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Eva Kirilow. Anomie - Teil 1
Prolog – Juli 2013
Kapitel 1 – September 2017
Kapitel 2 – November 2017
Kapitel 3 – März bis Mai 2018
Kapitel 4 – Juni bis August 2018
Kapitel 5 – Oktober 2018 bis Juni 2019
Kapitel 6 – Juli 2019
Kapitel 7 – Juli 2019
Wie es weiter geht?
Literaturverzeichnis
Impressum
Отрывок из книги
Titel
Prolog – Juli 2013
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Die Mappe enthielt außerdem mehrere sachliche Protokolle über die Verluste, die bei dem Doktoranden eine leichte Gänsehaut hervorriefen: rund 8000 wütende Menschen waren an der Aktion beteiligt, 763 Zivilisten und 245 Polizisten kamen ums Leben, der ganze Straßenzug wurde komplett verwüstet. Autos, Mülltonnen, Briefkästen, Haltestellen – alles verbrannt und zerschlagen. Insgesamt acht Stunden tobte der Mob. Gegen 7 Uhr am nächsten Morgen verzog sich ein großer Teil der Menge, der Rest schlief überwiegend vor körperlicher Erschöpfung direkt vor Ort ein. Der Gesamtschaden belief sich auf 6 Millionen Euro.
Ein seltsames Bild ergaben die Aufzeichnungen über die Verhöre der so genannten „Aufhetzer“. Etwa zehn Menschen wurden dieses Verbrechens verdächtig. Es handelte sich um einen bunt zusammen gewürfelten Haufen aus einfachen, frustrierten Arbeitern bis hin zu gescheiterten intellektuellen Existenzen. Allen gemein war, dass sie vorher nicht in der Öffentlichkeit bekannt waren und nur wenige soziale Bindungen besaßen. „Um sie unauffälliger verschwinden zu lassen“, schoss es Martin durch den Kopf. Es zeigte sich, dass die Verdächtigen in einem langen, zermürbenden Prozess verhört wurden, der in den meisten Fällen ins Leere führte. Manche der Angeprangerten knickten irgendwann ein. Sie gestanden, wütende Reden gehalten und aggressive Parolen geschrien zu haben. An genaue Worte und Details konnten sie sich nicht erinnern. Auch für sie waren die Ereignisse im Juli 2013 verschwommen und nebulös. Martin verstand nicht viel von Polizeiarbeit und wagte kein Urteil über diese Berichte. Dennoch hatte er das Gefühl, dass es für den seltsamen Massenamoklauf nicht wirklich eine Erklärung gab und man sich in Lindingen für das Totschweigen entschieden hatte. Dafür sprachen auch die Medienberichte, die Weimar den Protokollen beigelegt hatte. In den ersten Tagen nach der Randale sprühten sie vor Entsetzen, schilderten die Vorfälle in ihrer ganzen Dramatik. Etwa zwei Wochen nach den Ereignissen gab es einen Bruch in der Berichterstattung. Jetzt war nicht mehr von Randale die Rede, sondern von einer „Demonstration, die aus dem Ruder gelaufen war“. Immer genauer wurden die Berichte über die Hintergründe der Versammlung. Für mehr Arbeit und bessere Zukunftschancen hatte man demonstrieren wollen. Das wäre schon Wochen vorher angekündigt gewesen. Nur die Größe hätte man unterschätzt. Und dummerweise gab es einige verbrecherische Saboteure, die die friedliche Kundgebung aufwiegeln wollten – eben jene Aufhetzer. Das war von langer Hand geplant. Seit Monaten arbeitete dieses Terrornetzwerk an dem „Anschlag gegen die Bürgerlichkeit“. Der eigentliche gewaltsame Aufstand geriet durch die Verschwörungsthese immer stärker in den Hintergrund und wurde letztendlich in den Medien gar nicht mehr erwähnt.
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