Versicherungsnehmer nach einem festgelegten Zeitraum eine vereinbarte Summe plus einen Anteil an den durch die Gesellschaft erwirtschafteten Überschüssen. Diese Summe wird nicht durch die Gesamtheit der Versicherten, sondern aus individueller Leistung finanziert. Es handelt sich also um eine Form des Sparens mit in der Regel besonders langer Laufzeit und Fälligkeit der Auszahlung mit einem bestimmten Lebensalter. Im staatlichen Zwangsversicherungswesen entsprechen die Krankheits- und zum Teil die Arbeitslosenversicherung (ALG II) dem Muster der Risikoversicherung, mit entscheidenden Unterschieden: Unabhängig von den gezahlten Beiträgen – abgesehen von bestimmten Karenzzeiten - erhält jeder Versicherte im „Schadensfall“ die gleichen Leistungen. Die Beiträge werden staatlich festgelegt und begründen nur bedingt einen Anspruch auf bestimmte Leistungen, d. h. das Leistungsspektrum wird nicht zwischen Vertragspartnern vereinbart, sondern von der Regierung bzw. von den Kassen festgelegt und – nach finanz- oder arbeitsmarkpolitischen Gesichtspunkten - periodisch verändert. Die Rentenversicherung lehnt sich an das Prinzip der Lebensversicherung an, wiederum mitmit einem entscheidenden Unterschied: Die individuellen Beiträge begründen die Höhe der zu zahlenden Rente, allerdings nur relativ im Verhältnis zu anderen Versicherten. Sowohl die Höhe der Beiträge als auch die Anspruchsvoraussetzungen für die Auszahlung werden von der Regierung nach Kassenlage und politischen Kriterien mittels „Rentenformeln“ festgesetzt und verändert. Es geht um Leistungs- bzw. Beitragsgerechtigkeit: Wer mehr einbezahlt hat, soll auch mehr herausbekommen. So wird der Schein erzeugt, man könne durch fleißiges Arbeiten und Beiträge Zahlen die Versorgung im Alter selbst bestimmen. Die Rente reproduziert in gewissem Maße die Einkommensunterschiede der Berufshierarchie. Die Deutsche Rentenversicherung teilt mit: „Beitragszeiten steigern grundsätzlich Ihre Rente, und sie finanzieren maßgeblich die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung“ (DRV 2014, 8). Der zweite Halbsatz verweist auf das Umlageverfahren, auf das noch näher einzugehen sein wird, und zeigt, dass es sich bei der Rentenversicherung nicht um ein individuelles Sparmodell handelt „Die Technik der Sozialversicherung hat die individuell unwägbaren Gefahren der Arbeitswelt und des proletarischen Daseins in kalkulierbare Risiken gewandelt und u. a. die Kategorie des Lohnersatzes verallgemeinert“ (Reidegeld 1996, 384). Kalkulierbar werden die Risiken der Arbeitswelt dadurch, dass der Staat einen Teil des Lohns verstaatlicht und damit (als „Lohnersatz“) Bedingungen für das Überleben der Arbeiterklasse insgesamt finanziert9. Für den einzelnen besteht die Kalkulierbarkeit nur darin, dass jeder Wechselfall vorab rechtlich und verwaltungstechnisch geregelt ist. Er hat Ansprüche, auf deren konkrete Ausgestaltung er jedoch keinerlei Einfluss hat. Wer zu dem gefährdeten Bevölkerungsteil gehört, den man früher Arbeiterklasse nannte, wird durch die Beitragsbemessungsgrenze bestimmt. Reiche, die für ihr Alter selbst sorgen können, müssen sich nur bis zu einer jährlich neu festrgelegten Einkommenshöhe an der Finanzierung der Renten beteiligen. 9 Der „Arbeitgeberanteil“ ist ein Etikett für einen verwaltungstechnischen Vorgang. Die vom Staat eingezogenen Beträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) sind Bestandteile des Preises der Arbeit, den der Unternehmer als Kosten, die sich rentieren müssen, kalkuliert. Eine Beitragserhöhung steigert allerdings jenseits von Tarifvereinbarungen seine Personalkosten. Deshalb neigt er dazu, nur den Nettolohn als wirklichen Preis der Arbeit anzusehen und die vom Staat kassierten Lohnbestandteile als immer zu hohe Zusatzkosten zu beklagen. „Beitragsstabilität“ ist deshalb oberste Priorität für die Wirtschaft und in der Folge auch für die Politik. Das Regelwerk zur Verwaltung der regelmäßig und flächendeckend eintretenden Fälle existenzieller Not wird als Soziale Sicherung bezeichnet: Der Ursprung dieses Begriffs wird auf die am 15. August 1935 verabschiedeten amerikanischen Reformgesetze im Rahmen des New Deal zurückgeführt, die den Titel „Social Security Act“ trugen. Der Begriff wurde 1948 von den Vereinten Nationen in die allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen: »Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit«. Im Beveridge-Plan von 1942, der als Grundlage des britischen Sozialstaats gilt, wird „social security“ im Sinne der Gewährleistung eines Existenzminimums erwähnt (vgl. May 2010, 50) Das Alter wird als ein Risiko des proletarischen Daseins definiert und behandelt. Da auch eine vierzigjährige Berufstätigkeit nicht genügend für das Leben im Alter abwirft, diese aber in der Regel auch nicht fortgesetzt werden kann, bedeutet Alter Armut und Angewiesensein auf Unterstützung, die man aus der Zwangssolidargemeinschaft der Lohnarbeitenden erhält. Entsprechend mager fällt sie aus. Wer nur ein geringes Einkommen erzielt oder keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden hat, wird zusätzlich durch eine niedrige oder gar keine Rente bestraft. In jedem Fall muss eine „Wartezeit“ erfüllt sein, die je nach Rentenart variiert. Gezahlte Beiträge können daher auch verloren sein. (Auf Antrag können die „eigenen“ Beiträge ausbezahlt werden, sofern sie keinen Rentenanspruch begründen.) Für sozial nützliche oder unverschuldete „Ausfallzeiten“ (bzw. aktuell „Anrechnungszeiten“) wie Kindererziehung, Wehrdienst oder Arbeitsunfähigkeit gibt es einen gewissen Bonus. Ist die vorgeschriebene Beitragspflicht nicht erfüllt worden, kann „Grundsicherung im Alter“, die Sozialhilfe für Alte beantragt werden, die sich an einem knapp bemessenen „Bedarf“ orientiert. Die ausrangierten Arbeitnehmer werden also sortiert in Versorgungsfälle und Veteranen im „wohlverdienten Ruhestand“. Im Unterschied zum Arbeitslosen trifft den Rentner die soziale Ächtung der Nicht-Erwerbstätigkeit nicht. Er hat seine Schuldigkeit im Dienst an Kapital und Staat getan und darf ohne schlechtes Gewissen auf der Parkbank sitzen. Menschen, die wenigstens einen gewissen Zeitraum ihre Beitragspflicht geleistet haben und durch Unfall oder Krankheit für den Arbeitsmarkt ausfallen, können Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung erhalten. Auch diese Rente wird, abgesehen von bestimmten Sonderregelungen, auf der Grundlage geleisteter Beiträge berechnet. Das Leistungsprinzip gilt auch für Behinderte und Kranke. Wer noch in der Lage ist, irgend eine Arbeit wenigstens sechs Stunden am Tag zu leisten, erhält keine Erwerbsminderungsrente. Dequalifikation muss in Kauf genommen werden. Beamtenpensionen. Während die gesetzliche Altersrente auf einem – zwangsweise eingegangenen - Vertrag zwischen Arbeitnehmer und Rentenversicherer ohne Beteiligung des Arbeitgebers beruht und durch eigene Beiträge finanziert wird, wird der Beamte auf Lebenszeit von seinem Dienstherrn alimentiert und bleibt Beamter; die Pensionierung bedeutet lediglich die Befreiung von der Verpflichtung zur Dienstausübung. Als weiterer Unterschied zur gesetzlichen Rentenversicherung ist anzuführen, dass in der Beamtenversorgung das Gehalt bzw. die „ruhege-haltfähigen Dienstbezüge“ (§ 5 Abs. 1 BBG) in den letzten zwei Jahren vor Übertritt in den Ruhestand (Entscheidung des BVerfG, 2 BvL 11/04 vom 20.3.2007) ein maßgeblicher Faktor zur Bestimmung der Pensionsansprüche ist. Zudem spielen die Jahre als Beamtin oder als Beamter sowie weitere Zurechnungszeiten („ruhegehaltfähige Dienstzeit“) eine entscheidende Rolle. Demnach wird jedes Jahr ruhegehaltfähiger Dienstzeit mit einem Steigerungssatz in Höhe von 1,79375 Prozent multipliziert. Nach 40 Jahren ist der Wert von 71,75 Prozent erreicht, was dem Höchstsatz des Ruhegehaltes entspricht, welches im Wesentlichen als Anteil der „ruhegehaltfähigen Dienstbezüge“ gezahlt wird (§ 14 Abs. 1 BBG) Für ausgewählte Berufsgruppen gelten besondere Altersgrenzen. Zu nennen sind insbesondere Beamtinnen und Beamte im Einsatzdienst der Polizei und der Feuerwehr sowie Vollzugsbeamte der Justiz, die abschlagsfrei mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand wechseln können (Beamtenversorgung, S. 174). Für die Bundesbeamten dieser Berufsgruppen wird diese Altersgrenze ab dem Geburtsjahrgang 1958 um zwei Jahre angehoben (§ 51 Abs. 3 BBG); Länderregelungen für die Landesbeamtinnen und -beamten können davon abweichen. Für den Ruhestand der Arbeitnehmerhaushalte ermittelt das Statistische Bundesamt einen Einkommensrückgang gegenüber dem vorherigen Verdienst nach OECD-Skala von 44 Prozent und 13 Prozent für den eines Pensionärs. Das durchschnittliche Ruhegehalt betrug am 01. Januar 2015 2940 € (Bundesministerium des Inneren, Sechster Versorgungsbericht) Zum 1. Januar 2002 wurde die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, in die die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes sowie von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden einbezogen sind, grundlegend auf eine Ausgestaltung umgestellt, die – wie die gesetzliche Rentenversicherung – den Erwerbseinkommensverlauf widerspiegelt und sich somit nicht mehr am letzten Erwerbseinkommen orientiert. Erklärte Absicht der Reform war es, die Leistungen abzusenken. Dynamisierung der Rente und Umlagefinanzierung. Der Status der aussortierten Arbeitnehmer war ein wesentlicher Gegenstand und Streitfall der Rentenreform von 1957. Diese sollte zunächst Bestandteil einer „umfassenden Sozialreform“ (Adenauer) sein. Auch die oppositionelle SPD hatte in den Bundestagswahlkampf 1953 Grundzüge eines „Sozialen Gesamtplans“ hineingetragen, der sich an der neuen britisch-skandinavischen Welfare-State-Konzeption (z. B. allgemeine Staatsbürger-Grundrente, überwiegend steuerfinanzierter nationaler Gesundheitsdienst) orientierte. (vgl. Hockerts 1990, 94 ff.). Damit sollte die Improvisationsperiode der Nachkriegszeit abgeschlossen und die Sozialpolitik des neuen Staates von Grund auf geregelt werden. Ein solches Gesamtkonzept wurde dann allerdings nicht realisiert. Verantwortlich dafür war unter anderem ein Prinzipienstreit. Das Bundesfinanzministerium vertrat ein umfassendes Bedarfsprinzip. Alle steuerfinanzierten Sozialleistungen inklusive der Staatszuschüsse an die Sozialversicherung sollten an den Nachweis individueller Bedürftigkeit gekoppelt werden. Der Bundesarbeitsminister dagegen vertrat eine sozialversicherungsrechtliche Regelung, die der Arbeitnehmerschaft die stigmatisierenden Formen traditioneller Armutsfürsorge ersparen sollte10. Die Rentenreform wurde schließlich aus den sozialpolitischen Gesamtplanungen herausgenommen. Dass die Rentner zu den Stiefkindern des Wirtschaftswunders gehörten, hatte eine Enquete des Statistischen Bundesamts kurz zuvor noch einmal eindringlich untermauert (vgl. ebd.) Nach jahrelangen Kontroversen und abschließenden Beratungen, die als „Rentenschlacht“ in die Parlamentsgeschichte eingegangen sind, wurde das Gesetz über die Gesetzliche Rentenversicherung verabschiedet, das die noch heute gültigen Grundzüge festlegte. 10 Diese „Abhebung von der Fürsorge“, wenn auch nur dadurch, dass sie den „Rentnern den Gang zum Sozialamt erspart“, also den geringen Betrag, den sie monatlich erhalten, formell in eine selbst erarbeitete „Lebensleistung“ verwandelt, fand sich als Leitgedanke im Gesetzentwurf vom März 2012 zur „Zuschussrente“ Ursula von der Leyens „Bisher ist kein Beispiel dafür bekannt“, so resümierte das Allensbacher demoskopische Institut am Ende der 50er Jahre, „dass irgendein Gesetz, eine Institution oder sogar Verfassung und Symbole des Staates auch nur annähernd so positive Resonanz gehabt haben wie die Rentenreform“ (zit. nach Hockerts 1990, 103). Adenauer drängte auf diese Reform nicht nur wegen der bevorstehenden Wahl. Es ging vielmehr wesentlich darum, die Gesellschaft sozialpolitisch zu stabilisieren, sowie die Bundesrepublik für die Bevölkerung der DDR attraktiv zu halten. Die Orientierung am Konzept der „Lebensstandardsicherung“ und die Idee der „Lohnersatzfunktion“ der Rente wurden etabliert. Der systematische Austausch der älteren gegen leistungsfähigere, jüngere Erwerbspersonen sichert einen kontinuierlichen Zu- und Abfluss von Arbeitskräften und Qualifikationen. Dies setzt jedoch eine Rentenhöhe voraus, die von den verbrauchten Lohnabhängigen als Unterhalt für ihren Lebensabend akzeptiert wird. Entsprechend wurden die Renten in dieser Zeit deutlich angehoben. So entstand das über viele Jahre hinweg gültige Leitbild einer Verstetigung des Arbeitseinkommens auch in Wechselfällen des Lebens und im Alter, ein Leitbild, das einer vollbeschäftigten Arbeiterschaft im nationalen Wiederaufbau entsprach. Gleichzeitig wurden auch mit der großen Novelle des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die provisorischen Regelungen der Erwerbslosenfürsorge im Rahmen der Kriegsfürsorge abgelöst und ein Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung geschaffen. Das neue Rentensystem belohnte „Gutverdiener“ mit kontinuierlicher Berufsbiografie, also die Lebensleistung im Dienst des Kapitals. Benachteiligt waren vor allem Frauen. Ein den Lebensstandard sichernder Lohnersatz war die Rente für die meisten Senioren auch damals schon nicht. Angestellte, die mehr als 1800 DM im Monat verdienten, waren zunächst von der Versicherungspflicht ausgenommen. Wesentliche Inhalte der Rentenreform waren neben der rechtlichen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten die „Dynamisierung“ und das Finanzierungsverfahren. Mit der Dynamisierung der Rente wurden die Rentenbezüge an die allgemeine Einkommensentwicklung angepasst. Der Lebensstandard der ausrangierten Arbeitnehmer orientiert sich im Prinzip auch heute noch an dem der Arbeiterklasse insgesamt. Was sie erhalten, hängt sowohl von ihrem eigenen, in der Vergangenheit erarbeiteten Lohn, als auch von der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Lohnsumme ab. Sie partizipieren damit sowohl an steigenden wie an sinkenden Löhnen, wobei eine direkte Kürzung ausgeschlossen ist. (Dafür werden andere Mechanismen eingesetzt.) Gegner der Dynamisierung waren vor allem die Arbeitgeberverbände und die Verbände der Banken, der Sparkassen und des privaten Versicherungsgewerbes. Die Geldinstitute und die Versicherungswirtschaft sahen ihre Interessen so stark bedroht, daß ihre Spitzenverbände sich 1956 gegen die Dynamisierung der Renten zur „Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer“ zusammenschlossen. Im Kern gab es drei Einwände:

Der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützte dagegen die Dynamisierung, ebenso die Deutsche Angestelltengewerkschaft, die jedoch die Beibehaltung eines besonderen Angestelltenversicherungsgesetzes forderte (vgl. Hockerts 1990, 100) Komplementär zu den Altersrenten wurden 1963 auch die Rentenleistungen der Unfallversicherung sowie 1970 und 1972 Leistungen der Kriegsopferversorgung dynamisiert. Zu der allgemeinen Rentenreform gehörten weiter die Einführung einer gesetzlichen Alterssicherung für Landwirte 1957 und die Reform der Alterssicherung für das Handwerk 1960 (vgl. Henkel 2002, 67). Angehörige von Berufsgruppen, von denen erwartet wird, dass sie ihr Alter selbst finanzieren können (Ärzte, Rechtsanwälte), sind von der Versicherungspflicht ausgenommen, bzw. können sich befreien lassen. Sie haben sich sogenannte berufsständische Versorgungswerke geschaffen. Die Höhe der Zahlungen war zunächst an der Bruttolohnentwicklung orientiert. Die Rentner profitierten mit von den Lohnerhöhungen dieser Zeit. Von 1957 bis 1990 stiegen die Renten insgesamt auf mehr als das Siebenfache an (Scherer 2004, 7) „Das relativ kontinuierliche Wachstum der Wirtschaft, die allgemeine Wohlstandsentwicklung und der Systemgegensatz zwischen Staatssozialismus und Kapitalismus schufen in den 1950er und frühen 1960er Jahren ein für die Rentenpolitik ausgesprochen günstiges Klima“ (Butterwegge 2012, 15). Die Systemkonkurrenz, die Rolle des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaates als „Schaufenster des Westens“ ist bei dieser für die Rentner positiven Entwicklung nicht zu unterschätzen (vgl. ebd.) Im Boomjahr 1970 strömten drei Milliarden Mark mehr in die Kassen der Rentenversicherungs-Anstalten als zuvor geplant. Die Zahl der Beschäftigten erreichte durch zwei Millionen Gastarbeiter den erst für 1980 vorhergesagten Stand, die Löhne und Gehälter pro Kopf stiegen an, so dass die Rentenbeiträge und Einnahmen der Anstalten wachsen konnten (vgl. Der Spiegel vom 15.03.1971, 31, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43345669.html) Allerdings wurden bereits Ende der 1960er Jahre Maßnahmen ergriffen, das Beitragsaufkommen zu steigern. Ab 1968 wurde ein Krankenversicherungsbeitrag der Rentner von zwei Prozent erhoben, um die Rentenkasse von Zahlungen an die Krankenkassen zu entlasten. Dieser wurde jedoch 1970 wieder gestrichen. Dafür wurde die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte aufgehoben (Spöttl, o. J., 31). 1972 wurden weitere Beitragszahler erschlossen: Waren bislang nur berufstätige Frauen versichert, so konnten nun auch Hausfrauen freiwillig Rentenbeiträge einzahlen. Ebenso konnten sich Selbstständige freiwillig versichern. Die Möglichkeit, Beiträge nachzuentrichten wurde geschaffen. Die Finanzierung der Renten schien damit soweit gesichert, dass den Unternehmen der Personalabbau durch Frühverrentung schmackhaft gemacht werden konnte. Frauen und ältere Arbeitslose konnten im Alter von 63 in Rente gehen, Schwerbehinderte sogar schon mit 60 Jahren. Seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 fand kein weiterer Ausbau der Sozialleistungen statt. Vielmehr wurden Transferleistungen gekürzt, Anspruchsvoraussetzungen verschärft und Kontrollmaßnahmen verstärkt (vgl. Butterwegge 2012, 17) Die Finanzierung der Renten durch Kapitaldeckung wurde mit der Reform von 1957 durch das Umlageverfahren abgelöst. Die Renten wurden und werden bis heute im wesentlichen aus den Beiträgen der aktuell Beschäftigten bezahlt. Der Sozialstaat konstituiert die Arbeiterklasse als Solidargemeinschaft und organisiert, was individuell nicht gelingt: von Arbeit zu leben, ein Leben lang – für die Klasse als ganze, die er durch die Beitragsbemessungsgrenze abgrenzt. Da so immer nur Geldmangel umverteilt wird, sind die Sozialkassen auch meistens leer11. Die Linderung der Not der Rentner verschärft die Geldknappheit der Beschäftigten. Die Beschwerden der Wirtschaft über zu hohe „Lohnnebenkosten“ fasst die Politik zudem als Sparimperativ auf. Das Verfahren, mit einer Hand den Rentnern das zu geben, was man mit der anderen Hand den aktiven Arbeitnehmern wegnimmt (auch PAYGO-Verfahren genannt), wird als „Generationenvertrag“ idealisiert: Die gegenwärtig Beschäftigen tragen den Lebensunterhalt der Rentner und erwarten, dass die nachfolgende Generation ihnen den gleichen Dienst erweist. Seitdem die Liberalisierung des Arbeitsmarkts und die Rentenkürzungen es für die Beschäftigten immer schwerer machen, eigene Rentenansprüche zu erwerben, wird mit Blick auf die heutigen – vergleichsweise „saturierten“ - Rentner ein „Generationenkonflikt“ diskutiert. Dazu mehr in Kapitel 3. 11 Dazu kommt, dass die Rentenversicherung auch für „nicht beitragsgedeckte Leistungen“ in Anspruch genommen wird, andererseits gibt es einen jährlichen Bundeszuschuss (vgl. Sozialbeirat 2012, 16) Die Rente des einzelnen wird auf der Basis von individuellen „Entgeltpunkten“ und Beitragszeiten berechnet. Da sich die Summe der eigentumsähnlichen Rechtsansprüche der Rentner einerseits und die jeweils verfügbare Beitragsmasse andererseits nie decken, gleicht die Regierung das Missverhältnis jährlich neu aus: Beiträge werden angehoben oder gesenkt, der Wert der Entgeltpunkte wird neu festgelegt, und ein nicht unerheblicher Bundeszuschuss wird angepasst. Die Rentenberechnung: Endabrechnung über ein Arbeitsleben. Mit dem Rentenbescheid und schon vorher mit der ersten Renteninformation erhält der Arbeitnehmer seinen „Versicherungsverlauf“, also alle Höhen und Tiefen des eigenen Berufslebens in schonungsloser Deutlichkeit präsentiert. Zeiten, während derer er (versicherungspflichtig) gearbeitet hat und Geldbeträge, die er dafür bekommen hat, werden mit „Entgeltpunkten“ versehen, die das eigene Einkommen ins Verhältnis zum Durchschnittseinkommen des jeweiligen Jahres setzen. Diese Entgeltpunkte sind die wesentliche Grundlage der Rentenberechnung, nicht die eingezahlten Beiträge. Für 2018 gibt die Deutsche Rentenversicherung ein Durchschnittsentgelt von €37.873 (West) an, das einen persönlichen Entgeltpunkt für die Rente erbringt. Wer weniger verdient hat, erhält einen entsprechenden Bruchteil des Entgeltpunktes. Wer bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die im Jahr 2018 bei 6.500 Euro/Monat lag, einzahlt, erhält ca. zwei Entgeltpunkte. Der berufliche Status soll sich in die Ruhestandsphase hinein fortsetzen12. Die Berufshierarchie wird unter Ruheständlern allerdings zur reinen Geldhierarchie. Während eine Krankenschwester auch bei magerem Gehalt noch gesellschaftliches Ansehen genießt, ist sie als Rentnerin nur noch arm. Der Rang eines alten Menschen bestimmt sich danach, was er sich leisten kann: Kreuzfahrt oder Aldi-Leberwurst. Wer es nicht geschafft hat, über viele Jahre ein relativ hohes Einkommen zu erzielen, hat auch keine auskömmliche Rente verdient. 12 „Durch dieses System soll sichergestellt werden, dass die relative Einkommensposition der Versicherten auch in der Rentenbezugsphase beibehalten wird …“ (BMGS 2003, 69, Bericht der Rürup-Kommission) Seit dem 01.01.2019 werden pro Kind, das vor 1992 geboren wurde, 2,5 Rentenpunkte angerechnet. Für später geborene Kinder gibt es nach wie vor 3 Punkte pro Kind. Diese jährlich erteilten Punkte werden bei Rentenbeginn addiert und mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert „Auch für die Berechnung des aktuellen Rentenwertes existiert eine Formel. Sie berücksichtigt beispielsweise die Lohn­ und Gehaltsentwicklung aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und ihre Aufwendungen für die Altersvorsorge. Diese Formel enthält auch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor. Er führt dazu, dass die Rentenanpassungen gedämpft werden, wenn sich das Verhältnis von Rentnern und Beitragszahlern zu Lasten der Beitragszahler verändert“ (DRV 2019, 21). Die „Aufwendungen für die Altersvorsorge“, die die Beitragszahler schultern müssen, werden gleichermaßen den Rentnern abgezogen. Das ist Gerechtigkeit!

Für einen Entgeltpunkt erhielt man im Jahr 2018 32,03 € (Ost: 30,69€) monatliche Rente. Mit dem Zugangsfaktor werden Ab- oder Zuschläge für vorzeitigen bzw. späteren Rentenbeginn eingerechnet. Der Rentenartfaktor unterscheidet die Altersrente, bei der die Entgeltpunkte mit 1,0 multipliziert werden, von der teilweisen Erwerbsminderungsrente (0,5) oder der Witwenrente (0,55) Ein Rentner, der das Glück hatte, 45 Beitragsjahre lang einen Durchschnittslohn zu beziehen und bis zur Regelaltersgrenze durchgehalten zu haben, kann sich demnach (am 01.07.2018) über 1.284,06 € brutto freuen. Davon werden noch Kranken- und Pflegeversicherung und Steuern abgezogen. Netto bleiben unter 1.000 €. Die Differenz zwischen Brutto- und tatsächlicher Rente erhöht sich künftig durch die zunehmende Besteuerung und die gesetzlich festgeschriebene Absenkung des Rentenniveaus weiter. Die jährliche Renteninformation, die die aktuelle Anwartschaft und die voraussichtliche Regelaltersrente angibt, stellt für die Arbeitnehmer ein Frühwarnsystem dar. In verschiedenen Fernsehbeiträgen (plusminus vom 11.12.13, WISO vom 07.07.2014) wurde kritisiert, dass hier nur die Bruttorente angegeben wird und lediglich pauschal auf Abzüge verwiesen wird. Publikumswirksam wurden einige Fälle durchgerechnet und die Betroffenen mit der auf sie zukommenden Altersarmut konfrontiert. Die Kritik richtete sich gegen die „irreführende“ Renteninformation, nicht gegen die zu niedrige Rente. Der Rentenbescheid ist die zumeist ernüchternde Quittung für ein Berufsleben, eine (abgesehen von Berechnungsfehlern) unanfechtbare Endabrechnung. Wie ein allwissender und strenger Gott, der die guten und schlechten Taten eines ganzen Lebens in seinem schwarzen Buch festhält, um am Ende die Rechnung und einen Urteilsspruch zu präsentieren, teilt die Rentenversicherung die Alimente für die letzte Lebenszeit auf Basis vergangener Verdienste und Versäumnisse, die irreversibel feststehen, zu. Mit der jahrzehntelangen Mühe und Plage hat sich der Arbeitnehmer in aller Regel keinen komfortablen Ruhestand, sondern Einschränkungen des ohnehin bescheidenen Lebensstandards erarbeitet. Kosten der Wiedervereinigung und Verbilligung der Arbeit schädigen die Rentenkassen. Vergleichbare Systeme der Alterssicherung entstanden nach 1945 in mehr als 160 Ländern. Neben der staatlich organisierten wurde eine zweite (betriebliche) und eine dritte (private) „Säule“ postuliert, die allerdings für die Mehrheit völlig fiktiv blieben. Die Eigenverantwortung der Beschäftigten wurde in verschiedenen Ländern unterschiedlich akzentuiert. So sollte beispielsweise in Großbritannien die staatliche Rentenzahlung nur eine Grundsicherung garantieren, während der Lebensstandard durch – staatlich geförderte – betriebliche und private Vorsorge zu sichern war. Allerdings blieb auch hier, wie in allen Industrieländern die Mehrheit der Arbeitsbevölkerung weit überwiegend auf die Leistungen der „ersten Säule“ angewiesen (vgl. Christen 2011, 79) Ein Wendepunkt in der deutschen Sozialpolitik war die Wiedervereinigung. Das System des zweiten deutschen Staates wurde abgeschafft. Die Sozialpolitik der DDR hatte andere Schwerpunkte als die der kapitalistischen Staaten. Es war nicht das Ziel, die Risiken des Erwerbslebens zu organisieren und zu kompensieren, denn die sozialistische Ökonomie sollte von vornherein wirtschaftliche und soziale Ziele zur Deckung bringen. In der staatlich organisierten Wirtschaft waren Arbeit und Einkommen prinzipiell für jede und jeden vorgesehen. Arbeitslosigkeit und Erwerbseinbußen durch Kindererziehung waren keine durch die Wirtschaft geschaffenen Tatsachen, auf die der Staat reagieren musste, ebenso wie die Ausmusterung älterer Arbeitnehmer. Im Sinne einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen erhielten Wohnungsbau und Familienförderung hohe Priorität. Die alten Versicherungsträger wurden aufgelöst, dagegen die betriebliche Sozialpolitik erheblich aufgewertet. Soziale Sicherheit definierte man in einem weiten Sinn als Schutz vor Risiken infolge von Alter, Krankheit, Kriegsbeschädigung, Invalidität, Mutterschaft und Tod des Ernährers. Sozialpolitik – der Begriff wurde erst in den 60er Jahren offiziell verwendet – beinhaltete andererseits auch die Schaffung von Voraussetzungen und Anreizen für die Steigerung der Arbeitsproduktivität. 1976 wurde diese Konzeption in der parteioffiziellen Formel der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ festgeschrieben (vgl. Schmidt 1999, 6 ff.) Da die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen nicht per se Zweck, sondern Mittel zur Produktivitätssteigerung und Wachstum des nationalen Reichtums war, beinhaltete die staatliche Organisation der Lohnarbeit viele Züge ihres kapitalistischen Gegenparts wie: Arbeit als Bedingung des Lebensunterhalts, Ausreizen der Leistungsfähigkeit des einzelnen und Konkurrenz. Die Teilhabe an Gütern und Leistungen unterlag zudem auch politischen Kriterien. Krankheit und Alter wurden als Unproduktivität gewertet, für die Ausnahmeregelungen geschaffen und von den Beschäftigten getragen werden mussten. Für fast alle – auch für Selbstständige und für Unternehmer mit bis zu fünf Angestellten - galt daher eine Sozialversicherungspflicht. Die Beiträge wie die Leistungen waren aufgrund des nivellierten Lohngefüges im wesentlichen einheitlich. Ab 1970 wurde eine freiwillige Zusatzversicherung eingeführt. Die Altersrenten hatten ein nach westlichen Maßstäben bescheidenes Niveau, waren andererseits universell und erwartbar, da nahezu die gesamte Bevölkerung Rentenansprüche erwarb. Wie im Westen war Lohnarbeit Bedingung für Rente, für diese Bedingung wurde aber auch gesorgt. Besonders qualifizierte Erwerbstätige, deren Abwanderung in den Westen befürchtet wurde, wurden mit freiwilligen zusätzlichen Altersversorgungssystemen umworben. Zur Sozialpolitik im weiteren Sinne gehörten auch die Preissubventionen für Güter des Grundbedarfs, Mieten, Tarife im Personennahverkehr und für Gas-, Wasser- und Stromlieferung, sowie der Kündigungsschutz und die faktische Arbeitsplatzgarantie. Ein West-Professor kann es nicht fassen, dass die Menschen Zuwendungen erhalten, die auf Kosten der Wirtschaft gehen: „Zweifelsohne hatte die Politik in der DDR insgesamt einen Wohlfahrtsstaat beträchtlicher Größe geschaffen. Doch kein Zweifel besteht daran, dass der Wohlfahrtsstaat der DDR im Vergleich zur Wirtschaftskraft des Landes überdimensioniert war - mit beträchtlichen wirtschaftlichen Folgeschäden“ (Schmidt 1999, 29) Im Zuge der Wiedervereinigung wurde der permanente Anspruch des Weststaates auf die Bürger der DDR eingelöst. Diese wurden rückwirkend BRD-Bürgern gleichgestellt und in das westdeutsche Rentensystem integriert. Das Rentenüberleitungsgesetz von 1991 und 1992 regelte die Anrechnung von in der DDR erworbenen Rentenansprüchen. Für die Ermittlung der Entgeltpunkte für Arbeitseinkommen, die in der ehemaligen DDR erzielt wurden, wird zunächst der für die Rentenberechnung maßgebliche Verdienst ermittelt. Dabei werden die Verdienste berücksichtigt, für die Beiträge nach dem Sozialversicherungsrecht der ehemaligen DDR gezahlt wurden sind. Die so ermittelten maßgeblichen Verdienste werden mit Umrechnungsfaktoren auf den Stand der vergleichbaren Verdienste in den alten Bundesländern hochgerechnet. Nunmehr werden durch Teilung der hochgerechneten Verdienste durch die Durchschnittsentgelte aller Versicherten des jeweiligen Kalenderjahres die Entgeltpunkte für Beitragszeiten ermittelt. Im Prinzip wurden bzw. werden Rentner mit DDR-Biografie also so gestellt, als hätten sie in der Bundesrepublik gearbeitet. Im Jahr 2015 ergab ein Entgeltpunkt 29,21 Euro für Westdeutschland, 27,05 Euro für Ostdeutschland (Quelle: Deutsche Rentenversicherung). Eine Angleichung ist vorgesehen. Die Rentnerkohorten der DDR gelten als „Gewinner der Wiedervereinigung“ (u. a. May 2010, 101), während die jüngeren Kohorten der neuen Bundesländer durch das höhere Arbeitslosigkeitsrisiko nicht nur einen geringen Lebensstandard in der Erwerbsphase, sondern auch größere Armut im Alter zu gewärtigen haben. Die Übernahme bestimmter DDR-Sozialstandards und –einrichtungen als Reformimpulse des gesamtdeutschen Sozialstaats, die von SPD und Für die Ermittlung der Entgeltpunkte für Arbeitseinkommen, die in der ehemaligen DDR erzielt wurden, wird zunächst der für die Rentenberechnung maßgebliche Verdienst ermittelt. Dabei werden die Verdienste berücksichtigt, für die Beiträge nach dem Sozialversicherungsrecht der ehemaligen DDR gezahlt wurden sind. Die so ermittelten maßgeblichen Verdienste werden mit Umrechnungsfaktoren auf den Stand der vergleichbaren Verdienste in den alten Bundesländern hochgerechnet. Nunmehr werden durch Teilung der hochgerechneten Verdienste durch die Durchschnittsentgelte aller Versicherten des jeweiligen Kalenderjahres die Entgeltpunkte für Beitragszeiten ermittelt. Im Prinzip wurden bzw. werden Rentner mit DDR-Biografie also so gestellt, als hätten sie in der Bundesrepublik gearbeitet. Im Jahr 2015 ergab ein Entgeltpunkt 29,21 Euro für Westdeutschland, 27,05 Euro für Ostdeutschland Gewerkschaften gefordert wurden, lehnte die Bundesregierung ab (vgl. Ritter 2007, 294)13. Umgekehrt wurden manche Bestimmungen des Arbeitsschutzrechts wie das Verbot der Beschäftigung von Frauen auf dem Bau zunächst nicht auf das DDR-Gebiet übertragen und dann im Zuge der Gleichbehandlung auch im Westen abgeschafft (vgl. Ritter 2007, 295) 13 „Als die zuständige griechische EG-Kommissarin Vasso Papandreou von Staatssekretär Jagoda wissen wollte, was denn die Bundesrepublik von der DDR übernommen habe, konnte er ihr so kein Beispiel nennen“ (Ritter 2007, 295) 1989 fiel mit der Mauer auch das bisherige Rentenmodell. Die Beitragssumme musste sofort auch für die Rentenzugänge aus den neuen Bundesländern, ausreichen. Dazu kamen unter anderem Altlasten der DDR-Rentenversicherung und Einnahmenausfälle, die durch die Verbeamtung von Arbeitnehmern auf dem Gebiet der DDR entstanden. Die Beitragszahler hatten somit einen erheblichen Teil der Lasten der deutschen Einheit zu tragen (vgl. Ritter 2007, 253). Nach einem Bericht der Deutschen Bundesbank wurden 140 Mrd. DM an Transferleistungen (23 Prozent der Transfers) vom Westen in den Osten innerhalb der Arbeitslosen- und Rentenversicherung aufgebracht (vgl. Ritter 2007, 128) Sukzessive wurden in den folgenden Jahren Anstrengungen unternommen, einerseits die Ausgabensituation zu verbessern, also die Leistungen zu reduzieren und andererseits die Einnahmen zu erhöhen. Mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, das am 1. Januar 1992 in Kraft trat, war eine erhebliche Verschlechterung des Leistungsniveaus verbunden. Die Renten wurden nicht mehr an den Brutto-, sondern an den Nettolohn angepasst. Vorzeitiger Rentenantritt wurde mit Abzügen bestraft. Jeder Monat eines früheren Ausscheidens aus dem Berufsleben kostete nun bis zum Tod 0,3 Prozent Abschlag. Die Höchstdauer der Anrechnung von Ausbildungszeiten wurde gesenkt, und das Renteneintrittsalter für Frauen schrittweise auf 65 angehoben. Neu eingeführt wurden auch die sogenannten Berücksichtigungszeiten, die dazu beitragen, Anspruchsvoraussetzungen (Wartezeiten) zu erfüllen, die allein durch Beitragszeiten und beitragsfreie Zeiten nicht gegeben wären. Im Gegensatz zu den Beitragszeiten begründen sie jedoch keine Rentenansprüche. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit wurde unter Verweis auf die demografische Entwicklung ohne größere öffentliche Auseinandersetzungen eingeführt. Die Einwände der Gewerkschaften blieben defensiv, zielten, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, im wesentlichen nur auf den längeren Verbleib in „besonders belastenden Berufen“ ab. Allgemein wurden die bisherigen arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Argumente von finanz- und wachstumspolitischen Überlegungen verdrängt. Ein Schritt zur Sanierung der Sozialkassen war das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse von 1999. Der Begriff der geringfügigen Beschäftigung war mit dem SGB IV zum 1. Juli 1977 eingeführt worden. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zahlten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, wenn das Entgelt unterhalb der „Geringfügigkeitsgrenze“ lag, die durch einen Prozentsatz vom Durchschnittslohn definiert war. Daher ergab sich für den Beschäftigten kein Anspruch gegenüber der Sozialversicherung. Unterhalb der etwas höheren „Geringverdienergrenze“ zahlte nur der Arbeitgeber Sozialbeiträge. 1981 wollte die sozialliberale Bundesregierung die Versicherungsfreiheit von geringfügig Beschäftigten generell abschaffen, um so Einnahmeausfällen bei der Sozialversicherung entgegenzuwirken und den Sozialversicherungsschutz der Arbeitnehmer im Teilzeitbereich, insbesondere von Frauen, zu verbessern. Nachdem insbesondere Zeitungsverleger und Wohlfahrtsverbände protestiert hatten, wurde die Versicherungsfreiheit beibehalten, aber ab dem 1. Januar 1982 die Geringfügigkeitsgrenze des monatlichen Entgelts einheitlich auf 390 DM festgelegt. Die Neuregelung von 1999 hatte folgende Ziele (vgl. Röger 2006, 114 ff.):

Der vom Arbeitgeber zu zahlende Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung betrug zwölf Prozent des Arbeitsentgelts. Die seitdem von den Arbeitgebern gezahlten Pauschalbeiträge sind den „normalen“ Pflichtbeiträgen allerdings nicht gleichgestellt. Auswirkungen haben sie jedoch in der Weise, dass sie einen Zuschlag zu den Entgeltpunkten und eine Berücksichtigung bei der Wartezeit bewirken. Sie erhöhen nicht die Beitragszeiten, so dass daraus auch keine besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder für Rehabilitationsleistungen entstehen. Seither wurde die Geringfügigkeitsgrenze mehrfach angehoben und die Begrenzung auf eine bestimmte Wochenarbeitszeit aufgehoben. Gleichzeitig wurden diese Minijobs generell sozialversicherungspflichtig, allerdings mit der Möglichkeit der Befreiung. Die Neuregelungen im Zuge der Hartz-Gesetze lösten einen regelrechten Boom bei den Minijobs aus. Hatte die Bundesagentur für Arbeit Ende Juni 2003 noch 5,5 Mio. Minijobber/innen registriert, so stieg ihre Zahl innerhalb eines Jahres auf knapp 6,5 Mio., um schon 2007 die Marke von 7 Mio. zu überschreiten. Mitte 2018 erreichte die Zahl der Minijobber/innen mit 7,9 Millionen einen neuen Höchststand (davon 5,01 Mio ausschließlich im Minijob Beschäftigte) (Bundesagentur für Arbeit (2018), Beschäftigungsstatistik). Mittlerweile ist jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Minijob (vgl. auchVoss/Weinkopf 2012, 5) und wird damit mehr und mehr zu einem „Normalarbeitsverhältnis“. Die daraus resultierenden Mini-Rentenansprüche stehen in keinem Verhältnis mehr zu einer „Lebensstandardabsicherung“, die ja das vorangegangene Arbeitsverhältnis schon nicht war. Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung ist in erster Linie die Domäne von Frauen. 58 Prozent der abhängig beschäftigten Frauen arbeiten Teilzeit (Stand 2014 gegenüber 35 Prozent im Jahr 199114). Frauenerwerbstätigkeit ist nicht mit den gleichen Ansprüchen an Bezahlung gekoppelt wie die der Männer. Selbst wenn sie den gleichen Stundenlohn wie männliche Beschäftigte für dieselbe Tätigkeit erhalten, sind Frauen doch wesentlich häufiger in Teilzeit und in geringer entlohnten Bereichen (Einzelhandel, Gastronomie, Reinigung, Friseur) beschäftigt. Die zeitlichen Spielräume, die Frauen für die Familienarbeit benötigen, werden von der Wirtschaft gegen drastische Lohnabschläge gewährt. Der Staat schafft dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen wie 450 €-Jobs, an die von keiner Seite der Maßstab des Familienunterhalts angelegt wird. Frauen gelten nach wie vor vielfach als „Zuverdiener“. Die bittere Wahrheit dieser Sicht ist, dass heute ein Einkommen, das traditionell der Mann nach Hause brachte, für den Familienunterhalt nicht mehr ausreicht und dass die Arbeitsplatzsicherheit so prekär geworden ist, dass ein zweiter potenzieller Ernährer bereitstehen muss. Durch die Billigjobs geraten dann die „Normalarbeitsverhältnisse“ weiter unter Druck. 14 Vgl. Wanger 2015, 2. Frauen waren bis in die jüngste Zeit im Alter von der Versorgung durch die gesetzliche Rente des Ehepartners abhängig. Nach dessen Tod erhielten sie eine von der Erwerbsarbeit und vom sozialen Status des Ehemanns abhängige Witwenrente. Die „große Witwenrente“, die ab dem 45. Lebensjahr (künftig ab dem 47.) der Witwe (auch des Witwers) ausbezahlt wird, beträgt 55 Prozent der Rente des Verstorbenen, wobei eigenes Vermögen (über einem gewissen Freibetrag) angerechnet wird. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein war es übliche Praxis, dass Frauen mit der Heirat ihren Beruf aufgaben und sich die bis dahin einbehaltenen Beiträge zur Rentenversicherung auszahlen ließen, um den Aufbau des eigenen Haushalts zu finanzieren. Allerdings wurden ihnen nur die „Arbeitnehmeranteile“ zur Rentenversicherung ausbezahlt. Die „Arbeitgeberanteile“ gingen den Antragstellerinnen verloren. Mit der Heiratserstattung verzichteten sie auf eine eigenständige Altersrente. Falls sie nach einer Scheidung wieder eine Beschäftigung aufnahmen, konnten sie nur noch einen niedrigen Rentenanspruch erwerben. 1968 wurde die Möglichkeit der Beitragserstattung bei Heirat vom Gesetzgeber aufgehoben. 1969 wurde die Möglichkeit einer freiwilligen Nachentrichtung von Beiträgen für eine frühere Beschäftigung unter bestimmten Bedingungen geschaffen. Ende 1995 lief diese Regelung aus. Seit Mitte der 1970er-Jahre und verstärkt seit Beginn der 1990er-Jahre wurde die Frauenalterssicherung in der GRV schrittweise reformiert: Kindererziehungszeiten wurden angerechnet, ein Bonus für Pflege von Angehörigen eingeführt, erziehungsbedingte Teilzeitarbeit höher gewertet. Der Versorgungsausgleich im Scheidungsfall wurde neu geregelt und die Splittingoption als Alternative zur Hinterbliebenenversorgung eingeführt, die Witwenrente dafür gesenkt. Dennoch besteht weiterhin die „Erwerbszentriertheit“ (Rasner 2006, 270) der Rente und damit ein erheblicher „Gender-Pension-Gap“ (Flory 2011). Am 1. Juli 2018 betrug für Männer in der gesetzlichen Rentenversicherung die Höhe des durchschnittlichen monatlichen Rentenzahlbetrags für Versichertenrenten 1081 Euro. Dieser Wert war in den neuen Ländern mit 1061 Euro etwas höher als in den alten Ländern (993 Euro). Der durchschnittliche monatliche Zahlbetrag für Versichertenrenten an Frauen lag am Stichtag bei 692 Euro (DRV 2018a, 202/203) Die Teilprivatisierung der Rente. Die seit 2001 beschlossenen Rentenreformen beinhalteten eine Abkehr vom Primat der ausgabenorientierten Einnahmenpolitik. Das Ziel der Garantie eines bestimmten Nettorentenniveaus wurde dem Ziel der Beitragssatzstabilisierung untergeordnet. Der wachsende Niedriglohnsektor und die Massenarbeitslosigkeit im Osten verminderten die Beitragszahlungen. In der Folge reichte die Gesamtlohnsumme nicht mehr aus, den Lebensunterhalt der lohnabhängigen Bevölkerung zu gewährleisten. Einen Anstieg der Beiträge wollte Walter Riester, Arbeits- und Sozialminister im ersten Kabinett Schröder mit Blick auf die Belastung der Arbeitgeber durch erhöhte „Lohnnebenkosten“ jedoch verhindern. „Beitragsstabilität“ trat als Zielgröße an die Stelle der Lebensstandardabsicherung15. Eine Grenze von 20 Prozent bis 2020 und 22 Prozent bis 2030 wurde festgesetzt. Gleichzeitig sollte das Rentenniveau16 bis 2030 von 70 Prozent auf 67 Prozent fallen, gemessen an der gültigen Nettolohnformel sogar auf 64 Prozent. Die Berufsunfähigkeitsrenten wurden gestrichen und durch geringere Erwerbsminderungsrenten ersetzt. Wer seinen erlernten Beruf krankheitsbedingt nicht mehr ausüben kann, jedoch grundsätzlich arbeitsfähig ist, erhält keine staatliche Rente und ist auf eine Pförtnerstelle oder das Jobcenter angewiesen. Die Witwenrente wurde auf 55 Prozent gesenkt. 15 „Als Bezugsgröße und Kennziffer wird nicht mehr die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der Sozialkassen diskutiert, sondern verkürzend fast ausschließlich die Entwicklung der Beitragssätze. Beitragssatzstabilität wird so zur heiligen Kuh gemacht“ (Kistler 2006, 204) 16 Das Rentenniveau bezeichnet das Verhältnis der gesetzlichen Rente zum Durchschnittseinkommen des gleichen Jahres. Dabei wird eine abschlagsfrei gezahlte Rente auf der Basis von 45 Beitragsjahren angenommen. Der mit dem Rentenreformgesetz 1999 eingeführte demographische Faktor in der Rentenformel, der längerfristig zur Senkung des Nettorentenniveaus auf 64 Prozent geführt hätte, sollte für die Jahre 1999 und 2000 ausgesetzt werden. Damit sollte Zeit für eine dauerhafte und sozialpolitisch vertretbare Regelung gewonnen werden. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige werden in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Die Einbeziehung scheinselbständiger Arbeitnehmer in die Sozialversicherung sollte erleichtert werden. Das Interesse der Sozialversicherungsträger an der Einbeziehung dieser Beschäftigungsverhältnisse lag darin, dass der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung auf 19,5 Prozent gesenkt werden kann und somit auch die „Lohnnebenkosten“ sinken. Durch die Stabilisierung des Beitragssatzes sollte eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Der neue Ausgleichsfaktor sollte den Beitragssatz bei 23 Prozent stabil halten und gleichzeitig das Rentenniveau auch bei Neuzugängen nicht unter 64 Prozent sinken lassen. Mit der Rentenreform 2001 sollte die Finanzierung der Renten bis etwa 2030 sichergestellt sein durch

Kernstück der Reform von 2001, geregelt im Altersvermögensgesetz, war der Aufbau einer privaten Altersvorsorge: der „Riester-Rente“17. Der Staat unterstützt und fördert diese Privatrente durch direkte Zuschüsse oder Steuererleichterungen. 17 Walter Riester war bereits als Bundestagsabgeordneter als Referent bei verschiedensten Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche tätig und Aufsichtsratsmitglied von ArcelorMittal Bremen. Zum 1. Oktober 2009 wurde er Aufsichtsrat des Finanzdienstleisters Union Investment, dem Marktführer von riestergeförderten Investment-Sparplänen. Die geschäftlichen Verbindungen Riesters (und Bert Rürups) zum Finanzdienstleister AWD kritisierte Transparency International als „Beispiel für politische Korruption“ (Matthias Thieme: „Unwürdig und unanständig“. In: Frankfurter Rundschau, vom 8. April 2011) Die Weltbankstudie „Averting the Old Age Crisis“ von 1994, die die auch heute noch gängigen Argumente zur Krise öffentlicher Pensionssysteme zusammenfasste, propagierte ein 3-Säulen-Modell der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge (vgl. World Bank 1994). Dieses Bild wird seit dem Altersvermögensgesetz und dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz auch in Deutschland angewandt, um Verlässlichkeit zu suggerieren. Die zweite und dritte Säule wurden parallel zur Absenkung des Versorgungsniveaus der Rentenversicherung und zur Einführung der „Riester-Rente“ im Jahr 2001 Bestandteil der staatlichen Alterssicherungspolitik, gefördert durch staatliche Zuschüsse und Steuererleichterungen (vgl. Bäcker/Kistler 2014). Auszahlungen sind mit der gesetzlichen Rente verknüpft und sollen zur Aufstockung dienen. Das Bild der drei Säulen ist weniger als Realität denn als Anspruch an die Versicherten zur Eigenverantwortung zu verstehen. Was die Abdeckung der Bevölkerung ebenso wie die Rentenbeträge betrifft, sind die zweite und dritte Säule nach wie vor von marginaler Bedeutung. Die betriebliche Altersversorgung wurde gestärkt, nämlich den Arbeitnehmern ein individueller Anspruch auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung mit sofortiger gesetzlicher Unverfallbarkeit zugesichert. Allerdings ist die Finanzierung aufgrund der Regelungen zur Entgeltumwandlung allein Sache der Arbeitnehmer, während bei der klassischen betrieblichen Altersversorgung ausschließlich der Arbeitgeber die Finanzierung übernahm.18. 18 Die neue steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge gilt nur für Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie für Versicherte im Alterssicherungssystem der Landwirte. Nicht begünstigt sind Selbständige auch wenn sie freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung oder als Pflichtmitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung versichert sind, geringfügig Beschäftigte - falls keine freiwillige Aufstockung der Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung erfolgt - und beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer (vgl. Röger 2006, 159) Das Altersvermögensergänzungsgesetz (2001) regelte folgende Punkte neu:

Wem nützt die „Riester-Rente“19? 19 Die „Riester-Rente“ soll hier für die staatlich geförderte private Altersvorsorge insgesamt stehen, für die sie die Blaupause war. Mit der Einführung der Riester-Rente wurde suggeriert, dass die Absenkung der GRV-Renten durch private Altersvorsorge ausgeglichen werden könne. Der Grund dafür , dass der Staat Teile des Arbeitslohns zwangsbewirtschaftet, nämlich dass das Geld, das man mit Arbeit verdient, immer zu knapp ist, so dass langfristiges Sparen in aller Regel nicht gelingt, wird hier einmal einfach ignoriert. Die private, „kapitalgedeckte“ Altersvorsorge sollte – im Unterschied zur umlagefinanzierten GRV - Renditen erbringen und damit die „Rentenlücke“ ausgleichen. Noch während der Finanzkrise warben die Versicherer mit Gesamtverzinsungen von über fünf Prozent (vgl. Balodis/Hühne 2012, 18). Als weiterer Vorteil wurde angeführt, dass die sinkende Kinderzahl keine Rolle spiele, wenn jeder für sich spart. So werde die nächste Generation nicht überlastet. Neben dem nationalen Arbeitsmarkt wurde so auch der (inter-)nationale Kapitalmarkt Gegenstand der Sozialpolitik, wobei der Staat zum einen durch Subvention Nachfrage auf einem von ihm erst geschaffenen Wohlfahrtsmarkt stimuliert und zum anderen die Risiken des Vertragsabschlusses durch die Definition von Mindestanforderungen an Riester-Produkte (Garantie der eingezahlten Beiträge, lebenslange Rente, Ruhen des Vertrags etc.) senkt. Obgleich die Bürger nicht zum Abschluss eines privaten Sparvertrags verpflichtet wurden, sollten die öffentliche Kommunikation über die Absenkung des Rentenniveaus der GRV und die staatliche Subventionierung der Riester-Verträge einen starken Anreiz zum Ausbau der privaten Altersvorsorge geben. Wenn sozialpolitische Leistungen an die Privatwirtschaft abgegeben werden, muss sich der Arbeitnehmer zum Manager seiner sozialen Absicherung entwickeln. Dazu fehlen vielfach die Voraussetzungen: Abgesehen von mangelndem Know-how in Finanzfragen, sind es vor allem die üblichen Wechselfälle eines Arbeitslebens, die jahrzehntelange regelmäßige Einzahlungen, die aus dem Nettolohn zu bestreiten sind, bis zum Rentenbeginn verhindern. Wer allerdings seinen Vertrag vorzeitig kündigt, verliert Geld. Die Zahl der Riester-Verträge lag im Jahr 2018 bei 16,5 Millionen. Ein Fünftel davon ist nach Angaben des Arbeitsministeriums ruhend gestellt, wird also nicht bespart (https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Rente/entwicklung-riester-vertraege.pdf?__blob=publicationFile&v=12). 30 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten betreiben keine zusätzliche Altersvorsorge (vgl. Alterssicherungsbericht 2016, BMAS 2016, 149ff.). Bei Renten wegen Erwerbsminderung, die ebenfalls von der Niveauabsenkung betroffen sind, fällt die Möglichkeit eines Ausgleichs durch zusätzliche Vorsorge überdies weg. Nach einer vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Auftrag gegebenen, repräsentativen Befragung durch das Institut für Demoskopie Allensbach 2012 erwarten die Bürger für sich selbst eine Rentenlücke von im Schnitt 600 Euro. Trotz der verbreiteten Gewissheit, sich im Alter deutlich einschränken zu müssen, sind Ausgaben für Produkte der Altersvorsorge wenig attraktiv. Zu wenig, findet die Versicherungswirtschaft, die ihrerseits nicht müde wird, mit der Rentenlücke zu drohen. Nur 24 Prozent der Befragten sind bereit, einiges für die Altersvorsorge auszugeben. Diese rangierte in der Befragung weit abgeschlagen auf Platz zehn der abgefragten Ausgaben hinter Essen, Wohnen, Kleidung, Reisen usw., also der Finanzierung der aktuellen Bedürfnisse (http://www.gdv.de/2012/01/altersvorsorge-der-deutschen-im-jahr-2012/) „Die Vorsorgeneigung ist so gering wie lange nicht“, klagt der GDV (GDV 2015, 8), denn die neuen Rentenversicherungsprodukte haben für die Anbieter viele Vorteile. Im Unterschied zur Lebensversicherung bleibt das Geld des Kunden bis zu seinem Lebensende beim Versicherer, der dieses Lebensende selbstredend mit einem sehr hohen Alter kalkuliert. Dass viele Kunden die Verträge nicht durchhalten, ist andererseits nicht schlimm, denn Stornierungen bringen „Stornogewinne“ und machen Kapazitäten für Neugeschäft frei. Kurz laufende Verträge sind durch das Kassieren von Abschluss- und Verwaltungskosten lukrativer als solche, in die die Kunden brav bis zum Rentenbeginn einzahlen (vgl. Balodis/Hühne 2012/18 ff.) Manche gehen so weit, die Privatrente als den „größten legalen Betrug der Geschichte“ (Holger Balodis auf nachdenkseiten.de vom 08.02.2016) zu bezeichnen. Demnach halten nur 20 bis 25 Prozent der Kunden die Verträge regulär durch, und die Mehrheit der Kunden verliert real Geld. Überdies sind Privatrenten in der Regel nicht dynamisiert. Der Sozialbeirat fasst die Kritik an den Vorsorgeprodukten so zusammen: Die Brutto-Rendite sei gering, die Abschluss- und Verwaltungskosten zu hoch, und die Produktanbieter kalkulierten zum Nachteil der Versicherten. Ein Teil der staatlichen Förderung werde von den Anbietern der Riester-Produkte abgeschöpft. Ursachen für die hohen Verwaltungskosten seien z. B. häufigere Änderungen der Eigenbeiträge durch Einkommensschwankungen sowie eine große Zahl von Mini-Verträgen aufgrund des geringen Mindesteigenbeitrags von 60 € pro Jahr (vgl. Sozialbeirat 2012, 39) Seit der Einführung der Riester-Rente im Jahr 2002 ist der staatliche Förderanteil deutlich zurückgegangen. Grund dafür ist, dass die staatliche Grundzulage festgeschrieben ist, während von Jahr zu Jahr die Summe steigt, die ein Riester-Kunde einzahlen muss, um den staatlichen Zuschuss zu erhalten. Wer die volle Förderung bekommen möchte, muss mindestens vier Prozent seines Vorjahresgehaltes – abzüglich der Zulage – in den Vertrag investieren. Steigt das Gehalt, dann steigt wegen der Vier-Prozent-Regel auch dieser Mindestbeitrag. Der Bürger muss also im Ergebnis immer mehr für die volle Förderung zahlen, selbst wenn sein Gehaltsanstieg nur die Inflation ausgleicht. Die ursprüngliche Anrechnung von Einkünften aus der Riester-Rente auf die Grundsicherung im Alter, wurde inzwischen revidiert „Die sog. Riester-Reform war ein politischer Meilenstein auf dem Weg zum Fürsorge-, Almosen- bzw. Suppenküchenstaat …“ (Butterwegge 2012, 33) Man kann aber auch das Positive sehen: „Die Riesterrente hat mittlerweile eine Abdeckung von ungefähr 45 % erreicht. Im Jahr 2001 hatten 73 % der Haushalte keine zusätzliche Altersvorsorge; 2013 waren dies nur noch 39 %“ (Börsch-Supan 2015, 19). Besser eine schlechte Geldanlage als gar keine? Manchmal entsteht der Eindruck, dass der erzieherische Wert der Riester-Rente höher geschätzt wird als der ökonomische. Die Deutsche Rentenversicherung stellt fest: „Die gesetzliche Rente ist und bleibt die wichtigste Einnahmequelle im Alter und damit Basis für Ihre Existenz im Ruhestand“ (http://www.deutsche-rentenversicherung.de/) Die globale Krise hat das Vertrauen in die Strategie, die Alterssicherung für die Mehrheit der Bevölkerung über den Finanzmarkt finanzieren zu wollen, zeitweise erschüttert. Nach Angaben der OECD wurden weltweit etwa 5,4 Billionen US-Dollar20 des zur Altersvorsorge angelegten Vermögens der Pensionsfonds und Lebensversicherungen vernichtet (vgl. OECD 2009, 9) 20 Im Original: „some USD 5,4 trillion“ Neue Reformschwerpunkte: Sicherung der Sozialkassen gegen die Rentner. Im Jahr 2004 wurden zwei weitere Reformgesetze beschlossen: das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21.07.2004 und das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG -) vom 05.07.2004. Inhalte des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes:

Das Alterseinkünftegesetz regelt die steuerliche Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen. Die Freistellung der Altersvorsorgeaufwendungen begann im Jahr 2005 mit 60 Prozent der Aufwendungen (maximal € 12.000,00/Jahr) und steigt pro Jahr um weitere 2 Prozent, so dass ab dem 01.01.2025 diese Aufwendungen komplett steuerfrei sind und die nachgelagerte Besteuerung erreicht wird. Diese bedeutet, dass der zu versteuernde Anteil der Rente, ausgehend von 50 Prozent im Jahr 2005 jährlich um zwei Prozent, später um ein Prozent steigt. Im Jahr 2040 werden 100 Prozent der Rente versteuert. Das Verhältnis zum Arbeitslohn wird seither als Nettorentenniveau vor Steuern ausgedrückt: Grundlage ist eine Standardrente (auf der Basis von 45 Beitragsjahren und Durchschnittsverdienst) abzüglich der darauf entfallenden Sozialabgaben (Kranken und Pflegeversicherung). Dieser Betrag wird ausgedrückt als Prozentsatz vom Durchschnittsverdienst desselben Jahres abzüglich der darauf entfallenden durchschnittlichen Sozialabgaben (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) einschließlich des durchschnittlichen Aufwands zur zusätzlichen Altersvorsorge. Die Steuern bleiben beim Nettorentenniveau vor Steuern außer Betracht. Da von 2005 bis 2040 jeder Rentenjahrgang (abhängig vom Jahr des Rentenzugangs) einen steigenden Anteil der Rente versteuern muss, ist die Berechnung des Nettoniveaus (nach Steuern) nicht mehr einheitlich möglich. Das Nettorentenniveau vor Steuern ist seit 1990 kontinuierlich gesunken: von 55,1 (1990) und 52,6 (2001) auf 47,5 Prozent (2015). Nach den Vorausberechnungen der Bundesregierung wird das Niveau bis 2029 auf 44,6 Prozent fallen. Diese Prognose beruht auf den Veränderungen bei der Rentenanpassung bzw. in der Rentenanpassungsformel. Die seit 2001 in die Rentenanpassungsformel eingefügten zusätzlichen Faktoren - insbesondere der Riester-Faktor21 und der Nachhaltigkeitsfaktor - führen dazu, dass die Rentenanpassung der Lohnentwicklung nur noch abgebremst22 folgt. Die Untergrenze dieser Abflachung ist per Gesetz (Niveausicherungsklausel) für das Jahr 2030 auf 43 Prozent beziffert (Quelle: IAQ, Daten der DRV, www.sozialpolitik-aktuell.de).23. 21 Als „Riester-Faktor“ wird der „Faktor für die Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung (RVB) und des Altersvorsorgeanteils (AVA)“, der mit dem Altersvermögensergänzungsgesetz von 2001 eingeführt wurde, bezeichnet. Kurz gefasst reduziert er die Einkommen, an denen sich die Rentenanpassungen orientieren um eine theoretische Aufwendung für die Altersvorsorge. 22 Eine weitere „Bremse“ wurde 2014 eingebaut, indem in die Bestimmung des jährlichen Durchschnittslohns auch Beschäftigte in Behindertenwerkstätten und Einrichtungen der Jugendhilfe sowie des Bundesfreiwilligendienstes einbezogen wurden (Sozialbeirat 2015) 23 „The replacement rate by the national definition (pensions compared to earnings, both reduced by social contributions but not by taxes) has been reduced from 52.9 percent in 2001 to 48.0 percent in 2014, and is predicted to decline to 44.4 percent in 2028“ (EU 2015, 70) Das so ausgewiesene Rentenniveau ist eine hypothetische Bezugsgröße, die mit dem individuellen Rentenanspruch wenig zu tun hat. Wer die Standardrente wegen geringerem Verdienst oder Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht erreicht, hat mit noch weniger zu rechnen. Der Gesetzentwurf „Zuschussrente“ Ursula von der Leyens und das „Rentenpaket“ der großen Koalition, das zum 01. Juli 1914 in Kraft trat, hatten nicht zum Ziel, diese Entwicklungen zu korrigieren, sondern bearbeiteten publikumswirksam Gerechtigkeitsfragen24. Der „Lebenslauf fleißiger Geringverdiener“ sollte honoriert werden. 25. 24 Ursula von der Leyen im Interview mit der Bildzeitung: „Nehmen Sie eine Floristin, die heute Tariflohn verdient. Die wird nach 35 Jahren Vollzeitarbeit keine Rente erreichen, von der sie leben kann und muss am Ende zum Amt wie jemand, der in der Zeit auf der faulen Haut gelegen hat. Das ist ungerecht. Irgendwann wird sie sich fragen: Warum nicht gleich schwarz arbeiten und auf private Vorsorge verzichten? Da müssen wir ran, sonst geht das Vertrauen in die Rente verloren“ (Bild 11. August 2012 http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/2012_08_11-inter-bild.html). Eigentlich könnte hier eher das Vertrauen in den Tariflohn verloren gehen. 25 „Die Beschlüsse sind ein großer Fortschritt zur Absicherung von Geringverdienern, die ein Leben lang fleißig in die Rentenkasse eingezahlt haben. Sie sind sehr gut für Frauen, die Kinder erzogen oder Ältere gepflegt haben. Unser Anliegen war, dass diese Menschen, die ein Leben lang Verantwortung übernommen, gearbeitet und in den Generationenvertrag eingezahlt haben, am Ende des Tages eine eigene Rente aus der Rentenversicherung haben. Für Menschen, die 40 Jahre eingezahlt haben, ist das Sozialamt der falsche Ort“ (Presse-Statement Ursula von der Leyens vom September 2012) Das „Rentenpaket“ der großen Koalition beinhaltet, dass Personen, die mindestens 45 Jahre lang Beiträge zur gesetzlichen Rente erbracht haben, mit Vollendung des 63. Lebensjahres abschlagsfrei eine Altersrente beziehen können. Dies gilt jedoch nur für wenige Jahrgänge. Bei Versicherten, die nach dem 31.12.1952 geboren sind, erhöht sich der Zugang zur abschlagsfreien Rente schrittweise vom 63. auf das 65. Lebensjahr. Das bedeutet, dass die Jahrgänge ab 1964 erst wieder mit dem 65. Lebensjahr eine abschlagsfreie Altersrente beziehen können. Die sogenannte Mütterrente erhöhte die Rente von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, um einen Entgeltpunkt pro Kind, womit eine Annäherung – keine Angleichung – an die Rentenberechnung von Eltern jüngerer Kinder geschaffen wurde. Bei der Erwerbsminderungsrente wurde die Zurechnungszeit von 60 auf 62 Jahre verlängert. Wie nicht anders zu erwarten, erntete das Rentenpaket Kritik vor allem von der Versicherungswirtschaft. Es müsse zwangsläufig zu höheren Beiträgen führen: „Den Jüngeren gehen damit genau die Mittel verloren, die sie zum Aufbau ihrer zusätzlichen Altersvorsorge dringend benötigen“, so der GDV-Präsident Alexander Erdland (SZ vom 28./29.12.2013) Das Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8. Dezember 2016 „verfolgt das Ziel, flexibles Arbeiten bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bei besserer Gesundheit zu erleichtern und zu fördern und will das Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus attraktiver machen“ (Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung in Bayern Nr. 01 / 2017 – 03.02.2017). Ganz im Sinne der Verlängerung der Lebensarbeitszeit werden sogenannte Beschäftigungshürden für Rentner abgebaut. Statt der bisherigen Zuverdienstgrenzen bei vorzeitigem Rentenbezug gilt nun ein anrechnungsfreier Zuverdienst von bis zu 6.300 € im Jahr beim Bezug einer Teilrente, was darüber liegt, wird mit 40 Prozent auf die Rente angerechnet. Wer Altersrente bezieht und weiter arbeitet, kann weiter Beiträge zahlen und seinen Rentenanspruch erhöhen. Wer absieht, dass er nicht bis zu Regelaltersgrenze arbeiten kann, hat die Möglichkeit, Abschläge bei der Rente mit erhöhten Beiträgen ab dem 50. Lebensjahr vorausschauend zu kompensieren und damit die Rentenkasse und ggf. Grundsicherungskasse zu entlasten. Denn ob der einzelne Rentner davon profitiert, ist fraglich: „Damit es sich wirklich lohnt, sollten Versicherte schon in etwa über eine fünfstellige Summe verfügen können.“, sagt Marina Herbrich, die Präsidentin des Bundesverbandes der Rentenberater e.V. 26Arbeitgeber müssen künftig (vorläufig während einer Probephase von fünf Jahren) keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten, wenn sie einen Rentner beschäftigen. 26 http://www.rentenberater.de/index.php?option=com_content&view=article&id=193:freiwillige-beitraege-zuenden-den-renten-turbo-luecken-schliessen-dank-flexirenten-gesetz&catid=8&Itemid=117, Abruf vom 18.04.2017. Das Rentenpaket 2019 soll das Rentenniveau bei 48 Prozent bis 2015stabilisieren, und den Beitragssatz zugleich nicht über 20 Prozent steigen lassen. Es gibt geringfügige Verbesserungen bei der Mütterrente und bei der Erwerbsminderungsrente. Exkurs: Gerechtigkeit. Dass der Lebensstandard der ausgemusterten Alten eine Frage staatlicher Zuteilung ist, spiegelt sich im wissenschaftlichen Räsonnement über Gerechtigkeitslogiken und Finanzierungssysteme. Gerechtigkeit ist der Anspruch, den der Bürger an seinen Staat richten kann, nicht aber den der Auszahlung einer bestimmten Geldsumme oder der Finanzierung seines Lebensunterhalts im Alter. Die Wissenschaft prüft daher, ob und in welcher Weise, die Rentner erhalten, was ihnen zusteht. In Bezug auf die gesetzliche Altersversorgung gilt das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Die Höhe der Rente spiegelt die vergangenen Leistungen des Rentners für Kapital und Staat wider (vgl. hierzu z. B. May 2010, 62 f.). Die GRV geht also schon einmal in Ordnung, auch wenn sich die Höhe der Altersbezüge nur mittelbar am früher erreichten eigenen Einkommen und an den eingezahlten Beiträgen orientiert, sondern, wie oben ausgeführt, wesentlich an der relativen Einkommensposition des Arbeitnehmers. Ein weiteres Prinzip, das in diesem Zusammenhang diskutiert wird ist die Bedarfsgerechtigkeit. Dieses Prinzip ist eigentlich ein Widerspruch in sich, zeigt aber, dass über seinen Bedarf nicht der Rentner entscheidet, sondern dass ihm ein solcher zugemessen wird. Es gilt in Bezug auf die Mindestsicherung, die in vielen Ländern in Form einer Basisrente, in Deutschland als Grundsicherung existiert und aus einem Almosen einen einklagbaren Anspruch macht. Auch die Sozialhilfe ist also gerecht. Bei den Beamtenpensionen, die sich am höchsten erreichten Einkommen bzw. am Einkommen der letzten Berufsjahre ausrichten, muss Gerechtigkeit aber noch anders definiert werden: als Besitzstandsgerechtigkeit. Dass der geregelte Aufstieg und die Pensionsberechtigung Mittel zur Sicherung der Loyalität von Staatsdienern sind, geht also auch in Ordnung. GRV-Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Pensionisten werden also nach unterschiedlichen Kriterien und in unterschiedlicher Höhe alimentiert. Gerecht ist es jedoch allemal, gerade weil mit dreierlei Maß gemessen wird. Jeder bekommt, was ihm zusteht: der Rentner seine Rente, der Beamte seine Pension und der Sozialfall seine Grundsicherung. Betriebsrenten. Die so genannte zweite Säule der Alterssicherung ist die Betriebsrente. Schon mit Beginn der Industrialisierung richteten in Deutschland einzelne Unternehmen Versorgungswerke zur Unterstützung der Beschäftigten bei Invalidität oder im Alter ein. Beispiele dafür sind u. a. Firmen wie Krupp, Siemens oder BASF. Diese Versorgungswerke bestanden teilweise schon vor der Einführung der Gesetzlichen Rentenversicherung, sie waren allerdings auf wenige Betriebe begrenzt. Im Unterschied zur gesetzlichen Rentenversicherung, die Zwangsmitgliedschaft und Rechtsansprüche auf Leistungen beinhaltet, war die betriebliche Altersversorgung eine freiwillige soziale Leistung der Unternehmen. Die Arbeitnehmer hatten in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Rechtsanspruch auf Leistungen. Eine gesetzliche Festschreibung der betrieblichen Altersversorgung erfolgte erst 1974. Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) regelte beispielsweise den Erhalt von Beiträgen bei Unternehmenswechseln oder Insolvenz. Seit dem Jahr 2002 sind Unternehmen generell verpflichtet, ihren Mitarbeitern auf Wunsch eine betriebliche Altersversorgung anzubieten. Auch wenn der Arbeitnehmer beispielsweise eine Direktversicherung selbst abschließt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Verwaltung zu übernehmen und die Beiträge abzuführen. Zur betrieblichen Altersversorgung zählen die betriebliche Altersversorgung in der Privatwirtschaft und die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Während die betriebliche Altersversorgung in der Privatwirtschaft überwiegend auf freiwilligen Zusagen der Arbeitgeber oder - mit zunehmender Bedeutung - auf der arbeitnehmerfinanzierten Entgeltumwandlung beruht und damit nur einen Teil der Beschäftigten erfasst, bezieht die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst alle Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes und vergleichbarer Bereiche durch tarifvertragliche Regelungen ein. Die betriebliche Altersversorgung hatte allerdings - auch in Phasen ihrer Ausweitung - nie den Stellenwert einer umfassenden, zur Lebensstandsicherung reichenden Alterssicherung. Ihre Aufgabe war es, als freiwillige betriebliche Sozialleistung die Leistungen der Rentenversicherung aufzustocken - nicht für die Gesamtzahl der Beschäftigten, sondern für die Beschäftigten einzelner Betriebe - in der Regel Großbetriebe. Diese Ergänzungsfunktion war bis zur Rentenreform von 2001 maßgebend. Seitdem hat die betriebliche Altersversorgung ein verändertes, politisches Ziel: Die Leistungen sollen gemeinsam mit der privaten Vorsorge einen Ausgleich für die im Niveau abgesenkten Renten darstellen und werden durch Entlastungen bei den Steuer- und Beitragsabzügen oder durch Zuwendungen gefördert. Zwar beruht die betriebliche Altersversorgung immer noch auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit: Es ist die Entscheidung eines Unternehmens, ob den Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung zugesagt wird. Aber seit 2002 haben die Beschäftigten gegenüber dem Unternehmen das Recht auf den Aufbau einer Betriebsrente, soweit sie die Finanzierung durch eine Entgeltumwandlung selbst übernehmen. Ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer betriebliche Altersversorgungsleistungen zugesagt hat, ist gem. § 16 Abs. 1 BetrAVG verpflichtet, alle drei Jahre eine Anpassung dieser Leistungen aufgrund der Teuerungsrate zu prüfen. Die privatrechtliche Grundlage der betrieblichen Altersvorsorge führt dazu, dass vielfältige Ausgestaltungsformen existieren. Dies betrifft zum einen die Frage, welche Beschäftigten in welchen Betrieben und Branchen Ansprüche erwerben, zum anderen aber auch die Art der abgedeckten Risiken (Alter, Erwerbsminderung, Tod), und schließlich die Anspruchsvoraussetzungen sowie die Höhe der Rente und das Verfahren ihrer Berechnung und Anpassung. Schließlich gibt es verschiedene Durchführungswege, d. h. Organisationsformen der betrieblichen Altersvorsorge, die wiederum mit je spezifischen steuer- und beitragsrechtlichen Vorschriften verbunden sind. Mögliche Durchführungswege sind: Direktzusage: Der Arbeitgeber bildet Rückstellungen, ist in der Art der Geldanlage frei, Beiträge zum Pensionssicherungsverein müssen abgeführt werden. Unterstützungskasse: Diese kann rückgedeckt oder „reservepolsterfinanziert“ sein, sie gewährt formal keinen Rechtsanspruch auf Leistunge. Beiträge zum Pensionssicherungsverein fallen an. Pensionskasse: Dabei handelt es sich um ein selbstständiges Versicherungsunternehmen. Einzahlungen sind steuerlich limitiert. Direktversicherung: Sie ist das Produkt einer Lebensversicherungsgesellschaft mit Analogien zur Pensionskasse. Pensionsfonds: Dieser Durchführungsweg wurde 2002 eingeführt. Eine hohe Aktienquote ist zulässig. Beiträge zum Pensionssicherungsverein fallen an. Die Direktversicherung, die Pensionskasse und der Pensionsfonds werden als mittelbare (versicherungsförmige) Durchführungswege bezeichnet, da deren Finanzierung über ein rechtlich selbstständiges Unternehmen erfolgt. Für die Unternehmen geht es um die Attraktivität als Arbeitgeber, Bindung qualifizierter Mitarbeiter, Verminderung von Fluktuation sowie um Vorteile bei der Unternehmensfinanzierung und um steuerliche Entlastungen. Nach dem „Alterssicherungsbericht 2016“ der Bundesregierung hatten Jahr 2015 17,7 Mio. sozialversicherungspflidchtig Beschäftigte in der Privatwirtschaft Anwartschaften auf eine Betriebsrente erworben (vgl dazu auch Bäcker/Kistler 2014). Der Verbreitungsgrad liegt bei 57 Prozent. Der deutliche Anstieg seit 2001 ist ab 2007 nahezu zum Stillstand gekommen. Daneben gibt es die Anwartschaften der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Hier gibt es einen hohen, tarifvertraglich abgesicherten Verbreitungsgrad. Die zu einem Zeitpunkt gemessene Zahl der Anwartschaften lässt noch keine Aussage über die Dauer und Höhe der Anwartschaft zu, ebenso, welche Risiken damit abgedeckt sind und ob eine regelmäßige Anpassung der Renten an die Einkommens- und Preisentwicklung vorgesehen ist. Die Zahl der Betriebsrenten die aktuell an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgezahlt werden, liegt – in Folge ihrer mehrheitlich erst kurzen Laufzeit - deutlich niedriger als die der Anwartschaften: Von den über 65-Jährigen27 bezogen im Jahr 2015 26 Prozent der Männer, aber nur 7 Prozent der Frauen eine eigene Betriebsrente. In den neuen Ländern waren es sogar nur 5 Prozent der Männer und 1 Prozent der Frauen. Nicht alle Arbeitnehmer, die Anwartschaften erworben haben, werden später auch Betriebsrenten beziehen, wenn bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Unverfallbarkeitsregelung nicht greift. Benachteiligt sind dadurch vor allem jüngere Arbeitslose sowie Frauen, die ihr Beschäftigungsverhältnis wegen der Kindererziehung aufgeben. 27 Der Alterssicherungsbericht bezieht sich auf die Wohnbevölkerung über 65. Vgl. Dazu Fußnote 20, S. 79. Nach den Befunden der Erhebung „Alterssicherung in Deutschland“ zeigt sich bei der Höhe der Nettoleistungen der betrieblichen Altersversorgung in der Privatwirtschaft eine sehr breite Streuung der Zahlbeträge: Neben sehr hohen Leistungen einerseits stehen sehr niedrige Leistungen andererseits. Zugleich wird sichtbar, dass die hohen Leistungen weit überwiegend von Männern bezogen werden: 22 Prozent der Männer, aber nur 7 Prozent der Frauen erhalten eine Betriebsrente von mehr als 700 Euro. Für den größten Teil der Männer und den weit überwiegenden Teil der Frauen fallen die Betriebsrenten aber nur sehr niedrig aus: Weniger als 200 Euro erhalten 45 Prozent der Männer und 64 Prozent der Frauen (ASID 2015, 33) Während noch vor einigen Jahren mehrheitlich die Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgung finanzierten, so hat mittlerweile die arbeitnehmerseitige Finanzierung durch Entgeltumwandlung ein hohes Gewicht bekommen. So wurde schon 2011 in 28 Prozent der Betriebe die Alterssicherung ausschließlich über Entgeltumwandlung finanziert; in 44 Prozent gab es Anwartschaften, bei denen Arbeitgeber und -nehmer gemeinsam einzahlen. Der Anteil der ausschließlich arbeitgeberfinanzierten Alterssicherung lag 2011 bei 27 Prozent. Die Betriebsrente basiert auf der Bindung der Leistung an ein Arbeitsverhältnis und an einen Betrieb. Entsprechend sind für die Arbeitnehmer, aber auch für die Arbeitgeber einige Risiken damit verbunden:

Analog zur Privatrente ist auch die Finanzierung einer betrieblichen Altersvorsorge durch Entgeltumwandlung für den Arbeitnehmer ein zweischneidiges Schwert: Derzeit (Stand 2016) darf ein Arbeitnehmer in Westdeutschland bis zu 2904 Euro (= vier Prozent der Bemessungsgrenze für die Beiträge zur Rentenversicherung) jährlich steuer- und sozialversicherungsfrei von seinem Bruttogehalt in eine betriebliche Altersvorsorge (BAV) anlegen. Die Ersparnis hat aber zur Folge, dass er seine Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung mindert. Manche sprechen daher von einer Kannibalisierung der Rente durch die betriebliche Altersvorsorge. Durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz28, das am 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist, soll eine weitere Verbreitung von Betriebsrenten erreicht werden. Als wesentliches Verbreitungshemmnis sieht die Politik die mit Leistungszusagen für die Arbeitgeber verbundenen Risiken. 28 Die Bestimmungen sind im einzelnen auf den Seiten des BMAS nachzulesen. Kernstück ist das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“: Die Tarifparteien können künftig auch „reine Beitragszusagen“ vereinbaren. Damit wird der Ende der Neunziger Jahre eingeschlagenen Weg zu einer rechtlichen Enthaftung des Arbeitgebers fortgeführt. Bei der reinen Beitragszusage beschränkt sich die Zusage des Arbeitgebers – wie der Begriff schon sagt – auf die Zahlung der Beiträge („pay and forget“). Die Leistungsansprüche des Arbeitnehmers richten sich ausschließlich gegen den Pensionsfonds, die Pensions kasse oder die Direktversicherung. Der Arbeitgeber steht für die aus dem Beitrag erwirtschafteten Renten nicht ein, seine bisher geltende Subsidiärhaftung entfällt. Der externe Versorgungsträger seinerseits muss, anders als bei den bisherigen Zusageformen für die Leistungen aus der Anlage der Beiträge aus der reinen Beitragszusage keine Mindest­ oder Garantieleistungen gewähren. Den Beschäftigten wird eine Zielrente in Aussicht gestellt, deren Höhe nicht garantiert ist. Die Leistungen sind an die Vermögensentwicklung dieser Einrichtungen gekoppelt. Auch die Insolvenzsicher ung über den Pensions­ Sicherungs­Verein entfällt. Sofern für die Betriebsrente die Entgeltumwandlung genutzt wird, muss der Arbeitgeber spätestens ab 2022 grundsätzlich einen Arbeitgeberzuschuss von 15 Prozent des umgewandelten Gehalts zusätzlich an die Versorgungseinrichtung abführen. Steuerfreie Zahlungen an Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung werden ausgeweitet. Ab 2018 sind Beiträge, die zur betrieblichen Altersvorsorge in eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds oder eine Direktversicherung investiert werden, bis zu einer Grenze von acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung einkommensteuerfrei (also in 2018 bis zu 6.240 Euro) und bis zu einer Grenze von vier Prozent (3.120 Euro) sozialversicherungsfrei. Das bedeutet zum Beispiel, dass bis zu diesen Grenzen umgewandeltes Arbeitsentgelt „brutto wie netto“ in die Betriebsrente fließen kann. Die später ausgezahlten Betriebsrenten müssen dann allerdings versteuert werden. Sie unterliegen dann auch der vollen Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Im Steuerrecht wird außerdem ein neues Fördermodell für Beschäftigte eingeführt, die weniger als 2.200 Euro im Monat verdienen. Zahlt der Arbeitgeber für Beschäftigte mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von max. 2.200 Euro jährlich 480 Euro in eine betriebliche Altersversorgung ein, werden dem Arbeitgeber davon 144 Euro vom Staat erstattet. Im Unterschied zur GRV-Rente wird die Anrechnung von BAV- und Riesterrenten auf die Grundsicherung im Alter begrenzt. Zusätzliches Sparen soll sich also lohnen, auch wenn man im Alter auf Grundsicherung angewiesen ist. Den Arbeitgebern wird die Möglichkeit gegeben, mit Beiträgen zur Altersversorgung, die ja den Bruttolohn mindern, Sozialabgaben zu sparen. Dabei werden Risiken und Verwaltungsaufwand für sie minimiert. Immerhin werden sie verpflichtet, sich an einer arbeitnehmerfinanzierten Altersversorgung zu beteiligen. Was der Arbeitnehmer seinerseits einmal davon herausbekommt, steht als „Zielrente“ in den Sternen. Die Versicherungswirtschaft wiederum kann frei nach ihrer „Vermögensentwicklung“ schalten und walten. Rente und Einkommen im Alter. Gemessen an der Verbreitung ist die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) in beiden Teilen Deutschlands nach wie vor das wichtigste Alterssicherungssystem. 90 Prozent der Männer und Frauen ab 65 Jahren beziehen eine eigene Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. (ASID 2015, 32) Die Studie ASID, durchgeführt von TNS Infratest ist eine repräsentative Erhebung bei der Bevölkerung im Alter von über 55 Jahren. Sie ermittelt im Unterschied zu den Statistiken der Leistungsträger Alterseinkommen aus unterschiedlichen Quellen. Die Höhe der eigenen GRV-Renten beläuft sich dabei nach Abzug des Eigenanteils der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner in Deutschland bei Männern ab 55 Jahren durchschnittlich auf 1.133 € und bei Frauen gleichen Alters auf 644 € . Der Unterschied zwischen der Höhe der Renten von Männern und Frauen ist deutlich: 66 Prozent der Männer verfügen über Renten von 1.000 € und mehr. Lediglich bei 16% der Empfängerinnen liegen die eigene Renten bei 1.000 € und darüber. Renten im unteren Bereich bis 500 € sind bei Frauen mit einem Anteil von 39 Prozent dagegen deutlich häufiger anzutreffen als bei Männern (10 Prozent) Die GRV-Hinterbliebenenrenten der Frauen ab 55 Jahren belaufen sich auf durchschnittlich 646 €, die Hinterbliebenenrenten der Männer liegen mit durchschnittlich 309 € deutlich niedriger. Über die Hälfte (53 Prozent) der Männer beziehen Hinterbliebenenrenten in Höhe von maximal 300 €, in diesem unteren Bereich liegen lediglich 11 Prozent der Hinterbliebenenrenten der Frauen. Dagegen beziehen 42 Prozent der Witwen mit einer Hinterbliebenenrente Leistungen von 700 € und mehr. Ein recht deutlicher Unterschied zwischen den alten und neuen Ländern hinsichtlich der Leistungshöhe der GRV zeigt sich bei den eigenen Renten der Frauen. Mit durchschnittlich 836 € liegen die eigenen GRV-Renten der Frauen in den neuen Ländern 42% über denen der Frauen in den alten Ländern (589 €). Dieser Unterschied ist auf deutlich längere Versicherungszeiten ostdeutscher GRV-Rentnerinnen zurückzuführen, die im Durchschnitt 39 Versicherungsjahre aufweisen gegenüber lediglich 27 Versicherungsjahren der GRV-Rentnerinnen in den alten Ländern. (ASID 2015, 32f.) Eine Rente aus einer betrieblichen Altersversorgung beziehen 37 Prozent der ehemals in der Privatwirtschaft beschäftigten Männer und 10 Prozent der Frauen über 65. Die durchschnittliche BAV-Leistung bei denMännern beträgt 578 €, die der Frauen hingegen nur 245 €. Auch Witwenrenten der betrieblichen Altersversorgung liegen mit durchschnittlich 313 € höher als die eigenen BAV-Bezüge der Frauen (ASID 2015, 33) Private Renten sowie Renten aus Lebensversicherungen haben 2015 5 Prozent der Männer und 2 Prozent der Frauen ab 65 Jahren in den alten Ländern bezogen. Die durchschnittlichen Leistungen aller Empfänger belaufen sich bei Männern auf 455 € und bei Frauen auf 291 €. Niedrige Leistungen unter 50 € sind mit Anteilen von 7 Prozent bei Männern und 9 Prozent bei Frauen eher selten. Dagegen erhalten immerhin 13 Prozent der Männer – aber nur 2 Prozent der Frauen – Leistungen von 1.000 € oder mehr. In den neuen Ländern sind private Renten bzw. Renten aus privaten Lebensversicherungen seltener. Jeweils nur 3 Prozent der Männer und 1 Prozent der Frauen ab 65 Jahren beziehen ein solches Einkommen (ASID 2015, 39) Die Studie „Alterssicherung in Deutschland“ hat nicht nur die Bezüge aus Alterssicherungssystemen, sondern auch das gesamte Nettoeinkommen der Über-65-Jährigen (einschließlich Zinserträgen und Erträgen aus Vermietung und Verpachtung29) auf der Personenebene betrachtet. Es ist offensichtlich, dass hier Durchschnittswerte über alle Schichten und Berufsgruppen hinweg wenig aussagekräftig sind. Betrachtet man die durchschnittlichen Nettoeinkommen auf der Personenebene, so zeigt sich jedenfalls, dass Frauen in Deutschland mit 1.133 € 66 Prozent des Einkommensniveaus der Männer erreichen. In den neuen Ländern liegt dieser Wert bei ca. 87 Prozent, in den alten Ländern bei 62 Prozent (ASID 2015, 57) 29 „Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Zinserträge in der ASID – wie auch in anderen Erhebungen, etwa der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes – untererfasst sind“ (ASID 2011, 90) Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung ab 65 Jahren ist oder war zuletzt als Arbeiter oder Angestellter tätig (Männer: 76 Prozent, Frauen: 84 Prozent). Bei diesen fällt das durchschnittliche Nettoalterseinkommen pro Person mit 1602 bzw. 1116 € in etwa halb so hoch aus wie das gleichaltriger Beamtinnen oder Beamten. Noch weniger (1269 bzw. 872 €) erhalten ehemals Mithelfende. In die Kategorie der Selbstständigen fallen so unterschiedliche Existenzen wie eine Änderungsschneiderin und ein Konzernlenker. Deren Durchschnittseinkommen von 1.706 bei Männern und 1.286 € bei Frauen dürfte auf wenigen komfortablen Ruhegehältern und vielen Minieinkommen beruhen. Man muss in Rechnung stellen, dass es sich bei den Personen, die im Jahr 2015 65 Jahre und älter waren, um die Wirtschaftswundergeneration handelt, die von kontinuierlicher Beschäftigung und steigenden Einkommen profitierte. Dass die Rentenreformen der letzten Jahre und die Absenkung des Nettorentenniveaus sowie die zunehmende prekäre Beschäftigung für viele jüngere Jahrgänge zu einer erheblichen Verschlechterung gegenüber den hier aufgeführten Einkommen führen werden, ist bekannt und führt zur Diskussion über „Altersarmut“ Die Rabatte, die manchmal bei öffentlichen Einrichtungen für Rentner gewährt werden, sind jedenfalls nicht dazu angetan, deren materielle Situation in relevantem Ausmaß zu verbessern. Armut im Alter. Als die Sozialministerin von der Leyen Werbung für ihren Entwurf einer Zuschussrente machte und im September 2012 in einem Schreiben an junge CDU-Bundestagsabgeordnete vorrechnete, dass man mit einem Einkommen von 2.500 € nach 35 Versicherungsjahren nur eine Altersrente auf dem Grundsicherungsniveau zu erwarten habe, avancierte das Thema „Altersarmut“ zum Schlager in den Medien. Nachdem wenige Jahre zuvor noch die „Legende von der Altersarmut“30 die Rentenreformdebatte flankiert hatte, überboten sich nun die Journalisten mit ergreifenden Reportagen über Seniorinnen, die sich mit Putzjobs über Wasser halten.31. 30 Vgl. z. B. Carsten Matthäus: Reizthema Rente: Die Legende von der Altersarmut, in: Spiegel online vom 21.10.2003. 31 Z. B. Spiegel online vom 28.08.2012: Arbeiten trotz Rente „Ich bin verdammt zu putzen“ Verschiedene Studien wurden durchgeführt, um die materielle Situation der Rentner zu belegen, wie die schon angeführten ASID 2011 und 2015. Eine Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge widmete sich den Motiven von Rentnern, weiter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen32. Nachgewiesen wurde, dass nicht allein Geldmangel eine Rolle spielt. 32 Deutsches Institut für Altersvorsorge (2015): Arbeiten trotz Rente: Warum bleiben Menschen im Ruhestand weiter erwerbstätig? Berlin. Für die Weltgesundheitsorganisation WHO gilt als arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens seines Landes zur Verfügung hat. Die Europäische Union definiert als „arm“, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens seines Heimatlandes zur Verfügung hat. Armut ist also relativ. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Armutsquote in den neuen Bundesländern niedriger ist als in den alten, weil dort das Einkommensniveau insgesamt niedriger ist. Wenn alle arm sind, ist es keiner. Wenn über Armut diskutiert wird, geht es also um Ungleichheit und Ungerechtigkeit, darum, dass Teile der Bevölkerung nicht den Anteil vom großen Kuchen abbekommen, der ihnen zustünde. In Bezug auf die Alten klingt das zum Beispiel so: „Armut ist für alte Menschen besonders deprimierend, diskriminierend und demoralisierend, weil ihnen die Würde genommen und ein gerechter Lohn für ihre Lebensleistung vorenthalten wird“ (Butterwegge 2012, 40). Dass es die Menschen selbst gar nicht in der Hand haben, wie und wovon sie im Alter leben können, ist wohl selbstverständlich. Es gilt allerdings, die Zuteilung zu verbessern. Denn eine Lebensleistung (siehe auch Gesetzentwurf „Lebensleistungsrente“) sollte schon angemessen honoriert werden. Die zentrale Ideologie des Kapitalismus, dass sich Leistung lohnt, darf nicht ad absurdum geführt werden dadurch, dass man nach einem ganzen Erwerbsleben so arm dasteht wie zuvor. Und eine Schande für den Staat ist es, wenn er seine Veteranen Flaschen sammeln lässt. Entsprechend heftig wird die Existenz von Altersarmut sowohl behauptet wie bestritten. Es handle sich um Einzelfälle, sagen diejenigen, die das Dogma, dass der Arbeitslohn zum Leben reicht bzw. zu reichen hat, umstandslos vertreten, während die anderen – von diesem Dogma ausgehend - einen Misstand konstatieren, der eines modernen Staates unwürdig ist. Wer die Existenz von „Altersarmut“ zugibt, bestätigt die Prekarisierung relevanter Bevölkerungsteile. In dieser Debatte wird der Sozialstaat neu definiert. Ging es bisher darum, eine funktionierende Arbeiterklasse zu erhalten, indem ihre Mitglieder gegen Risiken wie Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie Sorge für ihre Alten abgesichert wurden, so rückt nun zunehmend das Thema Mindestversorgung in den Blickpunkt. Durch Mini-Rentenaufstockungen für Mütter, langjährig Versicherte oder nach Mindesteinkommen entwickelt er sich zunehmend zum Almosen- und Suppenküchenstaat. Statistiker und Sozialwissenschaftler werden beauftragt, das Phänomen „Altersarmut“ einzugrenzen und sein Ausmaß zu bestimmen: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind sind in Deutschland 17 Prozent der Ruheständler von Altersarmut betroffen (Daten von 2014). Seit 2006 ist demnach das Armutsrisiko stetig gestiegen. Als arm wird derjenige eingestuft, der als Single weniger als 986 Euro im Monat zur Verfügung hat. Fast drei Prozent der über 65-Jährigen erhalten (Stand 2016) die Grundsicherung im Alter – nach wie vor geht man davon aus, dass viele Berechtigte diese Leistung aus Unwissenheit oder Scham gar nicht erst beantragen. Eine weitere Zahl: Trotz insgesamt steigender Beschäftigungsdauer liegt der Anteil der Rentenzugänge, die Abschläge wegen „vorzeitigen Rentenantritts“ hinnehmen müssen, noch bei 34,5 Prozent (Stand 2017, DRV: Rentenversicherung in Zeitreihen 2018) Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass sich die materielle Situation der künftigen Rentnerjahrgänge durch das sinkende Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung auf der einen Seite und durch Prekarisierung der Beschäftigung sinkenden GRV-Anwartschaften auf der anderen Seite gegenüber heute noch deutlich verschlechtern wird. Wieder einmal ist es der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, den diese Aussicht und die Lethargie der Betroffenen nicht ruhen lässt. Er beauftragt das prognos-Institut, „Rentenperspektiven 2040“ zu erarbeiten und die Gefahren für künftige Rentner zu konkretisieren „Zur Beurteilung des künftigen Versorgungsniveaus der GRV werden daher in der Regel durchschnittliche Größen herangezogen. Beispielsweise der sogenannte Eck- oder Standardrentner, der nach 45 bzw. künftig 47 Jahren Berufsjahren mit stets durchschnittlichem Verdienst zur Regelaltersgrenze in Rente geht. Allerdings sind derartige Informationen nur für allgemeingültige Aussagen zur Rentenentwicklung belastbar. Die Lebenswirklichkeit der heute Beschäftigten und morgigen Rentnergenerationen wird im Durchschnitt verwischt“ (prognos 2015, 2) Deshalb wurden im Rahmen der Studie sechs typisierte Erwerbsverläufe in drei Frauen- und drei Männerberufen für den Geburtsjahrgang 1973 bis zum Renteneintritt 2040 fortgeschrieben, die zudem noch regional differenziert wurden. Allerdings ergeben die Modellrechnungen wenig überraschend, dass je nach Beruf und Erwerbsverlauf unterschiedliche Rentenansprüche entstehen: „Die Ergebnisse zeigen nicht nur deutliche Abweichungen vom Eckrentner, sondern auch zwischen den Berufen“ (ebd. 28). Eine Verkäuferin mit zwei Kindern hat eine deutlich geringere Rente zu erwarten als ein Entwicklungsingenieur mit fast ununterbrochener Erwerbstätigkeit. Zudem ist die Kaufkraft der Rente beispielsweise in Hamburg oder München geringer als im Oberspreewald-Lausitzkreis. Und der künftige Rentner begibt sich am besten nach Bayern an die tschechische Grenze.33 Aber auch Gutverdiener werden mit einem Rentenbetrag auskommen müssen, der deutlich unter ihrem bisherigen Verdienst liegt. 33 „Perspektivisch wird der Landkreis mit der höchsten Rentenkaufkraft vermutlich in Bayern nahe der tschechischen Grenze zu finden sein“ (prognos 2015, 28) Die Studie gibt jedenfalls dem Versicherungsvertreter schöne - wissenschaftlich fundierte – Beispiele an die Hand, mit denen er seinen Kunden ihre „Rentenlücke“ vor Augen führen kann. Die liegt bei den ausgearbeiteten Modellbiografien zwischen 50 und 67 Prozent.34. 34 Angegeben wird jeweils das „Bruttorentenniveau“, also das Verhältnis der individuellen Rentenhöhe zum Durchschnittseinkommen der letzten fünf Erwerbsjahre. Die Altersvorsorge als Aufgabe. Der Wunsch vieler Arbeitnehmer, möglichst bald in Rente zu gehen, kollidiert mit der Aussicht auf Altersarmut. Neben den für viele schwer durchschaubaren Bedingungen und Berechnungen des Rentenbezugs erschwert vielfach auch eine Art Wunderglaube eine klare Einschätzung der künftigen finanziellen Situation. Nicht zuletzt durch Ansagen der Politik aber auch durch Berichte und Ratschläge in Medien und Organen der Versicherungswirtschaft verfestigt sich die Vorstellung, man müsse für sein „Alter vorsorgen“ und zwar rechtzeitig. Damit ist nicht gemeint, dass man seinem Arbeitgeber vorrechnet, wieviel mehr man verdienen muss, damit man genug fürs Alter auf die Seite legen kann. Im Gegenteil, der Auftrag zur Vorsorge verlangt von Menschen, die ihren Lebensabend nicht selbst finanzieren können – deshalb gibt es ja die Rentenversicherung – sich dennoch darum zu kümmern. Ein Heer von Beratern und eine Unzahl von Netzwerkforen befasst sich mit entsprechenden Strategien und schürt den Glauben an die Vermeidbarkeit der Altersarmut, wenn man es nur geschickt und rechtzeitig genug anstellt. Wie man jedoch aus seinem bescheidenen Einkommen eine auskömmliche Rente herauswirtschaftet, das läuft letztendlich immer auf ein und dasselbe hinaus: Man braucht mehr Geld

3. Demographiemythen: Untergangs- und Rettungsvisionen. Begleitend zu den Rentenreformen seit 1992, die eine erhebliche Verschlechterung des Leistungsniveaus beinhalteten, wurde eine Debatte über die „Überalterung“ der Bevölkerung und den demografischen Wandel geführt. Die Rentner wurden als Belastung für die Gesellschaft, besonders für ihre Kinder, dargestellt. Grafiken, die die Verwandlung der Bevölkerungspyramide in eine Urne (!) zeigten, waren in den Medien allgegenwärtig. Diese Debatte ist seither abgeflaut, ihre wesentlichen Inhalte haben sich jedoch im allgemeinen Bewusstsein verfestigt. Die Alten als Last. Die Marginalisierung der Alten durch ein Wirtschaftssystem, das die Leistungsfähigkeit der arbeitenden Menschen ausreizt und verbraucht, prägt das Bild vom Alter. Alte sind „vergesslich, krank, schwach, egoistisch, phantasielos, langweilig, hässlich, müde, verbrauchend, hartherzig, böse“ (Schirrmacher, 2004, 91). Solche Charakterisierungen werden zwar in kritischer Absicht als Stereotype benannt, dennoch dominieren sie einen Diskurs über die „Vergreisung der Gesellschaft“, einen Diskurs, in dem Erwartungen an die Alten ebenso wie an die Noch-Jungen formuliert und als Zwang der Verhältnisse ausgedrückt werden „Im Jahre 205035 werden in Deutschland 38,7 Prozent der Menschen über sechzig Jahre und 31,4 Prozent über fünfundsechzig Jahre alt sein. … Bis 2020 … wird sich die Schülerzahl in den Sekundarstufen I und II halbiert haben und die Zahl der über 80-Jährigen wird 2050 auf 9,1 Millionen gestiegen sein. … Bis 2050 wird sich die Zahl der Erwerbstätigen … von 51 Millionen auf 40 Millionen verringern, die Einwohnerzahl wird auf 75 Millionen sinken. … Schreibt man die gegenwärtige Rentenfinanzierung fort, wird um die Jahrhundertmitte jeder Erwerbstätige einen Rentner finanzieren müssen. … Ein 90-Jähriger verursacht acht mal so hohe Gesundheitsausgaben wie ein 10-Jähriger. … Für das Jahr 2050 wird für Deutschland mit zwei Millionen Alzheimer-Kranken gerechnet, deren Versorgung extrem teuer ist. … Jede zweite Wählerstimme gehört schon bald einem Alten, denn die unter Achtzehnjährigen wählen nicht mit. Das schafft den Alten prinzipiell die Möglichkeit, jede Wahl zu entscheiden, und sie können so im Prinzip Veränderungen zu ihren Ungunsten verhindern“ (Gronemeyer 2004, 24) 35 „50 Jahres-Prognosen sind moderne Kaffeesatzleserei. Ein Blick um 50 Jahre zurück bestätigt obige These eindrucksvoll: Zwangsläufig hätte man 1950 bei einer Schätzung für das Jahr 2000 u.a. folgende Einflussfaktoren übersehen müssen: • Entwicklung und Verbreitung der Antibabypille • Anwerbung und Zuzug von ausländischen Arbeitskräften und ihren Familien • Trend zur Kleinfamilie bzw. einem Single-Dasein • Öffnung der Grenzen im Osten mit dem Zuzug von etwa 2,5 Millionen Aussiedlern aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland. Da hätten auch die besten Berechnungsprogramme nichts genutzt, denn auch diese können nur existierende, bekannte Trends fortschreiben. Strukturbrüche sind halt nicht vorhersagbar. Das ist das Problem jeder Langfristprognose! Noch schärfer wird die Betrachtung, wenn wir annehmen, im Jahre 1900 sei eine 50 Jahres-Prognose gewagt worden. Es wären schlicht zwei Weltkriege übersehen worden!“ (Bosbach 2004, 4) Dass schon die blanken Zahlen Schrecken verbreiten sollen, zeigt, wie durchgesetzt die negative Sicht auf ältere Menschen ist. Dass die Menschen länger leben, könnte man ja auch als erfreuliche Tatsache ansehen. Es wird appelliert an eine Vorstellung von den Älteren als bloße Kost und Last für die Gesellschaft, die zwangsläufig von den Jungen geschultert werden muss. Wieder einmal wird vorausgesetzt, dass die Menschen auch in Zukunft für ihren Lebensabend nicht selbst aufkommen können. Wer denkt denn schon an kräftige Lohnerhöhungen? Was hier in die Zukunft projiziert wird, ist die Armut der arbeitenden Bevölkerung. Alle anderen Daten sind rein spekulativ. Die Zahl der Erwerbstätigen hängt ja vielleicht auch noch von anderen Faktoren als der Bevölkerungsentwicklung ab. Ebenso wie die Zahl der Alzheimer-Kranken und die Höhe ihrer Behandlungskosten. Aber es geht eben nur um die Bebilderung des Verdikts: Die Alten sind zu teuer und sie haben die Macht, ihre Privilegien zu verteidigen. Denkt man das Szenario weiter, steht dem Land eine Herrschaft der Alzheimer-Patienten bevor. Im übrigen werden auf dem Sündenregister der Alten sowohl ihr zunehmend längeres, gesundes Rentnerleben als auch die von ihnen verursachten Gesundheitskosten durch Demenzerkrankungen verbucht, je nachdem, ob man sie einspannen oder als Gefahr für die Allgemeinheit darstellen will36. 36 So zum Beispiel im Beitrag zum Alterssurvey 2014 von Mahne et. al: Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte Deutscher Alterssurvey auf derselben Seite (5) Allerdings wird es immer weniger zu regieren geben. Parallel zur drohenden Gerontokratie wird das Aussterben der Deutschen beschworen: „In Deutschland werden Länder wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in beträchtlichen Teilen von der Zivilisation zurück an die Natur fallen, der Entvölkerung durch den Menschen folgt eine Bevölkerung durch eine neue wilde und urwüchsige Natur“ (Schirrmacher 2004, 42). Schon wurden die ersten Wölfe in Brandenburg gesichtet. Derartige Katastrophenszenarien sind nicht neu. So prognostizierte z. B. Friedrich Burgdörfer in seinem Werk „Volk ohne Jugend“ von 1932, es werde im Jahr 2000 nur noch 47 Millionen Deutsche geben, und schon ab 1975 werde die Beitragsbelastung in der Rentenversicherung untragbar werden37. Er prägte den heute noch gebräuchlichen Begriff der „Überalterung“ 37 Burgdörfer, F. (1932): Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des deutschen Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft, der Sozialpolitik, der nationalen Zukunft, Heidelberg, Berlin, S. 152 ff, 238. Während es Burgdörfer und seinen Zeitgenossen jedoch in erster Linie darum ging, die Produktion von Kindern zu propagieren, wird heute die Demografiekeule geschwungen, um Kürzungen der Sozialleistungen zu legitimieren: „Wegen der vielen Älteren …“, „Wegen der niedrigen Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau …“, „Wegen des Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials …“ – das sind Floskeln, die in keiner Diskussion fehlen dürfen. Die Bevölkerungsentwicklung wird als die wichtigste Einflussgröße für die Zukunft des Landes angeführt, andere wie die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und anderswo, sowie die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen der Verantwortlichen gelten ihr gegenüber als sekundär. Das Argument der Bevölkerungsentwicklung hat eben den Charme des Unausweichlichen: „Unsere Gesellschaft wird aus zwei Richtungen untergraben:

Schon ein Blick auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im letzten Jahrhundert, die trotz Alterung und einer abnehmenden Zahl von Kindern möglich war, widerlegt die Untergangsvision. Im übrigen hat Ernst Kistler in seinem Buch „Die Methusalem-Lüge“ alle „demographischen Mythen“ zerpflückt38. 38 Kistler, E. (2006): Die Methusalem-Lüge. Wie mit demographischen Mythen Politik gemacht wird, München, Wien: Hanser. Man braucht aber noch nicht einmal die abnehmende Kinderzahl anzuführen, sondern kann auch einfach aus der steigenden Lebenserwartung eine Formel für Rentenkürzungen ableiten: „Was muss man tun, wenn wir immer länger leben? Dies ist eigentlich offensichtlich. Um unser Renteneinkommen zu finanzieren, müssen wir eine Weile arbeiten, bislang etwa im Verhältnis 2 zu 1, also 40 Jahre Arbeitsleben, um 20 Jahre Rentenbezug zu finanzieren. Wenn wir länger leben, muss nicht nur die Rentenbezugszeit, sondern auch das Arbeitsleben länger werden, damit diese Proportion von 2:1 erhalten bleibt“ (Börsch-Supan 2015, 16). Man mag gar nicht alle Unterstellungen dieses Universalschlüssels aufzählen: von Arbeitseinkommen, die garantiert nicht steigen bis hin zu Produktivitätszuwächsen, die garantiert nicht der Lebenszeit zugute kommen und einem robinsonhaften Bild von Arbeit und Freizeit. Es ist eben nicht so, dass der Rentner im Alter die Früchte seiner Arbeit verzehrt. Er erhält vielmehr eine staatliche Alimentierung, die aus den aktuellen Beiträgen der Beschäftigten finanziert wird und deren Höhe sich nur sehr bedingt an seiner vergangenen Arbeitszeit orientiert. Dass man sich sein Alterseinkommen mit einer doppelten Portion Lebensarbeitszeit erwirtschaftet, trifft überdies ganz offensichtlich nicht auf jene Gruppe von Menschen zu, die abgesehen vom Couponschneiden gar nicht arbeiten und trotzdem im Alter nicht knappsen müssen. Die höchste Lebenserwartung haben im übrigen Gutverdienende, an der Spitze die Beamten, die laut einer Schweizer Studie nach ihrer Pensionierung noch 14,6 Jahre leben, während Bauarbeiter im Mittel nur 7,98 Jahre in Rente verbringen (vgl. Lauterbach 2007, 132). Diese Zahlen sind zwar schon älter (1997), an den Verhältnissen dürfte sich jedoch nicht viel geändert haben. Nach der Zwei-zu-Eins-Formel hätten Bauarbeiter also schon nach 16 Jahren Arbeit ausgesorgt, Beamte (einmal abgesehen davon, dass sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen) hingegen erst nach 30, obwohl sie mehr verdienen. Eine weitere Formel verdeutlicht die Last der Alten für die Jungen: der sogenannte Altenquotient. Er gibt das Verhältnis der Altersgruppe über 65 zu der im erwerbsfähigen Alter an (nicht der tatsächlich Beschäftigten zu den Rentnern). Der Altenquotient39 lag in Deutschland im Jahr 2016 bei 35,2 über 65-Jährigen je 100 20- bis unter 65-Jährige und ist damit weiter angestiegen. Es ist die üble Angewohnheit von Statistikern, mit Zahlenverhältnissen ein inhaltliches Verhältnis zu suggerieren. Welches das in diesem Fall sein soll, erhellt auch schon daraus, dass in diesen Modellen oft der „Jugendquotient“ unberücksichtigt bleibt, also die Kinder und Jugendlichen, die von den Erwerbstätigen in der Familie und – was Bildungs- und Infrastrukturausgaben betrifft – mittelbar über Steuern finanziert werden müssen. Dieser Jugendquotient lag in Deutschland im Jahr 2016 bei 30,6 unter 20-Jährigen je 100 20- bis unter 65-Jährige, einer der niedrigsten Werte, die für Deutschland je berechnet wurden. Der sich aus beiden ergebende Gesamtquotient lag in Deutschland im Jahr 201 bei 65,8 unter 20- und über 65-Jährigen je 100 20- bis unter 65-Jährige und damit auf dem Niveau von 1950.40 Als reines Zahlenverhältnis von Bevölkerungsgruppen erfasst er natürlich nicht die wirklichen Kosten, die die Erwerbstätigen zu tragen haben und andererseits auch nicht die Unterstützungsleistungen und Erbschaften, die von den Alten an die mittlere Generation fließen. 39 „Leider werden in der Öffentlichkeit Modellrechnungen allzu häufig als Fakten verkauft und obendrein einseitig interpretiert. Dies lässt sich in besonderer Weise am Beispiel des sogenannten Altenquotienten verdeutlichen. Öffentlich wird damit eine unbezahlbare Belastung der Erwerbstätigen durch steigende Rentnerzahlen suggeriert. Dieses Ergebnis erhält man allerdings nur, wenn man übersieht, dass Erwerbstätige auch die Kinder, die nichterwerbstätigen Erwachsenen und vor allem sich selbst zu ernähren haben. Berücksichtigt man all dies, steigt die Belastung durch die Zunahme Älterer gerade mal um 18 % in 50 Jahren. Das entspricht weniger als 0,4 % pro Jahr. Durch Fokussierung auf nur einen Ausgabeanteil und Zusammenrechnen von 50 Jahren Steigerungen wird für die Dramatisierer daraus eine Verdopplung der Belastung. Übrigens ist der Bierpreis in den letzten 45 Jahren um gut 300 % gestiegen, ohne dass Bier ein Luxusgetränk geworden wäre“ (Bosbach/Bingler 2011) 40 Quelle: Statistisches Bundesamt, Datenreport 2018. Für eine Versachlichung der Diskussion setzt sich der Sozialbeirat der Bundesregierung in seinem Gutachten von 2015 ein: „Die Veränderung des Altenquotienten hat nach einem kräftigen Anstieg zwischen 1990 und 2010 im laufenden Jahrzehnt merklich an Dynamik verloren, nicht zuletzt, weil die in das Rentenalter nachrückenden Jahrgänge vergleichsweise schwach besetzt sind. Dies wird sich absehbar ändern, wenn die immer stärker werdenden Nachkriegskohorten in den kommenden zwei Jahrzehnten ihr Rentenalter erreichen werden. Ab der zweiten Hälfte der 2030er Jahre ist dann mit einer Abflachung des Anstiegswinkels zu rechnen, denn dann kommen vermehrt die geburtenschwächeren Jahrgänge ab Ende der 1960er Jahre in ihr Rentenalter. In der Folgezeit wird die Altersstruktur kaum noch durch die seit 1970 nahezu konstante Geburtenziffer von 1,4 Kindern je Frau beeinflusst. Der weiter anhaltende Anstieg des Altenquotienten ist dann in erster Linie auf die zunehmende Lebenserwartung zurückzuführen. Sofern die Geburtenrate oder die Zuwanderung nicht spürbar und anhaltend steigen, ist – wie in der Vorausberechnung dargelegt – mit einer näherungsweisen Stabilisierung der Altersstruktur in Deutschland zu rechnen. Damit dürfte auch der finanzielle Druck auf die gesetzliche Rentenversicherung bevölkerungsbedingt nur noch vergleichsweise wenig ansteigen“ (Sozialbeirat 2015, 14f.). Und weiter: „Die am Altenquotienten gemessene Strukturverschiebung im Bevölkerungsaufbau spiegelt die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebliche Versichertenstruktur allerdings nur unzureichend wider. Hier kommt es entscheidend auf das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern an, das neben der Demografie insbesondere auch von der Erwerbsbeteiligung und damit nicht zuletzt vom tatsächlichen Renteneintrittsverhalten abhängt. Insofern führt ein steigender Altenquotient nicht zwangsläufig zu einer entsprechenden Belastung der Rentenversicherung, weil sich Veränderungen im Erwerbsverhalten entlastend auswirken können. Die Betrachtung eines starr definierten Altenquotienten (Altersgruppen 65+ zu 20-64) würde daher die rentenpolitische Problematik überschätzen, da sie die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre nicht als entlastenden Faktor berücksichtigt“ (ebd. 16) Dass die Arbeiterklasse ihre Reproduktion aus ihrem Einkommen zu finanzieren hat, obwohl das nicht möglich ist, ist der Grundsatz aller Sozialpolitik. Für die Kinder müssen die Familien sorgen, die dafür auch Unterstützungsleistungen erhalten. Für ihr Alter müssen die Menschen durch relativen Erfolg im Berufsleben sorgen, einen Erfolg, auf den sie selbst nur geringen Einfluss haben. Nur das Bildungswesen, das der Zurichtung der nächsten Generation für das Arbeitsleben auf den verschiedenen Stufen der Berufshierarchie dient, nimmt der Staat direkt in die Hand und sorgt mittels Schulpflicht und Selektionsmechanismen für die angemessenen Resultate. Bildungsaufwendungen sind nie zuviel, sondern eine Investition in die Zukunft. Dagegen gilt die Alimentierung der Alten über das staatliche Transfersystem, finanziert aus dem kollektiven Arbeitslohn, als Last für die Gesellschaft „Werden die Alten zu einer Bedrohung für die ökonomische, kulturelle und soziale Stabilität der modernen Gesellschaften“ (Gronemeyer 2004, 20)? „Erst haben die günstigen Lebensumstände dafür gesorgt, dass viele Menschen gut versorgt alt werden. Nun läuft das Produkt Senior immer noch vom Band, obwohl der Markt längst gesättigt ist. Wie kann man das wieder stoppen“(Gronemeyer 2004, 20f.)? Das kapitalistische System der Erwerbsarbeit sortiert die nicht mehr ausreichend Leistungsfähigen aus und verweist sie auf ein Leben, das sich streng gerecht an ihrer vergangenen Leistung, den Arbeitsjahren, den gezahlten Beiträgen orientiert, wenn auch das Niveau für alle ständig gesenkt wird. Der heutige Rentner ist in der Regel während seines Arbeitslebens nicht reich geworden, hat es in 40, 45 Jahren nicht geschafft, sich einen sorgenfreien Ruhestand zu finanzieren. In einer Zeit relativer Beschäftigungssicherheit konnten sich allerdings manche von ihrem Arbeitslohn noch etwas zurücklegen, gar ein Häuschen bauen. Inzwischen hat die „Deregulierung“ des Arbeitsmarkts mit der wachsenden Zahl von Minijobs, befristeten und Zeitarbeitsverhältnissen Sparen für weite Teile der Bevölkerung unmöglich gemacht. Zugleich schwinden mit den geringeren Sozialversicherungsbeiträgen die Aussichten auf eine einigermaßen auskömmliche Rente. Diese Situation gilt als feststehende und unumkehrbare Tatsache. Die Verschlechterung für die künftigen Rentner wird in der Folge oft umgedeutet in einen Wohlstand der älteren, und die Frage aufgeworfen, ob ihnen dieser denn zusteht „Noch wird erst selten offen davon gesprochen, dass die Alten eine erdrückende Last sind. Noch werden nur die zusammenbrechenden Sozialsysteme beklagt, die der Vergreisung nicht mehr standhalten. Aber der Wind kann drehen. Dann dürfte die Anklageschrift der Jungen auf dem Tisch liegen: Wieso sollen wir eigentlich für die Konsumsucht alter Menschen aufkommen, für ihre entgrenzten Gesundheitskosten, für ihre schrankenlose Lebensgier“ (Gronemeyer 2004, 24)? Unterstellt ist dabei das Umlageverfahren der Rentenfinanzierung, bei dem die aktuellen Renten aus dem Beitragsaufkommen der Beschäftigten gezahlt werden, während die Beitragszahler zugleich Anwartschaften auf ihre künftigen Renten erwerben. Dieses Verfahren wird auch als „Generationenvertrag“ bezeichnet, obwohl die jeweiligen Verpflichtungen und Ansprüche nicht in einem gegenseitigen Übereinkommen festgelegt, sondern vom Gesetzgeber jeweils nach politischer Opportunität und Kassenlage bestimmt werden. Im Jahr 2003 gab der Wirtschaftsrat der CDU mit Bezug auf eine von ihm in Auftrag gegebene Expertise bekannt: „Das Fundament der gesetzlichen Rente bricht zusammen. Hält Deutschland am bestehenden Umlagesystem fest, … sind künftige Generationen mit einer verdeckten Staatsschuld von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belastet. Diese drastische Ungerechtigkeit gegenüber der jungen Generation muss beendet werden … Weniger Umlagefinanzierung, dafür mehr kapitalgedeckte private und betriebliche Altersvorsorge.“41. 41 Wirtschaftsrat, Pressemitteilung vom 13. November 2003, zit. nach Schmähl 2004, 56 „Kapitaldeckung“ im Sinne von mehr privater und betrieblicher Vorsorge durch Inanspruchnahme von Produkten der Finanzwirtschaft sei, so wurde argumentiert, wirkliche Solidarität und belaste nicht unsere Kinder. Die Banken und Versicherungen mischten mit ihren Lobbyisten stark in der Diskussion mit.42. 42 „Auch wenn heute der ‚demografische Wandel‘ und das ‚Altern der Gesellschaft‘ zu zentralen Zukunftsherausforderungen avanciert sind, lässt sich dahinter nicht primär ein von den Älteren selbst getragener Problemdruck erkennen als vielmehr finanzpolitisch geprägte makroökonomische Krisenszenarien“ (Naegele 2013, 19) Dass der demografische Wandel die Finanzierung im Umlageverfahren verunmögliche und in den baldigen Kollaps des Rentensystems führe, wurde allerdings schnell widerlegt (z. B. Schmähl 2004, Kistler 2006), die seit 2001 beschlossenen Rentenreformen wurden jedoch mit der notwendigen Sicherung des Systems begründet, und das Bild von der Last, die die Alten darstellen, hat sich verfestigt. Generationengerechtigkeit. Aus der Ökologiedebatte ist der Begriff der Generationengerechtigkeit in die Sozialpolitik hinübergewandert. Damit ist auch schon klar, was er bedeutet: Verantwortung nicht für die Alten, sondern für die Jungen, auch für die noch gar nicht Geborenen. Die Frage ist, welche Schulden, welche Versäumnisse hinterlassen „wir“ unseren Kindern „Keine Generation vor der heute in den Industriestaaten lebenden hat einen derart hohen Lebensstandard genossen – aber auch keine nach ihr wird sich diesen Wohlstand und Luxus leisten können. Die heute herrschende Generation wird die letzte sein, die so unbekümmert und verschwenderisch mit allen Ressourcen dieser Erde umgehen kann“ (Tremmel 1996, 20) Dass sich die Lage auf allen Feldern - von der Luftqualität bis zur Rente - für die jungen Menschen verschlechtert, steht schon einmal fest. Dass Arbeitseinkommen steigen könnten, wird gar nicht in Betracht gezogen. Die Langzeitwirkungen der Umweltzerstörung durch die Industrie und industrielle Landwirtschaft werden umstandslos gleichgesetzt mit finanz- und sozialpolitischen Strategien, die dann als gleichermaßen irreversibel gelten. Dass die heute lebenden Menschen es vielleicht besser haben als die künftigen, falls die sich nicht irgendwann zur Wehr setzen, macht sie allerdings noch lange nicht zu Tätern. Als „Generation“ werden arme alte Frauen genauso in Haft genommen wie diejenigen, die wirklich über die Ressourcen der Gesellschaft und die Lebensbedingungen in ihr bestimmen. Eine solch pauschale Verurteilung der Älteren ruft die Wissenschaft zu differenzierter Betrachtung auf den Plan. Einzelne machen sich daran, die „Transferströme“ zwischen den Generationen zu bilanzieren43. So wurde z. B. auf der Grundlage des sozio-ökonomischen Panels 2002 ermittelt, dass 16 Prozent der über 65-Jährigen Kinder und Enkelkinder mit einem monatlichen Betrag von durchschnittlich 350 € unterstützen (vgl. Schmähl 2004, 54). Rentner zahlen Steuern und Beiträge zur Krankenversicherung, tragen also auch zur Finanzierung der Sozialausgaben bei. 43 „Dies sind direkte monetäre, reale und immaterielle Transfers zur Sicherung des Lebensunterhalts und zum Aufbau eines Humanvermögens, die innerhalb der Familie geleistet werden, sowie indirekte Transfers, die über den Staat und die Sozialversicherungen in Form von monetären und realen Sozialleistungen, Bildungsleistungen, Jugendhilfe usw. laufen. Auch indirekte reale Transfers, die in Form der Nutzung von öffentlichen und meritorischen Gütern anfallen, sind hier eingeschlossen“ (Hauser 2004, 31) Die Besitzstände der Älteren werden von diesen nicht komplett konsumiert, sondern zum Teil auch an die Jüngeren vererbt. Und da kommt einiges zusammen, z. B. der Anteil der alten Generation am Sachkapitalbestand des Staates, aber auch an der Staatsverschuldung. Bereits zu Lebzeiten hat die alte Generation ihren Beitrag zum Bestand an technischem und organisatorischem Wissen geleistet, sowie zur Erziehung und Bildung der mittleren Generation (vgl. Hauser 2004, 33 f.). Kritisch wird die Sache beim Versuch der Bewertung dieser komplexen Erbschaft. Manches, wie der Beitrag zum Wissen der Gesellschaft, ist gar nicht bezifferbar. Zählt man dennoch alle Äpfel und Birnen zusammen und nimmt den Umweg über das Bruttoinlandsprodukt, ergibt sich: „Zum Todeszeitpunkt 2030 wird sie [die ältere Generation] voraussichtlich eine Gesamterbschaft in einer Höhe zwischen dem 2,9fachen und dem 3,8fachen des Bruttoinlandsprodukts hinterlassen“ (Hauser 2004, 40) Und das ist doch ganz schön viel. Die Alten sind rehabilitiert, sind nicht bloß Kostgänger. Wie schon der Opa sagte: „Wir haben doch das alles aufgebaut.“ Das muss gewürdigt werden. Das Thema Generationengerechtigkeit lässt sich auch methodisch weiterspinnen: „Was soll ‚gerecht‘ zwischen den Generationen verteilt werden: Das Einkommen oder gar die ganze Lebenslage“ (Bäcker, 2004, 80)? Welches Niveau der Altersbezüge im Verhältnis zu dem der Löhne ist „gerecht“? Wie kann man sich einen Lebensstandard im Jahr 2050 vorstellen, der mit dem der heutigen Rentner vergleichbar ist? Die Wissenschaft diskutiert solche Fragen engagiert, delegiert das Thema dann aber doch an die Politik „Auf jeden Fall lassen sich die im Laufe der Debatte um Generationengerechtigkeit laut gewordenen Bedenken, denen zufolge die jüngeren Kohorten den Generationenvertrag angesichts des Gerechtigkeitsdefizit ‚kündigen‘ könnten, durch die institutionelle Gestaltung entschärfen“ (Dallinger 2005, 37) Im Bundestag bestand zwischen 1992 (12. BT.) und 2002 (14. BT) eine Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“. Diese Kommission sollte für den Bundestag die Zahlen der Bevölkerungsentwicklung aufbereiten und bewerten, welche gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen für alle Generationen sich daraus ergeben. Sie sollte den absehbaren Handlungsbedarf feststellen und Empfehlungen für politische Entscheidungen geben. In ihrem Abschlussbericht nimmt die Kommission die Alten in Schutz, verweist auf deren Leistungen und verschreibt der Politik mäßigendes Einwirken auf den Generationenkonflikt: „Vor allem aber ist darauf hinzuweisen, dass die Älteren im Verlauf ihres Lebens einen großen Beitrag für die Gesellschaft und damit gerade auch für die Jüngeren geleistet haben. So haben Ältere als Beitragzahlende die Renten ihrer Vorgängergeneration finanziert und dabei eigene Rentenansprüche erworben, außerdem sind sie durch Erbringung von Pflegeleistungen, als Konsumenten und Steuerzahler weiterhin ökonomisch aktiv, und schließlich haben sie den enormen Realkapitalbestand erarbeitet, der den Jüngeren heute zur Verfügung steht. Um die für den Bestand der Gesellschaft notwendige Solidarität zwischen den Generationen zu stärken, ist es daher notwendig, der Dramatisierung des Generationenkonfliktes entgegenzuwirken und in der Öffentlichkeit für ein differenziertes Bild von den Beziehungen und Verhältnissen zwischen den Generationen zu sorgen. Wenn sich die Ambivalenz nicht in Entsolidarisierung auflösen soll, ist die Politik insbesondere dazu aufgefordert, rentenpolitische Verunsicherungen der jüngeren Altersgruppen zu vermeiden und das Vertrauen der 20- bis 50-Jährigen in die dauerhafte Gültigkeit des Solidarpaktes zu stärken“ (Enquete-Kommission 2002, 38) Dieses Vertrauen stärkt man besonders dadurch, dass sich die aussortierten Alten stärker an der Belastung beteiligen, die ihr Lebensunterhalt für die Arbeiterklasse insgesamt darstellt „Es stellt sich mithin die Frage, ob die älteren Menschen einen Eigenbeitrag zur Entschärfung der durch den demographischenWandel verursachten Verschiebungen im Belastungsgefüge der Generationen leisten können und müssen“ (ebd. 48) Es ist damit keine Frage, dass sie von ihren Renten, die sie mit Grundsicherung und Minijobs aufbessern, noch etwas abgeben können. Eine Benachteiligung der Älteren, die mit ihrer Ausgliederung aus dem Erwerbsleben sowohl eine autonome Einkommensquelle als auch einen sozialen Status verloren haben, wird jedenfalls nie ins Gespräch gebracht. Benachteiligung wird allenfalls hinsichtlich derjenigen Älteren konstatiert, die nach Meinung der Verantwortlichen daran gehindert werden zu arbeiten und der Allgemeinheit für einige weitere Jahre nicht zur Last zu fallen. Die Enquete-Kommission gibt in ihrem Bericht zu bedenken, dass die Wirtschaft Älteren gegenüber kritisch eingestellt ist: „Dahinter steht neben anderen Hinderungsgründen z. B. die altersskeptische Annahme, der zufolge die geminderte Leistungsfähigkeit und damit verbunden geringere Innovationsfähigkeit der Älteren die Flexibilität und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährde. Da neue technische und wissenschaftliche Erkenntnisse vorrangig über junge Leute Eingang in die Unternehmen fänden, müsse sich eine Alterung der Belegschaften negativ auf die Innovationsfähigkeit auswirken. Diese jugendzentrierte Sichtweise scheint heute ein weitverbreiteter Bestandteil der Unternehmenskultur zu sein“ (Enquete-Kommission 2002, 47) Dafür müssen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zur „Gestaltung des demografischen Wandels“ hat die Bundesregierung – koordiniert durch den Bundesminister des Innern – seit 2009 die ressortübergreifende Zusammenarbeit auf Bundesebene verstärkt. Im Jahr 2011 wurde ein Demografiebericht mit einer umfassenden Bestandsanalyse erarbeitet. Auf dessen Grundlage wurde am 25. April 2012 die ressortübergreifende Demografiestrategie „Jedes Alter zählt“ vorgelegt. Darin heißt es: „Die Bundesregierung steht zur Anhebung der Regelal­tersgrenze auf 67 Jahre, weil dies aufgrund der gestiege­nen Lebenserwartung notwendig und zur Begrenzung des drohenden Fachkräftemangels erforderlich ist. Die längere Beteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichert volkswirtschaftlich den Wohlstand, stabilisiert die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversi­cherung, stärkt die Gerechtigkeit zwischen den Generationen, indem eine Überforderung der Jüngeren verhin­dert wird, und erhöht das Einkommensniveau für die künftigen Rentnerinnen und Rentner. Mit dieser Maßnah­me wird die demografie- und zukunftsfeste Ausgestaltung der Rentenversicherung gestärkt“ (BMI 2012, 19 f.) Die Rente mit 67 ist für alle und alles gut: eine Wunderwaffe. Eine Überforderung der Älteren ist sie natürlich nicht. Kürzungen in den Bereichen Kranken- und Rentenversicherung erscheinen in der Perspektive der „Generationengerechtigkeit“ nicht nur notwendig, sondern eben auch: gerecht. Vermessung der Bevölkerung. Der „demografische Wandel“ liefert jedoch nicht nur eine Legitimation für Rentenkürzungen, sondern ist auch der wissenschaftliche Titel für die Überprüfung der Tauglichkeit der Bevölkerung als ganze. Zunächst ist für den Staat allein die Schrumpfung seiner Machtbasis Grund zur Sorge: „Schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts werden Frankreich und Großbritannien das bisher größte EU-Land voraussichtlich mit ihrer Einwohnerzahl überholen“ (Bujard, 2015, 3). Und das ist offenbar bedenklich. Dafür, dass die Menschen immer weniger Kinder kriegen, hat fataler Weise der wachsende Wohlstand und nach Ansicht mancher ausgerechnet die Einführung der Sozialversicherung gesorgt: „Die fatale Wechselwirkung zwischen ökonomischem Fortschritt und sinkender Geburtenrate begann in Deutschland in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Mit der Einführung der Bismarckschen Sozialversicherungen wurden Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall oder Tod von der Familie auf die Gesellschaft verlagert. Mit diesem Einschnitt wurde wahrscheinlich jener ‚psychologische Grundstein‘ gelegt, der einerseits über Jahrzehnte hinweg zu einer steigenden Anspruchshaltung dem Staat gegenüber führte und andererseits die Bedeutung der Reproduktion für die Familien entschärft“ (Druyen 2005, 19) Man könnte geradezu von einem Teufelskreis sprechen: Die Sozialversicherung hat die Menschen dazu verleitet, sich für ihr Leben im Alter auf diese und nicht auf die Versorgung durch möglichst viele Kinder zu verlassen – wo die doch so nötig wären, um die Sozialversicherung zu finanzieren! Aber: Gibt es nicht genug Kinder auf der Welt? In Bezug auf die Weltbevölkerung wird mit einem Anwachsen von 7,06 Mrd (Stand 2013) auf 9,31 Mrd. gerechnet (vgl. Schmid 2013, 46). Das Schrumpfen der deutschen Bevölkerung wäre vielleicht gar nicht so problematisch, wenn es nicht mit einem Wachstum fremder Bevölkerungen einherginge: „Auf der Rangliste der Staaten nach ihrer Bevölkerungsgröße hält Deutschland noch den 16. Platz. Mit einem Anteil von nur 1,2 Prozent an der Weltbevölkerung gehört Deutschland zu den wichtigsten Wirtschaftsmächten und weltmarktfähigsten Exporteuren. Um diese Stellung zu halten, wird Deutschland auf die Ausschöpfung und Verjüngung seines Erwerbspotenzials dringen müssen – denn die Bevölkerung Deutschlands gehört zu den am raschest alternden der Welt“ (Schmid 2013, 52) Das relative Gewicht eines Staates in der Konkurrenz mit anderen hat auch nicht unerheblich mit der Masse Menschen, die er kommandiert, zu tun. Eine Einladung an Zuwanderer aus Afrika oder Asien ist dennoch nicht geplant, wenngleich einige Zehntausend Flüchtlinge als Legitimation für das deutsche Hineinregieren in die EU und andere Regionen auch gern genommen wurden. Seitdem dominiert eine Abschottungs- und Abschreckungspolitik, die mit den Sorgen um eine schrumpfende Bevölkerung nicht so recht zusammenpassen will. Aber die Abwerbung brauchbarer fremder Bevölkerungsteile ist nicht so einfach und die überflüssigen zu „integrieren“, d. h. zu Nützlichkeit und Loyalität zu erziehen, ist aufwändig und kostspielig. Es geht also nichts über deutsche Kinder. Daher unterstützt der Staat die „Entscheidung für Kinder“ (BMI 2015, 10). Da hier die Wirkung aber nur langfristig zu erwarten ist und die Menschen diesbezüglich auch ihren eigenen Kopf haben, müssen daneben die sozialen und ökonomischen Konsequenzen der Schrumpfung und Alterung bearbeitet werden. Die „Demografiestrategie der Bundesregierung“ umfasst vier Handlungsfelder. Es geht darum:

4. Der Platz des Rentners in der Gesellschaft. Rentner, Veteran, Ruheständler, Emeritus, Beamter a. D. : Es gibt unterschiedliche Bezeichnungen für Menschen, die ihr Berufsleben beendet haben. Diese verweisen zumeist auch auf bestimmte Rechte und Ansprüche. Der „Rentner“ war in der Regel abhängig beschäftigt, hat Sozialversicherungsbeiträge bezahlt und erhält nach der jeweils gültigen Rentenformel eine regelmäßige Zahlung. Ein „Beamter“ bleibt Zeit seines Lebens Beamter, ist aber von seinen Dienstpflichten befreit, deshalb „a. D.“ (außer Dienst) und erhält ein Altersruhegeld, auch Pension genannt. „Ruheständler“ nennt man vorzugsweise ehemals Selbstständige; mit dem Begriff ist keine bestimmte Art der Versorgung verbunden. Der „Emeritus“ im kirchlichen und Hochschulbereich ist von Pflichten entbunden, aber nicht zwangsläufig inaktiv. „Veteran“ als Bezeichnung für altgediente Soldaten wird häufig für Teilnehmer an Kriegen und auch übertragen für Personen mit langjähriger Erfahrung in einem bestimmten Bereich verwendet. Der Soziologe Robert C. Atchley definiert in seiner Sociology of Retirement den Ruhestand so: „As a phase of the occupational cycle, retirement is a period, following a socially defined minimum period of employment, in which occupational responsibilities and often opportunities are at a minimum and in which an individual is entitled to an income by virtue of his past occupational efforts“ (Atchley 1976, 9) Der Ruhestand ist also nicht eine Phase jenseits des Berufslebens, sondern gehört als sein letzter Abschnitt noch mit dazu, ist dadurch wesentlich geprägt. Das Einkommen des Ruheständlers ist auf seine vergangene Berufstätigkeit bezogen. Wer nie beschäftigt war, weil er zum Beispiel ein Vermögen geerbt hat, tritt auch nicht in den Ruhestand. Die Situation von alten Selbstständigen hängt vom vergangenen Erfolg oder Misserfolg ihres Geschäfts ab. Der Kioskbesitzer und die Änderungsschneiderin arbeiten häufig bis weit über das Renteneintrittsalter hinaus, weil sie sich den Ruhestand nicht leisten können, während der ehemalige Konzernchef schon auf Weltreise ist, bevor er als elder statesman seinen Platz in Gremien und Verbänden einnimmt oder seine Nachfolger mit Ratschlägen nervt. In Kapitel 1 wurden schon Beispiele von Künstlern und Politikern angeführt, die sich mit ihrer Tätigkeit in hohem Maß identifizieren und sie auch bei nachlassenden Kräften nicht einfach aufgeben wollen. Für die meisten Menschen ist die Berufstätigkeit eine anstrengende Notwendigkeit, der sie sich gern möglichst früh entziehen wollen. Andererseits ist ihr sozialer Status durch die Erwerbstätigkeit bestimmt. Und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich waren viele ja auch nicht nur Befehlsempfänger, sondern hatten Dispositionsspielräume, die ihre geistigen und physischen Fähigkeiten forderten, konnten auch selbstständig Dinge regeln und (zumindest dem Lehrling) Anweisungen geben. Daraus bezogen sie ihre Selbstachtung und erwarteten Anerkennung von anderen. Mit dem Eintritt in den Ruhestand fallen sowohl der soziale Status als auch die fachliche und hierarchische Autorität mit einem Mal weg. Ob Regierungsrat oder Verkäuferin: Im Ruhestand sind alle gleich unbedeutend, „außer Dienst“. Alle Rangunterschiede sind verschwunden. Dem Stolz auf das, was man ist, und sei es nur: „Ich schaff beim Daimler“ – ist von einem Tag auf den anderen die Grundlage entzogen. In der Masse der Ausgemusterten kann man sich bestenfalls durch das, was man sich von seinen Altersbezügen leisten kann, profilieren. Zu bestimmen hat man nichts mehr

„Wenn wir unsere Tätigkeit aufgeben, so verschaffen wir uns damit nicht Wonnen der Faulheit, um die man uns betrogen hätte, sondern machen die Zukunft unfruchtbar, entvölkern das Universum. Wenn unsere Wahrnehmungsfähigkeiten durch die Gewohnheit abgestumpft sind, wenn die Dinge glanzlos erscheinen, ohne Frische und so als wären sie schon von der Vergangenheit verschlungen, so nicht, weil wir zu viele und zu reiche Erinnerungen mit uns herumschleppten, sondern weil unser Sehen nicht mehr durch neue Entwürfe angeregt wird“ (Beauvoir,1972, 589) Manche Ältere suchen sich daher Betätigung im Ehrenamt: in Sportvereinen, Kindergärten, Altenheimen, kirchlichen Einrichtungen, beim Umweltschutz, bei der Hausaufgabenbetreuung, bei Gartenarbeiten. Die unentgeltlichen Helferdienste sind eine wichtige Ressource der Gesellschaft und den Rentnern ersetzen sie manche Verbindlichkeiten einer Berufstätigkeit und geben ihnen das Gefühl, noch wichtig zu sein. Zitate aus der Generali-Altersstudie 2017: „‘Der Grund für mich, weiterhin berufstätig zu sein, ist, dass ich weiter fachlich aktiv arbeiten kann, dass ich mir damit das eine oder andere Erfolgserlebnis verschaffen kann und dass ich aber gleichzeitig das Gefühl haben kann, das Team meines letzten Arbeitgebers weiter zu unterstützen, und mir daraus Positives für mein eigenes Leben im Sinne von Gebrauchtwerden ableiten kann.‘ (Mann, 70 Jahre, mit Partnerin) ‚Ganz einfach, weil’s mir Spaß macht, noch gefragt zu sein und Abwechslung in den Alltag bringt. Außerdem helfe ich gerne, und ich bleibe dabei auch noch geistig fit und informiert und langweile mich nicht auf dem Sofa.‘ (Mann, 71 Jahre, mit Partnerin)“ (Köcher/Sommer 2017, 68 f.) Eine erhebliche Anzahl Rentner hat allerdings keine andere Wahl als sich noch eine bezahlte Arbeit zu suchen, um die schmalen Bezüge aufzustocken. Die Zwangsverrentung bedeutet für sie, dass sie keine angemessene Beschäftigung mehr finden, sondern mit schlecht bezahlten Hilfsjobs, die selbst mit den bescheidenen Perspektiven des ehemaligen Berufs nichts zu tun haben, vorlieb nehmen müssen. Nach der Generali-Altersstudie 2017 sind 23 Prozent der Noch-Berufstätigen als Hausmeister, Reinigungskraft, Fahrer oder Wärter tätig. Kaufmännische oder Verkaufstätigkeiten sind mit 19 Prozent ebenfalls recht verbreitet. Diese Arbeiten werden größtenteils in Minijobs durchgeführt (vgl. Köcher/Sommer 2017, 64) 85 Prozent der über 65-jährigen arbeiten jedoch nicht mehr (vgl. ebd. 69) Die Normierung und Kontrolle des Lebens geht von den Instanzen der Wirtschaft und Arbeitsverwaltung auf Rentenversicherung und Krankenkasse über. Der Rentner ist nicht mehr vom Arbeitsmarkt abhängig, sondern von der Sozialverwaltung, mancher auch von seiner Familie. Das bedeutet für ihn einerseits einen Gewinn an Freiheit, da er sich nicht mehr darum bemühen muss, eine Beschäftigung zu bekommen und zu behalten, andererseits aber den Verlust von Möglichkeiten der Einflussnahme auf das eigene Schicksal, die durch Stellen- oder Arbeitgeberwechsel, Fortbildung oder Kündigung gegeben waren. In dem durch seine Altersbezüge mehr oder weniger eng gesteckten Rahmen hat er volle Gestaltungsfreiheit. Seinen Tagesablauf, seine Kleidung, seine geistige und körperliche Verfassung, seine Sozialkontakte schreibt ihm niemand mehr vor. Nur in die Sphäre der gesellschaftlich relevanten Arbeit hat er sich nicht mehr einzumischen. Seine Funktion, er selbst, ist obsolet. Ein soziales Wesen ist er nur noch durch seine Abhängigkeit vom Sozialsystem. Damit nivellieren sich zugleich bisherige Statusunterschiede, auch zwischen Männern und Frauen. Alle ehemals abhängig Beschäftigte werden gleichermaßen zu Empfängern staatlicher Transferleistungen. Soziale Sicherung geht in der Regel mit sozialer Kontrolle einher: Das trifft auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zu, aber nicht auf Rentner. Ihre Zuwendungen sind nicht an Bedingungen und Auflagen geknüpft. Missbrauch wird nicht befürchtet. Da die Gesellschaft sie aus der Arbeitswelt ausgeschlossen und ihrer autonomen Einkommensquelle beraubt hat, müssen sie sich nicht als Drückeberger verdächtigen lassen. Anpassung an die neue Rolle. Von Soziologen wurde bezüglich der Rolle des Rentners in der Gesellschaft der Begriff der „roleless role“ geprägt (vgl. Atchley 1976, 60). Mit diesem Paradox soll ausgedrückt werden, dass mit dem Dasein als Rentner – im Unterschied zum U-Bahnfahrer, zum Bäcker oder zur Hausfrau – keine bestimmten Erwartungen und Pflichten oder auch Rechte verbunden sind. Nun gibt es sicher keinen formellen Kodex für das Verhalten als Rentner, allerdings gilt er im Prinzip als versorgt, als nicht hilfebedürftig. Deshalb hat er sein Leben selbstständig zu organisieren und mit seinen Bezügen auszukommen, was durchaus zur Managementaufgabe werden kann. Daneben bleibt er Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Er zahlt Steuern nach den für ihn gültigen Sätzen, er kann wählen, sich wählen lassen, eine Partei gründen, er bleibt geschäftsfähig und strafmündig. Selbst wenn er sich kein Auto mehr leisten kann: Den Führerschein darf er behalten. Schon mit dem Beginn der Berufstätigkeit erwarten die meisten Arbeitnehmer, dass sie einmal den Ruhestand antreten werden und verbinden damit eher Positives wie Freizeit und Möglichkeiten zur späten Selbstverwirklichung. Im Laufe des Erwerbslebens realisieren sie zunehmend, wie bescheiden ihre Karriere abläuft und wie wenig Mittel sie für den Lebensabend zurücklegen können. Die dann jährlich eintreffenden Renteninformationen geben überdies Anlass zur Sorge. Dennoch sehnen die meisten die Befreiung von der Arbeit herbei, insbesondere bei nachlassender Gesundheit. Kaum jemand sieht eine Notwendigkeit, sich auf die Ruhestandsphase, abgesehen vielleicht vom Abschluss eines Riestervertrags oder ähnlicher „Altersvorsorge“, in irgendeiner Weise vorzubereiten. Andererseits gibt es eine Flut von Beratungsangeboten zum Übergang in den Ruhestand. Manche Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern dazu Vorbereitungsprogramme an. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Alltagsbewältigung mit wenig Geld und viel Zeit, sondern auch um das Akzeptieren der eigenen Überflüssigkeit. Robert C. Atchley beschreibt den Prozess der Anpassung an die neue Rolle als längerfristige Aufgabe in sieben typischen Phasen (vgl. ebd. 63 ff.): Vor dem Renteneintritt liegen die „remote phase“ und die „near phase“. So lange die Rente noch in ferner Zukunft liegt, findet damit zumeist keine systematische Auseinandersetzung statt. Man sieht sie jedoch als etwas unbestimmt Positives. Während dieser Zeit sollten jedoch nach Ansicht des Soziologen bereits bestimmte Anpassungsleistungen stattfinden. Zum einen eine Finanzplanung für den Lebensstandard, den man im Alter anstrebt, da es Zeit braucht, die notwendigen Ressourcen aufzubringen. Zum anderen die Entwicklung von „leisure skills“. Denn auch Muße will gelernt sein und das gelingt nicht von heute auf morgen. Je näher das Ausscheiden aus dem Beruf rückt, desto kritischer und realistischer wird der Blick auf die neue Lebensphase. Im Job lässt bei vielen das Engagement nach, was auch oft vom Arbeitgeber toleriert wird. Der Soziologe vermisst bei vielen, dass sie sich nun konkrete Vorstellungen über die Gestaltung des eigenen Ruhestands machen. Mit dem Renteneintritt beginnt eine „Honeymoon Phase“, eine Periode voller Begeisterung über die neugewonnene Freiheit: „The honeymoon period tends to be a busy time, filled with hunting, fishing, card-playing, sewing, seeing the grandchildren (or greatgrandchildren) and traveling, all at the same time“ (68) Nun wird der mitteleuropäische Rentner des 21. Jahrhunderts vielleicht seine Zeit weniger mit Jagen und Fischen verbringen als mit Zeitunglesen und Gartenarbeit. Dass bessergestellte Neurentner erst einmal eine längere Reise machen und aufgeschobene Freizeitaktivitäten wiederbeleben, ist immerhin auch hierzulande ein bekanntes Phänomen

Dann folgt auf die erste Begeisterung eine „Disenchantment Phase“. Dauernd reisen wird auch langweilig, so dass sich der Rentner nun endlich die Frage stellt, wie es realistischer Weise weitergehen soll: Die „Reorientation Phase“ beginnt, in der der Mensch seine Ansprüche zurückschraubt und sich eine Struktur für ein einigermaßen zufriedenstellendes Leben schafft. Wenn das gelingt, erlebt er eine „Stability Phase“. Das heißt, dass er nach den Anpassungsschwierigkeiten nun seine Rolle als Rentner mit allen ihren Beschränkungen ernstnimmt: „Being retired is for him a serious responsibility, seriously carried out“ (ebd. 70). Und was tut er da so den ganzen Tag? „He is a self-sufficient adult, going his own way, managing his own affairs, bothering no one“ (ebd.). Er hat sich also endlich in seinem bescheidenen Wirkungskreis zwischen Aldi, Nachmittagsspaziergang, Enkelbesuch und „Musikantenstadel“ eingerichtet und geht seinen Mitmenschen nicht auf die Nerven. Bleibt noch zu erwähnen, dass auch diese Phase einmal ein Ende nimmt, wenn der Mensch die Rolle des Rentners nicht mehr verantwortungsbewusst ausfüllen kann und nur noch die Rolle des Kranken und Hilfsbedürftigen hinbekommt: „This transfer is based on the loss of able-bodied status and the loss of independence, both of which are required for adequate playing of the retirement role“ (ebd. 71). Das ist dann die „Termination Phase“, die mit dem Exitus endet. Auf welche Schwierigkeiten beim Übergang in den Ruhestand wird hier Bezug genommen? Welche Lücke entsteht durch den Verlust der Arbeit?44 Was hat sie den Menschen gegeben, die doch „lieber heute als morgen“ damit aufhören wollten? 44 Es gibt Studien, die zeigen, dass ein früher Renteneintritt zum frühen Tod führt, die Politik also mit der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters geradezu fürsorglich handelt, vgl. z. B. Kuhn, A./Wuellrich, J.-P./Zweimüller, J. (2012): Fatal attraction? Access to early retirement and mortality http://voxeu.org/article/fatal-attraction-access-early-retirement-and-mortality. Aber auch das Gegenteil lässt sich offenbar beweisen, siehe Bloemen, H./Hochguertel, S./Zweerink, J. (2013): The Causal Effect of Retirement on Mortality: Evidence from Targeted Incentives to Retire Early, IZA Discussion Paper No 7570, Bonn. Zunächst einmal: Einen Grund, morgens aufzustehen. Der Tag war bei den meisten Berufstätigen durchgetaktet: Vom Weckerklingeln über die Fahrt zur Firma, die immer wiederkehrenden oder auch wechselnden Arbeitsabläufe, Pausen, Besorgungen nach Feierabend, Kinder betreuen, Familien- und Haushaltspflichten. Mit dem Renteneintritt fällt der ganze Stress weg, aber auch die gewohnten Strukturen. Mit dem Ende der Hetze beginnt die Leere, das Problem, den Tag zu füllen. Aber nicht nur die Strukturierung des Alltags entfällt, auch sein Inhalt: die Funktion, die man im Dienst am Erfolg eines Betriebs oder einer Behörde ausübte. Selbst wer nur Rädchen im Getriebe war, musste Sorgfalt und Engagement an den Tag legen und konnte sich einbilden, dass davon etwas abhing. Vielfach waren im Beruf auch Kenntnisse und fachliche Kompetenzen gefragt, die man sich als persönliche Qualitäten anrechnen konnte und die vielleicht auch von anderen geschätzt wurden. Mit der Funktion fallen die Herausforderungen weg und die Notwendigkeit zur Pflege und Schulung von - je nach Tätigkeit - motorischen, handwerklichen, organisatorischen oder geistigen Fähigkeiten, die auch entfremdete Arbeit verlangt

Nicht nur für Frauen, sondern auch für viele Männer findet jedoch kein abrupter Wechsel zwischen Beruf und Ruhestand statt „Immer weniger Menschen sind bis zum Rentenbeginn aktiv erwerbstätig geblieben. Waren von den 66- bis 71Jährigen des Jahres 1996 noch 62,0 Prozent bis unmittelbar vor dem Renteneintritt erwerbstätig gewesen, trifft dies im Jahr 2014 nur noch auf 46,6 Prozent dieser Altersgruppe zu“ (Engstler/Romeu Gordo 2016, 67) Vor dem Renteneintritt liegen die Freistellungsphase der Altersteilzeit (15,5 Prozent) oder Arbeitslosigkeit (15,0 Prozent). 12,9 Prozent waren zuvor Hausfrau (Hausmann), krankheitsbedingt erwerbsunfähig 7,1 Prozent im Jahr 2014. Hausfrauen oder erwerbsunfähig Erkrankte sind oft bereits lange vor dem Rentenbeginn aus dem Arbeitsleben ausgeschieden. Bei Personen, die vor dem Renteneintritt arbeitslos wurden oder im Vorruhestand waren, hat sich die Dauer zwischen Erwerbsausstieg und Rentenbeginn in den letzten Jahren verlängert. Im Durchschnitt liegen 4,5 Jahre dazwischen (vgl. ebd., 66) Einen besonders starken Einbruch beim direkten Rentenübergang aus der Erwerbstätigkeit mussten ostdeutsche Frauen hinnehmen: Von den 66- bis 71-Jährigen des Jahres 1996 hatten noch 76,7 Prozent bis direkt zum Rentenbeginn gearbeitet, im Jahr 2014 nur noch 36,7 Prozent. Dagegen hat bei ihnen der Renteneintritt aus der Arbeitslosigkeit von 1 Prozent im Jahr 1996 auf 39,7 Prozent zugenommen (vgl. ebd. 68) In dieser Übergangsphase gehören die Menschen bereits zu den Ausgemusterten, sind jedoch oft noch besonderen Belastungen und Belästigungen ausgesetzt: Arbeitslose haben noch Auflagen der Jobcenter zu erfüllen, viele müssen Krankheit oder Behinderung ertragen lernen und haben sich dabei mit Krankenkasse und Rentenversicherung auseinanderzusetzen. Die Art und Weise des Berufsausstiegs spielt eine Rolle bei der individuellen Interpretation der Berufsbiografie. Manche Opfer von „Personalanpassungsmaßnahmen“ müssen das Gefühl, „vom Hof gejagt“ worden zu sein, verarbeiten. Andere rechnen sich die Abfindung und die vorzeitige Inanspruchnahme des Ruhestands als Krönung des Berufslebens und persönlichen Erfolg an. Eine Lehrerin bilanziert: „Ich fand es so sinnlos, dass man, wenn man noch viel Kraft hat und auch weiß – man kann sich ja einschätzen-, dass man das eine oder andere noch bewerkstelligen kann, dass man da einfach rausgeräuchert, einem das genommen wird“ (Generali 2012, 414) Ein vorzeitiger Renteneintritt ist in jedem Fall mit Einkommenseinbußen verbunden, die noch über die „normale“ Rentenlücke hinausgehen. Zudem hat der Frührentner – sei es aus Krankheitsgründen, sei es wegen gesetzlicher Bestimmungen – nur sehr geringe Möglichkeiten des Zuverdienstes. Eine zentrale Anpassungsleistung beim Übertritt in den vorzeitigen aber auch in den regulären Ruhestand besteht daher in der Einschränkung des Lebensstandards. Nach der Generali-Altersstudie 2017 berichten 47 Prozent der befragten 65- bis 85-Jährigen, dass sie sich beim Renteneintritt des Hauptverdieners in ihrem Haushalt einschränken mussten. Bei den unteren Einkommensgruppen sind es gar 61 Prozent. 14 Prozent machen sich Sorgen, die Kosten für ihr Haus/ihre Wohnung nicht mehr aufbringen zu können (vgl. Köcher/Sommer 2017, 50f.) Die Ausschnitte aus den Tiefeninterviews deuten darauf hin, dass die meisten die Anpassung an die neue finanzielle Situation als ihre Aufgabe ansehen und sich dieser gewachsen zeigen wollen. Ein Beispiel: „‘Finanziell war der Übergang schon gravierend. Aber ich hatte ja alles darauf ausgerichtet. Ich brauchte dann das Haus nicht mehr abzahlen. Eine Zusatzrente, die ich hatte, musste ich nicht mehr bezahlen, sodass ich das ein bisschen abfedern konnte. Und somit eigentlich nur noch für meinen eigenen Unterhalt aufkommen musste. Und damit komme ich gut zurecht. Also ich hatte das vorher schon gut durchdacht und durchgerechnet.‘ (Frau, 65 Jahre, alleinstehend)“ Nur selten wird eine echte Katastrophe zugegeben: „‘Was heißt einschränken? Ich bin zur Tafel gegangen!‘ (Mann, 70 Jahre, mit Partnerin)“ (ebd. 52) Von denjenigen, die sich einschränken mussten haben 38 Prozent die Ausgaben für Reisen und Urlaub reduziert, 26 Prozent die Besuche von Restaurants, Theater und Kino. Weitere 23 Prozent haben bei den Ausgaben für Haus/Wohnung Einsparungen vorgenommen, 20 Prozent bei den Unterstützungsleistungen für Kinder und Enkel, 19 Prozent bei den Ausgaben für Kleidung. Und 7 Prozent mussten sich sogar bei den Ausgaben für Lebensmittel einschränken (vgl. ebd. 52 f.) Der Übergang in den Ruhestand fällt häufig mit anderen einschneidenden Lebensereignissen zusammen. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands kann zu dauerhaften Einschränkungen im täglichen Leben führen. Als positive Veränderung wird auf der anderen Seite die Geburt von Enkelkindern erlebt. Beides bringt neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Sowohl die Betreuung von Enkelkindern wie auch der Aufenthalt im Wartezimmer des Arztes kann nun so manchen leeren Tag füllen. Der Rentner als Konsument. Der Rentner als menschlicher Ausschuss spielt zwar keine maßgebliche Rolle mehr in der Gesellschaft, deswegen ist er jedoch keineswegs uninteressant. Für die Wirtschaft stellen seine Bezüge, mögen sie auch oft bescheiden sein, eine Quelle für Geschäft und Profit dar. Als Kunde und Abnehmer von Waren und Dienstleistungen ist er durchaus gefragt. Im Sinne eines zielgruppengerechten Marketings wird also geprüft, was ihn von anderen Konsumentengruppen unterscheidet. Die Marktforschung hat seit einiger Zeit den „Seniorenmarkt“, in dem sich natürlich nicht nur Rentner, sondern auch manche betuchte Ältere tummeln, entdeckt und untersucht immer einmal wieder die Zielgruppe. Eine Typologie (vgl. Nickel 1994) unterscheidet vier Gruppen: Als „resignierte Ältere“ werden rund 15 Prozent der 55- bis 70-Jährigen etikettiert. Sie sind von gravierenden materiellen und sozialen Beeinträchtigungen betroffen, leben von Kleinstrenten und Sozialhilfe. Selbstredend sind in dieser Gruppe mehrheitlich Frauen vertreten. Sie schrauben ihre Ansprüche auf ein Minimum zurück und finden sich mit dieser Situation notgedrungen ab. Der Gruppe der „sicherheits- und gemeinschaftsorientierten Älteren“ wird dagegen ein positives Lebensgefühl zugeschrieben. Sie wollen nach einem harten Arbeitsleben den Ruhestand genießen. Stammtisch, Kegelclub oder Damenkränzchen sind ihre bevorzugten Formen der Geselligkeit. Sie feiern auch gern im Schrebergarten. In der Altersgruppe der 55 – bis 70-Jährigen machen sie etwa 30 Prozent aus. Wiederum 30 Prozent dieser Altersgruppe werden zu den „pflichtbewusst-häuslichen Älteren“ gerechnet. Sie werden als konservativ, familienorientiert und allen Neuerungen abgeneigt beschrieben. Ihr Aktionsradius beschränkt sich überwiegend auf Haus, Garten und häusliche Hobbys. Die Bewahrung ihres bescheidenen Wohlstands liegt ihnen am Herzen. Die „aktiven, neuen Alten“ (ca. 25 Prozent) zeichnen sich durch ganz entgegengesetzte Neigungen aus. Sie legen Wert auf Selbstverwirklichung, sinnvolle Aufgaben und neue Herausforderungen. Reisen, Kultur und Bildung prägen ihren Lebensstil, für den sie auch das nötige Kleingeld haben. Hier haben die Forscher vermutlich weniger den gewöhnlichen Rentner als den pensionierten Zahnarzt oder Beamten im Auge. Die Fragen, die diesen und anderen Typologien zugrunde liegen, lauten: Wieviel Geld haben die Alten? Und: Sind sie aufgeschlossen (für Werbung, neue Angebote etc.) oder haben sie eingefahrene Gewohnheiten, denen man nur schwer beikommt?

Die „Zukunftsforscher“ Opaschowski und Reinhardt haben im Auftrag einer Versicherung die Stimmung der älteren Generation erkundet: „Nicht mit Glanz und Glamour, sondern mit Atmosphäre und Ambiente kann man die ältere Generation für sich gewinnen. Was Fitness, Sun und Fun für die Jüngeren sind, sind Sinn, Vitalität und Lebensfreude für die Älteren. Wenn sich in den nächsten vier Jahrzehnten die Zahl der über 60-Jährigen in Deutschland verdoppelt, dann kann es auch zu einer Verdoppelung dieses Zukunftsmarktes kommen“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 126). Und das ist doch hochinteressant. Die „Chancen der Seniorenwirtschaft“ werden aber nicht nur von der Marktforschung sondern auch von der Bundesregierung (z. B. im Fünften Altenbericht) ausgeleuchtet. Dabei gilt: „Speziell bei älteren Verbrauchern können nicht die in der reinen marktwirtschaftlichen Theorie vorausgesetzten Merkmale des homo oeconomicus erwartet werden“ (5. Altenbericht der Bundesregierung, 2005, S. 229) Welche Merkmale zeichnen denn dann den homo veteranus aus? Zunächst einmal eine prekäre „Konsumkraft“. Mit einer gewissen Sorge konstatiert die Expertenkommission, „dass eine zunehmende Einkommensdifferenzierung [= zunehmende Armut, d. Verf.] bei den Älteren deren Konsumkraft beeinträchtigen könnte“ (ebd. 231) Nicht überraschend kommt der Befund, dass Frauen im Alter weniger Geld zur Verfügung haben als Männer, Ostdeutsche weniger als Westdeutsche. Insbesondere die „jungen Alten“, die viel Zeit und wenig Mobilitätseinschränkungen haben, sind eine interessante Zielgruppe für die Wirtschaft. Potenziale werden gesehen in den Bereichen:

Mit Blick auf Japan, wo der „Silbermarkt“ schon länger im Fokus steht, wird konstatiert: „Die Marktpotenziale der Seniorenwirtschaft werden allgemein als sehr hoch eingeschätzt“ (ebd. 255). Damit gilt es, auch hierzulande systematischer und entschiedener als bisher, den Alten das Geld aus der Tasche zu ziehen: „Stellt doch der Faktor Seniorenwirtschaft für die Volkswirtschaft einen erheblichen wirtschaftlichen Entwicklungsimpuls dar und trägt mit seinen Dienstleistungen und Produkten enorm zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bei“ (ebd. 257) Nicht vergessen werden sollte dabei auch die ältere Migrantenbevölkerung, selbst wenn deren Einkünfte noch erheblich unter denen der Deutschen liegen: „Mit den Konzepten ‚Ethno-Marketing‘ bzw. ‘Interkulturelles Marketing‘ wird angeregt, sich diesen Markt sowohl durch gezielte kulturell-spezifische Ansprache der Kunden als auch mit einem entsprechenden Angebot an Waren zu erschließen. Die größte Zielgruppe des ‚Ethno-Marketings‘ ist bisher die aus der Türkei stammende Bevölkerung; in der Zukunft sollen aber auch vermehrt Osteuropäer angesprochen werden“ (ebd. 406) Es lohnt sich also, die Bedürfnisse Älterer z. B. im Hinblick auf leichtere Handhabbarkeit von Geräten und Verpackungen oder Lesbarkeit von Gebrauchsanweisungen und Displays stärker zu berücksichtigen. Damit jedoch die Wirtschaft beim Ausnehmen der Rentner im Rahmen bleibt, muss auch der Verbraucherschutz stärker als bisher die Menschen unterstützen, die „aufgrund eingeschränkter Lebensverhältnisse“ nicht in der Lage sind, als „kritische Verbraucher“ den Anschlägen auf ihren Geldbeutel angemessen Paroli zu bieten (vgl. ebd. 281) So überflüssig die Ruheständler im Arbeitsleben sind, so unverzichtbar sind sie also als Verbraucher. Die BAGSO46 zitierte dazu in einem 1999 veröffentlichten Beitrag eine Studie der Universität des 3. Lebensalters: 46 Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen „Die bedeutendste Rolle, die die ältere Generation in unserer Wirtschaft eingenommen hat, ist die des Verbrauchers ‚Seniorenhaushalte mit einer Bezugsperson von über 65 Jahren besitzen fast ein Viertel aller geldlichen Vermögensbestände. Sie stellen rund ein Fünftel der gesamten Konsumausgaben aller privaten Haushalte und tragen damit überdurchschnittlich zum Gesamtkonsum bei.‘ Ohne die ältere Generation würde z.B. die Reisebranche existenzbedrohende Umsatzverluste erleiden, würden Reise- und Ausflugsziele, vor allem aber Kurorte und Heilbäder, auf die Mehrzahl ihrer Gäste verzichten müssen, Hotels und Gastronomiebetriebe brotlos werden und diverse Verkehrsmittel nicht mehr ausreichend genutzt werden können. Arztpraxen und Apotheken sowie Einrichtungen der Gesundheitsdienste würden um ihre Existenz bangen müssen, Zeitungsverlage ihre langjährigen Abonnenten verlieren und viele Industriebetriebe, vor allem die pharmazeutischen Betriebe, ihre Produktion teils ganz einstellen müssen.“ (http://www.bagso.de/publikationen/bagsonachrichten/archiv/1999-0400/der-aeltere-mensch-als-wirtschaftsfaktor.html) Entgegen anderslautender Äußerungen ist sie also durchaus erhaltens- und schützenswert, die ältere Generation. Das Bild des Rentners in Öffentlichkeit und Medien. Die Geringschätzung, die sich in solchen (und vielen anderen) Berichten über ältere Menschen ausdrückt, wird zum direkten bis hämischen Spott in verbreiteten Gemeinplätzen, in Witzen über Rentner und auch in mancher literarischen Darstellung. Dass Rentner immer dann einkaufen gehen und an der Kasse umständlich ihr Kleingeld zusammensuchen, wenn sie die gehetzten Feierabendkunden am meisten stören, gehört beispielsweise zu den gängigen Klischees. Mehr oder weniger dümmliche Scherze greifen vermeintliche Schwächen auf

Dabei fällt in der Ironie oft ein durchaus giftiger Ton auf. Sollen die Rentner doch Topfpflanzen kaufen in ihrem Mercedes. Und warum „beleidigen sie unsere Augen“, wenn sie sich beige oder braun anziehen (unauffällig, passt zu allem) und Westen mit vielen Taschen tragen?

Sie stören durch ihre Anwesenheit, und machen mit ihrem uniformen Kleidungsstil ungebührlich auf sich aufmerksam. Also gehören sie verspottet. Die literarische Gattung der Rentnerwitze nimmt Schwächen des Alters aufs Korn, die doch vielleicht auch Anteilnahme und Mitgefühl auslösen könnten. Die Belanglosigkeit des Rentners macht ihn zur lächerlichen Figur. Er treibt sich immer noch auf der Welt herum, obwohl er zu nichts mehr nütze ist

5. Leben im Ruhestand: „Jetzt kann ich machen, was ich will.“ „Vermindert, verkümmert und ins Exil ‚seiner‘ Zeit verbannt, bleibt der Greis dennoch jener Mensch, der er war. Wie gelingt es ihm, Tag für Tag mit dieser Situation fertig zu werden?“ Simone de Beauvoir59. 59 De Beauvoir, S.: Das Alter, 1977, 585. Die kapitalistische Gesellschaft billigt dem älteren Menschen Muße zu, nimmt ihm aber die materiellen und ideellen Mittel, sie zu nutzen. Einkommen. Die entscheidende Rahmenbedingung für das Leben im Ruhestand ist das Haushaltseinkommen, da es die Möglichkeiten zu Konsum und gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe bestimmt. Für ältere Menschen kommt es dabei zusätzlich auf den Zugang zu Dienstleistungen im Bereich Mobilität, selbstständige Haushaltsführung und Gesundheitsversorgung an, die besondere Kosten verursachen. Allerdings fallen auch manche Ausgaben berufsbedingter Art oder für den Unterhalt der Kinder weg. Wer in der eigenen Wohnung lebt, hat diese meist abbezahlt. Dennoch sinken die Bedarfe mit dem steigenden Lebensalter nicht, können in Einzelfällen unter anderem wegen steigender Zuzahlungen zu pflegerischen oder sozialen Diensten sogar zunehmen. Rentner haben dabei im Vergleich zu Berufstätigen geringere Einflussmöglichkeiten auf ihre Einkommenshöhe, da sie am Arbeitsmarkt marginalisiert sind und dafür auch zumeist die physischen und qualifikatorischen Voraussetzungen nicht mehr erfüllen. Die weitaus bedeutendste Einkommensquelle der älteren Menschen in Deutschland ist die Gesetzliche Rentenversicherung. Sie erreicht mehr als 90 Prozent der Bevölkerung (wobei auch Minirenten z. B. von späteren Beamten oder Selbstständigen eingeschlossen sind) und kann bis zu 95 Prozent des gesamten verfügbaren Haushaltseinkommens ausmachen (Naegele 2012, 95). Der weitaus größte Teil der Bevölkerung kann also in einem ganzen Arbeitsleben nicht genug für das eigene Alter zurücklegen und ist auf das staatliche Zwangssparen angewiesen. Der durchschnittliche Bruttobetrag einer eigenen Rente lag 2015 bei 1286 € für Männer und 709 € für Frauen. Dazu kommen 338 € (Männer) und 735 € (Frauen) Witwer- bzw. Witwenrente. 26 Prozent der Männer über 65 und 7 Prozent der Frauen in diesem Alter beziehen eine Betriebsrente, die bei Männern 601, bei Frauen im Durchschnitt 243 € beträgt (ASID 2015/2017 73f.) Von Betriebsrenten und privater Altersvorsorge profitieren dabei mehrheitlich diejenigen älteren Menschen, die schon über vergleichsweise hohe Ansprüche aus den gesetzlichen Regelsystemen verfügen. Das gleiche gilt für das selbstgenutzte Wohneigentum (vgl. Naegele 2012, 96f.) Statistiken, die neben der Rente auch andere Quellen wie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Vermögen oder Erbschaften berücksichtigen, wurden in Kapitel 2 berichtet. Bei den ehemaligen Arbeitern und einfachen bis mittleren Angestellten wurden Einkommen zwischen 1.000 und 1.700 € ermittelt, bei Frauen sind es nur etwa 1.000 € (ASID 2015/2017, 97). Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nahmen 2015 512.198 Personen jenseits der Altersgrenze in Anspruch. Das sind 3 Prozent der Bevölkerungsgruppe. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Frauen (auch mit akademischem Abschluss) sind davon besonders betroffen (ebd. 102) Männer sind generell unabhängig vom Einkommen der Partnerin, während bei den Frauen mehr als jede achte vom Einkommen Angehöriger abhängig ist, von den verheirateten Frauen ist es sogar jede dritte (Naegele 2012, 99), Die Situation von alleinstehenden Frauen ist besonders prekär. Sei es, dass sie ihr Leben lang ein Frauengehalt bezogen haben und nur geringe Entgeltpunkte zugeteilt bekamen, sei es dass sie nach einer Scheidung kaum Unterhaltszahlungen erhielten und aufgrund von Lücken in der Erwerbsbiografie Abstriche bei der Rentenanwartschaft hinnehmen mussten. Bürgerliche Frauen, selbst wenn sie nur eine geringe Rente beziehen und ihre Armut oft verheimlichen, können dabei in der Regel noch auf gewisse Ressourcen zugreifen, die einer ehemaligen Verkäuferin nicht zur Verfügung stehen. Sie werden eher einmal eingeladen, erhalten Geschenke, verfügen über ein familiäres oder aus beruflichem Kontext entstandenes Netzwerk. Da kann zum Beispiel ein Anwalt in der Verwandtschaft oder ein befreundeter Architekt mit fachlichem Rat helfen. Zudem verfügen diese Frauen oft über bessere Strategien des Zurechtkommens, wissen wo sie Vergünstigungen bekommen, während anderen nur der Putzjob in der Nachbarschaft bleibt. Der Anteil der verschuldeten älteren Menschen stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes seit 2012 von fünf Prozent auf 6,7 Prozent. Da Senioren etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellen, ist das zwar vergleichsweise wenig, allerdings haben sie auch weniger Möglichkeiten, sich zu verschulden und suchen auch weniger die entsprechenden Beratungsstellen auf, die diese Fälle überhaupt erfassen (vgl. Destatis, 30. Juni 2014) Krankheit und Sucht können dabei schnell in den finanziellen Ruin führen. 16 Prozent der 55­ bis 75­jährigen Überschuldeten gaben diesen Grund als Auslöser für die Probleme an (Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, November 2013, 802) Der Anteil der erwerbstätigen Personen im Ruhestand ist von 5,1 Prozent im Jahr 1996 auf 11,6 Prozent im Jahr 2014 gestiegen (DZA 2014, 6). Eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand wird überwiegend in Teilzeit geleistet und ist nicht unbedingt an den früheren Arbeitsplatz gebunden – nur etwa ein Viertel der erwerbstätigen Ruheständlerinnen und Ruheständler arbeitet für den letzten Arbeitgeber. Häufiger ist eine selbstständige Tätigkeit: Von den 66­ bis 71­Jährigen, die noch arbeiten, sind 38,2 Prozent selbstständig (DZA 2014, 7). Reguläre (unbefristete) Beschäftigung in Vollzeit ist die Ausnahme. Arbeit im Ruhestand ist überwiegend Arbeit außerhalb der regulären Berufshierarchie, ohne Anspruch auf Finanzierung des Lebensunterhalts und ohne Perspektiven. Gesundheit. Das Alter ist keine Krankheit, aber mit der Zahl der Lebensjahre kumulieren sich die Schäden, vor allem diejenigen, die das Berufsleben in der Konkurrenzgesellschaft mit sich bringt. Gesundheitliche Probleme schränken das Leben im Alter ein und machen sich oft genug auch noch im ohnehin schmalen Geldbeutel bemerkbar. Es ist also von größter Bedeutung, in welchem Zustand die Menschen die Altersgrenze und den Rentenbezug erreichen. Ein Indiz dafür ist der Anteil der Rentenzugänge wegen Erwerbsminderung. Im Jahr 2016 waren das ca. 18 Prozent der neu ausbezahlten Versichertenrenten (vgl. Zahlen aus DRV 2017, Rentenversicherung in Zeitreihen). Das heißt, diese Neurentner sind gesundheitlich so beeinträchtigt, dass sie noch nicht einmal mehr sechs Stunden in der Woche arbeiten können, was ihnen durch eine medizinische Prüfung bescheinigt wird. Nun ist zwar die Arbeitsfähigkeit im Ruhestand nicht mehr der relevante Maßstab, ein kaputter Rücken oder eine Herzkrankheit wirken sich jedoch auch im arbeitsfreien Alltag aus und erschweren das Leben und die soziale Teilhabe. Wie viele Menschen sich angesichts der finanziellen Einbußen einer vorzeitigen Rente trotz Krankheit noch bis zur regulären Altersgrenze in die Firma oder zum Jobcenter schleppen, bleibt zu fragen. Weitere Indizien sind Entwicklungen in der Arbeitswelt wie die Zunahme von Schichtarbeit, die generell als belastend gilt. So hat sich nach Angaben des IAB seit 1998 die Zahl der 50- bis unter 65-Jährigen in Wechselschicht mehr als verdoppelt, und zwar von 594 Tausend auf 1,29 Millionen. Dieser Anstieg ist zwar auch auf das Altern der geburtenstarken Jahrgänge, aber ebenso auf die Ausweitung der Schichtarbeit im Dienstleistungssektor zurückzuführen (vgl. IAB KB 21/2013). Die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse trägt überdies sicher nicht zur physischen und psychischen Gesundheit der betroffenen Personenkreise bei. In den letzten Jahren ist im Zusammenhang mit der Thematik des demografischen Wandels und seiner befürchteten Kosten die Aufmerksamkeit für die Gesundheit älterer Menschen gestiegen. Unter anderem der „Deutsche Alterssurvey“, eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Langzeitstudie des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) und die „Generali Altersstudie“, die seit 2013 vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt wird, widmen sich dieser Frage, wobei sie die Selbstauskünfte der Befragten zugrunde legen. Die meisten Gesundheitsprobleme im Alter entstehen nicht durch das Altern an sich, sondern durch Krankheiten, die aus früheren Lebensphasen herrühren und im Alter einen schwereren Verlauf nehmen, wie z. B. eine chronische Bronchitis, die in der Jugend als Bronchialinfekt oder Lungenentzündung begann. Hier wird von „alternden Krankheiten“ gesprochen. Als „primäre Alterskrankheiten“, die im Alter erstmals auftreten, deren Ursachen aber ebenso in vorangegangenen Lebensabschnitten liegen können, gelten z. B. Altersdiabetes, Arteriosklerose und degenerative Veränderungen des Bewegungsapparats, ebenso psychische Alterskrankheiten wie Demenz. „Krankheiten im Alter“ sind dagegen solche, die auch in anderen Lebensphasen auftreten können, im Alter aber schwerer verlaufen und deshalb auch besondere Behandlungen verlangen (vgl. Backes-Clemens 2013, 215)

Neben der größeren Häufigkeit von Krankheiten gelten die veränderte, oft unspezifische Symptomatik, der längere Krankheitsverlauf und die verzögerte Genesung als wichtige Merkmale von Erkrankungen im Alter (vgl. Saß, Wurm, Ziese 2009, 32) Herzinsuffizienz, Hirninfarkt, Vorhofflattern und Vorhofflimmern waren im Jahr 2010 die häufigsten Diagnosen für die Krankenhausaufenthalte älterer Menschen. Herzinsuffizienz, Angina pectoris und die chronische ischämische Herzkrankheit waren die häufigsten Behandlungsanlässe bei den 3,6 Millionen männlichen Patienten im Alter von 65 und mehr Jahren. Bei den 4,3 Millionen weiblichen Patienten dieser Altersgruppe waren demgegenüber die Diagnosen Herzinsuffizienz, Schenkelhalsbruch und Hirninfarkt häufigste Gründe für eine stationäre Krankenhausbehandlung (DESTATIS 2010 - 24 – 0657. S. 2) Typisch für das höhere Lebensalter ist die Multimorbidität, also das Auftreten mehrerer Erkrankungen gleichzeitig. Nach dem Deutschen Alterssurvey 2014 berichten unter den 40- bis 54-Jährigen 5,1 Prozent fünf und mehr Erkrankungen, bei den 55- bis 69-Jährigen sind es immerhin 14,3 Prozent, und unter den 70- bis 85-Jährigen berichtet ein Viertel der Personen (25,4 Prozent) fünf und mehr Erkrankungen (vgl. Wolff et al. 2016, 131). Entsprechend nimmt mit dem Alter die Zahl der Arztbesuche und der Medikamentenkonsum zu. Nur 37,8 Prozent der 55- bis 69-Jährigen geben „keine oder nur eine“ Erkrankung an, wobei die Zusammenfassung von Gesundheit und Krankheit in dieser Statistik schon befremdet (vgl. Wolff et al. 2016, 132). Die deutliche Mehrheit der Altersgruppe ist definitiv nicht gesund. Verschiedene Studien belegen die Abhängigkeit des Gesundheitszustands der Älteren von der früheren Berufsstellung und vom Bildungsstand (vgl. dazu Klein/Rapp 2012, 282ff.). Neben den materiellen Lebensbedingungen wirken sich auch unterschiedliche Lebensstile hinsichtlich Ernährung, Alkohol- und Zigarettenkonsum, Bewegung etc. und unterschiedliches Gesundheitsbewusstsein auf die Physis der Menschen aus. Die Arbeitsbedingungen sind in der Fabrik abträglicher als in der Amtsstube, der Zugang zu guter Gesundheitsvorsorge und Ernährung hängt vom Einkommen ab, und das Wissen und die Zeit für gesundheitsförderliches Verhalten sind eher in den höheren Einkommensgruppen zu finden. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Angehörigen der höchsten und niedrigsten sozialen Schicht wird für Männer mit 3 Jahren, für Frauen mit etwa 4 Jahren angegeben. Erwachsene aus niedrigen sozialen Schichten erleiden demnach häufiger einen Herzinfarkt, leiden häufiger unter psychischen Störungen und schätzen die eigene Gesundheit schlechter ein als Erwachsene aus höheren sozialen Schichten (vgl. Tesch-Römer/Wurm 2009,17) In einer kapitalistischen Gesellschaft sind jedoch auch die Bessergestellten nicht gegen den systematischen Ruin ihrer Gesundheit gefeit. Während der Arbeiter in der Fabrik Belastungen durch einseitige Beanspruchung, Hetze und ungesunde Umgebung (Lärm, Chemikalien etc.) ausgesetzt ist und von Sorgen um den Arbeitsplatz und das Auskommen der Familie geplagt wird, leidet der Chef unter Stress durch die Anforderungen der Konkurrenz, die seine Firma und ihn selbst voranbringen sollen. Schäden durch „Umwelteinflüsse“, die durch die kapitalistische Industrie und Landwirtschaft verursacht werden, treffen Reich und Arm, ebenso wie solche durch gesundheitsschädliche Produkte (vgl. dazu Predehl/Röhrig 2016, 15ff.) Der Reiche hat allerdings mehr Möglichkeiten, die Schäden zu kompensieren. Die oft vielfältigen Gesundheitsprobleme der verschlissenen Menschen bestehen nicht nur in körperlichen Beschwerden, sondern auch in funktionellen und in der Folge sozialen Einbußen. Neben den Folgen bestimmter Erkrankungen wie z. B. Diabetes sind hier auch Funktionseinbußen einzelner Organe zu nennen (z. B. Nachlassen der Sehkraft bei fortschreitender Linsentrübung, Blasenschwäche, Schwerhörigkeit oder Zahnprobleme). Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen schlagen aufs Gemüt und erschweren das Leben bis hin zum Verlust der selbstständigen Lebensführung (vgl. Saß/Wurm/Ziese 2009, 32f.) Grundlegend für das Dasein als Rentner ist also, dass die Lebensphase, die mit der größten Freiheit, verstanden als Zeitsouveränität, einhergeht, zugleich die mit den größten physischen Einschränkungen ist. Dies gilt in besonderem Maß für ehemalige Arbeiter und einfache Angestellte, also für den größten Teil der Bevölkerung. Diese haben auch die geringsten Mittel, um Einschränkungen zu kompensieren oder ein Leben mit ihnen erträglich zu gestalten. Den Zumutungen des Arbeitsmarkts entkommen die Menschen um den Preis von Alter und Invalidität. Die große Freiheit findet oft im Wartezimmer des Arztes statt. Wie gehen sie damit um? Zunächst einmal so, dass sie ihre Maßstäbe zurechtrücken. Nach dem Deutschen Alterssurvey 2014 berichteten 66,6 Prozent der 65- 71-Jährigen von einer „guten funktionalen Gesundheit“, also von geringen Einschränkungen im Alltag trotz vorliegender Erkrankungen (vgl. DZA 2014, 23 f.). Im Rahmen der Generali Altersstudie schätzen 79 Prozent der Befragten ihre Gesundheit als „(sehr) gut“ oder „einigermaßen“ ein. Dabei gehen wiederum die positiveren Angaben mit dem höheren sozioökonomischen Status einher (vgl. Generali Deutschland 2017, 150f.). Offenbar vergleichen sich ältere Menschen mit anderen ihrer Altersgruppe und stufen bestimmte Einschränkungen als „normal“ oder als „altersgemäß“ ein (vgl. Wurm et al. 2009, 80 und Spuling et al. 2016, 163). Zudem geht in die Gesundheitsbewertung ein, welche Ansprüche man an die eigene Physis stellt: Wenn es nur darum geht, den Weg zum Supermarkt ohne Hilfe zu bewältigen, wird die Bewertung deutlich positiver ausfallen, als wenn man die Fähigkeit zu sportlichen Aktivitäten oder durchtanzten Nächten zum Maßstab nimmt. Entsprechend heben verschiedene Studien als Stärke älterer Menschen die „Lebenszufriedenheit“ hervor, nämlich die Neigung, ihre Ansprüche an die Umstände anzupassen und sich mit dem zufriedenzugeben, was ihnen jeweils noch möglich ist. Der Zusammenhang zwischen objektivem und subjektivem Gesundheitszustand nimmt mit dem Alter immer mehr ab (vgl. Backes/Clemens 2013, 220). Je schlechter der objektive Gesundheitszustand wird, desto weniger wird geklagt

Die gelobte „psychologische Widerstandsfähigkeit“ (Clemens/Backes,2013, 220) der alten Menschen verweist einerseits auf gesellschaftliche Erwartungen, andererseits auf Verdrängungsleistungen der Menschen selbst: Kranksein bedeutet hilfsbedürftig, eine Last zu sein, womöglich der Allgemeinheit Kosten zu verursachen, und das ist in hohem Maß geächtet. Gesundheit gilt auch als individuelle Verantwortung, die man sowohl sich selbst als auch der Gesellschaft schuldig ist. Auf der anderen Seite spielt die Angst vor Schmerzen, vor Abhängigkeit und Entmündigung und letztlich vor dem Sterben eine Rolle, so dass man sich auch den eigenen Zustand gern als noch vergleichsweise gut schönfärbt. Gesundheitsverhalten. Mit Blick auf die zu erwartenden Kosten durch eine älter werdende Bevölkerung wird seit einigen Jahren regelmäßig auch das Gesundheitsverhalten der Senioren ermittelt „Mit einer steigenden Lebenserwartung stellt sich daher die Frage, wie gesund oder krank nachfolgende Geburtsjahrgänge ins Alter kommen und inwiefern präventive Maßnahmen, wie zum Beispiel Bewegungsprogramme, von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wahrgenommen werden“ (DZA 2016, 22) Der Alterssurvey 2014 zeigt den erfreulichen Befund, dass seit 1996 die von den Befragten angegebene sportliche Aktivität erheblich zugenommen hat: Die Zahl der 60- bis 71-Jährigen, die von Sport „mehrmals die Woche“ berichten ist von ca. 16 auf 40 Prozent gestiegen. In den höheren Altersgruppen nimmt die Aktivität zwar ab, zeigt aber immer noch ansehnliche Steigerungsraten (DZA 2016, 27). Ein gewisses Maß an sozialer Erwünschtheit und Selbsttäuschung muss dabei sicher einkalkuliert werden. Nach der Generali Altersstudie 2017 halten 44 Prozent der Senioren regelmäßigen Sport für ganz wichtig, 35 Prozent setzen dies auch in die Tat um. Diese Angaben wird jeder für plausibel halten, der einmal ein Fitnessstudio oder ein Hallenbad besucht. Munter plaudernde Rentnergruppen sind dort jederzeit zu finden. Dennoch stehen an der Spitze der gesundheitsfördernden Verhaltensweisen: Verzicht auf das Rauchen, ausreichender Schlaf und Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt. Nach ihrem Alltagsaktivitäten gefragt, geben 28 Prozent der in der Generali-Altersstudie 2017 Befragten an, dass sie ein- oder mehrmals in der Woche Sport treiben, sechs Prozent sogar täglich. Dagegen klappt es mit dem Abnehmen oder Gewichthalten eher selten. Generell ist gesundheitsbewusstes Verhalten wiederum eher unter den Gebildeten und Bessergestellten zu finden. Gesundheit als größter Wunsch. Was jedem aus seiner Verwandtschaft geläufig sein dürfte, ist, dass sich die ältere Generation für die Zukunft vor allem Gesundheit wünscht. Das bestätigt auch die Generali Altersstudie 2017. Die Befragten wollen vor allem so weiter leben können, wie sie es jetzt tun, und dafür ist die Voraussetzung, dass sich ihr Befinden nicht gravierend verschlechtert „Einfach so weiterleben können. Gesundheit erhalten, das ist mein Ziel“ (Generali 2017, 23) Das Fundamentale und Defensive dieses Wunsches zeigt, dass die Mehrheit keine wirklichen Zukunftspläne hat, sondern vielmehr Angst vor der Zukunft. Eine demütigende Pflegebedürftigkeit ist das Schreckbild im Hinterkopf, das jede Initiative lähmt. Die Senioren wissen, dass ihr Schicksal besiegelt ist, dass für sie nichts mehr vorgesehen ist als ein möglichst pflegeleichtes Ableben. Die meisten konnten in ihrem aktiven Leben auch keine Fähigkeiten aufbauen, Interessen entwickeln, Ressourcen schaffen, die ihnen jetzt ein lebenswertes Leben ermöglichen würden. Nach ihren ferneren Lebenszielen gefragt, geben die meisten Älteren an: Sich in der Natur aufzuhalten, das Leben zu genießen und Zeit mit der Familie zu verbringen. Selbst das Reisen wird nur von 30 Prozent angestrebt

Personen im höheren Alter sprechen auch direkt davon, dass sie keine Zukunftspläne mehr haben: „Ich mache mir über die Zukunft keine großen Gedanken. Ich habe auch keine großen Ziele, sondern ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Und wenn sie möglich sind, dann mache ich sie“ (Generali 2017, 25) Die Mehrheit der über 70-Jährigen ist mit körperlichen Beschwerden und Einschränkungen konfrontiert, die zunächst allein oder mit Hilfe des Partners bewältigt werden (vgl. Generali 2017, 188). 19 Prozent der Männer im Alter von 65 bis 85 Jahren, die in einer Partnerschaft leben, berichten, dass die Partnerin auf Hilfe angewiesen ist, bei den Frauen sind es 26 Prozent. Hilfe wird vor allem geleistet in Bezug auf Heben und Tragen, bei Arztbesuchen und Behördengängen, bei Gartenarbeit und Einkäufen. Frauen übernehmen dabei mehr direkt pflegerische Aufgaben wie Hilfe beim An- und Ausziehen und bei der Körperpflege (ebd. 189). Unterstützung wird dabei teilweise von den eigenen Kindern und manchmal auch von den Enkelkindern gleistet (36 bzw. 12 Prozent). 47 Prozent geben an, dass sie von niemandem bei der Pflege unterstützt werden (ebd. 191), Die Vorstellung, selbst einmal in ein Pflegeheim zu müssen,ist geradezu ein Tabuthema: „Das ist so eine schreckliche Vorstellung, da will ich lieber nicht dran denken, da kann ich überhaupt nichts dazu sagen. Also entsetzlich, entsetzlich, mit wenig Geld irgendwo abgeschoben, das ist ganz traurig, auch nur daran zu denken“ (Generali 2012, 294) „Solche Gedanken schiebe ich ganz weit weg von mir. Ich will davon derzeit nichts wissen“ (Generali 2017, 196) Familie/Partnerschaft: „Familie ist alles, was ich noch habe“ (Generali 2012, 471) Mit dem Alter nimmt die Zahl derer zu, die geschieden, getrennt lebend oder verwitwet sind. Nach dem Deutschen Alterssurvey sind in der Altersgruppe 55 – 69 noch 71,6 Prozent und in der Altersgruppe über 70 63,5 Prozent verheiratet (DZA 2016, 30). Vor allem Männer haben bis ins hohe Alter meist eine Partnerin, während Frauen ab Mitte 70 überwiegend allein leben (vgl. Generali 2012, 185/ Generali 2017, 132). Die erwachsenen Kinder leben zumeist nicht in der Nähe. Dennoch geben mehr als 78 Prozent der Eltern an, mindestens wöchentlich Kontakt zu ihnen zu haben. Paare führen in der Regel einen gemeinsamen Haushalt und teilen sich die Aufgaben darin in mehr oder weniger traditioneller Weise. Auch unterstützen sie einander im Fall von Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit. Bei Pflegebedürftigkeit ist es nach wir vor hauptsächlich der Partner oder die Partnerin, der/die diese Aufgabe übernimmt. Die Partnerschaft wird im Alter auch zur Schicksalsgemeinschaft. Viele Frauen sind ökonomisch von ihrem Partner abhängig. Viele Männer von den Haushalts- und Sorgetätigkeiten ihrer Frau. Nach der Generali Altersstudie 2013 stimmen 56 Prozent der in Partnerschaft lebenden 65- bis 85-Jährigen der Aussage zu: „Ich wüsste nicht, was ich ohne meinen Partner/meine Partnerin tun würde“. 17 Prozent sind im Alltag auf die Hilfe des Partners angewiesen (Generali 2012, 192) In der langen Zeit des Zusammenlebens haben sich in der Regel Routinen des Umgangs miteinander entwickelt. Konflikte gibt es auch bei alten Ehepaaren, nur werden sie oft eher schmollend und grollend und weniger heftig ausgetragen als bei jüngeren (vgl. Tesch-Römer 2010, 130). Man hat sich auch an die schlechten Seiten des anderen gewöhnt „Ich bin jetzt 46 Jahre mit meinem Mann verheiratet, und wir sind richtig zusammengewachsen. Er ist der liebste Mann, den es gibt. Ich kenne seine schwierigen und seine guten Seiten und bemühe mich, mich ihm anzupassen, aber manchmal klappt es nicht“ (Generali 2012, 192) „Die Haushaltsarbeit hat eher zu- als abgenommen, seit Vater nicht mehr arbeitet“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 103) „Ich hätte nie gedacht, wie pingelig meine Frau ist.“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 103) Der Tod des Partners ist eines der kritischsten Ereignisse im Leben, nicht nur in emotionaler Hinsicht. Denn wenn man über die Jahre „zusammengewachsen“ ist, den Alltag arbeitsteilig gestaltet und organisiert hat, muss man nun alles neu ordnen und alleine regeln. Da weiß eine Frau nicht, wie man den Rasenmäher bedient oder die Steuererklärung macht. Der Witwer seinerseits steht ratlos vor der Waschmaschine. Bei vielen Dingen, die man bisher gemeinsam gemacht hat (Spaziergang, Sonntagsbraten im Wirtshaus) muss man sich fragen, ob oder wie man sie jetzt alleine macht.Wer das Glück hat, seine Kinder in der Nähe zu haben, überträgt diesen bestimmte Aufgaben, die der Partner/die Partnerin bisher ausgeführt hat. Ein Sohn kümmert sich eventuell um Garten- und Reparaturarbeiten, eine Tochter um Hilfe im Haushalt. Die Eltern-Kind-Beziehung mit ihren Rechten und Pflichten bleibt während des ganzen Lebens bestehen. Was man dereinst für seine Kinder getan hat, verlangt man als Unterstützung und Zuwendung im Alter zurück. Viele Ältere bezeichnen sich als „Familienmenschen“

Ein Idealbild der Familie, geprägt von gegenseitigem Verständnis, Harmonie und Unterstützung wird jedoch eher von den Forschern als von den Senioren selbst geäußert: „Die Familie sorgt beispielsweise dafür, dass 80-Jährige nicht nur gepflegt, sondern auch gebraucht werden, dass sie um Rat gefragt und an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden und dass sie gelegentlich mit noch so kleinen Gefälligkeiten helfen und aushelfen können. Die Familie wirkt insofern psychosozial stabilisierend und identitätsstiftend. Allerdings haben viele Ältere heute keine Kinder oder Enkel, so dass Freunde und Nachbarn Familienfunktionen übernehmen“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 105) Die meisten danach befragten Älteren betonen, dass sie zu ihren Kindern und Enkelkindern ein gutes Verhältnis haben. Damit stellt man sich ja auch als Eltern ein gutes Zeugnis aus. Nach dem Deutschen Alterssurvey berichten mehr als 88 Prozent der Befragten eine enge oder sehr enge Verbundenheit mit ihren Kindern (vgl. Mahne/Huxhold 2016, 234). Dabei sind die Beziehungen häufig von Notwendigkeiten diktiert und vom Pflichtgefühl seitens der jüngeren Generation geprägt. Ein Drittel der im Deutschen Alterssurvey befragten Personen mit Enkelkindern sind in deren Betreuung eingebunden (vgl. Mahne/Klaus 2016, 251). Positive Gemeinsamkeiten mit Familienmitgliedern außer dem Lebenspartner werden in allen Befragungen selten genannt

Während die alten Eltern sich die Beziehung zu den Kindern häufig schönreden, wird sie von diesen eher als Verpflichtung oder gar als Belastung wahrgenommen (vgl. Tesch-Römer 2010, 148 ff.) Die Familie ist für viele Ältere die zentrale Sozialbeziehung. Auch wenn die Kontakte manchmal weniger häufig sind als die zu Freunden oder Nachbarn, so wird doch die Familie als die Konstante im Leben empfunden, selbst nachdem die Kinder ausgezogen sind. Sie verkörpert den einzigen Anspruch, den man noch hat, Anspruch auf Respekt, Zuwendung und Hilfe, wenn man selbst nichts mehr leistet oder darstellt. Wohnen. Etwa 60 Prozent der im Alterssurvey 2014 befragten Personen wohnen in einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus. Nach der Generali Altersstudie sind es 64 Prozent der über 65-Jährigen. Sie äußern überwiegend Zufriedenheit mit ihrer Wohnsituation, auch dann wenn die Interviewer die Verhältnisse als eher bescheiden einschätzen. Abgesehen von der Neigung der Senioren, sich mit dem zufriedenzugeben, was sie haben, spielt hier auch die Verbundenheit mit dem Umfeld, den Nachbarn und die gewohnte Infrastruktur eine Rolle (vgl. Nowossadeck/Engstler 2016, 306) Mieterhaushalte müssen 35,1 Prozent ihres Nettoeinkommens für Wohmkosten aufwenden, Eigentümerhaushalte, die noch Kredite abbezahlen 32,8 Prozent, und schuldenfreie Eigentümerhaushalte noch 16 Prozent (vgl. ebd. 307 f.). Die Wohnkosten stellen für die meisten daher eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Im Schnitt wohnen die 65- bis 85-Jährigen seit 31 Jahren in ihrer Wohnung (vgl. Generali 2017, 204). Das bedeutet, dass die meisten Wohnungen nicht an die Bedürfnisse älterer Mensche angepasst sind. Senioren mit Mobilitätseinschränkungen müssen in aller Regel mit Hindernissen zurechtkommen. Ein Umzug in eine altersgemäße Wohnung ist wegen der damit verbundenen höheren Wohnkosten problematisch, kann aber unumgänglich werden. Nach einer älteren Untersuchung, die aber sicher noch Gültigkeit beanspruchen kann, sind mehr als die Hälfte der Umzüge im Alter durch manifesten oder latenten Hilfebedarf begründet (vgl. Clemens/Backes 2013, 255) „Sollte ich irgendwann auf einen Rollstuhl angewiesen sein, wäre es vorbei. Es gibt eine Treppe und das Bad wäre viel zu klein. Es gibt nur eine Badewanne, keine Dusche. Da wären sehr viele Umbauten nötig, Ich denke, das wäre für mich nicht finanzierbar“ (Generali 2017, 206) Bei den Anforderungen, die die in der Generali Altersstudie Befragten an eine altersgerechte Wohnung stellen, steht die Nähe zu Ärzten an erster Stelle. Weiterhin wichtig sind Einkaufsmöglichkeiten, ein Umfeld, in dem man sich auskennt, Grünflächen in der Umgebung und eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Diese Kriterien sehen die meisten auch von ihrer eigenen Wohnung als erfüllt an. Differenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit gibt es bei der Barrierefreiheit und den Kosten der Wohnung. Nur vier Prozent der über 65-Jährigen lebt in einem Alten- oder Pflegeheim, bei den über 80-Jährigen steigt dieser Anteil auf 11 Prozent. Gemeinschaftliche Wohnformen haben mit derzeit ca. 900 Projekten bundesweit noch keine merkliche Bedeutung. Die Mehrheit der Älteren lebt nach wie vor allein oder mit dem Partner in einer privaten Wohnung. Mit dem Eintritt in den Ruhestand und verstärkt mit Einschränkungen der Mobilität verringert sich der Aktionsradius. Die Aktivitäten älterer Menschen verlagern sich in die eigene Wohnung und in das nähere Wohnumfeld. Das betrifft unter anderem soziale Kontakte, Hobbys, kulturelle Teilhabe und Mediennutzung. Die am häufigsten aufgesuchten Orte in der Nachbarschaft sind: Einkaufsgelegenheiten, Arztpraxen, Treffpunkte und Parkanlagen (vgl. Backes/Clemens 2013, 248) Die gewohnte Umgebung und bekannte Infrastruktur geben dem Leben im Alter Orientierung: „Einen Umzug in einen anderen Kiez würde ich nicht wollen. Ich kenne meine Nachbarschaft gut, die kennen mich und respektieren mich. Etwas anderes würde ich nicht wollen“ (Generali 12,444) Tagesablauf. Keine Ziele mehr zu haben, keinen Anforderungen mehr genügen zu müssen, das verurteilt die Menschen zur Langeweile. Die Entschädigung dafür sind die großen Ferien, das faul sein Dürfen nach den Jahrzehnten der Überanstrengung. Die Zwangsstillegung ist auch ein Alibi: Was soll, was kann man sich denn noch vornehmen, wenn man offiziell für unbrauchbar erklärt worden ist? Selbst wer noch tätig sein will, ist von fast allen gesellschaftlich relevanten Aktivitäten ausgeschlossen und kann höchstens wenig prestigeträchtige Ehrenämter ausüben. Ehemaligen Ingenieuren, Managern oder Ärzten stehen allerdings Nischen wie die Senior Expert Services offen. Viele Universitäten bieten ein „Seniorenstudium“ an, das nicht für ein berufliches Ziel qualifiziert, sondern für Allgemeinwissen und Erbauung in schöngeistigen Bereichen sorgt. In den regulären Lehrveranstaltungen, in denen der Senior zugelassen ist, ist er belächelter Außenseiter („Dieser ältere Herr, zu dem wir nett sein müssen.“). Für weniger Gebildete kommen sie erst gar nicht in Frage. Geistige und künstlerische Betätigung setzen Fähigkeiten voraus, die sich der Normalrentner nie aneignen konnte. Schon das Erlernen einer Fremdsprache oder eines Musikinstruments ist, sofern nicht schon Vorkenntnisse vorhanden sind, für viele zu schwer oder zu anstrengend. Und es fragt sich, ob sich die Mühe lohnt. Viele Rentner wollen sich auch gar keine Mühe mehr machen. Sie erleben die Befreiung vom Zwang zur Arbeit als eine Art positiven Lebensinhalt „Ich bin jetzt seit acht Jahren in Rente. Aber jeden Morgen, wenn ich aufstehe, freue ich mich noch, dass ich nicht arbeiten muss. Und wenn ich abends ins Bett gehe, freue ich mich auch, dass ich nicht mehr arbeiten muss, owohl ich gerne gearbeitet habe“ (Generali 2012, 461) „Das Besondere am Rentenalter ist für mich, dass ich meinen Tag so gestalten kann, wie ich das möchte“ (Generali 2012, 464)

Aber der immerwährende Urlaub ist nicht Sonne, Strand und All Inclusive – eine Spaßveranstaltung, die man sich mehr oder weniger vorgefertigt kauft. Vielmehr muss man nun selbst seinen Tag füllen und hat dafür auch kein zusätzliches Urlaubsbudget zur Verfügung. Arbeitsähnliche Tätigkeiten und unumgängliche Abläufe gibt es auch im Ruhestand: Besorgungen, Haushalt, Essen, Schlafen. Diese werden nun bei den meisten zu wesentlichen Strukturelementen des Alltags. Aufgaben, die man früher schnell nach der Arbeit erledigen musste wie Einkaufen, Haushalt/Garten, Kochen, werden nun zu Haupttätigkeiten. Zusätzlich gibt das Fernsehprogramm Fixpunkte der Tagesgestaltung vor

Zusammenfassung der Tagesabläufe von Männern: Aufstehen, frühstücken und Zeitung lesen, Besorgungen machen, rumpuzzeln, Haus-/Gartenarbeit – unterbrochen von Mittagessen und Kaffee trinken – Abendessen, fernsehen, schlafen (Opaschowski/Reinhardt 2007, 73) Zusammenfassung der Tagesabläufe von Frauen: Aufstehen, frühstücken und Zeitung lesen, kleine Erledigungen machen, Mittagessen kochen und essen, ausruhen, Kaffee trinken, Hausarbeiten, kleine Dinge erledigen, Abendessen, fernsehen, lesen, schlafen (ebd. 73) Während beispielsweise ehemalige Führungskräfte oder Lehrer sich um eine bewusste Strukturierung ihres Alltags bemühen, steht beim einfachen Volk das „Ruhe Haben“ an erster Stelle: Ein ehemaliger Direktor: „Mein Alltag gliedert sich, so kann man es sagen, in Tausende Miniprojekte, die ich sorgfältig abarbeite. Das gibt mir die Gewissheit, dass ich meine Zeit sinnvoll verbringe. Entscheidend dafür ist, dass man bestimmten Routinen folgt und nicht einfach so in den Tag hineinlebt. Ich schlafe jetzt zwar eine Stunde länger als früher, aber spätestens um acht lege ich los“ (SZ Magazin 38/2013, 54) Ein ehemaliger Bäckermeister: „Für den Ruhestand habe ich mir nichts Besonderes vorgenommen. Aber eines war mir klar: Ich will mich nicht mehr anstrengen. Ich finde das fürchterlich, wenn sich Leute in meinem Alter noch so aufführen, als müssten sie Bäume ausreißen. Ich werde keine Fernreisen machen, mir keine Harley-Davidson kaufen und auch bestimmt nicht mit dem Rennrad rumrasen. Ich will jetzt einfach meine Ruhe haben. Und ich habe mir geschworen, nie wieder etwas zu backen“ (ebd.) Das zurückliegende Arbeitsleben wird von vielen als so belastend empfunden, dass sie den Eintritt in den Ruhestand als Befreiung erleben und diese Befreiung als Inhalt ihres Lebensabends inszenieren „Ein neues Recht auf ‚Vergnügen, Freude, Spaß‘ wird postuliert und Ansprüche auf ein eigenes, neues Leben werden angemeldet“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 71) Die Wahrnehmung dieses Rechts führt die Mehrheit der Senioren jedoch weder ins Spielcasino noch auf den Golfplatz. Diese Orte sind wenigen Bessergestellten vorbehalten. Die übrigen versehen einfach ihren Alltag mit einem Glorienschein, was ja auch viel billiger kommt. Verschiedene Forscher haben darüber berichtet, welche Bedeutung des Frühstück als Inbegriff der späten Freiheit für die Senioren hat. Das „ausgiebige, gemütliche Frühstück“ mit Zeitungslektüre stellt für viele den ultimativen Gegensatz zu der Hetze des Berufslebens dar und wird gerade deshalb genossen (vgl. Opaschowski/Reinhardt 2007, 72, Denninger et al. 2014, 220f.) An die Stelle des durchgetakteten Berufsalltags treten in den meisten Fällen keine selbstgesetzten Ziele und Planungen, sondern Gewohnheiten „Paradox ist, dass die Gewohnheit denen, die nichts tun noch unentbehrlicher ist als denen, die aktiv sind: Wenn sie nicht ganz in der trägen Stagnation der Tage versinken wollen, müssen sie ihr einen starren, genau festgelegten Zeitplan entgegenstellen“ (Beauvoir 1977, 610) Gewohnheiten geben Sicherheit. Neue Anforderungen und Situationen irritieren, werden als Störung, gar als persönliche Kränkung empfunden. Dass die Straßenbahn plötzlich in einem anderen Takt fährt, dass der Bäcker umgezogen ist, bedeutet, dass man sich umstellen, anpassen muss. Diese Mühe ist mit „meine Ruhe haben“ nicht zu vereinbaren. Alltägliche Aktivitäten werden – besonders im höheren Alter – zeitlich gedehnt und intensiviert, einerseits weil man dafür länger braucht als früher, andererseits aber auch, weil sie zum eigentlichen Inhalt des Tages werden. Besorgungen werden zum Einkaufsbummel ausgedehnt, für die Gartenarbeit nimmt man sich mehr Zeit, macht Pausen zwischendurch, plaudert mit den Nachbarn. Die Frau putzt nun die Fenster alle zwei Wochen, nicht wie früher alle zwei Monate und bügelt die Stoffbeutel, mit denen sie zum Einkaufen geht. So kommt es dazu, dass Rentner „keine Zeit haben“ (vgl. auch Opaschowski/Reinhardt 2007, 97) „Nein, man hat gar nicht mehr Zeit! Das ist schwer zu beantworten. Es hat schon eine Freiheit, aber man verplant sich den Tag anders. Meistens schafft man gar nicht, was man sich vorgenommen hat. Das erzeugt einen gewissen Druck“ (Generali 2012, 481) Und was schafft man so alles? „Und um acht rum geht dann das Leben los, dass ich da was mache. Man geht in den Keller, bastelt irgendwas, baut irgendwas, repariert irgendwas oder geht auf’n Boden und macht da irgendwas, räumt was auf“ (Denninger et al. 2014, 237f.) „Du möchtest die Wohnung tipptopp haben, so, das dauert länger, so, dann gehst du mal einkaufen, so und das ist der Winter jetzt und im Sommer dann, sobald früh der Haushalt erledigt ist, ab in‘ Garten, so das wars dann. Und von wegen Erholung, ja, das ist keine Erholung bei mir“ (ebd. 238) Solche Äußerungen nennen Denninger/van Dyk/Lessenich/Richter in ihrer Studie zum „Leben im Ruhestand“ (2014) „busy talk“ und ordnen sie einer „Ruhestandsmoderierung“ zu, die die Zeiteinteilung und die Selbstwahrnehmung der Rentner bestimmt60. In der Tat pflegen viele ein Selbstbild des Beschäftigtseins, mit dem sie sich von einem passiven Ruhestand auf der Couch vor dem Fernseher abgrenzen und sich zugleich ein Alibi dafür geben, dass sie mit ihrer vielen Zeit einfach nichts anzufangen wissen. Da spukt im Hinterkopf der Gedanke eines „sinnvoll“ verbrachten Ruhestands ebenso wie die Lebenslüge, dass man für den ganzen Verzicht während des Berufslebens im Alter belohnt wird und alles nachholen kann. Jetzt, da es soweit ist, will man sich die Passivität und Langeweile und die eigene Enttäuschung darüber nicht eingestehen. Lieber macht man sich vor, dass man zum Eigentlichen einfach nicht kommt. Die in der genannten Studie Interviewten weisen nachdrücklich auf ihren vollen Terminkalender hin, und die Autoren konstatieren: „In anderen Lebensphasen als dem Alter wäre die Nutzung eines Kalenders nicht der Rede wert“ (ebd. 237) 60 Vgl. Denninger et al. 2014, S. 235 ff. Dabei steht in der Rangreihe der Alltagsaktivitäten das Fernsehen an erster Stelle vor dem Zeitunglesen und noch vor Einkaufen und Kochen (vgl. Generali 2012, 138)

Es gibt allerdings auch eine Minderheit wirklich beschäftigter Senioren. Das sind oft Frauen mit einer klassischen Hausfrauenbiografie, die keinen Übergang in den Ruhestand kennt. Sie übernehmen aus Pflichtgefühl Pflege- und Sorgetätigkeiten in und außerhalb der Familie manchmal bis zur Selbstaufopferung. Auch sind es mehrheitlich Frauen, die aus finanziellen Gründen noch in einem Minijob arbeiten. Ehrenämter und künstlerische oder beratende Tätigkeiten werden zumeist von bürgerlichen, gebildeten Pensionären ausgeübt. Eine Studie von 2009 (Hollneck 2009) befasst sich mit der „Freizeit“ der Ruheständler und bestimmt zunächst ihre Dauer: Abzuziehen von der freien Zeit sind dabei schon einmal die physiologischen Grundbedürfnisse, wobei die meiste Zeit der Nachtschlaf mit einer Dauer von rund siebeneinhalbStunden einnimmt. Auf die Mahlzeiten einschließlich Zubereitung entfallen vierdreiviertel Stunden. Da bleibt man offenbar beim Nachmittagskaffee noch eine Weile sitzen. Das „ausgiebige Frühstück“ mit Zeitungslektüre kann auch schon einmal eineinhalb Stunden dauern. Eine Ruhephase während des Tages umfasst im Durchschnitt 30 Minuten. Die tägliche Hausarbeit, wie Einkaufen (Einkaufsbummel?), Aufräumen und Wäsche, nimmt ca. drei Stunden in Anspruch. Damit stehen also im Durchschnitt achteinviertel Stunden als potenzielle Freizeit zur Verfügung. (Bis zu neuneinhalb Stunden bei ostdeutschen Männern, sechseinhalb Stunden bei westdeutschen Frauen.) Diese potenzielle „Freizeit“ ist allerdings nicht die tatsächlich freie, nutzbare Zeit, da andere verpflichtende Tätigkeiten, wie zum Beispiel Arztbesuche oder die tägliche Körperpflege (nach deren Dauer wurde nicht gefragt) abgezogen werden müssten (vgl. Hollneck 2009, 19). Dennoch ist es ein beträchtlicher Zeitraum, der in etwa einem Arbeitstag entspricht. Diesen kann man nun mit eigenen Projekten und Aktivitäten gestalten. Er wird allerdings überwiegend mit Fernsehen, Zeitunglesen und „Zeit mit der Familie Verbringen“ gefüllt (vgl. Generali 2012, 138). Spazierengegangen wird zwei- bis dreimal in der Woche, Freunde und Bekannte besucht man im Schnitt alle zwei Wochen. Entgegen dem allgemeinen Eindruck vom Klientel der Volkshochschulen nehmen von den in dieser Studie Befragten nur 18,7 Prozent regelmäßig an Weiterbildungsveranstaltungen teil. Kino- und Theaterbesuche stehen bei dreiviertel der Befragten zwei- bis dreimal im Jahr auf dem Programm. Im „kreativen“ Bereich rangiert das Rätsel Lösen mit 76,5 Prozent der Befragten, die dies zwei- bis dreimal in der Woche tun, weit vor Fotografieren, Heimwerken und Handarbeit. Musizieren/Singen geben immerhin noch 25,9 Prozent als gelegentliche Aktivität an (ebd. 22f.) Hobbies und Ehrenämter werden nur selten ausgebaut oder neu aufgenommen. Der große Aufbruch zu neuen Aktivitäten findet mehrheitlich nicht statt. Das bestätigen auch die Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys (vgl. BMFSFJ 2013, 17) „Die Rentner in Deutschland vermitteln auf den ersten Blick nach wie vor das traditionelle Bild vom beschaulichen Lebensabend zwischen Frühstück, Gartenarbeit und Mittagsschlaf. Objektiv haben sie zwar mehr Zeit für Sport, Kultur und Bildung, subjektiv behalten sie aber ihre alten Lebensgewohnheiten weitgehend bei“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 72)

Bei den außerhäusigen Freizeitaktivitäten stehen nach der Studie der „Zukunftsforscher“ Opaschowski und Reinhardt „Spazierengehen“ und „Einkaufsbummel“ an der Spitze der Aktivitäten, die wenigstens einmal im Monat stattfinden, alle anderen wie Sport, Essen gehen, Tagesausflüge werden von weniger als der Hälfte der Befragten ausgeübt. Weniger als die Hälfte der Befragten geht gelegentlich in die Oper, ins Theater oder ins Museum (Opaschowski/Reinhardt 2007, 87). Städtereisen und Kreuzfahrten findet die Mehrheit zwar interessant, aber nur 40 bzw. 6 Prozent der von den Zukunftsforschern Befragten haben in den letzten zwölf Monaten daran teilgenommen (ebd. 91) Das Publikum klassischer Konzerte und anderer Kulturveranstaltungen ist zwar mehrheitlich älter, dabei handelt es sich aber (schon aus Finanzgründen) eher um pensionierte Beamte, ehemalige Lehrerinnen und Zahnärzte im Ruhestand. Der Normalrentner fühlt sich davon weniger angesprochen. Eine beliebte Rentnerbeschäftigung (bei Männern) ist dagegen das „Kiebitzen“ beim Training des örtlichen Fußballvereins. Es kostet nichts, man kann sich untereinander fachlich austauschen, mit Expertenwissen glänzen und über die Spieler und das Vereinsmanagement lästern

Der Ruhestand muss ein Erfolg sein. Dass finanzielle und gesundheitliche Einschränkungen sie an einer eigentlich gewünschten oder geplanten Gestaltung ihres Ruhestands hindern, wird nur von wenigen thematisiert. Der Traum von der großen Freiheit nach dem Beruf war schon wenig konkret. Gerade einmal das Reisen hatten sich viele vorgenommen. Manche tun es, viele können es sich nun nicht leisten oder es wird ihnen zu mühsam. Andere wollten einfach nur „tun und lassen, was ich will“ oder „einfach meine Ruhe haben“ Wie realisiert sich nun der Lebenstraum? Allen Studien, die alte Menschen nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen, ist gemeinsam, dass sie hohe Positivwerte ermitteln. Nach dem Alterssurvey 2014 geben zum Beispiel 80,1 Prozent der über 70-Jährigen eine hohe Lebenszufriedenheit an. In derselben Altersgruppe berichten aber auch 33,1 Prozent, an mindestens leichten Depressionen zu leiden (vgl. Wolff/Tesch-Römer 2016, 180) „Zufriedenheit und Glück im Ruhestand bekommen die Ruheständler nicht einfach geschenkt. Sie ‚müssen‘ schon selbst etwas daraus machen, um auch vor sich selbst bestehen zu können“ (Opaschowski/Reinhardt 2007, 114) Die Enttäuschung darüber, dass ihnen ein Leben voll Arbeit und Entbehrungen nichts anderes eingebracht hat als das soziale Abstellgleis, will bewältigt sein. Um sich zu bestätigen, dass sie nichts falsch gemacht, ihr Leben nicht verpfuscht haben, müssen sie sich ihren Ruhestand als Erfolg deuten. Von der Glorifizierung des Alltags im Ruhestand war schon die Rede. Zu einer erfüllten Lebensphase wird dieser durch die Abgrenzung vom Alter. „Alter“ ist die Negativfolie, vor der das eigene Leben glänzt. „Alter“ bedeutet Gebrechlichkeit, Passivität und Rückständigkeit. Also stilisiert man sich als Mensch mit vielen Interessen und Beschäftigungen. Nach den Erkenntnissen der Generali-Studie würde sich mehr als die Hälfte der 65- bis 85-Jährigen nicht als „alten Menschen“ bezeichnen. Nach ihrem „gefühlten“ Alter gefragt, geben die meisten 10 bis 15 Jahre weniger als ihr wirkliches Alter an (vgl. Generali 2012, 523f.) Dass sie sich wie 30 fühlen, also tatsächlich als nicht alt, möchten sie dann doch nicht behaupten. Ein bekanntes Phänomen ist die – wirkliche oder vorgegebene – Selbstdisziplinierung der „Unruheständler“61. Beschäftigungen werden oft nicht intrinsisch begründet, sondern mit dem Ziel „Beschäftigung zu haben, keine Langeweile zu haben“ (Denninger et al. 2014, 230). Aktivität in all ihrer Inhaltslosigkeit wird von vielen als Imperativ für das Leben im Alter vorgebracht. 61 Siehe auch: Denninger et al. 2014, Hasmanova Marhankova 2011 „Weil man eben was machen muss. Also man muss sich auch zwingen“ (Denninger et al. 2014, 247) Solche Äußerungen verleiten manche Forscher (z. B. Otten in seiner 50+-Studie62) umstandslos den Typus des aktiven Alten zu kreieren, der bald den Arbeitsmarkt stürmen wird. Die Generali-Altersstudie wertet es – im Einklang mit den Interviewten - schon als Aktivität, wenn jemand nicht den ganzen Tag im Bett bleibt: 62 Otten 2008: „Etwa 30 % der Befragten möchten in ihrem Beruf weiterarbeiten, und 30 % wollen in anderer Form weiterhin etwas Vergleichbares tun, weil der beschriebene Zusammenhang zwischen Arbeit und Lebenssinn jedem klardenkenden Menschen schon immer bekannt war“ (S. 232). Und wenn nun die Befragten einfach ihre soziale Gesinnung zu Protokoll gegeben haben? „Viele der Älteren, die wir porträtiert haben, sind trotz ihres teilweise hohen Alters noch sehr aktiv und jeden Tag unterwegs. Für viele gehört die Bewegung an der frischen Luft zum täglichen Pflichtprogramm“ (Generali 2012, 384) Das Mantra „Aktivität“, mit dem die Menschen den Fluch des Ruhestands, das Ausgegrenzt- und Abgeschriebensein, das für sie „Alter“ bedeutet, bannen, nehmen diese Forscher für bare Münze und loben sie dafür. Es geht nicht darum, dass die als Beleg angeführten Aktivitäten wie Spazierengehen, Sport, Autofahren zu irgendetwas gut sind, sondern, dass sie überhaupt stattfinden. Wie Denninger et al. (2014) in ihrer Studie feststellten, sind viele der geschäftigen Senioren auch „Praktiker der Zeitdehnung und Zeitverknappung“, deren Tag häufig schon am Nachmittag oder frühen Abend endet. Da bleibt um vier Uhr schon „nicht mehr viel vom Tag“ und wenn eine Tätigkeit einmal zwei Stunden dauert, „ist der halbe Tag weg“ (ebd. 266) Die eigene Agilität, deren Belege meist sehr allgemein ausfallen, wird gern in der Abgrenzung zum Ruhestand „der anderen“ oder der Eltern unterstrichen. Die sind geistig eingerostet, sitzen schon vormittags auf der Couch vor dem Fernseher und wissen nichts mit sich anzufangen: „Die wussten nichts mit sich anzufangen außer spazierengehen.“ „Abends fernsehen, sich um die Enkelkinder kümmern, was weiß ich. Hauptattraktion ist für die, wenn man mal miteinander zum Essen geht.“ „Aber ich, also ich habe ja keine Minute Langeweile.“ (Zitate aus Interviews in Denninger et al. 2014, 231 ff.) Aber auch sinnlose Aktivitäten der „anderen“ werden aufgerufen, um den eigenen erfüllten Lebensabend zu konturieren: „Ich fummele nicht jeden Tag mit dem Staublappen rum, das mache ich nicht. Nur dass die Zeit vergeht“ (ebd. 269). „Ich habe einen Freund, der ist mittlerweile 75 oder 78, der nummeriert die Blätter, wenn sie runterfallen, ja, damit er auch alle einsammeln kann“ (ebd. 278) Mit dem Aktivitätsmantra dementiert man nicht nur das eigene Alter, sondern bannt auch den körperlichen und geistigen Verfall. Dem vielbeschworenen Rezept „Bewegung“ zur Erhaltung der Gesundheit ist allerdings oft schon mit einem Spaziergang Genüge getan. Und große geistige Anstrengungen werden auch eher nicht unternommen: „Man muss sich bissl interessieren auch“ (ebd. 247) Es ist kein Wunder, dass Menschen, die während ihres Arbeitslebens größtenteils sowohl körperlich als auch geistig nur einseitig gefordert waren und keine breiten Interessen und Kompetenzen entwickeln konnten, sich im Alter, wenn sie ausgepowert sind, dazu auch nicht mehr in der Lage sehen. Insofern sind die Ansprüche, die sie an sich stellen, zumeist gering. Manche bekennen sich in Abgrenzung von sinnloser Betriebsamkeit auch dazu, dass sie es ruhig angehen lassen. Der Topos vom wohlverdienten Ruhestand ist dabei willkommene Legitimation „Also ich sehe das durchaus als ne Phase, die wofür ich das Recht erworben habe, das auch so zu genießen“ (ebd. 260) Der Aufruf der Politik zum gesellschaftlichen Engagement der Älteren, wie er in der Studie von Denninger et al. mit den Interviewten explizit diskutiert wurde (334ff.) wird daher auch kritisch gesehen. Man hat sich den Ruhestand redlich verdient und möchte nicht wieder in die Pflicht genommen werden. Ehrenamtliche Tätigkeit sollte freiwillig bleiben. Manche vermissen auch entsprechende Opportunitätsstrukturen. Nach der Generali-Altersstudie, die den Begriff des Engagements sehr breit fasst, sind 45 Prozent der Senioren – überwiegend mit höherer Bildung - ehrenamtlich aktiv, vor allem in der Kirchengemeinde und in den Bereichen Freizeit/Geselligkeit, Sport/Bewegung, Kultur und Gesundheit. Im Schnitt werden dafür wöchentlich vier Stunden aufgewendet (vgl. Generali 2012, 343ff.). Man möchte „etwas Sinnvolles“ tun, aber auch noch gebraucht und anerkannt werden. Das Gefühl, ausgegrenzt und abgeschoben zu sein, äußern vor allem Menschen, die einen vorzeitigen Ruhestand antreten mussten. Dass ihre Erfahrungen und ihre Maßstäbe ungültig geworden sind, müssen jedoch fast alle einsehen. Sie sind „ins Ghetto ihrer eigenen Zeit“ verbannt „Sie [die Kinder] brauchen mich nicht mehr und das fühle ich schon. Das ist sehr traurig. Wir Alten werden nicht mehr gebraucht, wenn wir nicht mehr so können und abgesehen davon weiß die Jugend von heute ja alles besser. Da wird nicht mehr die Mutter oder Oma nach Haushaltssachen gefragt oder wie man bügelt. Die laufen einfach ungebügelt rum und wollen es auch nicht mehr lernen. Die Mädchen von heute haben keine Aussteuer mehr und legen auch keinen Wert darauf, einen Haushalt zu führen. Die gehen ja alle selber arbeiten und wollen nicht mehr lernen, wie man etwas leicht flicken kann. Die schmeißen ja alles weg“ (Generali 2012, 440) „Ach die Computer machen heute alles kaputt“ (ebd. 410) „Heute gefällt mir die Zeit überhaupt nicht mehr. Also früher war sie besser, ruhiger. Da war nicht so viel Stress“ (ebd. 410) Gegen ihre Enteignung durch „die Zeit“ lehnen sich die Alten auf. Daraus, dass sie sich dem Neuen verweigern, beziehen sie ein Gefühl der Überlegenheit und ein Recht zur Kritik. Von der neuen Generation vergessen oder in Verruf gebracht, lehnen sie ihre Richter ab „Die jungen Leute können sich nicht benehmen. Aber dann den ganzen Tag mit dem Handy durch die Gegend laufen. Das kannten wir früher auch nicht. Wir waren ganz anders drauf als wie die heute“ (ebd. 411) Gekränkt schlagen sie zurück und entwickeln sich zu Nörglern, Besserwissern und Aufpassern, schreiben Leserbriefe und verbreiten Gerüchte in der Nachbarschaft „Sie [die Rentner] verpfeifen die Falschparker, drängeln sich immer vor, blockieren die Wartezimmer beim Arzt, sind nie dankbar und erwarten automatisch immer und in jeder Situation eine Entschuldigung. Und man bedenke: Damals war ohnehin alles besser“ (http://www.news.de/panorama/855559136/so-fies-sind-deutsche-rentner-generation-60-plus-meckern-motzen-klotzen/1/) Dazu kommt bei manchen das Gefühl einer schlechten Lebensbilanz und das Bewusstsein der Unabänderlichkeit ihrer Lage. Es gibt unter Rentnern keine Solidarisierung und sie haben keine Mittel, Druck auf Politik oder Wirtschaft für bessere Lebensbedingungen und mehr Teilhabe zu machen. Da liegt es durchaus nahe, sich durch Unhöflichkeit und Unangepasstheit bis hin zur Kriminalität zu rächen. Eine ältere Dame fährt in der Straßenbahn grundsätzlich schwarz. Zur Rede gestellt, protestiert sie: „Ich habe mein Leben lang Straßenbahn bezahlt!“ Wenn es schon keinen Lohn einer Lebensleistung gibt, muss man sich halt auch mal selbst bedienen. Der Welt der Erwachsenen und ihrer Moral fühlen sich viele Alte nicht mehr zugehörig. Manche sparen sich die Mühe gepflegter Umgangsformen, schlurfen in der alten Trainingshose zum Einkaufen oder plappern, was ihnen gerade in den Sinn kommt

6. Ausgedient, aber nicht außer Dienst: Angebote und Aufgaben für Ruheständler. Ruhestand und Alter, das ist für die Menschen, die es mit Arbeit zu nichts gebracht haben außer zu einer Altersrente und vielleicht noch zu einer Eigentumswohnung, eine prekäre Lebensphase, die von Abhängigkeit und Ausweglosigkeit geprägt ist. Dazu dauert sie oft länger als die Phase der Jugend, manchmal sogar als die der Berufstätigkeit (besonders bei Frauen), macht daher einen großen Teil des Lebens aus. Risikogruppe Senioren. Eine ganze Sozialindustrie kümmert sich um die Belange dieser großen Risikogruppe. Die sozialpolitischen Rahmenbedingungen dafür werden in der „Altenhilfe“ bzw. seit einigen Jahren in den von den zuständigen Länderministerien geforderten „Seniorenpolitischen Gesamtkonzepten“ definiert. Seit 1992 legt das Seniorenministerium regelmäßig einen Bundesaltenplan vor, der Richtlinien für die Förderung seniorenpolitischer Projekte enthält. Er bezieht sich auf eine UN-Aktion für Altersfragen und ist Planungsgrundlage auch für die Bundesländer und Gemeinden, die die fiskalischen Grundlagen schaffen und die praktische Altenhilfe finanzieren müssen „Grundlegende und bedeutende Anliegen sind dabei die Gewährleistung von Schutz und Hilfe im Alter, die aktive Partizipation und Aktivierung der Potenziale von älteren Menschen sowie die Unterstützung von behinderten älteren Menschen für ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Richtlinien für den Bundesaltenplan vom 17. Februar 2009) In den Kommunen, die die Angelegenheiten für ältere Bürger wahrnehmen, gibt es häufig auch Seniorenvertretungen mit beratender Funktion. In einigen Bundesländern, haben sich die einzelnen städtischen Seniorenvertretungen zu einer Landesseniorenvertretung zusammengeschlossen. Die Bundesländer Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben ein Seniorenmitwirkungsgesetz, das die Rechte der Seniorenvertretungen wie z. B. Rederecht in Ausschüssen regelt und ihnen Aufgaben im Zusammenhang mit Information und Öffentlichkeitsarbeit zuweist. Altennachmittage und Seniorenmagazine. Die Angebote für Senioren von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Kommunen umfassen Betreuung und – kostengünstige – Unterhaltung. Da gibt es Hilfe zur Alltagsbewältigung, Gymnastik, Sturzprävention und Pflege, Wanderungen und Fahrten, Bastelstunden und Kaffee- und Kuchennachmittage. Sportvereine gehen mit Seniorenclubs auf die Bedürfnisse Älterer ein. Für die noch Bildungswilligen gibt es Seniorenkurse der Volkshochschulen und Altenakademien: Deren Programme reichen vom Aquarellkurs und Singkreis über den philosophischen Stammtisch bis hin zum kunstgeschichtlichen oder landeskundlichen Vortrag. Zumeist merkt man ihnen die Infantilisierung und Entmündigung an, die den Umgang mit alten Menschen generell prägt. Denn auch hier stehen Betreuung und Beschäftigung im Vordergrund, weniger die Förderung selbstbestimmter Ziele und Interessen. Das Echo bei potenziellen Teilnehmern ist daher auch nicht einhellig positiv. Zu denen, die nur noch „betüdelt werden“, will man nicht unbedingt gehören. Es kommt dementsprechend viel auf das Marketing solcher Angebote an. Diese stoßen auch durchaus auf Kritik von Sachwaltern der Altenkultur: „Seniorenorganisationen sollten nicht zulassen, dass Generationenghettos entstehen, wobei Ältere und Alte nur verwaltet, betreut und unterhalten werden, dass sie auf Tandaradei-Spielwiesen abgeschoben werden oder dass künstlerisch-kulturelle Aktivitäten Älterer und Alter nur unter therapeutischen und gesundheitsprophylaktischen Aspekten gesehen werden“ (Scholz 1994, 46) Aber unter welchen dann? Ernsthafte kulturelle Leistungen - ein Buch schreiben, in einem Orchester mitspielen, Porträts zeichnen, ein altes Gebäude restaurieren - verlangen neben manchem materiellen Einsatz Kenntnisse und Fertigkeiten, die einem nicht mit dem Renteneintritt zufallen. Solche Aktivitäten sind jenen Bildungsbürgern vorbehalten, die an berufliche Kompetenzen anknüpfen können oder entsprechende Hobbies schon lange vor dem Ruhestand gepflegt haben. Sie sind es, die - oft auf respektablem Niveau - in Amateurorchestern oder –chören mitwirken, Theater spielen oder kunstgeschichtliche Führungen veranstalten, während bei den weniger Gebildeten das anspruchslose Malen, Töpfern oder Singen im Rahmen therapeutischer Beschäftigungsprojekte stattfindet. Seniorenmagazine und –portale bieten neben Informationen und Beratung zu Gesundheits- und Pflegethemen heitere und besinnliche Kolumnen rund ums Älterwerden, alltagspraktische Tipps und Vernetzungsmöglichkeiten, sogar die Partnersuche im Alter wird unterstützt. Manche der Tipps und Informationen sind dabei gar nicht von der Hand zu weisen, nur fragt man sich, warum es dafür spezielle Seniorenpublikationen braucht. Zu den zentralen Themen Gesundheit, Ernährung, Reisen, Finanzen und Wohnungsgestaltung gibt es ausreichend Informationsquellen. Offenbar wird Senioren deren Nutzung nicht mehr zugetraut. Viele Texte lesen sich denn auch so als seien sie für geistig Minderbemittelte geschrieben. Beispiele: „Bewegung hebt die Stimmung und steigert die Lebensfreude. Außerdem wird die Beweglichkeit der Gelenke verbessert, deshalb ist es wichtig, sich immer in Schwung zu halten (sechs+sechzig 2/2010, 17) „Gartenarbeit ist vielen Menschen ein Lebensbedürfnis geworden. Kaum eine andere Freizeitbeschäftigung ist so vielseitig und so interessant. Im Garten findet jeder, gleich welcher Tätigkeit er sonst nachgeht, Erholung und Entspannung. Die Gartenarbeit bietet geistigen und körperlichen Ausgleich, hat darüber hinaus den Vorzug, nicht nur dem einzelnen, dem unmittelbar im Garten Wirkenden, von Nutzen zu sein, sondern unserer ganzen Gesellschaft. Gut gestaltete Kleingartenanlagen und Siedlungen verschönern unsere Städte und Dörfer“ (https://www.planetsenior.de/garten/) Der aufmunternde Ton zieht sich durch sämtliche einschlägige Publikationen. Alte Menschen benötigen offenbar Motivationshilfen gegen ihre Lethargie und ihren Missmut. Aufrufe zum erfolgreichen Altern beherrschen entsprechend das Themenspektrum

„Filmtipp: Kopfstand statt Ruhestand. ‚Ausruhen können wir uns nach dem Tod.‘ Nach diesem Motto leben und bewegen sich etliche Weltmeister in spe. Das Besondere daran: Sie sind zwischen 80 und 100 Jahre alt. Fünf dieser Athleten hat Regisseur Jan Tenhaven in seinem Film ‚Herbstgold‘ bei den Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaften in Finnland beobachtet. Mit Ehrgeiz und Humor trotzen sie der eigenen Vergänglichkeit“ (2/2010, 29) „Das Kunststück, ihre Schülerinnen bis heute für sich zu begeistern, ist der mittlerweile 83-jährigen Erika Fischer von der Herschelschule in Nürnberg geglückt. Immer noch treffen sich die Lehrerin und ihre einstigen Volksschülerinnen, um gemeinsam zu singen“ (2/2010, 6) Alle Geschichten von glücklichen Alten unterstellen ihre Adressaten als grämliche Greise, die – analog zu weinenden Kindern – mit Trost und Ablenkung versorgt werden müssen. Seniorenpädagogik? In den fünfziger Jahren forderte der Soziologe René König eine „Alterserziehung“ „Was uns nottut, sind aber gewissermaßen eigene Schulen für das Alter, denen vor allem das aus anderen Zeiten stammende Vorurteil im Wege steht, dass das ‚Alter eine Erfüllung‘ sei, während es heute in Wahrheit in völliger Hilflosigkeit vor den Anforderungen an neue Akte des Lernens und der Anpassung steht“ (König 1965/1973, 141) Er hält es also für falsch, dass von alten Menschen nichts mehr verlangt oder erwartet wird, dass man sie also in Ruhe lässt. Dabei müssten auch die „Desozialisierungsprozesse“ analog zur Erziehung der Jugend für die Anforderungen der Gesellschaft gesteuert und kontolliert werden, denn: „Für unsere Gesellschaften ist aber die Dringlichkeit einer Lösung dieses Problems ganz unfraglich da, weil eben die Situation der Lebensgestaltung nach 65 Jahren für außerordentlich viele Menschen gelöst werden muß. Ein Ausdruck der Unklarheit in dieser Hinsicht ist das vorher gestreifte Problem der Altersdelinquenz. Man muß sich aber davor hüten, die Dinge ausschließlich in ihrer dramatischen Zuspitzung zu betrachten. Vielmehr müssen wir damit rechnen, daß es eine feingegliederte Systematik des altersbedingten abweichenden Verhaltens gibt, die bis heute völlig unerforscht ist“ (ebd. 145) Der Soziologe postuliert eine Dunkelziffer altersbedingter Vergehen, die offenbar nur in ihren „dramatischen“ Ausprägungen –Betrugs- und Sittlichkeitsdelikte –auffällig werden und ansonsten überhaupt erst noch entdeckt werden müssten. Ihm fehlt eine institutionalisierte Kontrolle der Alten. Die Schwierigkeit liegt aber nicht nur darin, dass ihr „abweichendes Verhalten“ so schwer fassbar ist, sondern auch darin, dass der Zweck einer Alterserziehung überhaupt unklar ist. Aber geben muss es sie auf alle Fälle: „Der Austritt aus der Gesellschaft erfordert also die gleiche Aufmerksamkeit wie der Eintritt in sie.Nicht nur der Aufbau der sozial-kulturellen Persönlichkeit ist ein weitschichtiges Problem, sondern auch ihr Abbau im hohen Alter. Dabei stehen wir hier vor einer doppelten Schwierigkeit. Einerseits tappt die Wissenschaft auf diesem Gebiet noch weitgehend im Dunkeln, andererseits sind sich unsere fortgeschrittenen Industriegesellschaften selber nicht klar darüber, wie ein adäquates Verhaltenssystem im höheren Alter auszusehen hat“ (ebd. 146) Vierzig Jahre später hat die Wissenschaft noch immer keine Lösung für diese Probleme. Daher delegiert sie diese an Betroffenen selbst. Denn inzwischen gilt ja: Die Alten gibt es nicht: „Nichts war in der soziologischen Analyse so falsch wie die Anomie-Vermutung, daß Berufsabbruch eine allgemeine Desozialisation bedeuten könnte und daß alte Leute Beute politischer und sozialer Agitation oder radikaler Parteienvertreter werden müßten. Die immer nur marginalen Chancen von Altersinteressen-Parteien zeigen das“ (Göckenjan 2000, 397. Es wird also Entwarnung bezüglich der Gefahr durch kriminelle Rentner gegeben. „Homogene Verhaltensmuster“ (ebd. 418) möchte die Soziologie nicht mehr vorschreiben. Angesichts der „sozialpolitischen Strukturierung des Alters“ (ebd. 417) kann auf die moralische Anstalt durchaus verzichtet werden. Aber eine Aufgabe für den einzelnen bleibt das Alter doch: „Alter ist seit den 80er Jahren fraglos von einem Abgrenzungskonzept zum Gestaltungsprojekt geworden, und so ist die Angst vor dem leeren Raum eingefangen. Alter ist das Leben in einer u. U. lange andauernden Statuspassage, ist andauernde Anpassung an Veränderungen und entsprechend andauernde Selbsterfindung“ (ebd. 418) Aber sind die Senioren damit nicht überfordert? Brauchen sie nicht vielleicht doch Orientierung und Vorgaben durch eine entsprechende Bildung? Sich selbst überlassen, neigen sie, vielleicht nicht zum Verbrechen, so doch zum Unsinn: „Die hohe Variabilität des Lebens im Alter, seine individuelle Eigentümlichkeit und die offenbare Schwierigkeit, erfolgreiches (Hervorh. d. Verf.) Altern einvernehmlich zu bestimmen, werden als Narren- oder Willkürfreiheit der Alten interpretiert. Das gibt desto dringender Anlass, darüber nachzudenken, ob unsere Gesellschaft sich auf Dauer eine große Zahl funktionsloser alter Narren leisten kann und will, oder ob es eher wahrscheinlich ist, dass die Willkürfreiheit der alten Närrinnen und Narren durch Zuweisung von Funktionen mittelfristig wieder beschränkt werden wird – wenn die Alternden ihre Funktion und Rolle nicht vorher selbst neu bestimmen“ (Faulstich 2009, 11) Das Letztere wäre natürlich wünschenswert, wenn schon Wissenschaft und Gesellschaft keine Anleitung zu bieten haben. Dagegen haben zahlreiche Bildungsanbieter die geforderte Sinnfindung für ausgemusterte Menschen im Programm. Diese geraten allerdings schnell in den Verdacht, nur Kasse machen zu wollen: „Wenn kein Sinn (mehr) gesehen wird in weiterer Bildungsakkumulation, dann braucht es allerdings Seminare, die ihren Sinn erst einmal finden lernen lassen, die den Alten, die in die erwerbsarbeitsfreie Lebensphase übergehen, aufzeigen, was sie dann noch ‚Sinnvolles‘ tun können – um dies schließlich als Ergebnis eines autonomen Erkenntnis- und selbstgesteuerten Entscheidungsprozesses verstehen zu können. … Wäre es nicht angemessener, die Alten selbst entscheiden zu lassen, was sie tun wollen und was nicht, anstatt ihnen das Gefühl zu suggerieren, ohne entsprechende Aktivitäten nur noch ‚altes Eisen‘ zu sein?“ (Bolder 2009, 26) Da sind wir wieder: Die Alten selbst sollen entscheiden. Und wenn sie keine Bildung mehr wollen, dann eben nicht. Ratgeber für einen erfüllten Ruhestand. Auch ohne wissenschaftlichen Beistand sind sie aber mit ihren- wirklichen oder vermeintlichen – Sorgen nicht alleingelassen. Eine umfangreiche Ratgeberliteratur bietet Hilfen zur Gestaltung der letzten Lebenphase an. Wie sieht dabei aber die Problemdiagnose aus? „Viele Rentnerinnen und Rentner, die ihre Freiheit in der ersten Phase ihres neuen Lebensabschnittes in vollen Zügen genießen, fallen schon kurze Zeit später in ein Loch“ (Giersberg 2008, 27) „So ein Pensionierungsschock kann immer dann einsetzen, wenn Ideen für ein aktives Leben im Ruhestand fehlen. Wenn erstmal die bisherigen Gewohnheiten fortgesetzt werden, aber keine neuen Aufgaben anstelle des Berufslebens treten“ (Bethke-Brenken/Brenken 2010, 27) „Wer sich aus seinem Berufsleben verabschiedet, für den geht es im Wesentlichen darum, sich in diese begrifflich negativ besetzte Schublade ‚Rentner/Pensionär‘ erst gar nicht packen zu lassen, bzw. sich möglichst schnell durch neues Tun und Kreativität daraus zu entfernen!“ (Stumpf 2008, 19) Was fehlt also dem Rentner? Was macht ihn unzufrieden und depressiv? Nach Ansicht der Ratgeber ist es nicht der Verlust von Status und Perspektiven, Gesundheit und Einkommen, sondern der Mangel an Beschäftigung. Der Mensch braucht eine Aufgabe, tönt es im Chor der Berater und Coaches. Das grenzt an Zynismus, denn als Rentner hat er ja keine mehr. Er hat seinen Dienst verrichtet, für weiteres wird er nicht gebraucht und ist er auch oft nicht mehr zu gebrauchen. Natürlich gibt es einen Ehrenamtssektor, der Rentner als Schülerlotsen, Lesepaten oder Helfer bei den Tafeln beschäftigt und damit den Kommunen Personalkosten sparen hilft. Aus dem Spektrum der gesellschaftlich relevanten und bezahlten Tätigkeiten, die als Hierarchie der Berufe organisiert sind, bleiben sie aber ausgeschlossen. Von ehemaligen Managern, die sich als Berater oder Senior-Experten betätigen können, ist hier nicht die Rede. Die fallen ja auch eher nicht in das „Rentenloch“ Der Rentner erfährt, dass es nur an ihm liegt, aus seiner unabänderlichen Lebenslage etwas zu machen. Dabei sollen ihn zum Beispiel „101 Ideen für den Ruhestand64“ oder 111 Gründe, sich auf die Rente zu freuen65“ unterstützen. Empfohlen wird häufig ein Surrogat der Berufstätigkeit, die nun auf einmal in rosigem Licht erscheint: „Ihr Arbeitsleben hat Ihnen laufend kleine und große Erfolgserlebnisse beschert. Sie haben etwas geleistet, produziert, geschaffen, konzipiert, fertiggestellt, erledigt. Es gab sichtbare Produkte und Ergebnisse, nachweisbare Erfolge. Sie haben positive Rückmeldungen, Lob und Anerkennung bekommen. Sie hatten das Gefühl, gebraucht zu werden. Nun ist es an Ihnen, einen Bereich zu finden, in dem Sie solche oder andere Erfolgserlebnisse genießen können“ (Giersberg 2008, 28) 64 Giersberg 2008. 65 Brost 2011. Mit großer Detailfreude werden daher Tätigkeiten aufgelistet, die dem Rentner helfen sollen, den Tag zu füllen: Vom Grünanlagen Betreuen über Hunde Ausführen, Kindern Vorlesen bis hin zu qualifizierten Aufgaben wie der Durchführung von Computer- oder Sprachkursen

Dass diese Bücher in irgend einem praktischen Sinn hilfreich sind, ist unwahrscheinlich. Eher werden sie als Geschenk für angehende Pensionäre gekauft. Der Beschenkte blättert dann gelegentlich darin, schmunzelt über die eine oder andere Idee und sagt sich dann: „Für so etwas habe ich gar keine Zeit.“ Für anspruchsvolle, dynamische Neurentner hält der Journalist Hauke Brost ein Füllhorn an Inspiration bereit: „Könnte nicht dort, wo früher die Kinder gewohnt haben, ein Café entstehen? … Oder man kauft sich einen rollenden Imbiss und fährt quer durchs Land mit dem witzigen Hänger, der natürlich ein Hingucker sein sollte. Wurst? Eis? Cocktails? Gefrorenes Joghurt aus der Softeis-Maschine, der ‚Hit‘ in New York und seit kurzem auch in Berlin? Popcorn? Pfannkuchen? Fischbrötchen? Die Maß Bier?“ (Brost 2011, 63) Andererseits preist er auch den Reiz des Dolce far Niente im Winter auf Fuerteventura: „Gibt es nicht dort, wo Sie gern Urlaub machen, ein kleines Apartment für wenig Geld? Natürlich gibt es das. Sie müssen nur danach suchen. Ihre einheimischen Freunde, die Sie dort in all den Urlaubsjahren gefunden haben, helfen Ihnen bestimmt gern. Sie brauchen keine Vollpension. Ein Weißbrot, ein guter Fisch direkt vom Kutter und eine Flasche Landwein: Alles zusammen für sieben Euro, und es ist eine volle Mahlzeit für zwei. Schmeckt auch garantiert besser als das Buffet im Hotel…“ (ebd. 85) Damit ist er beim kleinen Geldbeutel, der überhaupt ein Quell des Vergnügens ist: „Vielleicht haben Sie bisher die Nase darüber gerümpft. Aber Sie werden feststellen, dass Schnäppchenjagd wirklich Spaß macht. … Und Ihnen bleibt der Mund offen stehen, denn: halb so teuer, genauso gut. Das wussten Sie bisher gar nicht, weil Sie ständig im Stress gewesen sind und sich mit dem Thema noch gar nicht richtig beschäftigt hatten“ (ebd. 105). Gut, dass einem so ein Ratgeber einmal die Augen öffnet. Und „Sie werden ganz schnell merken, wie billig Ihre Frau (!) kochen kann – wenn Sie bei der Jagd auf Sonderangebote mithelfen und auch einmal bereit sind, mit dem Bus (!) ans andere Ende der Stadt zu fahren“ (ebd. 113) Aber nicht nur Beschäftigungsvorschläge haben die Ratgeber zu bieten. Auch bei der Strukturierung des Alltags bieten sie Hilfe an. Denn: „Es ist empfehlenswert, sich auf gewisse Routinen festzulegen. Das gibt Verlässlichkeit, ist eine gegenseitige Verpflichtung für Paare. Bei Alleinlebenden fördert die Festlegung eine innere Disziplin“ (Bethke-Brenken/Brenken 2010, 82). Damit die Alten nicht verlottern, wird ihnen ein Tagesplan vorgeschrieben:

Die Ausrede, dass man ja zu nichts kommt, ist hier schon einmal vorab entkräftet. Gute Planung ist alles. Das Programm ist zwar ambitioniert, unterscheidet sich aber im Prinzip nicht von einem ganz gewöhnlichen Rentneralltag. Offenbar geht es darum, dem Rentner ein Bewusstsein zu vermitteln, was er so alles schaffen kann. Der erfüllte Ruhestand besteht darin, dass keine Langeweile und auch kein Schlendrian aufkommt „Eine gewisse Planung soll spontane Handlungen nicht unterdrücken, aber sie ist für uns schon wichtig, um einen Tag nicht in Beliebigkeit zerfließen zu lassen, ohne dann am Abend zu wissen, was das Besondere an diesem Tag war“ (ebd. 81) Es kommt also darauf an, nicht einfach so in den Tag hineinzuleben, sondern sich zu vergewissern, dass man sich Dinge vorgenommen und die auch erledigt hat. Man simuliert Projekte und Verpflichtungen und spielt sich so einen erlebnisreichen Ruhestand vor. Wenn man dann seine Büsche geschnitten, seine Strafmandate bezahlt und seine Kreuzworträtsel gelöst hat, kann man am Abend die Befriedigung erbrachter Leistung genießen. Aber das Leben im Alter muss nicht so fad sein, wie es die Ratgeber mit ihren Stricken/ Rätseln/VHS-Vorschlägen darstellen. Als Beglaubigung dienen Geschichten und Porträts von Senioren im „Unruhestand“ Da produziert ein Ehepaar in Afrika Tierfilme, eine ehemalige kommunale Angestellte gibt ein Online-Gesellschaftsmagazin heraus, ein früherer Kulturamtsleiter macht Stadtführungen im Nachtwächterkostüm, eine ältere Dame vermittelt Hunde aus Tierversuchslaboren an Familien, ein älterer Herr engagiert sich im Karnevalsverein, ein anderer sammelt Oldtimer.66 Alle sind aktiv und glücklich und stimmen dem Spruch „Wer rastet der rostet.“ vorbehaltlos zu. 66 Beispiele aus: Stier/Podolski/Zilch o. J.: Unruhestand, 16 Porträts, CoCon Verlag Hanau. Aber wie kommt man zu solch spannenden Projekten? Die Ratgeber bieten auch Methoden und Techniken der Themensuche und –auswahl an. Da gilt es Fragen nach Stärken und Interessen zu beantworten, Checklisten abzuarbeiten und Kärtchen zu ordnen wie bei einem Managerworkshop. So fordert die ehemalige Fernsehjournalistin Maria von Welser uns auf, zu erforschen: „Wofür stehe ich in der Wahrnehmung der anderen? Was schätzen die an mir – was mögen sie vielleicht nicht so gern? Was ist mein Alleinstellungsmerkmal, meine Unique Selling Proposition, wie das in der weltweiten Businesssprache heißt?“ (v. Welser 2012, 49) Denn: „Wer sich clever positioniert, präsentiert, vermarktet, der gewinnt. Schön und gut. Nur was will ich gewinnen? Was ist mein Kern? Meine Essenz? Wofür brenne ich, wofür will ich mich engagieren?“ (ebd.) Wer sich solche Fragen stellen muss, der hat eben kein Anliegen. Und wofür soll beispielsweise eine 65-jährige Verkäuferin „brennen“? Aber die wird von Welsers Ratgeber „Heiter weiter“ wahrscheinlich auch nicht lesen. Auf jeden Fall gilt es, nicht unvorbereitet in den Ruhestand hineinzuschlittern, sondern ihn selbst zu einem Projekt zu machen. Frauen empfiehlt beispielsweise Hauke Brost: „1. Möglichst noch vor der Rente eine Liste machen und alles aufschreiben, was man sich für die nächsten Jahre vorgenommen hat! 2. Auf eine zweite Liste kommen die vielen unbestreitbaren Vorteile des Rentnerlebens! 3. Nehmen Sie sich fest vor, jeden Tag irgendetwas nur für sich selbst zu tun, schreiben Sie das am Vorabend auf einen Zettel und kleben Sie ihn an den Badezimmerspiegel (zum Beispiel ‚Shoppen‘, ‚Kosmetik‘ oder ‚Sonnenbank‘)! … etc. etc.“ (Brost 2011, 214) Mit Listen und Zetteln soll sich also Frau auf Trab halten, damit ihr das Glück des Rentnerlebens nicht im Alltagstrott und bei der Betreuung des Ehemanns verloren geht. Wäre doch schade, Highlights wie Shoppen oder Kosmetik zu verpassen. Eine besonders hohe Meinung von alten Frauen hat dieser Autor jedenfalls nicht. Die amerikanischen Autoren Goldman und Mahler bringen dem Leser ihre methodischen Ratschläge in Geschichten verpackt nahe. Zum Beispiel die von Barbara und Bernard: „Dann sahen sie sich eines Morgens über den Frühstückstisch hinweg an und fragten sich: ‚Ja, und was machen wir nun?‘ Sie nahmen sich Bleistift und Papier und begannen, Listen aufzustellen. Oben auf ein leeres Blatt Papier schrieb Bernie in Großbuchstaben das Wort ZIELE. Darunter legte er drei Spalten mit den Überschriften MEINE, DEINE, UNSERE an. Dann sprachen Barb und Bernie stundenlang über Aktivitäten und Themen, die sie interessant und zugkräftig fanden – für sich als Paar wie auch für jeden Partner einzeln. Dann trug Bernie diese Ziele und Interessen in die jeweils passende Spalte ein“ (Goldman/Mahler 2001, 100) Einfacher geht es ja nun wirklich nicht. Aber damit waren Bernie und Barb noch nicht am Ziel: „Mit ihren Freunden diskutierten sie mögliche Aktivitäten, sie liehen sich Bücher aus der Stadtbibliothek und lasen Artikel in Zeitschriften und Tageszeitungen. Sie erkundigten sich telefonisch, forderten Broschüren an und studierten die Anschläge am Schwarzen Brett im Gemeindezentrum in der Nähe ihres Hauses“ (ebd. 101) Und was kam bei all diesen Recherchen heraus? Durch eine Fernsehsendung wurden sie auf Elderhostel, eine Bildungseinrichtung für Ältere, vergleichbar den Altenakademien in Deutschland aufmerksam und das war es „In den letzten Jahren haben Bernie und Barb schon mehr als hundert Elderhostel-Kurse besucht“ (ebd. 102) Dass der Aufwand, ein Seniorenprojekt zu finden, schon selbst zu einer Aufgabe werden kann, verdeutlicht auch die Geschichte von Esther, die während eines Zeitraums von sechs Jahren eine Collage mit Fotos und Zeitungsausschnitten rund um ein Collegestudium erstellte, bevor sie sich tatsächlich für ein solches einschrieb (vgl. ebd. 105ff.) Es ist eine Zumutung, Menschen, die sich im Hamsterrad aufgerieben haben und mit sechzig Jahren nicht mehr viel zustande bringen, vorzuschreiben, sich selbstständig interessante Aufgaben zu suchen, wenn die Institutionen der Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft für sie gar keine bereithalten. Eine Zumutung ist auch die Einmischung in persönliche Bereiche, die sich viele der Ratgeber erlauben. Sex im Alter darf noch sein (vgl. Stumpf 2008), dagegen sollten Frauen in der Öffentlichkeit keine nackten Oberarme mehr zeigen und Männer nicht im Unterhemd auf die Straße gehen. Beide sollten ihre Enkel nicht mit Belehrungen langweilen (vgl. v. Welser 2012). Der Resignation vieler Senioren begegnen die Autoren mit Benimmvorschriften. Würdevolles Altern. Dass das Rentnerleben nicht nur ein fröhliches Sichtummeln ist, sondern auch manche Einschränkungen mit sich bringt, weiß die Wissenschaft, die auch gleich Ratschläge und Modelle zur Bewältigung bereithält. So werden im sechsten Altenbericht der Bundesregierung beispielsweise abnehmende Seh- und Reaktionsfähigkeit als „nachlassende Konsumentenkompetenzen“ thematisiert, mit denen der Senior verantwortungsvoll umzugehen hat „Die eigenen Fähigkeiten und Potenziale realistisch einzuschätzen erleichtert vielleicht gerade den älteren Konsumenten und Konsumentinnen ein würdevolles Altern, das im Konsumleben auch darin bestehen kann, dass man sich gegenüber Innovationen und modischen Neuheiten zwar grundsätzlich aufgeschlossen zeigt, aber erkennt, wann man Hilfe anderer annehmen muss und wann ein neues Angebot nicht mehr zum Alter und Lebensstil passt“ (260) Ältere, die sich wie Junge kleiden, sind peinlich, Ältere als Autofahrer sind eine Gefahr für die Allgemeinheit. Dass sie von selbst so einsichtig sind, aufs Auto zu verzichten, ist offenbar nicht zu erwarten. Ein aus der Behandlung von ADHS bei Jugendlichen hergeleitetes Phasenmodell soll da helfen: „Phasen der Bewältigung von nachlassenden Konsumentenfähigkeiten

6. Altenbericht 2010, 261. Das Zauberkunststück des „Reframing“ – das Defizit geistig in eine Chance verwandeln – verhilft dem Senior zur Einsicht in den Verzicht und zum „würdevollen Altern“. Offen bleibt, ob er von alleine auf diesen Trick kommt oder ob der Psychologe dabei nachhelfen muss. Und muss man wirklich erst alt und fahruntüchtig werden, um sein Talent zum Bahnfahren zu entdecken? Gebrechlichkeit und Armut als Vorzug. Mit seiner Mittel- und folglich Bedürfnislosigkeit wird der alte Mensch überdies zum Protagonisten der Spiritualität und des Antimaterialismus hergerichtet. So predigt H. Stumpf, da der körperliche Verfall nicht aufzuhalten sei, solle man Geist und Seele pflegen und sich dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ ergeben. Goldman und Mahler raten zur Konzentration auf das Wesentliche: „Wenn reife Menschen erkannt haben, was sie wirklich glücklich macht – Teppichknüpfen oder die Teilnahme an Kreuzfahrten, das Erleben gegenseitiger Liebe, Brote-Schmieren für Obdachlose oder Babysitten bei Enkelkindern – dann sind viele von ihnen geradezu wild entschlossen, ‚unnötigen Ballast‘ abzuwerfen: überflüssige materielle Besitztümer, Beziehungen, die keiner Seite mehr etwas bringen, oder einstmals interessante Beschäftigungen, die inzwischen nur noch eine Last sind“ (Goldman/Mahler 2001, 347) Egal, was man tut, Kreuzfahrten machen oder Brote schmieren, es muss auch gar nichts Bedeutendes sein, denn es kommt auf die innere Einstellung an: Zufrieden sein, sich abfinden, mit dem, was man hat oder tut und es als das Eigene schätzen, darauf kommt es an. Es wundert dann auch nicht, dass der Tonfall der Predigt einreißt und Verzicht als Heilsbotschaft präsentiert wird: „Das Alter ist eine Chance. Es bietet die Möglichkeit zur Flucht aus der Oberflächlichkeit. ... Lassen, loslassen, aufgeben ist – so hat es der Mystiker Meister Eckhart schon Jahrhunderte zuvor gesagt – die Voraussetzung für Gelassenheit“ (Gronemeyer 2014, 24) Und die Aufgabe der Alten ist denn auch die: Antimaterialismus vorzuleben „Aber vielleicht geht es darum, ein Alter zurückzuerobern, das Weitblick erlaubt, selbst wenn man nicht weit sehen kann? Das geht wohl nur, wenn sich die Alten nicht der Leitkultur konsumistischer Verblödung fügen, sondern Schritte in Richtung selbstbewusster Befreiung versuchen. In klaren Augenblicken weiß ich – wie andere auch – dass Vereinfachung und Vertiefung dazu die beiden wichtigsten Schritte wären“ (ebd. 176f.) Da ist es ja geradezu günstig, dass man im Alter so wenig Geld hat. Entsprechend rät auch ein Samstagsessay in der Süddeutschen Zeitung im Kontext der Altersvorsorge zur Besinnung darauf, was man alles nicht braucht: „Vielleicht kann man also die Angst vor dem Leben im Alter mildern, wenn man sich verdeutlicht, dass Vorsorge heute eben auch bedeutet, Abschied nehmen zu können: von Dingen, von Gewohnheiten, von alten Vorstellungen“ (Angelika Slavik in: SZ 20./21.08.2016, S. 26) Stattdessen gilt es, in menschliche Beziehungen zu investieren, die einem später einmal nützlich sein können und nichts kosten: „In seine Beziehungen zu anderen Menschen Zeit, Aufmerksamkeit und Energie zu investieren, ist deshalb auch eine Säule der Altersvorsorge: Wer gelegentlich die Kinder der Nachbarn hütet, darf darauf hoffen, dass diese Nachbarn ihm später mal mit den Einkäufen helfen“ (ebd.) Das ist doch einmal eine gelungene Synthese von Menschlichkeit und Eigennutz. Aber das Alter ist für sich schon ein Geschenk. Der Schweizer Soziologe Peter Gross sieht in der höheren Lebenserwartung heutiger Menschen im Vergleich zu früheren Generationen die Erfüllung einer metaphysischen Sehnsucht: „Der demographische Übergang ist so gesehen der Übergang von einem halben zu einem ganzen Leben. Mit dem Altern gewinnt das Leben zwar noch keinen lebensdienlichen Absschluss. Die Fristerstreckung muss auch genutzt werden. Aber sie ermöglicht einen solchen. Damit erschöpfen sich jene Erzählungen, die einem unfertigen Leben Trost versprachen und die Vollendung, die Ganzheit in ein anderes, ein jenseitiges Leben verwiesen und damit die irdische Unvollständigkeit kompensieren konnten“ (Gross 2013, 41) So gesehen, erlebt der 90-Jährige im Altersheim schon den Himmel auf Erden. Der Soziologe bewertet im Unterschied zu vielen Endzeitpropheten die demographische Entwicklung als etwas durchaus Positives. Wie in Kapitel 3 dargestellt, ist für ihn die Gebrechlichkeit, die das Alter mit sich bringt, eine Bremse der Konsum- und Gewaltexzesse, als die ihm die Konkurrenzgesellschaft erscheint. Die prognostizierte Zunahme der Zahl der Älteren ist daher nur zu begrüßen: „Nicht Appelle und Gebete, sondern die demographische Demobilisierung und die damit einhergehende Erschöpfung werden die alten, räuberischen, expansiven und letztendlich selbstmörderischen Wertordnungen, in denen allein Wachstum Wohlstand garantieren soll, zu korrigieren vermögen“ (ebd. 135) Immerhin brauchen die Alten für diesen Heilsauftrag nichts zu tun und ein schlechtes Gewissen, weil sie so viele sind, müssen sie auch nicht haben. Verpflichtung zum Sozialdienst als Würdigung für Alte. Die Politik und ihre Verlautbarungsorgane sehen das anders „Wenn sich der Altersaufbau einer Gesellschaft grundlegend verändert, wenn es immer weniger jüngere und immer mehr ältere Menschen gibt, dann bedeutet dies auch, dass Lebensstandard und gesellschaftliche Entwicklung immer weniger allein durch jüngere Menschen gesichert werden können. Die Möglichkeiten älterer Menschen, einen verantwortlichen Beitrag zum Gelingen von Gesellschaft zu leisten, gewinnen dadurch an Bedeutung. Die heute in Deutschland lebenden älteren Menschen verfügen im Durchschnitt über mehr finanzielle Ressourcen als jede vorangehende Generation älterer Menschen, sie haben im Durchschnitt einen besseren Gesundheitszustand und einen höheren Bildungsstand, und nicht zuletzt steht ihnen im Durchschnitt mehr Zeit für ein Engagement für andere zur Verfügung als den älteren Menschen früherer Generationen“ (6. Altenbericht 2010, 22) Engagement für andere: So heißt der Auftrag an die Adresse der Senioren. Natürlich unentgeltlich, die finanziellen Ressourcen haben sie ja. Noch ist das verpflichtende soziale Jahr für Rentner, das beispielsweise der Talkshowphilosoph Precht fordert, nicht Gesetz, aber die Marschbefehle werden immer häufiger und deutlicher. Die Gerontologen Kruse67 und Wahl verlangen von den Alten nichts weniger als die Erhaltung des Wirtschaftsstandorts Deutschland: 67 Andreas Kruse ist Vorsitzender der Altenberichtskommission der Bundesregierung „Wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten bleiben, wenn die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft nachhaltig gesichert werden soll, dann ist es notwendig, dass die heute älteren Menschen in stärkerem Maße Verantwortung übernehmen, und dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen ist es notwendig, dass unnötige Belastungen für die Gemeinschaft vermieden werden“ (Kruse/Wahl 2009, 519). Nämlich durch „angemessenes Gesundheitsverhalten“. „Darüber hinaus geht es aber auch darum, sich um die Weiterentwicklung vorhandener Potenziale zu bemühen und diese im Interesse der Gemeinschaft zu nutzen. … Intergenerationelle Solidarität kann es unseres Erachtens ohne Generationengerechtigkeit auf Dauer nicht geben, was gleichbedeutend damit ist, dass ältere Menschen ihre Potenziale für andere einsetzen müssen, wenn sie von diesen in der Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse, Anliegen und Ziele Unterstützung beanspruchen wollen“ (ebd.) Generationengerechtigkeit heißt nicht etwa, dass die Alten von den Jungen zurückbekommen, was sie für diese geleistet haben, vielmehr müssen sie sich im Alter auch noch für die nächste Generation abstrampeln, um die Pflege durch diese zu verdienen. Aber es geht ja auch nicht darum, dass es den Alten gut geht, sondern darum, dass „Altern zu einer Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden kann“ (ebd. 531) Vielleicht wird deswegen ja der Ruhestand noch nicht abgeschafft, weil durch ihn die Dienste der Alten unentgeltlich zur Verfügung stehen. Damit können sie auch ein Vorbild für andere sein, die partout nur für Geld arbeiten wollen „Vielleicht führt der von uns im Gesetzentwurf gewählte Begriff Ruhestand für diese Lebensepoche in die Irre. Alter ist kein Zustand der Arbeitslosigkeit und der passiven Ruhe. […] Das Alter könnte ein Vehikel sein, über das die ehrenamtliche Arbeit wieder neues Prestige und neue Funktionen erhält. Die Alten könnten uns helfen, die Fixierung einer Erwerbsgesellschaft aufzulösen, die alle Werte nur vom Geld abhängig macht. […] Wenn Oma und Opa wieder mehr zu sagen haben, brauchen wir vielleicht weniger Sozialarbeiter. Wir brauchen die Lebenserfahrung der Alten in Parlament, Gewerkschaften, Vereinen und in den Familien“ (Arbeitsminister Blüm 1984, zit. nach 6. Altenbericht 441f.) Damit ist ein Anspruch nicht nur an die Alten selbst, sondern auch an die Institutionen von Politik und Wirtschaft formuliert: „Die fürsorgerische Sicht auf das Alter muss durch eine an den Stärken und Gestaltungsspielräumen des Alters orientierte Sicht ergänzt werden“ (6. Altenbericht, 515). Dass die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters mit der Würdigung der Potenziale des Alters legitimiert wird, wurde oben schon berichtet. Mit dem Konzept des „aktiven Alterns“ nimmt die Politik sich selbst in die Pflicht, mehr darauf zu achten, wofür man die Alten noch brauchen kann. Dieses Konzept gelangte erstmals durch die Enquête-Kommission „Demografischer Wandel“ des Deutschen Bundestages in die öffentliche Diskussion. Vor allem ihr erster Zwischenbericht hob dabei –angelehnt an die US-amerikanische Aktivitätsthese – die Möglichkeit und den gesellschaftlichen Bedarf eines „aktiven Älterwerdens“ hervor. Der Fünfte Altenbericht der Bundesregierung befasste sich explizit mit dem Thema „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen“. Auf EU-Ebene wurde parallel das Konzept des „Active Ageing“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Es ging zunächst von einer WHO-Initiative aus (World Health Organization (WHO) 2002) und wurde später durch die EU-Kommission und die OECD stärker auf eine individuelle und gesellschaftsbezogene Nützlichkeit hin interpretiert (vgl. 6. Altenbericht, 457f.) Dabei wird die grundsätzliche Deaktivierung der abgenutzten Arbeitsbevölkerung nie in Frage gestellt. Deshalb bleiben auch die Darstellungen der Vorzüge älterer Menschen meist vage. Vorherrschend ist die These von der „Vielfalt“ oder „Heterogenität“ des Alters (z. B. Backes/Clemens 2013) „Marktferne Betriebsamkeit im Alter, sei es nun im Sinne gesundheitsfördernder oder weiterbildender Aktivitäten, bürgerschaftlichen Engagements oder innerfamilialer Unterstützungsarbeit, wird im Grunde genommen von allen relevanten Akteuren des alterspolitischen Feldes als unbestreitbar wertvolles gesellschaftliches Gut propagiert und protegiert“ (van Dyk/Lessenich 2009, 2) „Das alternde Individuum,das sein Aktivitätspotenzial maximiert, erscheint hier rundum als ein Gewinn:für die Lebensqualität der Betroffenen selbst wie auch für das von der millionenfachen Nutzung dieses Potenzials profitierende gesellschaftliche Gemeinwesen“ (ebd. 3) „Aktives Altern“ gilt schon in der Definition der WHO als Ersatz für soziale Fürsorge „Active ageing applies to both individuals and population groups. It allows people to realize their potential for physical, social, and mental well being throughout the life course and to participate in society according to their needs, desires and capacities, while providing them with adequate protection, security and care when they require assistance“ (WHO 2002, 12) In dieser Perspektive wird das ganze Leben zur Altersvorsorge: finanziell durch die Inanspruchnahme von Versicherungsprodukten, gesundheitlich durch Fitness- und Gehirntraining, sozial durch die Pflege von Beziehungen „Mit der Verankerung der Plastizitätsperspektive auf das Alter(n). d. h. der Annahme, dass der Prozess des Alterns sozial gestaltbar und das Alter performatives Produkt der Lebensführung ist, steht das Leben gleichsam von Anfang an unter dem Primat der ‚Altersprävention‘ – mit dem Ziel, im besten Fall nach einem produktiven Nacherwerbsleben fit, gesund, kostengünstig und ja: ruhig, in Ruhe abzutreten“ (Denninger et al. 2014, 381) Ob diese Ansagen bei den alten Menschen überhaupt ankommen, bleibt fraglich. Bislang scheint der Aktivierungsdiskurs eher die noch arbeitende Bevölkerung auf mehr Verantwortung für ihr eigenes Alter und weitere soziale Einschnitte vorzubereiten. Manche sehen allerdings schon die Tendenz des Sozialstaats, nach der Inpflichtnahme der Arbeitslosen durch die Hartz-Gesetze nun auch die Alten in den Dienst am Gemeinwesen zu stellen (vgl. z. B. Denninger et al. 2014, 13, 364) Vorläufig erfolgt der praktische Zugriff auf Senioren nur im Rahmen begrenzter Projekte. In Deutschland gab es beispielsweise das Programm „Erfahrungswissen für Initiativen“, das Seniortrainer als Berater für kommunale Projekte ausbildete. „Seniorinnen und Senioren ins Netz“ unterstützt Internet-Initiativen für ältere Menschen. Auf europäischer Ebene propagierte das Erasmus-geförderte Projekt „Active 80+“ das bürgerschaftliche Engagement von über 80-Jährigen. Ebenfalls in Erasmus findet das Projekt „Mobility Scouts“ statt, in dem Senioren Vorschläge für eine barrierefreie, altersgerechte städtische Umgebung erarbeiten. Dass sich der Wunsch vieler Älterer nach Beschäftigung und Abwechslung auch kommerziell nutzen lässt, zeigt beispielsweise das niederländische Unternehmen „Granny’s Finest“. Es lässt alte Damen unentgeltlich die Entwürfe junger Designer stricken. Die Tätigkeit gilt als Hobbyaktivität, bei der die Grannys die Materialien gestellt bekommen und mit sozialen Kontakten durch wöchentliche Treffen und gelegentliche Ausflüge belohnt werden. Jedes Strickwerk wird mit dem Namen der Herstellerin versehen, damit der Kunde ihr eine Postkarte schicken kann (Solleveld 2014) Gibt es eine Interessenvertretung für nicht mehr benötigte Menschen? Welche Möglichkeiten haben Menschen, die von der Wirtschaft nicht mehr benötigt, von den Sozialkassen verwaltet werden und keine oder nur geringe materielle Ressourcen haben, für ihre Interessen einzutreten? Druckmittel haben sie keine. Haben sie Fürsprecher, eine Lobby, eine Rentnerpartei? Die Rentner Partei Deutschland (Kurzbezeichnung: RENTNER) wurde 2002 gegründet. Sie erreichte zwischen 2009 und 2015 Wahlergebnisse unter einem Prozent und löste sich nach internen Querelen 2015 auf. Sie wandte sich gegen den Abbau des Sozialstaats und forderte eine Reform der Rentenversicherung. Bündnis 21/RRP wurde 2007 als Rentnerinnen- und Rentner-Partei (Kurzbezeichnung: RRP) gegründet. Am 15. September 2012 beschloss der Bundesparteitag der Partei die Umbenennung in Bündnis 21/RRP. Im Mai 2016 löste sich die Partei auf. Ihr Programm umfasste eine staatlich garantierte Mindestrente von 1000 Euro und die Zusammenführung der staatlichen Pensionssysteme mit der Rentenversicherung sowie die gesetzlich verbindliche Einführung der betrieblichen Altersvorsorge. Die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre wurde abgelehnt. Sie hatte zeitweise etwa 1000 Mitglieder. Die Partei „Graue Panther“ entstand formal im Oktober 2013 durch den Zusammenschluss der Parteien „Graue Panther Deutschland“ und „Allianz Graue Panther“ und firmierte bis zu einem Namensstreit als „Allianz Graue Panther Deutschland“. All diese Parteien stehen in einer mehr oder minder starken Tradition der 2008 aufgelösten Partei „Die Grauen – Graue Panther“, die 1989 gegründet wurde und auf eine 1970 initiierte Bewegung zurückgeht, die daneben noch als „Seniorenschutzbund Graue Panther“ weiterlebt. Die Partei trat bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 an und erzielte 1,1 Prozent der Stimmen. 2018 nahm sie an der Wahl zum hessischen Landtag teil. Sie versteht sich als Partei aller Generationen. Bislang (Stand 2018) existieren Landesverbände in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. 2017 gründete eine Gruppe um den ehemaligen Vorsitzenden von Die Grauen – Generationspartei, die Partei Die Grauen – Für alle Generationen. Die Partei wurde vom Bundeswahlausschuss zur Bundestagswahl 2017 als politische Partei zugelassen. Keine der Seniorenparteien hatte bisher eine Chance zum Einzug in ein Parlament. Allerdings war von 1987 bis 1990 die durch ihr Engagement für Alte und ihr unkonventionelles Auftreten bekannte Trude Unruh Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie war als Parteilose über die Landesliste Nordrhein-Westfalen der Grünen gewählt worden. Allerdings wurde sie am 13. September 1989 aus der Grünen-Fraktion ausgeschlossen und vertrat dann als Fraktionslose die neugegründete Partei Die Grauen im Bundestag. Die etablierten Parteien unterhalten zum Teil Organisationsgliederungen für ältere Mitglieder, die zahlenmäßig bedeutend sind, aber nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit finden und innerparteilich ohne größere Relevanz sind. Besonders die CDU versteht sich auch unabhängig von einer speziellen Programmatik als Partei der Älteren. Die Homepage der Senioren-Union gibt an: „2017 wählten 35 % der 60-69-jährigen und 45 % der Altersgruppe 70+ die CDU. 2017 waren 35 der 200 CDU-Abgeordneten des 19. Deutschen Bundestages sind über 60 Jahre“ (https://www.senioren-union.de/) Die Senioren-Union der CDU hat nach eigenen Angaben 54.000 „zahlende Mitglieder“. 230.000 CDU-Mitglieder (51 %) sind über 60 Jahre alt (https://www.senioren-union.de/). Als Ziele werden angegeben:

Die Senioren Union der CSU (SEN) ist eine Arbeitsgemeinschaft der Christlich-Sozialen Union. Gegründet 1999 ist sie die „jüngste“ Arbeitsgemeinschaft der CSU und mit 12.000 Mitgliedern die viertgrößte Organisation innerhalb der Partei. Ihre Themen sind:

Die Senioren der SPD sind automatisch Mitglieder einer AG SPD 60 plus. In deren Richtlinien heißt es dazu: „Die Älteren in der SPD schließen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Ziel ist es, die Interessen der Älteren innerhalb und außerhalb der SPD zu vertreten, das Engagement der Älteren zu fördern, Menschen für die sozialdemokratische Programmatik zu gewinnen“ (https://60plus.spd.de/wir-ueber-uns/ueber-die-ag/) Die Liberalen Senioren der FDP geben bekannt: „Politik für Ältere ist eine Querschnittsaufgabe und beschränkt sich nicht nur auf Altenthemen. Wir widmen uns auch den Herausforderungen unserer Zeit.“ Schwerpunkte sind:

„Altenthemen“ gehören also bei der FDP schon einmal nicht zu den „Herausforderungen unserer Zeit“ Die Grünen sind erst noch auf dem Weg zu einer eigenen Seniorengruppierung. Als „Grüne Alte“ haben sie einen Verein gegründet. Sein „Manifest“ umfasst folgende Punkte:

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Mit Erreichen des Ruhestandsalters wird die ältere Arbeitsbevölkerung von der regulären Erwerbsarbeit ausgeschlossen und alimentiert bzw. auf Hilfsjobs verwiesen. Die Masse der Beschäftigten ist nicht in der Lage, sich nach einem arbeitsamen Leben zur Ruhe zu setzen und von den Früchten der Arbeit den Lebensabend zu genießen: Dafür würde schließlich jeder einzelne selbst den seinem Vermögen und seinen Bedürfnissen entsprechenden Zeitpunkt bestimmen. Vielmehr wird vom Staat ein Alter festgelegt, ab dem ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente hat und damit in der Regel seine Berufstätigkeit aufgibt. Unabhängig von der jeweils ausgeübten konkreten Tätigkeit erhält die Arbeitskraft ein Verfallsdatum, mit dem sie als verbraucht gilt. Eine individuelle Gesundheitsprüfung ist nicht nötig, denn es herrscht Gewissheit darüber, dass die Arbeit, die in Fabriken und Büros verrichtet wird, nach 40 Jahren nicht mehr auf dem geforderten Leistungsniveau zu schaffen ist. Und dieses Leistungsniveau ist fix: Nur wer ihm gerecht wird, erhält und behält einen Arbeitsplatz. Erleichterungen für Ältere gibt es nur gegen erhebliche Lohneinbußen in Pförtner- oder ähnlichen Jobs. Mit 60 oder 65 Jahren stehen viele Politiker, Künstler und Aufsichtsräte im Zenit ihrer Laufbahn, der „kleine Mann“ ist dagegen für die Wirtschaft Invalide. Alter wird zu einem der Risiken des Arbeitslebens und zum Topos der Sozialpolitik.

Für die Wissenschaft ist das Alter bzw. Alterungsprozesse ein relativ neues Thema.

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Für die Wissenschaft ist das Alter bzw. Alterungsprozesse ein relativ neues Thema.

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