Mensch, wach auf! Gönn dir 'ne Pause

Mensch, wach auf! Gönn dir 'ne Pause
Автор книги: id книги: 1940258     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 982,08 руб.     (10,7$) Купить и читать книгу Купить бумажную книгу Электронная книга Жанр: Контркультура Правообладатель и/или издательство: Автор Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783958409477 Возрастное ограничение: 0+ Оглавление

Реклама. ООО «ЛитРес», ИНН: 7719571260.

Описание книги

Dieses Konglomerat aus Briefen, Berichten, Kurz- und Fantasiegeschichten sowie Reiseberichten und Gedichten spricht Bände und könnte nicht spannender und tiefgreifender zugleich sein. Zu Themen wie Politik, Religion, Menschheit, Umwelt oder Spiritualität findet Doris Kleffner klare Worte. Sie vereint Objektivität mit Persönlichem und zeigt, wie sich die Seele aufgrund des Schreibprozesses von Ballast befreien kann. In diesem Buch zieht sich ein Durchatmen durch Raum und Zeit hindurch.

Оглавление

Doris Kleffner. Mensch, wach auf! Gönn dir 'ne Pause

Impressum

Vorwort

Fantasie-Geschichten. Lütjetodt, ein kleines weises Wesen, ein Narr von Gottes Gnaden kommt dort zum Einsatz, wo menschliches Handeln keinen Erfolg aufweist. Sein Geist, sein Esprit sind so liebenswert, dass sie dem Bösen trotzen. Er sagt von sich: Ich, Lütjetodt bin nicht tot, da ich der „kleine Tod“ bin. Ich darf leben, weil Kinder und Erwachsene mich in den Geschichten erleben. Es (war) kommt einmal… Lütjetodt sitzt mit seinem Freund Jenseits auf der Wolke und schaut nachdenklich in die Unendlichkeit. Das, was sein Uruuuuuur-Großvater ihm erzählt hatte, ist in der heutigen Welt verloren gegangen. Sein Freund hatte ihm die Augen geöffnet, indem er fragte: „Wo ist das neue bunte Kleid, dass die Sonne der Erde geschenkt hatte? Wo sind die grünen Bäume und die vielen bunten Blumen und Gräser? Wo?“ Und Lütjetodt muss gestehen, auch er hatte ein anderes Bild erwartet. Damals vor langer Zeit, als er das erste Mal die Erde besuchte. Ihm schlug eine Hitze entgegen, die alles Natürliche verbrannte. Er hielt es nicht lange aus und kehrte eilig zu seinem Freund zurück. Ja, und nun sitzen sie auf der Wolke und schauen in die Unendlichkeit. Doch irgendwann unterbricht sein Freund das Schweigen und erzählt: Damals, vor längst vergangener Zeit wird die Erde in eiskalte, weiße Tücher gehüllt. Das „Diesseits“ friert erbärmlich, wenn es sein Gesicht aus der warmen Höhle streckt. Gleich will die Nase zu Eis erstarren. Also zieht es sich schnell wieder in die warme Höhle zurück. Aber eines Tages lächelt dem „Diesseits“ ein gelbes rundes Etwas entgegen. Beide erschrecken, trauen ihren Augen nicht. Doch neugierig nähern sie sich an. „Wer bist Du?“, fragt „Diesseits“ „Ich bin die Sonne. Mich schickt das „Jenseits“. Lange hat es mit dem riesigen Fernrohr auf die Welt geschaut. Dabei hat es dich entdeckt. Unglaublich, dass du in dieser Kälte überlebt hast.“ So spricht die Sonne und erwärmt dabei den Höhleneingang. Dicke Tropfen plumpsen auf das Gesicht von „Diesseits“ und von dort weiter in das Innere der Höhle. Innerhalb kurzer Zeit hat sich eine Pfütze gebildet. Daraus wird schnell ein See. Die Höhle zeigt ihr glänzendes Inneres, das zu einem riesigen Berg gehört. Als Quelle sprudelt das aufgetaute Wasser heraus. Es bilden sich Bäche und Flüsse, die einen Weg zum großen Meer suchen. Staunend sieht „Diesseits“ zu. Ein Wunder spielt sich vor seinen Augen ab. Die Sonne zieht mit geballter Kraft die weißen Tücher von der Welt und schenkt ihr ein neues buntes Kleid *** Wer zu lesen versteht … Das kleine Wesen mit Namen „Lütjetodt“ verbringt seine Lichtjahre in der Zeitlosigkeit des Universums. Es trägt eine gräuliche Kutte mit einem Licht durchwirkten Gürtel, auf dem das Wort „Liebe“ im gleichmäßigen Takt aufleuchtet. Die Kapuze hat es weit in das Gesicht gezogen und seine Füße stecken in weichen Stiefeln, die einen Stern an der Kuppe tragen. Aus den Ärmeln schauen winzige Propeller hervor, mit denen sich Lütjetodt seinen Weg durch das Weltall bahnt. Flink wie ein Wiesel saust Lütjetodt hinter seinen Spielgefährten her und lacht aus vollem Halse vor Vergnügen, als er von einer großen, ausgestreckten Hand aufgehalten wird. Prompt geben seine Propeller den Dienst auf und er landet auf dem Schoß von Jenseits „Hui, das hat mir Spaß gemacht!“, schnauft er glücklich und sieht fragend dem Freund ins Gesicht. Dieser stellt Lütjetodt im Großformat dar. Seine Kutte weist einen dunkleren Grauton auf, seine Füße stecken in bequemen Sandalen „Hallo mein Freund, das sehe ich dir an“, erwidert der Ältere und spricht weiter. „Ich bedaure sehr, dich ausgebremst zu haben. Doch ich habe Sorgen und hoffe inständig, dass du mir helfend zur Seite stehen kannst.“ „Sorgen???“ Dieses Wort findet Lütjetod in seinem schnell aufgeschlagenen inneren Wörterbuch nicht „Was sind Sorgen???“, fragt er deshalb Jenseits und wartet gespannt auf eine Antwort „Ach Lütjetod, die Menschen auf der Erde machen mir Sorgen. Seit der Vertreibung aus dem Paradies begleite ich sie und stehe helfend zur Seite, wenn ihre Lebenszeit abgelaufen ist. Körper und Geist bilden eine Einheit, sie bleiben auf der Erde. Doch die Seele, als Dritte im Bunde, stellt die Verbindung zum Zeitlosen her. Dementsprechend kehrt sie auch wieder in die göttliche Einheit zurück. Ja, ja mein Freund. Die Menschen haben sich nicht für das paradiesische Leben entscheiden können. Sie sind dem Zauber des „Wissen wollen“ erlegen und haben somit die Abspaltung des Bewussten vom Nichtbewussten herbeigeführt. Ja, und Gott unser Vater hat es zugelassen, weil er jeden Menschen liebt und ihn einmalig als sein Ebenbild geschaffen hat. Wir haben die vertrauensvolle Aufgabe übertragen bekommen, jeden einzelnen Menschen im Auge zu behalten. Ihn zu seiner Zeit wieder zurückzuführen in Gottes Obhut. Das bedeutet, wir bringen die Seelen wieder in das Paradies zurück. Du musst wissen, es gibt die Vergangenheit, in der Leben und Sterben noch ein natürlicher Prozess in der Schöpfungsgeschichte darstellte. Die Menschen wurden geboren, um das Leben zu lieben. Sie durften im Wandel der Jahreszeiten und im Tag-Nachtrhythmus wachsen und gedeihen. Durch die Anstrengungen am Tage schliefen sie nachts so tief und fest, dass es damals ein Leichtes für mich war, die Seelen in den Himmel zu begleiten, damit diese ihr Leben von oben neu schöpfen konnten. Schnell brachte ich sie im Morgengrauen zurück in die Körper. So konnten die Menschen erfrischt und gestärkt ihrem Tagwerk nachgehen. Damals stellten sie mit großer Liebe vertrauensvoll ihre körperlichen und geistigen Kräfte der Schöpfung zur Verfügung. Und als sie alt und kraftlos wurden, freuten sie sich auf mein Erscheinen. Sie waren des Lebens müde und durften durch mich das Zeitliche segnen.“ Lütjetodt hört interessiert zu. „Deine Worte klingen so schön“, nimmt er schnell das Luftholen des Älteren zum Vorwand, selbst das Wort zu ergreifen. Mit seiner Feststellung „Dann sind Sorgen doch schön“ unterbricht er den Redeschwall seines Freundes. „Nein, nein, lass mich weitererzählen, dann klärt es sich“, spricht Jenseits und setzt dabei Lütjetodt neben sich auf eine Wolke. Doch dieser ist hartnäckig und fragt noch einmal: „Was sind denn nun Sorgen, mein Freund? Geht es nicht kurz und knapp?“ „Ach, mein Kleiner. Kurz und knapp gesagt: Sorgen sind Lecks, Risse, Spalten und Löcher, aus denen die überfließende Energie entweicht.“ Lütjetodt schaut an seinem Freund herunter, aber er kann keine Lecks, Risse, Spalten oder Löcher erkennen. „Wo läuft deine Energie denn aus?“ Jenseits lacht und meint: „Gott sei Dank! Noch habe ich nicht so viele sorgenvolle Gedanken verschwendet, um auszulaufen. Außerdem!! Ich liebe die Menschen viel zu sehr. Durch diese Liebe kann ich super Energie auf Vorrat speichern.“ Lütjetodt staunt nicht schlecht. „Was es doch alles gibt zwischen Himmel und Erde. Ich kenne bloß Bruchstücke davon, weil ich noch nie auf der Erde war. Speichert mein Gürtel etwa auch super Energie?“ Jenseits schmunzelt sich eins und streichelt Lütjetodt zärtlich über die Kapuze. „Du steckst voller Liebe, sonst würde dein Gürtel nicht im Takt blinken. Also speicherst du sie auch. Das ist ja der Grund, warum ich dich als Geheimcode für die Menschen auf der Erde einsetzen möchte. Du bist der Schlüssel, der jetzt in der Gegenwart dazu beitragen kann, dass in Zukunft die Menschen wieder ohne Angst dem Tod ins Auge schauen, ihn lieben können.“ Lütjetodt ist ganz berührt von dem, was sein Freund zu ihm sagt. Er, der kleinste Tod im Universum, soll ein Schlüssel für die Menschen sein? Er, Lütjetodt kann die Herzen der Erdenbürger öffnen, damit sie wieder lieben können und keine Angst vor dem Tod haben? Oh, er ist ganz überwältigt von diesem Gedanken. Andächtig schaut er zu seinem Freund empor. „Es ist ein ganz wunderbarer Gedanke! Ach, es ist überwältigend!“ Seine in Stiefeln steckenden Füße baumeln auf der Wolke hin und her und die Sterne an seiner Kuppe klingeln in diesem Takt wie kleine, helle Glöckchen. Sie unterstreichen noch das Gesagte. „Erzähl bitte weiter, lieber Freund! Es ist soooo spannend, was du mir von den Menschen auf der Erde erzählst.“ „Das, was du bisher gehört hast, ist lange vorbei – Vergangenheit. Jetzt, in der Gegenwart hat der technische und medizinische Fortschritt auf der Erde den Schöpfungsvorgang unterbrochen. Die Menschen sind in der Lage, das Leben zu verlängern und damit den natürlichen Sterbeprozess aufzuhalten. Kleine runde Tablettchen, moderne Operationsmethoden und riesige Apparate mit vielen Strippen und Knöpfen erzielen diese große Wirkung. Jedes Mal komme ich ins Schwitzen, wenn ich an einem Bett stehe. Ich möchte die Seele in den Himmel tragen, muss aber feststellen, der Mensch schläft nicht. Sein Körper liegt bleiern schwer auf der Unterlage, doch sein Geist ist rege, kann sich aber nicht äußern. Große Angst steht in den Augen geschrieben, wenn ich erblickt werde. Ja, und diese Situation macht mir Sorgen!“ Schweigend starrt Jenseits durch die Wolken Richtung Erde. Lütjetodt spürt, dass er seinem Freund jetzt keine weiteren Fragen stellen darf *** Liebe ist nicht nur ein Wort … Lütjetodt sitzt mit seinem Freund Jenseits auf der Wolke und schaut nachdenklich in die Unendlichkeit. Das, was sein Uruuuuur-Großvater erzählt hatte, gilt in der heutigen Zeit nicht mehr. „Eigentlich schade!“, denkt er sich. Er schreckt auf, weil sein Freund ihn anspricht: „Lieber Lütjetodt, ich werde die Probe aufs Exempel machen und dich zur Erde schicken. Bei einer Frau konnte ich kurz hintereinander die Seelen von Mann und Sohn in den Himmel heben. Nun interessiert mich schon, wie sie in der Gegenwart mit ihrem eigenen Leben umgeht. Ich bin gewiss, dass du diese Probe bestehen wirst. Danach kannst du bei weiteren Aufgaben eingesetzt werden.“ Lütjetodt lässt sich das nicht zweimal sagen. Seine Sterne klingeln in einem fort und mit einem „Rapp die klapp“ schmeißt er seine Propeller an und saust im Sturzflug zur Erde. Ach, wie enttäuscht ist er von dem ersten Eindruck der Erde! Die von seinem Freund Jenseits angegebene Adresse stimmt nicht mehr. Nun muss er sich konzentriert auf die Suche nach dieser Frau begeben. Doch „Rapp die klapp“, schnell hat er sie in einer kleinen ebenerdigen Wohnung ausfindig machen können und setzt sich still mit an den Frühstückstisch. Teelichter auf einer Anrichte leuchten warm und hell. Ein Hund hat es sich neben dem Stuhl der Frau bequem gemacht. Diese sitzt mit einer Tasse Kaffee in der Hand entspannt am Tisch. Ihr lächelnder Blick ruht auf einem kleinen Kater, der durch die Terrassentür in das Innere schaut. Kontakt entsteht zwischen den beiden, dann dreht der Kater ab und marschiert schnurstracks zu einem abgedeckten Strandkorb. Die Frau schaut gespannt auf diese Szene und erlebt, wie sich die Folie bewegt, aufgebauscht wird und wieder in die Ausgangslage zurückfällt. Sie schmunzelt und wirkt ganz glücklich dabei. Lütjetodt beobachtet sie ganz genau. Ihre Gedanken kann er wie folgt ablesen: „Na Kalli, du willst es aber genau wissen! Keine Angst, ich werde dich nicht verjagen. Ich teile den Korb mit dir. Mitnehmen kann ich nichts von dieser Erde, denn es ist ja alles nur geliehen. Aber geben und teilen darf ich die Leihgaben Gottes.“ Dabei streichelt sie ihren Hund und dieser schaut vertrauensvoll in die Augen der Frau. Lütjetodt ist berührt von der Szene. Sein Gürtel blinkt und überschlägt sich dabei fast. Dieser Einsatz hat sich für ihn schon gelohnt. Die anfängliche Enttäuschung weicht einer Vorfreude auf die anstehenden Aufgaben. „Rapp die klapp“ wirft er seine Propeller an, spürt dabei intensiv, dass der Hund ihn beobachtet. Schnell saust er wie der Blitz zu seinem Freund zurück. Dieser kann am Verhalten seines kleinen Freundes ablesen, dass der Einsatz auf Erden gut ausgegangen ist. „Na, hast du die Frau gefunden?“ Lütjetodt nickt eifrig und weiß nicht, wo er anfangen soll „Lieber Freund, hast du mir nicht erzählt, die Menschen haben sich in der Vergangenheit verzaubern lassen. Sie haben sich für den Baum des „Wissen wollen“ entschieden, Deshalb sind sie aus dem Paradies vertrieben worden? Ich habe auf der Erde gelernt, dass die Erdbewohner sich dort jeden Tag entscheiden dürfen, ob sie sich vom Baum des „Lebens“ oder vom Baum des „Wissen wollen“ ernähren.“ Ganz überschwänglich erzählt Lütjetodt ihm sein Erlebnis mit der Frau „Ach Lütjetodt! Dieser Frau hast du das Herz geöffnet mit deiner überfließenden Liebe. Sie hat gespürt, dass jeder Tag der letzte sein kann. Du hast Recht, sie hat sich in diesem Moment für den Baum des „Lebens“ entschieden. Aber nur, weil sie erkannt hat, dass beide Bäume durch einen Wurzelstock genährt werden. Bestimmt wirst du bei deiner Arbeit vielen Menschen zum Herzöffner. Ich wünsche es dir, aber in erster Linie den Erdenbürgern.“ Liebevoll drückt Jenseits seinen kleinen Freund an sich und beide schauen schweigend in die Unendlichkeit *** Die Angst wirft lange Schatten … „Lütjetodt erhält ein Signal seines Freundes Jenseits. Obwohl er mit anderen kleinen Wesen im Weltall Schabernack treibt, veranlasst ihn der Ruf, seine Propeller „Rapp die klapp“ anzuwerfen. Schnell steuert er die gemeinsame Wolke an „Grüß dich Lütjetodt! Ich finde es gut, dass du so schnell meinem Ruf gefolgt bist“, empfängt Jenseits seinen kleinen Freund. „Ja, ja, was sollte ich sonst machen! Meine Sterne auf den Kuppen haben geläutet und geläutet. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als meine Propeller „Rapp die klapp“ anzuwerfen und den kleinen Wesen tschüss zu sagen“, spricht Lütjetodt mit noch atemloser Stimme. Setzt sich bequem auf seine Wolke und schaut fragend seinem Freund in das Gesicht. „Was gibt es so Dringendes? Du hast meine Sterne zum Klingen gebracht, dass es eine Wucht ist“, bringt er das Gespräch in Gang „Ach Lütjetod, ich beobachte auf der Erde Herrn Taw. Viele seiner Generation habe ich auf dem Weg in die Unendlichkeit begleitet. Ja, und nun ist er selbst auf dem Weg, das Diesseits zu verlassen, weil er keine Zukunft mehr hat. Ich beobachte ihn schon lange in seinem Krankenbett und erlebe, wie er mit den Geistern der Vergangenheit zu kämpfen hat. Er zählt noch zu denen aus der Generation, die in Ostpreußen beheimatet waren und durch den zweiten Weltkrieg Haus und Heimat verlassen mussten. Diese Menschen konnten nicht zwischen den Möglichkeiten „bleiben oder gehen“ wählen. Sie wurden einfach, so mir nichts dir nichts, aus ihrem Paradies vertrieben. Ich sehe ihn noch als jungen Burschen jubeln, weil der Krieg ihn holte. Doch als er Unteroffizier wurde und in der Kavallerie gegen fremde Völker kämpfen musste, zerbrachen ihn die grausigen Einsätze an der Front. Ab da vergaß er das Jubeln. Ruckartig hatte sich sein Enthusiasmus gelegt, als er, vor Angst schlotternd, sich als Verwundeten auf seinem Pferd festklammerte. Das Tier brachte ihn mit letzter Kraft zu seiner Truppeneinheit zurück. Ich sehe ihn noch in Russland an der Scheune lehnen, nachdem er sich übergeben musste, weil er einen feindlichen Soldaten erschossen hatte, der die Unterkunft seiner Truppeneinheit ausspionieren wollte. Dafür bekam er zwar eine Auszeichnung, das „Eiserne Kreuz“, doch innerlich fühlte er sich nicht „ausgezeichnet“. Später, nach Ende des Krieges, träumte er noch von diesem Toten und den vielen anderen, die er und seine Kameraden niedergestreckt hatten. Außerdem verfolgten ihn seine Freunde, die ihr Leben opferten für den Krieg. Viele Kameraden wurden im Russlandfeldzug gefangen genommen. Doch, Gott sei Dank, blieb ihm die Gefangenschaft erspart. Und dass nur, weil ein Blinddarmdurchbruch ihn von dem Schlachtfeld holte. Mit einem der letzten Flieger wurde er aus Stalingrad herausgeflogen und in ein Lazarett nach Dänemark gebracht. In diesem Lazarett kämpfte er um sein eigenes Leben. Bald danach wurden die Fronten aufgelöst und das Kriegsende ausgerufen. Er fand mit Hilfe des Roten Kreuzes seine Familie im Ruhrgebiet, dem so genannten „Kohlenpott“ wieder und arbeitete lange Jahre im Bergbau. Durch diese schwere Arbeit konnte er nach dem Krieg die Existenz seiner Familie sichern. Ich habe aber auch in sein Inneres gesehen und feststellen können, dass er in den vielen Jahren auf Erden nur sein Leben geträumt hatte. Er brachte es nicht fertig, die Erinnerungen absterben zu lassen, um einen Neuanfang mit seiner Frau und zwei Kindern zu starten. Seinen erstgeborenen Sohn kannte er gar nicht. Nach der Vertreibung seiner Angehörigen aus Ostpreußen und dem langen Marsch bis in das Lager Friedland verstarb der Junge. Seine Frau litt schwer an dem Verlust. Sie hatte kaum über ihr Erlebtes auf der Flucht gesprochen, deshalb hielt die Vergangenheit auch sie gefangen und machte ihr Herz krank. Oft war ich bei ihr, bis ich endlich ihre Seele auffangen durfte, die aus dem an Geräten angeschlossenen Körper entschlüpfen konnte. Ihr Mann blieb zurück. Dieser Herr Taw braucht ganz dringend deine Hilfe, lieber Lütjetodt! Ich wünsche dir, dass du mit deinem Schlüssel sein Herz öffnen kannst, damit die bösen Geister keine Macht mehr haben.“ Jenseits Worte sind noch nicht ganz ausgesprochen, da schmeißt Lütjetodt schon seine kleinen Propeller an. „Rapp die klapp“ saust er los, einen langen weißen Schweif hinter sich lassend. Diesmal kann er die Erde mit ganz anderen Augen betrachten, da sein Ziel klar ist und er nicht lange suchen braucht. Seine Nase nimmt die feinen Düfte auf. Der Blick verfängt sich in dem satten Grün der Wälder und Wiesen. Das Vogelgezwitscher beglückt ihn zutiefst, so dass sein Gürtel wie verrückt zu blinken beginnt. Dabei bebt und wackelt alles an ihm. Er muss achtgeben, dass er seinen Gürtel nicht verliert. Hoppla! Mit einem Mal hängt er in einem Baum fest, zappelt wie ein Fisch an der Angel. „Ach ihr Vögel, kommt und helft mir vom Baum herunter!“, ruft er verzweifelt den gefiederten Sängern zu. „Ihr habt mich so verzaubert, dass ich unvorsichtig wurde!“ Die Vögel hören ihn, können auch seine Gestalt im Baum ausfindig machen. Schnell kommt eine Vogelschar zwitschernd angeflogen und befreit ihn aus seiner verzwickten Lage „Danke, ihr lieben gefiederten Freunde, danke! Ich bin erstaunt, dass ihr mich seht!“, ruft er glücklich den Vögeln zu „Aber Lütjetodt, warum sollen wir dich nicht sehen? Wir erkennen dich“, trällern sie und nehmen wieder ihren Platz in der Baumkrone ein. Lütjetodt ist noch ganz benommen von seinem Erlebten, will sich aber nicht lange mit Gedanken aufhalten, sondern zusehen, dass er Herrn Taw im Pflegeheim erreicht „Rapp die klapp“ springen die Propeller an und bringen ihn an den gewünschten Ort. Polternd kann er den schnellen Flug abbremsen. Er landet direkt im Zimmer vor den Füßen einer netten jungen Pflegerin. Um nicht getreten zu werden springt er flink zur Seite und schaut zu, wie sie den Bettlägerigen wäscht und ankleidet „So Herr Taw, das hätten wir geschafft! Gleich komme ich mit dem Frühstück zu Ihnen“, sagt sie und ist schon halb aus dem Raum gehetzt „Hui, hier wird ein anderes Tempo vorgelegt. Die ist ja fast so schnell wie ich mit meinen Propellern“, schnieft Lütjetodt durch die Nase. Er bekommt einen erstaunten Blick von Herrn Taw zugeworfen. „Ob der mich gehört hat?“, denkt er. Bedächtig lässt er sich auf dem am Fußende stehenden Stuhl nieder. Nachdenklich mustert er das eingefallene Gesicht, denkt an die Worte seines Freundes: „Die Geister der Vergangenheit lassen ihn nicht los.“ Ganz großes Mitgefühl überkommt ihn und im selben Moment leuchtet sein Gürtel hell auf. Er flüstert: „Dieser Mensch hat keine Zukunft mehr. Er wird von der Vergangenheit gefangen gehalten. Ja, und die Gegenwart geht dem Geist verloren. Da muss doch was möglich sein, da will ich helfen.“ Bedächtig lehnt er sich zurück und überlegt sich eine Strategie. Die Pflegerin schiebt die Zimmertür auf und holt das Frühstücksgeschirr wieder ab, welches während seines Denkprozesses auf den Nachttisch gestellt wurde. „Ach Herr Taw, Sie haben ja gar nichts gegessen!“ „Habe keinen Appetit!“ „Sie müssen aber essen, sonst werden Sie immer schwächer“, klagt sie und fragt weiter: „Soll ich Sie in den Sessel setzen, damit Sie den Blick ins Grüne haben?“ „Nein danke! Ich fühle mich nicht – gut!“ Geschwind rafft die Pflegekraft das Tablett und verschwindet so schnell wie sie gekommen ist. Herr Taw schließt seine Augen und Lütjetodt spürt an dem veränderten Gesichtsausdruck, dass er wieder mit der Vergangenheit Kontakt aufnimmt „Hoppla, was sind das denn für Gestalten?“, staunt er und fragt diese beiden Wesen auch gleich danach. „Wir sind die Geister „Schuld“ und „Scham“ und kommen gerne zu diesem Menschen. Er gibt uns immer wieder neue Nahrung.“ „Ihr werdet von ihm gefüttert?“ „Ja, gewiss doch. Er ist sehr mitleidig und lässt uns nicht los! Jeden Tag kommen wir zur selben Zeit in das Zimmer und schon steht sein Spieler „Angst“ bereit, um gegen uns anzutreten. Doch jedes Mal verliert er. Wir haben noch andere Bewohner hier im Haus, aber bei ihm ist es am spannendsten.“ Lütjetod ist erschüttert über so viel Unverfrorenheit dieser beiden dreisten Gesellen. Als sie bei Herrn Taw auf der Bettkante sitzen, kann er nicht anders, als ebenfalls näherzutreten. Sein Gürtel fängt an zu blinken. Der Bettlägerige öffnet seine Augen. Die nackte Angst schlägt den beiden Geistern und ihm selber entgegen. Ein Kampfspiel beginnt, bei dem Lütjetodt nicht nur Zuschauer sein möchte. Eifrig hüpft er um das Bett herum. Der Gürtel strahlt und blinkt, wackelt und zerrt solange, bis Lütjetodt Purzelbäume schlagen muss. Auch Herr Taw schlägt mit seinen abgemagerten Armen um sich, damit die Geister ihm vom Leibe bleiben. Seine Angst wird abgelenkt von den lustigen Bewegungen, die Lütjetodt veranstaltet. Das Licht blendet die Angst so stark, dass sie die Geister „Schuld“ und „Scham“ nicht mehr erkennen kann. Die Hände des Herrn Taw schlagen ins Leere. Die Angst lässt sich von den akrobatischen Übungen mitreißen. Sie springt und lacht aus vollem Halse. Herr Taw lacht und lacht. Er kann gar nicht mehr aufhören. Lütjetodt schämt sich ein bisschen, da er der Verursacher dieser albernen Vorstellung ist. Doch fühlt er sich auch ein klein wenig stolz, den Kranken abgelenkt zu haben. Die Pflegerin kommt in das Zimmer gestürzt und ruft erschreckt: „Herr Taw, ich habe Gepolter auf dem Gang gehört. Sind Sie aus dem Bett gefallen?“ „Nein, nein“, lacht er, immer noch die lustige Szene vor Augen. „Ich habe so einen wunderschönen Traum erlebt, obwohl er zu Anfang ganz schrecklich auf mich wirkte. Mir ist so frei um mein Herz, wie schon lange nicht mehr! Bitte, setzen sie mich in meinen Sessel. Ich möchte in den Garten. schauen.“ Die Pflegerin erfüllt ihm die Bitte. Sie freut sich über die positive Veränderung des ach so netten Heimbewohners. „Jetzt geht es bestimmt bergauf mit Ihnen!“, sagt sie freundlich. „Ja, ich glaube es auch!“ „Tschüss Herr Taw! Ich mache Feierabend, muss aber noch schnell niederschreiben, wie meine Schicht verlaufen ist. Sie wissen ja, es nimmt viel Zeit in Anspruch. Lieber wäre ich noch bei Ihnen geblieben, damit sie mir ihren Traum erzählen können. Aber die Pflicht ruft und meine Familie wartet auf mich. Tschüss.“ Lütjetodt hört schweigend zu. Sein leuchtender Gürtel hat noch nichts von der Kraft verloren, die er ausstrahlt. Entspannt ruht er neben dem Herrn im Sessel. Er blickt in den Himmel und dann auf die Erde und denkt: „Es ist zu schön, hier auf der Welt zu sein. Das muss ich gleich meinem Freund mitteilen.“ Denken und handeln sind eine Reaktion. Schon wirft er „Rapp die klapp“ seine Propeller an. Er streichelt Herrn Taw noch einmal über den Kopf, bevor er im Universum verschwindet. Noch ganz angefüllt von dem Erlebten landet er auf seiner Wolke und wird schon von Jenseits empfangen. „Na mein Freund, du strahlst ja mit deinem Gürtel um die Wette!“ „Ach, lieber Freund, es war auch ein ganz wunderbarer Aufenthalt bei Herrn Taw.“ Schon sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Haarklein berichtet er von seinen Erlebnissen. Zum Schluss muss er noch eine Frage an seinen Freund richten, die ihm während seines Rückfluges durch den Kopf gegangen ist. „Wie kommt es, dass auch junge Menschen in der Vergangenheit verweilen? Die Pflegerin hat sich verabschiedet mit den Worten, sie müsste noch notieren, was in ihrem Dienst passiert ist. Aber wenn es doch vorher passiert ist, dann wird es beim Aufschreiben schon Vergangenheit, oder nicht?“ „Du hast Recht Lütjetodt! Durch die Erfindung der Zeit, springen die Menschen durch alle drei Zeitzonen. Sie haben sich auf Tage, Wochen Monate, Jahre festgelegt und unterteilen dann auch noch den Tag in Stunden, Minuten und Sekunden. Der Stress und die Ruhelosigkeit sind dadurch vorprogrammiert. Sie hetzen durch den Tag, verkürzen die Nacht im Sommer noch mal um eine Stunde. Indem sie die Uhrzeiger verschieben, meinen die Menschen, sie haben mehr Zeit zur Verfügung. Doch sie irren! Durch ihre stete Ruhelosigkeit läuft ihnen die Zeit davon. Sie vergessen zu „leben“ Einfach im Hier und Jetzt leben und lieben, fällt den meisten Menschen sehr schwer. Im Augenblick bleiben; den gerade gelebten Moment aus tiefstem Herzen genießen und erleben, das können nur Wenige. Es ist sehr bedauerlich, was sie sich mit ihrer täglich wiederholenden „Paradiesvertreibung“ antun.“ *** Einst waren wir reich und mächtig … Lütjetodt sitzt mit seinem Freund Jenseits auf der Wolke. Beide schauen nachdenklich in die Unendlichkeit. Sein Freund hat ihm wieder einmal die Augen geöffnet, indem er fragt: „Wo ist das neue bunte Kleid, dass die Sonne der Welt geschenkt hatte? Wo sind die grünen Bäume und die vielen bunten Blumen und Gräser? Wo?“ Lütjetodt muss gestehen, dass auch er ein anderes Bild erwartet hatte, als er wieder einmal als universelle Notfallhilfe einspringen sollte. Ihm schlug eine Hitze entgegen, die alles Natürliche verbrannt hatte. Er hielt es nicht lange aus, kehrte eilig zu seinem Freund zurück. Ja, und nun sitzen sie auf der Wolke und schauen in die Unendlichkeit. Doch irgendwann unterbricht sein Freund das Schweigen und erzählt: „Von allen Lebewesen hat sich der Mensch behaupten können, noch herrscht er auf der Erde. Die Roboter haben zwar die Arbeit übernommen, weil sie der Hitze trotzen können. Der Mensch bedient diese Roboter, damit sie ausführen, was die menschlichen Hirne entwickelt haben. Es gibt kaum Kinder auf der Welt. Die Zärtlichkeit ist verloren gegangen in dieser elektronisch gesteuerten Gegenwart. Lang genug hatte sie sich präsentiert, damit die Menschen sie finden können. Doch die hatten gar keinen Blick mehr für Zärtlichkeit und Liebe. Die Gefühle schmolzen in der stickigen Luft, wie damals das Eis. Aber der Effekt ist heute ein anderer. Der Mensch entwickelt sich zurück; wird zum geschmolzenen Tropfen und verdunstet.“ „Gibt es bald keine Menschen mehr auf der Erde?“ „Ach, Lütjetodt, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ein Kind in seiner Erfüllung nur sein kann, wenn es als Voraussetzung die Erfüllung von Mann und Frau hat.“ „Was heißt das, ich verstehe es nicht?“ „Ein Kind kann nur durch Liebe und Zärtlichkeit geboren werden. Die Zärtlichkeit ist aber verloren gegangen.“ Woher willst du das wissen?“ „Hast du auf der Erde noch Schmetterlinge wahrnehmen können?“ „Diese kleinen zarten Wesen, die sich auf den Blumen niederlassen?“ „Ja, die!“ „Nein, die konnte ich doch nicht sehen, weil es nur noch drei Sorten Bäume auf der Erde gibt. Diese konnten von den Schmetterlingen nicht angeflogen werden.“ Erstaunt schaut Jenseits seinen Freund Lütjetodt an. „Das hast du wahrgenommen?“ „Natürlich! Ich schlaf doch nicht, wenn ich zum Einsatz gerufen werde“, empört sich Lütjetodt „Ja, mein Freund, du hast Recht! Es gibt nur noch den Baum des Reichtums, der prall mit den irdischen Gütern behängt ist. Er benötigt ganz viel Boden für seine Wurzeln, sonst würde er durch die Last zerbrechen. Dann gibt es die Sorte Baum „Armut“. Von dieser Sorte stehen zwar ganz viele auf der Welt, aber so eng, dass für keinen genügend Nahrung vorhanden ist. Die dritte Sorte heißt „Kinder- und Fremdenhass“ und zählt zu den Schmarotzern.“ „Was ist ein Schmarotzer?“ „Ein Schmarotzer lebt auf Kosten anderer, das heißt, er wird dadurch satt, dass er die Kinder und Flüchtlinge mit seinen riesigen Stacheln vergiftet und aufsaugt. Diese Sorte Baum bevorzugt ausgedörrte, lieblos behandelte Erde.“ „Puh, das klingt gar nicht gut! Können die Erwachsenen nicht eingreifen?“ „Die Erwachsenen, die es wollen, verletzen sich an den Stacheln und ziehen sich schnell zurück, damit sie nicht vergiftet werden. Ja, und die anderen pflanzen diese Bäume, entziehen ihnen sogar noch das kostbare Wasser.“ „Was könnte ich machen, damit der Baum „Armut“ wieder gedeihen kann und der Baum „Kinder- und Flüchtlingshass“ ausgerottet wird?“ „Ich bin stolz auf dich, da du die Zusammenhänge erkennst, Lütjetodt.“ „Vielleicht müssten die Wurzeln des Baumes „Reichtum“ gestutzt werden, damit viele kleine Oasen zwischen diesen Bäumen entstehen könnten.“ „Deine Gedankenansätze sind gut. Denn, wenn Oasen entstehen, werden wieder Blumen wachsen. Auf die Blumen setzen sich wieder die Schmetterlinge. Und die Schmetterlinge sorgen dafür, dass der Mensch aufblüht und die Zärtlichkeit wiederfindet. Die Zärtlichkeit weckt die Liebe und so wird wieder ein Kind geboren.“ „Ach, ja! Das klingt gut! Aber, wird das Kind zu einem gesunden, gefühlsmäßig zärtlichen Menschen heranwachsen können?“ „Bestimmt, Lütjetodt. Im Menschen findet sich viel aus dem Tierreich wieder. Die medizinischen Errungenschaften auf der Erde machen es möglich, dies zu erforschen. In der Medizin wird die Schilddrüse als am Hals unterhalb des Kehlkopfs liegende, schmetterlingsförmige Drüse bezeichnet. Sie hat stoffwechsel- und wachstumsfördernde Wirkungen und schafft die Voraussetzung für eine kindliche Entwicklung und ein gesundes Erwachsenenleben. An einer sensibelen Stelle des menschlichen Körpers nimmt der „Schmetterling“ Einfluss auf Stimme/Sprache und der Leben spendenden Atmung“, schließt Jenseits seine Erklärungen ab „Ist es nicht bemerkenswert, welchen Einfluss dieser „Schmetterling“ auf das Format des Menschen nehmen kann?“, fragt Lütjetodt seinen Freund und schaut bewundernd zu ihm auf. Sie sitzen auf der Wolke, schauen schweigend in die Unendlichkeit. Nach einiger Zeit lässt Lütjetodt den Freund an seinen Gedanken teilhaben: „Weißt du, Jenseits! In der Natur entwickelt sich aus der verpuppten Raupe ein zarter Schmetterling.“ „Richtig! Als Metapher gesehen, geschieht Wandel und Verwandlung. Der Mensch schlüpft aus seinem Kokon der Kindheit in die Freiheit des Lebens oder des Traumes.“ „Wissen die Menschen, ob sie wirklich da sind? Oder sind sie nur Projektionen des Weltschöpfers?“ „Was du dir für Gedanken machst, Lütjetodt.“ „Ich komm darauf, weil ich doch bei meinem ersten Einsatz auf der Erde bei der netten Frau war, die Mann und Kind kurz hintereinander verloren hatte. Sie sprach laut ihre Gedanken aus: ‚Wenn ich die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass alle Personen um mich herum wie Schmetterlinge im Traum und nur meine menschlichen Projektionen sind, dann könnte ich daraus schließen, dass wir alle Schmetterlinge im Traum des einen großen Träumenden sind.‘ Sie saß noch lange Zeit in Gedanken versunken am Tisch und schaute zu uns in die Unendlichkeit!“ *** Und die Liebe per Distanz … Lütjetodt sitzt mit seinem Freund Jenseits auf der Wolke und schaut nachdenklich in die Unendlichkeit. Sein Freund hatte ihm wieder einmal die Augen geöffnet, indem er fragte: „Wo ist die Sehnsucht nach Licht, die der Süden bringt? Vom Norden her wurde die Gefangenschaft, das Exil angekündigt. Also kommt das Unheil aus dem Norden, welches Schmerzen und Verletzungen mit sich bringt. Aber die Sehnsucht nach Licht bringt der Süden. Und gerade diese Sehnsucht ist das Zeichen der Liebe, als Geheimnis des Lebens. Es kann nur ein Schöpfen aus dem Stillen, dem Jenseitigen und dem Roten, dem Irdischen geben, welches verwundbares Leben hervorbringt, wenn die Spaltung der Sehnsucht verhindert werden kann. Aber wo ist die Sehnsucht? Wo?“ Und Lütjetodt muss gestehen, dass er ein anderes Bild, als das was er erblickte, erwartet hatte, als er wieder einmal auf die Erde geschickt wurde, um als universelle Notfallhilfe einzuspringen. Seinem Freund erzählt er von den Unstimmigkeiten auf der Erde: „Als ich an den inneren Konferenztisch des Menschen trat, war ich von dem Bild, das sich mir bot, erschüttert. Das Sehnen stand für sich und wirkte so einsam, weil die Sucht sich gelöst hatte, um eigene Wege zu gehen. Auf Nachfrage erzählte mir das Sehnen von seinen Sorgen: „Die Sucht ist mein Motor, der mich antreibt. Aber, ohne mich als Lenker, wird sie den Kontakt zum Ganzsein verlieren und maßlos werden. Die Phantomschmerzen werden sie antreiben. Mein Fuß ohne Zehen spürt noch sein ganzes Heilsein, doch die Seele der Sucht wird verkümmern und den Menschen spalten.“ „Ach, liebes Jenseits! Eigentlich müssen wir Schweigen, wenn uns das Herz ausgeschüttet wird. Aber ich konnte nicht anders. Als ich das Sehnen hörte, wollte ich Kontakt zur Sucht aufnehmen und ihr erzählen, was mir von Sehnen berichtet wurde. Doch die Sucht hörte mich nicht. Zu ihr hatten sich schon die Gier und ihr Dreigestirn an den Konferenztisch gesetzt. Dafür wurde das Vertrauen gar nicht erst zugelassen.“ „Was muss ich mir darunter vorstellen, Lütjetodt?“ „Das Dreigestirn setzt sich aus Geld, Hab, Macht zusammen und kann mit dem Vertrauen nichts anfangen!“ „Das klingt nicht gut! Was geschah weiter?“ „Na, gegenüber vom Dreigestirn saß die genervte Neugier und verhandelte mit dem Sprücheklopfer und der Kontrolle über Abspaltung oder Zusammenbleiben von Sehnsucht. Beide konnten nun ihre Stimme erheben, ohne dass der Kritiker und das schlechte Gewissen ihre Meinung äußern durften. Das kam dem Ehrgeiz gerade recht, weil er noch mehr anschwellen konnte als sonst. „Das klingt gar nicht gut, Lütjetodt. Saß die Vernunft nicht mit am Konferenztisch? Ich wüsste nicht, welcher Teilnehmer außer der Vernunft den Ehrgeiz bremsen könnte.“ „Doch, schon. Aber die Vernunft setzte sich mit der Angst auseinander, die wiederum den Zeitfresser im Blick hatte und ganz aufgeregt argumentierte: ‚Wenn die Sucht den Vorsitz übernimmt, werden wir alle aufs Abstellgleis geschoben. Das können wir nicht zulassen. Die beiden müssen zusammenbleiben.‘ ‚Recht hast du Angst! Wir dürfen nicht zum Müllverwerter werden, wenn das Dreigestirn der Gier die Welt erobert. Wir müssen der Sucht die Grenzen aufzeigen, alles andere wäre Schein‘, erwidert die Vernunft und spricht weiter: ‚Wir müssen die Verantwortung wieder an den Konferenztisch lassen, sonst sind die Verhandlungen nutzlos.‘“ „Und, haben die Verhandlungen etwas gebracht, Lütjetodt?“ „Ja, mein Freund! Nach langem Hin und Her konnten Verantwortung und die Liebe das Dreigestirn vom Konferenztisch verbannen und damit das Unheil abwenden. Die Liebe, als das Geheimnis des Lebens, konnte das Sehnen und die Sucht neu formen, damit wieder die Sehnsucht, als Spiegel von Himmel und Erde, den Menschen begleiten kann. Seitdem ist der Konferenztisch abgespeckt. Diese Debatte hatte gezeigt: Je weniger Teilnehmer am Tisch sitzen, umso schneller und effizienter wird ein Ergebnis erzielt, welches das ganze Sein und Werden einbezieht.“ „Hast du eingegriffen und die Liebe ins Spiel gebracht?“ „Was heißt eingegriffen, Jenseits? Ich habe mich öfter mal mit meinem Licht durchwirkten Gürtel am Tisch bemerkbar gemacht, und das Wort „Liebe“ im gleichmäßigen Takt aufleuchten lassen. Sie sollten sehen, dass der Tod zu jeder Zeit an ihrem Tisch sitzen kann. Aber ob sie mich erkannt haben, bezweifele ich.“ „Ja, ja! So ist das mit uns Jenseitigen. Wir werden nicht von allen bemerkt und trotzdem konnte mit einem Mal die Liebe agieren. Ich hoffe für den Menschen, dass er sich seiner Doppeldeutigkeit bewusst bleibt und verantwortlich damit umgeht.“ „Ich hoffe es auch!“, sagt Lütjetod und streckt seine Füße zufrieden von sich. Er spürt sich ein in das ganze Sein und Werden *** Um sein Ziel zu erreichen … Lütjetodt sitzt mit seinem Freund Jenseits auf der Wolke und schaut nachdenklich in die Unendlichkeit. Wieder ist es sein Freund, der ihm die Augen öffnet, indem er fragt: „Wo ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, die vom Licht des Südens gebracht wird? Vom Norden her wurde die Gefangenschaft, das Exil angekündigt. Also kommt das Unheil aus dem Norden, welches Hunger und Leid mit sich bringt.“ Ja, ja! Lütjetodt muss gestehen, sein Freund hat Recht. Als universelle Nothilfe hat er auf der Erde in diesem Fall nichts ausrichten können. Seine Erzählung gibt das Erlebte wieder: „Mein Propeller muckte an einem älteren Haus in der Innenstadt. Ich wusste gleich, dass hier ein Mensch Zuwendung benötigt, weil er Sehnsucht nach Gerechtigkeit verspürt. Und es war auch so! Ich erblickte eine ältere Frau, die zusammengesunken in ihrem abgewetzten Sessel saß und sich mit einem Bild unterhielt. Auf dem Foto war ein junger Mann abgebildet. Leise nahm ich ihr gegenüber meinen Platz ein. Und nun schauten wir beide auf das Bild! Ihre Worte drangen zu mir, die sie ihrem verstorbenen Sohn widmete: ‚Bestimmt hast du das bessere Los gezogen. Denn du hast vor mir die Erde verlassen können, und musst nun nicht miterleben, wie ungerecht es auf der Welt zugeht. Du weißt, dass ich lange Jahre in der Industrie als Ganztagskraft tätig war. Hast auch mitbekommen, dass die Firma Konkurs anmelden musste, ich meinen Arbeitsplatz verlor. Dass ich einige Jahre arbeitslos war und mich mit geringfügiger Beschäftigung über Wasser gehalten hatte, hast du auch noch miterlebt. Wie gern hätte ich dir manches Mal einen Schein zugesteckt, doch es war mir nicht möglich. Du bist einfach gegangen! Innerhalb von vier Monaten nach deiner Krebserkrankung bist du gegangen und hast nicht mehr erlebt, dass ich eine Dreiviertelstelle in der Altenpflege annehmen musste, weil das Arbeitsamt mich in der Pflege fortgebildet hatte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fühlte ich mich recht wohl und war glücklich mit dem, was mir als Nettogehalt blieb, nicht mehr vom Staat abhängig sein zu müssen, tat gut. Ich konnte zwar keine großen Sprünge machen, nicht in Urlaub fahren oder mir einfach mal so ein Kleidungsstück extra leisten. Aber ich hatte es akzeptiert. Meinen Kolleginnen erging es ja nicht anders. Schwere Arbeit, wenig Geld ist das Los des „kleinen Mannes“ Wie gerne hätte ich ganze Tage gearbeitet, damit ich ein wenig Geld hätte an die Seite legen können. Aber mein kirchlicher Arbeitgeber war auf Sparen aus. Viele Überstunden, die ich leisten musste, sollten statt der Bezahlung abgefeiert werden. Aber es war kaum möglich, da ich doch immer für die kranken Kolleginnen einspringen musste. Ja, und dann konnte ich körperlich nicht mehr die bettlägerigen, schweren alten Menschen versorgen. Musste selber auch immer öfter krankfeiern und verlor sogar nach und nach meine Lebensfreude. Doch im letzten Jahr, am 8. Oktober 2015 wurde ich fünfundsechzig. Und, was glaubst du mein Sohn, was mir Freude bereitete: mein Rentenbescheid. Mir wurde im November mitgeteilt, dass ich Anspruch auf meine Regelaltersrente habe. Im Brief stand: Die Anspruchsvoraussetzungen sind ab dem 7. Februar 2016 erfüllt. Wir leisten die Rente ab dem Kalendermonat, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Ich war so glücklich, dass ein Ende meiner schweren Arbeit in Sicht war, denn ab 8. Februar 2016 wurde ich offiziell eine Rentnerin. Wenn ich sparsam lebe, komme ich mit meiner Altersrente aus. Ja, mein Sohn! Nun könnte ich noch schöne, ruhige Jahre verleben, wenn … Ja, wenn nicht meinerseits ein Denkfehler gemacht wurde. Oder, ein Denkfehler bei dem Gesetzgeber vorliegt. Leider blieb der Sachverhalt ungeklärt, da mein Schreiben laut Aussage des entsprechenden Amtes nicht aussagekräftig sei. Du fragst, was ich gemacht habe? Ja, was wohl! Ich bin zu meinem Arbeitgeber gegangen und habe ihm Mitteilung von meinem offiziellen Rentenbeginn gemacht. Habe meine Anstellung zum 07. Februar 2016 gekündigt. Meine geleisteten Überstunden und zwei Urlaubstage wurden mitberücksichtigt, sodass der 31. Januar 2016 als letzter Arbeitstag galt. Ich wurde ja ab 8. Februar offiziell Rentnerin. Doch der Schock kam schneller, als ich gedacht hatte! Den Februar konnte ich mit meinem letzten Gehalt absichern. Im März stand ich ohne Geld da, weil die Auszahlung erst Ende des Monats erfolgte; erst Ende März. Nicht für die Zeit von 8. bis 28. Februar. Anstatt Anhebung der Altersgrenze auf das Alter von 65 Jahren und vier Monaten wurden nach meinem Dafürhalten fünf Monate zugrunde gelegt. Und da steckt der Denkfehler, den ich begehe oder der Gesetzgeber. Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, dass ich im März meine Miete und die anderen laufenden Kosten nicht bezahlen konnte. Durch diesen Denkfehler bin ich in die Schuldenfalle getappt. Immer bemüht, keinem auf der Tasche zu liegen, bin ich von Heute auf Morgen verschuldet. Bei einer Rente von 832,00 € wird es mir nicht möglich sein, die ausstehenden 600,00 € für Miete und sonstige Kosten in den Folgemonaten ratenweise abzutragen. Dafür bleibt zu wenig übrig. Und wie gesagt, ich konnte durch den geringen Verdienst keine Rücklagen bilden. Ach mein, Sohn! Hätte ich doch vor dir das Zeitliche segnen dürfen.‘“ Die Frau weinte bitterlich und Lütjetodt strich ihr zärtlich über den Kopf. Ob sie es gemerkt hatte? Ihr Blick ging verwundert zu dem Bild ihres Sohnes, der ihr aus dem Rahmen zulächelte „Ganz tief in ihrem Inneren spürte sie die Liebe ihres Sohnes, der nicht mehr da war“, sagt Lütjetodt zu seinem Freund Jenseits, der neben ihm auf der Wolke sitzt. „Na, mein kleiner Notfallhelfer! Was ist nun mit der Gerechtigkeit auf Erden? Hast du ein Patentrezept entwickeln können?“ „Nein! Ich war einfach nur traurig, dass so viele Menschen auf der Erde für wenig Geld schwer arbeiten müssen. Und das wenig Menschen leichte Arbeit erledigen für viel Geld. Oder ist es schwer, neue Ideen zu entwickeln, die trotzdem kein gerechtes Miteinander gewährleisten?“ „Warum sagst du kein gerechtes Miteinander? Wünscht du dir nicht ein gerechtes Miteinander?“ „Doch schon! Ich wünsche es mir für die alte Dame, aber auch für so viel Ältere, die in der gleichen Situation sind. Wenn aber viel Geld bei einem Prozent der Bevölkerung lagert und neunundneunzig Prozent der Bevölkerung kein Erspartes oder nur wenig Erspartes vorweisen können, dann ist von Gerechtigkeit keine Spur. Also schlussfolgere ich, dass deren Ideen, die sie ausarbeiten, gegen ein gerechtes Miteinander ausgelegt sind.“ „Ach, Lütjetodt! Manchmal mag es schwer sein, gerecht zu handeln. Aber in diesem Fall wird es vielleicht eine einfache Lösung geben, in dem auf Erden schwelenden Rentenstreit des Gesetzgebers.“ „Wieso einfach?“ „Na, wenn die Rente direkt ab dem Tag des offiziellen Rentenbeginns gezahlt würde, käme die alte Frau mit dem, was sie sich mit ihrer Hände Arbeit verdient hat, zu Recht. Wenn nicht das Rentenniveau in der Zwischenzeit weiter heruntergefahren wird. Seit 2012 wird die Regelaltersrente, beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1947, stufenweise auf das 67. Lebensjahr angehoben. Im Gespräch ist, dass zukünftig bis zum 70. Lebensjahr gearbeitet werden soll. Somit ist wieder eine indirekte Kürzung der Regelaltersrente vorprogrammiert.“ „Wieso sagst du, wieder eine Kürzung?“ „Na, Lütjetodt! Weil es lange Zeit die Rente direkt ab dem 65. Lebensjahr gab.“ „Das heißt ja, dass der Gesetzgeber ungerecht handelt!“ „Ja, das ist anzunehmen! Der Gesetzgeber hat nicht den Einzelnen im Auge, so wie wir. Er weiß nicht, dass diese alte Frau sich nach dem Tod ihres Sohnes ehrenamtlich eingesetzt hat.“ „Wieso hat sie das im Zwiegespräch mit ihrem Sohn nicht erwähnt?“ „Weil für diese alte Frau Nächstenliebe so selbstverständlich ist, dass der ehrenamtliche Einsatz für sie gar nicht erwähnenswert scheint.“ „Dann ist die Situation ja noch trauriger!“ „Warum?“ „Na, weil du sagtest: Der Gesetzgeber hat die Macht. Die Gerichte sprechen Recht. Vielleicht bringt ein Richterspruch Gerechtigkeit: eine gerechte Rentenberechnung ab dem ersten offiziellen Tag des Rentnerdaseins. Nur, in dem „Vielleicht“ steckt wenig Trost, weil sie gar nicht vor Gericht gehen kann. Das weiß sie. Deshalb bedauert die alte Frau, dass sie nicht bei ihrem Sohn sein kann.“ „Wieso das?“ „Na, weil sie dich, lieber Freund, als letzten Ausweg ansieht, um dem Elend auf der Erde zu entkommen.“ „Meinst du, sie begeht Suizid?“ „Ja!“ „Lütjetodt, wir müssen sie im Auge behalten und schauen, wie wir dieser alten Frau zu neuer Lebensfreude verhelfen können.“ „O ja, das wäre gerecht, mein lieber Freund!“ Nicht Philosophen stellen die radikalsten Fragen … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Doros Modell ist fertig. Nun muss sie zusehen, wie sie die riesige Platte nach Berlin schaffen kann. Ich sitze auf ihrem Bürostuhl, bewundere den als Bienenstock bezeichneten Bau einer Ansiedlung. Es steckt viel Zeit und Ausdauer in diesem Projekt. Doro klebt noch verschiedene Kleinteile auf und betrachtet skeptisch ihre Arbeit „Ich bin gespannt, wie ich damit ankomme. Vielleicht können die Prüfer mit dieser Idee des Wohnens nicht viel anfangen. Es ist wohl auch paradox, von einem Bienenstock zu sprechen“, höre ich Doros zweifelnde Worte. „Nun warte doch mal ab. Du hast doch eine gute Beschreibung dazu ausgearbeitet. Warum sollte diese kleine Ansiedlung, die Platz für mindestens 400 Personen bietet, nicht zukunftsweisend sein? Versuche zum Bau von Mehr-Generationenhäusern gab es schon vor deiner Geburt. Sie hatten sich nicht durchgesetzt. Dafür entstanden immer mehr Seniorenresidenzen, welche die Abspaltung von Alt zu Jung forcierten. Ich finde deine Idee des Miteinanderlebens richtig gut.“ „Meinst Du wirklich?“ „Ja, und ob ich das meine. Wie bist du denn auf die Bezeichnung „Bienenstock“ gekommen, Doro?“ „Die Bienen sind ein kleines Vorbild für die große Welt. Da hab ich mir gedacht, dieses Sinnbild des Fleißes, aber auch ihr Leben in der Gemeinschaft, ihre Zusammenarbeit mit den anderen, ihre Aufopferung könnte den Menschen der heutigen Zeit ein Vorbild sein. Sieh mal! Ich habe sechs viergeschossige Wohnhäuser in den runden Außenbereich gelegt. Die gesamte Fläche von 600 qm je Etage bietet vier verschiedene Wohnungstypen und Wohnungsgrößen an, die den Behinderten, Singles, Ehepaaren ohne Kinder, Familien mit ein bis vier und mehr Kindern individuelles Wohnen ermöglicht. Von jedem Haus führt ein gläserner Gang, wie bei einem Rad die Speiche, zur Mitte der Anlage. Diese Mitte wird ausgefüllt von einem riesigen runden Bau, in dem das soziale Leben stattfinden wird. Im unteren Bereich münden die Gänge in einen großen Aufenthaltsbereich. Dieser wird verschönert durch einen Gartenteich mit Springbrunnen, vielen Grünpflanzen und Bäumen, zwischen denen unterschiedlich angeordnete Sitzgelegenheiten zum regelmäßigen Austausch einladen. Vom Erdgeschoß aus besteht die Möglichkeit, in das Untergeschoß zu gelangen. In diesem Teil befindet sich eine römische Bade- und Saunalandschaft, ein Fitness-Bereich für Freizeitaktivitäten und die Betriebsräume. Diese beinhalten die technischen Anlagen für Klima, Strom, Wasser und Müllentsorgung, sowie einen handwerklich nutzbaren Bereich. Außerdem entstehen hier der Küchenbereich und eine Backstube mit Lieferantenzufahrt. Des Weiteren ist ein Waschcenter mit zwanzig Waschmaschinen und Wäschetrocknern integriert. Über an den Gängen platzierte Aufzüge sowie über eine weitläufig angelegte Treppenanlage sind die oberen Etagen erreichbar. In der ersten sind untergebracht: ein großer Speiseraum, der Bereich für die medizinische Versorgung mit OP-Trakt und Büros für das ambulante Pflegeteam sowie ein Verwaltungsbereich. Auf der zweiten Etage befinden sich die Klassenräume, eine Bibliothek mit Leseraum sowie die Kleinkinderbetreuung Unter dem kuppelförmigen Dach befinden sich Räumlichkeiten, die zu regelmäßigen Andachten und Meditationen einladen, darüber hinaus als musikalischer Bereich genutzt werden könnte. Das Zusammenleben geschieht auf Basis einer Vollzeitversorgung. Jeder Bewohner führt von jeweils zehn Punkten pro Tag, die ihm von staatlicher Seite zugestanden werden, acht Punkte an die Verwaltung dieser Anlage ab. Dafür wird ein reibungsloser Ablauf der rund um die Uhr Betreuung gewährt. Anhand eines Wochenarbeitsplanes trägt sich jeder nicht erwerbstätige Erwachsene für eine bestimmte Arbeit innerhalb der Anlage ein. Er kann seinen Fähigkeiten entsprechend, zyklisch wechselnde Tätigkeiten ausführen oder sich für einen bestimmten Bereich entscheiden. Die Personen, die einer Tätigkeit außerhalb der Anlage nachgehen, zahlen in einen Fond anteilmäßig Punkte ein, entsprechend ihres Verdienstes. Diese Punkte würden als Gratifikation an die Bewohner ausgezahlt. Das Punktesystem ersetzt das Geld sowie die Kranken- und Altersvorsorge. Dieses System würde dazu beitragen, dass es keine obdachlosen und hungernden Menschen mehr gebe. In den Häusern befinden sich auf jeder Wohnetage vier Singlewohnungen mit je 45 qm, zwei Wohnungen mit je 60 qm für zwei Erwachsene ohne Kind, zwei Wohnungen je 80 qm für eine Familie mit ein bis zwei Kindern und eine Wohnung mit 120 qm für eine Familie mit drei und mehr Kindern. Alle Wohnungen sind barrierefrei, ausgestattet mit einer Küchenzeile mit integriertem Kühlschrank und Wasserkocher, ansonsten ohne Kochgelegenheit. Außerdem gibt es ein Badezimmer und ein bis fünf Schlafräume. Ein kleiner Wohnbereich wird generell mit Telefonanlage inkl. Videoclip ausgestattet. Hab ich noch etwas vergessen?“ „Hattest du nicht davon gesprochen, dass der schon spürbar gewordene Klimawandel bei dieser Bauweise berücksichtigt wurde?“ „Ja, richtig. In dieser Anlage wird moderne Technik eingesetzt, die in den unterschiedlich zu beheizenden Räumlichkeiten die entsprechende Temperatur vorgibt und die mit Sauerstoff angereicherte Luftzirkulation überwacht, ohne dass manuell reguliert werden muss. Der gewonnene Strom über Solarzellen sorgt für Licht, Wärme und eine einwandfrei funktionierende Wasseraufbereitungsanlage.“ Ich höre interessiert zu, freue mich, dass Doro beim Erzählen ganz in dieser Idee aufgeht. Ihre Wangen sind gerötet, die Augen strahlen „Wenn du bei der Prüfung dein Projekt mit dieser Begeisterung vorstellst, kannst du nur positiv bewertet werden“, gebe ich ihr lobend ein Feedback und frage interessiert weiter: „Wie hast du dir den Bildungsbereich in dem Sozialtrakt vorgestellt?“ „Ach, Grandma, da habe ich fantastische Vorstellungen entwickelt. Du glaubst es nicht, aber es soll eine Philosophenschule werden, in der die Kinder schon früh ihre Ideen entwickeln könnten. Die Kinder gestalten doch unsere Zukunft, oder?“ „Ja, das stimmt! Da würden sich Pythagoras, Sokrates, Platon, Descartes, Hume und wie sie noch heißen mögen riesig freuen.“ „Mich würde es auch freuen, wenn in der Schule das Nachdenken und Fantasieren der Kinder über die Geschichten, die du mir als Kind erzählt hattest, gefördert werden. So könnte im Unterricht an philosophischen Erkenntnissen, an Themen, wie Natur- und Klimaschutz sowie an Abrüstungsmöglichkeiten gearbeitet werden und nicht daran, wie viele Blumen wie Zinnsoldaten auf ein Beet zu pflanzen sind. Aber, ich bezweifele, dass die Professoren sich freuen.“ „Vielleicht müsstest du die richtigen Argumente bringen, indem du die alten Philosophen zitierst. Wie wäre es mit: Ich sage, dass in allem, was wir sehen, etwas von dem göttlichen Mysterium liegt. Wir sehen, dass es in einer Sonnenblume oder im Klatschmohn funkelt. Mehr von diesem unergründlichen Mysterium ahnen wir in einem Schmetterling, der von einem Zweig auffliegt – oder in einem Goldfisch, der durch sein Goldfischglas schwimmt – oder in dem als Mehrgenerationenanlage erstellten Bienenstock.“ „Grandma, woher hast du diese Weisheit? Das sind ja die Kindheitsgeschichten vom Schmetterling und Goldfisch..“ „Ja, mein Kleines! Fisch und Schmetterling tauchen oft in Zitaten der alten Denker und Schriftgelehrten auf. Vor allen Dingen in den alten asiatischen Schriften.“ „Überlege mal, Grandma, was passiert, wenn ich den Prüfern mit Bienenstöcken, Schmetterlingen und Goldfischen komme!“ „Hast Recht, Doro! Ich könnte mir vorstellen, dass sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden. Was hältst du davon, wenn du auch noch ein Zitat aus dem lyrischen Meisterwerk „West-östlicher Divan“ von Goethe aus dem Zauberkästchen ziehen würdest?“ „Welches meinst du?“ „Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleibt im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tag leben.“ „Puh, dass wär‘s! Nach diesem Zitat werden sie mir die Blätter meiner Arbeit samt Modell um die Ohren hauen.“ „Warum das denn?“ „Na, weil sie sich angesprochen fühlen würden, Grandma. Da könnte der Dichterphilosoph Novalis mit seinen Erkenntnissen einleuchtender scheinen. Er war zwar der Inbegriff des romantischen Dichters, aber kein weltfremder Träumer. Lass mich schnell im Lexikon nachschauen, da steht: Novalis entwarf in seinen Fragmenten auf romantisch-christlicher Grundlage eine Philosophie des „magischen Idealismus“, d.h. der Polarität, des dynamischen Gleichgewichts zwischen Realität, Idee und Fantasie im Menschen sowie zwischen Mensch und Welt. In seinem Fragment „Heinrich von Ofterdingen“ erzählt Novalis die Geschichte des sagenhaften Minnesängers und seiner Suche nach der „blauen Blume“, die das Wesen der Poesie, der poetischen Auffassung von Natur und Leben symbolisiert. In dem Märchen, das der Dichter Klingsor erzählt, ist der Sinn des Romans verschlüsselt: Allein die Poesie vermag die Welt und damit die Menschen zu erlösen. Kennst du ihn, Grandma?“ „Nein, Doro! Aber ich glaube, dass es sich bestimmt lohnt, diesen Philosophen näher kennenzulernen.“ „Bestimmt! Ich liebe seine Vita, Grandma. Novalis kam als Friedrich von Hardenberg in einem streng pietistischen Elternhaus zur Welt.“ *** Wenn die Gegenwart nicht existierte … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Schweigen breitet sich aus. Ich schaue von einem zum anderen, spüre eine Anspannung bei beiden, die ich nicht einordnen kann. Kurz lasse ich die Stille auf mich wirken, dann wende ich mich Doro zu. „Meine Kleine! Woher hast du gewusst, dass Wasser in dem sandigen Boden zu finden ist?“ „Grandma, ich habe an die Brunnengeschichte gedacht, die du mir als Kind erzählt hattest. Ich war fest davon überzeugt, dass es wirklich in der Tiefe Wasser gibt. Ich glaubte sogar ganz fest daran, eine Verbindung zu einem anderen Brunnen schaffen zu können.“ „Was du nicht sagst, Doro! Ich kann es gar nicht glauben.“ „Grandma, das stimmt. Fast wäre der Bau des Bienenstocks in der Gegend nicht zustande gekommen, weil Rebellen ihren Anspruch geltend machen wollten. Wir mussten die Baustelle Tag und Nacht unter Bewachung stellen, sonst wäre uns passiert, dass wir die eigene Baustelle nicht mehr hätten betreten können. Im Sommer wird der Bau bezugsfertig sein, wenn nichts mehr dazwischenkommt. Wir haben sogar schon einen neuen Auftrag, nicht weit von dem jetzigen Standort. Da könnte ich weiter bei Reem wohnen.“ „Hast du vor, wieder ins Ausland zu gehen?“ „Doch, Grandma. Solange unser Büro an den Aufträgen beteiligt ist, möchte ich dabei sein.“ „Hannes, was sagst du dazu?“ „Maria, was soll ich sagen. Ich kann Doro nicht daran hindern, weiter mit mir eine Fernbeziehung zu führen. Du hörst ja, dass sie gar nicht in Betracht zieht auszusteigen, wenn das Büro Aufträge hat. Da kommen meine Argumente bestimmt nicht an.“ „Welche Argumente hättest du denn vorzubringen?“ „Ach, lass mal, Maria. Wir wollen doch deinen Geburtstag feiern.“ „Hannes, ich dachte du kannst damit leben. Ein halbes Jahr Auszeit von mir, tut doch bestimmt auch gut. Oder?“ „Liebling, lass gut sein! Erzähle bitte weiter.“ Ich sehe, dass Doro niedergeschlagen ist. Ihre Nasenflügel haben sich gekräuselt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie mit dem Thema noch nicht durch ist. Um sie auf andere Gedanken zu bringen, bitte ich sie, weiter zu erzählen. Sie lässt sich zu gerne von den traurigen Gedanken ablenken, obwohl das, was sie nun erzählt, nicht fröhlicher klingt: „Was mich am meisten bedrückt, sind die vielen Kinder, die vielleicht nie eine friedliche Zeit erleben werden. Ich fülle Reems Schreibtischschublade mit kleinen Täfelchen Schokolade auf, die mir auf Wunsch bei unseren Lebensmittellieferungen mitgeschickt werden. Du solltest mal die strahlenden Augen sehen, wenn Reem die Schublade aufzieht und daraus die Schokolade zaubert. Wenn ich diese Augenblicke erlebe, bin ich glücklich, Grandma! Wir könnten doch mit so einfachen Dingen glücklich gemacht werden. Warum müssen die Menschen sich bekriegen?“ „Ob wir überhaupt einmal Frieden auf der Welt erleben werden?“, frage ich „Vielleicht müsste die Erde entvölkert werden, damit sie sich regenerieren könnte“, lässt sich Hannes vernehmen „Oder es müsste auf ein zeitloses Dokument verwiesen werden, auf die Bibel. Unter Lukas 12, 51–53 gibt es eine schwierige Bibelstelle, in der es heißt: Nicht Frieden, sondern Spaltung bringe ich euch!“, gebe ich zu bedenken und erzähle weiter: „Während meiner Ausbildungszeit nahm ich an einer Kurseinheit in Niederaltaich teil, die unter dem Thema „Der mantrische Klang des Herzensgebetes“ angeboten wurde. Einer aus unserer Gruppe fragte damals den Altvater Archimandrit Irenäus Totzke, ob er ihm sagen könne, wann statt Spaltung der Frieden in unsere Herzen einzieht. Als Erklärung brachte dieser weise Abt folgende Aussage in die Gesprächsrunde: Wenn Menschen zusammenhängen, dann gibt es keinen wirklichen Frieden. Dann gibt es eine Symbiose, die den einzelnen vergiften kann, da er keinen Raum zum Atmen hat. Er kann nicht frei denken und fühlen, denn alles, was er denkt und fühlt, ist von den anderen beeinflusst. Diese Menschen haben keine klaren Grenzen zum anderen, haben keinen eigenen Stand (Punkt), sondern gehen in den anderen auf. Um selbstständig und frei sein zu können, muss zunächst Spaltung gebracht werden. Sie ist notwendig, damit Menschen miteinander wirklich im Frieden leben können. Alles andere ist nur ein scheinbarer Frieden. Da werden Dinge unter den Teppich gekehrt, die eigentlich ans Licht kommen und geklärt werden müssen.“ „Ach, Grandma! Theoretisch klingt es ganz einfach. Aber in der Praxis sieht es doch so aus, dass die Unsicherheit in der Bevölkerung immer mehr wächst. Was machen die Regierenden? Anstatt Dinge ans Licht zu holen, werden diese unter den Teppich gekehrt. Dafür werden immer mehr scharfe Waffen in Umlauf gebracht, von deren Verkauf die Rüstungskonzerne profitieren. Gott sei Dank, benötigt man für scharfe Waffen einen gültigen Waffenschein. Doch mittlerweile ist in der Bevölkerung der Wunsch groß, sich mit einer Schreckschusswaffe, Pfefferspray, Elektroschocker oder Schlagstock zu schützen, dass die Waffenhändler kaum noch Nachschub bekommen. Bürger aus Nichtkriegsgebieten decken sich damit ein. Wohin soll dieses Verhalten führen?“ „Doro, ich weiß es nicht! Letztens stand noch in der Zeitung, dass von den globalen Spannungen und den Konflikten in der Welt ein deutscher Rüstungskonzern profitiert. Sein Umsatz sei auf Rekord-Hoch, die Dividende steigt an. Besonders groß sei das Plus in der Verteidigungssparte. Das Paradoxe daran ist, dass in dem Unternehmen Arbeitsplätze im fünfstelligen Bereich zur Verfügung gestellt werden können, da sie für die kommenden Jahre eine gute Perspektive ihres Wachstums sehen. Vor allen Dingen in die Modernisierung der Landstreitkräfte wollen sie investieren. Als ich diesen Artikel gelesen hatte, krampfte sich mein Magen zusammen.“ „Du sagst es, Grandma! Da kann einem nur noch schlecht werden. Welche Perspektive gibt es für den Frieden?“ „Ach, Kleines! Lass uns an etwas Erfreulicheres denken, damit wir nicht in Depressionen verfallen“, äußere ich mich mit einem gezwungenen Lächeln, schaue Hannes dabei an „Vielleicht Spaltung?“, kommentiert Hannes das Gehörte, schaut mich dabei an. Beide schauen wir zu Doro, die mit gesenktem Kopf auf dem Sofa sitzt, gedanklich das Rotweinglas in ihren Händen drehend. Hannes legt behutsam seinen Arm um ihre Schultern, zieht sie an sein Herz. „Gute Nacht, ihr Beiden! Schlaft gut!“ *** … hätte der Mensch nichts mehr, woran er sich später erinnern könnte (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Am Wochenende nach Grandmas Geburtstag kommen Hannes und ich wieder in Friedrichshain an. Nur kurz halten wir inne, da auch im Vorfeld eine Auszeit an der See mit eingeplant war. Uns stehen noch vierzehn Tage zur Verfügung. Ich schleppe seit dem Geburtstag von Grandma eine Ungewissheit mit mir herum. Als Hannes das Wort Spaltung ausgesprochen hatte, schmerzte mein Herz, ohne dass ich mir der Ursache bewusst wurde. Doch hier in dem rauen Klima der Nordsee finden meine Gedanken wieder zu dem Punkt, der meine Schmerzen verursacht hatte: „Wenn Menschen zusammenhängen, dann gibt es keinen wirklichen Frieden. Dann gibt es eine Symbiose, die den einzelnen vergiften kann, da er keinen Raum zum Atmen hat. Er kann nicht frei denken und fühlen, denn alles was er denkt und fühlt, ist von den anderen beeinflusst. Diese Menschen haben keine klaren Grenzen zum anderen, haben keinen eigenen Stand (Punkt), sondern gehen in den anderen auf. Um selbstständig und frei sein zu können, muss zunächst Spaltung gebracht werden. Sie ist notwendig, damit Menschen miteinander wirklich im Frieden leben können. Alles andere ist nur ein scheinbarer Frieden. Da werden Dinge unter den Teppich gekehrt, die eigentlich ans Licht kommen und geklärt werden müssen.“ Nun, da ich den Anlass gefunden habe, spreche ich auf einem Strandspaziergang Hannes darauf an, was er mit seiner Aussage „Vielleicht Spaltung“ gemeint hat. „Ach, Doro! Das hast du noch behalten?“ „Ich habe diese Aussage wie einen Splitter im Herzen gespürt, Hannes.“ „Doro, mein Liebes! Deine Grandma hatte allgemein von Spaltung gesprochen. Mir ist dieses Wort unbewusst über die Lippen geflutscht, weil ich gedanklich bei deiner Begeisterung für die Arbeit im Ausland war. Ich möchte sie teilen, aber mir fällt es schwer. Die Zeit ist zu lang, die Angst, dass etwas passieren könnte, kann ich nicht einfach an die Seite stellen. Ob ich will oder nicht.“ „Hannes, verstehe ich dich richtig? Du möchtest, dass ich nicht mehr ins Ausland gehe?“ „Ja, Doro! Das wünsche ich mir. Und trotzdem möchte ich dir bei deiner Realisierung des Projektes nicht im Wege sein. Du bringst gute Voraussetzungen mit, dass der Wiederaufbau gelingt. Das wurde im Ministerium schon lobend erwähnt. Und… ich glaube nicht, dass ich eifersüchtig auf deine Arbeit bin. Ich denke, ich bin sogar stolz auf dich. Aber ist es so abwegig, dass ich im Hier und Jetzt einfach mehr Zeit mit dir verbringen möchte, so wie hier an der See? Da siehst du doch, dass ich gespalten bin.“ „Hannes, ich möchte doch auch mit dir viel Zeit verbringen. Aber ich möchte auch für Reem und die Menschen eine Perspektive schaffen. Ich habe nun mal die Möglichkeit dazu, das sagst du selber. Ich bin genauso gespalten wie du. Was müsste passieren, damit wir heil werden können?“ „Liebes, ich weiß es nicht!“ Hannes nimmt meine Hand, zieht mich näher zu den Wellen, denen das menschliche Leid gleichgültig ist. Welle um Welle flutet heran, bringt Totes aus dem Meer, zieht Lebendiges in sich hinein. Und ich stehe neben ihm, schaue auf den Schaum, der am Strand festgehalten wird. Mir ist, als wollen sich Worte bilden, deren Klang in jedem Menschen die ureigenste Lebensmelodie erzeugt. Ich mache Hannes darauf aufmerksam, sehe das Lächeln in seinen Augen, spüre die Hände, die mich umfangen. In diesem Moment bin ich glücklich! Am Abend vor unserer Heimreise lassen wir uns zum letzten Mal den heimischen Fisch schmecken. Gemütlich sitzen wir im Restaurant „Heimliche Liebe“ mit direktem Blick auf das Meer. Die langen Wanderungen am Strand und durch die Dünen machen hungrig und durstig. Ich fühle mich wohl in dieser urigen Atmosphäre des Lokals, sehe es auch Hannes an, dass es ihm gut geht. Beim Essen bringe ich das Gespräch wieder auf den Punkt, indem ich frage: „Hannes! Ob Geld und Macht automatisch ins Visier genommen werden, obwohl der Ruf des Herzens als Indikator einem den Weg vorgibt?“ „Doro, Liebes! Was meinst du damit? Lass uns in Ruhe zu Ende essen. Auf dem Rückweg haben wir noch Zeit genug, dass Thema näher zu beleuchten. Bitte nicht jetzt!“ „OK, ist schon gut!“ Schweigend verzehren wir die Reste des Fisches und lassen uns einen Aquavit bringen. Hannes schaut mich mit einem undefinierbaren Blick an, hält mir sein Glas entgegen: „Prost, Doro“. Ich halte ihm mein Glas hin, sodass sie leise klingen. Meine Antwort ist ein zaghaftes Lächeln. Auf dem Nachhauseweg bin wieder ich diejenige, die da weitermachen will, wo wir aufgehört hatten: „Ich habe nie mit den Gedanken „Macht und Geld“ gespielt, weil ich meine Arbeit liebe, sogar kostenlos würde ich sie machen. Einfach, weil ich für meinen Nächsten da sein will.“ „Bin ich so weit weg?“ „Wieso?“ „Weil du vom Nächsten sprichst. Ich habe bisher immer gedacht, wir sind uns näher, als alle anderen Menschen. Bestimmt ist dir deine Grandma näher, als ich. Das ist auch OK. Aber die vielen anderen Menschen?“ „Hannes, sag nicht so was. Du bist mir doch am nächsten, vor allen Dingen am wichtigsten, weil ich nur dich von ganzem Herzen liebe!“ „Ach, und deshalb übersiehst du mich. Vielleicht solltest du deine rosarote Brille einmal absetzen, damit du mich wirklich siehst. Oder… soll ich dich mit der Welle vergleichen, der menschliches Leid auch gleichgültig ist?“ „Mein Gott, Hannes! Dramatisiere die Situation doch nicht. Du bist doch sonst so vernünftig.“ „Kleines, komm“, sagt Hannes, indem er mich an sein klopfendes Herz zieht. Mir wird zum ersten Mal richtig bewusst, dass er den unteren Weg geht, um Frieden zu halten. Wie lange noch? *** Es liegt nun an uns, das Jetzt so zu gestalten … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Weihnachten sind wir wieder mit Grandma verabredet. Karl-Heinz und Gerda wollen auch nach Brokenfeld kommen. Wir hatten noch zwei Arbeitstage, aber pünktlich mit Ferienbeginn erscheinen wir bei Grandma. Die Landschaft liegt unter einer Schneedecke verborgen. Sie begrüßt uns so herzlich, als ob wir uns ewig nicht gesehen hätten. Dabei war es doch erst im Oktober. Den Weihnachtsbaum dürfen Hannes und ich in der Tannenschonung eines befreundeten Bauern selber aussuchen und absägen. Wir verhalten uns wie Kinder bei dieser Aktion. Auf meinem alten Schlitten wird der Baum festgebunden und nach Hause gezogen. Er muss abtrocknen, bevor er in der Stube aufgebaut und geschmückt werden kann. Nach dem Essen ziehen Hannes und ich mit dem Schlitten los, rodeln ausgelassen im Wechsel den Hang hinter unserer Weidefläche hinunter. So übermütig habe ich Hannes noch nie erlebt. Seine langen Beine sind ihm im Weg, wenn er auf dem kleinen Holzschlitten sitzt und rodelt. Mühsam kann er sie wegstrecken, damit nicht voreilig abgebremst wird. Ich bin nicht so groß, bekomme mehr Schwung. Hannes hat vor sich einen kleinen Jungen sitzen, der weinend am Abhang stand, weil er von seiner Mutter nicht mitgenommen werden konnte. Sie hat zwei Kinder, aber nur einen Schlitten, deshalb kann sie nur mit einem Kind im Wechsel rodeln. „Hannes hat sich erbarmt“, denke ich zärtlich. Uns tut die Bewegung an der frischen Luft gut. Ausgelassen und fröhlich verbringen wir diesen Nachmittag. Als wir bei Grandma ankommen, werden wir von Karl-Heinz und Gerda begrüßt, die in der Zwischenzeit eingetroffen sind. Nun kann es weihnachten! Da Grandmas Wohnbereich ohne Türen ist, kann der Baum nicht im Verborgenen geschmückt werden. Diesmal wird das Herausputzen zur Gruppenarbeit erklärt. Hannes und sein Vater kämpfen mit dem Baumständer, in den der Stamm der Tanne nicht hinein will. Sie sägen auf der Terrasse an der Tanne herum, dass uns Frauen „Angst und Bange“ beim Beobachten wird. Den Baumschmuck hatte ich bereits herausgestellt. Sollen doch die Männer heuer den Baum schmücken! „Diese Mannsbilder! Hoffentlich bleibt noch ein wenig vom Stamm übrig, damit er eingestielt werden kann“, äußert sich Gerda „Ich gehe davon aus, dass die Vernunft siegen wird“, spricht Grandma aus, was ich im Innersten gedacht hatte. Wir schauen uns an, lächeln verschmitzt. Mit einem Schluck Sekt besiegeln wir unseren Bund, widmen uns lieber der Zubereitung des Weihnachtsbratens nebst Beilagen. Diesmal sollte es Puter, anstatt Gans sein. Na, endlich kommen die Beiden mit dem, was vom ehemals großen Baum übriggeblieben ist. Trotzdem ist er für den Beistelltisch ausreichend, vor allen Dingen, fest eingestielt „Der wird nicht umfallen“, stellt Karl-Heinz mit Genugtuung fest „Lass uns noch Wasser in den Ständer füllen, dann bleibt der Baum länger frisch“, lässt sich Hannes vernehmen, schon parat stehend mit der Gießkanne. „Wer will das Schmücken übernehmen?“ „Macht ihr mal! Bisher hat es ganz gut geklappt, was ihr Zwei angepackt habt.“ „Ihr macht euch doch nicht etwa lustig über uns?“, fragt Karl-Heinz lachend, da er sich des Ergebnisses der Sägearbeit bewusst ist. „Nein! Wie kommst du denn darauf?“ „Papa, komm! Lass die Frauen reden. Wir werden handeln, damit der Baum fertig wird.“ Hannes legt die Christmas Cantatas von Bach in den CD-Player und legt los. Begleitet von den Klängen, nimmt der Weihnachtsbaum Gestalt an, wirkt ganz feierlich mit seinem roten Beiwerk und den Honigkerzen. Dazwischen hat Karl-Heinz eine elektrische Lichterkette gezogen, damit wir den Baum länger brennen lassen können. Doch, wir Frauen müssen lobend eingestehen, dass unter den Händen der Männer ein kleines Kunstwerk entstanden ist. Stolz betrachten sie ihre Arbeit! Nach der gemeinsam besuchten Christvesper kommen wir gutgelaunt in der mollig warmen Wohnung an. Die letzten Handgriffe nehmen Gerda und ich vor. Grandma setzt sich zu den Männern an den Tisch, lässt sich bedienen. Ich bin glücklich, dass ich mit den liebsten Menschen am heutigen Heiligabend beisammen sein darf. Das ist für mich das größte Geschenk! Hannes wird gerufen. Er soll den duftenden Puter zerkleinern. Nach und nach kommen die Schüsseln und der Vogel auf den festlich gedeckten Tisch, damit wir genüsslich zugreifen können. Danach gehen Gerda und Grandma ins Schlafzimmer, sie bringen die Weihnachtsgaben zum Baum. Gerda kann sich nicht verkneifen, mit feierlichem Ernst zu sagen: „Ob ihr es glaubt oder nicht! Ich bin ganz überrascht, dass das Christkind schon bei uns war. Eigentlich müssten doch erst die Kinder beschert werden.“ Sie schaut uns Drei bei dieser Bemerkung mit großen Augen an, hat zum wiederholten Male in den neugierigen Kinderseelen der Wartenden Spannung aufgebaut. Grandma wechselt zum Piano, schlägt die ersten Töne von „Stille Nacht“ an. Jedes Jahr als Wiederholung, doch immer wieder geheimnisvoll, erleben wir gemeinsam Weihnachten. Am zweiten Weihnachtstag sind Irmgard und Hanna eingeladen. Hussein mit Familie gesellt sich dazu. Sie hatten bei seinen Eltern den Heiligen Abend verbracht, da seine Verwandtschaft aus der Heimat zu Besuch ist. Diese berichteten von den Unruhen, den immer noch bestehenden Flüchtlingscamps. Eigentlich gibt es seit Jahren einen Erlass, der besagt, dass die Menschen auf legalem Weg in den Westen kommen dürfen. Es war damals keinem Menschen bewusst, dass sich das Abkommen über diesen langen Zeitraum erstrecken würde. Hussein erzählt mir, dass er im Januar für zwei Wochen zu Reem reisen wird, weil er ein gebrauchtes Ultraschallgerät organisieren konnte, welches für das Medizinzentrum der ersten Anlage bestimmt sei. Sein Dienst im Auftrag der Ärzte ohne Grenzen verschiebt sich in den April, da er vorher keine Vertretung für die Praxis finden konnte. Aber so lange sollte das Gerät nicht unnütz in der hiesigen Lagerhalle stehen. Deshalb der kurze Aufenthalt im Januar „Wenn du im Februar fliegst, kannst du wieder gespendete Medikamente mitnehmen. Ich muss sie leider hier lassen wegen der schweren Fracht“, sagt Hussein zum Schluss. Hannes blickt überrascht auf mich: „Wie, du fliegst schon im Februar?“ „Ja, dass hat sich in den zwei Tagen vor Weihnachten ergeben, da der Auftrag der vierten Anlage nur unter der Voraussetzung vergeben werden kann, wenn Wasser vorhanden ist. Also bin ich beauftragt worden, mir das Umfeld anzuschauen, das in Betracht gezogen wurde.“ „Mensch, Doro! Warum hast du mir nichts gesagt?“ „Hannes, ich wollte dir nicht im Vorfeld die Weihnachtstage vergellen.“ „Sag mal, Doro! Meinst du, nur du bist die einzige Wünschelrute, die Wasser finden kann?“ „Hannes, sei nicht so sarkastisch“, sage ich ärgerlich. „Ich bin nicht sarkastisch. Ich dachte, wir hätten geklärt, dass wir ehrlich und offen miteinander umgehen wollten.“ Ja, haben wir auch!“ „Und? Wo bleibt die Offenheit und Ehrlichkeit? Du müsstest doch ein Gespür für die Untiefen in unserer Beziehung entwickelt haben, wenn du noch an unsere Liebe glauben würdest. Ich sehne mich schon jetzt nach dir, weil ich weiß, dass du in gut einem Monat weg sein wirst. Hattest du noch nie Sehnsucht nach mir, wenn du auf der Arbeit oder im Ausland. warst?“ „Mein Gott, Hannes! Warum drehen wir uns immer um diesen Angelpunkt. Ich hatte große Sehnsucht nach dir, das könnte Reem bezeugen.“ Erwartungsvoll schaue ich in die Runde, ob nicht unter den Anwesenden eine Person ist, die meine Aussage bestätigen könnte. Doch alle schweigen! Wollen sich nicht einmischen, um durch unbedachte Worte die Krise zu verschärfen. Karl-Heinz steht nach einiger Zeit auf und fragt, wer noch Kaffee haben möchte. Damit ist der Bann gebrochen, wir wenden uns wieder Hussein und seiner Verwandtschaft zu. Nach einiger Zeit ist dies Thema erschöpft, weil auch bei ihm in Verbindung mit der weiten Entfernung die Sehnsucht in den Mittelpunkt gerät. „Was ist das überhaupt für ein Wort, zusammengesetzt aus Sehnen und Sucht?“, fragt Hussein. „In der Praxis spreche ich von Sehnen in Verbindung mit Riss, Zerrung oder auch Entzündung.“ „Es gibt aber auch das stille Sehnen nach …wer weiß was!“, sagt seine Frau leise „Sehnen kann man sich nach allen möglichen Dingen oder auch Menschen“, äußert sich Hanna „Ja, das schon! Aber die Sehnsucht hat ja auch mit Sucht zu tun. Da werde ich süchtig auf irgendwelche Dinge; auf Internet, Alkohol oder Drogen etwa“, mischt sich Irmgard ein „Du sagst es, Irmgard! Ich habe vor kurzem eine neue „Lütjetodt-Geschichte“ erfunden, die sich mit dem Begriff Sehnsucht auseinandersetzt“, erwähnt Grandma „Ach, das ist ja interessant, Maria“, meldet sich Hannes, nachdem er schweigsam der Unterhaltung gefolgt war. „Du triffst mit deinen Geschichten immer einen wahren Kern. Was mag es diesmal sein?“ „Wenn ihr wollt, dann erzähle ich von Lütjetodt, von seiner Erfahrung am Konferenztisch, an dem Entscheidungen getroffen werden müssen.“ Ja, alle Anwesenden wollen die Geschichte hören. Sogar Ahmed und Jonas, die auf dem Teppich spielen, heben lauschend ihren Kopf. „Na, dann will ich mal anfangen und die Geschichte „Und die Liebe per Distanz…“ erzählen.“ „Grandma, das ist eine ganz bezaubernde Geschichte“, lasse ich mich vernehmen, noch bevor Grandma sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt hat „Maria, ich staune immer wieder, was dir so alles einfällt“, äußert sich Irmgard. „Deine Fantasie möchte ich haben“, sagt Hanna. „Damit könnte manche Unstimmigkeit ins Lot gerückt werden.“ „Du hast Recht, Hanna! Man muss die Geschichte aber auch verstehen“, spricht Karl-Heinz aus, was auch meine Meinung ist „Was nützen uns die vielen Geschichten, wenn wir aus dem, was sie uns vermitteln wollen, nicht schlau werden“, kommentiert Hannes Grandmas Erzählung, blickt mich dabei mit einem leichten Lächeln der Mundwinkel an. „Hannes, ich bleibe an deinem „Schlau werden“ hängen. Weil ich so viel allein bin, kann ich mir mehr Gedanken machen, als die Menschen, die im Berufsleben stecken. Ich habe schon vor längerer Zeit die Feststellung getroffen, dass der Mensch aus einer Anhäufung von ungeborenen Buchstaben aus dem Jenseits besteht, die sich in der Lebenszeit des Menschen zu Wörtern zusammensetzen, deren Begrifflichkeit den begreifenden Menschen animiert, über Ursache und Wirkung seines Handelns nachzudenken. Viele begreifen leider nicht!“ „Maria, dass klingt ganz schön abgehoben“, kommentiert Hannes das Gesagte. „Ist es nicht so, dass sich Teile der Gesellschaft ihr eigenes Jenseits, mit dem Geld als Gott, schon auf der Welt geschaffen haben und damit einen neuen Nabel der Welt?“ „Da sprichst du was an, Hussein! In dieser Scheinwelt scheint es sich gut leben zu lassen. In den Nachrichten wurde vor einiger Zeit darüber berichtet, dass die Briefkastenfirmen wie Pilze aus dem Boden schießen, Stiftungen stiften gehen, der Börsengau wie eine Bombe eingeschlagen hat. Keiner fühlt sich verantwortlich. Der Glaube an Gottes Geheimnis wird in der realen Welt der Menschenmasse überlassen“, ereifert sich Karl-Heinz „Die Vernunft scheint sich der Weltseele entfremdet zu haben, schwirrt orientierungslos durch das Universum. Vielleicht haben sich die Ideen der Philosophen vermischt und eine eigene Philosophie entwickelt, in der Vernunft und Moral keine Rolle mehr spielen. Das Vertrauen bleibt den naiven, weltfremden Bürgern vorbehalten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals in der zurückliegenden Geschichte ein Philosoph von Vertrauen gesprochen hätte. Außer Hegel, der bleibt außen vor“, lässt Hannes sich vernehmen „Wieso Hegel?“, frage ich. „Weil Hegels System Gott als das Absolute miteinbezieht. Sein System besteht aus drei Teilen: der Logik, die das Sein Gottes von Erschaffung der Welt nachvollzieht, der Naturphilosophie, die Gottes Entäußerung in die materielle Welt zum Inhalt hat und der Philosophie des Geistes, die die Rückkehr Gottes aus seiner Schöpfung zu sich selbst im menschlichen Geiste schildert. Ich verbinde mit Religion bzw. mit „Glauben an Gott“ das Vertrauen. Wer glaubt, vertraut auf das, was er glaubt. Nachlesen kannst du seine These im Philosophischen Lexikon. Jetzt sind es nur meine Worte, die Hegels Ideen zusammenfassen.“ „Muss nicht sein! Ich könnte mir vorstellen, dass immer weniger Menschen glauben. Vielleicht haben sie den Begriff „Vertrauen“ zusammengepuzzelt und definieren ihn: keine Verantwortung übernehmen, da es doch bequemer ist, zu vertrauen. Dabei dem anderen die Entscheidung überlassend“, erwidere ich „Aber sehnen wir uns nicht nach einem Leben in einem Land, in dem Demokratie vorherrscht?“, fragt Irmgard „Ja, schon! Aber was heißt Demokratie?“, hinterfragt Hussein Irmgards Gedanken. „Die Demokratie ist eine Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk. So hatte der amerikanische Präsident Abraham Lincoln in seinen Amtsjahren bis 1865 das Wesen einer Demokratie gekennzeichnet. Lincoln hatte sich dabei auf seine Zeit, auf die Geschichte Amerikas bezogen.“ „Hannes, die Demokratie kommt ursprünglich aus dem Griechischen und bedeutet, wie du vorhin erwähntest, „Volksherrschaft“. Also kannte man schon in der Antike die Demokratie.“ „Das ist richtig Hussein. Aber selbst Platon scheiterte an seiner demokratischen Ausrichtung der Staatsführung, damals steckte die Demokratie noch in den Kinderschuhen.“ „Alles schön und gut, doch hört mal, was im Lexikon steht: Demokratie ist kein Wundermittel, das jedem alles das bietet, was er für sich wünscht. Sie ist nur in der Form gegenseitigen Entgegenkommens möglich. Demokratie ist eine Aufgabe, die in großen und kleinen Dingen jedem einzelnen gestellt ist und zwar, täglich aufs Neue. Wenn aber ein Volk diesen Aufgaben gewachsen ist, dann bedeutet Demokratie ein menschenwürdiges Zusammenleben in Freiheit, Frieden, Ordnung und Recht.“ „Doro, theoretisch gilt das zu jeder Zeit in jedem Land. Doch an der praktischen Umsetzung scheitert es. Die Demokratie bleibt stets im diffusen Licht. Es ist doch nur der Schein, der als Licht im Geheimnis aufleuchtet. Und wie sagtest du als Kind so treffend: das Licht franst aus“, äußert Grandma sich schmunzelnd, weil ich sie mit gekräuselter Nase anschaue „Und… brachte uns die Diskussion weiter, oder sind wir genau so schlau wie vorher?“, fragt Karl-Heinz abschließend „Bist du denn zufrieden mit dem Gehörten?“, fragt Hannes seinen Vater. „Nein! Ganz und gar nicht, Hannes.“ „Vielleicht könnte die Sehnsucht eine Hilfe sein, um schlauer zu werden“, wirft Grandma ein „Was meinst du damit, Maria?“, fragt Karl-Heinz “Könntest du dir vorstellen, die Demokratie unter dem Begriff „sehnen“ einzuordnen, diesen als Lenker zu sehen?“ Nach kurzer Überlegung kommt von Karl-Heinz ein „Ja, kann ich“ „Ach, ich kapiere, Grandma! Du meinst, dass andere Staatsformen, wie z.B. Monarchie und Diktatur dem Begriff „Sucht“ zugeordnet werden, weil sie als Motor eine Gewaltherrschaft über die Landesbewohner ausüben.“ „Ja, Doro, die auch! Aber ich denke an Übergänge zwischen der reinen Demokratie und den anderen Staatsformen. Es gibt Staaten mit demokratischen Einrichtungen, die dem Namen nach eine Monarchie sind wie z.B. England, Holland oder die Skandinavischen Länder. Bei denen würde ich denken, dass der Motor gut gelenkt wird. Andererseits! Ein als Demokratie bezeichneter Staat zeigt oligarchische oder plutokratische Züge. Bei denen würde ich ansetzen, wenn ich von „Sucht“ als Motor spreche, dem der Lenker abhandengekommen ist.“ „Maria, dass sind gute Beispiele. Aber wie sieht es auf der privaten Ebene aus?“ „Ach, Hannes! Ich glaube, dass jeder Mensch in sich einen Motor hat, der ihn antreibt. Wichtig wird sein, dass Motoren einen guten Lenker besitzen, der das gewählte Ziel ansteuert. Manchmal ist das Ziel im Nebel noch nicht erkennbar.“ „Eine interessante Antwort, die alles offen lässt. Es sind zwar viele Wörter benutzt worden, aber im Endeffekt muss jeder seine eigenen Schlüsse ziehen, mit denen er verantwortlich umzugehen hat.“ „So ist es, Hannes!“ Grandma setzt sich an das Piano und stimmt Weihnachtslieder an. Wir können alle herrlich zusammen singen, aber schlecht alle auf einmal reden. So lassen wir den zweiten Weihnachtstag gemütlich ausklingen. Wie selig duftet doch Vergänglichkeit … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Nach dem ereignisreichen August nähert sich der September viel zu schnell seinem Ende zu. Diesmal werden Herrmann und ich gleichzeitig von Dirk und Günther abgelöst, können einen gemeinsamen Flieger nehmen. Am Berliner Flughafen trennen sich unsere Wege. „Doro, pass auf dich auf! Im Februar bin ich wieder vor Ort. Du auch?“ „Herrmann, ich weiß nicht, wie ich eingeteilt werde. Pass auch gut auf dich auf!“ Nachdem wir uns verabschiedet hatten, wandern meine suchenden Augen durch die Ankunftshalle und erblicken Hannes. Er kommt eilig auf mich zu, nimmt mich zärtlich in seine Arme. „Doro, mein Liebes! Endlich bist du wieder da“, flüstert er mir ins Ohr. Ich nehme seinen vertrauten Duft wahr, spüre seine Lippen auf meinem Mund. „Ach, Hannes! Ich bin so glücklich, wieder bei dir zu sein.“ Ungeduldig warten wir am Kofferband auf mein Gepäck, dann eilen wir zum Auto. Diese Gegensätze! Der Verkehr auf den Straßen ist so dicht, ich bin so ungeduldig. Endlich biegen wir in unsere Straße ein, ergattern einen Parkplatz. Mit dem Gepäck hasten wir die Stufen zur Wohnung hoch, Hannes schließt auf, schiebt mich und das Gepäck in die Wohnung, schließt die Tür hinter sich. Nichts ist in dem Moment wichtig, außer wir Beiden mit unserem Wunsch, uns ganz nahe sein zu können. Die Kleidungsstücke weisen den Weg, den wir gewählt haben. Zwei hungrige Körper, die gesättigt werden wollen. Mildes Licht zeigt dem Spiegel unsere Nacktheit. Zwei Leiber, die zu einem Leib verschmelzen. Zwei Herzen, die im Gleichklang schlagen „Hannes, du warst so wild! Ich liebe dich!“, wispere ich atemlos in sein Ohr „Meine Doro! Ich könnte dich fressen, so lieb hab ich dich“, flüstert Hannes mit heiserer Stimme und drückt sich wieder fest an mich. Der Mond schaut neugierig durch das Fenster, als Hannes einige Zeit später mit Sekt und Häppchen ins Bett zurückkommt. Dieser Moment hebt die Trennung vieler Tage und Wochen auf. Am nächsten Morgen fahren wir gemeinsam mit der U-Bahn zu unseren Arbeitsstellen. Ich blicke mich an den U-Bahn-Stationen um, wundere mich. Schweige, da unsere Gedanken schon in unseren Büros verweilen. Doch am Abend mache ich meine Beobachtungen zum Thema. „Hannes! Was ist hier geschehen? Ich sehe im Straßenbild nur noch Kopftuch und Burka tragende Frauen?“ „Ja, Doro! Das Klima verändert sich; ob der hitzige, auf der politischen Bühne angeschlagene Ton, oder die Treibhausgase auf der Erde. Beides zwingt die Politiker zum Handeln. Ärzte und Krankenkassen stoßen an ihre Grenzen, mahnen Änderungen im Gesundheitswesen an. Doch was macht Politik? Sie vereinbaren mit der Krankenkassenvereinigung, Sorge dafür zu tragen, dass die Kranken schnellstmöglich in ärztliche Behandlung kommen. Es werden Millionen an Callcenter bezahlt, die den Erkrankten kurzfristige Termine besorgen sollen. Sogar in einem Radius von einer Stunde Fahrzeit sollen Ärzte vermittelbar sein. Das Problem ist, dass die Praxen überlaufen sind, den akut erkrankten Kassenpatienten kaum Termine zur Verfügung stehen. Die dafür eingesetzten Gelder verpuffen in der Luft. Dem Gesundheitsministerium wurde Druck gemacht, ein Gesetz zu erlassen, das sich dem Wandel der Erkrankungen anpasst. Die Atemwegserkrankungen, der Hautkrebs und die psychischen Erkrankungen, sowie diffuse Gelenkschmerzen haben Hochkonjunktur. Und was glaubst du hat das Gesundheitsministerium dagegengesetzt? Die atemberaubenden Kleidungsstücke der arabischen Welt; Kopftuch, Nikab und Burka, wahlweise mit oder ohne Gesichtsgitter. Tatsache ist, dass diese Bekleidung die Frauen schützt, die, im Sommer bisher leicht bekleidet, ihre Haut und ihre Haare der aggressiven Sonnenbestrahlung ausgesetzt hatten. Es ist zwar noch zu früh, die Ergebnisse statistisch auszuwerten, aber laut Bericht der Krankenkassen sind in diesem Sommer die Behandlungen wegen Hautverbrennungen zurückgegangen. Das soll schon was heißen. Die arabische Kleidung hat in der westlichen Modewelt ihren Platz gefunden. Und so belebt diese Mode, nicht nur in schwarz oder weiß, sondern auch durch die Vielfalt der farbigen Muster und Stoffe das Stadtbild.“ „Hannes, wenn du mich fragst: Ich finde die politische Entscheidung ganz toll! Die Burka, ein den Körper und das Haupt bedeckendes Gewand, ist so was von bequem, sie schützt wirklich. Ich habe es am eigenen Leib erfahren dürfen.“ „Ich persönlich hatte nie etwas gegen vermummte Frauen. Mich wundert nur, dass Meinungen so kippen können. Die Verfechter des Vermummungsverbotes sind jetzt diejenigen, die der Modewelt den Rücken stärken. Das zeigt mir, wie verlogen unsere Gesellschaft ist.“ „Du sagst es, Hannes! Vielleicht hat das Ozonloch den Kopf(Tuch)losen das Hirn verbrannt. War es nicht so, dass in der Vergangenheit demokratische Floskeln ihre Erfüllung im Demokratiewahn fanden, dessen Wirkung darin bestand, diktatorische Züge gegenüber Anderslebenden und Andersdenkenden anzunehmen?“ „Wie meinst du das, Doro?“ „Ach, ist schon gut, Hannes! Eigentlich müsste dir doch klar sein, dass sich die Menschen wie Fähnchen im Winde drehen. Ein Blick in die Geschichte zeigt doch deutlich, dass die Mehrheit sich dem Wind überlässt. Egal, woher der weht.“ Hannes lacht über meinen Vergleich, zieht mich an sich, drückt mir einen herzhaften Kuss auf den Mund, den ich erwidere. Ich gebe seinem Drängen nach und finde mich auf dem Bett wieder. Mit der Kleidung fallen Burka und Fähnchen mit zu Boden. Zurück bleibt der ungeschützte, nackte Körper, der sich in der Nacktheit dem anderen hingibt. Niemals in der Welt hört Hass durch Hass auf … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Die Einweihung des Hauses haben wir auf Hannes Geburtstag, am 5. Mai 2040 gelegt. Dazu haben wir Pia, Karla, Lars und Knut, sowie Hannes und meinen Kollegenkreis eingeladen; auch die neugewonnenen Nachbarn werden zugegen sein. Hannes notiert eifrig, was uns anderen bezüglich der Gästeversorgung einfällt. Mein Blick streift Grandma, die schweigsam dabeisitzt und ihren Blick in den Garten gerichtet hat. „Was ist los, Grandma? Geht es dir nicht gut? Du bist seit gestern so schweigsam.“ „Doch, Doro! Mir geht es gut. Es tut mir aber auch gut, einfach zuzuhören, mich an eurem neuen Haus zu erfreuen. Ich bin glücklich, wenn ich die kleine Nanne anschauen kann. Noch schöner ist es natürlich, wenn ich sie auf dem Arm halte. Doch sie ist schon sehr quirlig, sie hält nicht mehr still. Da fällt mir das Tragen schwer. Also schaue ich einfach!“ Grandma hat es sich mit einer Decke auf dem Sofa bequem gemacht. Die Kleine schläft, meine Bestellungen sind aufgegeben, also setze ich mich zu ihr. In dem Moment macht sie die Augen auf, schaut mich groß an. „Ich bin doch kurz eingeschlafen. Dabei wollte ich nur die Beine hochlegen.“ „Das macht doch nichts, Grandma! Hauptsache, es tut dir gut, deinen Körper auszustrecken.“ „Ach, Doro! Ich bin immer so schnell müde, obwohl ich doch vor einer Woche erst die Blutübertragung bekommen habe.“ „Bekommst du sie regelmäßig oder bei Bedarf?“ „Ich würde sagen, bei Bedarf, denn die Abstände verkürzen sich.“ „Grandma, das klingt gar nicht gut!“ „Ich weiß! Aber bedenke, dass ich neunzig Jahre werde. Mit der Leukämie lebe ich schon fast vier Jahre. Als ich die Diagnose annehmen musste, hatte ich nicht damit gerechnet, so lange leben zu dürfen.“ „Grandma, du willst doch nicht andeuten, dass du sterben wirst?“ „Doch, Doro! Du weißt selbst, dass jeder Mensch sterben muss. Schau mal, dein Vater und Reem haben früh die Welt verlassen müssen. Ich habe lange ein glückliches Dasein leben dürfen. Mir wurdest du geschenkt, mir wurde sogar die Chance gegeben, die Geburt deiner Tochter erleben zu dürfen. Sind das nicht viele Geschenke, die Gott mir gemacht hat?“ „Ja, Grandma! Aber ich wünschte mir, du könntest an dem Leben von Nanne noch lange teilhaben.“ „Wünsche kann man viele haben. Die Erfüllung liegt in Gottes Hand. Damit müssen wir uns abfinden, Doro!“ „Es fällt mir schwer. Ach, komm, Grandma! Lass uns nicht so traurige Gedanken wälzen.“ „Nein, mein Kleines!“ „Grandma, wie kommt es, dass ich so gerne bei den jüdischen Buchstaben und Zahlen verweile?“ „Mmh! Vielleicht, weil ich dir früh von den Buchstaben des Lebens erzählt habe!“ „Woher wusstest du von ihnen?“ „Ja, woher? Ich bin immer noch Mitglied der Via Cordis Gemeinschaft. Ganz zu Anfang, warte mal, dass war im Jahr 2004, nahm ich an einer Mitgliederversammlung in der Schweiz teil. Zu dieser Versammlung hatte das Team des Hauses einen Referenten geladen, der uns Mitglieder des Vereins mit dem Hebräischen Alphabet und seinen Bildern vertraut machte. Es waren Bruchstücke, weil das symbolische Universum der Bibelsprache sehr umfangreich ist. Mich hatten diese Bruchstücke neugierig gemacht. Ich besorgte mir später über das Antiquariat entsprechende Bücher darüber. Doro, unsere Geschichte hat selbst eine Geschichte. Es soll sich um zwei Erzählsammlungen handeln, die das kulturelle Gedächtnis Europas geformt und während zweier Epochen eine entscheidende Wirkung ausgeübt haben. Das eine ist eine Seifenoper und enthält die Eskapaden der griechischen Götter. Das andere ist die jüdische Bibel. Hierbei handelt es sich um die Geschichte einer ewigen Beziehungskrise zwischen einem äußerst eifersüchtigen, cholerischen Gott und einem Volk, das mit ihm eine Art Ehevertrag schließt, aber trotzdem ständig fremdgeht. Das behauptet zumindest Dietrich Schwanitz in seinem Buch „Die Geschichte Europas“. Er spricht von zwei Kategoriensorten: autologische Begriffe und heterologische Begriffe. Etwas Drittes gäbe es nicht! Du kannst die Details in dem Buch nachlesen. Es ist müßig, die von dem ins Spiel gebrachten Philosophen Russel entwickelte Ideen-Akrobatik zu der Frage, zu welcher Kategorie die Geschichte Europas gehört, weiter auszuführen. Mich beschäftigt die Frage, zu welcher Kategorie die Geschichte unserer Familie gehört? Die jüngere Schwester meiner Mutter war mir sehr ans Herz gewachsen. Wenn ich bei ihr zu Besuch war, erzählte sie zu gerne ihre Geschichten aus meines Mutters Kindheit, aus der eigenen Kindheit, von der Flucht und Vertreibung. Von ihr erfuhr ich, dass die Großmutter ihrer Großmutter mütterlicherseits Jüdin war, dass sie erst durch die Heirat den christlichen Glauben angenommen hatte. Jüdische Menschen wurden zu allen Zeiten als Außenseiter angesehen, dementsprechend behandelt. Zeit ihres Lebens musste sie darunter gelitten haben, dass sie ihren Kindern keine jüdischen Lebensweisen vermitteln durfte. Aber trotzdem wurde instinktiv manch rituelle Handlung von Generation zu Generation weitergegeben. Welche Ängste während des zweiten Weltkrieges mitschwangen, können wir nur erahnen. Die Tante sprach davon, dass sie nicht wüsste, ob in Ostpreußen je ein Ariernachweis erbracht werden musste; sie erzählte auch davon, dass ihre Familie bis kurz vor Kriegsende keinen Hunger gelitten hatte, da sie Tiere hielten und Land bewirtschafteten. Meine Großmutter starb 1944 an einer Blutvergiftung, damals gab es noch kein Penicillin. Wie viel jüdisches Blut noch in ihren Adern pulsierte, bleibt die große Frage. Die Tante konnte mir nichts von den organisierten Massentransporten in die Konzentrationslager erzählen, da sie wie so viele andere junge Frauen nach Sibirien verschleppt wurde. Mir gegenüber äußerte sie zwar, dass zigtausend jüdische Mitbürger nach Amerika und Kanada emigriert seien, ich erfuhr aber nicht, dass der Verbannungsort für viele Exilsuchende unerreichbar blieb, da ihre Schiffe über die Meere hin und her gefahren worden waren, die nirgends landen, nirgends bleiben sollten. Schiffe, wie die St. Louis, mit mehr als 900 flüchtigen Menschen an Bord, wurden 1939/40 von der kubanischen Regierung am Anlegen gehindert, sie irrten hilflos in der Karibik umher. Einigen dieser vom Nazi-Terror bedrohten Flüchtlingen bot der dominikanische Diktator Trujillo eine Küste zum Landen an. Amerika oder Kanada verweigerten den Flüchtlingen, deren Dokumente nicht vollständig waren die Einreise, schickten sie zurück nach Deutschland in den Tod. Schon vor Kriegsbeginn mussten etliche jüdische Bürger ihre Wahlheimat verlassen, Länder wie Italien, Schweiz, England und Spanien hatten sie ausgewiesen, das Kainsmal „J“ im Pass verewigt. Die Schiffspassage blieb als letzte Hoffnung. Und was war nach dem verlorenen Krieg? Überlebende, die in den sechziger Jahren in ihre Heimat zurückkehrten, mussten feststellen, dass die Rechten in verschiedenen Landesregierungen wieder vertreten, dass die Synagogen mit Hakenkreuzschmierereien erneut verunstaltet worden waren. Ich bin mir bewusst, wie schrecklich der Holocaust war. Die später gezeigten Dokumentationen zeugen davon. Wir dürfen diese Millionen ermordeten Menschen nie vergessen!“ Schweigen „Die Tante erzählte mir, dem Kind, später der Erwachsenen bei jedem Besuch, immer und immer wieder von den Strapazen auf der Flucht, von ihrer Verschleppung nach Sibirien, dem fünf Jahre dauernden Lagerleben, bevor sie entlassen wurde. Ich denke so oft, meine Tante hat durch das wiederholte Erzählen der Geschichte ihr Trauma aufarbeiten können. Ob dies alles dazu beigetragen hat, dass ich mich mehr für die jüdischen Buchstaben des Lebens interessierte, als andere Menschen, deshalb diese an dich weitergegeben habe, kann ich nicht sagen. Es ist mir einfach ein Bedürfnis, die Geschichten als Spiegel für unser heutiges Leben zu nutzen. “ „Grandma, danke für deine Offenheit! Es macht mich betroffen, wenn ich daran denke, dass Menschen so mitleidlos handeln konnten. Heutzutage wird doch bestimmt nicht mehr nach den jüdischen Wurzeln gefragt, oder?“ „Ich gehe nicht davon aus. Dafür trifft es heute die nach Europa strebenden Flüchtlinge. Tatsache wird zeitlebens sein, dass allen Emigranten das Heim verloren geht, nur das Weh bleibt, nistet sich im Trauma ein, findet in der Folgegeneration Erben, die es weiter beleben.“ „Das ist ja schrecklich! Immer mehr Menschen, die traumatisiert sind! Glaubst du, dass die Bevölkerung heute wieder bereit ist, sich aufteilen zu lassen?“ „Ich weiß es nicht! Doch wenn ich mir die Wahlergebnisse bei den letzten Landtagswahlen anschaue, würde ich sagen: Es geht wieder los!“ „Ach, Grandma! Manchmal scheint mir, als sei der Geist der sich zu Erkennen gebenden Herrenmenschen flüchtig. Dafür setzt sich der Trieb zur Macht durch, dessen Beherrschung ein wesentlicher Bestandteil für die Höhe der geistigen Kultur des Menschen darstellt.“ „Vielleicht ist es so, Doro! Die Handlungen gleichen sich, die Geschichten wiederholen sich. Ich frage mich, was aus den Menschen wird, den Träumern, im Traum des einen großen Träumers? Was wäre, wenn wir Situationen aus diesem Blickwinkel betrachten würden? Ob wir uns dann der entscheidenden Frage stellen müssten: Will der Mensch wirklich wach werden?“ Schweigen. „Möchtest du einen Kaffee, Grandma?“ „Nein, danke! Ich werde noch ein wenig die Augen schließen.“ Ich setze mich mit dem Kaffeepott auf die Terrasse, lasse mich von den wärmenden Strahlen der Mittagssonne bescheinen, meine Gedanken verweilen bei Grandmas Erzähltem, wandern in die eigene Kindheit, erinnern sich daran, dass die Kleine nach einer Religionsstunde Grandma mit der biblischen Geschichte von Kain und Abel konfrontiert hatte, verstand nicht, warum sich Brüder bekriegen mussten. Schweigend hörte die Ältere ihren zornig hervorgebrachten Ausführungen zu. Beruhigend strich sie dem Kind über den Kopf und fragte, ob es sich an die Regenbogengeschichte erinnern könnte? In ihr würde deutlich gemacht, dass es ein Schöpfen aus dem Stillen (Abel), dem Jenseitigen und dem Roten (Kain), dem Irdischen, welches verwundbares Leben hervorbringt, zu jeder Zeit geben wird, da beides dann der Mensch ist. An diese wunderschöne Erzählung kann ich mich genau erinnern, auch an Grandmas widersprüchliche Version dazu, die sie an die Bibelauslegung geknüpft hatte: „Beide hatten Gott ein Opfer dargebracht. Kain gab die Früchte des Feldes; Gott schwieg, da dieser Sohn wohlgeraten war. Abel gab von den Erstlingen seiner Herde, da schwieg er nicht, sog den Rauch der Opfergabe in seine Lunge und sprach: Dieses Opfer will ich nicht! Wenn du schon ein Lamm töten musstest, teile es brüderlich. Der Stille hört die Worte, lässt das Geschehen auf sich beruhen. Dem Roten bleibt Gottes Wort verborgen, er schlägt Abel.“ Als Kind verstand ich das Gesagte nicht, doch mit einem Mal begreife ich das ganze Ausmaß dieser Opfer/Täter-Symbolik, frage mich, welche Wirkung in der Gegenwart erzielt werden könnte, wenn laut der Ruf tönen würde: Wach auf, Abel! *** … Hass hört durch Liebe auf (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Am morgigen Epiphanienfest werden meine Lieben nach Hause fahren. Doro sucht bereits die Sachen zusammen. Stürmisch wird an der Haustür geklingelt. Hannes ist schneller als ich und öffnet. Hussein kommt in die Wohnung gestürzt, fragt ganz aufgeregt, ob wir die Nachrichten gesehen hätten. „Nein! Was ist denn passiert, Hussein?“ „Es sind wieder Angriffe auf den Norden Assyriens verübt worden. In den Nachrichten zeigten sie die zerstörten Häuser, die vielen verletzten Menschen. Ich bin mir sicher, dass es in Reems Viertel passiert ist.“ „Wurden keine näheren Angaben zu dem Ort gemacht?“, fragt Hannes. „Nein! In einer Sondersendung werden sie Näheres bekanntgeben. Schalte doch mal ein!“ Hannes macht den Fernseher an, wir erblicken die Wetterkarte. Doch kurz darauf erscheinen Bilder aus der zerstörten Gegend. Ein Journalist vor Ort berichtet von dem Anschlag wie folgt: „Die digitalisierte Welt bietet eine sichere Plattform für subtil eingesetzte Anschlagserien. Zielgerichtete Flugkörper vernichteten zeitgleich in verschiedenen Städten, die zum Teil bewohnten Häuser zwischen den Ruinen. Den geretteten Menschen steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben; sie wurden von dem Anschlag überrascht. Nur wenige konnten bisher lebend aus den Trümmern geborgen werden. Das Gebäude, in dem eine Krankenstation integriert war, wurde dem Erdboden gleich gemacht. Die angrenzende neue Wohnanlage hat die zum Wohnviertel hin gelegene Geschäftszeile einbüßen müssen. Wie viele Menschen ums Leben gekommen sind, ist bisher reine Spekulation. Wer diesen Angriff zu verantworten hat, bleibt die große Frage. Die anonymen Befehlsgeber werden ihre Hände in Unschuld waschen. Die ausführenden Knöpfchendrücker in den Schaltzentralen sind diejenigen, die am Bildschirm ihre Attacken verfolgen konnten. Sie wurden innerhalb von Sekunden zu tausendfachen Mördern an der Zivilbevölkerung.“ Hannes schaltet den Fernseher aus. Wir schauen uns sprachlos an, sind fassungslos „Das kann doch nicht möglich sein“, sage ich mit zitternder Stimme, blicke auf Doro, die weinend an Hannes Schulter lehnt. Behutsam legt er das kleine Bündel auf dem Sofa ab, um Doro in die Arme nehmen zu können. Auch Hussein, der sonst so kontrolliert scheint, hat Tränen in den Augen „Was ist mit Reem?“, fragt Doro schluchzend. In dem Moment erhält Hussein auf seinem Handy einen Anruf. Es ist Alaa, der, noch unter Schock stehend, Hussein Mitteilung von dem Geschehen macht. Unsere Augen sind auf ihn gerichtet. „Was ist mit Reem? Habt ihr sie finden können? Gott, sei Dank! Ich nehme den erstbesten Flieger“, hören unsere Ohren Husseins Worte. Dann Schweigen. „Reem ist schwer verletzt in das medizinische Zentrum gebracht worden. Einige Kinder konnten verletzt geborgen werden. Baschars Großmutter und vier Kinder sind tot. Die Mehrzahl der Kinder hielt sich in der Schule auf.“ „Hussein! Ich will auch mitfliegen“, meldet sich Doro mit schluchzender Stimme. „Nein, Doro! Das lasse ich nicht zu. Denk an unsere Tochter“, äußert sich Hannes. „Lieber fliege ich mit Hussein nach Assyrien und hole Reem nach Deutschland.“ Nun bin ich mit Doro und der kleinen Nanne allein. Wir sitzen zwar zusammen, sind aber gedanklich in Assyrien. „Grandma, mich beschäftigt die Frage: Ist der Stadtteil zufällig getroffen worden, weil es doch ein zielgerichtetes Attentat auf die Oase des Friedens war?“ „Ach Doro! Es ist müßig, darüber nachzudenken, weil wir es nicht erfahren werden.“ „Ich weiß, Grandma!“ „Doro, erinnerst du dich, was in den „Buchstaben des Lebens“ über den 7. Buchstaben ausgesagt wird, der, noch Jenseits im Ursprung, symbolisch für die Gegenwart steht?“ „Mir fällt der Zusammenhang nicht mehr ein, Grandma.“ „Willst du hören, welcher Text in dem Büchlein unter diesem Zeichen „Sajin“ steht?“ „Ja, Grandma“, sagt Doro, rückt auf dem Sofa zur Seite, damit ich neben ihr meinen Platz einnehmen kann. Ihren Kopf legt sie in meinen Schoß, hüllt die kleine Nanne mit in die Decke und wartet schweigend auf das, was ich jetzt vorlese: „Das Zeichen des siebten Buchstabens nennt man Sajin, und das bedeutet „Waffe“ Ist es denn nicht auch wie ein Kampf? Ein Ringen von Liebenden oder eben ein Ringen der sich Hassenden? Denn mit der Liebe wird auch die Gegenmöglichkeit, der Hass, in die Welt hinein beschworen. Wenn die Allmacht Liebe schenkt, öffnet sie auch dem möglichen Hass die Tore. Sonst wäre Liebe etwas mechanisch Zwangsläufiges. Der Neid lauert immer und weckt die Sucht zu konstruieren und Gottes Schöpfung als „machbare Welt“ – vom Menschen zu machende – zu betrachten und zu behandeln. Dieser Kampf mit der Waffe Sajin ist der Krieg Gottes. Und an der anderen Seite stehen die Kriege der Menschen. Das siebte Zeichen zeichnet den 7. Tag der Schöpfung, es ist der Tag unseres fortwährenden „Jetzt“ Es ist der Weg des ewigen Jetzt, der sich für uns als „Zeit“ darstellt. Sie fließt ewig. Es ist dieser Fluss, der aus Eden hervorkommt. Der Fluss, der dem Adam auch Reinigung bringt, nachdem er das Paradies verlassen musste. Der Mensch in der Zeit steht in diesem Fluss, der Adam bis zum Kopf umspült. Das Wasser strömt an ihm vorbei. Die Zeit zieht an den Menschen vorbei. Die Zeit ist wie das Becken mit Wasser, sie bringt Hoffnung. Und in diesem Becken ist – wie das Wort sagt – die Zeit eingesammelt: also Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Das genau ist die Hoffnung. Und so zeichnen alte Hieroglyphen den Weg des Menschen wie ein Schiff im Wasser. Wie ein Schiff im Wasser – so erlebt der Mensch sich in der Zeit, findet er sich in der Zeit vor. Und das ist auch der Weg des Menschen, wie er ihn lebensmäßig erfährt. Der Weg aus einer Welt in die andere. Die Schiffe fahren aus und führen den Menschen von Land zu Land. Der 7. Buchstabe Sajin ist erst der Beginn. Ist nicht der weitere Weg der Buchstaben identisch mit der Erzählung vom Leben des Menschen und vom Leben der Welt?“ Schweigend verharren wir in unserer jeweiligen Haltung, lassen die Worte nachklingen. Vielleicht soll es so sein, dass die Gegenwart von Kriegen heimgesucht wird, bis die Menschen mit dem Schiff von Land zu Land geführt werden. Durch ihre Gegensätze werden die Menschen herausgefordert, die Waffen zu zücken und Kriege zu führen. Bestimmt sollte der erste Krieg mit sich selber sein. Vielleicht verweigern zu viele diesen ersten Krieg und zerstören deshalb lieber die Welt. Wenn auf der Erde die Liebe herrschte, … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Zwei Tage vor meinem Ehrentag treffen Gerda und Karl-Heinz ein und werden von mir freudig begrüßt. Doro und Hannes haben derweil mit dem Dorfgasthof Kontakt aufgenommen, um den schon vor Monaten reservierten Tag in allen Einzelheiten durchzusprechen. In wesentlichen Dingen nahmen sie Bezug zu dem Ablauf meines achtundachtzigsten Geburtstages. Ich bin zufrieden mit deren Organisation. Meine Kräfte lassen immer mehr nach. Die Bluttransfusionen finden in immer kürzeren Abständen statt. Für mich ein untrügliches Zeichen, dass meine Tage gezählt sind. Hussein widerspricht zwar, wenn ich ihn damit konfrontiere, aber seine Augen blicken mich dabei an, spiegeln mir die Wahrheit meiner Worte. Mit Doro will ich nach der Feier darüber sprechen. Möchte meinen Lieben nicht das Herz schwer machen, aber mir ist wichtig, dass wir ehrlich miteinander umgehen. Und dazu gehört auch der Tod. Aber erst nach meinem neunzigsten, nach Nannes erstem Geburtstag. Ich bin zwar traurig, dass ich ihren Zweiten nicht mehr miterleben werde. Aber ich genieße jede Minute, die ich jetzt mit ihr zusammen sein darf. Dieses kleine, putzige Persönchen hat eine Strahlkraft, die mir Stärke verleiht. Ich bin so glücklich, dass Doro und Hannes trotz der Missverständnisse wieder zusammengefunden haben. Ich spüre bei ihnen eine Zärtlichkeit, die früher nicht so nach Außen strahlte. Gerda und Karl-Heinz sind ihnen gute Eltern, der Kleinen werden sie gute Großeltern sein. Dankbar bin ich, dass mein Haus gut bestellt ist. In der Lebensgeschichte bilden auch meine Geschichten das Fundament, auf dem meine Lieben ihr Haus des Lebens bauen können. „Grandma! Was ist mit dir? Du bist so abwesend.“ „Nichts, Doro, meine Kleine! Ich habe gedanklich mein Leben zum Abschluss gebracht, habe festgestellt, wie viel Glück ich die vielen Jahre hatte.“ „Warum so sentimental? Freu dich auf deinen runden Geburtstag, Grandma.“ „Ich freue mich doch!“ Beim gemeinsamen Abendessen gehen wir die Gästeliste durch. Drei der Freundinnen sind nicht mehr da. Dafür stehen andere Namen drauf. Hannes zählt die eingetragenen Personen. „Achtunddreißig Gäste. Dazu die Abgesandten von Stadt und Kirche, die direkt beim Empfang, um elf Uhr erscheinen werden“, gibt er bekannt. „Die offiziellen Vertreter werden bestimmt nicht zum Essen bleiben.“ „Oder, du lädst sie offiziell dazu ein, Grandma.“ „Ja, das könnte ich bei der Gratulation machen. Ich fände es nur schade, wenn der Geburtstag der kleinen Nanne dabei untergeht.“ „Mach dir keine Gedanken. Für Nanne ist wichtig, dass sie an ihrem Ehrentag mit uns zusammen ist. Ich glaube nicht, dass sie es schon versteht, Grandma.“ Gerda und Karl-Heinz bestätigen Doros Worte, also lasse ich mich beruhigen. Im Laufe des Abends kommen wir auf Doros erweiterte Bürotätigkeit und der damit verbundenen Veränderungen im täglichen Ablauf zu sprechen. So lange die Kleine zu Hause ist, wollen sich Hannes und Doro je zwei Tage Büro, zwei Tage Hausbetreuung teilen. Für den noch verbleibenden Mittwoch würden sie gerne die Nachbarin miteinbeziehen. „Das klingt gut! Könnt ihr das denn mit euren Arbeitgebern vereinbaren?“ „Ja, Gerda!“, kommt es wie aus einem Munde. „Und wie wollt ihr weiter vorgehen, wenn die Kleine in den Kindergarten geht? Dann muss sie pünktlich abgeholt werden.“ „Ach, Gerda! Soweit haben wir noch gar nicht gedacht. Das lassen wir auf uns zukommen. Hauptsache ist, dass wir einen Krippenplatz bekommen.“ „Wo ist sie denn angemeldet?“ „In der Pfingstkirchengemeinde! Ihr wart doch mit auf dem Sommerfest.“ „Wie, werden da auch ungetaufte Kinder aufgenommen?“ „Gerda, vielleicht ist dir nicht aufgefallen, dass es keine, an eine Religion gebundene Kirchengemeinde ist, sondern eine humanistisch ausgerichtete Glaubensgemeinschaft.“ „Wie soll ich das denn verstehen?“ „Wie Doro schon gesagt hat. Die Pfingstkirchengemeinde ist auch für all die Menschen geöffnet, die nicht mehr den Katholischen oder Evangelischen Kirchen angehören. Sie ist offen für alle getauften und ungetauften Menschen, die ihren eigenen Weg zu Gott suchen. Da viele Gottes- bzw. Gebetshäuser mittlerweile verkauft werden mussten, hat die Pfingstkirchengemeinschaft die Liegenschaft erwerben können. Die Zugehörigkeit wird durch einen Mitgliedsbeitrag besiegelt; nicht durch Kirchensteuern, wie vom Staat eingetrieben. Den Kindern und Jugendlichen werden ethische Grundwerte vermittelt, um sie am Tag der Jugendweihe ins Erwachsenendasein zu führen.“ „Das hatten wir schon mal im geteilten Deutschland“, lässt sich Karl-Heinz vernehmen. „Ja, Papa! Das ist richtig. Nur, dass damals die politische Ausrichtung im Mittelpunkt stand. Oder nicht?“ „Ich kann dir dazu nichts sagen. Wir lebten doch im Westen.“ „Das stimmt, Papa! Ich kann dich beruhigen. Doro und ich haben uns ein Bild von der Gemeindearbeit machen können. Die heutigen Glaubensgemeinschaften vermitteln an der Basis das ethische Wissen, welches in den verkrusteten Strukturen der Religionen missachtet wird. Die Verkrustungen sind Ursache für deren Mitgliederschwund.“ „Das stimmt, Hannes! Aber die Kirchen verlieren auch immer mehr Gläubige, denen die vom Staat erhobene Kirchensteuer zu hoch erscheint.“ „Richtig, Gerda! Wenn ich sehe, was mir an Kirchensteuer abgezogen wird, ohne dass meine Familie davon profitiert, wird mir schwindlig. Ich habe das Formular zum Kirchenaustritt schon ausgefüllt. Lieber zahle ich meinen Beitrag direkt in die Gemeinde, die meiner Familie und mir eine humanistisch geprägte Heimat bietet.“ „Hast du dir das auch gut überlegt, Hannes!“ „Ja, Papa! Ich war lange genug ein Protestant, ohne etwas bewirkt zu haben. Ich bin der Meinung, dass sich alle gegenwärtigen Religionen unter einem absoluten Oberbegriff wiederfinden: Gott! Ob Kirche, Moschee, Synagoge, Tempel oder Kloster; alle haben als Oberbegriff: Gebetshaus! Oder?“ „Ach, Junge! Unter diesen Gesichtspunkten habe ich mir die Thematik noch gar nicht angeschaut. Bestimmt hast du Recht, mein Sohn!“ „Danke, Papa!“ Unser Gespräch wird vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Doro ist schnell am Apparat, hebt ab und meldet sich. Die vier Berliner sind eingetroffen, sie werden zum Frühstück eingeladen. Pünktlich geht die Türklingel, Pia, Karla, Knut und Lars stehen, beladen mit Päckchen und aufgeblasenen, bunten Luftballons vor der Haustür. „Wo sind die Geburtstagskinder?“ Als Nanne die Hereinkommenden mit ihren Mitbringseln erkennt, kommt ein fröhliches Jauchzen über ihre Lippen. Hannes stellt sie auf den Boden, gleich trippelt sie behände zu ihrer Lieblingstante. Pia ist ganz angetan von dem kleinen Persönchen, lässt die Päckchen auf den Boden gleiten und fängt Nanne mit ihren Händen auf. „Na, Spatz! Du siehst ja hübsch aus, in deinem neuen Kleidchen.“ Die Kleine quietscht vor Vergnügen, als Pia sich mit ihr im Kreise dreht. Dann bleibt sie stehen, gratuliert der Kleinen zum Ehrentag und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn. Nanne verlangt, heruntergelassen zu werden, da die bunten Luftballons sich auf dem Boden selbstständig machen. Ihre Händchen greifen nach ihnen, aber die Ballons entgleiten ihr wieder, hüpfen über den Fußboden. Mit einem Plumps lässt sie sich auf den Boden fallen und weint. Gerda erbarmt sich der kleinen Maus, drückt ihr schnell einen Luftballon in die Hände. Strahlend versucht Nanne nun, in das weiche Gummi zu beißen. Ich habe den beobachtenden Part übernommen und decke dabei den Frühstückstisch. Zur verabredeten Zeit erscheinen wir im Dorfgasthof, begrüßen dort die ersten Gäste. Ich freue mich, dass Mark und Daggi aus Potsdam gekommen sind. Sie hatten bei der Einladung unter Vorbehalt zugesagt. Hussein mit Familie ist bereits anwesend. Auch Irmgard ist schon da und nimmt mich fest in ihre Arme. „Vor zwei Jahren war auch noch Hanna dabei. Erinnerst du Dich?“ Und ob ich mich an Hanna erinnere. Sie gehörte doch mit Irmgard zum engen Freundeskreis. Schnell werden wir von unseren wehmütigen Gedanken abgelenkt, da die Damen vom Literaturkreis erscheinen, die Landfrauen nach und nach eintreffen und ehrenamtliche Mitstreiter von Kirche und Gemeinde. Des Weiteren kommen Honoratioren von der Stadt und der Kirchengemeinde. Der Gastraum füllt sich, Irmgard ist diejenige, die die Türen öffnet zum angrenzenden Speiseraum. Nach und nach nehmen die Gäste ihre Plätze ein. Diesmal haben wir Tischkarten vorgesehen. Ich bin berührt und finde keine Worte außer:„Danke euch allen, dass ihr mir durch eure Anwesenheit einen wunderbaren neunzigsten Geburtstag zum Geschenk gemacht habt. Ich werde diesen Tag in meinem Herzen bewahren.“ Am nächsten Vormittag erscheinen die vier Berliner und Irmgard bei mir zu Hause, da die Wirtin die Reste vom Büfett liebevoll verpackt, mitgegeben hatte. Die Freunde sollen nicht mit leerem Magen nach Hause fahren. Doro und Gerda hatten schon im Vorfeld den Tisch gedeckt; so können wir uns gemütlich niederlassen und die leckeren Überbleibsel verzehren. Pia hat ihren kleinen Spatz, wie sie zu sagen pflegt, auf dem Schoß. Gemeinsam betrachten sie ein Bilderbuch. Ihre Erklärungen zu den einzelnen Seiten nehme ich zum Anlass, um noch einmal auf die humanistisch geprägte Glaubensgemeinschaft einzugehen. „Vorgestern sind wir leider beim Thema Humanismus und Glauben unterbrochen worden. Habt ihr noch Zeit und Lust, diese Thematik hier am Tisch wieder aufzunehmen?“ „Wir haben alle Zeit der Welt, aber die Berliner wollen doch bestimmt gleich aufbrechen“, lässt sich Hannes vernehmen. „Mich würde schon interessieren, wo Nanne in den Kindergarten geht. Was meinst du, Knut?“ „Pia! Allein kann ich nicht entscheiden. Wir sitzen zu viert im Wagen.“ „Ich glaube nicht, dass wir zu Hause etwas verpassen, wenn wir zwei Stunden später heimkommen“, äußert Lars „Ich richte mich nach euch. Fände auch interessant, was hinter dieser humanistisch geprägten Glaubensgemeinschaft steckt“, sagt Karla. „Grandma, du hast gehört, dass die Bereitschaft vorhanden ist. Was beschäftigt dich denn noch?“ Mich beschäftigt die Frage, ob die Philosophie Feuerbachs nicht nur durch Hegel, sondern auch durch den Humanismus bzw. durch den Philosophen Wilhelm Humboldt beeinflusst worden ist? War nicht Feuerbach davon überzeugt, dass Anthropologie auch die Theologie ist, als Produkt des menschlichen Geistes?“ „Maria, so viel ich weiß, hat Humboldt den göttlichen Glauben außen vorgelassen, mehr auf die ethisch-kulturellen Werte. gesetzt. Feuerbach setzt an die Gottesliebe die Menschenliebe als die einzige, wahre Religion. Und an Stelle des Gottesglaubens den Glauben des Menschen an sich selbst. Diese Auslegung ist schon gewagt, denn sie verleitet viele Menschen, in den Narzissmus abzugleiten.“ „Hannes! Woran willst du das festmachen?“, fragt Pia. „Na, an bestimmten Verhaltensweisen! Meiner Meinung nach können wir diese Selbstliebe in übersteigerter Form im Verhalten vieler Managertypen und bei politischen Machthabern beobachten.“ „Hannes! Ich hatte dieses Verhalten auch bei einfachen Bürgern erlebt, die innerhalb einer Organisation das Sagen hatten. Planungen wurden in diesem Fall nur nach eigenen Kategorien ausgeführt. Ideen, die von anderen Mitspracheberechtigten eingebracht wurden, würgten sie ab; nur eigene Interessen wurden ungefragt den Beteiligten übergestülpt. Basta! Das Schlimme daran war, dass die fixen Ideen durch kein Argument zu berichtigen oder zu beseitigen waren.“ „Gerda! Du triffst den Nagel auf den Kopf. In diesen Fällen steht die Eigenliebe über der Nächstenliebe, das scheint eine ungesunde Variante des Glaubens zu sein.“ „Und… warum nennt ihr euch Glaubensgemeinschaft, obwohl ihr nicht religiös ausgerichtet seid?“ „Weil wir daran glauben, dass durch die ins Leben integrierten ethischen Werte die Menschenfamilie friedlicher zusammenleben könnte. Auch im Buddhismus zählen die gleichen Werte, wie Nächstenliebe, Achtung, Demut, Akzeptanz, Respekt; und vor allen Dingen Güte. Wir wollen nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern, wir wollen bemüht sein, im Kontakt mit den anderen Menschen deren Ansichten anzuerkennen und ihr Handeln zu verstehen . Leid wird es immer auf unserer Erde geben. Nur, wie nehmen wir dieses Leid an?“ „Dafür braucht es aber gute psychologische Kenntnisse!“, lasse ich mich vernehmen. „Maria! Wir arbeiten täglich daran, zu verinnerlichen, dass wir das Verhalten unserer Mitmenschen nicht ändern können, aber unsere eigene Einstellung zu ihnen. Bestimmt wird es nicht immer einfach sein, human mit einem Ekelpaket umgehen zu müssen.“ „Grandma! Humanitas nannten die alten Römer, besonders Cicero, die ethisch-kulturelle Höchstentfaltung der menschlichen Kräfte in ästhetisch vollendeter Form, gepaart mit Milde und Menschlichkeit. Es war damals schon eine, den Kirchen entgegentretende Bewegung, die in der heutigen Zeit wieder vermehrt Anhänger findet.“ „Da sagst du was, Doro! Humboldt hatte im Sinne seines Humanitätsideals praktisch und ideell an der Gründung der Universität Berlin im Jahre 1811 mitgewirkt. Aus seiner Reform des höheren Schulwesens ging das humanistische Gymnasium in seiner heutigen Gestalt hervor“, gibt Pia zu verstehen. „Richtig! Hier im Philosophischen Lexikon steht: In Humboldts Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, bestimmte er die Aufgabe des Staates dahin, für Schutz nach außen und Rechtssicherheit nach innen zu sorgen, im übrigen aber sich möglichst zurückzuhalten und der freien individuellen und nationalen Entwicklung Raum zu lassen.“ Das klingt doch vernünftig. Oder nicht?“ „Ja, Hannes, aber…! Mir scheint, die Menschenfamilie muss die Ärmel hochkrempeln und Staaten und Religionen reformieren, bevor sie die Früchte des Friedens ernten können“, lässt sich Karl-Heinz vernehmen. „Du sagst es, Papa! Aber ich glaube, Doro und mir reicht es vorerst, dass wir in der Gemeinschaft gut aufgenommen werden, dass die Kleine einen Kindergartenplatz erhält. Alles Weitere wird sich fügen.“ „Grandma! Kannst du mit diesen Erkenntnissen leben oder soll der Schopenhauer noch zu Wort kommen?“ „Und ob, Doro! Aber nur, wenn es nicht zu lange dauert. Die Berliner wollen bestimmt fahren.“ „Ach, was! Auf eine halbe Stunde mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an“, sagt Lars „Wo fange ich an? Es fällt mir schwer, seine These „Die Welt als Wille und Vorstellung“ in Kurzfassung wiederzugeben. Als ich mit ihm in Berührung kam, war ich begeistert von seiner Auslegung, die mich an Ideen der bisher besprochenen Philosophen, aber auch an die Werte des Buddhismus erinnerten. Dieses Allumfassende war es, was mich an diesem Menschen faszinierte. Vielleicht versteht ihr mich, wenn ich nur kurz aus dem Lexikon den letzten Abschnitt lese: Der Wille muss immer streben, weil Streben sein alleiniges Wesen ist, dem kein erreichtes Ziel ein Ende macht, das daher keiner endlichen Befriedigung, d.h. keines Glückes, fähig ist. Mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit stellt Schopenhauer das Leiden alles Lebens in allen seinen Formen und Betätigungen dar, das Leiden, aus dem es keine andere Rettung gibt als die Verneinung des Willens zum Leben, die letzten Endes Aufhebung des Individuationsprinzips bedeutet, Übergang ins Nichtsein (Nirvana). Diese Verneinung geht aus der Durchschauung des principium individuationis hervor; aus dem Sichwiedererkennen in der fremden Erscheinung, das Gerechtigkeit und Mitleid zur Folge hat. Mitleid ist das Fundament der Moral. Das Gefühl des Mitleids bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern, was Schopenhauer besonders betont, ebenso auf Tiere „Doro! Mit dem, was du vorgelesen hast, assoziiere ich den Joker im Lebensspiel. Es gibt für die Welt keine andere Rettung, als die Verneinung des menschlichen Willens zum Leben“, kommentiert Hannes diesen geistreichen Philosophen. „Kann es denn eine Verneinung zum Leben schon im Diesseits geben?“ „Doch, Pia! Der Dalai Lama ist das beste Beispiel dafür. Es nützt nichts, reformieren zu wollen. Der Wille nach Streben muss gebrochen werden, ach was, es muss die Bereitschaft vorhanden sein, sein Ich zu brechen. Jeder Einzelne muss seinem Ich den Willen brechen, damit sein Selbst sich finden lässt.“ „Klingt doch plausibel, Hannes! Der Mensch hat die Freiheit, seinen Willen zu brechen. Oder nicht?“, äußert sich Lars „Moment mal! Irgendwo habe ich gelesen, dass die Willensfreiheit gar nicht existieren kann, da ein Wille, der sich auf seine eigene Freiheit ausrichtet, ins Leere stößt“, widerspricht Knut. „Es mag ja so sein! Wir erleben es ja täglich. Der Einzelne hat die Freiheit, sich mit der Masse zu vereinen, dadurch könnte sein Wille verloren gehen, weil er sich instinktiv dem zuwenden würde, dessen Willen Überzeugungskraft leistet. Aber, wenn er seinem eigenen Ich den Willen brechen würde, käme er gar nicht erst in Versuchung; sein Selbst wird sich als eigentliches, vollwertiges Dasein erkennen. Oder?“ „Ja, auf alle Fälle, Doro! Aber, dass die Willensfreiheit nicht existieren kann, kam daher, weil der Freiheit die Möglichkeit genommen wurde, so zu handeln, wie man als Mensch will. Der Wille ist seinem Wesen nach stets freier Wille. Das Problem der Freiheit hat sich im Laufe der Philosophiegeschichte dadurch kompliziert, dass von vielen Denkern versucht wurde, aus dem Wesen der Freiheit auf die Pflicht des Menschen zu schließen, von seiner Freiheit keinen oder nur einen in bestimmter Weise eingeschränkt, Gebrauch zu machen. Eine solche Pflicht kann sich aber nie aus der Freiheit selbst, sondern nur aus ethischen Erwägungen ergeben. Eine dem Wesen nach unbeschränkte Freiheit muss gerade die Ethik voraussetzen, um den Menschen für sein Tun und Lassen uneingeschränkt verantwortlich machen zu können. Erst seit der Aufklärung kommt ein vom Liberalismus und der Naturrechts-Philosophie getragener Begriff von Freiheit auf, gedämpft durch die wissenschaftlich immer mehr vertiefte Einsicht in das Walten allmächtiger Naturkausalität und Naturgesetzlichkeit. Und da sind wir wieder bei Schopenhauer, seiner Wesensentsprechung und Wesensentfaltung sittlich-schöpferischer Art, an deren Verwirklichung zu arbeiten, zukünftig unsere Hauptaufgabe sein müsste, damit wir Mitgefühl für das Leid der Lebewesen aufbringen können. Gerechtigkeit und Mitgefühl als Fundament der Moral, das ist ein ganz toller Gedanke, passt zu den humanistischen Werten.“ „Gäbe es dann keine Kriege mehr?“ „So ist es Gerda! Unsere Regierung würde demzufolge ehrlich mit seinem Volk umgehen, würde den Menschen die Wahrheit sagen.“ „Und… was wäre die Wahrheit?“ „Das Eingestehen von schwerer Schuld unserer deutschen Beteilung an illegal geführten Kriegen. Bis heute ist die Rechtssprechung der Nürnberger Prozesse von 1945, die den Krieg als politisches Instrument verbietet, im internationalen Recht fest verankert, das heißt, die UN-Charta, die für alle Staaten bindend ist, erlaubt keine militärischen Interventionen. Dennoch wird Krieg geführt und Deutschland ist wieder mit dabei, obwohl gerade wir Deutschen eine besondere Verantwortung für die Wahrung des Friedens übernehmen müssten.“ „Ach, Hannes! Du siehst, wie schwer es den Verantwortlichen fallen wird, den Übergang ins Nichtsein zu finden. Nur wenige der in den Führungsriegen Verweilenden werden ihren eigenen Willen brechen. Es gibt nur eine handvoll auserlesener und hochwertiger Menschen, die wirklich fähig sind, zu führen. Bloße Anhäufung von Gesetzen haben bisher total versagt“, lässt sich Grandma vernehmen und gibt damit das Zeichen zum Aufbruch. Nach herzlicher Verabschiedung der Berliner, bleibt mir bis zum Samstag meine Familie erhalten. Ich werde meinen müden Gliedern, auf dem Sofa liegend, ein wenig Ruhe gönnen, bevor wir gemeinsam einen Spaziergang unternehmen und Irmgard nach Hause begleiten. Die kleine Nanne ist unbemerkt zu mir gekrabbelt, hat sich hochgezogen und zeigt mir, dass sie zu mir auf das Sofa will. Bevor ich mich aufgerichtet habe, ist Hannes zur Stelle, legt das kleine Persönchen neben mich, behutsam deckt er uns mit einer leichten Decke zu. Ganz ruhig verhält sich Nanne an meiner Seite. Nach einer Weile öffne ich meine Augen, blicke in ihre, die mich anschauen. Mit welchem Ernst sie mich betrachtet! Der kleine Finger interessiert sich für meine Sinnesorgane. Zögernd wird er in ein Nasenloch gesteckt, an die Lippen gedrückt, in mein Ohr versenkt, will in meine Augen wandern. Ich halte ihn zurück. Lächelnd schließe ich sie wieder, überlasse mich der Müdigkeit und dem warmen Körper, der ruhig neben mir liegt. Verschwommen dringen leise gesprochene Worte an mein Ohr, die ins Traumland eintauchen. Die Bewegung des kleinen Körpers weckt mich, bevor ich die Geräusche aus der Küche wahrnehme. Wieder dieser intensive Blickkontakt! Bedächtig richte ich mich auf, hebe Nanne vom Sofa herunter. Gleich trippelt sie mit einer Geschwindigkeit zur Küchentür, dass mir angst und bange wird. Also eile ich mit meinen alten Knochen hinter der Kleinen her. Ihre Patschhändchen klopfen gegen das Holz; von Innen wird geöffnet. Ich erblicke das „Mensch ärgere dich nicht Spiel“ auf dem Tisch und fünf erhitzte Gesichter drum herum. Nanne trippelt zu Gerda, die als Nächste zu erreichen ist, hält sich an deren Bein fest. Ich steuere den leeren Stuhl an. „Na, habt ihr Spaß?“ „Was heißt Spaß, wenn man ewig rausgeschmissen wird?“, fragt Gerda lachend, dabei hebt sie die Kleine auf den Schoß. Nanne fackelt nicht lange, mit einer raschen Armbewegung wischt sie die Püppchen vom Brett und freut sich diebisch, dass sie dem Spiel ein Ende bereiten konnte. Die frische Luft wird uns gut tun! Wer heute versucht, etwas Bewahrenswertes zu bewahren … (Auszug aus dem Buch „3+4un=5 – Wenn Grandma erzählt“) Schnell sind wir wieder in dem gewohnten Trott. Die Wochen vergehen. Von Pia kommt die Benachrichtigung, dass die Bilder im Februar aufgehängt werden und bis Anfang April hängen bleiben. Die Vernissage wird auf den 11. Februar gelegt. Pia bittet mich, die Bilder gemeinsam mit ihr aufzuhängen, damit die jeweiligen Texte den richtigen Bildern zugeordnet werden. Sie vertritt die Meinung, ich wüsste, was Grandma aussagen wollte. Dabei bin ich mir nicht so sicher, aber neugierig. Da ich mir die gerahmten Texte nicht durchgelesen hatte, vertraue ich darauf, dass Grandmas Geist mir intuitiv behilflich sein wird! Hannes schmunzelt, als ich ihm diese Version erzähle. Die leeren Räumlichkeiten überlässt uns Deborah G. ab 1. Februar. Zeit genug, um die zwanzig Bilder im Atelier zu platzieren. Ich staune nicht schlecht, als mir Pia die Texte reicht. „Das sind ja Geschichten aus meiner Kindheit!“ Ruhe kehrt ein, da ich schweigend, in der hintersten Ecke sitzend, die Texte auf mich wirken lasse. Das erste Bild „Geistiges Ohr“ erzählt von dem Regenbogen. Erinnerungen an den gemeinsamen Spaziergang über das Feld, als sich das Farbenspektrum am Himmel unseren Augen offenbarte, tauchen auf. Mit dem zweiten Bild „Quelle des Ursprungs“ wird der Tropfen in Verbindung gebracht. Das dritte Bild ist riesig, sehr eigenwillig mit roter Farbe gestaltet, auf einem weißen Baumwolltuch. Für Grandma war es das „UnHeil-Tuch“, dem sie die Entstehung des Menschen zugeordnet hat. Die weiteren siebzehn Bilder bekommen kleine Schildchen mit der jeweiligen Bezeichnung und dem Hinweis auf die Broschüre, aus der entsprechende Deutungen entnommen werden können. Wir lassen uns drei Tage Zeit für das Aufhängen und Gestalten. Pia ist angetan von dem, was sich an den Wänden präsentiert. Für das UnHeil-Tuch haben wir die Schmalseite des Ateliers gewählt. Es hängt allein, spricht für sich. Auf schwarzem Untergrund kommt das auf ein Holzkreuz gespannte Baumwoll-Dreieck von zwei mal zwei Meter wunderbar zur Geltung. Ein Bild, das Geschichten eingefangen hat, welche vom verwundbaren Leben erzählen. Pia will mich davon überzeugen, dass ich diejenige sei, die den Gästen vermitteln könnte, was Grandmas Augen auf dem Bild erblickt hatten. Nur, ich bin nicht von mir überzeugt! Die Tränen sitzen immer noch locker. Wer weiß, was dieses Bild am Eröffnungstag mit mir macht? Ich bitte Pia um Bedenkzeit, da ich bei Hannes Rat einholen möchte. Er ist derjenige, der mir Mut zuspricht. Der mir versichert, dass Tränen fließen dürfen, ich mich ihrer nicht schämen müsste. Hannes, mein Mann macht mir Mut, gibt mir Kraft. Also willige ich ein. Zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung informiert mich Pia darüber, dass ein aus Israel stammender Kurator in Berlin weilt. „Er sucht für seine Stiftung neue Anreize, im Atelier erblickte er die Bilder und möchte sie nach Israel holen. Doro, das ist die Chance! Überlege mal, Grandmas Bilder gehen auf Wanderschaft!“ „Pia, ich kann es nicht glauben. Warte ab, was die Eröffnung bringt. Er wird doch bestimmt anwesend sein, oder?“ „Nein! Bestimmt nicht. So viel ich weiß, steht er mit Deborah G. in Kontakt. Hat wohl schon des Öfteren in ihrem Atelier Bilder entdeckt, die in seiner Heimat ausgestellt wurden. Nach dem Abhängen sollen sie versandt werden.“ Besagter Tag ist da! Die Aufregung groß! Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich auf einer Vernissage im Mittelpunkt stehen werde. Pia lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, sie kennt die Abläufe. Ich kenne sie aus Sicht der Besucherin, einer, die diese Veranstaltungen genießt, Bilder bestaunt, manchmal auch zu einem Bild Kontakt aufnimmt. Diese neue Rolle ist mir fremd. Grandmas Bilder sind mir fremd. Habe sie nie zu Gesicht bekommen. Aber die Geschichten dahinter, die kenne ich. Meine Lieben geben mir Halt. Gerda und Karl-Heinz haben sich nicht nehmen lassen, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Die Berliner Freunde sind da. Hussein und Lore sind angereist, haben sogar Irmgard mitgebracht. Hannes und meine Arbeitskollegen mit Frauen erblicke ich in dem kleinen Atelier. Ach, und hinten in der Ecke stehen Marion und ihr netter Begleiter. Es scheint eng in dem Ausstellungsraum, so viele Menschen, die erschienen sind. Ich bewundere Pia. Sie geht so souverän mit der Situation um, ist eine bekannte Persönlichkeit in der Kunstszene. Ihr Lächeln, das mir gilt, vertreibt meine Scheu. Ich werd verrückt! Nach ihrer Ansprache stimmt ein Klavierspieler im Hintergrund an: Lang, lang ist es her… Meine Augen suchen Hannes. Sein Blick, aus der Menge heraus auf mich gerichtet, ist undefinierbar. Oh, Himmel hilf, was macht er denn? Er kräuselt seine Nasenflügel, lächelt verschmitzt zu mir herüber. Mit Mühe kann ich ein Lachen zurückhalten; ja nicht losprusten. Ach, Grandma, hilf! Nachdem der letzte Ton verklungen ist, übergibt Pia an mich das Mikrofon, nickt mir aufmunternd zu: „Doro, jetzt du!“ Noch einmal tief durchatmen, dann erzähle ich nach meiner Begrüßung den Gästen: „Das UnHeil-Tuch war Grandmas letzte bildnerische Arbeit. Es entstand im April/Mai 2015. Auf ein Baumwolltuch wurde zuerst der Tropfen gemalt, dann ruhte die Arbeit mehrere Wochen. In Gedanken entstanden innere Bilder, die sich beim Auftragen auf das Baumwolltuch verselbstständigten, eine eigene Dynamik entwickelten. Und... das Endprodukt an der Wand verlangt nach Erklärung. Im linken Dreieck zeigt sich die Symbolik des Unheils anhand von drei schrecklichen Kriegsereignissen. Der obere Bereich deutet den Abwurf der zwei Atombomben im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki an, denen der Abwurf von Napalm-Bomben vorausgegangen war. Im unteren Bereich wird die Auflösung der Konzentrationslager nach Ende des Zweiten Weltkrieges thematisiert. Den Namen des Lagers Auschwitz hatte sie für ihre Betrachtungen ausgewählt und deren Buchstaben transformiert. Unerklärlicherweise verschob sie diesmal die Konsonanten, die Vokale blieben an ihrem Ort. (Die hebräische Schreibweise gibt nur die Konsonanten vor. Die Vokale lassen sich beim Lesen des Wortes finden, d.h. der Körper eines Wortes wird beseelt.) Sie war entsetzt, als sie feststellte, welche Tragik sich hinter der Doppeldeutung verbarg. Erschreckend, welch negative Kraft und Energie von diesem Ort ausgehen, wenn die Konsonanten versetzt werden. Das Böse erneut herauf beschworen wird – Die Gefahr der Leugnung des Holocaust – Der dritte Bildausschnitt an der Verbindungslinie zeigt das „Schmerzgepeinigte Embryonale“, das für den Vietnamkrieg (1954–1975) steht. Aus dem aufgerissenen Bauch quillt das panische Entsetzen eines nackten Kindes. Aus dem Himmel fiel tausend Grad heißes Napalm-Gel, mit dem der Körper des Mädchens überzogen wurde. Sie konnte von einem spontan reagierenden Journalisten in das nächste Krankenhaus gebracht und dadurch gerettet werden. Ihre Geschichte ging um die. ganze Welt. Drei schreckliche Ereignisse, die mahnend für alle gewesenen, für die in der Gegenwart herrschenden, und für die, auf ihre Geburt wartenden Gewaltszenarien stehen. Aktuell können wir benennen: die afrikanischen Staaten, den Irak, Afghanistan, Syrien, die Ukraine, Frankreich, Belgien, Deutschland, und, und. Alle diese von Krieg und Terror heimgesuchten Staaten quellen aus dem „Schmerzgepeinigten Embryonalen“, sind Wirklichkeit, erfahrbare, schmerzende Wirklichkeit geworden. Alle daraus resultierenden wunden Seelen der gequälten, vergifteten, vergasten, massakrierten, verbrannten, verstümmelten und misshandelten Opfer warten auf Erlösung. Die heutige Erkenntnis geht davon aus, dass die Schatten der Vergangenheit über Generationen hinweg, als kollektives Trauma mitgeschleppt werden. Tröstlich ist der Glaube, dass die verzweigten Wurzeln der Seelen Brücken schlagen und Heilung bewirken können, durch den Schritt der Vergebung. Die Seele ist mehr, als das, was wir wissen. Vielleicht ist der Mensch aus dem Stoff von Generationen gewebt, vielleicht sehnt sich das Kind im Menschen wirklich nach Heilung, nach Frieden! Und mit diesem „Vielleicht“ geht der Blick zum rechten Dreieck. In ihm zeigt sich neues Leben, welches aus dem Füllhorn des Jenseitigen durch die Liebe Erfüllung findet und somit Heilung und Harmonie. Das Kind in seiner Erfüllung kann nur sein, wenn es als Voraussetzung die Erfüllung von Mann und Frau hat. Das, was als Satz des Philosophen und Mathematikers Pythagoras gilt, ist im Wesen Ausdruck eines allgemeinen Lebensgesetzes, das in geometrischer Form, in einem Dreieck zeigt, wie aus dem Mann-Prinzip (3) und dem Frau-Prinzip (4) als These und Antithese durch einen rechten Winkel in ein Verhältnis gebracht, das Kind-Prinzip (5) als Synthese hervorgeht, indem es seinerseits die Eltern als Hypotenuse verbindet. Durch dieses Bewusstmachen des allgemeinen Lebensgesetzes kann der Mensch wieder als Seelenwesen in seiner Versöhnungs- und Heilungsbedürftigkeit neu entdeckt werden. Schauen Sie selber. Das „UnHeil-Tuch“ vermittelt ein Gespür dafür, wie geheimnisvoll und gleichzeitig doch so verwundbar Leben ist. Am Ende siegt die Liebe über das Chaos. Die Materie bringt durch die Liebe die Form alles Erscheinenden in die Welt. Die Liebe ist das Fundament für die innere Ordnung im Menschen und letztendlich für den Frieden

Haikus. Haikus entsprechen einer Trichotomie, einer Dreiteilung. Sie sind eine Abfolge von drei zusammengehörenden Verszeilen. Der Vers besteht aus siebzehn Silben, die als 5 + 7 + 5 Silben einen Dreizeiler ergeben. Die Gliederung wird in drei Stufen vorgenommen, z. B. Gliederung des Menschen in Leib, Seele und Geist. Es entsteht ein Wortgeflecht, welches als Symbolik die Verbindung des kleinen Ichs zum höheren Selbst in einer Kurzgeschichte darstellt *** Drei Affen in Not. sind hörend – sehend – sprechend. wendendes Sinnbild *** Entweder – oder. Haltung bringt keinen Frieden. Taube ohne Ziel. Sowohl – als auch – Geist. löst erstarrtes Denken auf. in Demokratie *** Donald krönt Bibi. Wahlgeschenke ausgepackt. Der Rest ist Schweigen. Der König nutzt Macht. Angst als Verbündeter bleibt. Kampfmittel zum Zweck. Bibis Wahrheit zählt. auf viele Unterstützer. Kreuz nach rechts gerückt *** Hass regiert Hass. Liebe keine Zukunft kennt. Wolf wird kaltgestellt *** Menschen verplanen. die Natur dem widersteht. durch Animation. Herzenswärme flieht. Globalisierung entsteht. scheinbar nutzbringend. Der Gezeitenstrom. schenkt Wärme und Licht. wendet Energie *** Panzer rollt erneut. mordend durch Kurdengebiet. kein Gewissen schlägt. Schweigende Tränen. geweint in fremder Heimat. Erde blutgetränkt. Gleicher Panzer rollt. mordend durch das Heimatland. Bumerang kehrt heim *** Das Meer bäumt sich auf. Wind sendet der Wellen Lied. bis an Feindesland. Wasser trennt Menschen. Flucht besiegelt das Schicksal. durch Schlepper verführt. Der Gezeitenstrom. Spielball der Elemente. im Spiegel der Zeit *** Komm schwarzer Vogel. Schau ins Fenster des Frühlings. Beginn dein Werben. Gefiederter Freund. stimm an deinen Lobgesang. vom Kirschblütentraum *** Lieben mit Verstand. füllt Leben in Zweisamkeit. für immer Freundschaft. Ort der Gefühle. offen für die Freundschaft wird. Seele ist bereit *** Wohin gehst du Herz. öffne dich der Zärtlichkeit. auf leichten Flügeln. Lass Wandel geschehen. halte nicht an Regeln fest. lebendiger Traum. Dunkelheit vergisst. Sonnenschein wird ausgesperrt. Schatten im Mondlicht *** Stunde aus dem Takt. im Körper als Wahrheit bleibt. Schlaf nimmt sich die Zeit. Leben zählt auf Zeit. Geist beflügelt die Liebe. Schmerzen weggetickt. Lach fort die Trauer. finde Wege aus der Nacht. du kostbare Zeit *** Gestern ist vorbei. Morgen wird gespeist vom Jetzt. Heute wird gelebt. Zukunft schlummert noch. Sonne flutet das Morgen. Licht am Traum sich bricht. Schau hin Augenblick. nimm von Zärtlichkeit die Scham. löse die Fesseln. Zärtlichkeit berührt. gibt dem Menschenbild Profil. öffnet die Herzen *** Wer mit dem Ohr hört. den Klang seiner Seelenqual. schreit nach den Wurzeln. Höre mit dem Herz. das Räuspern deiner Heimat. vertrau dem Tönen. Lass dein Herz sprechen. vom Fremdsein in der Fremde. stell dich der Trauer. Wer mit dem Herz lauscht. dem Schritt der Lebendigkeit. versteht den Rhythmus *** Traumland der Kindheit. sucht das Verlangen im Licht. und erzeugt Wachstum. Beschränktes Blickfeld. verwöhnt Zeugen von Wandlung. durch bunte Vielfalt. Zwei Hände greifen. die Last des Begreifens auf. und finden Wahrheit *** Fisch flieht den Menschen. in wartenden Fangnetzen. schwindet die Freude. Mensch entflieht Fakten. Gewinn eigener Wahrheit. aus Hirngespinsten. Angst sucht Triebfeder. im Netz fängt sich Argument. zählt eine Wahrheit. Mensch flieht den Menschen. das Wort trennt und verbindet. Standpunkt bringt Frieden *** Lebenskunst vergaß. Mitsommernachtstraum schreckt auf. die Seele schleicht fort. Träumt der Schmetterling. im Wachzustand Mensch zu sein. oder träumt der Mensch. Zeig dich Mensch im Traum. wach auf und wandele dich. zarter Schmetterling. Schmetterling flieht Mensch. Schattenreich auf Seelen trifft. Gewänder fallen *** Stille spricht zu uns. im Wechsel der Jahreszeit. lausche den Stimmen. Wispernd lockt der Wind. zum Strom der Lebendigkeit. Froschkonzert erklingt. Sonnenstrahl vergeht. grüßt den letzten Schmetterling. Sommerkleid weht fort. Der Herbst reich an Frucht. füllt mit Buntheit das Leben. wie kostbar die Zeit *** Frühling lockt Samen. spürt seine Kraft im Sein. erkennt sein Werden. Farben leicht getupft. Formenzauber in Natur. schmeicheln dem Sommer. Sommer in der Luft. Schwüle drückt den Sonnentag. Wind streift den Abend. Scheidender Sommer. schenkt stürmischem Herbstwind. Blätter bunt gefärbt. Jungfräuliches Feld. empfängt tanzende Flocken. in Schnee gebettet *** Fuß am Abgrund hält. in Händen die Entscheidung. Leben oder Tod. Auge ins Licht blickt. der Verstand die Sonne trifft. Frieden im Herzen. Ohr lauscht dem Urklang. offenbart sich dem Leben. durch den Mund geweckt *** Wenn du Leben willst. biete Schicksal deine Stirn. vergehender Tag. Mach die Nacht zum Freund. der Sterne strahlendes Licht. beginnender Tag. Nimm Gegensätze. als Geschenk der Schöpfung. scheidendes Leben *** Alltag fordert mehr. Mensch zerbricht an Gegenwart. Geist bleibt gefangen. Das Körperliche zerfällt. Wird dem Fortschritt geopfert. Die Wissenschaft sucht. Seele in Baum blickt. Vision erkennt Zukunft. durch Wandlung wachsen. Schwesterbruder Baum. fügt sich in die Gezeiten. Mensch gewinnt Freiheit *** Fuß ohne Zehen. spürt noch sein ganzes Heilsein. geht auf im Nutzlos. Seele verkümmert. verliert Kontakt zum Ganzsein. dürstet nach Nutzlos. Himmel und Erde. spiegeln Innen und Außen. lassen Nutzen los. Vögel der Lüfte. tragen den Schein und das Sein. Piepsen schenkt Einsicht. Wanderer der Zeit. auf den Schwingen des Todes. tauch ein in den Raum. Lass dich berühren. vom Geheimnis der Natur. sag ja zum Dasein *** Jeder Tag vergeht. in der Freude auf Morgen. entsteht neues Licht. Eins – Sonne und Mond. Himmel und Erde – vereint. weiblich und männlich. Perlender Regen. Tropfen speichert Energie. für wahre Ernte *** Der gelebte Schlaf. zeigt die Träume des Tages. Zeit tickt das Diesseits. Traum opfert Träumer. die Welt hält den Atem an. jenseits von Eden

Quellennachweis

Добавление нового отзыва

Комментарий Поле, отмеченное звёздочкой  — обязательно к заполнению

Отзывы и комментарии читателей

Нет рецензий. Будьте первым, кто напишет рецензию на книгу Mensch, wach auf! Gönn dir 'ne Pause
Подняться наверх