Die Rückkehr der Zeitmaschine
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Egon Friedell. Die Rückkehr der Zeitmaschine
Einleitung
Vorerinnerung
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Schluß
Epilog
Отрывок из книги
Ehe der Bericht des Mr. Transic anhebt, sei eine kurze Zwischenbemerkung eingeschaltet, die aber eigentlich für normal intelligente Personen überflüssig ist. Sie richtet sich nur an zwei Gruppen von Menschen: Die völligen Ignoranten und jene Sorte von superklugen Eseln, die mit ihrer banalen Skepsis alles anzunagen versuchen, die Leute vom Schlage jenes Monsieur Pérès, der in einem dicken Buch den Beweis unternahm, daß Napoleon niemals gelebt habe, vielmehr nichts anderes sei als eine Personifikation der Sonne, und der ›Baconianer‹, deren radikalster Flügel erklärt, daß nicht nur Shakespeare, sondern auch Cervantes Pseudonyme seien, unter denen Bacon geschrieben habe.
Es sind nämlich bis in die jüngste Zeit immer wieder Zweifel laut geworden, ob die Zeitmaschine wirklich existiere, ja auch nur möglich sei, Zweifel, die sich nur aus neidischer Mißgunst, wie sie großen Erfindern zu allen Zeiten entgegengebracht wurde, oder aus völligem Mangel an physikalischen Kenntnissen erklären lassen. Zumal seit dem Hervortreten der Relativitätstheorie sollte niemand mehr den Mut haben, Einwände vorzubringen. Der Zeitreisende sagt zur Erläuterung seiner Maschine ungefähr folgendes: »Es ist Ihnen sicherlich bekannt, daß eine ›mathematische‹ Linie, eine Linie von der Dicke ›null‹ keine materielle Existenz besitzt. Das ist eine pure Abstraktion. Ebensowenig kann ein Würfel, der bloß Länge, Breite und Höhe besitzt, eine reelle Existenz haben. Die meisten Menschen sind zwar dieser Ansicht. Aber denken Sie einmal einen Augenblick nach: kann ein momentaner Würfel existieren? Ich meine: kann ein Würfel, der keinerlei Zeitdauer besitzt, eine reelle Existenz haben? Daraus folgt, daß jeder materielle Körper eine Ausdehnung nach vier Richtungen aufweisen muß: er muß Länge, Breite, Höhe und – Dauer besitzen. Es gibt also vier Dimensionen, drei, die wir die drei Ebenen des Raums nennen, und eine vierte: die Zeit. Die Wissenschaft weiß sehr gut, daß die Zeit nur eine Abart des Raums ist. Betrachten Sie einmal ein ganz populäres wissenschaftliches Diagramm, diese Wetterkarte. Die Linie, die ich mit meinem Finger nachziehe, zeigt die Bewegung des Barometers. Gestern früh war er so hoch, gestern nachts fiel er, heute morgens stieg er wieder und so weiter. Das Quecksilber hat doch offenbar die Linie in keiner der landläufigen Richtungen des Raumes gezogen? Aber ganz zweifellos zog es eine Linie, und die Linie hat sich, so müssen wir schließen, längs der Zeitdimension bewegt.«
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Die Bemerkung des Zeitreisenden, daß die Zeit nur eine Abart des Raums sei, war eine geniale Antizipation der Relativitätstheorie. Diese hat einwandfrei festgestellt, daß jedem Ort eine bestimmte Zeit zugeordnet ist, daß die Zeit eine Funktion des Orts ist. Deshalb verwenden wir auch für Zeit und Raum ein gemeinsames Maß: diese Einheit ist ein ›Zeitmeter‹, das heißt: die Zeit, deren die Lichtkraft zum Zurücklegen eines Meters bedarf. Das Licht hat bekanntlich eine Geschwindigkeit von dreihunderttausend Kilometern in der Sekunde, folglich braucht es zu einem Kilometer eine Dreihunderttausendstelsekunde und zu einem Meter den tausendsten Teil davon: eine Dreihundertmillionstelsekunde. Dies ist ein Zeitmeter. Ein Zeitmeter erscheint uns als äußerst geringfügige Größe, aber das ist eben ein relativer Standpunkt! Er ist in der Langsamkeit unseres Auffassungsvermögens begründet. Hätte dieses annähernde Lichtgeschwindigkeit, so würden wir sehr wohl bemerken, daß die Zeit sich bewegt. Aber dafür würden wir wiederum so gut wie gar nicht wahrnehmen können, daß der Raum sich bewegt und die Dinge in ihm! Wir könnten es nur durch ›astronomische‹ Beobachtungen erschließen, ähnlich wie wir jetzt durch solche Beobachtungen die Bewegung der Zeit erschließen. Denn für ein so blitzschnelles Auffassungsvermögen würde es keine fallenden Steine geben, sondern nur schwebende, die während eines Menschenalters kaum merklich von der Stelle rückten, und Greise würden ihren Enkeln von der Geschichte dieser Steine erzählen; und der Flug der schnellsten Kanonenkugel würde einen Meter in etwa sechs Tagen zurücklegen, wäre also in der Tat ein ›astronomisches‹ Ereignis. Umgekehrt braucht das uns verliehene Auffassungsvermögen zum Zurücklegen eines Zeitmeters (da das Jahr rund 311/2 Millionen Sekunden zählt) fast zehn Jahre: kein Wunder, daß wir diese Größe nicht bemerken oder, wie die Mathematiker zu sagen pflegen ›vernachlässigen‹. Die Körper haben für uns keine Ausdehnung in der Richtung des Vorher und Nachher: wir glauben, ein Körper von der Dimension vier Uhr nachmittags sei derselbe, der er war, als er noch die Dimension vier Uhr früh besaß, bloß weil seine übrigen drei Dimensionen sich nicht verändert haben. Aber er ist derselbe nur in unserem Bewußtsein. Einen ähnlichen Fehler machte die Antike, als sie annahm, die Erde ruhe unveränderlich an ihrem Platze, weil es für den Augenschein so aussah. Und wir glaubten, die Zeit ruhe unveränderlich an ihrem Platze. In der Praxis des täglichen Lebens spielen beide Irrtümer ja auch tatsächlich keine Rolle. Die Sonne geht für uns noch geradesogut auf und unter wie für Ptolemäus, keinem Menschen fällt es ein, zu sagen: die Erde geht unter. Und ebenso können wir auch getrost an der Fiktion festhalten, die Zeit seit etwas Fixes, der ruhende Schoß, in dem die Körper schlafen. Es ist ein Vorurteil, aber ein ungefährliches. Wir werden die junge Dame am Boskett dennoch finden, und wenn sie unpünktlich ist, kann sie sich nicht auf die vierte Dimension ausreden. In Wirklichkeit aber sind das Fixe wir, die sich nicht in der Zeit bewegen können.
Wir. Aber nicht der Zeitreisende. Denn obgleich er kein Gespenst ist, so vermag er doch die vierte Dimension auf und ab zu gleiten, wie wir die dritte. Seine Erfindung beruht auf einer höchst einfachen Erwägung, einer so einfachen, daß er es für überflüssig gehalten hat, sie zu erläutern. Übrigens sind fast alle genialen Erfindungen einfach, Kolumbuseier. Zum Beispiel der Feuerbohrer, der Flaschenzug, die Töpferscheibe. Und doch hat es zweifellos sehr lange gedauert, bis man ihr Prinzip entdeckte. Oder gibt es etwas Einfacheres als die Dynamomaschine? Der elektrische Strom magnetisiert Stahl, der Magnetismus des Stahls vermag umgekehrt elektrische Ströme zu erzeugen. Werner Siemens ließ durch den Strom den Magneten verstärken und durch den Magneten wieder den Strom und erhielt durch dieses sich immer mehr steigernde Wechselspiel eine starke und dauernde Kraftquelle, die das Antlitz der Erde verändert hat. Man sollte meinen: darauf hätte jeder Gewerbeschüler kommen müssen.
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