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"Den ganzen Tag hatte es auf Berlin aus niedrig ziehenden Wolken herabgetropft wie aus einem nassen Badelaken. Es waren schwere Wolken, die dahinschleiften und stets und ständig die Gestalt änderten. Einzelne Nebelfetzen, die sich gelöst hatten oder nur durch dünne elastische Bänder mit ihnen verbunden blieben, versuchten, ob es ihnen nicht gelänge, die Dächer zu berühren, oder ob sie sich nicht wenigstens an den Wipfeln der Pappeln draußen irgendwie einen Augenblick festhalten könnten. Man wird meinen: was haben diese Wolken mit der Erzählung hier zu tun?!" Nun, ja, viel! Denn: «Stunden, Tage, Wetter, Himmel, Kälte, Wärme, Regen und Sonnenschein, Nebel und Frost sind ja nicht gleichbedeutend für unser Dasein und nicht immer in sich von gleichem Sinn für uns, so wenig wie Tag und Nacht. Es gibt Stunden und Voraussetzungen im Himmel, im Wetter, im Atmosphärischen für Einkehr in uns selbst, für Erinnerungen, für Liebe und Begehren, für Geborenwerden, für Sterben und Selbstmorde. Ich weiß nicht, ob man darüber Nachforschungen angestellt hat, wann Leute sich verlieben, sich das Leben nehmen, sterben, in welcher Stunde, unter welcher Witterung …» In diesem Sinne verrät der Titel «Schnee» schon eine ganze Menge über den Inhalt und die Atmosphäre dieses Buches, das die Geschichte um den namengebenden Arzt aus «Die Nacht des Doktor Herzfeld» nun nicht an einem warmen Sommerabend, sondern im kalten, dunklen Berliner Winter fortsetzt. Und nicht nur das Klima ist frostiger geworden … Die Berliner «Deutsche Allgemeine Zeitung» schrieb in ihrer zeitgenössischen Kritik zu «Schnee»: «Wie das Leben eines Menschen ein einziges stückweises Hinsterben am andersgearteten Nächsten bedeutet, das wird fast in jeder Zeile mit künstlerischer Durchdringung und Sinnfälligkeit herausgestellt.» Der Roman, der auch zusammen mit «Die Nacht des Doktor Herzfeld» als Doppelband erschienen ist, aber durchaus auch für sich allein stehen kann, enthält tiefe Überlegungen und Einsichten sowie Partien lyrischer Stimmung die zu dem Besten im Werk Georg Hermanns gehören.Georg Hermann, eigentlich Georg Hermann Borchardt (1871–1943), war ein deutscher Schriftsteller. Georg Hermann wurde 1871 als jüngstes von sechs Kindern einer alteingesessenen jüdisch-berlinerischen und später verarmten Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums durchlief er eine Kaufmannslehre und arbeitete als Gehilfe in einem Krawattengeschäft. Von 1896 bis 1899 besuchte er literarische, kunstgeschichtliche und philosophische Vorlesungen an der Universität Berlin. Später war er beim Statistischen Amt Berlin beschäftigt, schrieb daneben Texte für Zeitungen und Zeitschriften und machte sich durch Feuilletons, Kunstkritiken und als Verfasser kunsthistorischer Werke nach und nach einen Namen. Obwohl er sich bereits als Schüler schriftstellerisch versucht und später unter anderem drei Bände Prosaskizzen veröffentlicht hatte, setzte er sich als Schriftsteller allerdings erst relativ spät durch: Erst der Roman «Jettchen Gebert» (1906) machte ihn mit einem Schlag berühmt. «Jettchen Gebert» und sein Fortsetzungsband «Henriette Jacoby», die ein Bild des liberalen Geistes im Berlin der 1840er Jahre in einer jüdischen Familie zeichnen, waren Bestseller mit zusammen mehr als 260 Auflagen. Hermann lebte fortan als vielgelesener Romancier in Berlin, zeitweise in Neckargemünd bei Heidelberg. Sein literarisches Vorbild war Theodor Fontane, was ihm auch die Bezeichnung «jüdischer Fontane» eintrug. Neben oft stark autobiografisch getönten jüdisch-bürgerlichen Themen griff er auch Stoffe aus den unteren sozialen Schichten («Kubinke», 1910, der Zuhälterroman «Rosenemil», 1935) und aus der preußischen Geschichte auf. Seine Romane sind Unterhaltungsliteratur von Rang, wie sie in Deutschland selten ist.