Spreelore
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Die Witwe Anna Lorenzen lebt mit ihrer Tochter Lore allein in der Berliner Friedrichsgracht nahe der Spree, seit ihr Mann, Lorenz Lorenzen, womöglich angetrunken von seinem Kahn in die Spree gestürzt ist. Sein Körper wurde nie gefunden, und er ist seit langem für tot erklärt worden. Doch Anna traut dem Verflossenen nicht nach. Tochter Lore hat derweil Sorgen; immerzu wird sie von Gustav Holzer belästigt – der Kahn seines Vaters ist aus dem Schifferdorf Marienwerder, aber am Ende soll Gustav seinen eigenen Kahn in «Spree-Lore» umbenennen. Außerdem fehlen Lore die fünf Groschen, die sie braucht, um ein Geschenk zu kaufen, ohne dass sie nicht zu Lili Sempers Geburtstagsfeier gehen kann – der Tochter aus der wohlhabenden Familie Semper, für deren Vater, den alten Semper, Lorenz Lorenzen einst Steine in seinem Kahn nach Berlin schipperte und für dessen Familie Anna Lorenzen nun wäscht und plättet. Anna Lorenzen selbst kommt unterdessen Schustermeister Kranold immer näher, bis sie sich schließlich verloben und heiraten. Als Annas erster Gemahl, Lorenz Lorenzen, unverhofft zurückkehrt und es sehr zufrieden ist, als «Toter» von Polizei und Behörden unbehelligt durch die Gassen und Kanäle Berlins zu ziehen, sorgt das für eine Menge Aufregung und Durcheinander … Ein wunderbarer humoristischer Roman vom großen Berliner Unterhaltungsautor – zusammen mit den beiden «Koblanks»-Bänden und der Romanreihe um «Lemkes sel. Witwe» eines der unbestrittenen Hauptwerke Graesers und in jedem Fall unbedingt lesenswert!Erdmann Graeser (1870–1937) war ein deutscher Schriftsteller. Als Sohn eines Geheimen Kanzleirats im Finanzministerium in Berlin geboren, ist Graeser zwischen Nollendorfplatz und Bülowbogen im Berliner Westen aufgewachsen. Graeser studierte Naturwissenschaften, brach jedoch das Studium ab und arbeitete zunächst als Redakteur für die «Berliner Morgenpost» und später als freier Schriftsteller. Er wohnte viele Jahre in Berlin-Schöneberg und zog nach seinem literarischen Erfolg nach Berlin-Schlachtensee im Bezirk Zehlendorf. 1937 starb er an einem Herzleiden. Sein Grab liegt auf dem Gemeindefriedhof an der Onkel-Tom-Straße in Zehlendorf. In seinen Unterhaltungsromanen thematisierte Graeser die Lebenswelt der kleinen Leute im Berlin seiner Zeit und legte dabei auch großen Wert auf den Berliner Dialekt. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören «Lemkes sel. Witwe», «Koblanks», «Koblanks Kinder» und «Spreelore». Einige seiner Romane wurden später auch für Hörfunk und Fernsehen bearbeitet.-
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Erdmann Graeser
Die Menschen oben auf der Brücke, die eben hinuntergeblickt hatten, als der große Kahn mit dem grünen Vordersteven unter der dunklen Wölbung verschwand, diese Menschen, deren Stadt, „ihr“ Berlin, sich von Jahr zu Jahr wandelt, haben vor sich ein Bild, das seit alten Zeiten unverändert ist. Was Berlin auch durchzumachen hatte und was es noch erleben wird, die Schiffer mit ihren Kähnen kamen und werden nach wie vor kommen. Immer werden sie zu dem steinernen Ungeheuer hinüber starren. Sie bringen ihm das, was es braucht, und dann ziehen sie wieder davon, langsam, gemächlich, bis sie draußen, auf den großen Seeflächen oder der Elbe, den Mast wieder aufrichten und die Segel setzen können.
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„Nu biste aber stille, verstehste!“ sagte die Mutter. Es hatte geholfen; das Heulen verstummte, nur ab und zu gab Lore noch einen hohen, langgezogenen Ton von sich, dem Jaulen eines Hundes nicht unähnlich. Frau Lorenzens Nerven waren ziemlich robust – man konnte sogar mit einem harten Griffel auf einer Schiefertafel quietschen, sie vertrug alles, aber dieser Ton da aus der Stube war ihr doch zuviel. Sie wischte sich deshalb nochmals die Hände an der blauen Schürze ab, ging wieder hinüber, nahm kurzerhand den großen Kamm, der seinen Platz unter der Kommodendecke hatte, zog die entsetzte Lore mit einem Ruck aus ihrem Winkel und begann, ihr das blonde Haar zu strählen. Dann wurde ebenso energisch der braune alte Kattunfetzen heruntergezogen und das weiße Sonntagskleidchen übergeworfen. Mit einem feuchten Lappen fuhr die Mutter dem Kinde über das verheulte Gesicht, schließlich ging sie zum Schrank, schloß die Sparbüchse auf, nahm fünf Groschen heraus und sagte: „Nu lauf man zu – aber wehe dir, wenn du mir Schande machst!“
Lore wußte eigentlich nicht, wie ihr geschah. Wie verstört ging sie in den Laden des Gärtners, zeigte wortlos auf die Tulpe und legte das Geld hin.
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