Читать книгу О любви. Wo die Liebe hinfällt - Галина Николаевна Хэндус - Страница 1

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Der untreue Heinrich


Vor langer, langer Zeit lebten in einem fernen Land König Heinrich und Königin Marisa. Die Königin war von Angesicht bildschön und wohlgestaltet, so dass die Kunde darüber in die entlegensten Winkel der weit entfernten Königreiche drang. Wer Marisa einmal erblickt hatte, der konnte ihre Schönheit niemals mehr vergessen.

König Heinrich musste oft ausziehen, um die Grenzen seines Landes zu schützen. Dann blieb Königin Marisa allein im Schloss zurück. In solchen Zeiten gab sie Bälle, um nicht vor Langeweile zugrunde zu gehen.

So lebten die beiden lange Zeit glücklich und unbekümmert. Mit den Jahren aber wurde die Königin immer boshafter und zänkischer. Denn sie wollte gern die Schönste der ganzen Welt bleiben, aber es gab immer häufiger andere, die schöner waren als sie. Marisa putzte sich sorgsam heraus, zog die hübschesten Kleider an, legte den teuersten Schmuck an und trug das erlesenste Parfüm, aber ihre Jugend war nun einmal verflogen. Doch das wollte die Königin nicht anerkennen. Sie wurde grün vor Neid, wenn sie die schönen jungen Frauen sah, und gab ihrem königlichen Gemahl, dem Hof und der ganzen Welt die Schuld dafür, dass hübschere Prinzessinnen und Königinnen ihr den Rang abliefen. Ihr Mann, König Heinrich, übersah ihre Unzufriedenheit, denn seine Frau war für ihn noch immer schön. Er liebte sie nach wie vor. Königin Marisa aber fuhr fort, ihre Untertanen mit ihrer Missgunst zu verfolgen und zu quälen. Irgendwann zerbrach sie unter der Last ihrer eigenen Bosheit und starb.

Nach dem Tod seiner geliebten Frau wurde König Heinrich vor Kummer so krank, dass er das Bett hüten musste und die Staatsangelegenheiten vernachlässigte. Seine Feinde bemerkten die Schwäche des Königs im Nu und rückten an die Grenzen seines Reiches vor, um das Land zu erobern. Doch der König erkannte ihre arglistigen Pläne. Obwohl die Trauer ihn geschwächt hatte, raffte er sich auf und zog seine Truppen zusammen, um die Feinde zurückzuschlagen und die Grenzen seines Landes zu sichern.


Nach einiger Zeit überwand der König seine Trauer und beschloss, wieder zu heiraten, damit er nicht den Rest seines Lebens in Einsamkeit verbringen müsste. So begann er wieder unter die Menschen und auf höfische Bälle zu gehen. Auf einem solchen Frühlingsball, den sein Freund Karl-Friedrich gab, lernte er schließlich die Prinzessin Gudrun kennen. Sie war so schön und bezaubernd, dass der König sich bei ihrem Anblick sofort in sie verliebte. Gudrun ihrerseits rührte Heinrichs Einsamkeit. Auch sie verliebte sich in ihn.

Es gab keinen Grund, die Sache auf die lange Bank zu schieben, und so begann Heinrich, seine Hochzeit mit Prinzessin Gudrun vorzubereiten. Als seine Feinde davon Wind bekamen, wollten sie das Glück des Königs vereiteln. Wieder ließen sie ihre Truppen auf sein Land zu marschieren, und schon bald stand der Angriff bevor. Heinrich blieb nichts anderes übrig, als seine Hochzeit zu verschieben. Er begann sich für den Kampf zu rüsten, denn er wollte seine Ritter auch diesmal selbst in die Schlacht führen.

Zu Gudrun sagte er: „Es ist meine Pflicht, in den Krieg zu ziehen, um mein Volk und mein Königreich zu verteidigen. Wenn du auf mich wartest, kehre ich bald als Sieger zurück, und wir werden zusammen glücklich sein.“ So sprach der König und zog in den Krieg.


Gudrun setzte sich ans Fenster, blickte den Weg hinunter und wartete auf Heinrichs Rückkehr, wie er es ihr versprochen hatte. Sie wartete den ganzen Tag, dann die ganze Woche, aber kein Eilbote erschien, keine Nachricht vom König traf ein. So verging ein Monat, dann ein zweiter. Gudrun saß, wartete und weinte vor Schmerz. Dann kam eines Tages ein Bote auf einem Rappen den Weg heraufgeritten. Er stieg ab, verneigte sich vor Gudrun und berichtete, dass der König in der Schlacht schwer verletzt worden und an seinen Wunden verstorben war. Da begann die Prinzessin bitterlich zu weinen. Ihr Kummer war so groß, dass sie weder aß noch trank. Es fehlte nicht viel, und sie wäre vor Gram gestorben. Das Einzige, was sie am Leben hielt, war die Erinnerung an das, was der König ihr beim Abschied gesagt hatte: „Denk daran: Was auch geschehen mag, ich werde immer bei dir sein und dich beschützen, damit du für uns weiterleben kannst.“

Damals hatte sie diese Worte nicht hören wollen, jetzt aber spendete sie ihr Trost und halfen ihr, wieder zu Kräften zu kommen. Irgendwann trocknete sie ihre Tränen und begann weiterzuleben. Die Erinnerung an Heinrich bewahrte sie andächtig in ihrem Herzen.


Als nun allgemein bekannt wurde, dass König Heinrich nicht mehr am Leben war, begannen zahlreiche Freier, der Prinzessin den Hof zu machen. Denn Gudrun war noch immer eine schöne und kluge Frau. Viele Prinzen umwarben sie, einer ansehnlicher als der andere. Sie aber war außerstande, ihren geliebten Heinrich zu vergessen, und gab einem Kandidaten nach dem anderen einen Korb.

So verging eine geraume Zeit. Eines Tages erschien bei Gudrun ein Reiter auf einem prächtigen Schimmel. Das war Prinz Ferdinand. Auch er war mit der Absicht gekommen, um die Hand der Prinzessin anzuhalten. Ferdinand machte einen guten Eindruck auf Gudrun. Außerdem verstand er es, zärtliche und betörende Reden zu führen. Die Prinzessin lauschte seinen süßen Worten, dachte eine Weile nach und willigte schließlich ein, ihn zu heiraten. Nicht lange darauf begannen die Vorbereitungen für die Hochzeit. Gudrun zog in Ferdinands Schloss und bewohnte dort das Turmzimmer.

Schließlich waren es nur noch wenige Tage bis zu den Hochzeitsfeierlichkeiten, die ersten Gäste trafen bereits ein. Am Abend weilte Gudrun, wie immer um diese Zeit, allein in ihrem Gemach. Plötzlich hörte sie Glas klirren, sie drehte sich um und sah, dass eins der schmalen Fenster von einem Stein zertrümmert worden war. Gudrun erschrak zunächst, dann aber fand sie den Stein auf dem Boden und sah, dass daran ein Zettel befestigt war. Sie hob den Stein auf und löste den Zettel, und ihr stockte das Herz in der Brust, als sie Heinrichs Handschrift erkannte.

Der König schrieb: „Liebe Gudrun, die du mein Herz und meine Sonne bist, erfahre nun, dass ich lebe. Ich möchte dich sehen, doch einstweilen muss ich unerkannt bleiben. Ich habe von deiner neuen Bleibe erfahren und bitte dich, heute Abend bei Anbruch der Dunkelheit allein zu dem Teich im Garten zu kommen, ohne dass es jemand bemerkt. Es ist wichtig, dass dich niemand sieht.“

Es gibt keine Worte, um die Freude zu beschreiben, die Gudrun beim Lesen dieser Nachricht durchströmte. Sie konnte den Abend kaum erwarten. Bei Sonnenuntergang schlich sie sich aus dem Haus und eilte in den Garten zum Teich. Dort fand sie ihren geliebten Heinrich, der unter einem Baum verborgen auf sie wartete. Sie warf sich in seine Arme, und die beiden küssten und liebkosten sich innig. Erst nach einer langen Weile lösten sie sich voneinander. Als Gudrun ihren Geliebten nun genauer anschaute, erkannte sie ihn kaum wieder: Er sah abgezehrt und ausgemergelt aus, und seine Kleider waren zerlumpt. Heinrich lächelte gequält.

„Das ist aus mir geworden“, sagte er. „Schuld daran sind meine Verletzungen und das lange Umherirren. Als ich auf dem Schlachtfeld verwundet wurde, haben meine Krieger mich aus den Augen verloren. Später fand mich eine Frau unter all den Toten. Als sie feststellte, dass ich noch am Leben war, brachte sie mich in ihr Haus und pflegte mich gesund. Es dauerte lange, bis ich wieder bei Kräften und bei klarem Verstand war. Danach versuchte ich, dich wiederzufinden, doch du warst fort. Schließlich erfuhr ich, dass du Ferdinand heiraten wirst. So bin ich hier, um dir meinen Segen zu geben.“

Gudrun war fassungslos. „Was heißt hier Segen?“, fragte sie. „Was wird denn aus uns, was wird aus unserer Liebe? Hast du etwa alles vergessen? Warum bist du denn gekommen, wenn du nicht mit mir zusammen sein möchtest? Willst du mir noch einmal das Herz brechen?“

„Ich will nichts lieber, als mit dir zusammen zu sein, denn ich liebe dich über alles in der Welt. Aber ich kann dich jetzt nicht mitnehmen. Ich habe damals die Schlacht verloren und damit auch mein Königreich. Ich bin zurückgekehrt, um dir zu sagen, dass ich lebe. Nun sammle ich die Männer um mich, die mir treu geblieben sind, und mit ihrer Hilfe will ich mein Königreich und die Macht zurückgewinnen. Solange ich mein Ziel nicht erreicht habe, kann ich nicht bei dir sein.“

„Dann nimm mich mit!“, rief die Prinzessin. „Auch ich bin dir treu geblieben. Ich will mit dir zusammen kämpfen!“

„Das kann ich nicht zulassen“, antwortete König Heinrich traurig. „Frauen können keine Waffen führen. Krieg ist Männersache. Falls ich die nächste Schlacht gewinne, komme ich auf einem weißen Ross zurück und nehme dich mit. Das verspreche ich dir! Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich siegreich sein werde. Darum bleib vorerst bei Ferdinand und heirate ihn, er wird dich beschützen und für dich sorgen. Ich habe gesehen, wie er dich ansieht. Er liebt dich und kann dich glücklich machen.“

Nach diesen Worten sagte der König Gudrun Lebewohl und verschwand zwischen den Bäumen, als ob er nie da gewesen wäre. Gudrun blieb allein zurück und war sehr traurig, weil sie ihren Heinrich erneut verloren hatte. Die ganze Nacht dachte sie über die Worte des Königs nach. Endlich beschloss sie, Heinrichs Bitte zu folgen und Ferdinand zu heiraten, wie er ihr geraten hatte.


Prinz Ferdinand freute sich sehr, als Gudrun ihm ihr Jawort gab, denn viele beneideten ihn um seine schöne Frau. Doch nachdem er sie einmal für sich gewonnen hatte, verlor sie für ihn bald ihren Reiz. Nicht lange nach der Hochzeit begann er wieder häufiger mit seinen Freunden auszugehen und zu trinken und Gudrun zu vernachlässigen. Zudem gab er ihr immer weniger Geld, um den Haushalt zu führen. Als sie ihn darauf ansprach, sagte er boshaft:

„Ich habe kein Geld für Haushalt und Kleider. Aber du bist ja nicht nur schön, sondern auch klug, zumindest haben das alle behauptet. Ich habe dich geheiratet, obwohl du keine Mitgift hattest. Nun kannst du deine Klugheit einsetzen, um Geld zu verdienen, wenn du Essen haben willst!“

So sprach er und lachte dabei, dann ritt er mit seinen Freunden fort, um zu feiern und sich zu amüsieren.

Da erkannte Gudrun, was für einen Menschen sie geheiratet hatte. Zuerst war sie am Boden zerstört. Doch dann dachte sie an ihren geliebten Heinrich und fand Trost und Hoffnung in dem Versprechen, das er ihr beim Abschied gegeben hatte: Wenn er über seine Feinde gesiegt hätte, würde er zurückkommen und sie für immer in seine Arme nehmen.

Sie sammelte sich, trocknete ihre Tränen und überlegte, wie sie Geld verdienen könnte. Schließlich begann sie Blumen zu ziehen. Als die Pflänzchen groß genug waren, setzte sie diese in Töpfe. Dann zog sie ein einfaches Kleid an und setzte eine Haube auf, damit sie nicht erkannt wurde. Sie ging zum Markt, um ihre Blumen anzubieten. Da die Prinzessin eine glückliche Hand und ein gutes Herz hatte, waren ihre Blumen besonders prachtvoll, so dass ihr Geschäft gut lief. Sie gab fast alles Geld, das sie mit den Blumen verdiente, ihrem Mann und behielt nur so viel, dass sie außer Essen auch neue Samen, Erde und Blumentöpfe kaufen konnte.

Eines Tages holte Gudrun wie so oft die Schatulle hervor, in der sie liebevoll Heinrichs Briefchen aufbewahrte, das an jenem Abend durch das zertrümmerte Fenster in ihr Turmzimmer geflogen war, um es zu ihrem Wohl zum tausendsten Mal zu lesen. Da bemerkte sie plötzlich einen einzelnen Blumensamen, der an einer Ecke des zerknitterten Papiers klebte. Gudrun holte aus dem Keller einen alten Topf, der einen Sprung hatte und deshalb nicht benutzt wurde. Sie füllte ihn mit Erde, setzte den Blumensamen hinein und begoss ihn mit ihren Tränen.


Die Zeit verging.

Gudrun besuchte weiter den Markt und verkaufte ihre Blumen. Das Geld gab sie ihrem Mann, der davon ausschweifende Gelage mit seinen Freunden feierte. Währenddessen keimte der Samen, den Gudrun eingepflanzt hatte. Er entwickelte sich gut und wurde immer kräftiger. Jeden Abend brachte die unglückliche Gudrun den gesprungenen Topf hinaus auf die Terrasse, damit das heranwachsende Grün die Schönheit des Mondes bewundern konnte. Das Pflänzchen war ihr Geheimnis, sie sprach mit ihm, teilte ihre Trauer mit ihm und begoss es in Gedanken an ihren geliebten Heinrich mit ihren Tränen. Mit der Zeit entwickelte sich der kleine Sprössling zu einem kräftigen Rosenstrauch mit wunderbaren roten und gelben Blüten. Jeden Abend vor dem Schlafengehen ergötzte sich die Prinzessin an seiner Schönheit, redete mit ihm und vergoss ihre Tränen darüber.

Dann hörte Gudrun eines Tages auf dem Markt, dass König Heinrich nicht nur als Sieger in sein Land zurückgekehrt sei, sondern auch eine schöne junge Braut mitgebracht habe und dass im königlichen Schloss schon bald Hochzeit gehalten werden solle. Gudrun wollte das nicht glauben und beschloss, sich selbst zu überzeugen, ob die Gerüchte stimmten. Sie nahm den Rosenstrauch, umwickelte den Topf mit kostbarem Stoff, um den Sprung zu verbergen, zog ein frisches Kleid an und machte sich auf den Weg zum königlichen Schloss.

Als dem König ihre Ankunft gemeldet wurde und sie den Thronsaal betreten durfte, machte ihr Herz einen Sprung. Ihr geliebter Heinrich saß auf dem Thron, ganz der stolze Sieger, den Körper mit Narben bedeckt. Heinrich jedoch erkannte die Prinzessin nicht einmal, als sie sich ihm näherte.

„Sei gegrüßt, Frau!“, sprach er. „Tritt näher und sag mir, was dich zu mir führt.“

„Aber ich bin es doch, deine Gudrun!“, sagte sie mit leiser Stimme, die vor Aufregung zitterte. „Erkennst du mich denn nicht?“ Ihre Augen wurden feucht. „Ich habe die ganze Zeit auf deine Rückkehr gehofft.“ Sie stellte den Topf mit der Rose vor ihn auf den Boden. „Diesen Rosenstrauch habe ich für dich gezogen, während ich auf dich gewartet habe. Nachts stellte ich ihn auf die Terrasse, damit das Mondlicht seine Blätter kräftigt, tagsüber goss ich ihn mit meinen Tränen, so dass er durchtränkt ist von meiner Liebe und meiner Sehnsucht. Er hat kaum Sonne gesehen, so wie ich, da mir ohne dich keine Sonne schien. Schau, wie schön er ist, welch ungewöhnliche Blüten er hat, die einen rot, die anderen gelb. Ich möchte ihn dir schenken!“

„Dein Geschenk brauche ich nicht“, sagte der König abfällig. „Ich bin auch so glücklich. Denn ich habe alles, was ich brauche: mein Königreich, meine Untertanen und die junge Insa, meine künftige Ehefrau. Aber ich kann dir Geld geben, damit du einen neuen Topf für deine Blume und für dich selbst ein neues Kleid kaufen kannst.“

Gudrun fühlte sich betrogen. „Du hast wohl alles vergessen, was du mir versprochen hast und wovon wir beide geträumt haben“, sagte sie traurig. „Sag mir nur eins: Bist du aus all deinen Schlachten gesund zurückgekehrt, hast du keine verborgenen Leiden? Denn dein Körper ist mit Narben übersät.“

„Warum fragst du so etwas?“ Heinrichs Gesicht verfinsterte sich. „Solche Fragen dürfen dem König nicht gestellt werden.“

„Ich frage das, weil du nicht so glücklich aussiehst, wie du es behauptest. Und vergiss nicht, dass ich zwar arm bin, aber dennoch eine Prinzessin und kein gemeines Weib. Ich war sogar die Verlobte des Königs. Ich darf ihm solche Fragen stellen.“

Der König schwieg lange. „Du hast recht, Gudrun“, sagte er schließlich stirnrunzelnd. „Tatsächlich bin ich nicht so glücklich, wie ich vorgebe zu sein. Ich fühle mich alt und zerschlagen, meine unzähligen Wunden brennen und schmerzen, und meine Ärzte können mir kaum helfen. Nur wenn ich in Insas Armen liege, fühle ich mich besser. Ihr junger Körper gibt mir Kraft.“

„Du betrügst dich selbst, wenn du denkst, dass dein Glück in den Armen einer jungen Frau ewig dauern wird. Über kurz oder lang wird sie deiner samt deiner Leiden überdrüssig werden. Und eines Morgens wirst du einfach nicht mehr erwachen, weil die Schmerzen dich aufgefressen haben. Deine junge hübsche Witwe wird dein Grab besuchen, dein Königreich regieren und das Leben genießen – ohne dich, versteht sich.“

„Du lügst!“, sagte der König erbost. „Du kannst es nur nicht ertragen, dass ich glücklich bin! Geh jetzt, ich habe keine Zeit mehr für dich.“ Er klatschte herrisch in die Hände. „Hofmarschall!“, rief er. „Gib dieser Frau Geld für ein neues Kleid und einen neuen Blumentopf.“

Da richtete Gudrun sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ich will dein Geld nicht“, sprach sie stolz, wenn auch mit Tränen in den Augen. „Leb wohl und werde glücklich. Doch du sollst wissen, dass du mich rufen kannst, wenn du mich brauchst.“

Der König lächelte spöttisch. „Ich lasse dich rufen, wenn ich dich brauche“, sagte er, „aber ich werde dich nicht brauchen.“ Er schaute sie nicht an dabei, denn obgleich er sich so hochmütig gab, hatte er ein schlechtes Gewissen und konnte es nicht ertragen, ihr trauriges Gesicht und ihre Tränen zu sehen.


Die arme Gudrun kehrte nach Hause zurück und ging in ihre Kammer. Als sie den Rosenstrauch auf den Tisch stellte, streifte sie ungeschickt den Stamm, und ein spitzer Rosendorn stach sie in den Finger und sie begann kräftig zu bluten. Da Gudrun nichts zur Hand hatte, um die Wunde zu verbinden, riss sie das äußere Blatt von einer Rosenblüte ab und legte es auf die Wunde. Das Blättchen schmiegte sich an ihren Finger, wurde zuerst rot, dann rosa, schließlich zog es sich in die Haut ein und verschwand, als ob es nie da gewesen wäre. Gudrun war überrascht. Sie untersuchte ihren Finger und stellte fest, dass von der Verletzung nicht die geringste Spur geblieben war.

Einige Zeit verging. Der Tag der Hochzeit von König Heinrich und Prinzessin Insa wurde bekanntgegeben. Doch dann erschien eines Abends ein königlicher Bote bei Gudrun und überbrachte ihr den Befehl, vor dem König zu erscheinen. Sie war kein bisschen erstaunt, es war, als hätte sie die ganze Zeit auf diese Nachricht gewartet. Sie nahm ihren Rosenstrauch und folgte dem Boten, der sie zum Schloss und in die Gemächer des Königs führte. Dort sah sie Heinrich sitzen, allein und traurig.

„Guten Abend, Gudrun“, sprach er mit großer Mühe. „Insa weiß nicht, dass ich dich rufen ließ. Sie verbringt die letzten Tage vor der Hochzeit bei ihren Eltern. Das ist mir recht, denn ich möchte dich ohne Zeugen sprechen. Setz dich.“ Der König wies auf den Platz neben sich. „Damals war ich dir gegenüber sehr ungerecht, bitte verzeih mir. Außerdem war ich derjenige, der dir geraten hat, Ferdinand zu heiraten, den du nicht geliebt hast und mit dem du nun unglücklich bist. Sag mir, wie kann ich diese Ungerechtigkeit wiedergutmachen? Ich bin sehr reich. Ich könnte dir so viel Geld geben, dass du auf eigenen Füßen stehen kannst; dann könntest du auch deinen Mann verlassen, wenn du willst.“

„Nein, mein König, ich brauche all dein Geld nicht. Das, was ich mit meinen Blumen auf dem Markt verdiene, reicht mir. Wenn ich nicht arbeiten und nicht mit Menschen sprechen könnte, wäre mir langweilig. Aber ich danke dir, dass du mit mir sprechen wolltest. Das war mein größter Wunsch, aber ich wagte nicht, dich darum zu bitten.“

„Wenn du kein Geld brauchst, welche Belohnung willst du sonst haben für deine Liebe und Treue?“

„Du verwechselst etwas, Heinrich. Liebe kann man nicht belohnen. Sie ist selbst die höchste Belohnung, wenn du nur wirklich liebst. Irgendetwas hat wohl deinen Blick getrübt, du misst jetzt alles an Geld. Das ist aber nicht richtig.“

„Davon will ich nichts hören“, sagte der König unwirsch. „Ich frage dich noch einmal: Hast du irgendeinen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“

„Bevor ich meinen Wunsch ausspreche, erlaube mir, dir eine Frage zu stellen.“

„Sprich!“

„Schmerzen deine Wunden immer noch weniger, wenn du deine junge Braut umarmst?“

„Nein“, antwortete der König, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. „Ihre Umarmung wärmt mich nicht mehr so wie am Anfang. Und sie lindert auch meine Wunden nicht mehr, die schmerzen schlimmer denn je und lassen mir Tag und Nacht keine Ruhe. Warum fragst du? Kannst du mir helfen? Rede, Gudrun, die du in Rätseln sprichst!“

„Ja, mein König, nun kann ich meinen Wunsch aussprechen. Wenn du ihn erfüllen wolltest, wäre das eine echte Belohnung für meine Liebe. Mein Wunsch ist, dich von deinen Schmerzen zu befreien, und ich kenne ein Mittel, das dir helfen kann.“

„Gib mir dieses Mittel, schnell!“ Der König streckte die Hand aus und schnippte sogar vor Ungeduld mit den Fingern.

„Nein, Heinrich, ich werde es dir nicht in die Hand geben, denn du hast schon einmal dein Wort gebrochen. Lass mich weiter erklären, was ich mir wünsche, und bitte unterbrich mich nicht.“ Gudrun blickte den König fordernd an und fuhr fort: „Halte deine Braut Insa für zwei Monate von deinem Haus fern. Diese Zeit benötigt die Kur, die ich dir anbiete. Wenn ich dich in dieser Zeit nicht von deinen Schmerzen befreit habe, kannst du mich als Betrügerin auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Aber wenn mein Vorhaben gelingt, musst du mich heiraten. Das ist meine Bedingung. Entscheide dich: Willst du den jungen Körper umarmen, der dein Leiden schon lange nicht mehr lindert, oder deine Schmerzen loswerden und die Zeit, die du hast, mit mir zusammen glücklich leben? Frage dich selbst, warum du mich eigentlich hast rufen lassen – ob dein Herz mich wirklich vergessen hat oder ob du dein Leben mit mir teilen willst wie früher. Ich gehe jetzt. Denke darüber nach. Du weißt, wo ich zu finden bin. Leb wohl!“


Die Prinzessin wandte sich ab und ging auf den Ausgang zu. Doch noch bevor sie die Tür erreicht hatte, hörte sie Heinrichs Stimme:

„Warte, Gudrun, geh nicht. Ich werde alles so machen, wie du es willst. Ich schicke einen Boten zu Insa und verbiete ihr, in den nächsten zwei Monaten hierherzukommen. Wenn du mich nicht gesundpflegen kannst, verweise ich dich aus meinem Königreich, weil du nicht halten konntest, was du mir versprochen hast. Heilst du mich aber tatsächlich, bleiben wir zusammen ein Leben lang. Darauf gebe ich dir das Wort des Königs. Und nun komm zu mir, ich möchte dich umarmen wie früher und auf das hören, was mein Herz mir sagt.“

Gudrun trat zum König, und er umarmte sie und fühlte plötzlich sein Herz fröhlich schlagen. Er empfand Freude und Leichtigkeit wie schon lange nicht mehr und spürte auch die Schmerzen kaum noch, die ihn in all der Zeit, die er von Gudrun getrennt gewesen war, eisern umklammert hatten. Da wurde ihm klar, dass er gar nicht die schöne junge Insa liebte, sondern sich die ganze Zeit nach seiner Gudrun sehnte, die immer auf ihn gehört und auf ihn gewartet hatte.

Mit Hilfe der Rose, die sie mit ihrer Liebe großgezogen und mit ihren Tränen genährt hatte, gelang es Gudrun, König Heinrich innerhalb von vierzig Tagen wieder gesundzupflegen und fröhlich zu machen. Von da an lebten sie lange und glückliche Jahre bis ans Ende ihrer Tage zusammen.


Du willst wissen, was aus Ferdinand und aus Insa wurde? Jeder von ihnen hat sein eigenes Märchen …


Das Märchen von der männlichen Wahl


Vor langen, langen Zeiten, an die sich nur wenige Leute erinnern, lag am Ufer eines frei und ungezwungen dahinfließenden Stroms ein großes Königreich, das von König Ludwig und seiner Königin Gertrud regiert wurde. Die beiden lebten sehr glücklich miteinander. Nur eins machte sie traurig: Der liebe Gott wollte ihnen keinen Erben schenken. Das Ehepaar hatte schon fast jegliche Hoffnung aufgegeben, doch dann war Königin Gertrud eines Tages doch in gesegneten Umständen. Neun Monate später kam ein hübscher Junge zur Welt. Er wurde auf den Namen Donatus getauft, als Dank für das göttliche Geschenk. Der Junge wurde mit jedem Tag größer und klüger, und die Eltern hatten große Freude an ihrem Kind.


Donatus wuchs zu einem schlanken, schmucken Jüngling mit blauen Augen und schwarzen Locken heran und lernte von seinem Vater die Kunst des Regierens. Alle Prinzessinnen der Gegend träumten davon, diesen schönen, klugen und reichen Prinzen zu heiraten. Doch diejenigen, die an den Hof kamen, interessierten Donatus nicht im Geringsten. Viele waren hübsch, und alle waren sehr nett zu ihm und sehr freundlich, aber keine von ihnen berührte sein Herz, und er begann sich in ihrer Gesellschaft schnell zu langweilen. Lieber ging er mit seinen Freunden auf die Jagd oder nahm an Turnieren teil.

Irgendwann bemerkten das nicht nur die Schlossbewohner, sondern auch das gemeine Volk, und es kamen Gerüchte auf, dass bei dem Prinzen wohl irgendetwas nicht in Ordnung sei, wenn er noch immer keine Braut gefunden hätte. Dieses Gerede kam schließlich auch dem König und der Königin zu Ohren und löste bei ihnen großen Unmut aus. Sie beschlossen, mit ihrem Sohn zu reden, um herauszufinden, wo das Problem lag.

„Mein lieber Sohn“, sprach die Königin, „es ist an der Zeit, dass du heiratest. Gibt es ein Mädchen, das dir lieb ist, das du vielleicht ins Herz geschlossen hast?“

„Ich bin doch noch viel zu jung zum Heiraten, Mutter“, entgegnete Donatus. „Ich möchte noch eine Zeitlang mein freies Leben genießen. Und bisher bin ich noch keiner Frau begegnet, die mein Herz höher schlagen ließe.“

„Du solltest aber nicht nur an die Liebe denken, sondern auch an deine Aufgabe, für einen Thronfolger zu sorgen“, ermahnte ihn der Vater. „Wir sind schon ziemlich alt, und wir möchten gern noch Enkelkinder sehen und sie ein bisschen verwöhnen. Außerdem muss das Königreich gesichert werden, es gibt überall Neider, die nur danach trachten, unser Land zu erobern. Solange ich gesund bin, sitzen sie still wie Mäuschen in ihren Löchern, bin ich aber einmal alt und krank, werden sie wie die Raben geflogen kommen. Deswegen darfst du deine Heirat nicht auf die lange Bank schieben.“

Prinz Donatus war trotzdem nicht gewillt zu heiraten. Doch seine Eltern blieben hartnäckig. Jeden Monat gaben sie einen Ball, zu dem Prinzessinnen aus nah und fern eingeladen wurden. Schließlich aber hatten sich alle Prinzessinnen am Hof vorgestellt und die Eltern verloren die Hoffnung, dass irgendwann einmal eine auftauchen würde, die Donatus gefiele. Da überlegten sie, was sie mit dem ungehorsamen Prinzen tun könnten. Sie liebten ihren Sohn, aber sie durften auch die Interessen des Königreichs nicht außer Acht lassen. Schließlich griffen sie zu verzweifelten Mitteln. Eines Tages riefen sie Donatus in den Thronsaal und sprachen zu ihm:

„Nun hast du alle Prinzessinnen gesehen, die Du zur Braut nehmen könntest, aber du hast keine erwählt. Wir wollen und können nicht länger darauf warten, dass du endlich zur Vernunft kommst. Darum geben wir dir ein Jahr Zeit, auszuziehen und selbst eine Braut zu finden. Pack deine Sachen, mach dich auf den Weg und such eine, der du dein Herz schenken kannst. Und komm nicht ohne eine Braut nach Hause.“

Sie hatten Tränen in den Augen bei diesen Worten, denn der Gedanke, dass sie ihren geliebten Sohn ein ganzes Jahr lang nicht sehen würden, machte sie sehr traurig.

Donatus war auf solche harten Reden gar nicht gefasst. Überrascht und traurig stand er vor seinen Eltern und wusste nicht, was er antworten sollte. Er hatte keine Lust, sein Elternhaus zu verlassen, und er wusste auch nicht, wo er eine Braut suchen sollte. Aber als er etwas dagegen einzuwenden suchte, wollten die Eltern nichts hören. Sie waren auch nicht bereit, ihre königliche Entscheidung zu ändern.

„Mach dich unverzüglich auf den Weg. Je schneller du fortgehst, desto eher bist du zurück.“

Donatus blieb nichts anderes übrig, als sich dem Willen seiner Eltern zu beugen. Er packte Kleidung und Proviant und etwas Geld ein und nahm Pfeil und Bogen mit, um jagen zu können. Dann verbeugte er sich vor dem König und der Königin und sprach:

„Ich werde mein Bestes tun, um Euren Willen zu erfüllen, und begebe mich auf die Suche nach einer Braut, wie ihr es mir gebietet. Sollte ich aber in einem Jahr nicht zurück sein, seid mir nicht böse. Dann war es mir bestimmt, unverheiratet zu sterben!“

Nach diesen Worten umarmte er Mutter und Vater und ging fort, ohne sich noch einmal umzudrehen, denn er wollte ihre Tränen nicht sehen und suchte seine eigenen zu verbergen.


Viele Monate war der Prinz unterwegs. Irgendwann waren seine Kleider verschlissen, und er hatte drei Paar Stiefel abgetragen. Er hatte gelernt, sich neue Pfeile zu machen, um nicht zu verhungern. Sein Geld war fast aufgebraucht, nur noch drei goldene Taler waren ihm geblieben. Da sie ihn an sein Elternhaus erinnerten, hütete er sie wie seinen Augapfel und wollte sie nur in größter Not ausgeben.

Eines Abends, als Donatus am Rand eines Waldes wanderte, meinte er hinter den Bäumen Licht zu sehen. Zuerst glaubte er sich geirrt zu haben. Er schaute angestrengt in diese Richtung – aber nein, er täuschte sich nicht, da war tatsächlich Licht. Der Prinz eilte darauf zu und entdeckte bald zwischen den Bäumen eine Hütte. Sie war halb verfallen und so vom Wald übergewachsen, dass man sie nur erkennen konnte, wenn man sehr genau hinsah. Der Prinz blieb vor der Tür stehen und überlegte, ob er zuerst klopfen oder einfach eintreten sollte. Als er den Arm hob, um anzuklopfen, öffnete sich plötzlich die Tür und auf der Schwelle erschien ein Greis. Weißes Haar hing ihm auf die Schultern herab, auch sein langer Bart war schneeweiß. Die beiden Männer standen sich gegenüber und betrachteten einander eine Weile schweigend. Schließlich begann der Alte als Erster zu sprechen:

„Na, mein Freund, was stehst du da wie angewurzelt und starrst mich an? Hast du etwa Angst? Keine Bange, ich bin ein friedlicher Mensch, und wenn du selbst keine bösen Absichten hast, sei herzlich willkommen. Ich koche uns Tee und du erzählst mir, was dich in meinen Wald führt.“

Donatus war froh, dass er die kommende Nacht nicht im Wald verbringen musste. Er verbeugte sich dankend vor dem alten Mann und betrat die Hütte. Wie versprochen stellte der Gastgeber den Teekessel auf und bereitete einen Tee, der nach Kräutern duftete. Dann schenkte er ihnen beiden ein, bot seinem Gast Brot und Honig an und sagte:

„Ich lebe hier seit vielen, vielen Jahren, aber lebende Menschen sehe ich in diesem Wald nicht sehr häufig. Ich werde dir von meinem Leben erzählen, davon, warum ich in diesem Wald geblieben bin. Und wenn du möchtest, dann erzählst du mir, was du hier suchst. Vielleicht kann ich dir helfen. Ich sehe ja, dass du kein böser Mensch bist, du strahlst Offenheit und Ehrlichkeit aus.“

Donatus dankte dem Greis für seine freundlichen Worte und wollte gern seine Geschichte hören.

„Meinen Namen habe ich so lange nicht gehört, dass ich ihn schon fast vergessen habe. Doch früher nannte man mich Hartlieb. Meine Mutter war Weißnäherin bei König August. Irgendwann wurde sie seine Geliebte. Die Ehe des Königs war damals noch kinderlos, und als meine Mutter ihm sagte, dass sie ein Kind von ihm trug, freute er sich sehr. Als die Königin dies erfuhr, wurde sie sehr zornig. Nach außen aber ließ sie sich nichts anmerken, denn sie war eine kluge Frau. Und so ging sie heimlich zu einer Kräuterfrau und klagte über ihre Kinderlosigkeit. Die kräuterkundige Frau braute ihr einen Trank, und diesen nahm sie über eine lange Zeit hinweg ein – so lange, dass sie schon an seiner Wirkung zu zweifeln begann. Währenddessen wuchs Hartlieb heran, und der König kam oft in das Haus seiner Geliebten und verbrachte viel Zeit mit seinem Sohn, sehr zum Ärger der Königin. Das Kräuterweib war jedoch keine Betrügerin. Nach vielen Jahren fand sich die Königin endlich in gesegneten Umständen und brachte schließlich Zwillinge zur Welt. Die Freude des Königs war natürlich groß. Bald schon hatte er mich, seinen unehelichen Sohn, vollkommen vergessen. Die Königin nutzte die Gelegenheit, meine Mutter endlich loszuwerden, indem sie sie vom Hof verbannte. Als das König August zu Ohren kam, wollte er sich dem nicht offen widersetzen, da er nicht mit der Königin streiten wollte, doch er bat einen Herzog, der sein Freund war, die königliche Weißnäherin und ihren Sohn in Dienst zu nehmen. Der Herzog entsprach dieser Bitte gern. Der Herzog hatte einen Sohn, der ungefähr in meinem Alter war. Wir wuchsen zusammen auf und wurden enge Freunde, und das blieben wir auch, als wir erwachsen waren und er heiratete und schließlich die Regentschaft über das Herzogtum übernahm. Leider fand unsere Freundschaft ein trauriges Ende: Als wir eines Tages zusammen auf der Jagd waren, scheuchten wir eine Bärenmutter auf, vor deren Tatzen ich ihn nicht retten konnte.

Kurz nachdem ich meinen Herrn und Freund verloren hatte, starb auch meine Mutter. Ich blieb in den Diensten von Antonia, der Witwe des Herzogs, und ihrer Tochter Friederike, die damals noch ganz klein war. Aber je länger ich ihnen diente, desto klarer wurde mir, dass ich meine Herrin mehr liebte als das Leben selbst. Lange wagte ich nicht, der Herzogin meine Liebe zu gestehen, da ich meinte, ich sei ihrer nicht würdig. Schließlich aber fasste ich mir doch ein Herz und offenbarte mich ihr.

„Hartlieb“, antwortete sie, „du warst ein Freund meines Mannes, nur deshalb habe ich mir überhaupt angehört, was ich eigentlich gar nicht hören durfte. In meinem Haus warst und bleibst du ein Diener – nicht weil du mir nicht lieb wärest, sondern weil du unehelich bist.“

Der Hochmut, der aus diesen Worten sprach, traf mich tief und brachte meine Gefühle für die Herzogin ins Wanken. „In meinen Adern fließt mehr königliches Blut als in deinen“, entgegnete ich scharf.

„Mag sein“, antwortete die Frau, die ich liebte. „Doch mein Blut reicht dafür, dass die Gesellschaft mich anerkennt und achtet. Wer aber wird dein königliches Blut anerkennen, wenn nicht einmal dein Vater es tat und dich fortschickte?“ Sie schaute mich nicht an dabei. Ich wusste, dass sie mich nicht wirklich gering achtete, doch wie immer sie selbst darüber dachte, sie hätte es niemals über sich gebracht, sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen und durch eine Heirat mit mir ihr Ansehen und womöglich auch die Zukunft ihrer einzigen Tochter zu gefährden.

Ich war zutiefst verletzt, aber was konnte ich tun? Ohne ein weiteres Wort verließ ich das Haus, und noch am selben Tag ging ich für immer fort. Lange wanderte ich umher. Endlich fand ich diese Hütte und ließ mich hier nieder. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich hier schon lebe. Man nennt mich den Waldmenschen, da ich diesen Wald nie verlasse. Ich war noch jung und gutaussehend, als ich von Antonia fortging, aber als ich hier ankam, war ich alt geworden – aus Kummer. Wie du siehst, ist mein Haar weiß, aber nicht vom Alter, sondern weil ich unglücklich bin – denn ich habe meine einzige Liebe verloren.“

Donatus war ganz fasziniert von der ungewöhnlichen Geschichte. „Und was ist aus Antonia geworden?“, fragte er. „Hat sie noch einmal geheiratet?“

„Nachdem ich weggegangen war, kamen Gerüchte auf, ein Diener hätte der Herzogin einen Heiratsantrag gemacht, aber einen Korb bekommen. Niemand wusste ja, dass ich der uneheliche Sohn des Königs bin. Danach zog Antonia sich zurück und verließ kaum noch das Haus. Sie lebt dort heute noch mit ihrer Tochter Friederike.“

Eine Weile schwiegen beide und hingen ihren Gedanken nach. Dann sah der Waldmensch Donatus an und fragte:

„Und du, mein Freund, wo kommst du her und was suchst du hier in der Fremde? Oder hast du auch etwas verloren?“

„Ich habe nichts verloren, aber ich suche nach etwas. Überall auf der Welt suche ich nach einer Braut für mich, aber bis jetzt habe ich noch keine gefunden, die mir gefallen würde.“

„Na, sieh mal einer an – was für ein mutiger Kerl! Und warum suchst du sie nicht bei euch? Oder gibt es dort, wo du herkommst, keine heiratswilligen Frauen?“

„Doch, es gibt schon welche, aber sie alle langweilen mich, und bisher hat mich keine wirklich interessiert. Ich will eine Frau, mit der ich mich unterhalten kann, die spannende Geschichten zu erzählen weißer und kluger Gedanken hat, die sanft und zärtlich ist, aber einen eigenen Willen hat, die auf ihren Mann hört, aber selbst auch nicht um Worte verlegen ist. Vielleicht kannst du mir sagen, ob du hier in der Gegend eine solche Frau kennst? Sonst muss ich weiterziehen, denn ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich versuchen würde, innerhalb eines Jahres mit einer Braut nach Hause zurückzukehren. Das Jahr ist aber schon beinahe um.“


„Nun“, sagte Hartlieb, „ich kenne schon eine, bei der ich mir vorstellen kann, dass sie dir gefallen würde, aber sicher kann ich natürlich nicht sein. Ich meine Friederike, Antonias Tochter. Diese junge Frau ist eine Schönheit ohnegleichen, sie ist klug und hat einen eigenen Willen. Ihre Reden sind süß wie Honig, ihre Haltung ist majestätisch wie eines Schwans, dabei ist sie sanft und zärtlich wie ein Kätzchen. Viele Männer haben schon um sie geworben, doch Friederike hat sie alle zurückgewiesen, denn sie ist eigensinnig und wählerisch. „Ich will einen Mann“, pflegt sie zu sagen, „der mich über alles liebt und mir jeden Wunsch von den Augen abliest, aber er soll trotzdem stark sein und einen unbeugsamen Willen haben. Ich will einen Mann, der mir meine Freiheit lässt und mich gleichzeitig fest an sich bindet. Wenn sich so einer findet, heirate ich ihn, ob er ein Diener ist oder ein König. Gibt es ihn aber nicht, werde ich lieber eine alte Jungfer!“

Donatus war bei der Schilderung des Waldmenschen ganz aufgeregt geworden. „Genauso eine Frau suche ich!“, rief er aus. „Sag mir, wo wohnt Friederike, und wie finde ich dorthin? Ich möchte sofort um ihre Hand anhalten! Und dir schenke ich für deinen guten Rat einen goldenen Taler. Damit kannst du deine Hütte winterfest machen, bevor sie ganz und gar auseinanderfällt.“

„Das Haus, in dem Friederike und Antonia leben, findest du leicht: Wenn du von hier aus immer geradeaus in südlicher Richtung gehst, läufst du nach etwa zwei Tagen direkt auf das herzogliche Schloss zu, das kannst du nicht verfehlen. Und für dein Geschenk danke ich dir. Es ist wahr: Seit ich das Haus meiner Herrin verlassen habe, habe ich keinen Taler mehr in der Hand gehalten. Nun kann ich die Fenster meiner Hütte verglasen lassen.“


Am nächsten Morgen begleitete Hartlieb den Prinzen zur Tür. „Gott sei mit dir!“, sagte er zum Abschied. „Mögest du dein Glück finden!“ Er blieb lange auf der Schwelle stehen und schaute Donatus nach, als dieser sich entfernte. Endlich seufzte er, ging zurück in sein Häuschen und schloss die Tür.

Wie der Waldmensch gesagt hatte, erreichte Donatus nach zwei Tagen die herzogliche Residenz und klopfte an die Tür. Obwohl er inzwischen etwas heruntergekommen aussah, zeigte die Herrin sich gastfreundlich, bat ihn herein und bot ihm Speise und Trank an. Anschließend wollte sie hören, woher ihr Gast kam und was er wollte.

„Ich bin hierhergekommen“, sagte der Prinz, „weil man sich erzählt, dass in diesem Haus eine junge Frau von unbeschreiblicher Schönheit lebt. Ich möchte um ihre Hand anhalten.“ Von seiner Begegnung mit Hartlieb erzählte er nichts, denn er wollte keine alten Wunden aufreißen.

„Eine Schönheit lebt hier“, entgegnete die Gastgeberin, „aber bist du ihrer auch würdig? Sie ist sehr eigenwillig, meine Tochter Friederike. Und ich werde sie zu nichts zwingen. Ob sie dich liebenswert finden wird oder nicht, kann ich nicht bestimmen.“

Nach diesen Worten klatschte sie zweimal kräftig in die Hände. Die Tür ging auf und die Tochter der Herzogin betrat den Raum; sie hatte die ganze Zeit im Nebenzimmer gesessen und zugehört. Als Donatus die junge Frau erblickte, verschlug es ihm die Sprache: Sie war wirklich eine außergewöhnliche Schönheit. Er saß nur da und brachte kein einziges Wort heraus. Friederike lächelte. Sie setzte sich ihm gegenüber und sagte:

„Heute kannst du dich ausruhen und dich von deiner Überraschung erholen. Aber morgen will ich dich auf die Probe stellen. Wenn du verstehst, wie ich wirklich bin, was ich will und womit man mich halten kann, werde ich deine Braut. Wenn dir das nicht gelingt, musst du einen Monat lang unseren Pferdestall ausmisten. Einverstanden?“

Donatus blieb gar nichts anderes übrig, als in diese Bedingungen einzuwilligen, so sehr hatte er sich schon auf den ersten Blick in Friederike verliebt.


Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen, er wälzte sich von einer Seite auf die andere und dachte an ihre Worte. Er hatte Angst, dass er ihr wahres Wesen nicht erkennen würde, denn er wusste, wenn er sie nicht gewinnen könnte, würde er niemals eine andere heiraten. Als er am Morgen zu Tisch kam, saß Friederike bereits dort und wartete auf ihn. Kaum hatte er Platz genommen, verwandelte sie sich plötzlich in ein Stück Eis, und sogleich verbreitete sich Kälte im Raum. Der Prinz erschrak und wusste nicht, was er tun sollte. Als er sich hilfesuchend umblickte, sah er eine Tagesdecke, er griff danach und bedeckte die Eisscholle damit. Sofort floss unter der Decke Wasser hervor. Als Donatus das sah, erschrak er noch mehr. Er riss die Decke herunter, aber da war kein Eis mehr, es hatte sich in Dampf verwandelt. Der Dampf zischte und kroch durch den Raum, und es wurde heiß wie in einem Dampfbad. Donatus griff nach einem Krug mit einem schmalen Hals und fing den Dampf darin ein, und damit der Dampf nicht entweichen konnte, bedeckte er die schmale Öffnung des Krugs mit einem seiner goldenen Taler. Dann stellte er den Krug auf den Tisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Friederike aber verwandelte sich schon wieder, und zwar in einen quirligen Fluss. Diesmal wusste Donatus sofort, was er tun musste. Ohne zu zögern zog er die Stiefel aus, legte sein Obergewand ab, sprang in den klaren Fluss und ließ sich von seinen Wellen wiegen. Dabei wurde ihm ganz leicht ums Herz. Er schwamm, sang und lachte, seine Angst hatte er vollkommen vergessen. Dann stand er plötzlich wieder in der Stube vor dem Tisch, an dem Friederike und ihre Mutter saßen. Die junge Frau stand auf und trat zu ihm.

„Mutter“, sagte sie, „das ist der Mann, der mir vorherbestimmt ist, den möchte ich heiraten. Er hat verstanden, dass ich nicht kalt bin wie Eis und auch nicht heiß wie Dampf, sondern fröhlich, schnell und frei wie ein Fluss. Und er hat nicht versucht, mich festzuhalten oder einzusperren, sondern er ist in meine Wellen eingetaucht und zusammen mit mir geschwommen. So möchte ich mit ihm leben – zusammen dahinfließen, die Sonne genießen, die gleichen Sterne anschauen. Gib uns deinen Segen, Mutter!“

Nachdem Antonia das junge Paar gesegnet hatte, machten sich die beiden auf den Weg in Donatus‘ Heimat, wo der König und die Königin auf sie warteten. Die Eltern waren überglücklich, als sie ihren Sohn endlich wieder in die Arme schließen konnten und er sogar eine Braut mitgebracht hatte, und sie veranstalteten ein prächtiges Hochzeitsfest. Friederike beglückte ihren geliebten Mann jedes Jahr mit einem Kind, bis es zwölf waren. Als der alte König starb, wurde Donatus König. Kein Feind wagte es, sein Königreich anzugreifen, denn seine Grenzen waren gut gesichert.

Herzogin Antonia aber lebte einsam in ihrem großen Haus und starb schließlich, ohne Hartlieb je gesagt zu haben, dass sie ihn fast ihr ganzes Leben lang geliebt hatte. Ihre Angst vor bösartigem Geschwätz war stärker gewesen als ihre Liebe.

Das Märchen von Gier und Lüge


Es war einmal ein blühendes Königreich, das zwischen zwei Bergketten lag und für seine vielen fischreichen Seen bekannt war. Das Land war auch reich an Menschen, die geschickt und klug waren und ihr Handwerk verstanden. Doch dann wurde ein Mann König, der war ein fröhlicher und freundlicher Mensch, aber er war auch ein Faulpelz und Taugenichts. Die fähigen Menschen im Land wollten nicht von einem solchen Nichtsnutz regiert werden und zogen fort. Mit der Zeit verschlammten die Seen, die großen leckeren Fische starben aus, nur winzige Karauschen gerieten den Fischern manchmal noch in die Netze, aber auch das kam immer seltener vor. Die wunderschönen Rosen, die früher weit über die Berge hinaus bekannt gewesen waren, gingen ohne Gärtnerkunst und Pflege ein oder verwilderten. Selbst der Park um das Schloss herum wurde vernachlässigt. Anstelle schöner Blumen wucherten dort nur Unkraut, Brennnesseln und Löwenzahn. Mit der Zeit verfiel das Königreich immer mehr.


Der König und die Königin dieses heruntergekommenen Landes, das einst so schön gewesen war, hießen Felix und Beatrice. Die beiden zankten sich nie und waren mit allem zufrieden. Sie standen spät auf und gingen früh ins Bett, tagsüber tranken sie Tee, aßen Brezeln und spielten Kricket. Der Unordnung, die sich in ihrem Königreich immer mehr ausbreitete, schenkten sie keine Beachtung.

Das königliche Paar hatte eine Tochter, Prinzessin Selina, die sie über alles liebten. Sie war bildschön, ein echtes Juwel in der königlichen Krone. Ihre Augen waren so strahlend blau wie das reine Wasser der Seen, die Lippen hatten die Farbe reifer, süßer Himbeeren, das zu einem langen Zopf geflochtene Haar war dunkelblond und seidig. Schlank und schön war die Prinzessin, klug, gepflegt und höflich, doch sie war auch selbstbewusst und hatte ein kämpferisches Wesen, und selten konnte es ihr jemand recht tun. Ihre Eltern aber liebte und verehrte Selina.

Als die schöne Prinzessin alt genug war, dass man ans Heiraten denken konnte, warben viele Prinzen um sie, obwohl die königliche Familie sehr arm war. Doch Selina war sehr wählerisch.

„Prinz A ist zu jung“, sagte sie, „und B hat eine viel zu lange Nase. Einen Alten will ich nicht heiraten, wo ich doch selbst noch so jung bin. Einen Schönen will ich nicht haben, denn dann würden alle nur ihn anstarren. Einen Armen werde ich abweisen, weil ich selbst keine Mitgift habe. Einen Lahmen brauche ich auch nicht, weil er nicht tanzen kann. Ein Schielender kommt nicht in Frage, da er meine Schönheit nicht richtig sehen kann. Einem Dummen gebe ich sofort einen Korb, denn worüber sollte ich mich mit ihm unterhalten? Vor einem allzu Klugen habe ich selbst Angst: Der würde mich ausspielen und mich meiner Freiheit berauben. Einen reichen würde ich vielleicht heiraten, falls er genauso jung ist wie ich, ein gewöhnliches Gesicht hat – weder zu schön noch zu hässlich – und einen nachgiebigen Charakter, damit er mich lieben und verwöhnen kann, so wie Papa Mama liebt und verwöhnt und ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. Auf so einen warte ich, einen anderen möchte ich nicht heiraten!“

So sprach sie mit Nachdruck und ließ sich davon nicht abbringen. Ihre Eltern konnten so viele heiratswillige Prinzen empfangen, wie sie wollten, die Prinzessin blieb stur und schickte sie alle wieder nach Hause, da sie ihren Traumprinzen unter ihnen nicht fand. So verging ein Jahr, dann ein zweites und ein drittes, aber Selina wollte immer noch keinen Mann zum Bräutigam nehmen. Mit der Zeit kamen immer seltener Heiratskandidaten ins Schloss, denn die Männer wurden es müde, um die zwar schöne, aber über alle Maße wählerische Prinzessin zu werben. Die Eltern überlegten hin und her: Einerseits wollten sie die Prinzessin natürlich gern bei sich behalten, doch andererseits durften sie sie in ihrem Starrsinn nicht noch ermutigen, schließlich mussten sie auch an Selinas Zukunft denken, da sie selbst arm waren. Ein letztes Mal versuchten sie Selina umzustimmen.

„Liebe Tochter“, sprach die Königin, „wir hatten mittlerweile so ziemlich alle Männer zu Gast, die du heiraten könntest und die dich, obwohl du keine Mitgift hast, mit Freuden heiraten würden. Gab es denn darunter nicht einen Würdigen?“

„Es gab wohl keinen, und so muss ich weiter warten“, antwortete die Schöne.

„Wir aber können nicht länger warten“, sagte der König traurig zu seiner Tochter. „Die Staatskasse ist leer, es ist kein Geld mehr da, um Bälle zu geben und teure Kleider zu bezahlen. Also wirst du den nächsten Mann heiraten, der um deine Hand anhält. Das ist unser letztes königliches Wort.“

Lange Zeit sprach keiner der drei ein Wort. Schließlich antwortete die Prinzessin:

„Wenn das Euer Wunsch ist, so muss ich gehorchen. Aber ich bitte Euch, einer einzigen Bedingung zuzustimmen.“

„Was für eine Bedingung?“, fragte der König. „Ich gestatte, sie auszusprechen, verspreche aber nicht, ihr zu entsprechen.“

„Wenn ich schon einen Mann heiraten soll, den ich nicht liebe, dann soll er zumindest reich sein. Ich bin sogar einverstanden, einen Alten zu heiraten, wenn er einen guten Charakter hat. Sonst würden wir nicht gut miteinander auskommen. Aber einen Schielenden oder einen Lahmen möchte ich nicht heiraten! Lieber ertränkt mich gleich. Habt Mitleid mit eurer einzigen Tochter! Nehmt meine Bedingung an!“


Der König und die Königin berieten sich flüsternd und willigten schließlich ein.

Nicht lange danach geschah es, dass ein verwitweter König aus einem fernen Land ins Schloss kam und um die Hand der Prinzessin anhielt. Er war älter als sie und nicht übermäßig attraktiv. Der Tod seiner Frau machte ihn immer noch traurig, aber er bemühte sich, den Kopf nicht hängen zu lassen, plauderte und scherzte mit der Prinzessin, um sich fröhlich zu zeigen.

„Bei mir wirst du wie eine echte Königin leben“, sprach König Detlef, denn so hieß er, zu der Prinzessin. „Mein Schloss ist riesig, ich weiß nicht einmal, wie viele Zimmer ich überhaupt habe. Ringsum sind wunderschöne Gärten und Parks angelegt, dort kann man stundenlang spazieren gehen. Es gibt Singvögel in Hülle und Fülle und auch verschiedene andere Tiere in reichem Maße. Alles wird gut gepflegt und ist wirklich eine Augenweide. Neben all diesen Naturschätzen habe ich noch einen Schatz von einer Mutter. Sie ist schon sehr betagt, aber eine echte Königin. Ich werde dich ihr vorstellen. Wenn du ihr gefällst, wird sie dich mit Gold überschütten. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm: Nach ihrem Tod werde ich sowieso alles erben, und sie hat immense Reichtümer. Willst du mich heiraten, Selina?“

Die Prinzessin wunderte sich zwar über solche Reden, aber sie zeigte es nicht. Sie war ja froh, dass ein Mann um ihre Hand anhielt, der reich war, zwar etwas älter, aber von angenehmem Äußeren und nicht geizig.

Man war sich schnell einig. Das Hochzeitsfest wurde eher bescheiden gefeiert, weil es der Prinzessin doch irgendwie peinlich war, ihren jungen Freundinnen den alten Bräutigam zu präsentieren.


Nach der Hochzeit fuhren die Jungvermählten in Detlefs Heimatland. Als sie in seinem Schloss ankamen, betrachtete Selina alles aufmerksam und freute sich. Der König hatte sie nicht belogen, alles war so, wie er es geschildert hatte: ein riesiges Schloss, umgeben von großen Parks und schönen, gepflegten Gärten mit unzähligen Vögeln und anderen Tieren.

Kurz darauf sprach Detlef zu seiner schönen Selina:

„Nächste Woche möchte ich Mama besuchen und ihr meine junge Frau vorstellen. Darum habe ich eine große Bitte an dich: Zieh dich schön an und zeige dich freundlich und sanft.“

„Bin ich denn zu Hause nicht freundlich und sanft genug?“

„Doch, doch, aber es ist wichtig, dass Mama dich so liebgewinnt, dass sie dich königlich beschenkt.“

„Wozu brauchst du ihre Geschenke?“, verwunderte sich Selina. „Du bist doch selbst reich. Du bist König, wohnst in einem prächtigen Schloss und hast alles, was du brauchst.“

„Ja, ich lebe gut, allerdings habe ich Schulden. Jeden Tag kommen Leute, die Geld von mir wollen, aber woher soll ich es nehmen? Die Staatskasse ist leer.“

Selina war bestürzt über dieses Geständnis. Eine Weile schwieg sie und dachte über die verfahrene Situation nach, in die sie durch ihre Heirat mit diesem Mann ganz unerwartet geraten war. Schließlich fragte sie:

„Warum hast du, ein alter Mann, mich, eine junge Frau, geheiratet, wenn du gar kein Geld hast, um meine Wünsche zu erfüllen? Du wusstest doch, dass ich keine Mitgift habe. Warum hast du nicht eine andere geheiratet, die Geld hat?“

„Die mit Geld sind alle alt oder langweilig, und sie trachten bloß danach, ihren Mann zu unterdrücken. Ich aber möchte ein freier Mann sein, nach meinem Willen leben und mein Glück genießen. Mit dir bin ich glücklich: Du bist jung, schön, fröhlich, deine Reden sind süß und deine Liebe noch süßer. Wie hätte ich so einen Schatz ausschlagen können? Dass wir kein Geld haben, ist nicht schlimm. Mama wird uns schon etwas zum Überbrücken geben. Im Herbst bringen die Bauern die Ernte ein und zahlen mir Ackerzins, dann sind wir unsere Sorgen wieder los und können das Leben in vollen Zügen genießen. Sind das keine guten Aussichten? Und du, meine Liebe, könntest auch mal darüber nachdenken, wie wir unsere Kassen auffüllen können. Du bist jetzt meine Frau, also sind wir ein Zweigespann und müssen alles miteinander teilen.“

Die junge Königin wurde wütend. „Ich habe doch nicht einen alten Mann geheiratet, um nun auch noch für ihn arbeiten zu müssen! Ich will dich nicht mehr, morgen fahre ich zurück zu meinen Eltern.“

König Detlef lächelte. „Du wirst weder morgen noch übermorgen irgendwohin fahren“, sagte er. „Ich habe deinen Eltern meinen letzten Sack Gold gegeben, unter der Bedingung, dass du bei mir bleibst. Sie werden dich nicht aufnehmen, wenn du zurückkommen solltest. Ich aber liebe dich, also bleib bei mir, wir werden glücklich sein zusammen. Wenn meine Mama stirbt, werden wir viel Geld erben. Dann zahlen wir alle Schulden zurück, und für uns wird auch noch einiges übrigbleiben.“

Selina war tief getroffen von Detlefs Verrat und haderte eine Zeitlang mit ihrem Schicksal. Doch dann begann sie zu überlegen, wie sie aus der Situation das Beste machen könnte. Viele Tage lang schloss sie sich in ihr separates Schlafgemach ein, um nicht von Detlef gestört zu werden, und dachte nach.

Schließlich traf sie eine Entscheidung. Sie ging zu ihrem Mann und sprach:

„Du hast mich belogen. Aber dafür werde nicht ich dich bestrafen, sondern das Leben selbst.“

„Ich habe dich nicht belogen“, antwortete Detlef, der alle Frauen für dumm und sich selbst für gescheit hielt. „Ich habe bloß nicht alles gesagt. Du hast ja auch nicht gefragt, ob ich genug Geld habe. Wenn du mich gefragt hättest, hätte ich dir alles ehrlich erzählt.“

„Damals hast du mich belogen“, beharrte Selina, „und nun versuchst du mit faulen Ausreden, dich selbst zu belügen. Aber das ist jetzt egal, ich möchte nicht mit dir darüber streiten. Ich habe mir inzwischen überlegt, wie wir weiter leben werden. Wir fahren deine Mama besuchen. Ich werde alles Geld nehmen, das sie mir geben mag. Aber du bekommst davon keinen Heller. Ich werde die Dinge selbst in die Hand nehmen, deine Finanzen verwalten und deine Schulden abbezahlen, denn zu dir habe ich kein Vertrauen mehr. Solltest du mein Vertrauen zurückgewinnen, kannst du dein Königreich wieder selbst regieren. Bis dahin werde ich mich um alles kümmern und versuchen, deine Fehler auszugleichen.“

„Damit bin ich nicht einverstanden!“, rief König Detlef wütend. „Du bist meine Ehefrau! Du sollst hier nicht das große Wort führen, sondern Kinder zur Welt bringen und nur dann den Mund aufmachen, wenn man dich fragt, und nicht, wenn dir danach ist! Ich bin der König, ich regiere allein und werde nicht zulassen, dass du dich in meine Angelegenheiten einmischst!“

„Wenn du so weiterregieren willst wie bisher, nur zu!“ antwortete die kluge Selina, die beim Wutausbruch des Königs ganz ruhig blieb, obwohl sie innerlich kochte vor gerechtem Zorn. „Aber dann verlasse ich dich. Ich gehe zu deiner Mama und werde ihre treue Krankenpflegerin. Keine Sorge, ich werde ihr schon gefallen. Dann verdiene ich mir mein Brot selbst, und sie erfährt dabei eine spannende Geschichte über ihren Sohn. Du darfst wählen, was dir lieber ist. Dafür hast du noch ein bisschen Zeit, wir fahren ja erst in zwei Tagen zu deiner Mutter. Wie du es bestimmst, so wird es sein. Entweder ich bleibe bei deiner Mutter oder ich bleibe in unserem Haus und regiere als Königin.“

Nach diesen Worten wollte Selina das Zimmer verlassen, doch auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um und sagte:

„Gemeinsame Kinder kannst du vergessen. Solange die Geschäfte nicht ordentlich laufen, bin ich keine Ehefrau für dich. Du hast mich mit einer Lüge hierhergelockt. Nun musst du den Preis dafür zahlen.“

Zwei Tage lang hing König Detlef bitteren Gedanken nach. Er bemitleidete sich selbst zutiefst, aber er wollte auch die schöne Selina nicht verlieren. Schließlich ging er widerwillig zu ihr, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen:

„Ich verstehe zwar meine Schuld dir gegenüber nicht und begreife nicht, was ich falsch gemacht haben soll. Doch ich will unter keinen Umständen, dass Mama etwas von meinen Schulden erfährt. Also werden wir es so machen, wie du vorgeschlagen hast. Ich gebe alle Macht in deine Hand, aber nicht für immer, sondern nur für drei Jahre. Dabei habe ich zwei Bedingungen. Erstens darf keiner wissen, dass in Wahrheit du das Land regierst, denn sonst würde ich nicht nur die Achtung meiner Freunde, sondern auch die meiner Feinde verlieren. Zweitens habe ich nicht eine junge Schönheit geheiratet, um an der Tür ihres Schlafgemachs abgewiesen zu werden. Ich möchte weiterhin nachts zu dir kommen, sonst verliere ich meine männliche Würde.“ Nach diesen Worten senkte König Detlef den Kopf, da er eine harte Antwort befürchtete.

Selina sah ihn eine Weile an und überlegte. Dann erwiderte sie:

„Dass mein Mann kein Mann ist, möchte ich natürlich nicht. Ich werde mich deiner Liebe nicht entziehen, sonst würdest du zu Dirnen gehen, und das möchte ich nicht. Die Macht übernehme ich jedoch nicht für drei, sondern für sieben Jahre. Ohne deine Hilfe werde ich es allerdings nicht schaffen. Darum bitte ich dich, mich in der ersten Zeit zu unterstützen, bis ich weiß, was falsch läuft. Lass uns so einig werden, dass wir den Schein wahren und einander nicht benachteiligen. Jeder von uns soll sein Schlafgemach behalten, aber wenn mein junger Körper sich nach deiner Liebe sehnt, komme ich zu dir. Und eine Frau will nur dann geliebt werden, wenn sie einen starken und erfolgreichen Mann neben sich weiß. Denk darüber nach!“


So vereinbarten sie es und lebten fortan ohne Streit nach den Regeln, die sie festgelegt hatten. Nachdem sieben Jahre vergangen waren, setzten sie sich zusammen, um zu besprechen, was zu tun sei und wie sie weiter leben wollten.

„Meine geliebte Königin“, sprach Detlef, „du hast mich davor bewahrt, dass mein Name in Verruf gerät. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Nun ist die Frage, wie ich meinen Dank abstatten kann. Wenn du möchtest, so regiere auch weiterhin mein Königreich, das gelingt dir besser, als ich es je konnte. Was mich angeht, so möchte ich weiter mit dir zusammenleben. Ich habe gar keine Bedingungen, ich möchte nur, dass du bei mir bleibst, möchte deine Liebe, deine Fürsorge und Zärtlichkeit spüren. Ich bin kein Jüngling mehr, ich sehne mich nach Wärme und Sicherheit und nach einem Menschen an meiner Seite. Dafür schenke ich dir mein Königreich, völlig schuldenfrei!“

„Das Königreich, das du mir hier bietest, hast nicht du aufgebaut“, entgegnete Selina. „Es ist nicht dein, sondern unser beider Werk. Deshalb ist dein Königreich kein Geschenk für mich. Womit du Recht hast, ist, dass du alt geworden bist nach all den Jahren. Darum ist es verständlich, dass du einen jungen warmen Körper neben dir haben willst. Als ich dich damals geheiratet habe, liebte ich nicht dich, sondern dein Geld, auch wenn ich mir schwor, dir treu zu sein. Als ich von deiner Lüge erfuhr, war ich sehr zornig, aber ich dachte an mein Versprechen, blieb dir all die Jahre treu, half dir und schenkte dir meine Liebe, da du mein vor Gott angetrauter Ehemann warst. Deine Lüge habe ich dir schon längst verziehen, und ich danke dir für die harte Lektion, die du mir erteilt hast. Von dir habe ich gelernt, ein Königreich zu regieren, Geld zu verwalten, mit Menschen umzugehen. Für all das bin ich zutiefst dankbar. Aber auch wenn ich dir nichts nachtrage, werde ich dich wegen deiner Lüge doch verlassen. Ich gehe zu meinen Eltern zurück. Sie sind greis geworden und brauchen meine Hilfe. Enkelkinder kann ich ihnen nicht bringen, aber ich werde meine Kenntnisse und Fähigkeiten nutzen, um dafür zu sorgen, dass unser Königreich wieder aufblüht und gedeiht wie früher. Und wenn ich es einmal erbe, werde ich mir einen Mann suchen, der jung und erfolgreich ist wie ich selbst. Mit ihm werde ich in Liebe Kinder haben. Leb wohl und trage mir nichts nach. Du hast es dir selbst eingebrockt. Dein ganzes Leben lang hast du angenehm und sorgenfrei gelebt. Vielleicht findest du noch einmal eine Frau, die dein Leben mit dir teilt. Doch einer wie mir wirst du nicht noch einmal begegnen, denn so ein Glück hat man nur einmal im Leben.“

Nach diesen Worten verließ die stolze Königin Selina ihren Mann und ging zurück in das Königreich mit den vielen schönen Seen, in dem sie einst geboren war, um es wieder aufblühen zu lassen, so wie sie Detlefs Königreich hatte aufblühen lassen. Nie mehr wollte sie arm sein oder vom Geld anderer abhängen, sondern in ihrem eigenen Haus eine wirkliche Königin sein.


Das Märchen von der untreuen Liebe


Es geschah in einem Land, das weder fern noch nah, weder hier noch da war, aber überall wurde davon erzählt.

In jenem goldenen Königreich lebte die Familie des Grafen Herbert, der ein wohlhabender Mann war. Willy, der dortige König, pflegte dem Grafen zur Begrüßung seine königliche Hand zu reichen und seiner Frau, der Gräfin Magdalena, wohlwollend zuzunicken. Der König schätzte den Grafen sehr, weil dieser ein heller Kopf war, geschickte Hände hatte und ihm wunderschöne Schlösser baute, sehr zum Neid anderer Könige. Deshalb war der Graf reich. Von ihm floss wiederum viel Geld in die Staatskasse, weswegen der König ihn besonders schätzte.

Herbert hatte eine nette Familie, zu der neben seiner geliebten Frau drei Wunschkinder gehörten. Sie lebten in einem riesigen Haus mit vielen Gemächern, die den königlichen glichen, und konnten das Leben in vollen Zügen genießen. Der Graf las seinen Lieben jeden Wunsch von den Augen ab. Geld hatte er im Überfluss, anders als Zeit. Da er sein Geld durch fleißige Arbeit verdiente, fehlte ihm nur Zeit für seine Familie.


Eines Tages wollte sich der König des Nachbarlandes ein Schloss bauen lassen. Die Arbeit sollte königlich entlohnt werden. Eine solche Gelegenheit ließ sich der Graf nicht entgehen. Er rief seine fachkundigsten Leute zusammen und fuhr mit ihnen in das benachbarte Königreich, um dort die Arbeit an dem neuen Schloss zu beginnen. Graf Herbert befürchtete, dass seine Frau sich langweilen könnte, denn durch die Arbeit würde er sehr lange von zu Hause fort sein. Ihre Kinder waren zu dem Zeitpunkt schon erwachsen und hatten eigene Familien. Sie kamen nur gelegentlich die Eltern besuchen. Die Ehefrau war aber wegen der umfangreichen Tätigkeit ihres Mannes gar nicht traurig. Sie hatte selbst alle Hände voll zu tun. Sie machte sich schön, um den Nachbarn zu gefallen, sie bestellte neue Kleider und tanzte auf den königlichen Bällen ausgiebig und zog die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich.

Der Weg von der Arbeit nach Hause war nun für Herbert ziemlich weit. Täglich konnte er die Strecke nicht zurücklegen. Da er aber seine Frau sehr vermisste, kam er alle sechs bis sieben Tage nach Hause, um zu sehen, ob bei ihr alles in Ordnung war und ob sie etwas brauchte. Fürsorglich und blind vor Liebe sah er nicht, dass auch seine seltenen Besuche die Gräfin gar nicht so sehr freuten. Magdalena hatte jetzt jedes Mal Kopfschmerzen, Druck auf der Brust oder sonst irgendetwas. Der Graf zeigte Verständnis für ihre Unpässlichkeiten. Da er sie maßlos liebte, war es schon eine harte Prüfung für ihn, sich ihr nicht nähern zu dürfen. Mit der Zeit ritt er seltener nach Hause und verbrachte mehr Zeit bei der Arbeit, was seinen Reichtum nur mehrte.

Aber eines Tages geschah es, dass sein bester Zimmermann sich den Arm brach. Es gab keinen Arzt in der Nähe. Darum wollte der Graf seinen eigenen Hausarzt kommen lassen. Er schickte aber keinen Boten aus, sondern ritt selbst, denn es war eine gute Gelegenheit, wieder einmal zu Hause hereinzuschauen und seine geliebte Frau zu sehen. Der Graf suchte zuerst den Arzt auf und bat ihn, sich möglichst schnell auf den Weg zu machen, um den Verletzten zu behandeln. Dann galoppierte er zu seinem Domizil. Es war schon Nacht, als er zu Hause ankam. Er stieg ab, übergab sein Pferd dem Stallknecht und betrat ganz leise sein Anwesen, um Magdalena nicht aufzuwecken.

Als der Graf jedoch das Schlafgemach betreten wollte, blieb er auf der Schwelle wie angewurzelt stehen. Seine geliebte Frau, nach der er sich so gesehnt hatte, lag nicht allein im Ehebett. Ihr Kopf ruhte auf der Schulter von Baron Karl, einem alten Freund des Grafen. Die beiden, die nach ihrem Liebesspiel fest schliefen, hörten nicht, wie der Hausherr eintrat. Dem armen Herbert verschwamm alles vor den Augen, das Blut stieg ihm in den Kopf, das Herz hämmerte ihm bis in den Hals. Er stieß einen Schrei aus, der das Pärchen aus dem Schlaf riss. Aufgeschreckt fuhren sie aus dem Bett hoch. Als sie des Grafen ansichtig wurden, begannen sie am ganzen Leib zu zittern, denn sie fürchteten, er werde sie auf der Stelle erschlagen.


Der Graf drehte sich um und stürzte hinaus, um sich dieser zutiefst verletzenden Situation nicht länger auszusetzen. Er stürmte aus dem Haus, schwang sich auf sein Pferd und ritt in die Dunkelheit. Er hatte kein Ziel, wollte nur fort von diesem Ort.

Baron Karl sprang sofort aus dem Bett, zog seine Kleider an und wollte fliehen. Magdalena aber versuchte ihn zurückzuhalten:

„Lass mich nicht im Stich, ich habe Angst! Was soll ich denn meinem Mann sagen, wenn er jetzt zurückkommt? Bleib bei mir. Ich liebe dich, nicht von ungefähr habe ich mit dir im Ehebett gelegen.“

„Ich habe aber noch viel mehr Grund, Angst zu haben!“, antwortete ihr Geliebter. „Wenn Herbert zurückkommt, wird er dich wohl nur ein wenig verprügeln, bei mir aber wird er ganz bestimmt kein Pardon kennen. Ich muss mich vor ihm verstecken.“

Da versuchte Magdalena, ihn auf andere Weise zum Bleiben zu überreden.

„Von mir aus soll er doch zurückkommen. Ich liebe ihn schon lange nicht mehr, seine Zärtlichkeiten sind mir zuwider. Es ist deine Liebe, die ich möchte. Geld habe ich genug, es wird für uns beide reichen. Wir könnten uns ein eigenes Haus bauen. Seit zwei Jahren sind wir schon ein Liebespaar. Wenn mein Mann mich wegen des Ehebruchs verlässt, können wir beide heiraten und müssen unsere Liebe nicht mehr geheim halten.“

„Im Augenblick kann ich darüber nicht nachdenken“, entgegnete Karl, „ich bin vor Angst wie gelähmt. Lass mich morgen wissen, was hier im Haus weiter geschieht, danach entscheiden wir, was wir tun und wie wir uns verhalten.“

Nach diesen Worten schlich sich Baron Karl auf Zehenspitzen aus dem Haus, damit niemand ihn hörte, denn er wusste, dass es sich nicht schickt, die Ehefrauen anderer Leute zu verführen, vor allem nicht die seiner Freunde. Doch die Gräfin war steinreich, während er selbst Löcher in den Taschen hatte und Geld sich dort nicht lange hielt. „Schön ist sie außerdem“, hatte er damals gedacht, „und ihr Mann kommt so selten nach Hause. Einen solchen Glücksfall kann ich mir doch nicht entgehen lassen! Wenn ich es nicht tue, wird sich bestimmt ein anderer finden, der die Situation für sich zu nutzen weiß. Dann schon lieber ich.“ Doch nun, da er auf frischer Tat von dem Ehemann ertappt worden war, der noch dazu sein Freund gewesen war, schämte er sich sehr und hoffte nur, dass seine Schande nicht bekannt würde.

Inzwischen fand sich der betrogene Graf in einem dunklen Wald wieder, den er nicht kannte. Wie er dorthin geraten war, wusste er nicht. Vorsichtig kämpfte er sich durch das unwegsame Gelände. Für ihn wie auch für das Pferd war das Vorwärtskommen sehr kräftezehrend. Plötzlich stolperte sein treues Ross über eine mächtige Baumwurzel und stürzte. Das Pferd war auf der Stelle tot. Der Graf, halb unter dem Pferd begraben, verlor das Bewusstsein.


Erst am dritten Tag nach seinem fürchterlichen Sturz kam Graf Herbert wieder zu sich und stellte fest, dass er unter dem leblosen Körper seines treuen Pferdes eingeklemmt war. Eine Weile lag er still und versuchte sich zu erinnern, warum er überhaupt an diesem völlig unbekannten Ort war. Und als ihm alles wieder einfiel, wurde ihm übel bei dem Gedanken, dass seine Ehefrau sich als niederträchtige Ehebrecherin entpuppt hatte. Irgendwann wurden seine trüben Gedanken aber durch einen aufdringlichen, unangenehmen Geruch gestört, der ihm den Atem raubte. Er stellte fest, dass dieser Gestank von seinem toten Pferd ausging.

Der Graf brauchte mehrere Stunden, um sich unter dem Körper des Tieres hervorzukämpfen. Danach war er völlig erschöpft. Er rollte sich auf die Seite und war den Tränen nahe, so schwach und hilflos fühlte er sich. Gehen konnte er nicht, dazu war er zu schwer verletzt. Sein ganzer Körper schmerzte unerträglich. Herbert kroch von seinem Pferd weg, denn der Gestank raubte ihm den Atem. Er war zutiefst betrübt, dass er sein treues Ross nicht begraben konnte, wie es sich gehörte. Doch es war wichtiger, zu überlegen, wie es mit ihm selbst weitergehen sollte.

Der Graf überwand seinen Schmerz und kroch durch den Wald immer weiter. Unterwegs fand er Beeren, die er essen konnte, und sammelte Morgentau, um seinen Durst zu löschen. So kroch er mehrere Tage und Nächte durch den Wald, bis er schließlich so entkräftet war, dass er nicht mehr weiterkam. Schmerz und Schwäche übermannten ihn. Auch seine trüben Gedanken kamen zurück. Schließlich wünschte er sich den Tod, denn er wusste nicht, wie er nach dem Verrat seiner Frau überhaupt weiterleben konnte. Mit diesem Gedanken bewegte er sich auf eine stattliche Birke zu, legte sich in ihren Schatten, schaute hinauf in den Himmel und begann auf den Tod zu warten.


Er erwachte davon, dass jemand ihn kräftig an der Schulter rüttelte. Der Graf wollte den ungebetenen Störer mit lauter Stimme zurechtweisen, doch kein Ton entrann seiner Kehle. Er konnte nicht einmal flüstern. Als er die Augen öffnete, sah er eine hübsche und noch junge Frau, die vor ihm mit einem Körbchen voller Pilze und Beeren stand. Sie kam ihm vor wie eine Fee, so schön und anmutig.

„Du lebst, Gott sei Dank!“, vernahm Herbert eine warme, sanfte Stimme. „Ich hatte schon befürchtet, dass du gar nicht mehr atmest. Du liegst da wie ein gefällter Baum, ich versuche schon ziemlich lange, dich wach zu bekommen. Was tust du hier in diesem finsteren Wald? Wer hat dich so zugerichtet? Wie kann ich deine Familie benachrichtigen? Bitte sprich lauter, ich verstehe dich nicht.“

„Ich habe keine Familie“, flüsterte der Graf. „Ich bin ganz allein auf der Welt und ich möchte sterben. Geh, ich habe keine Kraft für leeres Geschwätz.“ Und er schloss wieder die Augen.

„Du hast kein Recht, dein Leben so wegzuwerfen, das ist eine große Sünde“, sprach die Frau. „Ich bringe dich jetzt erst einmal in meine Hütte und sorge dafür, dass du wieder zu Kräften kommst. Später können wir sehen, was du tatsächlich vom Leben erwartest.“

Damit stellte sie ihr Körbchen zur Seite, hob den erschlafften Körper an und schleppte ihn zu ihrem Häuschen. Das war eine mühevolle Arbeit, doch als es ihr endlich gelang, nahm sie sich nicht einmal die Zeit, den Schweiß von der Stirn zu wischen. Denn sie wusste, dass ihr das Schwierigste noch bevorstand: den halbtoten Körper wieder zum Leben zu erwecken.


Doch die junge Frau war eine geschickte und kundige Pflegerin. Unermüdlich kümmerte sie sich um den Verletzten, und genau sieben Wochen später war Graf Herbert wieder gesund und stark wie früher und voller Tatendrang. Die Waldfee, wie er sie nannte, hatte seine Wunden geheilt. Irgendwann in den langen Stunden, die sie an seinem Lager verbrachte und sich um ihn sorgte, vertraute sie ihm auch ihre Lebensgeschichte an.

„Ich bin keine Fee, ich bin Nada. Meine Eltern habe ich vor einigen Jahren verlassen, weil mein strenger Vater mich zwingen wollte, einen reichen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte. Mir ist aber meine Freiheit mehr wert als das Leben in goldenen Ketten. Deshalb beschloss ich damals, lieber allein in den Wald zu gehen, als mit einem Mann, der mir nicht lieb ist, von teuerstem Porzellan zu essen. Und so lief ich von zu Hause fort. Nachdem ich eine Weile umhergeirrt war, fand ich diese Hütte. Damals wohnte hier eine wirkliche Waldfee. Sie nahm mich auf und brachte mir ihre Kunst des Heilens bei. Irgendwann ging sie von mir. Zwei Jahre später wäre sie hundert Jahre alt geworden. Nach ihrem Tod war ich sehr traurig. Seither lebe ich hier allein und warte, was das Schicksal für mich bereithält.“

Mit der Zeit schloss Graf Herbert die Prinzessin ins Herz und begann um sie zu werben.

„Auch ich habe dich sehr gern, Herbert“, sprach Nada. „Es war wohl mein Schicksal, mich in dich zu verlieben. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Gern will ich deine Frau werden und für immer mit dir zusammen sein. Aber zuerst musst du die Dinge mit deiner Ehefrau und den Kinder regeln. Geh, bring deine Angelegenheiten in Ordnung, dann komm zurück und ich werde deine Frau.“

Herbert beherzigte den weisen Rat seiner Retterin. Er verneigte sich tief vor ihr und begab sich auf den Weg zu seinem früheren Heim, um sich seiner Familie zu zeigen, dass er am Leben sei. Es lag ihm am Herzen, mit ihnen zu besprechen, wie es weitergehen sollte.

Seine Frau Magdalena empfing ihn sehr freundlich und gefällig.

„Wie schön, dass du zurückgekommen bist. Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Unserem Freund Karl habe ich das Haus verboten. Ausgeplündert hat er mich. Ich war ja so naiv! Er sprach von Liebe, dabei wollte er nur mein Geld. Niemals wieder werde ich dir so etwas antun, ich werde dich immer von ganzem Herzen lieben.“

„Deine Liebe will ich nicht mehr“, entgegnete Graf Herbert, „davon bin ich für immer geheilt. Bitte ruf unsere Kinder zusammen. Ich möchte sie sehen und meine weiteren Pläne mit ihnen besprechen. Von dir will ich mich scheiden lassen, ohne Streit. Du kannst nehmen, was dir gefällt, mich aber lass in Ruhe.“

Am nächsten Tag kamen die Kinder zusammen. Groß war ihre Freude, dass der Vater lebte und wieder zu Hause bei ihnen war. Sie wollten wissen, wo er so lange gewesen war und warum er nichts von sich hatte hören lassen. Der Vater teilte ihnen mit, dass er nicht zur Mutter zurückkehren würde. Er ersparte ihnen aber das Wissen um die mütterliche Untreue und erzählte nichts von dem, was geschehen war.

„Ich bin nur gekommen, um euch zu sehen, liebe Kinder, bevor ich für immer fortgehe und das Haus eurer Mutter überlasse. Kommt auch weiterhin hierher, wie ihr es früher getan habt. Ich aber werde für mich ein neues Haus bauen, und wenn es fertig ist, werde ich Nada heiraten. Sie ist von nun an meine Braut.“


Die Kinder verstanden natürlich die Gründe für sein Handeln nicht, doch sie akzeptierten seinen Entschluss und widersprachen nicht. Als aber Magdalena von seinen Plänen erfuhr, zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie sie ihren Mann zurückerobern könnte. Zuerst versuchte sie es mit Freundlichkeit und Schmeichelei, doch Herbert wollte nichts davon wissen. Dann begann sie ihm vorzuwerfen, er mache sie unglücklich. Sie erfand Lügen über Nada, aber darauf fiel der kluge Graf nicht herein.

Als alles nichts half, ersann Magdalena einen finsteren Plan: Sie heuerte böse Menschen an, die Nada übel zurichten und sie ihrer Schönheit berauben sollten. Denn da sie selbst immer noch eine Schönheit war, meinte sie, dass Herbert es sich dann anders überlegen und zu ihr zurückkehren würde.

Als der Graf mit dem Bau seines neuen Domizils fertig war, ritt er zurück in den Wald und suchte das Haus seiner Braut auf. Sie aber kam ihm nicht entgegen, sondern blieb in der Stube sitzen, das Gesicht mit einem Tuch verhüllt.

„Geh weg“, sagte sie. „Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.“

Der stolze Graf war durch diesen Empfang wie vor den Kopf gestoßen. Er drehte sich wortlos um und verließ sie, ohne zu fragen, womit er diese Abfuhr verdient hatte.

Magdalena aber freute sich zu früh: Der Graf kehrte nicht in sein altes Heim zurück, sondern wohnte allein in dem neu erbauten Haus. Er trauerte lange um Nadas Liebe, aber sein Stolz hinderte ihn daran, zu der schönen Prinzessin zurückzukehren und zu fragen, warum sie ihn nicht mehr liebte.


Nachdem einige Zeit vergangen war, beschloss der Graf, noch einmal zu heiraten. Doch der Gedanke an Nada ließ ihm keine Ruhe. Er dachte zurück an ihre grenzenlose gegenseitige Liebe, erinnerte sich an Nadas zarte Hände und ihre liebliche Stimme und an die Nächte mit ihr, und er konnte nicht vergessen, wie sie ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Endlich entschied er, dass er sie vor seiner Hochzeit noch einmal wiedersehen wollte, um sich für immer von ihr zu verabschieden. Die Vernunft sprach gegen sein Vorhaben, doch sein Herz rief ihn so deutlich, dass ihn seine Füße von ganz allein zu der vertrauten Waldhütte führten. Als er dort ankam und die Tür öffnete, sah er, dass Nadas Gesicht durch eine schreckliche Narbe entstellt war. Die Aufregung vor dem Wiedersehen mit seiner Geliebten, die ihn auf dem ganzen Weg begleitet hatte, wich tiefem Entsetzen.

„Wer hat dich so zugerichtet?“, fragte er heiser. „Hast du Schmerzen? Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Böse Menschen haben uns unser Glück missgönnt, sie wollten sich an mir rächen und mich töten. Doch ich habe überlebt, nur diese Narbe ist geblieben.“

„Aber warum hast du mir denn nichts gesagt? Warum hast du geschwiegen?“

„Ich wollte dir mit meinen Wunden nicht zur Last werden.“ Nada sah ihren Geliebten traurig an.

Lange schwiegen die beiden. Schließlich sagte Graf Herbert:

„Als du mich damals verabschiedet hast, war ich zutiefst betroffen. Ich beschloss, eine andere Frau zu heiraten. Nun bin ich gekommen, um mich endgültig von dir zu verabschieden. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht hätte kommen dürfen, aber meine Füße trugen mich von selbst zu dir. Meine Seele sehnt sich immer noch nach dir.“

„Dann komm zu mir, wenn meine hässliche Narbe dich nicht abschreckt, und umarme mich ein letztes Mal zum Abschied. Ich möchte noch einmal deine Lippen küssen und mich an deinen Körper erinnern.“

Herbert trat zu ihr, umarmte sie – und wollte die Umarmung nicht wieder lösen.

„Ich will nicht ohne dich leben“, sagte er. „All die Zeit konnte ich dich nicht vergessen, und ich weiß jetzt, dass ich das niemals können werde. Du bist mir vorbestimmt. Du bist alles, was mein Herz sich wünscht.“

„Was willst du aber deiner Braut sagen?“

„Ich werde ihr die Wahrheit sagen: dass ich meine Liebe wiedergefunden habe, die ich verloren glaubte, und dass ich sie nicht heiraten kann. Ich kann sie nur bitten, mir zu vergeben. Und du? Hast du an mich gedacht?“

„Wie hätte ich nicht an dich denken können, wo doch meine Liebe zu dir mich beinahe das Leben gekostet hätte? Aber ich liebe dich mehr als mein Leben.“

Von diesem Tag an blieben Herbert und Nada zusammen und lebten glücklich und im Einklang miteinander. Die Braut des Grafen war anfangs zornig wegen der geplatzten Hochzeit, doch schließlich ergab sie sich in ihr Schicksal. Der Graf machte ihr wertvolle Geschenke, die ihr halfen, den Verzicht zu überwinden.

Magdalena aber ist bis heute wütend auf Herbert, weil er nicht zu ihr zurückgekehrt ist. Von ihrer Bosheit ist sie alt und hässlich geworden, ihre Schönheit ist dahin. Sie lebt verbittet und einsam in ihrem herrschaftlichen Haus.


Das Märchen von der klugen Lubava


In uralten Zeiten lag am Fuße hoher Berge ein kleines Fürstentum. Es war weder reich noch arm, weder in aller Munde noch völlig vergessen, es lebten dort gewandte ebenso wie ungeschickte Menschen. Aber alle lebten frei und fröhlich, so dass keiner das Land verlassen wollte. Morgens wachte das Volk mit Liedern auf, am Abend ging man mit Märchen schlafen, alle waren sehr nett zueinander, und es gab keine traurigen oder unzufriedenen Gesichter.


Dieses traumhafte Land wurde von dem Fürsten Lubomir regiert. Er war kräftig und gut gebaut, hatte ein angenehmes Äußeres und war ein kluger Kopf. Seine Frau war die Fürstin Milana, und er betete sie an. Sie schielte zwar etwas auf einem Auge, und von Geburt an fehlte ihr der kleine Finger der rechten Hand. Aber Lubomir war Feuer und Flamme für seine Milana, er brauchte nur einen Blick auf ihr leicht schielendes Auge zu werfen, da durchzuckte es ihn so, dass er nicht ruhig bleiben konnte. Und wenn er ihre Hände zu küssen begann und zu der Stelle kam, wo der kleine Finger fehlte, da verging er beinahe vor Zärtlichkeit für seine Fürstin und war bereit, ihr auf der Stelle jeden Wunsch zu erfüllen. Dass Milana ihm geistig nicht gewachsen war, dass sie nicht gerade eine berauschende Schönheit war, von Handarbeit nicht viel verstand und auch sonst keine besonderen Talente hatte, störte ihn nicht im Geringsten – er liebte sie leidenschaftlich, und für ihn war sie die wunderbarste Frau auf Erden.

Aus dieser großen Liebe gingen nacheinander drei prächtige Söhne hervor. Doch als sie erwachsen wurden und langsam ins heiratsfähige Alter kamen, geschah ein furchtbares Unglück: Milana erkrankte plötzlich, sie fühlte sich sehr schwach, konnte aber nicht sagen, wo sie Schmerzen hatte. Fürst Lubomir rief alle bekannten Ärzte herbei und befahl ihnen, seine Fürstin zu heilen. Die klugen und gelehrten Ärzte versammelten sich um Milana‘s Bett und begannen ihr Fragen zu ihrer Krankheit zu stellen. Sie lag da, schaute sie an und sprach leise:

„Es ist mir so schlecht! In meiner Brust brennt ein Feuer, meine Beine sind wie gelähmt, die Augen wollen nichts mehr sehen. Ich glaube, ich werde den Morgen nicht mehr erleben.“

Nach der Untersuchung saßen die Ärzte abends am gedeckten Tisch, beratschlagten und nickten einander mit ihren klugen Köpfen gewichtig zu. Währenddessen starb Milana ganz still. Sie klagte nicht, sie weinte nicht, sie schloss einfach die Augen und entschlief, und niemand konnte sagen, woran sie gestorben war. Fürst Lubomir brüllte voller Zorn und Gram die Ärzte an, er machte sie für den Tod seiner geliebten Frau verantwortlich und warf ihnen vor, dass sie ihr nicht hatten helfen können und dass er nun Witwer war.

„An deinem Unglück tragen wir keine Schuld“, antworteten die gelehrten Ärzte. „Wir kennen die Ursache ihres Todes nicht. Doch wir nehmen an, dass sie starb, weil sich bei ihr eine Herzschwäche entwickelt hatte. Denn sie liebte dich, meinte aber, sie sei deiner nicht würdig. Möglicherweise bekümmerte es sie, dass sie schielte und dass ihr ein kleiner Finger fehlte. Da hat sie sich wohl gefragt, womit sie deine tiefe Liebe verdient hat. Darüber ist ihr Herz wohl schwach geworden.“

Der Fürst entrüstete sich über solche Reden. „Warum lügt ihr? Sie hat niemals irgendetwas in dieser Richtung angedeutet!“

„Nein“, entgegneten die Ärzte, „denn sie hatte Angst vor dir wegen deines feurigen Gemüts und deiner großen Liebe zu ihr, das hat sie uns auf dem Sterbebett gesagt. Gib dir keine Schuld, Fürst, das ist wohl dein Schicksal. Gib auch uns keine Schuld; niemand hätte ihr helfen können, denn sie hatte wohl selbst beschlossen, dass sie nicht mehr leben wollte.“


Ohne Milana wurde es im Schloss still und leer. Lubomir streifte durch die Säle, doch in seiner Trauer sah und hörte er nichts und niemanden. Dieser Zustand seelischer Leere dauerte eine lange Weile an. Endlich jedoch kam der Fürst wieder zur Besinnung, und eines Tages erinnerte er sich auch daran, dass seine Frau und er beschlossen hatten, nach passenden Frauen für ihre Söhne Ausschau zu halten. Nun wollte er den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen. Er rief seine drei Söhne herbei und sprach zu ihnen:

„Hört zu, meine lieben Söhne. Ich bin immer noch in Trauer wegen des Todes meiner geliebten Frau und eurer Mutter. Aber das Leben geht weiter, vieles ist liegengeblieben und manche Vorhaben sollten allmählich verwirklicht werden. Für euch ist die Zeit gekommen, auf Brautschau zu gehen. Ich gebe euch ein Jahr Zeit: Geht in die Welt hinaus und sucht euch jeder eine Braut. Wenn ihr sie nach Hause bringt, halten wir Hochzeit, und ich werde euch Häuser bauen, in denen ihr mit euren Frauen in Liebe und Eintracht leben könnt, so wie ich mit eurer Mutter gelebt habe. Wenn ihr noch Fragen habt, stellt sie jetzt. Morgen früh werdet ihr euch auf den Weg machen.“

„Wohin sollen wir gehen, Vater?“, fragte Mirko, der älteste Sohn. „Sieben verschiedene Wege führen aus unserem Fürstentum hinaus, welchen sollen wir nehmen?“

„Nun“, sagte der Fürst, „du kannst dir selbst einen Weg aussuchen.“

„Wie viel Geld gibst du uns mit auf den Weg?“, fragte Marko, der zweite Sohn.

„So viel ihr in euren Rucksäcken tragen könnt.“

„Und wenn wir innerhalb eines Jahres niemanden finden“, fragte Merko, der Jüngste, „dürfen wir dann trotzdem nach Hause zurückkommen?“

„Mein Gott, seid ihr unverständig!“, rief der Vater. „Entweder ihr seid noch nicht erwachsen oder ihr könnt nicht denken. Ihr seid doch meine Kinder, und dies hier ist euer Zuhause. Hierhin könnt ihr immer zurückkehren. In einem Jahr erwarte ich euch zurück. Dann werden wir sehen, was ihr bis dahin erreicht habt.“


Es war kein leichtes Jahr für den Fürsten, nachdem er zuerst seine Frau verloren und nun auch noch seine Söhne aus dem Haus geschickt hatte. Um sich zu abzulenken und zu beschäftigen, stürzte er sich in die Arbeit, und alles ging ihm gut von der Hand. Die Nachbarn kamen wieder häufiger zu Besuch und sahen erstaunt, wie das Fürstentum immer reicher und reicher wurde.

Schließlich war die gesetzte Frist verstrichen. Die Söhne kehrten aus der Ferne heim, alle wie ein Mann hungrig, in verschlissener Kleidung und mit alten Bastschuhen an den Füßen anstelle ihrer guten Stiefel.

„Nun sehen wir uns wieder, meine lieben Söhne. Ich bin froh, dass ihr alle heil und gesund zurückgekommen seid. Aber wo sind eure Verlobten? Ich sehe hier keine einzige Frau.“

„Vater“, antwortete Mirko als Erster, „ich hatte eine, die ich als Braut mit nach Hause nehmen wollte. Doch dann begann ich mit ihr zu sprechen und stellte fest, dass sie nicht besonders klug ist, sie wusste nicht einmal, wo unser Fürstentum liegt. Eine dumme Frau will ich aber nicht, da ich selbst klug bin. Ich werde weiter suchen.“

О любви. Wo die Liebe hinfällt

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