Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich – anders als Kants praktische Vernunft – in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die Entrüstung zum Mittel geistiger Auseinandersetzung. Um zu ermessen, was hierbei auf dem Spiel steht, verlangt Egon Flaig geistesgeschichtliche Rückbesinnung. Er fragt zum einen, welche Diskurse eine antiuniversalistische Einstellung legitimiert und vorangetrieben haben; und er erörtert zum anderen, weshalb die politische Vernunft auf historische Verankerung angewiesen ist. Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalismus.
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Egon Flaig. Die Niederlage der politischen Vernunft
Inhalt
Vorwort: Drei grenzenlose Aussagen
I.Die politische Vernunft vor ihrem höchsten Zweck
IV.Heiliger Ausbruch aus dem Universalismus – Michel Foucault
V.›Recognition‹ – eine moralisch gerechtfertigte Apartheid
VI.Die Wahrheit unterm Stiefel der Antidiskriminierung
VII.Gedächtnispolitik – die »Therapie durch die Lüge«
VIII.Die Kritische Theorie und die Abdankung der Republik
IX.Rechtlich betriebene Auflösung des Politischen
X.›Unpolitik‹ – zum Verhältnis von Wahrheit und Öffentlichkeit
XI.Ohne Feindschaft keine Werte – ohne Rückbesinnung keine Aufklärung
Schlußbemerkung: Freiheit und Dankbarkeit
Anmerkungen
Literaturhinweise
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EGON FLAIG
Die Niederlage der politischen Vernunft
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»Allgemeine Regeln und Bedingungen der Vermeidung des Irrtums überhaupt sind 1) selbst zu denken, 2) sich in der Stelle eines andern zu denken, und 3) jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken. – Die Maxime des Selbstdenkens kann man die aufgeklärte; die Maxime, sich in anderer Gesichtspunkte im Denken zu versetzen, die erweiterte; und die Maxime, jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken, die konsequente oder bündige Denkart nennen.«13
Das ist verwunderlich. Will man Irrtümer vermeiden, dann müßte es doch um Erkenntnis gehen; daher müßte Kant eigentlich von den kognitiven Vermögen sprechen, also von Verstand, Vernunft, Einbildungskraft und Urteilskraft. Statt dessen nennt er drei Maximen, also drei Anweisungen für Tätigkeiten. Maximen zielen aufs Verhalten; selbst wenn sie nicht direkt moralisch zu nennen sind, so sind sie auf jeden Fall von ethischer Qualität. Der ›Gemeinsinn‹, welcher vor Irrtümern schützen kann, ist somit letztlich eine Kombination von drei ›Haltungen‹. Und solche sind selbstverständlich erlernbar und durch Übung zu steigern. Von diesen drei Maximen ist die mittlere von überragender Bedeutung für die Heranbildung der Urteilskraft. Die »erweiterte Denkungsart« beinhaltet, daß der Mensch über sein eigenes Urteil reflektiert, indem er einen allgemeinen Standpunkt ersteigt; und das gelingt, wenn er gelernt hat, die Standpunkte anderer einzunehmen.