Der charmante Nihilist
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Gerald Uhlig. Der charmante Nihilist
Der charmante Nihilist
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Momente des Innehaltens
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Der Sinn der Dinge
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Erinnerung
Aufenthaltsorte
Und wieder eine Ich-Diät
Unsere lieben Gewohnheiten
Das Blut, das Abhören und die Verbindungen
Das Kaffeehaus
Epilog in 45 Aufzügen
Gespräche mit Gerald Uhlig-Romero
Playboy-Interview
Gerald Uhlig-Romero im Gespräch mit Sascha Wolf
Gerald Uhlig im Gespräch mit Francisca Ricinski
Gerald Uhlig-Romero – Künstler - Autor - Unternehmer
Отрывок из книги
An heißen Tagen stehen Stühle- und Kaffeehaustische da wie Gehirne, die sich Kaffeehausgäste ausdenken. Ich stehe mit Eiswürfeln und Lichtkörpern in den Händen vor meinem Kaffeehaus in Berlin Mitte und versuche stündlich, die verzweifelte Dramaturgie ,Leben‘ in den Griff zu bekommen. Heute erst weiß ich, dass das Licht, das der eine von uns gemieden und der andere gesucht hat, uns beide blendete. Meine Welt ist mein Kaffeehaus und ich lerne stündlich aus meinen Niederlagen. Angenommen, man wird nicht mit einem berühmten Namen als Marke in die Welt hinein geboren, wie soll man da heute überleben? Es wird einem wohl nichts anderes übrig bleiben, als den Zufall auf seine Seite zu bekommen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, flüstert einer der wenigen Gäste im Kaffeehaus. Ich kenne die Personen genau, die sich immer geärgert haben, dass die zufällig reich Geborenen die schönsten Plätze an der Sonne ergattern konnten, während sie mit ihren Fleißkärtchen nur in der Provinz herrschen durften. Bei diesen reich Geborenen sieht alles nach einer ausgeklügelten Logistik aus, aber in Wirklichkeit improvisieren sie von Augenblick zu Augenblick. Meine Sympathie im Kaffeehaus gehört der stillen Blume, die dort am hinteren Tisch 26 sitzt und irgendwann gepflückt werden will, aber für Berlin ist sie zu langsam, um entdeckt zu werden und dann ist sie auch schon verblüht. Ihr Name ist Ana. Der argentinische Kellner serviert ihr einen Espresso. Ana öffnet das Zuckertütchen, das sie in ihrer Hand hält. Sie gibt das fein gemahlene Weiß auf ihren Löffel. Wie durch eine Sanduhr lässt Sie den Zucker auf die schwarze Oberfläche ihres Espressos rieseln, bis auf dieser Oberfläche ein kleiner Zuckerberg entsteht, der bald versinkt und sich löst, tief unten im Schwarz.
Die Hitze an diesem Tag nimmt zu. Ich setze mich an Tisch 34, hier ist es ein wenig kühler im Kaffeehaus. Der Kellner Carlos bringt mir meinen geheiligten Aperitif. Dazu verselbstständigen sich, wie jeden Nachmittag gegen 17 Uhr, meine Gedanken.
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„Carlos, bringen Sie mir bitte eine Melange mit einem Glas stillen Wasser.“
Diese seien eine Zumutung. Schon allein deshalb eine Zumutung, weil man sie sich nicht aussuchen könne. Niemand habe ihn gefragt, ob er überhaupt geboren werden wolle, niemand, ob er mit den Eltern, die ihm zugewiesen wurden, einverstanden war. Mit niemandem konnte er über Chancen, gesunde Gene, Anlagen und Talente, die ihm geliefert wurden, verhandeln. Die meisten Menschen seien aufgeblähte Affen und er wolle auf keinen Fall wegen der vielen Blähungen an der Decke kleben. Schaue man nach oben, würde man sie dort alle sehen können. Er sei mit Geschichten angefüllt, die ihm das Leben gebracht hätten. Jeder von uns bestehe letztlich aus einer Vielzahl kleiner Geschichten. Der Mensch sei nun mal das Tier, das sich Geschichten erzähle, jede Familie hätte ihre eigene Geschichte und in jedem von uns läge ein tiefes Verlangen, seine eigene Geschichte zu erzählen. Die Vorstellung, zu sterben, ohne seine Geschichte zu Ende erzählt zu haben, gebe uns das furchtbare Gefühl, niemals gelebt zu haben.
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