Von San Diego nach Santiago

Von San Diego nach Santiago
Автор книги: id книги: 1914909     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 923,26 руб.     (10,48$) Читать книгу Купить и скачать книгу Купить бумажную книгу Электронная книга Жанр: Языкознание Правообладатель и/или издательство: Bookwire Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783990649503 Скачать фрагмент в формате   fb2   fb2.zip Возрастное ограничение: 0+ Оглавление Отрывок из книги

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Описание книги

Unterwegs sein. Pilgern auf dem Jakobsweg. Wandern auf dem Pacific Crest Trail, der die amerikanischen Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington durchläuft und bis nach Kanada führt. Eine Herausforderung, eine Selbstkasteiung, ein Ringen mit sich selbst. Hat man alle wichtigen Dinge dabei? Ist der Rucksack vielleicht zu schwer? Kann man noch auf einige Sachen verzichten? Erschöpfung, Überlastung, Schmerzen in den Knien. Und wieder die Ungewissheit, ob man noch eine Herberge findet oder im Zelt schlafen muss. Christine Schweinzers Aufzeichnungen einer Pilgerin über die Reise zu sich selbst und mit anderen sind eine Offenbarung, eine Huldigung an die Hiker dieser Welt. Hape Kerkelings «Ich bin dann mal weg» darf man dann getrost vergessen und beiseitelegen …

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Christine R. Schweinzer. Von San Diego nach Santiago

Impressum

Tagebuch Pacific Crest Trail. Der Countdown läuft! 13. November 2018. Am Mittwoch beginnt die Möglichkeit, ein Permit für den Pacific Crest Trail zu beantragen. Um 10:30 Pacific East Time. Da sich jedes Jahr ca. 2.000 Menschen in dieses Abenteuer stürzen wollen, werden die Permits für die beliebten Starttage schnell vergeben sein. Dieses Jahr hat sich die PCT-Association (https://www.pcta.org/) etwas Neues einfallen lassen. Es wird einen sog. Waiting Room geben. Das bedeutet, sobald man den Prozess der Bewerbung beginnt, wird einem mitgeteilt, der wievielte man in der Reihe ist und wie lange es in etwa dauern wird, bis man drankommt. Dann muss man innerhalb von 10 Minuten mit dem Antrag beginnen, für dessen Ausfüllen man noch mal 20 Minuten hat. Für jeden Starttag werden 35 Permits vergeben. Die zweite Runde, ein Permit zu beantragen, beginnt am 17. Januar. Da werden pro Tag nochmals je 15 Permits vergeben. Na dann … Viel Glück. 14. November 2018. Voller Spannung habe ich auf diesen Tag gewartet. Man konnte lesen, dass es am 14. November losgeht um 10:30 Pacific East Time. Kurz vorher könne man sich anmelden. Dieses Jahr wurde ein sog. Waiting Room eingerichtet. Da konnte man sehen, der wievielte man ist und wie lange es dauert, bis man drankommt. Kurz vor dem Start klickte ich auf den Link. Erst hieß es, noch nicht geöffnet, und als es losging, war ich die 2863 in der Reihe. Ich war ziemlich enttäuscht und verbrachte die Wartezeit mit allerhand Dingen. Am Bildschirm konnte man sehen, welche Nummer gerade dran war – und ein kleines Männchen auf einer Leiste. Es lief von links nach rechts. Meistens ging es sehr langsam, und ab und zu fing das Männchen zu laufen an. Dann gingen die Zahlen sehr schnell. Als ich endlich drankam, waren bereits viele Tage vergeben. Doch ich fand noch freie Plätze und suchte mir ein Startdatum aus. Zwar wird es ein paar Wochen dauern, bis die Anträge bearbeitet sind, aber ich werde ein Permit bekommen. Nachdem ich fertig war, schaute ich neugierig, wie viele noch nach mir kommen, und es waren über 6.000! Es war ein lustiges Gefühl, sich mit so vielen anderen „Verrückten” verbunden zu fühlen. Ich bin also wirklich nicht allein mit meinem Traum vom PCT. 17. November 2018. Gestern kamen einige Dinge meiner Ausrüstung mit der Post: mein warmer blauer Daunenschlafsack und das orange Zelt. Das Aufbauen muss ich erst noch üben. Das Zelt steht frei und hat viel Platz für mich und meine Sachen. Nach und nach werde ich meine Ausrüstung vervollständigen und dann schauen, wie ich alles im Rucksack verstauen werde. 22. November 2018. Nun bin ich wieder einen Schritt weiter: Da man auf dem PCT 5-6 Monate unterwegs ist, reicht für die USA das normale Touristen-Visum nicht aus. Man muss auf der Botschaft persönlich ein Visum für 6 Monate beantragen. Doch vorher brauche ich einen neuen Pass. Mein jetziger läuft im kommenden Jahr ab. Also machte ich mich gestern auf, mich um den neuen Pass zu kümmern. Es dauerte insgesamt nur 15 Minuten. Fünf Minuten beim Fotografen, fünf Minuten Wartezeit und fünf Minuten im Büro der Sachbearbeiterin: fertig! Und der Pass wird zugeschickt. Man muss ihn nicht, wie ganz früher, persönlich abholen. Mit der Nummer des neuen Passes kann ich dann das Visum beantragen und auf der Botschaft einen Termin vereinbaren. Der nächste Schritt wird dann sein, den Flug zu buchen. Pack Weight. Um dieses Thema kreisen bei allen Thru Hikern die meisten Gedanken. Aber was ist das eigentlich? Damit meint man das Gewicht des gepackten Rucksackes ohne Verpflegung und Wasser. Natürlich ist das auch bei kürzeren Wanderungen wichtig, aber bei Tausenden von Kilometern macht es schon einen großen Unterschied, ob man mit leichtem oder schwerem Gepäck unterwegs ist. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass man oft zwischen vier und acht Litern Wasser zusätzlich mitnehmen muss und ca. ein Kilogramm Lebensmittel pro Tag. Aber wie viel ist denn nun „normal“ beim Pack Weight? Es verunsichert zutiefst, dass manche Wanderer sogar die Zahnbürste und den Griff der Haarbürste absägen, alle Schildchen aus der Kleidung entfernen und andere merkwürdig anmutende Dinge tun. Dann gibt es wieder andere, die schreiben auf ihrem Blog, dass sie Bücher mit sich rumgetragen haben und das zusätzliche Gewicht durch den Nutzen für die Psyche absolut ausgeglichen wird. Und so bin ich total verunsichert, liege nachts wach und denke, dass meine Powerbank fürs Handy zu schwer ist. Dann denke ich wieder: Lieber habe ich immer genug Strom fürs Handy, als dass ich auf die paar Gramm verzichte. Dasselbe gilt für das GPS-Gerät, das mir meine Kinder zum Geburtstag geschenkt haben. Während meiner Vorbereitung habe ich gelesen, dass man für den PCT kein GPS braucht, denn er wäre sehr gut markiert. Doch man solle unbedingt einen Kompass und Karten aus Papier mitnehmen. Irgendwie widerspricht sich das. Bis jetzt habe ich mich erst um die „big three“ gekümmert, wie man den Rucksack, das Zelt und den Schlafsack bezeichnet. Ich habe unzählige Beschreibungen studiert und Gear Reviews gelesen. Auf den Rucksack warte ich noch. Auch über die Bekleidung habe ich mich informiert, aber bis jetzt nur einige Teile besorgt. Auch die sonstige Ausrüstung ist noch lange nicht komplett. Einen kleinen Kocher habe ich, aber das ist auch alles. Nach Weihnachten werde ich mich intensiv darum kümmern. Langeweile am PCT. Was macht man den ganzen Tag? OK! Wandern! Und was noch? Wasser suchen und filtern, Essen kochen, Zelt aufbauen etc. Alles Dinge, bei denen man nicht viel denken muss. Und so hat man den ganzen Tag Zeit, sich seinen Gedanken zu widmen. Ich lese gerade ein Buch eines Thru Hikers, der irgendwann nichts mehr zum Denken fand. Er war absolut gelangweilt. Musik hatte er keine mit, dafür aber Hörbücher. Diese Art von Zeitvertreib scheint bei vielen Wanderern sehr beliebt zu sein. Eine junge Frau meinte, wenn man etwas lernen möchte, wäre das beim Wandern eine sehr gute Gelegenheit. Bis jetzt habe ich mich noch nie damit beschäftigt, wie man Hörbücher aufs Handy laden kann, aber das sollte ich unbedingt tun. 27. November 2018. Soeben kam eine E-Mail von der PCT Association: „Your long Distance Permit has been reviewed and approved. Go ahead and make travel plans. Happy trails!“ Da ich ein späteres Datum angegeben habe, als ich starten möchte, fühlt es sich noch merkwürdig an, aber man kann theoretisch den Termin ändern. Ich habe es soeben versucht, aber mein Permit scheint noch nicht in deren Datenbank auf. Aber eigentlich ist es auch nicht so schlimm, denn für die ersten 700 Meilen braucht man kein Permit. Meinen neuen Pass habe ich auch heute mit der Post bekommen. Nun konnte ich mich um das Visum für die USA kümmern. Doch sehr schnell stellte ich fest, dass ich den Antrag noch nicht ausfüllen kann, denn man muss ein digitales Foto hochladen. Und zwar im US-Format. Ich konnte einen Fotografen finden, der solche Fotos machen kann. Nächste Woche werde ich hinfahren. Außerdem werde ich meinen neuen Pass reklamieren, denn das Foto passt absolut nicht. Mein Kopf wurde abgeschnitten. Ich denke nicht, dass man mit so einem Foto z. B. in die USA einreisen darf. Das Passamt muss mir einen neuen Pass ausstellen. Ich werde vorher „hübsche“ Fotos machen lassen, im österreichischen Format, versteht sich. Auch habe ich mich heute darüber informiert, wie ich an den Southern Terminus vom PCT kommen kann. Da am Wochenende keine Busse fahren, war ich gestern sehr besorgt, doch heute geht es mir besser, denn eigentlich zeigt sich mir alles immer zur richtigen Zeit. Es gibt sog. „Trail Angels“, das sind freundliche Menschen, die den Hikern behilflich sind. Da gibt es z. B. ein Ehepaar, das die Hiker zur Grenze, zum Startpunkt des PCT, transportiert. Die habe ich heute gleich mal angeschrieben. Das klappt bestimmt! Die freundliche Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Fire Permit. Um in Kalifornien ein Feuer machen zu dürfen, benötigt man eine sog Californian Fire Permit. Doch das gilt nicht nur für Lagerfeuer, sondern auch für Campingkocher. Ich habe den Antrag ausgefüllt, doch so schnell geht das dann doch nicht. Zunächst muss man sich ein belehrendes Video ansehen. Erst wenn man das getan hat, kann man weiterklicken. Darauf folgt ein Quiz, und bei jeder richtigen Frage kommt man einen Schritt weiter. Erst wenn alle Fragen richtig beantwortet wurden, kommt man auf die Seite mit der Permit, die sich dann endlich ausdrucken lässt. Das Permit für den PCT ist da! 16. Januar 2019. Endlich ist es soweit: Mein Permit ist da, und ich wollte es sofort ausdrucken. Doch vorher muss man sich zwei kurze Videos anschauen über die Sicherheit auf dem PCT. Es gibt auch sonst eine ganze Menge an Hinweisen und Vorschriften, die man als Thru Hiker beachten muss. Man darf sich nicht zu weit vom Trail entfernen, nur zum Zweck des Lebensmitteleinkaufes oder anderer Erledigungen. Für manche Nationalparks braucht man noch ein Extra-Permit, und einen konkreten Abschnitt muss man in 30 Tagen durchquert haben. Flugbuchung. Gestern war es endlich soweit: Ich hatte einen Termin beim Reisebüro, um meinen Flug zu buchen. Zuerst überlegten wir, ob ich lieber ein One-Way-Ticket nehme. Doch wir hatten Zweifel, ob das bei der Einreise so gut ist. Außerdem kostet one way mehr als hin und zurück, warum auch immer. Wir sprachen alle Möglichkeiten durch, und ich entschied mich für die Hinreise nach San Diego und zurück von Seattle. Und zwar ein umbuchbares Ticket. Das Reisebüro bot an, alles für mich per E-Mail zu erledigen. Ich muss mich nicht darum kümmern. Sehr praktisch. Und für alle medizinischen Fälle habe ich eine Auslandversicherung abgeschlossen. Stück für Stück komme ich der Anreise näher. Am Wochenende will ich das Hotel in San Diego buchen, und dann … Noch fehlen ein paar Ausrüstungsgegenstände, und ich bin unschlüssig, wie ich meine Sachen flugtauglich verpacke. Aber das hat noch Zeit. Mit der Organisation der Wohnungsauflösung bin ich auch schon fertig, und es sind noch mehr als zwei Monate bis zur Abreise. Also genügend Zeit. 01. Februar 2019. Ich fühle mich wie ein Kind vor Weihnachten. Es dauert viel zu lange. Wann geht’s endlich los? Mein Webcountdown sagt: noch 64 Tage. Eigentlich ist das ja gar nicht mehr lange, aber ich möchte endlich losmarschieren. Einerseits kann ich es fast nicht mehr erwarten, andererseits kommen mir immer wieder Zweifel, ob ich alles bis dahin schaffe. Vor allem die Auflösung der Wohnung. Aber auch die Organisation des Resupply. Eigentlich wollte ich schon vor ein paar Tagen ein Hotel in San Diego raussuchen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Meinen Flug habe ich bereits vor einer Woche gebucht. Abflug am 2. April von Innsbruck nach Frankfurt, dann Denver und dann San Diego. Meine Arzttermine und Untersuchungen habe ich auch schon hinter mich gebracht. Es fehlt nur noch der Zahnarzt. Außerdem habe ich die Ausrüstung noch nicht vollständig zusammen. Vor allem fehlen mir noch eine gute Kamera, aber auch ein paar Bekleidungsstücke. Das mache ich dann im Februar. Es wird schon noch alles rechtzeitig fertig werden. Es dauert einfach viel zu lange. Ich kann es kaum erwarten, bis es losgeht. Ich möchte endlich starten und nur wandern, wandern, wandern. 26. Februar 2019. Noch fünf Wochen. Ich sitze im Flieger nach Frankfurt und weiter nach Singapur. Am Samstag ist die Hochzeit meines Sohnes in Thailand. Es wird bestimmt ein fröhliches, buntes Wochenende. Und doch beschäftigt mich manch anderes. Was mache ich nach dem PCT? Ich möchte keine Wohnung suchen. Ich will frei und ungebunden sein. Trotzdem stimmt es mich traurig, jeden Tag aufs Neue, mich von meinem Hund Luna verabschieden zu müssen und sie sicher nicht so bald wieder zu mir holen zu können. Eigentlich habe ich gesagt, dass ich auf dem PCT rausfinden will, was ich danach machen möchte, aber die Ungewissheit mag ich nicht. Und so habe ich mich über andere Trails informiert, und da gibt es unzählige! Die kann ich ja anschließend machen. 12. März 2019. Post Trail Depression. Genauso wie es nach traumatischen Erlebnissen eine posttraumatische Belastungsstörung geben kann, kann es nach einem Thruhike zu einer Depression kommen. Man war fünf oder sogar sechs Monate in der Natur unterwegs, fernab von Zeitung und Fernsehen. Es gab weder familiäre noch berufliche Verpflichtungen. Jeder Tag war anders, aufregend und neu. Wie soll man sich da zurück in den Alltag je wieder zurechtfinden? Ich habe von Hikern gehört, die auch zu Hause auf der Isomatte neben ihrem Bett geschlafen haben. Andere haben sich ihr Zelt im Garten aufgebaut. Die Reizüberflutung durch Radio, Fernsehen, Werbung, Zeitungen, Musik, viele Menschen, Lärm, Lichter, all das kann schon ganz schön viel sein. Man möchte sich am liebsten verkriechen. Es ist auch absolut ungewohnt, sich nur noch wenig zu bewegen, statt stundenlang zu wandern. Viele Rückkehrer nehmen sehr schnell an Gewicht zu und fühlen sich dadurch noch unwohler. Natürlich ereilt nicht jeden Thruhiker nach der Rückkehr so eine Post-Trail-Depression, aber doch so manche. Wie bereitet man sich auf die Rückkehr vor? Als Tipp habe ich gelesen: „Manchen Sie schon vor dem Start Pläne für danach, damit Sie nicht in ein schwarzes Loch fallen. Zu Hause bleiben Sie in Kontakt mit anderen, die Sie am Trail kennengelernt haben, und schauen Sie sich Ihre unzähligen Fotos und Videos an.“ Und bevor man wieder in der Alltagsroutine versinkt, plant man am besten das nächste Abenteuer. 13. März 2019. Wie gefährlich ist der Pacific Crest Trail? Wenn man auf der Seite der Pacific Crest Trail Association liest: „You may be hurt! You may die!“, klingt das sehr beunruhigend. Doch worin bestehen die Gefahren? Da ist erst mal der Wassermangel in der Wüste. Das sind immerhin die ersten 700 Meilen. Danach kommt die Sierra Nevada. Da gibt es den Schnee und allerhand damit verbundene Gefahren. Dazu kommen unzählige Flussüberquerungen. Nach dem Hochgebirge kommt wieder ein Wüstenabschnitt, der zur heißesten Gegend von Kalifornien zählt. Die weiteren Trail-Abschnitte sind nicht ganz so extrem. Man sollte nur nicht zu spät im Herbst in Washington ankommen, da man sonst vom Schneefall überrascht wird. Gefährlich können auch die Waldbrände sein, die es sowohl in Kalifornien als auch in Oregon gibt. Zu den natürlichen Gefahren wie Hitze und Kälte kommen noch allerlei Tiere dazu: In der Wüste gibt es Skorpione, auch in winzigen Größen, und natürlich Klapperschlangen. Man sollte also nicht mit Kopfhörern unterwegs sein, damit man das Klappern nicht überhört. Normalerweise beißen die Schlangen nur, wenn sie überrascht oder bedroht werden. Ein guter Tipp ist es, bevor man sich hinsetzt oder sein Zelt aufschlägt, den Boden erst genauer anzusehen. Andere, kleiner Tiere wie Mäuse und Eichhörnchen, können lästig sein und z. B. sich an die Lebensmittel ranmachen. Ganz anders ist es mit größeren Säugetieren wie Berglöwen und Bären. Berglöwen sind sehr selten, kommen aber doch vor. Und die Bären, ach, die Bären. Es gibt Wegabschnitte, da besteht die Vorschrift, seine Lebensmittel und alles, was riecht, wie Toilettenartikel, in einem Bärenkanister zu verstauen und diesen in einer gewissen Entfernung des Zeltes zu deponieren. Auf den Campingplätzen gibt es Bärenboxen, das sind verschließbare Holzkisten. Gut zu wissen ist es, welche Bären es wo gibt. Die gute Nachricht: Grizzlybären gibt es am Pacific Crest Trail nicht. Nur Schwarzbären. Die Verhaltensvorschriften sind je nach Bärenart unterschiedlich. Schwarzbären können klettern und schnell laufen. Sie sind jedoch nur angriffslustig, wenn sie ein Jungtier bei sich haben oder wenn sie erschrecken. Man sollte sich also immer bemerkbar machen bzw. nicht allein unterwegs sein. Ansonsten sollte man sich ganz groß machen und die Arme ausbreiten und versuchen, den Bären zu verscheuchen. Die Aussage, wenn das nicht hilft, „you have to fight back!“, klingt nicht sehr beruhigend. Neben den Tieren gibt es auch einige giftige Pflanzen, deren Berührung auch manche Hiker ins Krankenhaus gebracht hat. Zum einen ist das Poisson Oak, eine Pflanze, deren Blätter unserer bekannten Eiche ähneln, und dann ist da noch der Poodle-dog-bush. Ein Busch mit lila Blüten, die rund um einen Ast aufgereiht sind. Bei beiden ist der Hautkontakt unbedingt zu vermeiden. Natürlich ist auch immer eine gewisse Vorsicht geboten beim „Umgang“ mit Menschen. Da man oft in eine Stadt trampen muss, wenn man Lebensmittel besorgen will, sollte man auch da seinen gesunden Menschenverstand und sein Bauchgefühl einschalten. Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Wanderer seinen Rucksack hinten auf den Truck geworfen hat, und bevor er einsteigen konnte, ist das Auto davongebraust. Wenn man sich all diese Gefahren bewusst macht, kann in einem schon ein mulmiges Gefühl hochkommen. Doch vor Angst gestorben ist auch gestorben. Also nur Mut! Happy Trails! Trail Magic und Trail Angels. Was versteht man darunter? Für viele Hiker klingen diese beiden Begriffe wie goldene Töne in den Ohren. Wenn man sich mit Rucksack Meile für Meile abmüht, kommt man sich fast wie im Himmel vor, wenn plötzlich Trail Magic auftaucht. Das sind die unvorhersehbaren Überraschungen, die freundliche Menschen den Wanderern bereiten. Das können Kühlboxen sein, in denen sich Snacks und kalte Getränke befinden. Das können aber auch einfach nur Wasserflaschen sein in Gegenden, wo es kaum Wasser gibt. Manche Wanderer haben auch von Solarpaneln erzählt, an denen man sein Smartphone aufladen kann. Praktisch und sehr nett ist es auch, wenn jemand einfach den Abfall der Hiker mitnimmt. Trail Magic kann aber auch ein Barbecue sein, dessen Duft nach Gegrilltem man schon von Weitem in der Luft riechen kann. Trail Angels sind alle jene guten Geister, die die Thru Hiker unterstützen. Oft handelt es sich dabei um Personen, die in früheren Jahren selbst den Trail gewandert sind. Sie wollen die Wanderer unterstützen. Ihre Dienste sind sehr vielseitig. Da gibt es welche, die mit ihren Autos Tarnsport anbieten, sei es am südlichen Start oder auch auf der Strecke zur jeweiligen Stadt. Andere lassen die Wanderer auf ihren Grundstücken übernachten. Es gibt manchmal sogar Duschmöglichkeiten und auch Waschmaschinen. Viele Trail Angels wollen für ihre Dienste kein Geld. Ja, es sind wahre Engel, die Trail Angels. Letzte Vorbereitungen. Mein Hund muss in eine Stadt gebracht werden, die sechshundert Kilometer entfernt ist. Niemand hat gesagt, dass Abschied nehmen einfach ist. Gestern bin ich mit meinem Hund acht Stunden Zug gefahren, um ihn für die Zeit meiner Wanderung unterzubringen. Und heute fahre ich bereits wieder zurück. Ich musste ganz schnell in den Zug einsteigen, um meine Tränen zu verbergen. Den PCT mit Hund zu wandern, geht nicht. Einerseits wegen der Wildtiere, andererseits wegen des Transports von Wasser und Futter. Und nicht zuletzt auch, weil Hunde nicht in allen Nationalparks erlaubt sind. Nur noch zwei Wochen, dann geht’s endlich los! Dann ist es auch vorbei mit der Traurigkeit. Meine Sachen müssen bis 31. März in einer Lagerbox untergebracht werden. Eine neue Post-Adresse muss angemeldet werden. Dann eine Postvollmacht erteilt werden und nicht zuletzt ein Nachsendeantrag gestellt werden. Leider war der Mann am Schalter mit dem PC überfordert und stellte den Nachsendeantrag nur für drei Monate aus. Es gelang ihm nicht, den Antrag auf sechs Monate zu verlängern. Er sagte aber freundlich, dass ich ja dann im Juni an jedem Postamt den Nachsendeantrag verlängern kann. Doch wenn ich dann am PCT unterwegs bin, geht das nicht. Man kann das auch online machen in der Post App. Dazu richtet man sich einen Account ein. So gut, so schön. Dann muss man einen Identifikationsprozess durchlaufen: Ausweis bereithalten. Dann taucht eine Frau am Display auf. Sie stellt Fragen und möchte das Gesicht mit dem Pass vergleichen. Sie wollte, dass ich die Kamera des Smartphones wechsle. Es hat nicht geklappt, und die nette Dame war verschwunden. Also nochmals in den Account einloggen. Funktionierte nicht. Neues Passwort anfordern. E-Mail aufmachen, neu einloggen. Zweiter Versuch. Wieder erscheint dieselbe Dame. Wieder die Aufforderung, die Kamera umzuschalten. Ich sagte, es würde nicht funktionieren. Sie antwortete, ich könnte mir auch eine Identifikations-App runterladen. Irgendwie hatte ich genug von der umständlichen Prozedur und beendete das Gespräch. Nun begann ich, meine Adresse im Internet Banking zu ändern. Bei der einen funktionierte es problemlos, bei der anderen erschien ein Infofenster, dass Adressänderung nur durch den Betreuer möglich ist. Dann wollte ich meine Bankomatkarte fürs Ausland freischalten. Geht nur für drei Monate. Man könne es ja online verlängern … Wenn man eine Internetverbindung hat und von unterwegs bereit ist sich ins Onlinebanking. einzuloggen. Für meine Sicherheit bekam ich von meinem Sohn ein Tracking-Gerät geschenkt, es funktioniert über Satellit. Das ist wichtig, weil es nicht überall Handyempfang gibt. Dieses Gerät nennt sich Spott. Um es verwenden zu können, muss man es im Internet registrieren und einen Vertrag abschließen. Dazu braucht man die Internetseite, eine Kreditkarte und mehrere Nummern. Diese befinden sich im Inneren des Gerätes, wo man die Batterien einlegen muss. Also machte ich mich an die Registrierung. Bereits bei meiner Adresse stieß ich auf ein unlösbares Problem. Die Postleitzahlen in Deutschland haben fünf Ziffern, in Österreich aber nur vier. Ich versuchte es mit einer Null davor, doch das sind die Postleitzahlen für die sog. neuen Bundesländer. Das Anhängen einer Null ging, aber dafür konnte man dann kein Land eingeben. Das dafür vorgesehene Feld wurde nicht freigeschaltet. Zum Glück konnte man trotzdem auf „weiter“ klicken. Ich bezahlte mit Kreditkarte und war registriert. Schön! Das war also geschafft. Nun hieß es, dass man das Gerät an den Laptop anschließen muss. Zuerst die Batterien einlegen, dann per USB-Kabel verbinden. Freundlich wurde mir mitgeteilt, dass mein Gerät ein Software Update besucht. „Dazu laden Sie sich folgendes Programm herunter.“ Auch das habe ich ganz brav gemacht. Nun ging es darum, E-Mail-Adressen für den Notfall zu hinterlegen. Ok, also versuchen wir es, dann hieß es: Bitte geben Sie die Zahlen ein, die sich im Inneren des Gerätes befinden. Uff! Also die winzigen Schrauben wieder aufdrehen, die Batterien entfernen und die Zahl eingeben. Batterien einlegen, zuschrauben und Gerät wieder mit dem Laptop verbinden. Später habe ich auf dem Tisch einen Zettel entdeckt, auf dem ich in weiser Voraussicht diese Zahl notiert hatte. Der Spott hat mehrere Funktionen. Zum einen gibt es einen Notfallknopf. Mit dem wird ein Signal per Satellit an die nächste Notrufzentrale geschickt mit den geografischen Koordinaten. Somit wird ein Rettungsteam dort hingeschickt. Zum anderen kann man auf einem Hilfeknopf die Adresse von Angehörigen hinterlegen, die in der Nähe sind und zu Hilfe eilen könnten Dann gibt’s den OK-Knopf. Der wird auch mit E-Mail-Adressen oder Telefonnummer hinterlegt, und ein Text wird formuliert. Somit kann man den anderen mitteilen: „Es geht mir gut!“, und die Koordinaten werden mitgeschickt. So wissen die Angehörigen, wo man sich befindet. Eine weitere Funktion ist vorhanden, mit der man einen anderen Text an weitere Personen verschicken kann. Und nicht zuletzt kann man das Gerät auf Tracking einstellen. In vordefinierten Abständen wird das GPS-Signal aufgezeichnet. Diese Karte kann man per Link mit anderen teilen. Auf diese Weise können sie mitverfolgen, wo man sich fortbewegt. Nachdem ich alles erledigt hatte, bin ich mit meinem Hund auf eine große Wiese gegangen und habe den OK-Knopf ausprobiert. Und meine Kinder haben tatsächlich eine Benachrichtigung erhalten. Schön, dass es funktioniert! 31. März 2019. Nur noch ein Tag bis zum Abflug nach San Diego. Gestern war mein Umzug und die Wohnungsübergabe. Heute habe ich immer wieder den Eindruck, dass mein Körper zu klein ist für die vielen Gefühle, die in mir sind. 01. April 2019. Letzter Tag in Tirol. Zuerst war ich beim Friseur, aus rein praktischen Gründen, meine Haare ganz kurz schneiden zu lassen. Auf den ersten Fotos werde ich wohl mein Käppi auflassen. Das herrliche Frühlingswetter habe ich für eine kleine Wanderung genutzt. Man muss nicht den PCT wandern, um Berge erleben zu können. In Tirol ist das überall möglich. Heute war wolkenloser Himmel, und die weißen Berggipfel erstrahlen in der Sonne. Gestern rief mich mein Sohn aus Sydney an, um mir eine gute Zeit zu wünschen. Ich war gerade beim Spazierengehen. Am Abend telefonierte ich mit meiner Tochter in der Schweiz. Später sprach ich mit meiner Tochter in Wien. Am Tag davor hatte ich auch mit meinem Sohn in Singapur telefoniert. Ja, jetzt kann es losgehen! 04. April 2019. San Diego. Es war eine gute Idee, hier in San Diego ein paar Tage zu haben. Gestern ging ich sehr früh ins Bett. Zwar war ich in aller Frühe wieder wach, blieb aber liegen. Um sechs Uhr war ich richtig erholt. Noch drei Tage, bis es losgeht. Gestern war ich bei der Post, um leere Postschachteln zu holen. Dann breitete ich alle Sachen auf den Betten aus (Nur gut, dass ich zwei Kingsize-Betten im Zimmer habe!). Es dauerte sehr lange, bis ich alle Dinge auf fünf Kartons verteilt hatte. Was schicke ich mir wohin voraus? Heute bringe ich drei Pakete zur Post. Die Bounce Box und das Paket an die Familie eines Freundes werde ich am Samstag abschicken. Auf der Post wurde mir gesagt, dass ich die falschen Adressaufkleber verwendet habe. Also Aufkleber anziehen und alles noch einmal schreiben. Endlich war es geschafft: drei Pakete waren abgeschickt. Dann ging ich in den AT&T Store, um eine amerikanische SIM-Karte zu besorgen. Der Tarif war bald gefunden. Nun ging es darum, alles im Internet auszufüllen. Wir waren fast fertig, als die Verkäuferin feststellte, dass meine Kreditkarte nicht funktionierte. Sie fragte, ob ich eine andere Karte habe. Zwar habe ich eine zweite Karte, aber die Frau konnte die ganze Prozedur nicht mehr rückgängig machen. Wieder fragte sie ihren Chef. Schließlich musste sie eine neue SIM-Karte holen und alles noch einmal machen. Das Problem war nicht meine Kreditkarte, sondern die Postleitzahl meiner österreichischen Adresse. Ich konnte die Adresse von amerikanischen Freunden eintragen, und, wow, es funktionierte! Nun habe ich also ein funktionierendes Internet und Telefon für die USA Am Nachmittag las ich viel über den PCT. Und da waren sie wieder, die Unsicherheit und die Bedenken. Doch ich steckte das Buch weg. Ich will nicht zurückfallen in eine ängstliche Stimmung. „I can do it! Es werden wundervolle Wochen werden. Ganz bestimmt!“ 05. April 2019. San Diego. Seit drei Uhr lag ich wach im Bett. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen, aber auch nicht meditieren. Um sechs Uhr bin ich aufgestanden. Nun habe ich meinen Rucksack zum ersten Mal gepackt. Er ist prallvoll, und doch ist noch nicht alles drin. Außerdem fehlt noch das Wasser. Und dieses dicke „Ding” will ich sechs Monate mit mir rumschleppen? Am besten sehe ich in ihm einen guten Freund – einen Begleiter. Vielleicht fällt mir ein Name für ihn ein. 06. April 2019. San Diego. Alles ist fertig. Ich habe die letzten Pakete zur Post gebracht. Meine Arme tun mir weh. Nun habe ich meine Wanderbekleidung an und werde die nächsten Wochen und Monaten so rum- laufen. Sehr praktisch, wenn man nicht überlegen muss, was man anziehen soll. Trotzdem ist mein Rucksack so prallvoll, ohne Wasser und mit nur wenigen Lebensmitteln. Auch daran werde ich mich gewöhnen. Morgen geht es los – endlich los. Auf in ein wundervolles Abenteuer! 8. April 2019. Cibetsflat Campground (Meile 32) Gestern Abend war es zu spät zum Schreiben. Es war ein anstrengender Tag. Die meisten Hiker teilen die ersten 20 Meilen auf und übernachten irgendwo dazwischen. Ich wollte aber am ersten Abend mein Zelt auf einem Campingplatz aufstellen, falls ich damit nicht zurecht komme, wären ja noch andere Menschen dort. Ein netter Amerikaner begleitete mich. Auch er wollte noch zum Lake Morena. Immer wieder musste er auf mich warten. Die letzten vier Meilen gingen immer bergauf. Das kostete fast meine letzte Kraft. In der Ferne hörte man Kojoten heulen, und die Dämmerung kam. Als wir am Zeltplatz Lake Morena angekommen sind, war die Sonne bereits untergegangen. Bis wir den Platz für die PCT-Hiker gefunden hatten, war es total dunkel. Mein Zelt zum ersten Mal im Freien aufzustellen, und das im Dunkeln, war eine enorme Herausforderung. Ich hatte kein Wasser mehr und konnte auch keines abfüllen. Das Wasser musste wegen Coli-Bakterien abgekocht werden. Daher ging ich mit Matthew, dem freundlichen Wanderer aus Kalifornien, noch zum kleinen Laden. Ich hatte zwar einen Kocher, aber noch kein Gas. Danach konnte ich eine heiße Dusche genießen (Dafür braucht man 25-Cent-Münzen, sog Quarters). Ich schlüpfte glücklich in meinen Schlafsack. Doch vorher versuchte ich, die Insekten aus dem Zelt zu scheuchen. Man merke: Bei offener Tür verwendet man besser keine Lampe im Zelt. Der Start verlief gestern völlig unspektakulär. Als ich das Monument sah, war ich überrascht, wie klein es ist. Ich ließ mich fotografieren und marschierte los. Nichts mit überwältigenden Gefühlen. Gleich nach dem Start in Campo habe ich den Weg nicht gefunden. Da es früh am Sonntagmorgen war, war niemand auf der Straße in dem kleinen Ort zu sehen, den ich hätte fragen können. Ich irrte fast eine Stunde rum, bis ich irgendwo wieder auf den Trail stieß. Das fängt ja schon gut an! Der Weg gefiel mir sehr gut, und trotz schwerem Rucksack kam ich gut voran. Dann konnte ich endlich die Landschaft genießen. Der heutige Tag begann mit einem Frühstück im kleinen Laden in Lake Morena. Ich bin recht spät aufgestanden. Ich konnte kaum frühstücken. Bereits beim ersten Bissen war mir schlecht. Ich redete mir selbst zu wie eine Mutter ihrem kleinen Kind. Mit drei Tassen Kaffee hatte ich endlich alles runtergegessen. In der Hitze des Tages wanderte ich heute. Mein Rucksack ist viel zu schwer. Mal sehen, wie ich ihn leichter bekomme. Nach jeder Pause, wenn ich ihn wieder aufnehme, kommt er mir schwerer vor, so, als ob jemand heimlich Steine reingetan hätte. Tja, und morgen muss ich die Blasen an meinen Füßen versorgen. Für heute: Gute Nacht! Ach ja, heute habe ich eine Eidechse mit einem leuchtend blauen Schwanz gesehen. 08.04.2019. Jetzt beginnt ein neuer Tag. Noch ist es sehr kalt, und im Schlafsack ist es so gemütlich warm, aber das hilft nichts. Auf geht’s! Zusammenpacken und los! Ich bin auf einem offiziellen Campingplatz gelandet. Jemand hat mich zu einer bestimmten Stelle für PCT-Hiker geschickt, aber die anderen sind nicht gekommen. Eine ganze Weile bin ich rumspaziert auf der Suche nach einem geeigneten Platz für mein Zelt. Schließlich habe ich mein Zelt hier ganz einsam aufgestellt. Vielleicht suche ich mir noch ein Klo und gehe schlafen. Der Bach rauscht, und es ist sehr windig. 09. April 2019. Mount Laguna, Meile 42. Ich bin so voller Dankbarkeit! Als ich dort ankam, fragte ich, ob ich eine Cabin, kleine Hütte, bekommen könnte. Ich wollte dort nicht zelten, weil es total windig war. Ich musste warten. Zuerst ging’s in ein kleines Café zum Essen. Es war angefüllt mit Hikern. Ich hatte Pancakes und viel Kaffee. Die Wartezeit auf die Cabin verbrachte ich draußen. Ich legte mich auf meine Isomatte und schlief kurz ein. Endlich bekam ich eine Cabin, den Schlüssel, einen Eimer und Waschpulver. Ich wusch meine Wäsche und machte es mir gemütlich. Draußen blies ein kalter Wind, und ich konnte meine kleine Hütte sogar heizen. Das war gestern. Der heutige Tag war nicht so lang. Die Nacht war total windig, und ich wachte sehr oft auf. Doch der Sternenhimmel entschädigte für alles. Ich campte ganz alleine. Nach einem Kakao und einem Cookie startete ich bei Morgengrauen. Der Trail war so wundervoll und abwechslungsreich. Dafür bin ich hierhergekommen. Plötzlich dachte ich: „I am the trail!“ Dann dachte ich an Jesus, der sagte: Ich bin der Weg. Ja, er zeigte uns den Weg und ging den Weg zu Gott. Möge mich der Trail auch näher zu Gott führen. 10. April 2019, Meile 62. Es ist Abend, die Sonne ist untergegangen, und ich bin froh, im Zelt zu sein. Meine Füße haben arg gelitten, und die Socken sind voller Blut. Über Nacht lasse ich die Füße lüften, und morgen früh sehen wir weiter. Es war ein guter Tag. Ich habe Müsli mit Joghurt gefrühstückt, und dazu gab es Kaffee. Ich bin dann sehr früh aufgebrochen. Zuerst habe ich auf dem riesigen Zeltplatzgelände die Abzweigung verpasst und bin 30 Minuten auf der Straße gelaufen. Als ich endlich Handyempfang hatte, konnte ich mit Google Maps den Weg zum Trail finden. Meine APP für den PCT funktioniert nur teilweise, denn sie zeigt mir meinen aktuellen Standort nicht an. Ich fragte einen deutschen Hiker, der dieselbe APP verwendet, wie man auf der Karte in der APP den eigenen Standort sehen kann. Er konnte an meinem Handy den Zugriff auf meinen Standort für diese APP freischalten. Das war sehr hilfreich. Auf einem Picknickplatz mit herrlicher Aussicht machten wir eine sehr lange Frühstückspause. Es gab dort auch Plumpsklos und einen Wasserhahn, wo wir unsere Flaschen auffüllen konnten. Schließlich marschierte jeder im eigenen Tempo weiter. Die Landschaft ist atemberaubend schön! Wohin man schaut, reiht sich eine Bergkette an die nächste. Die letzten Meilen zogen sich in die Länge. Etliche Wanderer bauten ihre Zelte abseits des Weges auf. Ein Mann suchte verzweifelt nach Wasser. Ich erreichte einen Zeltplatz, auf dem bereits ein paar andere Hiker ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Es war an einem kleinen Bach. Gut, dass wir diesen Platz gefunden hatten. Als die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, wurde es sehr schnell kühl, und ich kroch in mein Zelt. Gute Nacht! 11. April 2019, Meile 77. Julian. Ich habe sehr gut geschlafen. Der Platz war idyllisch, doch ich war zu erschöpft, um es genießen zu können. Bereits vor Sonnenaufgang stand ich auf und hatte nur noch ein Cookie und kaltes Wasser zum Frühstück. Ich machte mich vor den anderen auf den Weg und war flott unterwegs. Irgendwo verpasste ich wieder mal eine Abzweigung und konnte den Wassertank einfach nicht finden. Schließlich lief ich einen anderen Trail entlang, der in eine sog. dirt road überging. Ich hatte absolut keine Lust, den Weg wieder hinauf zurückzugehen. Ich fand den Weg auf der Karte und sah, dass er runter zum Highway führt in eine kleine Ortschaft. Der Highway führte nach Julian, wo ich sowieso hin wollte. Das Café und der kleine Laden waren geschlossen. Ich machte mir kalten Kaffee-Kakao und beschloss zu trampen. Auf dem Highway zu laufen war mir zu lange und zu gefährlich. Ich versuchte also zu trampen. Doch wenn ein Mann alleine im Auto war, ließ ich meinen Daumen unten. Es dauerte eine ganze Weile, bis ein älteres Ehepaar anhielt. Ich fragte nach ihren Namen. Es waren Karsten und Diane, die mich zur Lodge in Julian brachten. Da es sehr früh war, wartete ich recht lange auf ein Zimmer. Zum Glück gab es Kaffee. Nun geht es mir gut, und ich werde mir das kleine Dorf anschauen. 12. April 2019. Julian. Die Nacht war unterbrochen durch häufiges Aufwachen, trotzdem habe ich mich erholt. Von einem älteren Hiker namens Gerry bekam ich ein paar Schmerztabletten, weil mir meine Füße so arg wehtaten. Nach dem Frühstück kühlte ich meine Füße nochmals mit kalten nassen Socken und schlief prompt noch mal ein. Danach musste ich in ein anderes Zimmer wechseln. Anschließend spazierte ich wieder durchs kleine Dorf und traf viele andere Hiker. Für morgen habe ich einen Transport zurück zum Trail. Mathew, mit dem ich am ersten Tag zum Lake Morena gewandert bin, wird mich fahren. Er kommt von Julian. Gestern bekam ich von seiner Mutter einen sehr guten Apple Pie mit Vanilleeis und Kaffee. Im Dorf kam ich ins Gespräch mit einem Hiker namens Tony. Er war früher ein Special Agent bei der Armee und arbeitete danach bei der Railway Patrol. Er schenkte mir eine Flasche Limonade. Wir saßen am Straßenrand in der Sonne bei Musik von einer Baustelle. Am Nachmittag ging ich ins berühmte Café Mom’s Pie, wo man mit seiner PCT Permit Apfelkuchen mit Eis und ein Getränk bekommt. Später spazierte ich zur ehemaligen Goldmine, und um 17 Uhr ging ich in der kleinen Dorfkirche zur Messe. Es war ein erholsamer Tag. Meinen Füßen geht es zwar noch immer nicht gut, aber schon etwas besser. Morgen geht’s zurück zum Trail. 13. April 2019. Julian. Zwar habe ich nicht besonders gut geschlafen, aber ich war trotzdem erholt. Es war ausgemacht, dass Mathew mich um 8:15 Uhr abholen kommt. Aber er kam erst 30 Minuten später. Er hatte an einem anderen Hotel gewartet. Auf dem Weg zu Scissors Crossing, wo der PCT wieder beginnt, nahmen wir einen anderen Hiker mit, der am Straßenrand stand. Wir fuhren zu einer Water Cache unter einer Brücke, wo bereits drei junge Frauen sich für den Trail fertig machten. Sie hatten hier übernachtet. Wir machten uns auf den Weg, aber schließlich lief doch jeder in seinem eigenen Tempo weiter. Ich habe beschlossen, meine Füße alle zwei Stunden zu lüften, was mir sehr gut getan hat. Bei meiner zweiten Pause bekam ich Zehensocken von einer Frau aus Seattle geschenkt. Die sind so was von angenehm. Diese Socken werden nicht nach Europa geschickt, ansonsten hätte ich mir schon vorher welche besorgt. Ich marschierte weiter bis zum Gate Nr. 3 und dem großen Schild: Water. Zuerst baute ich mein Zelt auf, bevor ich runter zum Wasserholen ging. Die Wasser Cage besteht aus unzähligen Wasserkanistern, die von Freiwilligen hierher transportiert werden. Ich aß kalten Kartoffelbrei und freute mich auf die Nacht zum Ausruhen. 14. April 2019, Meile 109. Warner Springs. Ich bin bereits in der Morgendämmerung losmarschiert. Da ich inzwischen besser organisiert bin, gelingt es mir, die anderen nicht aufzuwecken mit den Geräuschen des Zusammenpackens. Ich lief los, als die Hiker und Schlangen noch schliefen. Sogar die Blümchen hatten ihre Köpfchen noch geschlossen. Es war angenehm kühl und total friedlich. Die Landschaften wechselten sich ständig ab, und ich kam gut voran. Die 100-Meilen-Markierung hätte ich beinahe übersehen. Doch dort standen etliche Hiker und machten Fotos. Ich ließ mich auch fotografieren. Wenn man so vor sich hin spaziert, gehen auch die Gedanken spazieren. Mir fiel ein, was ich alles von San Diego weitergeschickt habe, damit ich es beim Heimflug wieder abholen kann. Der Gedanke an ein Nachthemd kam mir total absurd vor: „Wozu braucht man so etwas eigentlich? Ein Nachthemd, das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.“ An der nächsten Wasserstelle sammelten sich die Hiker. Ich wusch mir zuerst die Hände und das Gesicht, bevor ich zu essen begann. Es ist erstaunlich, wie schmutzig die anderen sind. Nicht einmal die Hände haben sie sich gewaschen. Natürlich wird man dreckig, aber wenn man will, kann man sich auch immer wieder sauber machen. Nach dieser Kaffeepause wanderte ich weiter bis zum Eagle Rock, einem großen Felsbrocken, der aussieht wie ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Nach einer Essenspause ging ich weiter bis Warner Springs. Zwischendurch schluckte ich eine Schmerztablette Ibuprofen, weil mir meine Füße extrem wehtaten. Auf dem Zeltplatz wusch ich meine Wäsche in einem Eimer, und auch für die Dusche verwendeten wir den Eimer und einen Schöpfbecher. Meine Füße sind voller Blasen, und die Blasen an den Fußballen sind offen. Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es empfindlich kalt. Es tut gut, jetzt im Schlafsack zu sein. 16. April 2019, Meile 127. Mike’s Place. Gestern habe ich nichts mehr geschrieben. Ich hatte einen hübschen Platz mit Aussicht auf die umliegenden Berge gefunden und wollte dort bleiben. Weiter unten war ein kleiner Bach. Ich hatte genug zu essen und mein Zelt. Meine Füße sahen schrecklich aus. Überall Blasen, und die Fußballen waren ganz offen. Ich lag im Schlafsack voller Selbstmitleid und dachte, dass ich nicht mehr weitergehen kann. Aber Selbstmitleid hilft absolut nicht weiter, wenn man drei Tage vom nächsten Ort entfernt ist. Eigentlich wollte ich dort bleiben und ließ alle anderen ihre Zelte abbauen und losgehen. Ich wollte einfach dort bleiben. Aber es war neblig und kalt, richtig ungemütlich. Eine ältere Frau, die nur eine Tageswanderung machte, schenkte mir Verbandsmaterial, und eine Hikerin namens Foxtail verband mir meine Füße. Bis ich alles zusammengepackt hatte, nochmals Wasserholen war und ein zweites Müsli gegessen hatte, war es bereits 11:30 Uhr. Für die 8 Meilen brauchte ich drei Stunden. Es war neblig, und man konnte nicht sehr weit sehen. Eine ganze Weile führte der Weg vorbei an riesigen Steinen. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass das ein guter Platz wäre, um Ostereier zu verstecken. Obwohl ich von der Landschaft nichts gesehen habe, fand ich diese Wanderung echt schön. Ich mag solche mystischen Stimmungen. Angekommen an Mike’s Place, wäre ich am liebsten wieder umgekehrt. Es ist ein absolut hässlicher Ort, ein Schrottplatz. Im Haus und davor gammelten unzählige Hiker. Da für die Nacht ein Sturm angesagt war, suchte ich mir schnell einen Platz, um mein Zelt aufzubauen. Etliche Hiker rollten ihre Isomatte und Schlafsäcke im Wintergarten aus. Zu den Bewohnern des Hauses gehört ein Mann, der sich „weird“ (seltsam) nennt. Ungepflegt und schmutzig sah er aus, und er hatte sich einen langen Schwanz umgebunden. Ich fühlte mich absolut unwohl in dieser Atmosphäre. Doch im Haus ist es warm, es gab Kaffee, verbrannte Bratkartoffeln und jede Menge Menschen. Vor dem Einschlafen fragte ich mich, wie man die Zelte so dicht nebeneinander aufstellen kann. Wirklich nur eine Armlänge voneinander entfernt. Es ist wie eine Traube, eine Art Schwarm. Wir fühlen uns gemeinsam zusammen wohl, in aller Verschiedenheit. Wir sind alle schmutzig, haben wunde Füße und sind auf demselben Weg unterwegs. Das verbindet. 17. April 2019, Meile 144. Heute habe ich 18 Meilen geschafft. Aber am Schluss nur noch mit Ach und Krach. Gestartet war ich um 7:15 Uhr, angekommen bin ich 10 Stunden später. Am Vormittag war der Trail wunderschön. Zu Mittag habe ich plötzlich ein Lied gesungen: „Hoch auf dem gelben Waagen,“ Aber eigentlich wollte ich jetzt etwas anderes schreiben. Es war mir vorher bekannt, dass es im Laufe des PCT immer wieder Situationen geben wird, durch die man einfach durch muss. Z. B. wenn die Füße wund sind und es bis zur nächsten Stadt eine Wanderung von drei Tagen ist. Wenn man nachts wach im Zelt liegt, weil der Reißverschluss verklemmt ist und man sich vorstellt, dass er nie wieder funktionieren wird. Und so das Zelt keinen Schutz vor Wind bietet. Gerade habe ich meine Füße mit Antibiotika-Salbe eingeschmiert und mit Verband versorgt. Das fand ich hier in einem Verbandskasten im Plumpsklo. Ich habe ein paar Dollars reingelegt. Vorher habe ich mich mit kaltem Wasser geduscht und die Wunden gesäubert. Zu erwähnen ist, dass ich heute überrascht war über das Verhalten der Hiker. Als ich am Nachmittag ankam, fand ich keinen waagerechten Platz für mein Zelt. Zwar standen noch nicht überall Zelte, aber die Plätze waren eindeutig markiert durch Trekkingstöcke, die gekreuzt am Boden lagen. Das erinnerte mich an viele Bilder von Liegestühlen, die in der Früh mit Handtüchern belegt werden, um sie zu reservieren. Aha, so was gibt’s also auch auf dem PCT. Ich dachte, es wäre mehr Verbundenheit und Gemeinsamkeit vorhanden und nicht das Ellbogen-Verhalten. Jetzt mache ich mich bettfertig in meinem schrägen Zelt. Außer den wunden Füßen habe ich offene Wunden an den Fingern und der Lippe. Da pocht der Schmerz richtig. Und alles heilt einfach nicht. 18. April 2019, Meile 152. Paradies Café. In meinem Zelt rutschte ich immer wieder bergab. Zum Einschlafen hörte ich Countrymusik. Die Nacht war sternenklar mit Vollmond. In der Ferne konnte man die Lichter einer Stadt sehen. Ich hatte gut geschlafen. Alle Hiker liefen an mir vorbei und wollten nur ganz schnell zu ihren Hamburgern im Paradies Café kommen. Der Weg dorthin war eigentlich ein Katzensprung, aber er ging nur bergauf, und am Schluss ging es auf dem Highway entlang. Auf meinem Weg entdeckte ich einen Busch mit lauter gelben Blüten und dann viele lila Blumen. Vieles ging mir durch den Kopf, und plötzlich begann ich zu singen: „Wuchsen einst fünf weiße Birken …“ Als mich alle Hiker überholten, dachte ich plötzlich: „Ich bin über 60! Ich muss nicht so rennen wie die Jungen.“ Als ich im Paradies Café ankam, waren bereits fast alle Tische von Hikern besetzt, aber ich fand noch einen Platz. Ich freute mich über den Kaffee und bestellte einen vegetarischen Burger. aber ich konnte nicht alles essen. An der Theke fragte ich nach einer Transportmöglichkeit runter nach Idyllwild. Ein Mann nahm Hiker mit für fünf Dollar pro Person. Eine deutsche Frau wollte auch nach Idyllwild, aber sie erfragte es nicht und war sauer, als sie im ersten Auto keinen Platz fand. Wie jeden Abend fällt es mir schwer, mich an alle Gedanken zu erinnern, die ich während der Wanderung hatte. Die Landschaft war wunderbar. Der Trail ist wie eine Achterbahn: rauf, runter, rechts, links. Vor jeder Kurve, besonders wenn es nach oben geht, kann ich es gar nicht erwarten zu sehen, was es dort zu sehen gibt. Die Hiker sind ein recht bunter Haufen. Teilweise sehr sozial, dann wieder auch nicht. Ich weiß schon, warum ich so früh aufgebrochen bin. Auf dem privaten Zeltplatz eines Trail Angels mit Namen Wendy gibt es nur wenige flache Plätze. In Idyllwild stand ich ratlos vor der Post. Ein Mann sprach mich an. Er stellte sich vor und sagte, dass er ein Trail Angel ist. Mit dem Auto fuhr er mehrere Hotels und Lodges ab. Bei der dritten Lodge bekam ich eine kleine Hütte für eine Nacht. Cottage in the Woods. Dann schaute ich mir meine Füße an und stellte fest, dass ich zum Arzt muss. Die Leute von der Lodge fuhren mich hin, holten mich ab und fuhren mit mir zur Apotheke. Die Ärztin war geschockt über meine Füße und sagte, dass es mindestens eine Woche dauern würde, bis die Wunden einigermaßen verheilt sind. Auch meinte sie, dass es wiederkommen wird, nicht wegen der Schuhe, sondern der Anomalie meiner Füße. Ich hätte vor dem PCT zu einem Fußdoktor gehen sollen. Das hilft mir auch nicht weiter. Ich solle mir Ballenpolster besorgen und Epson-Salz für Fußbäder, mehrmals täglich. In der kleinen Hütte fühlte ich mich sehr wohl. Ich habe noch meine Wäsche gewaschen und draußen aufgehängt. Gerne wäre ich mehrere Tage in der kleinen Hütte geblieben. 21. April 2019, Meile 179. Idyllwild. Gestern war ich im Dorf unterwegs, wo ich unzählige Hiker traf. Mit einem pensionierten ehemaligen Polizisten unterhielt ich mich eine ganze Weile. Um 15 Uhr war ich in einer kleinen katholischen Kirche zum Karfreitagsgottesdienst. Die Liturgie rührte mich zu Tränen. Den Abend verbrachte ich gemütlich beim Fernsehen mit Fußbad. Heute bin ich wieder unterwegs und habe versucht, meinen Transport von hier weg zu organisieren. 22. April 2019, Meile 266. Big Bear Lake. Inzwischen bin ich in Big Bear Lake. Ich konnte mit einem kostenlosen Shuttle bis Palm Dessert mitfahren. Da der Bus erst am späten Nachmittag fuhr und ich nicht stundenlang warten wollte, habe ich mir ein Uber-Taxi bestellt, dem ersten Fahrer war es zu weit. Eine Fahrerin brachte mich den weiten Weg hierher. Gestern, am Ostersonntag, war ich im katholischen Gottesdienst. Der Pfarrer predigte sehr lange. Die Kirche war fröhlich dekoriert mit Blumen, sogar an den Wänden. Im Altarraum plätscherte ein Zimmerbrunnen. Nach dem Gottesdienst durften die Kinder im Pfarrgarten Ostereier suchen und eine Pinata, eine Kugel aus Pappe, zerschlagen, bis die Süßigkeiten herausfielen. Heute früh habe ich zum ersten Mal ein paar Kojoten gesehen. Sie haben ein Eichhörnchen gejagt und sahen aus wie struppige Schäferhunde. Der Besitzer der Holzhütten hat mir dann gesagt, dass es keine Hunde, sondern Kojoten waren. In Big Bear Lake entdeckte ich ein Plakat: Spartan Race. An so einem Lauf hatte mein Sohn bereits in Österreich mehrmals teilgenommen. Spartan Race versus Pacific Crest Trail. Doch was ist ein Spartan Race? (http://www.spartan.com.) Das ist ein extremer Hindernislauf. Man klettert über Bretterwände, Stangen und Seile rauf, über Gitter in großer Höhe, rutscht durch Matsch unter Stacheldraht, schleppt Sandsäcke den Berg rauf etc. Der Pacific Crest Trail ist ein sehr gut gepflegter Weitwanderweg, aber nach dem Winter und/oder Unwetter ist natürlich nicht alles in Ordnung gebracht. Als ich von Big Bear Lake den Berg hinaufstieg, wusste ich noch nicht, was mich erwartet. Durch den Schneefall gab es viele umgestürzte Bäume. Da musste ich drüber, mit schwerem Rucksack am Rücken. Manchmal ging es besser oben vorbei, aber nicht immer. Ein umgestürzter Baum am Abgrund ist eine ganz besondere Herausforderung! Dann gibt’s noch die unzähligen Flussüberquerungen. Manchmal muss man von Stein zu Stein steigen. Ein anderes Mal liegt ein Baumstamm quer. Ich sagte zu mir: „Du kannst das!“ Also balancierte ich drüber. Als aber beim nächsten Fluss der Stamm zu dünn und wackelig war, half alles nichts, ich musste irgendwie durch. Nicht immer sieht es so aus. Hier konnte man einfach durchwaten. Bei den anderen Überquerungen war ich zu nervös, um zu fotografieren. Da steckte ich das Handy vorsichtshalber in den Rucksack. Beim Spartan Race kann man Hindernisse auch auslassen. Beim PCT geht das nicht. Irgendwie muss man es schaffen, um den Trail weitergehen zu können. Beim Spartan Race muss man zur Strafe 10 Burpees machen. Beim PCT hilft alles nichts. Das Hindernis muss überquert werden. Doch wenn man am Abend gemütlich im Schlafsack in seinem Zelt liegt, ist man auf sich selbst unheimlich stolz, was man alles bewältigt hat! 23. April 2019. Big Bear Lake. Ich bin im Ort spazieren gegangen. Überall blühende Bäume in Weiß und Rosa. So schön! Nun habe ich erfahren, dass der Trail Angel mich doch nicht zum Trailhead fahren wird. Doch dann fühlte es sich besser an. Mit dem Taxi komme ich ganz selbstständig zum Trail, wann ich will. Das ist doch großartig! Ich bin sehr früh aufgestanden und war enttäuscht, dass es heute in der Lobby keinen Kaffee gab. Ich konnte auch kein Taxi erreichen. Also marschierte ich auf der Straße los. In einem Restaurant, wo ich am Tag zuvor gegessen hatte, fragte ich, ob mir jemand helfen könnte. Ich spekulierte darauf, dass mich die freundliche Besitzerin hinfahren würde. Daraus wurde leider nichts. Mir wurde gesagt, dass man die Taxis erst ab 8 Uhr erreichen kann. Enttäuscht zog ich weiter und sagte zu mir: „That’s part of the game!“ Eine Stunde an der Straße entlang, bevor es überhaupt losgeht, ist doch sehr unlustig. Ich ging also tapfer weiter. Auf einmal sah ich einen Pickup in einer Seitenstraße stehen. Ein grauhaariger Mann lachte mich an und fragte, ob ich eine Mitfahrgelegenheit brauchen würde. Er erklärte, dass er im Restaurant gefrühstückt hatte und mein Gespräch mit angehört hatte. Ich dachte: „Der sieht nicht zum Fürchten aus!“ und stieg zu ihm ins Auto. Während er mich zum Trailhead fuhr, unterhielten wir uns sehr gut. Er erzählte, dass seine Töchter bereits in Österreich waren und dass seine Frau im Ort die Bürgermeisterin ist. Am Parkplatz rief er seine Frau an, und wir haben uns zu dritt unterhalten. Er heißt Eddie und gab mir den Trail-Namen: Trail-Mama. Der Weg ging lange bergauf, bis er endlich auf den PCT stieß. Dann ging es relativ eben weiter mit einer herrlichen Aussicht auf den See und die verschneiten Berge. Doch bald war es damit vorbei, und der Trail führte durch den Wald. Es gab noch Schneefelder und sehr viele umgestürzte Bäume, über die man klettern musste, mit dem schweren Rucksack am Rücken. Der Weg führte aus dem Wald heraus, und es wurde heiß. Im nächsten Abschnitt gab es viele verbrannte Bäume. Das sah unheimlich und bedrückend aus. An einem Bach wollte ich Mittagspause machen. Dort saßen bereits zwei Frauen, mit denen ich ins Gespräch kam. Sie waren bereits fertig mit dem Essen und brachen auf. Ich machte gemütlich Rast und ging dann auch weiter. Wegen der sandigen Straße verfehlte ich den Trail. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich ihn wiederfand. Es wurde heiß, und ich hatte nur Wasser im Sinn. Auf dem Weg fand ich eine Sandale und hob sie auf. Ich überlegte, wie lange ich sie mit mir rumtragen soll. Doch am Abend erreichte ich den Bach wie die beiden Frauen ihre Zelte bereits aufgeschlagen hatten. Die Sandale gehörte einer von ihnen. Ich baute mein Zelt weiter weg auf und hatte Angst, dass ich den Bären im Weg stand auf ihrem Weg zum Bach. 25. April 2019, Meile 305. Es war ein sehr aufregender Tag. In der Nacht musste ich aufs Klo und hatte Angst, ich könnte auf einen Bären treffen. Auch heute habe ich mein Zelt wieder an einem Bach aufgestellt. Dieses Mal bin ich ganz alleine. Es ist schön hier, und der Bach rauscht sehr laut. Bevor ich ins Zelt gekrochen bin, wollte ich noch schnell auf die Toilette gehen. Doch bevor ich mein Geschäft zwischen großen Steinen verrichten konnte, entdeckte ich eine Schlange, die zwischen den Steinbrocken hervorlugte. Mit ihrer Zunge schien sie zu sagen: „Das hier ist nicht deine Toilette.“ Ihr Gezüngel überzeugte mich, und ich suchte mir einen anderen Platz. Ich dachte mir: „Was wird das wohl werden, wenn ich nachts raus muss?“ Aber eigentlich schlafen Schlangen, wenn es kalt wird. Dieser Gedanke beruhigte mich. An meinen Füßen sind riesige Blasen. Bereits in der Früh musste ich einen Fluss überqueren, und die Füße waren nass. Später habe ich den Trail nicht gleich gefunden und quälte mich durch Gebüsch mit Dornen, sodass meine Beine total blutig gekratzt wurden. Dann führte der Weg über unzählige umgestürzte Bäume. Es war der reinste Hindernislauf. Und nun sehen meine Füße und Beine einfach schrecklich aus. Durch die Hitze reiben nun auch meine Oberschenkel aneinander. Immer wieder habe ich Zweifel, ob ich es schaffen kann. Vielleicht sollte ich nicht an den ganzen Trail denken, sondern immer nur in Tagesabschnitten. Doch wenn ich weiterhin nur wenige Meilen am Tag mache, werde ich es wohl nicht bis zur kanadischen Grenze schaffen. Jetzt will ich mich auf das Hotel am Cajon Pass freuen. Da gibt es sogar ein Frühstück! Und morgen geh ich in den Hot Springs baden. 26. April 2019, Meile 320. Obwohl die Nacht unterbrochen war, habe ich mich im Zelt sehr geborgen gefühlt. Keine weitere Schlange. Bis Hot Springs waren es nur 8 Meilen, doch meine Füße waren bereits von Anfang an nass, da ich gleich am Anfang einen Bach überqueren musste. In den Hot Springs habe ich doch lieber nicht gebadet. Es war mir einfach zu viel Aufwand und zu umständlich. Erst Badeanzug suchen, ausziehen, dann wieder anziehen. Also zog ich nur meine Schuhe und Strümpfe aus, verband meine Blasen neu und zog alles wieder an. Hot Springs sind bekannt als FKK-Strand. Als ich meine Schuhe anzog, sprach mich ein junger Mann an. Er war unbekleidet und ganz braun gebrannt. Er fragte, ob ich auch ein PCT-Hiker bin. Für ihn schien es absolut nicht peinlich zu sein, also reagierte ich so, als ob es das Normalste auf der Welt sei, nackt herumzulaufen. Der Trail führte immer weit oberhalb eines Baches entlang. Nach dem Winter war der Weg von Büschen überwuchert. Ich kam an Menschen vorbei, die damit beschäftigt waren, den Trail wieder freizulegen. Ich sagte: „Thank you for your work!“, und jemand erwiderte: „Thank you for hiking!“ Verwundert über diese Antwort, ging ich weiter. Später traf ich wieder fleißige Freiwillige und bedankte mich wieder für ihre Arbeit, und ihre Antwort war dieselbe: „Thank you for hiking!“ Da es ein sehr heißer Tag war, ging ich von Wasserstelle zu Wasserstelle. Meine Mittagspause wollte ich am Bach machen. Schon seit der Früh rauschte er tief unten in der Schlucht. Endlich ging es bergab, und ich wollte abkürzen. Als ich am Strand war, stellte ich überrascht fest, dass keine Hiker dort waren. Es war der falsche Strand! Trotzdem machte ich meine Füße frisch und aß etwas. Der Weg zurück zum Trail war zum Glück leicht zu finden. Dann gab es wieder einen sehr breiten Bach zu überqueren. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und verstaute mein Handy im Rucksack. Am Ufer stand ein Mann, der mir seine Hilfe anbot. Ich bedanke mich und wollte doch lieber allein durchwaten. Er sagte, dass in einer Meile sein blauer Truck steht. Darin gibt es Wasser, und wir können unseren Müll abladen. Das ist doch wirklich sehr nett! Trotzdem bekam ich nach der Überquerung die totale Krise. Ich wollte nur nach Hause. Irgendwo hatte ich beim häufigen Rucksackabnehmen eine meiner vollen Wasserflaschen verloren. Es war schrecklich heiß, und mein Körper konnte nicht mehr. Vor Erschöpfung bekam ich Durchfall. Das kenne ich von früher. Mein Klopapier ging zu Ende, und schließlich musste ich mich übergeben. Vielleicht war es nicht nur Erschöpfung, sondern auch ein Hitzschlag. Ich ruhte mich im Schatten aus. Am Nachmittag kam ich zu einem Bach, wo ich bleiben wollte. Es war sehr windig, und das Zeltaufstellen dauerte eine ganze Weile. Die Zeltplane flog fast davon, und ich musste an Paragleiten denken. Am Bach konnte ich mich waschen und hatte endlich genug Wasser zum Trinken. Etliche Hiker kamen vorbei, aber niemand wollte hier übernachten. Ehrlich gesagt mag ich es sehr gerne, alleine zu sein. Nach einem mühsamen und schrecklichen Tag verkroch ich mich in meinem Zelt. 27. April 2019, Meile 335. Die Nacht war sternenklar, aber merkwürdigerweise waren nur die hellen Sterne zu sehen, keine Milchstraße oder ein Sternenmeer, wie ich es von den Bergen kenne. Obwohl ich bereits um halb sechs aufgestanden bin, bin ich doch erst kurz vor sieben losgekommen. Ich liebe es, in der Kühle des Morgens zu wandern. Nach knapp vier Stunden war ich am See. Zuerst hängte ich mein nasses Überzelt zum Trocknen in die Sonne. Dann ging ich mit kurzer Hose und T-Shirt schwimmen. Ich aß etwas und verband meine Füße neu. Inzwischen war das Zelt getrocknet. Also konnte ich gestärkt weitergehen. Es war sehr heiß. Nach einer Stunde traf ich auf meine erste Trail Magic. Von der Ferne sah ich ein weißes Zeltdach. Erst meinte ich, es wäre eine Veranstaltung. Dann sah ich eine Gruppe Menschen gemütlich darunter sitzen. Sie luden mich zu ihnen ein. Es gab Getränke in einer Kühlbox und Hotdogs. Die Hiker unterhielten sich, dabei rauchten sie nicht nur Zigaretten, sondern etwas anderes, das aber in Kalifornien legal ist. Nur für mich ungewohnt. Ich ließ meine Füße lüften. Nach zwei Stunden Pause hatte ich zwei vegetarische Hotdogs verdrückt, zwei Dosen Cola getrunken, danach gab’s zwei Schoko-Cookies und kalten Kaffee für mich. Ich wanderte noch fünf Meilen und fand einen Platz für zwei Zelte. Patrick aus Karlsruhe hatte sein Zelt bereits aufgebaut. Ich stellte meines daneben und war froh, nach dem anstrengenden Tag mich ausruhen zu können. In der Ferne konnte man das Pfeifen der Züge hören. Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Immer wieder höre ich Hiker vorbeikommen und hoffe, dass sie noch einen Platz für ihre Zelte finden, bevor es dunkel geworden ist. Das ist meine Angst an jedem Tag, abends keinen Stellplatz zu finden. Oh, wie ich es liebe, in meinem blauen Schlafsack im orangen Zelt zu liegen und Countrymusik zu hören! 28. April 2019, Meile 342. Im Best Western Hotel am Cajon Pass. Der heutige Tag war wunderschön! An einer Stelle mit herrlicher Aussicht machte ich Rast. Zuerst legte ich mein Zelt zum Trocknen aus. Dann konnte ich mich mit meinen Kindern per Whats-App unterhalten. Viele Hiker kamen vorbei und hatten es sehr eilig: Sie wollten möglichst schnell zum McDonald’s am Cajon Pass kommen. Ich habe die Aussicht und den Weg sehr genossen. Im McDonald’s freute ich mich über den Kaffee und Pancakes. Später marschierte ich rüber zum Hotel und war froh, dass sie ein freies Zimmer hatten. Zuerst habe ich eine Stunde lang meine Wäsche gewaschen. Dann mein Zelt zum Trocknen rausgelegt und mich gründlich geduscht. Weil meine Füße dick angeschwollen waren, legte ich eine Plastiktüte mit Eiswürfeln drauf. Dann war Ausruhen angesagt. 29. April 2019, Meile 369. Mit dem Taxi fuhr ich nach Wrightwood. Dort wollte ich mein Resupply-Paket abholen, doch die Postbeamtin fand mein Packet nicht. Sie sagte, dass es aber angekommen sei. Wahrscheinlich wurde es in den Hardware Store gebracht. Zu Mittag aß ich ein vegetarisches Sandwich. Hmmm, so gut! Da meine Schuhe kaputt waren, mussten neue her. Also kaufte ich mir neue Schuhe und Socken. Die alten warf ich in den Mülleimer. In der Post hatte ich die zwei deutschen Frauen von neulich wieder getroffen, die ihre Schuhe nach Hause schicken wollten. Dafür brauchten sie zwei Stunden, und es kostete fast 50 US-Dollar. Auf dem Weg zu meiner Lodge wurde ich von Regen und Hagel überrascht und total nass. Ich zog mich um, legte mich aufs Bett und schief sofort ein. Nun ist es hier total gemütlich. Es gibt einen kleinen Christbaum mit Beleuchtung, dazu einen Kamin und eine Heizung. Im Fernseher habe ich Musik gefunden. Es ist wirklich sehr gemütlich! Wann und wo ich weitergehen werde, entscheide ich morgen. Es liegt einfach noch überall Schnee am Trail. 30. April 2019. Wrightwood. Selbstmitleid hilft absolut nichts, Mexalen schon! Am Abend nahm ich eine Tablette, und als die Schmerzen weg waren, fühlte ich mich schon wieder optimistischer. Bereits den ganzen Tag fühlte ich mich anders als die anderen Hiker. So, als ob ich nicht dazugehören würde. Nur weil ich Fußprobleme habe. So ein Quatsch! Und selbst wenn ich einige Meilen übersprungen habe, gehöre ich dazu. Im Dorf traf ich zwei Amerikanerinnen und ging mit ihnen frühstücken. Wir haben uns prima unterhalten. Zuvor hatte ich den beiden deutschen Mädels erlaubt, ihre Rücksäcke in mein Zimmer zu stellen, weil sie ihr Zimmer bereits um 11 Uhr räumen mussten. Als ich zurück in mein Zimmer kam, war ich geschockt, und mir war zum Heulen zumute. Mein Zimmer, für das ich viel Geld bezahlt habe, damit ich es gemütlich habe, war zum Aufenthaltsraum für die beiden Mädels geworden. Sie saßen auf der Couch und aßen. Ihren Abfall hatten sie in meinen Mülleimer gestopft, sodass er überging. Den Housekeeper hatten sie weggeschickt. So war weder der Kaffee aufgefüllt noch sonst etwas gemacht. Nachdem die Frauen aufgebrochen waren, schrieb ich eine SMS an die Besitzerin der Lodge. Sie schickte jemanden, der aufräumte, den Mülleimer ausleerte und frischen Kaffee für die Maschine brachte. Ende gut, alles gut! Und morgen geh ich weiter! 01. Mai 2019. South Fork Campside. Von Wrightwood aus machte ich mich wieder auf den Weg zum Trail. Der Tag begann schon sehr ungut. Der Fahrer des Uber-Taxis kam einfach nicht. Nach zwei Stunden Warterei wollte ich das Taxi stornieren, wusste aber nicht, wie das geht. Und bei Uber wird sofort der Preis von der Kreditkarte abgebucht. Mühsam suchte ich im Internet und fand heraus, wie man storniert. Oh Wunder, ich bekam das Geld zurückgebucht, was ich sofort auf meinem Handy sehen konnte. Dann bestellte ich nochmals ein Taxi. Dieses Mal wartete ich nur knapp eine halbe Stunde. Der Fahrer wusste nicht, dass die Straße gesperrt ist und meinte, er könnte mich dorthin bringen, von wo ich losgehen wollte. Er musste mich viel weiter vorne raus- lassen. Da am Mount Baden Powell noch Schnee liegt und der Trail rutschig ist, wollte ich drumherum wandern. Die Bundesstraße war wegen eines Erdrutsches gesperrt. Ich hätte auf der Straße entlanggehen können, sollen! Eine ältere Frau sagte, sie würde einen Trail wissen, der den Berg Baden Powell umgehen würde. Ich fragte, ob ich mich ihr anschließen könne. Wir machten uns auf und folgten einem kleinen Pfad. Der Weg war nicht gut gepflegt. Teilweise mussten wir über Geröll gehen und Flüsse überqueren. Dann ging’s bergauf und bergab. Die Frau hieß Liane, mehr wusste ich nicht. Sie war sehr schnell unterwegs. Als sie mit SMS schreiben beschäftigt war, konnte ich sie überholen. Der Weg wurde noch schmaler, und Geröll lag überall. Ich hatte Angst, stieg aber weiter. Da es sehr am Abgrund vorbeiging, wartete ich auf Liane. Als sie nicht kam, hatte ich Angst, dass sie abgerutscht sein könnte. Während des Wartens schaute ich weiter, wo der Trail ist, konnte aber keinen Trail finden. Am gegenüberliegenden Berg war ein Weg zu erkennen, der sich am Abhang entlangschlängelte. Als Liane nicht kam, war klar, dass ich wieder zurück muss. Der Abschnitt war direkt am Abgrund und lauter lockere Steine. Ich hatte Angst und sagte zu mir: „Du kannst dir vor Angst in die Hose machen, aber drübergehen musst du trotzdem.“ Es gelang mir, zurückzugehen, und ich suchte den Trail. Weiter zurück fand ich einen Steig nach unten. Wir hatten besprochen, dass wir bis zum Campingplatz gehen. Nach ca. 30 Minuten war ich endlich unten. Doch von Liane keine Spur. Ich hatte keine Karte des Trails und keinen Handyempfang. Also, keine Ahnung, wo es weitergeht. Ich sah Autos kommen auf einer staubigen Straße. Ich dachte mir, wo Autos reinfahren können, geht’s auch wieder raus. Ich überlegte, mit irgendeinem Auto mitzufahren, egal wo hin. Und dann schauen, wie ich wieder zum PCT komme. Doch ich konnte ja nicht einfach weitergehen. Wenn wir zu zweit los- gegangen sind, gehen wir zu zweit weiter. Ich überlegte, wen ich informieren könnte, dass sie nicht mehr unten ankam. Ich setze mich an einem Tisch vor der Ausfahrt. Nach einer Stunde machte ich mich auf dem großen Campingplatz auf die Suche nach ihr. Und da war sie. Ich war total erleichtert. Wir bauten unsere Zelte auf. Vorher hatte ich auf großen Schildern gelesen, dass es eine Gegend mit Bären ist und man die Lebensmittel im Auto lassen soll. Tja, wir hatten aber nur Zelte. Wir nahmen unsere Essensbeutel mit in unsere Zelte. Ich hatte keine Angst, dass ein Bär ins Zelt kommen könnte. Nur mein nächtlicher Gang zur Toilette war etwas ungemütlich. Doch ich leuchtete mit meiner Stirnlampe vorher in alle Richtungen und fühlte mich sicher. Der Trail am Abgrund war viel furchterregender. 06. Mai 2019. Hotel in Pasadena. Den Bericht über das, was nach dem Tag mit Liane passiert war, konnte ich sehr lange nicht aufschreiben. Wie sind relativ früh losmarschiert, erst über einen breiten Bach und dann immer bergauf. Der schmale Pfad führt immer ganz nah am Abgrund vorbei. Oft war er nur so breit wie ein Fuß. Man konnte also keine Stöcke neben sich stecken. Oft waren es nur lose Steine, und man musste aufpassen, dass man nicht mit den Steinen nach unten rutschte. Liane hatte ein sehr schnelles Tempo. Selten wartete sie auf mich. Es schien, als wollte sie nach oben rennen. Manchmal lagen Bäume quer. Irgendwie musste man da drüber. Einmal warf ich meinen Rucksack rüber und kletterte teils drüber, teils unter den Zweigen durch. Meistens konnte man irgendwie drüberklettern, doch immer war der umgefallene Baum nahe des Abgrunds. Es war extrem anstrengend, auch für meine Nerven. Wir machten kaum Pausen. Nur kurz etwas essen und auf die Toilette gehen oder Wasser am Bach holen. Nach über vier Stunden kamen wir oben bei einem Parkplatz an, wo sich unser Weg mit dem PCT kreuzte. Da saßen die beiden jungen deutschen Frauen und aßen. Liane sagte, dass ich ja nun alleine laufen könne, da ich nun wieder meine APP für den PCT verwenden kann. Ich machte eine längere Pause, konnte mich aber trotzdem kaum erholen. Auch der PCT führte wieder nur bergauf. Es ging durch den Wald, und auch hier lagen viele Bäume quer. Durch den starken Regen gab es viele sog. Auswaschungen, das sind Geröllfelder, die abgerutscht sind. Die anderen Hiker überholten mich. Wir wollten uns beim nächsten Campingplatz treffen. Der Weg führte wieder nur am Abgrund vorbei und war genauso anstrengend wie vor dem Parkplatz. Ich aß einen Müsliriegel, und da ich Internetempfang hatte, schrieb ich meinem Sohn kurz, wie schrecklich der Weg ist. Nach einer Stunde sah ich einen Platz, der offensichtlich als Notschlafplatz mit Ästen und Laub am Wegrand hergerichtet war. Kurz überlegte ich, hierzubleiben. Doch eigentlich wollte ich lieber dieses schwierige Wegstück hinter mich bringen. Also ging ich weiter. Wieder musste ich über Bäume klettern und Umwege um sie rum machen. So hatte ich den PCT verloren und wusste auf einmal nicht mehr, wo er war. Ich begann ihn zu suchen. Doch dann rutschte ich ab und kam dem Abhang immer näher. Der Rucksack am Rücken verhinderte, dass ich mich hinsetzen konnte, und so rutschte ich weiter. Ich nahm den Rucksack ab und hielt ihn fest. In der anderen Hand hatte ich beide Stöcke, die ich fest in den Boden steckte, und mit den Fersen drückte ich fest gegen den Boden. Da saß ich nun mit dem Gesicht zum Abgrund. Zwar rutschte ich nicht weiter, aber ich konnte auch nicht wieder aufstehen. Zumindest traute ich mich nicht. Ich schaute in alle Richtungen, konnte den Trail aber nirgends entdecken. So am Abgrund zu sitzen, war mühsam und belastend. Ich dachte, ich sollte mich irgendwie sichern. Oberhalb lag ein Baum quer. Zuerst schaute ich, dass mein Rucksack fest dalag, denn wenn er abrutscht, würde ich ihn nie wiederbekommen, dann rutschte ich auf dem Hintern rückwärts vorsichtig nach oben und sicherte mich mit den Stöcken. Ich schaffte es, über den Baumstamm zu gelangen, stemmte meine Füße dagegen und war sicher. Da ich nicht mehr wusste, wie ich weiter- komme und auch keinen Handyempfang mehr hatte, drückte ich auf dem Spott den SOS-Knopf. Das Ding blinkte, also wird irgendwer nach mir suchen. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, dachte ich, dass ich meinen Rucksack brauchen könnte. Ich hatte noch eineinhalb Liter Wasser, Essen für fünf Tage, einen Schlafsack und eine Notfalldecke. Damit kann ich auch übernachten, falls sie mich erst am nächsten Tag finden würden. Ich wollte also den Rucksack auch rauf hinter den Baumstamm holen. Wieder rutschte ich auf meinem Hintern, zuerst runter, dann rauf. Den Rucksack zog ich neben mir her. Ich kraxelte mühsam über den Baumstamm, doch wie sollte ich den Rucksack raufbekommen, ohne dass er plötzlich nach unten rutschte? Es war sehr mühsam, ihn über den Baum zu heben. Erschöpft saß ich erst eine Weile da. Ich holte meinen Pass aus dem Rucksack und dachte, dass man ja wissen muss, wer ich bin, falls ich den Abhang ganz runterrutsche. Da saß ich nun und wartete. Wohin ich auch schaute, gab es Abhänge, entweder rauf oder runter. Weit und breit kein Weg. So verging die Zeit. Plötzlich war es merkwürdig. Ich schaute um mich und fragte mich: „Wo bin ich? Wie bin ich hierhergekommen?“ Ich hatte keine Ahnung. Es war wie ein totaler Blackout. Ich konnte mich an den genauen Hergang nicht mehr erinnern. Auch danach nicht. Es ist so, als ob die Seele sich schützen würde. Da ich mitten zwischen den Bäumen saß, hatte ich Bedenken, ob man mich von oben überhaupt sehen kann. Ich breitete meinen roten Regenmantel neben mir aus. Ein Hubschrauber kreiste, drehte aber wieder ab. Ich war verzweifelt. Es dauerte lange, bis ich den Hubschrauber wieder hörte. Da nahm ich den roten Mantel und wehte damit wie mit einer Fahne. Wieder drehte der Hubschraube ab. Mein Verzweiflung wurde immer größer, und ich begann zu schluchzen. Plötzlich hörte ich etwas hinter mir. Es näherte sich eine dunkle Gestalt mit Helm. Er sah aus fast wie ein Astronaut. Er fragte, ob ich ok sei und was mir fehlt. Außer ein paar Kratzern hatte ich zum Glück keine Verletzungen. Er nahm meinen Rucksack und meinte, dass der aber sehr schwer wäre. Dann forderte er mich auf, aufzustehen und nach oben zu gehen, denn der Hubschrauber könne uns von hier nicht aufnehmen. Ich sagte, dass ich nicht aufstehen kann, weil ich viel zu viel Angst habe. Da legte er mir einen Sitzgurt um. Noch immer wollte ich nicht aufstehen. Auf allen Vieren kroch ich nach oben, rutschte zurück, und der Mann hielt mich mit einer Hand am Karabiner fest, mit der anderen schob er mich am Hintern weiter nach oben. Auf einer Waldlichtung stand ich auf und zitterte am ganzen Körper. Der Mann deute immer wieder auf seine Augen, was so viel heißt wie: „Schau mich an!“ Dann erklärte er mir, dass ich mich am Rand der Türe des Hubschraubers festhalten und dann reinziehen muss. Inzwischen stand der Hubschrauber über uns, und das Seil kam herunter. Als der Mann das Seil an den beiden Karabinern festmachte, einen bei sich, einen bei mir, dachte ich nur: „Und daran hängen wir beide nun!“ Doch schon ging es nach oben. Mich überkam die totale Panik. Der Hubschrauber drehte ab, und das lange Seil schleuderte im hohen Bogen, während es kürzer und hineingezogen wurde. Immer wieder deutete mir der Mann: Schau mir in die Augen. Unter uns sah ich die Bäume immer kleiner werden. Schnell das Seil nach oben gezogen, und ich sah die Tür vom Hubschrauber. Doch ich konnte mich nicht reinziehen, denn ich war mit dem Rücken zur Tür. Der Mann versuchte mich zu drehen. Oben, an der geöffneten Tür, stand ein weiterer Mann. Er versuchte mich zu fassen. Inzwischen war ich umgedreht und suchte irgendetwas, woran ich mich festhalten konnte. Schließlich gelang es mir mithilfe des Mannes, mich in den Innenraum zu ziehen. Mein Retter kam hinterher. Drinnen nahmen sie mir den Gurt ab. Ich dachte: „Es ist mir ganz egal, wohin sie mich bringen, Hauptsache weg von diesem Ort!“ Nach kurzer Zeit ging der Hubschrauber bereits nach unten. Ich überlegte, welche Stadt da wohl sein mag. Doch da war keine Stadt. Ich sah den Highway. Unten standen drei Autos mit Blinklichtern und weiter oben auch wieder drei Wagen mit Blinklichtern: Highway Control, Polizei, Rettungswagen etc. Die Straße wurde für mich gesperrt. Schon setzte der Hubschrauber im abgesperrten Teil der Straße auf. Jemand half mir raus und brachte mich zu einem Krankenwagen. Der Hubschrauber flog wieder ab. Ich wurde untersucht, bekam erst mal Wasser, und dann wurden Fragen gestellt. Als klar war, dass ich unverletzt war, bot man mir an, mich zurück zum Trail zu bringen. Ich wehrte vehement ab. Da es keinen Grund gab, mich in ein Krankenhaus zu bringen, fragten sie mich, ob ich Geld hätte, um in einem Hotel zu übernachten. Das war mir sehr recht. Zuerst wollten sie mich zu einem Motel neben der Highway Patrol Station bringen. Doch es stellte sich heraus, dass dort kein Zimmer frei war. Ich bat sie, mich in einen Ort zu bringen, von wo ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder wegkommen kann. Sie sprachen von einer Stadt, deren Namen ich vorher nie gehört hatte. Zuerst wollten sie ihren Chef fragen, ob sie so weit fahren dürfen, doch der war telefonisch nicht erreichbar. Der Weg bis zur Stadt war weit, und ich bat sie um einen kleinen Toilettenstopp. Bei der Weiterfahrt hatte ich mich einigermaßen gefangen und stellte Fragen: „Wohin schicken Sie die Rechnung für den Transport?“ Sie sagten, dass es für mich nichts kostet. Erstaunt fragte ich nach. Ja, weder der Hubschrauber noch der Krankenwagen würde mich etwas kosten. Sie seien alle Freiwillige. Es fiel mir schwer, das zu glauben, aber ich dachte, das kann ich später noch mit meiner Versicherung klären. Hauptsache ist, dass sie mich gefunden hatten. Ich fragte, ob es heuer bereits andere Hubschrauberbergungen gegeben hätte. Und ich erfuhr, dass es etliche waren, obwohl es ja gerade erst der Anfang der Saison ist. Es waren aber keine eigentlichen Notfälle im Sinne von Unfällen, sondern immer nur Erschöpfung, Überforderung und zu wenig Wasser. Einmal suchten sie einen jungen Mann, dessen Vater sich Sorgen machte, da sein Sohn sich ein paar Tage nicht gemeldet hatte. Doch der war unterwegs und hatte es nicht für nötig gefunden, sich oft zu melden. Inzwischen waren wir in Pasadena angekommen, und sie versuchten im Internet heraus zufinden, welches Hotel gut sei. Schließlich brachten sie mich zu einem hübschen Hotel mitten im Zentrum. Sie fuhren sogar bis in die Tiefgarage, wobei ihre Funkantennen am Auto ständig an der Decke der Garage hängenblieben. Ich bedankte mich ganz herzlich bei den beiden und staunte noch immer über ihre Hilfsbereitschaft. Sie hätten mich wirklich nicht meilenweit fahren müssen. An der Rezeption des vornehmen Hotels kam ich mir, so wie ich aussah, wirklich deplatziert vor. Doch mit einer VISA-Karte scheint das alles akzeptabel zu sein. In dem schönen Zimmer stellte ich erst meinen Rucksack ab, setzte mich hin und tat dann einfach mal gar nichts. Duschen und essen kann ich ja auch später noch. Während meines Aufenthaltes in Pasadena habe ich nichts aufgeschrieben. Ich beschloss. nach Tehhachapi zu reisen, um dort mein Paket abzuholen, das ich vorausgeschickt hatte. Tehachapi, 8. Mai 2019. In der Mojave-Wüste gibt es einige Städte. Tehachapi ist eine kleine, aber sehr weitläufige Stadt mit vielen historischen Gebäuden. Vom Trail aus kommt man sehr gut hierher. Es ist also eine richtige Hiker-Stadt. Überall sieht man Autos, aus denen Menschen mit großen Rucksäcken aussteigen. Ich hatte mir hierher zwei Resupply-Pakete geschickt. Bereits von Anfang an des PCT war klar, dass man evtl. die Teilstrecke der Sierra Nevada überspringen muss, weil in der Sierra Nevada zu viel Schnee liegt. Zwar sind es noch etliche Meilen, bis die Sierra beginnt, aber Tehachapi ist der letzte Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein beliebter Treffpunkt für die Hiker ist die German Backery. Und da sitzen viele „gestrandete“ Hiker. Ratlos und planlos, was sie in der nächsten Zeit machen sollen. Ein paar Deutsche fliegen mal schnell für zwei Wochen nach Hawaii. Andere haben ein Auto ausgeliehen und fahren nach Los Angeles und dann an der Küste entlang. Eine junge Frau fährt erst einmal zum Grand Canyon. Christina aus Chicago hat an beiden Füßen eine Sehnenentzündung, genannt Plantarfascilities. Sie kann nicht weiterwandern. Auch sie leiht sich ein Auto aus. Sie will zum Grand Canyon und nach Las Vegas. Dort wird sie sich eine Vorstellung des Cirque du Soleil ansehen. Falls ihre Füße immer noch Probleme machen, sagt sie: „I will adopt a dog and go home!“ Das kann man natürlich auch machen. Manche Amerikaner reisen für 2–4 Wochen nach Hause. Dann gibt es eifrige Wanderer, die weiter im Norden wieder zum Trail wollen, um dort ihre Wanderung fortzusetzen. Doch das ist auch nicht die beste Lösung, denn der Trail ist nur in Südkalifornien schneefrei. Bevor die meisten ihrer Wege gehen, genießen sie erst mal die Annehmlichkeiten der Hotels mit Frühstücksbuffet, Whirlpool, Waschmaschine etc. Ich habe aber auch etliche Unerschrockene gesehen, die sich mit Steigeisen und Eispickel weiter auf den Trail begeben. Da kann man nur sagen: „Good luck!“ Und: „Happy Trails!“ Der Trail und ich. Bereits nach ein paar Tagen hatte ich eine Art Beziehung zum Trail aufgebaut. Erst kam es mir in den Sinn: „Ich bin der Trail.“ An anderen Tagen sprach ich mit dem Trail. Meistens ist der Trail eine Art Achterbahn. Rauf, runter, links, rechts. Nicht immer sah man gleich, wie es nach der nächsten Kurve weitergehen wird. Und so fragte ich den Trail: „Wo willst du denn hin?“ Ein anderes Mal, als ich eine Weile einen anderen Trail gehen musste, sprach ich auch zu diesem Trail, dass er mir nicht gefällt, sondern dass mir der PCT viel besser gefällt. Und als ich dann auf den PCT zurück war, sagte ich, er solle nicht eifersüchtig sein, denn ich wäre ihm ja nicht untreu geworden und bin wieder da. Keine Sorge, ich bin nicht verrückt geworden, sondern nur ein PCT-Hiker, der täglich 8–10 Stunden mit dem Trail verbringt. Trail, wo bist du? Der Pacific Crest Trail ist eigentlich ein gut präparierter Weg. Meistens braucht man weder eine Karte noch einen Kompass. Ich habe mir eine APP besorgt und alle Abschnitte des PCT als Karten runtergeladen. Ich dachte, ich wäre damit genügend ausgerüstet. Doch bereits am ersten Tag, im ersten Ort, fand ich die Abzweigung von der Landstraße nicht. Ich schaute auf meine APP, aber das half mir nicht viel, da ich nicht wusste, wo ich war. Es war früh am Sonntagmorgen, und niemand war weit und breit zu sehen. Ich kehrte um und wollte zurück bis dorthin, wo ich den Trail vor dem Ort noch hatte. Da kam jemand mit einem Auto, und so konnte ich fragen, wo es weitergeht. Die Abzweigung war bei einem Schild: „Privat, Durchgang verboten.“ Am dritten Tag hatte ich auf einem weitläufigen Campingplatz übernachtet. Auch dieses Mal war ich sehr früh unterwegs. Ich durchquerte das weite Gelände und wusste, der Trail zweigt irgendwo rechts ab. Das zeigte sich auf der Karte der APP, doch trotz freischalten des Standortes konnte ich auf der Karte nicht sehen, wo ich mich befand. Ich sah nur, dass die Landstraße weiter unten dem PCT wieder sehr nahe kommen wird. Also marschierte ich weiter. Als ich wieder Handyempfang hatte, konnte ich mit Google Maps den Weg finden. An einem Picknick-Platz traf ich einen jungen Deutschen, der dieselbe APP verwendete. Ich hatte vergeblich versucht, innerhalb der APP das GPS freizuschalten. Doch man musste im Handy den Zugriff der APP aufs GPS erlauben. Endlich konnte ich einen kleinen blauen Punkt auf der Karte erkennen Das war sehr hilfreich. Trotzdem habe ich den Trail immer wieder verloren. Einmal ging es durch ein Gelände mit vielen Geröllfeldern und Büschen über dem Weg. Trotz kurzer Hose ging ich tapfer weiter. Das Gebüsch wurde immer dichter, meine Beine wurden immer mehr zerkratzt. Irgendwie dachte ich, dass ich da halt durch müsse. Von einem Trail war nichts mehr zu erkennen. Ich kämpfte mich durch die Dornen, bis ich den Trail wiederfand. „Da bist du ja! “ Hiker-Städte. Auch der längste Weg durch die Wildnis führt irgendwann mal wieder in eine Stadt. Man muss sich ja schließlich wieder mit Lebensmitteln eindecken. Häufig geschieht das durch sog. Resupply Boxes, die man sich entweder selbst vorausgeschickt hat, oder man hat sie vorbereitet, und Freunde oder Verwandte schicken diese Pakete ab. Daher führt der erste Weg in einem Ort zum Postamt. Doch wenn man am Wochenende ankommt, bedeutet das Warten bis Montag. Als ich in Wrightwood ankam, fand die Frau im Postamt mein Paket nicht. Ich solle ihr die Tracking-Nummer mitteilen. Zum Glück fand ich den Zettel tief im Rucksack. Sie suchte wieder und meinte, das Paket wäre registriert, aber nicht da. Evtl. wurde es zum Hardware Store gebracht. Dort wurde es zum Glück gefunden. Dieses Paket ist eine sog. Bounce Box. Das bedeutet, man schickt sie immer wieder weiter. Da drin habe ich die Medikamente für sechs Monate, die Kopien der wichtigsten Dokumente, die Unterlagen der Krankenversicherung und die Beschreibungen der gesamten Trail-Abschnitte. Eine andere Box, mit Ausrüstung für die Sierra Nevada, habe ich auch vorausgeschickt. Später habe ich erfahren, dass Pakete nur 30 Tage bei der Post gelagert werden. Doch ich habe das Paket zu früh losgeschickt. Die Trackingnummer hatte ich nicht mehr. Nachdem die Frau in der Post gestern so freundlich war, habe ich sie gebeten, bei diesem Postamt anzurufen und das Paket an ein anderes Postamt zu schicken (In den USA geht das ohne Mehrkosten), und es hat geklappt! In zwei Wochen bekomme ich auch dieses Paket. Die Bewohner der Hiker-Städte mögen die PCT-Hiker. Und so gibt es mit der PCT Permit Vergünstigungen in Cafés, Restaurants und auch anderen Geschäften. Hier bekommt man in einem Laden kostenlose Hotdogs, auch vegetarische. Wenn man seine Box erhalten hat und/oder eingekauft hat, beginnt dann das Organisieren der Vorräte. Möglichst viel Verpackung weglassen und alles in ZIPLOC-Säcke verpacken. Trampen. Um in die Ortschaften zu gelangen, wird man nicht umhinkönnen zu trampen. Es gibt vereinzelt Hiker, die sind alle die zusätzlichen Meilen auf den Highways zu Fuß gelaufen, doch das sind die wenigsten. Die meisten trampen in die Städte und danach wieder zurück zum Trail. Beim ersten Mal hatte ich große Bedenken. Ich bin nie in ein Auto gestiegen, in dem nur ein Mann saß, sondern lieber mit einem Pärchen. Andere Frauen sind nie alleine getrampt. Ein guter Rat ist es, vorher die Autonummer zu fotografieren und an einen Freund zu schicken. Dann fragt man den Fahrer nach seinem Namen und dessen Fahrziel, bevor man angibt, wohin man selbst möchte. Wichtig ist es immer, gemeinsam mit seinem Gepäck einzusteigen. Es gab Vorfälle, wo jemand den Rucksack hinten auf den Truck gestellt hatte, und bevor er einsteigen konnte, ist das Auto davongefahren. Bei allen Ratschlägen zur Sicherheit sollte man aber auch noch andere Dinge beachten. Man sollte am Straßenrand seinen Hut abnehmen und versuchen, etwas zivilisiert auszusehen, was natürlich nicht so einfach ist. Vielleicht kurz durch die Haare fahren. Meistens hat man in einer kleinen Gruppe mehr Erfolg, wenn sich die Frauen vorne hinstellen, denn nach etlichen Wochen haben die meisten Hiker einen wilden Bartwuchs. Dass man freundlich und höflich ist, ist wohl eine Selbstverständlichkeit. Doch wenn man sich an die allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen hält, kann man viele interessante und erfreuliche Begegnungen haben. Meditieren beim Weitwandern? Die Vorstellung, tagelang nur zu wandern, ist oft verbunden mit der Idee, man würde viel Zeit mit Nachdenken verbringen. Das dachte ich auch – bevor ich losmarschiert bin. Doch dann ist alles anders. Man ist viel zu beschäftigt, um richtig nachzudenken. „Wie weit ist es noch bis zur nächsten Wasserquelle? Warum schleppe ich nur so viel Zeug im Rucksack mit? Was könnte ich bei der nächsten Station rauswerfen?“ Doch selbst bei diesen kurzen Gedanken verweilt man kaum. Der Trail ist schmal und führt oft nahe am Abgrund entlang. Man muss bei jedem Schritt schauen, wo man den Fuß hinsetzt. Außerdem will man auch keiner Schlange begegnen. Wenn der Weg wieder übersichtlicher ist, entdeckt man Blumen oder freut sich über die herrliche Aussicht. An einem nebligen Tag wanderte ich durch ein Gebiet mit riesigen Felsbrocken. Plötzlich kam mir der Gedanke: Das ist doch ein toller Platz, um Ostereier zu verstecken. Ein anderes Mal tauchte das Wort Nachthemd auf in meinem Kopf. „Ein Nachthemd? Das ist doch absurd! Das ergibt doch keinen Sinn!“ Meditieren oder Nachdenken ging nicht. Ich konnte keinen Gedankengang fortsetzen. Irgendwie fühlte es sich merkwürdig an, nicht mehr richtig denken zu können. Also versuchte ich, mich an mein bisheriges Leben zu erinnern. Auch das war mir nicht möglich. Es gab nur den Trail und mich. „Ich bin der Trail!“ Wegen einer Fußverletzung machte ich in einer kleinen Stadt ein paar Tage Pause. Endlich funktioniert mein Gehirn wieder. Mal sehen, wie es wird, wenn ich wieder unterwegs bin. Trail Magic. Während meiner Vorbereitung auf den Pacific Crest Trail las ich oft den Begriff Trail Magic. Auch in den YouTube-Videos kommt das sehr oft vor. Das sind Überraschungen am Weg. Freundliche Menschen möchten uns Hikern das Leben erleichtern. Bisher habe ich das nicht oft erlebt. Inzwischen weiß ich auch den Grund: Die Trail Magic passiert meistens am Wochenende, weil die Menschen dann Zeit haben. Meine erste kleine Magic waren vier Dosen Sprite, die an einem Bachufer standen. Ein anderes Mal begegnete mir ein Mann. Er sagte, dass sein blauer Truck in einer Meile am Parkplatz steht. Dort gibt’s Wasser, und man darf seinen Müll entsorgen. Lauter Kleinigkeiten, die doch so hilfreich sind. Und am Samstag traf ich wirklich auf Trail Magic. Es war sehr heiß, meine Füße waren voller Blasen, und ich war müde. Und da sah ich es von Weitem: ein weißes Zeltdach, und darunter saßen etliche Personen gemütlich auf Stühlen. Es gab eisgekühlte Getränke, viel zu essen und Musik. Dass auch so manches „Kraut“ geraucht wurde, störte mich nicht. Ich wurde freundlich begrüßt und eingeladen, mich dazuzusetzen. Nach zwei Stunden ging ich erholt und satt weiter. Ich hatte zwei vegetarische Hotdogs, zwei Cookies, zwei Cola und eine Tasse Eiskaffee verdrückt. „Vielen Dank, ihr freundlichen Menschen!“ Zero Days. Was ist denn das schon wieder? Und was ist mit Nero Days gemeint? Zero heißt null: An solchen Tagen geht man keine einzige Meile, während Nero Days halbe Zero Days sind, z. B. wenn man in einer Stadt angekommen ist und den Rest des Tages nicht weiterwandert. Man sollte immer wieder Zero Days einplanen. Einerseits, um sich zu erholen, andererseits, um die Städte zu erkunden. Nur die wenigsten Hiker machen Zero Days abseits der Städte, obwohl man sich auch an einem hübschen See richtig gut ausruhen könnte. Trail-Planung. Es gibt im Internet eine ganz tolle und praktische Seite: einen Trail-Planer. Da kann man alles eintragen, vom Startdatum über die durchschnittliche Geschwindigkeit, das Enddatum und wann man Zero Days machen möchte. Natürlich muss man schauen, ob das alles zusammenpasst. Wenn ich das Startdatum und die Zeros plus Geschwindigkeit angebe, hängt das Enddatum natürlich davon ab. Will ich aber unbedingt an einem bestimmten Datum ankommen, richtet sich alles danach. Man kann jederzeit Änderungen vornehmen. https://www.postholer.com/planner/Pacific-Crest-Trail/1. Die Bridge of the Gods. Die Bridge of the Gods ist die Grenze zwischen Oregon und Washington. In unzähligen Videos habe ich mit verfolgt, wie sehr sich die Hiker gefreut haben, wenn sie in den letzten Bundesstaat kamen, durch den der PCT führt. In meiner Vorstellung bin ich auch immer wieder mal über diese Brücke gegangen. Doch nachdem ich meinen PCT Thruhike abgebrochen hatte, war das ja nicht mehr möglich. Doch der Wunsch, über diese Brücke zu gehen, war so stark, dass ich mit dem Zug hinfuhr. Als ich die Brücke sah, war ich total traurig, und beim Rübergehen konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten und weinte bitterlich. Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden habe warum. Es war die Trauer über den Tod meines Traumes. Ich musste mich von ihm erst verabschieden und den Schmerz zulassen. In den folgenden Tagen bin ich dann sowohl auf der Seite in Oregon als auch in Washington einen Tag am PCT gewandert. Außerdem habe ich mit ein paar Hikern gesprochen. Es war gut, dass ich hingefahren bin. Informationen zum Pacific Crest Trail. Logistik. Da stellt sich erst einmal die Frage, in welcher Richtung man den PCT wandern möchte. Von Norden nach Süden oder von Süden nach Norden. Um dafür eine Entscheidung zu treffen, gibt es einiges zu bedenken. Das Wetterfenster: Auf dem PCT gibt es zwei große Schneegebiete, die Sierra Nevada ca. von Meile 720 bis Meile 1100 und Nord Washington von Meile 2400 bis zur kanadischen Grenze

Отрывок из книги

Impressum 2

Der Pacific Crest Trail und ich 3

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Solarpanel 86

Mp3 Player 86

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