Luther, Rosenzweig und die Schrift

Luther, Rosenzweig und die Schrift
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Wie viele seiner Freunde und Verwandten spielte Franz Rosenzweig – 1886 in Kassel als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie geboren – lange mit dem Gedanken, zum protestantischen Christentum überzutreten, um sich dann 1913 doch dafür zu entscheiden, Jude zu bleiben. Mit seinem 1926, drei Jahre vor seinem Tod, verfassten Aufsatz «Die Schrift und Luther» steht er beispielhaft für eine Kultur, die das deutsche Judentum dem Protestantismus zu schulden meinte. Es war kein geringerer als Gershom Scholem, der mit Blick auf diese Beziehung zwischen Deutschen und Juden die von Martin Buber und Franz Rosenzweig vorgelegte Bibelübersetzung ein «Grabmal einer in unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung» nannte. In dem vorliegenden Band, in dem der erstmals 1926 veröffentlichte Text Franz Rosenzweigs «Die Schrift und Luther» im Mittelpunkt steht, beleuchten die Autorinnen und Autoren Micha Brumlik, Walter Homolka, Christoph Kasten, Elisa Klapheck, Irmela von der Lühe, Gesine Palmer, Klaus Wengst und Christian Wiese diese «Beziehung» aus unterschiedlichen, sich jeweils ergänzenden Perspektiven. In ihrem Geleitwort zu dem Band weist Margot Käßmann unter anderem auf die unheilvollen Folgen von Luthers Antisemitismus hin, die bis in die jüngste Vergangenheit reichen.

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Franz Rosenzweig. Luther, Rosenzweig und die Schrift

Inhalt

Margot Käßmann. Geleitwort

Micha Brumlik. Vorwort

Franz Rosenzweig. Die Schrift und Luther. I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

Walter Homolka. Martin Luther als Symbol geistiger Freiheit? Der Reformator und seine Rezeption im Judentum

Micha Brumlik. Dialog zwischen Übersetzern: Franz Rosenzweigs Aufsatz „Die Schrift und Luther“

Irmela von der Lühe. Franz Rosenzweig: „Die Schrift und Luther“. Grenzgänge zwischen Philologie und Religion

Klaus Wengst „Ehrfurcht vor dem Wort“, das nicht Besitz wird. Warum „die Schrift“ anders gelesen werden sollte, als Luther sie gelesen hat. 1. Wovon Luther nach Rosenzweig bei seiner Übersetzung bestimmt ist

2. Luther, das Alte Testament/die hebräische Bibel und die Juden

3. Wie die Bibel anders gelesen werden kann

Elisa Klapheck. Luther als Targum. Rosenzweig, Luther und die rabbinische Übersetzungskunst. I. Festsetzung oder Deutung

II. Schriftsprache oder Sprechsprache?

III. Hebräisch

IV. „Glaubenszwang“

V. Offenbarung aus Wörtern

VI. „Ungläubiges Weltkind und gläubiges Gotteskind in einem“

Gesine Palmer. „Wenn erst einmal die Regel gesichert ist…“ – Rosenzweigs Luther-Rezeption jenseits von „Buchvergötzung“ und „Wortverwaltung“

Buchvergötzung

Wortverwaltung

„Wenn erst einmal die Regel gesichert ist …“

Christoph Kasten. Mit Luther gegen Luther. Franz Rosenzweig, Siegfried Kracauer und die Bibel auf Deutsch

Kracauers Buber-Rosenzweig-Kritik Die Bibel auf Deutsch

Rosenzweigs und Bubers Replik und Kracauers Duplik

Die Schrift und Luther

Von Kracauer zu Adorno

Resumé

Christian Wiese. Franz Rosenzweigs und Martin Bubers Kritik des protestantischen Neo-Marcionismus im Kontext der Zeit1. 1. Kontexte: Neo-Marcionismus und Antisemitismus

2. Anti-Marcionismus als Grundmotiv des Projekts einer „Verdeutschung“ der Schrift

3. Bubers Vision der „missionarischen“ Bedeutung der ‚Verdeutschung‘ für die christliche Theologie nach der Shoah

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes

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LUTHER, ROSENZWEIG UND DIE SCHRIFT

Ein DEUTSCH-JÜDISCHER DIALOG

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Dieser Mensch ist kein Gläubiger, aber auch kein Ungläubiger. Er glaubt und er zweifelt. Er ist also nichts, aber er lebt. Genauer: er hat Glauben oder Unglauben nicht, sondern Glaube und Unglaube geschehen ihm. Ihm liegt nichts ob, als dem Geschehen nicht davonzulaufen, und wenn es geschehen ist, ihm zu gehorchen. Das klingt beides, solange man weit vom Schuß ist, wie nichts; es ist aber so schwer, daß wohl keiner lebt, der es immer, – nein, wohl keiner, der es mehr als seltene gezählte Male fertiggebracht hat.

Wer so lebt, kann an die Bibel nur herantreten mit einer Bereitschaft zum Glauben und Unglauben, nicht mit einem umschreibbaren Glauben, den er in ihr bestätigt findet. Doch ist auch seine Bereitschaft unumschrieben, unbegrenzt. Ihm kann alles glaubhaft werden, auch das Unglaubenswürdige. Ihm ist nicht das Glaubenswürdige eingesprengt zwischen nicht Glaubens-, also doch Unglaubenswürdiges, wie Metalladern in Gestein, oder jenes mit diesem verbunden wie das Korn der Ähre mit ihrem „strohernen“ Anteil; sondern wie ein Scheinwerfer für eine Weile ein Stück der Landschaft aus dem Dunkel heraushebt, dann wieder ein andres, dann abgeblendet wird, so erhellen diesem Menschen die Tage seines Lebens die Schrift und lassen ihn in ihren Menschlichkeiten heut hier und morgen da – und das Heut übernimmt keine Bürgschaft für ein Morgen – das mehr als Menschliche erkennen. Im Menschlichen selbst; sie ist überall menschlich. Aber allerorten kann dieses Menschliche unter dem Lichtstrahl eines Lebenstages durchsichtig werden, derart, daß es diesem Menschen plötzlich in die eigene Herzmitte geschrieben ist und ihm das Göttliche im menschlich Geschriebenen für die Dauer dieses Herzschlags ebenso deutlich und gewiß ist wie eine Stimme, die er in diesem Augenblick in sein Herz rufend vernähme. Nicht alles in der Schrift gehört ihm, – heute nicht und nie. Aber er weiß, daß er allem gehört. Diese Bereitschaft, sie allein, ist, auf die Schrift gewendet, sein Glaube.

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