Dies ist die Geschichte einer kleinen gemeinen Lynchjustiz, die in unser Privatleben eindringt, uns Identitäten zuschreibt und unseren demokratischen Austausch zensiert. Eine Plage der Sensibilität. Jeden Tag eine Gruppe, eine Minderheit, ein zum Stellvertreter einer Sache sich aufspielendes Individuum, das fordert, droht und uns auf die Nerven geht. In Kanada fordern Studenten die Streichung eines Yogakurses, um sich nicht dem Risiko der indischen Kultur auszusetzen. In den Vereinigten Staaten würde man am liebsten asiatische Menüs in den Kantinen verbieten und die als anstößig und normativ verurteilten großen klassischen Werke von Flaubert bis Dostojewski aus dem Unterrichtsplan streichen. Studenten bezeichnen den geringsten Widerspruch als «Mikroaggression» und klagen «safe spaces» ein. In Wirklichkeit aber lernt man nur, Debatten zu meiden. Aufgrund geographischer oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und der persönlichen Geschichte versucht man, die Hegemonie über die öffentliche Rede zu erreichen. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht. (Caroline Fourest)
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Caroline Fourest. Generation Beleidigt
Einleitung
Eine Meute von Inquisitoren
Kulturelle Aneignung, die neue Gotteslästerung
Madonna auf dem Scheiterhaufen
Verfluchte Zöpfe
Die Zensur antirassistischer Werke
Wahre Blackfaces und falsche Unterstellungen
Die zwei Gesichter des Antirassismus
Das Abdriften der »Identitätspolitik«
In Kanada boykottieren sie jetzt sogar Yoga!
Der Widerstand von Kanata
Castings auf Grundlage von DNA-Tests?
Würdigung oder Raub
Wettbewerb der Opfer
Die Universität der Angst
Der Alptraum von Evergreen
Hexenjagd
Schluss
Inhalt
Отрывок из книги
Caroline Fourest
Generation Beleidigt
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Gleichwohl versuche ich, den Beginn der Panik zu begreifen. Ich hätte verstanden, dass das Wort »schwarz« in einer Sprache, in der man gewöhnlich »afroamerikanisch« sagt, Probleme bereitet.7 Doch darum geht es nicht. Hier fürchtet man, dass eine weiße Zeichnerin einen Band gegen antischwarzen Rassismus unterzeichnet. Als ob ihre Hautfarbe es ihr untersagte, sich mit diesem Thema zu befassen.
Ich meine durchaus, man sollte sich in Acht nehmen vor Leuten, die mit dem Antirassismus unaufrichtig Geschäfte machen. Sie sind zahlreich, und nicht allesamt weiß. Ich verstehe, dass man Rachel Dolezal, einer Aktivistin, die sich selbst gegen kulturelle Aneignung ausspricht, vorwerfen kann, dass sie den Eindruck zu erwecken suchte, sie sei eine Afroamerikanerin, während sie durch und durch WASP ist, und dass sie ihre Haut gebräunt hat, um als Opfer des Rassismus durchzugehen, den sie anprangert. Dennoch sollten Weiße sich befugt fühlen dürfen, Bücher gegen Rassismus zu publizieren oder zu illustrieren, ohne dass man ihnen ihre Hautfarbe zum Vorwurf macht.