Nachtstücke - 2. Teil

Nachtstücke - 2. Teil
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Übersinnliche Kräfte, Halluzinationen und Wahn – auch in Hoffmanns zweitem Teil seines Erzählzyklus «Nachtstücke» geht es unheimlich zu. Während die ersten beiden Erzählungen «Das öde Haus» und «Das Majorat», in denen es um sonderbare Ereignisse in einem scheinbar verlassenen Haus und den Untergang einer Familie geht, eine gewisse Berühmtheit erlangten, sind die beiden letzten Erzählungen «Das Gelübde» und «Das steinerne Herz» bisher weitgehend unbekannt.-

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E.T.A. Hoffmann. Nachtstücke - 2. Teil

Nachtstücke - 2. Teil

Das öde Haus

Das Majorat

Das Gelübde

Das steinerne Herz

Über Nachtstücke - 2. Teil

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E.T.A. Hoffmann

„Ihr wist (so fing Theodor an), dass ich den ganzen vorigen Sommer in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vorfand, das freie, gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heiterer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Strassen zu wandeln, und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zuergögen, oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebäude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebäuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem ***ger Tore führt, ist der Sammelplatz des höberen, durch Stand oder Reichtum zum üppigeren Lebensgenuss berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoss der hohen breiten Paläste werden meistenteils Waren des Luxus feilgeboten, indes in den oberen Stockwerken Leute der beschriebenen Rlasse hausen. Die vornehmsten Gasthäuser liegen in dieser Strasse, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so könnt ihr denken, dass hier ein besonderes Leben und Regen, mehr als in irgendeinem anderen Teile der Residenz, stattfinden muss, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudrängen nach diesem Orte macht es, dass mancher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein Bedürfnis eigentlich erfordert, begnügt, und so kommt es, dass manches von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages plätzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen übrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schönen Gebäuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock über dem Erdgeschoss nur wenig über die Fenster im Erdgeschoss des nachbarlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gänzlicher Verwahrlosung des Eigentümers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebäuden sich ausnehmen muss. Ich blieb stehen und bemerkte bei näherer Betrachtung, dass alle Fenster dicht verzogen waren, ja dass vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgeführt schien, dass die gewöhnliche Glocke an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Haustür diente, fehlte, und dass an dem Torwege selbst nirgends ein Schloss, ein Drucker zu entdecken war. Ich wurde überzeugt, dass dieses Haus ganz unbewohnt sein müsse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch vorübergehen mochte, auch nur die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung, und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natürlichen einfachen Grund, dass der Besiger, auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen Gütern hausend, dies Grundstück weder vermieten noch veräussern mag, um, nach ***n zurückkehrend, augenblicklich seine Wohsung dort aufschlagen zu können. — So dacht’ ich, und doch weiss ich selbst nicht, wie es kam, dass, bei dem öden Hause vorüberschreitend, ich jedesmal wie festgebanntstehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen als verstricken musste. — Ihr wisst es ja alle, ihr wackeren Kumpane meines fröhlichen Jugendlebens, ihr wisst es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebärdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt seltsame Ersdheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wusstet! — Nun! zieht nur eure schlauen spitzfindigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, dass ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und dass mit dem öden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber — am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt, horcht nur auf! — Zur Sache! — Eines Tages, und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewöhnlich in tiefen Gedanken hinstarrend, vor dem öden Hause. Plötzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, dass jemand neben mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hin sicht als mir geistesverwandt kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als dass auch ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr siel es mir auf, dass, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies verödete Gebäude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch lächelte, bald war aber alles erklärt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Kombinationen usw. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte hinaus, die nur die lebendigste Phantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es wäre wohl recht, dass ich euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt fühle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, dass ich unaufhaltsam fortfahren muss. Wie war aber dem guten Grafen zumute, als er, mit der Geschichte fertig, erfuhr, dass das verödete Haus nichts anderes enthalte als die Zuckerbäckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstiess. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Öfen eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebackenen im oberen Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhängen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Dämon den Süssträumenden empfindlich und schmerzhaft bei der Nase. — Unerachter der prosaischen Aufklärung musste ich doch noch immer vorübergebend nach dem öden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbäckerei, des marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Früchte usw. gewöhnen. Eine seltsame Ideenkombination liess mir das alles erscheinen wie füsses, beschwichtigendes Zureden. Ungefähr: „Erschrecken Sie nicht, Bester! Wir alle sind liebe, süsse Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bisschen einchlagen.“Dann dachte ich wieder: „Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, dass du das Gewöhnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen überspannten Geisterseher?“ — Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht anders sein konnte, immer unverändert, und so geschah es, dass mein Blick sich daran gewöhnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmählich verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. — Dass, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltägliche gefügt hatte, ich doch nicht unterliess, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das könnt ihr euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer, ritterlicher Treue am Wunderbaren festhält, wohl denken. So geschah es, das ich eines Tages, als ich wie gewöhnlich zur Mittagsstunde in der Allee luftwandelte, meinen Blick auf die verhängten Fenster des öden Hauses richtete. Da bemerkte ich, dass die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riss meinen Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend weisse, schön geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem Finger ein Brillant mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in üppiger Schönheit geründeten Arm. Die Hand setzte eine hohe, seltsam geformte Kristallflasche hin auf die Fensterbank und verchwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein sonderbar bänglich wonniges Gefühl durchströmte mit elektrischer Wärme mein Inneres, unverwandt blickte ich hinauf nach dem verhängnisvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen Gesichtern hinaufguckten. Das verdross mich, aber gleich fiel mir ein, dass jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das, zahllos vor dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich darüber zu verwundern aufhören konnte, dass eine Schlafmütze aus dem sechsten Stock herabgestürzt, ohne eine Marche zu zerreissen. — Ich schlich mich leise fort, und der prosaische Dämon flüsterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, dass soeben die reiche, sonntäglich geschmückte Konditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. — Seltener Fall! — mir kam urplötzlich ein sehr gescheiter Gedanke. — Ich kehrte um und geradezu ein in den leuchtenden Spiegelladen des dem öden Hause nachbarlichen Konditors. — Mit kühlendem Atem den heissen Schaum von der Schokolade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: „In der Tat, Sie haben da nebenbei Ihre Anstalt sehr schön erweitert.“ — Der Konditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die Vierteltüte, und diese dem lieblichen Mädchen, das danach verlangt, hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit über den Ladentisch herüber und schaute mich mit solch lächelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wiederholte, dass er sehr zweckmässig in dem benachbarten Hause seine Bäckerei angelegt, wiewohl das dadurch verödete Gebäude in der lebendigen Reihe der übrigen düster und traurig absteche. „Ei, mein Herr!“ fing nun der Konditor an, „wer hat Ihnen denn gesagt, dass das Haus nebenan uns gehört? — Leider blieb jeder Versuch, es zu akquirieren, vergebens, und am Ende mag es auch gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigene Bewandtnis.“ — Ihr, meine treuen Freunde, könnt wohl denken, wie mich des Konditors Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause zu sagen. „Ja, mein Herr!“ sprach er, „recht Sonderliches weiss ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiss, dass das Haus der Gräfin von S. gehört, die auf ihren Gütern lebt und seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keines der Prachtgebäude existierte, die jetzt unsere Strasse zieren, stand dies Haus, wie man mir erzählt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der Zeit wurd’es nur gerade vor dem gänzlichen Verfall gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter, menschenfeindlicher Hausverwalter und ein grämlicher, lebensatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in dem öden Gebäude hässlich spuken, und in der Tat, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzüglich zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschäft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an, so hässlich zu scharren und zu rumoren, dass uns beiden ganz graulich zumute wurde. Auch ist es nicht lange her, dass sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hören liess, den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Töne waren so gellend klar und liefen in bunten Kadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland so viel Sängerinnen gekannt, noch nie gehört habe. Mir war so, als würden französische Worte gesungen, doch konnt’ich das nicht genau unterscheiden, und überhaupt das tolle gespenstische Singen nicht lange anhören, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geräusch auf der Strasse nachlasst, hören wir auch in der hinteren Stube tiefe Seufzer und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervorzudröhnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, dass es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. — Bemerken Sie“ — (er führte mich in das hintere Zimmer und zeigte durchs Fenster), „bemerken Sie jene eiserne Röhre, die aus der Mauer hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, dass mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit entschuldigt, dass er sein Essen koche, was der aber essen mag, das weiss der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Röhre recht stark raucht, ein sonderbarer, ganz eigentümlicher Geruch.“ — Die Glastür des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf mir, nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. — Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt jemand anders sein, als der Verwalter des geheimnisvollen Hauses? — Denkt euch einen kleinen dürren Mann mit einem mumienfarbenen Gesicht, spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen, grünfunkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigen Lächeln, altmodisch mit aufgetürmtem Toupet und Klebelöckchen frisiertem, stark gepudertem Haar, grossem Haarbeutel, postillon d’Amour, kaffeebraunem, altem, verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebürstetem Kleide, grauen Strümpfen, grossen abgestumpften Schuhen mit Steinsschnällchen. Denkt euch, dass diese kleine dürre Figur doch, vorzüglich was die übergrossen Fäuste mit langen starken Fingern betrifft, robust geformt ist und kräftig nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber stets lächelnd und starr hinschauend nach den in Kristallgläsernaufbewahrten Süssigkeiten mit ohnmächtiger klagender Stimme herausweint: „Ein paar eingemachte Pomeranzen — ein paar Makronen — ein paar Zuckerkastanien usw.“ Denkt euch das und urteilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Konditor suchte alles, was der Alte gefordert, zusammen. „Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar,“ jammerte der seltsame Mann, holte ächzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche und suchte mühsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzählte, aus verschiedenen alten, zum Teil schon ganz aus dem gewöhnlichen Kurs gekommenen Münzsorten bestand. Er tat dabei sehr kläglich und murmelte: „Süss — süss — süss soll nun alles sein — süss meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul — puren Honig.“ Der Konditor schaute mich lachend an und sprach dann zu dem Alten: „Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja, das Alter, das Alter, die Kräfte nehmen ab immer mehr und mehr.“ Ohne die Miene zu ändern, rief der Alte mit erhöhter Stimme: „Alter? — Alter? — Kräfte abnehmen? Schwach — matt werden! — Ho ho — ho ho — ho ho!“ Und damit schlug er die Fäuste zusammen, dass die Gelenke knackten, und sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Füsse zusammenklappend, hoch auf, dass der ganze Laden dröhnte und alle Gläser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein grässliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten, der hinter ihm hergeschlichen, dicht an seine Füsse geromiegt, auf dem Boden lag. „Verruchte Bestie! Satanischer Höllenhund!“ stöhnte leise im vorigen Ton der Alte, öffnete die Tüte und reichte dem Hunde eine grosse Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, retzte sich auf die Hinterpfoten und knabberte an der Makrone wie ein Eichhörnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen und Einstecken seiner Tüte. „Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar,“ sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand und drückte die des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. „Der alte schwächliche Greis wünscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Konditor,“ wiederholte er dann und schritt zum Laden hinaus, hinter ihm der schwarze Hund, mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. „Sehen Sie,“ fing der Konditor an, „sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S. war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die gräflich S—sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe wegen des wunderlichen Getöns zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: ,Ja! — die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein’.“ — Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tür öffnete sich, elegante Welt strömte herein, und ich konnte nicht weiter fragen. —

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Später begab es sich, dass ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: „Wissen Sie wohl, dass sich die Geheimnisse unseres öden Hauses zu enthüllen anfangen?“ Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzählen wollte, öffneten sich die Flügeltüren des Esssaales, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechanisch der in steifem Zeremoniell sehr langsam daherschreitenden Reihe gefolgt. Ich führe meine Dame zu dem offenen Platz, der sich uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und — erblicke mein Spiegelbild in den getreuesten Zügen, so dass gar keine Täuschung möglich ist. Dass ich im Innersten erbebte, könnt ihr euch wohl denken, aber ebenso muss ich euch versichern, dass sich auch nicht der leiseste Anklang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswut in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervorrief. — Meine Befremdung, noch mehr mein Erschrecken muss lesbar gewesen sein in meinem Blick, denn das Mädchen sah mich ganz verwundert an, so dass ich für notig hielt, mich so, wie ich nur konnte, zusammenzunehmen und so gelassen als möglich anzuführen, dass eine lebhafte Erinnerung mich gar nicht bezweifeln lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze Abfertigung, dass dies wohl nicht gut der Fall sein könne, da sie gestern erst, und zwar das erstemal in ihrem Leben nach ***n gekommen, machte mich im eigentlichsten Sinn des Wortes etwas verblüfft. Ich verstummte. Nur der Engelsblick, den die holdseligen Augen des Mädchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wisst, wie man bei derlei Gelegenheit die geistigen Fühlhörner ausstrecken und leise, leise tasten muss, bis man die Stelle findet, wo der angegebene Ton widerklingt. So machť ich es und fand bald, dass ich ein zartes, holdes, aber in irgendeinem psychischen Überreiz verkränkeltes Wesen neben mir hatte. Bei irgendeiner heiteren Wendung des Gesprächs, vorzüglich wenn ich zur Würze wie scharfen Cayennepfeffer irgendein keckes bizarres Wort hineinstreute, lächelte sie zwar, aber seltsam schmerzlich, wie zu hart berührt. „Sie sind nicht heiter, meine Gnädige, vielleicht der Besuch heute morgen.“ — So redete ein nicht weit entfernt sitzender Offizier meine Dame an, aber in dem Augenblick fasste ihn sein Nachbar schnell beim Arm und sagte ihm etwas ins Ohr, während eine Frau an der andern Seite des Tisches, Glut auf den Wangen und im Blick, laut der herrlichen Oper erwähnte, deren Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen vergleichen werde. — Meiner Nachbarin stürzten die Tränen aus den Augen: „Bin ich nicht ein albernes Kind,“ wandte sie sich zu mir. Schon erst hatte sie über Migräne geklagt. „Die gewöhnliche Folge des nervösen Kopfschmerzes,“ erwiderte ich daher mit unbefangenem Ton, „wofür nichts besser hilft, als der muntere kecke Geist, der in dem Schaum dieses Dichtergetränks sprudelt.“ Mit diesen Worten schenkte, ich Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem sie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Tränen, die sie nicht zu bergen vermochte. Es schien heller geworden in ihrem Innern, und alles wäre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehens hart an das vor mir stehende englische Glas gestossen, so dass es in gellender schneidender Höhe ertönte. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein plötzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im öden Hause schien. — Während dass man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mid dem Grafen P. zu nähern; er merkte gut, warum. „Wissen Sie wohl, dass Ihre Nachbarin die Gräfin Edwine von S. war? — Wissen Sie wohl, dass in dem öden Hause die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren unheilbar wahnsinnig, eingesperrt gehalten wird? — Heute morgen waren beide, Mutter und Tochter, bei der Unglücklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltsamen Ausbrüchen des Wahnsinns der Gräfin zu steuern wusste, und dem daher die Aufsicht über sie übertragen wurde, liegt todkrank, und man sagt, dass die Schwester endlich dem Doktor K. das Geheimnis anvertraut, und dass dieser noch die letzten Mittel versuchen wird, die Kranke, wo nicht herzustellen, doch von der entsetzlichen Tobsucht, in die sie zuweilen ausbrechen soll, zu retten. Mehr weiss ich vor der Hand nicht.“ — Andere traten hinzu, das Gespräch brach ab. — Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich meines rätselhaften Zustandes halber gewandt, und ihr möget euch wohl vorstellen, dass ich, sobald es sein konnte, zu ihm eilte und alles, was mir seit der Zeit widerfahren, getreulich erzählte. Ich forderte ihn auf, zu meiner Beruhigung so viel, als er von der wahnsinnigen Alten wisse, zu sagen, und er nahm keinen Anstand, mir, nachdem ich ihm strenge Verschwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen.

Angelika, die Gräfin von 3. (so fing der Doktor an), unerachter in die Dreissig vorgerückt, stand noch in der vollsten Blüte wunderbarer Schönheit, als der Graf von S., der viel jünger an Jahren, sie hier in ***n bei Hofe sah und sich in ihren Reizen so verfing, dass er zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur Sommerzeit die Gräfin auf die Güter ihres Vaters zurückkehrte, ihr nachreiste, um seine Wünsche, die nach Angelikas Benehmen durchaus nicht hoffnungslos zu sein schienen, dem alten Grafen zu eröffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekommen, kaum sah er Angelikas jüngere Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung erwachte. In verblühter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren Schönheit und Anmut den Grafen S. unwiderstehlich hinriss, und so kam es, dass er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabrielens Hand warb,die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele gleich die entschiedenste Neigung für den Grafen S. zeigte. Angelika äusserte nicht den mindesten Verdruss über die Untreue ihres Liebhabers. „Er glaubt mich verlassen zu haben. Der törichte Knabe! Er merkt nicht, dass nicht ich, dass er mein Spielzeug war, das ich wegwarf!“ — So sprach sie in stolzem Hohn, und in der Tat, ihr ganzes Wesen zeigte, dass es wohl Ernst sein mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Übrigens sah man, sobald das Bündnis Gabrielens mit dem Grafen von S. ausgesprochen war, Angelika sehr selten. Sie erschien nicht bei der Tafel und man sagte, sie schweife einsam im nächsten Walde umher, den sie längst zum Ziel ihrer Spaziergänge gewählt hatte. — Ein sonderbarer Vorfall störte die einförmige Ruhe, die im Schlosse herrschte. Es begab sich, dass die Jäger des Grafen von Z., unterstügt von den in grosser Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeunerbande eingefangen hatten, der man die Mordbrennereien und Räubereien, welche seit kurzer Zeit so häufig in der Gegend vorfielen, schuld gab. An eine lange Kette geschlossen brachte man die Männer, gebunden, auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder auf den Schlosshof. Manch trotzige Gestalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien den entschlossenen Räuber und Mörder zu bezeichnen, vorzüglich fiel aber ein langes, hageres, entseglides Weib, in einen blutroten Schalvom Kopf bis zu Fuss gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand und mit gebietender Stimme rief, man solle sie herabsteigen lassen, welches auch geschah. Der Graf von 3. kam auf den Schlosshof und befahl eben, wie man die Bande abgesondert in den festen Schlossgefängnissen verteilen sollte, als mit fliegenden Haaren, Entsetzen und Angst im bleichen Gesicht, Gräfin Angelika aus der Tür hinausstürzte und, auf die Knie geworfen, mit schneidender Stimme rief: „Diese Leute los — diese Leute los — sie sind unschuldig, unschuldig — Vater, lass diese Leute los! — ein Tropfen Bluts, vergossen an einein von diesen, und ich stosse mir dieses Messer in die Brust!“ — Damit schwang die Gräfin ein spiegelblankes Messer in den Lüften und sank ohnmächtig nieder. „Ei, mein schönes Püppchen, mein trautes Golokind, das wussť ich ja wohl, dass du es nicht leiden würdest!“ — So meckerte die rote Alte. Dann kauerte sie nieder neben der Gräfin und bedeckte Gesicht und Busen mit ekelhaften Küssen, indem sie fortwährend murmelte: „Blanke Tochter, blanke Tochter — wach’ auf, wach’ auf, der Bräutigam kommt — hei hei, blanker Bräutigam kommt.“ Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln schien. Diese Phiole hielt die Alte der Gräfin an das Herz; augenblicklich erwachte sie, aber kaum erblickte sie das Zigeunerweib, als sie aufsprang, das Weib heftig und brünstig umarmte und dann mit ihr davoneilte in das Schloss hinein. Der Graf von Z. — Gabriele, ihr Bräutigam, die unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von seltsamem Grauen ergriffen das alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichgültig und ruhig, sie wurden nun abgelöst von der Kette und einzeln gefesselt in die Schlossgefängnisse geworfen. Am andern Morgen liess der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner wurden vorgeführt, der Graf erklärte laut, dass fie ganz unschuldig wären an allen Räubereien, die in der Gegend verübt, und dass er ihnen freien Durchzug durch sein Gebietverstatte, worauf sie entfesselt und zum Erstaunen aller mit Pässen wohl versehen entlassen wurden. Das rote Weib wurde vermisst. Man wollte wissen, dass der Zigeunerhauptmann, kenntlich an den goldenen Ketten um den Hals und dem roten Federbusch an dem spanisch niedergekrempten Hut, nachts auf dem Zimmer des Grafen gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargetan, dass die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der Tat auch nicht den mindesten Anteil hatten. — Gabrielens Hochzeit rückte heran, mit Erstaunen bemerkte sie eines Tages, dass mehrere Rüstwagen mit Möbeln, Kleidungsstücken, Wäsche, kurz, mit einer ganz vollständigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr sie, dass Angelika, begleitet von dem Kammerdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten roten Zigeunerin ähnlich gesehen, nachts abgereist sei. Graf Z. löste das Rätsel, indem er erklärte, dass er sich aus gewissen Ursachen genötigt gesehen, den freilich seltsamen Wünschen Angelikas nachzugeben und ihr nicht allein das in ***n belegene Haus in der Allee als Eigentumn zu schenken, sondern auch zu erlauben, dass sie dort einen eigenen, ganz unabhängigen Haushalt führe, wobei sie sich bedungen, dass keiner aus der Familie, ihn selbst nicht ausgenommen, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis das Haus betreten solle. Der Graf von S. fügte hinzu, dass auf Angelikas dringenden Wunsch er seinen Kammerdiener ihr habe überlassen müssen, der mitgereist sei nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit seiner Gemahlin nach D., und ein Jahr verging ihnen in ungetrübter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an, auf ganz eigene Weise zu kränkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemühungen seiner Gemahlin, das Geheimnis ihm zu entreissen, das sein Innerstes verderblich zu zerstören schien. Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand lebensgefährlich machten, gab er den Ärzteri nach und ging angeblich nach Pisa. — Gabriele konnte nicht mitreisen, da sie ihrer Niederkunft entgegensah, die indessen erst nach mehreren Wochen erfolgte.

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