Beichte in der Nacht
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Friedrich Glauser. Beichte in der Nacht
Отрывок из книги
«Daten wollen Sie? Also: 1896 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer Vater. Großvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans blague), mütterlicherseits Hofrat (schöne Mischung, wie?). Volksschule, 3 Klassen Gymnasium in Wien. Dann 3 Jahre Landerziehungsheim Glarisegg. Dann 3 Jahre Collège de Génève. Dort kurz vor der Matur hinausgeschmissen … Kantonale Matur in Zürich. 1 Semester Chemie. Dann Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft stellen. Flucht nach Genf … 1 Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort. 1 Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo. Rücktransport. 3 Monate Burghölzli (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt hatte). 1921–23 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur. Belgien Kohlengruben. Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo. Internierung in Belgien. Rücktransport in die Schweiz. 1 Jahr administrativ Witzwil. Nachher 1 Jahr Handlanger in einer Baumschule. Analyse (1 Jahr) … Als Gärtner nach Basel, dann nach Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/29), 30/31 Jahreskurs Gartenbaumschule Oeschberg. Juli 31 Nachanalyse. Jänner 32 bis Juli 32 Paris als ‹freier Schriftsteller› (wie man so schön sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen falschen Rezepten arretiert. Rücktransport in die Schweiz. Von Juli 32–Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n’est pas très beau …»
Friedrich Glauser an Josef Halperin, 15. Juni 1937
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Die Leute, die das Festspiel verwirklichen sollten, wurden frech. Hatte man so etwas schon erlebt? Der Versicherungsbeamte, der über das Ressort der Lustbarkeiten herrschte, war einmal in eine Probe gekommen. Es war sein gutes Recht, er musste sich vergewissern, dass alles seinen wohlgeordneten Gang ging. Und er war hinausgeworfen worden! Sehr höflich, aber sehr bestimmt! Und zwar von Fräulein Varnhagen. Nun hatte der Versicherungsagent versucht, Widerstand zu leisten (was war das schon, so eine kleine Tanzlehrerin, die war ja froh, dass sie dreihundert Franken verdienen durfte!), aber merkwürdigerweise wurde das Tanzfräulein von allen an der Probe Anwesenden unterstützt. Wer war alles anwesend? Bureaufräuleins aus dem Kaufmännischen Verein, eine Volksschullehrerin, ein Maschineningenieur (der tanzte den Merkur, den Gott des Handels, zu Worten wie: «Gott Merkur mit dem Handelsstab, du einigst die Völker landauf und landab»), die zehn Turner aus der «Industrie», einfache Arbeiter … Ja, alle diese Leute schienen fest zusammenzuhalten, sie schienen zu empfinden, dass sie eine große Gemeinschaft bildeten, und sie waren entschlossen, gegen äußere Störungen Front zu machen. Sie gaben ihre Zeit her, ohne Lohn zu verlangen, es war ihnen nicht beizukommen. Und das Traurigste an der ganzen Sache war, dass selbst der Dichter Johann Kehrli sich eine freche Röhre angemaßt hatte, er, der doch ein entfernter Verwandter des Komiteemitglieds Brügger war. Kopfschüttelnd entfernte sich der Versicherungsagent, um seinen Kollegen die Mitteilung zu machen, dass ein bedenklicher Geist unter dem Festspielpersonal herrsche …
Die Komiteemitglieder waren keine schlechten Menschen. Sie waren nur ein wenig versteinert. Ihr Gemeinschaftsgefühl war befriedigt, wenn sie Fünfzig vom Trumpfkönig mit den Stöcken weisen konnten und der Partner das Nell hatte, so dass ein Match in Aussicht stand. Sie gaben ihre Zeit her für das Musikfest, an dem hundert Gesellschaften aus allen Teilen des Kantons aufmarschieren sollten, aber sie wollten etwas für ihre Zeit. Umsonst ist nur der Tod, sagten sie, und der kostet das Leben …
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