Der Weg nach unten
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Als expressionistischer Dichter, Dada-Trommler, Freiwilliger und Deserteur des 1. Weltkriegs, Aktivist des Spartakusbundes, Mitbegründer der KAPD, Vagabund, Schiffsentführer, Leiter einer russischen Zündholzfabrik, Wirtschaftsanalytiker und Börsenspekulant war Franz Jung schon zu Lebzeiten eine Legende. Er war oft im Gefängnis, vielfach auf der Flucht, schrieb ca. 30 Romane, mehr als zehn Theaterstücke sowie Essays, Radiofeatures, ökonomische und politische Analysen.
Er war der Inbegriff des Abenteuertums, des Aufbruchs und Ausbruchs. «Ein Charakter, wie man sie heutzutage nur noch auf Leinwänden trifft», beschreibt ihn Günter Kunert. Jung war immer kompromißlos und ist dadurch in diesem «Jahrhundert des Verrats» zu einer paradigmatischen Figur geworden. Zur Zertrümmerung der großen Illusionen und Ideologien hat er einen bedeutenden Teil beigetragen.
"Einer der imponierenden Väter, in deren Fußstapfen wir traditionell sicherer stehen könnten in unserem Land", sagt Günter Herburger über ihn und Michael Rohrwasser bezeichnet den «Weg nach unten» als eines der wichtigsten Bücher, die nach dem Krieg erschienen sind.
"Vielschichtiger, widerspruchsvoller, anregender sind nur wenige erfundene Charaktere … Franz Jung fesselt und fasziniert vor allem durch seine Persönlichkeit, diese seltsame Mischung aus Beharrlichkeit und Flucht, Menschenliebe und Unerbittlichkeit, Weitsicht und Ressentiment." Die Zeit
"Der Stoff, der sich in 75 Jahren anhäufte, hätte für mehrere Leben ausgereicht … Indem sich diese Figur mit ihren fremden und abenteuerlichen Spielregeln aufbrauchte, indem sie gleichsam in ihrem Labyrinth verschwindet, ist sie eine leuchtende Chiffre." Süddeutsche Zeitung
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Franz Jung. Der Weg nach unten
INHALT
I. DIE GRÜNEN JAHRE
Neiße, Oberschlesien
In Neiße hat es angefangen
Es zog ein Bursch hinaus
Mit Ohrfeigen in die Literatur
Die Boheme löst sich auf
Der Dichter greift in die Politik
Auf! – Sprach der Fuchs zum Hasen, hörst du nicht die Jäger blasen?
Die Revolution wirft ihre Schatten voraus
II. DIE ROTEN JAHRE
Der 9. November
Die Straße frei!
Unter roter Flagge nach Sowjetrussland
Unter der Sonne Moskaus
Am Siechenlager der Revolution
Der Osteraufstand im Mansfeldschen
„Nehmt mich mit!“
III. DIE GRAUEN JAHRE
Nicht stille stehen
Die Erkenntnis setzt sich durch
Die Schattenexistenz am Rande
Rückkehr in die Literatur
Expressionismus und die Folgen
Die Wurzeln der Hitler-Katastrophe
Der Handel mit Russenwechseln
Die Geschäfte dehnen sich aus
Der neue Gegner
Vom Ringplatz aus in die Zeit
Der Widerstand löst sich auf
Der letzte Ausmarsch
IV. UND DIE LETZTEN JAHRE
Der Torpedokäfer
Unter dem Zelt in Italien
Ins Tausendjährige Reich
Insel in der braunen Flut
Vorbereitung des Widerstandes – Die ersten Anzeichen
Spielereien am Rande der Katastrophe
Was bleibt noch?
Kriegsjahre in Ungarn
Nachkriegsjahre in Italien
Was ist zu beweisen – ist etwas zu beweisen?
Gehabt Euch wohl!
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Отрывок из книги
Neiße, Oberschlesien
In Neiße hat es angefangen
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Sobald ich mich von Haus freimachen konnte, und das stand völlig in meinem Belieben, ging ich Karten spielen – nicht, dass ich ein besonders eifriger Spieler gewesen wäre, aber es tötet die Zeit. Es wurde jeweils um eine Runde Bier gespielt, sodass ich kräftig mittrinken musste; aber auch an dem Trinken war mir nicht viel gelegen, es gehörte nur dazu. Die Hauptsache wird für mich gewesen sein, dass ich ein Heim hatte, eine Unterkunft, eine Gesellschaft, in die hinein ich wie selbstverständlich gehörte, wo niemand etwas von mir wollte als gerade das, wozu auch die andern gekommen waren – zu spielen und zu trinken. Dabei zuzüglich noch die bittere und zugleich erregende Schwäche … ich sollte gehen … ich komme wieder zu spät … es ist schon lange über die Zeit … das Abendbrot wird schon abgeräumt sein … die Mutter wird verbissen schweigen und mit Blicken strafen … der Vater wird zu einer Versammlung gegangen sein, der häuslichen Atmosphäre zu entfliehen, die sich zusammenballt … ich muss … ich sollte …
Ähnlich die Sonntagnachmittage, wenn ich die Eltern hätte begleiten sollen, die gewohnten Spaziergänge über die Festungswälle. Am Rande der Stadt gab es ein Kaffeehaus von etwas zweifelhaftem Ruf, wohin die Soldaten ihre Mädchen ausführten, ehe sie zum Tanzen gingen. Ich setzte mich dort fest und beschäftigte mich mit einem Spielautomaten. Die Bälle rollen in verschieden bewertete Löcher. Ich spielte stundenlang, allein; die Kartenspieler waren ihrerseits auch sonntags ins Freie gegangen. Ich habe dort gelernt, dass zum Glücksspiel mehr gehört als nur die Leidenschaft der Chance. Die Angst, plötzlich allein gelassen zu werden, nagelt den Spieler an den Tisch.
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