Ein Schwarzer geht durch die Stadt

Ein Schwarzer geht durch die Stadt
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Schon als Jugendlicher war Garnettes Cadogan bevorzuge Art der Fortbewegung das Gehen. So erkundete er in de 1980er-Jahren zunächst seine Heimatstadt Kingston, Jamaika, wo er sich selbst nachts nie Gedanken über seine Sicherheit machen musste. Nach seinem Umzug in den Süden der USA, wo er als junger Student ebenfalls die Umgebung zu Fuß erkunden will, muss er feststellen: Er ist ein Fremdkörper im öffentlichen Raum. Sich als Schwarzer ohne erkennbaren Anlass fortzubewegen führt zu Irritationen, lässt ihn verdächtig erscheinen. Doch er muss nicht nur unfreundliche Blicke ertragen, und die Tatsache, dass Weiße die Straßenseite wechseln, wenn er ihnen entgegenkommt, sondern wird auch zur Zielscheibe von wiederholten Polizeikontrollen. Auch ein weiterer Umzug in das vermeintlich offene New York City ändert daran nichts. Und so erkennt Cadogan: Als Schwarzer in einer Welt, die tief von Rassismus durchdrungen ist, wird allein seine Sichtbarkeit und Existenz im öffentlichen Raum zum Problem.
"Wie Cadogan über sein ambivalentes Verhältnis zur Stadt nachdenkt und persönliche Erlebnisse mit Reflexionen über Walt Whitman und James Baldwin verknüpft, liest man gebannt." Kevin Neuroth, der Freitag

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Garnette Cadogan. Ein Schwarzer geht durch die Stadt

Ein Schwarzer geht durch die Stadt

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Inhalt

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Garnette Cadogan

Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Jandl und Frank Sievers

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Ich freundete mich mit Fremden an und entwickelte mich vom schüchternen Tollpatsch zum extrovertierten Tollpatsch. Der Bettler, der Straßenverkäufer, der Hilfsarbeiter – sie alle hatten Erfahrung mit dem Herumstreunen und wurden mir zu nächtlichen Lehrmeistern; sie kannten die Straßen und brachten mir bei, mich auf ihnen zu bewegen und Vergnügen dabei zu empfinden. In meiner Vorstellung war ich ein jamaikanischer Tom Sawyer, wenn ich die Straße entlangschlenderte und tief hängende Mangos pflückte, an die ich vom Gehsteig rankam, oder bei einer Straßenparty dabei war, auf der sich ein paar Typen mit Hi-Fi-Anlagen bekriegten und einen Wolkenkratzer aus Bassboxen aufgetürmt hatten. Diese Straßen machten mir keine Angst. Sie waren entweder friedlich oder voller Abenteuer. Ich schloss mich einer Gruppe fröhlicher Wandersleute an, die gerade auch den letzten Bus verpasst hatten, und wir liefen einfach weiter, hielten den Daumen raus, um etwas näher nach Hause zu kommen, und machten Witze, während ein Auto nach dem anderen an uns vorbeisauste. Oder ich geriet in tagtraumhafte Zustände, fast so wie Walter Mitty, wenn meine jugendliche Fantasie mich mit immer neuen Zukunftsvisionen beschenkte. Die Straßen boten mir Sicherheit: Hier konnte ich sein, wie ich war, ohne wie zu Hause Prügel zu fürchten. Das Gehen wurde mir zum regelmäßigen, vertrauten Tun, der Nachhauseweg zu meinem Zuhause.

Die Straßen hatten ihre eigenen Regeln, und es reizte mich sehr, sie auch zu beherrschen. Mit der Zeit bekam ich einen Blick für lauernde Gefahren und versteckte Freuden und war stolz, vielsagende Details zu erkennen, die meinen Altersgenossen entgingen. Kingston mit all seinen kulturellen, politischen und sozialen Ereignissen wurde für mich ein komplexer, oft bizarrer Stadtplan, als dessen Nachtkartograf ich mich berufen fühlte. Ich entwickelte Kunstfertigkeit darin, bedrohlichen Schritten auszuweichen und auf freundliche Gangarten, die nette Plauderei verhießen, zuzusteuern. Ich sah fast nur Männer. Eine einsame Frau, die mitten in der Nacht durch die Stadt ging, war so ungewöhnlich wie ein Yeti; ein Mondscheinspaziergang war für sie zu gefährlich. Manchmal, wenn ich nachts von den Hängen über Kingston hinunterstieg, über Jamaikas tiefe soziale Gräben hinweg, schien es mir, die Stadt sei auf »Pause« geschaltet worden oder stecke in einer extrem langsamen Zeitlupe fest. Mit schnellem Schritt ging ich an den Villen hoch über der Stadt vorbei, die herab auf diesen Teppich aus Lichttupfen blickten, über den sich jetzt ein Segel aus Sternen spannte, schlenderte entlang der Mittelklassesiedlungen hinter ihren hohen, stacheldrahtgekrönten Mauern und zog im Zickzack durch die dicht gedrängten Viertel aus Blech- und Holzhütten, die sich aneinanderschmiegten wie Limbotänzer. Während meines Abstiegs kam das Leben auf den Straßen in Fahrt – zumindest auf den meisten; in manchen armen Vierteln gab es brutale Schießereien gleich neben gespenstisch leeren Straßen, wie im Western. Die musste ich umgehen, selbst um Zwölf Uhr mittags.

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