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Geschichte des französischen Märchens Die Kultur des Abendlandes, welche heute rettungslos und müde wie ein welker Greis zu Grabe sinkt, erinnert sich gern ihrer Kindheitstage, die goldumstrahlt wie die Gletscher bei Sonnenuntergang in das hereinbrechende Dunkel herüberleuchten. Die Völker des Abendlandes hatten eine wilde Knabenzeit: rauflustig und grausam, wie Knaben einmal sind, traten sie auf das Welttheater und erledigten mit ein paar Faustschlägen die hohl und faul gewordene Antike. Der Zweck des Lebens war der Heldensang vom lächelnd ertragenen Tod, und jenseits des blutigen Walstattdunstes leuchtete der Nachruhm. Diese wilden Burschen hörten nicht gern auf die Märchen, welche als Schöpfungen abendlicher Abspannung und Ruhe eine gleichmäßige Heiterkeit, eine gewisse Müdigkeit der Seele und eine unbestimmte Tatenlosigkeit voraussetzen. Und dennoch kannten auch die alten Germanen eine beträchtliche Anzahl jener Motive, die, aus den Anschauungen und Gebräuchen der Urzeit geboren, sich je nach der Art der Komposition und Bindung in örtlicher und zeitlicher Hinsicht zu Mythus, Sage oder Märchen zusammenschlossen. Ja, wir können aus den geringen Resten altgermanischer Epik, die uns ein gütiges Geschick erhalten hat, auf das Bestehen bereits fertiger Märchen im germanischen Altertum schließen. Es waren dies solche Märchen, die der Abenteuerlust und dem Tatendrang der Zeit entgegenkamen, wie das vom Bärensohn, der in die Unterwelt dringt und dort eine Jungfrau von einem hütenden Drachen befreit; weiterhin solche, die ihren Stoff aus dem Alltagsleben dieser wilden Jahrhunderte nahmen: die von herrschsüchtigen Frauen und treulosen Ratgebern erzählten, wie jenes von der unschuldig verklagten und gerichteten Königin, deren Unschuld sich dann doch offenbart, von der Braut, die einer falschen weichen mußte und dann doch wieder zu ihren Rechten kommt, von der trotzigen Jungfrau, die dann doch bezwungen wird.