Auf dem Weg durch die Zeit
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Detleff Jones. Auf dem Weg durch die Zeit
Prolog
Erste Reise
Erster Kuss
Mobilität und erste Erfahrungen
Tante Luise
Weichenstellungen I
Der Ernst des Lebens
Neue Wege
Rolls Royce
Experten – „Experten“
Fliegen
Unsinn im Sinn
Burg Rheinstein
Studium und Beruf
Durch die Wüste
Weichenstellung II
Udo Jürgens
Zu neuen Ufern
Abnabeln
Engagement auf Korsika
Jagd auf Korsika
Neue Horizonte
Nepal
Erste Reisen nach China
Keine Zeit zu sterben
It‘s magic
Nachkriegszeit in Vietnam
Thailand
Indien
Ungewohnte Sitten – nicht nur für Könige
Antiquitäten und ihr Marketing
New York, New York
Graubereiche
Immer wieder England
Gewisse Verbindungen
Von Suiten und Löchern
Kirche - und das wahre Leben
Sprache – auch deinetwegen!
Auf dem Weg durch die Zeit
Nachwort
Von Detleff Jones sind erschienen
Impressum
Отрывок из книги
München, 3. Februar 2017
Herzklopfen. In wenigen Minuten beginnt mein allererstes Konzert – so richtig mit Band und allem Drum und Dran. Es ist ein grauer regnerischer Tag. Die Grippe grassiert in München und ganz Deutschland; zum Glück hat’s mich nicht erwischt - nicht auszudenken, wenn ich krank geworden wäre – es kommen Gäste aus halb Europa, aus Norddeutschland und Österreich und der Schweiz, aus Dänemark und sogar aus Korsika! Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen, meine Aufregung ist immer noch stärker als meine Müdigkeit, aber trotzdem habe ich mich heute früh gut gefühlt. Doch das Lampenfieber ist quälend, ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Zum Glück ist der Soundcheck am Nachmittag gut gelaufen, und mit jedem Ton, den ich auf dem großen Steinway Flügel hier auf dieser Bühne angeschlagen habe, wuchs schließlich auch meine innere Ruhe. Die Welt um mich herum versinkt nun langsam, sie tritt immer weiter zurück. Im Dämmerlicht hinter der Bühne stehen meine Musiker – sie ganz entspannt - und ich, und wir warten darauf, dass der Trailer mit dem Klaviermedley, den ich für dieses Konzert eingespielt habe, zu seinem Ende kommt und an dem ich meine Band auf die Bühne schicken werde. Mein Freund und Co-Produzent Walter Schmidt tritt zu uns und sagt leise „noch drei Minuten“, dann verschwindet er wieder hinter seinen Mischpulten. Wir warten an der kurzen Treppe, die von hinten seitlich auf die Bühne führt. Hier ist es fast dunkel. Meine Anspannung kämpft gegen meine Konzentration. Seit Wochen und Monaten habe ich mich auf diesen Abend vorbereitet. Doch jetzt, an diesem Abend des 3. Februar 2017, liegt dies alles ganz weit weg. Nur der Moment zählt. Ich höre mein Herz schlagen. Wir stehen zu acht im Kreis und schauen nun konzentriert ins Leere: Benjamin Köthe, Alex Klier, Thomas Simmerl, Axel Kühn, Ossi Schaller, Ricky Kinnen, Ruth Kirchner und ich. Da hält einer der Musiker seine Hand in die Mitte zwischen uns, der nächste legt seine darauf, und so geht es weiter, bis nur eine Hand fehlt – meine. Ich lege sie obenauf, und dann fliegen alle Hände plötzlich nach oben, wie um einen Vogel fliegen zu lassen – ein Ritual, das uns allen an diesem Abend Glück bringen soll. Nur noch Momente. Dann höre ich auch schon die Töne von „Ohne dich wär‘ ich verlor’n“, das letzte Lied des Intro – Medleys. Ich schicke meine Musiker los, und im Vorbeigehen umarmt mich jeder von ihnen und gibt mir einen Kuss – das ist für mich so rührend und trifft mich so unvorbereitet und tief in mein Herz - ich könnte losheulen! Doch jetzt ist nicht die Zeit zum Heulen! Ich will hier ein Konzert mit hohem Anspruch hinlegen – mit Entertainment - Faktor, mit stimmungsvollen Balladen und rockigen Songs, vor allem mit guten Texten und eingehender Musik. Die Musiker betreten die Bühne, und der aufbrandende Applaus dringt bis hierher zu mir. Benny spielt die ersten Harmonien auf dem keybord, dann bin ich dran. Die ersten Takte, die Töne zum gesungenen Prolog „Du hier ganz nah“, die ich noch hier, im Dunkel hinter der Bühne singe – das muss sitzen, die Stimme darf nicht wackeln – auf die ersten Töne kommt es an - und - es sitzt! Nur ein paar Takte, dann klettere ich die Treppe hoch und trete ins gleißende Scheinwerferlicht auf die Bühne. Ich kann nicht weiter in die Halle sehen als ein, zwei Meter – was vor mir liegt, scheint wie eine schwarze Wand. Wieder Applaus. Das gilt mir! Ich verneige mich vor meinem Publikum, dann setze ich mich an den Steinway Flügel und spiele los. D-Dur, vertraute Töne – es ist, als setzte sich ein Zug in Bewegung.
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Es kam nicht selten vor, dass Daddy unangemeldete Gäste mit nach Hause brachte. Einmal waren es zwei Afrikaner – wenn ich mich recht erinnere, waren sie aus Uganda. Sie waren wie mein Vater Sprecher bei der Deutschen Welle. Der Sender strahlte seine Programme auch in die entlegensten Regionen der Welt in den jeweiligen Landessprachen aus, wozu er eben Sprecher auch dieser Länder beschäftigte. Beide waren in weiße Tücher gekleidet – so kam es mir zumindest vor – und sie hatten Gesichter mit langen Narben, die ihnen in der Kindheit gemäß ihrer Stammeszugehörigkeit geritzt worden waren. 1954 sah man in Deutschland nie einen „Neger“ – so wurden sie damals ohne schlechtes Gewissen genannt – ich glaube, den Ausdruck „Farbiger“ oder „Schwarzer“ – die gab es damals noch gar nicht! Sie brachten mir einen Brieföffner aus Elfenbein mit, den ich noch heute aufbewahre. Die Kollegen meines Vaters waren ein bunter verschworener Haufen, und wenn sie abends bei uns zu Besuch waren, was nicht selten vorkam, dann ging es immer hoch her – es wurde ausgelassen getrunken und gegessen und gelacht. Dies waren die Jahre, als Deutschland wieder einmal wie ein Phoenix aus der Asche stieg. Aus Trümmerbergen wuchsen Häuser, die bittere Armut der ersten Nachkriegsjahre nahm langsam, aber sicher ab, und der neue Wohlstand brach sich unaufhaltsam Bahn. Daddy bekam zunehmend Aufträge für Film- und Sprachproduktionen und war viel in Deutschland unterwegs.
Irgendwann brachte er abends einen sympathischen Engländer mit einer prägnanten Stimme mit nach Hause. Er war relativ klein und drahtig und hatte einen sonnigen Humor, und ich erinnere mich sehr gut, dass wir vor Lachen kaum essen konnten, so lustig war er. Er hatte während der letzten Jahre neben diversen Moderationsjobs den Deutschlandspiegel übersetzt und gesprochen – eine Wochenschau, die von der Bundesregierung finanziert wurde und in vielen Sprachen in der ganzen Welt zur Aufführung kam. Chris Howland – das war der Name des Engländers, hatte aber mittlerweile vom neuen WDR in Köln das Angebot bekommen, eine wöchentliche Musiksendung zu moderieren. Dieses Angebot wollte er gerne annehmen, suchte aber vorher noch einen Nachfolger für den Deutschlandspiegel. Und mein Vater war nur zu gerne bereit, Chris Howlands Erbe bei dem in Hamburg produzierten Magazin anzunehmen! So kam es, dass Daddy alle zwei Wochen für zwei Tage nach Hamburg flog. Mama und ich brachten ihn meist zum Flughafen nach Wahn, und einige Male trafen wir dort auch Chris Howland, mittlerweile Moderator von „Studio B“ – wohlgemerkt der Radiosendung, über die heute so gut wie nichts mehr zu erfahren ist, da man nur noch von der Fernsehsendung mit demselben Namen hört. Offenbar hatte der zuständige Redakteur des Senders sich heillos mit Howland zerstritten und als Racheakt sämtliche Bänder aller Sendungen zerstört – ein unerhörter und beispielloser Vorgang. Das Fernseh – Studio B wurde dann aber ebenfalls von Mr. Heinrich Pumpernickel, wie sich Chris auch zu nennen pflegte, moderiert, der schon bald einer der ersten großen Stars in Deutschland werden sollte – wenn man so will, war er der erste DJ überhaupt, ein Pionier der ersten Tage! Wenige Wochen vor seinem Tod hatte ich noch – oder besser: wieder Kontakt zu ihm; er schrieb mir eine e-mail, auf der er sich „anhörte“ wie vor 60 Jahren. Er wollte mich treffen und in seine Sendung „Spielereien mit Schallplatten“ einladen, die er immer noch oder wieder moderierte. Aber dazu ist es dann nicht mehr gekommen.
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