Das heimliche Spiel
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Das heimliche Spiel
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Отрывок из книги
Obwohl ich noch keine genügende Zahl von Jahren gelebt habe, um es glauben zu können, bin ich doch beinahe sicher, daß ich jenes kleine Mädchen gewesen bin. Deutlich sehe ich die enge, schmutzige Straße, wo die Risse in dem alten Verputz Figuren und Flecken zeichneten. Das fünfstöckige Haus, in dem meine Familie das oberste Stockwerk bewohnte, war das höchste der Straße. Am Ende stand die Synagoge.
Ich war nicht älter als sechs Jahre. Von den Fenstern aus sah ich die bleichen Männer vorübergehen, die dunkelhaarigen Frauen mit fast immer vulgärem oder finsterem Gesichtsausdruck, die halbnackten Kinder, die grau waren vom Staub. Gegenüber sah ich ein gelbliches Haus mit Strohmatten vor den Fenstern, und an der Seite einen geräumigen Hof, in dem kein Gras wuchs.
.....
Mir war ein schlimmes Mißgeschick passiert: Mein Vater hatte mir ein Geldstück gegeben und mir aufgetragen, drei Zahlen im Lotto zu spielen. In Phantastereien versunken, hatte ich auf dem Rückweg vom Lottobüro den gekauften Zettel mit den Zahlen verloren. Fieberhaft war ich durch alle Straßen geirrt, hatte leise schluchzend den Staub durchwühlt. Nichts. Dann hielt ich inne, kauerte mich im nächtlichen Schatten der Synagoge neben die hohe Mauer. Ich überlegte mir, daß ich nicht mehr nach Hause zurückkehren, aus dem Ghetto fortgehen, die Stadt verlassen und sterben würde. In dieser Stunde und bei diesem Gedanken rief ich meinen Vater mit dem Spitznamen, den die Leute ihm gegeben hatten: »Krummbuckel«. Wie oft war ich gefragt worden: »Bist du die Tochter vom Krummbuckel?« Und jetzt in meiner Angst gingen mir neue Gedanken wie frevelhafte Blitze durch den Sinn: »Der Krummbuckel wird mich schlagen. Warum darf er mich eigentlich schlagen? Ich bin klein, aber hübsch, ich habe zwei lange Zöpfe und kann lesen. Er ist bucklig. Ich will nicht von ihm geschlagen werden. Aber ich habe den Lottozettel, der vielleicht gewonnen hätte, verloren. Ich habe etwas Schlimmes angestellt; der Zettel gehörte ihm, und deshalb wird er mich schlagen. Und meine Mutter wird mich verfluchen. Das ist die Strafe. Ich bin herumgestreunt und habe die Häuser, die Fenster und Gesichter angeschaut, ohne an den Zettel zu denken; ich habe gesündigt. Auch Jusvin hat gesündigt, und Gott hat ihn bestraft.«
Ich sehe Jusvin im Angesicht des Herrn. Der Herr hat weder Leib noch Gesicht; er ist wie eine Gewitterwolke, wie der Schatten eines Berges: »Erbarmen, Herr, ich habe es für meine Kinder getan! Wasser für meine Zunge, Schlaf für meine Augen, Mitleid mit meinem ruhlosen Wandern, das mich die friedvollen Toten beneiden läßt.« Dies sind die Worte, die sich niemals auf seinen Lippen formen und die er in seiner Kehle begräbt. Sein Mund verzerrt sich, stößt gurgelnde Laute aus; Jusvin gestikuliert und windet sich. Aber Gott, der Gestaltlose, antwortet nicht. Sein Schweigen bedeutet: Du bist ein Dieb.
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