Отрывок из книги
Christian Brückner
Déjà Vu
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Der Platz vor dem Reichstag war befestigt worden. Kein Platz mehr für Fußball spielende Kinder und Familienausflüge. Eine Einfriedung aus massiven Granitpfosten, verbunden mit schweren Ketten, verlieh dem Ensemble eine kasernenartige Ausstrahlung. Das Ergebnis passte, jedenfalls aus Sicht der neuen Machthaber: Die Menschenleere vermittelte nicht nur den Eindruck von Sauberkeit und Ordnung, sondern flößte vor allem Ehrfurcht ein. Das war eines der großen Versprechen beim Regierungsantritt und schon lange davor, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Dazu bediente sich der Apparat sehr gerne Symbolen. Und eines war sicherlich, den Platz vor einem wichtigen Denkmal des deutschen Parlamentarismus gesäubert zu haben. Sinnbild für den neuen Geist. Nicht nur Säuberung eines wichtigen Platzes von johlenden Kindern und lachenden Familien, die es offensichtlich an Respekt gegenüber staatstragenden Institutionen fehlen ließen. Endlich war ein unerhörter Vorgang abgestellt worden. Das war eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung. Und es war seitdem längst auch abseits belebter Plätze von "nationaler Bedeutung" oberste Handlungsmaxime. Denn vielmehr war der Parlamentarismus als Prinzip gesäubert worden, indem er schlichtweg abgeschafft worden war.
Genug gehadert. Die Entwicklung war schlimm genug. Keiner wusste, wo diese noch hinführen würde. Es gab entsprechende Befürchtungen, die sich an geschichtlichen Beispielen orientierten. Doch waren diese Beispiele dazu da, wiederholt zu werden? Wozu sollten als negativ identifizierte Beispiele denn dienen? Doch sicher nicht zur Nachahmung! Welchen Wert hätten sie dann? Das gab Alessandro Mut. Vielleicht gab es eine Wende zum Besseren. Die Dichter und Denker mussten nur aufstehen und Partei ergreifen, sich einmischen, Stellung beziehen, die berühmte "schweigende Mehrheit" wecken. Im Moment fand nur die "Erweckung" durch die neuen Machthaber statt. Von einer Gegenbewegung nichts zu spüren. Doch er vertraute darauf, dass dieser Prozess einsetzen würde, irgendwann. Möglichst bald. Am besten sofort. Es war natürlich keine Zeit zu verlieren. Doch im Moment tat sich offensichtlich nichts. Noch vertraute Longari darauf, dass die intellektuelle Elite dieses Landes dann wenigstens im Verborgenen daran arbeitete, wie gegenzusteuern sei. Solange es sie noch geben würde, hatte sie diese Chance. Mit diesen Gedanken setzte er sich in seinen alten Lancia und fuhr Richtung Grünau, wo er eine Wohnung aus der Gründerzeit bewohnte. Er brauchte seine Kraft für den neuen Tag. Und das Flair seines alten Wagens, das Ambiente seiner Wohnung und die Abgeschiedenheit an der Regattastrecke würden ihm das erleichtern.
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