Die Zeit auf alten Uhren

Die Zeit auf alten Uhren
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Auf alten Uhren vergeht die Zeit anders, und bisweilen scheint sie sogar stehen zu bleiben. So auch in diesem Album aus mehr als zwanzig Geschichten aus dreißig Jahren. Mal spielen sie im verlorenen Blauen Land der Kindheit, mal in exotischer Ferne, dann wieder in der Scheinwelt von Literatur, Theater und Film. Manchen Figuren, wie der eigensinnigen Tante Mirtel, begegnet der Leser öfter, andere haben nur einen einzigen Auftritt. Es sind heiter-nachdenkliche Geschichten von beharrlichen Lebensglücksuchern und ihren bisweilen zu großen Illusionen sowie von kleinen Leuten in ihrem stillen Kampf zwischen Gelingen und Scheitern. Samt und sonders sind sie alle dem Erzähler eine gute Story wert.

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Gerhard Köpf. Die Zeit auf alten Uhren

Zitat

Das Blaue Land (1)

Anna Kolik

Walburg

Die Damen Vogelsang

Madame Schaumlöffl

Furi

Annla

Fedor

Regen in Kalabrien

Borges gibt es nicht

Der Erlkönig in Manila

Portugiesisches Büchsenlicht

Im Lande Hemingway

Der Kandidat

Der Frackschneider

Der Requisiteur

Der Zapfenstreich

Die Souffleuse

Magnum

Die große Reise

Die Toten des Herrn Oberst

Das blaue Land (2)

Nachweis

Отрывок из книги

Was war, kehrt zurück, klopft an unsere Tür,

unverschämt, flehend, einschmeichelnd.

.....

Einer meiner Vorfahren mit dem Beinamen Falkenstein-Sepp hat es sogar zum Kutscher seiner Majestät König Ludwigs II. gebracht. Er, ein bildhübscher Kerl „mit klarblauen Vergißmeinnichtaugen“, wie es eigens in einer Chronik vermerkt ist, der sein Lebtag unbeweibt blieb und sich eher zu den Rössern und den Jünglingen hingezogen fühlte als zu den Röcken, war bei den nächtlichen Fahrten dabei, die von Neuschwanstein ihren Ausgang nahmen und nach Schloss Fernstein oder zur Burg Falkenstein führten, wo der König seine letzte Gralsburg errichten wollte. Wenn der Befehl zum Anspannen kam, durfte sich außer den Kutschern keiner im Schlosshof blicken lassen. Dann erschien die Majestät entweder im hellen Sommerleinen mit einem künstlerisch drapierten blausamtenen Umhang, oder im Winter eingehüllt in einen mächtigen Fellmantel, nobles Präsent des russischen Zaren, über den Knien eine dicke Decke aus Gänsedaunen, und auf dem kühnen Hut, den ihm Elisabeth, die Kaiserin von Österreich persönlich ausgesucht hat, blitzte eine Diamantenagraffe. Meist mussten die Kutscher und Lakaien Kostümen im Stile des französischen Sonnenkönigs erscheinen, den Seine Majestät fast so sehr verehrte wie den unseligen Kompositeur Richard Wagner. Dann ging es von Anfang an in hohem Tempo hinaus in die Nacht des Blauen Landes, geführt von einem ortskundigen und kavalleristisch erfahrenen Vorreiter mit einer weithin leuchtenden Laterne, die zu linker Hand in einem Schaft am Sattelzeug befestigt war. Am liebsten benutzte Ludwig II. aber den sogenannten „Puttenschlitten“, eine mit Kufen versehene offene Prunkkutsche. Dieses nach Entwürfen eines Theatermalers gebaute Gefährt, das einer bauchigen, vom Mondlicht bemalten Gondel glich, an deren Bug die mit Glühlampen illuminierte Königskrone leuchtete, ganz so, wie es von Rudolf Wenig gemalt wurde, wurde von vier Pferden gezogen, auf den Sattelpferden saßen zwei ausnehmend hübsche Reitknechte, denn der König hatte viel übrig für gut gewachsenes Stallpersonal. Sie und der hochherrschaftliche, selbst schon fast majestätisch hoch zu Ross thronende Vorreiter waren in phantasievolle samtene Kostüme über der dicken, in zwei Schichten getragenen Unterwäsche gekleidet, sie trugen dreispitzige Hüte, unter denen friderizianische Zopfperücken hervorlugten, und sie hatten über die Knie reichende Stiefel an den Beinen, wie sie sonst nur noch den Chevaulegers vorbehalten waren. Das Geschirr der Pferde bestand aus aufwendig gearbeiteten Schabracken, kostbar beschlagenen Sätteln und mit allerlei Zierrat versehenem Zaumzeug, die Staffage geizte nicht mit allerlei bunten Straußenfedern und silberhell klingenden Glöckchen und Schellen. Hatte der König die Schimmel befohlen, so war die vorherrschende Farbe der Ausstattung blau, denn Weiß und Blau sind die Farben Bayerns und seines Himmels. Wurden aber die Rappen angespannt, ein Geschenk seiner Apostolischen Majestät, des Kaisers von Österreich, so entschied man sich mit diplomatischer Rücksicht auf die Landesfarben für die roten-weiß-roten Garnituren. Schnell wie der Wind ging es über Land, durch eingeschneite Täler des Ammerwaldes, bergauf, bergab, und schon von weitem hörten die königstreuen Bewohner des Blauen Landes den majestätischen Hufschlag und das Klingen der königlichen Glöckchen. Dann ließen auch die Kinder in den Stuben die Löffel fallen, schoben die ärmlichen Vorhangfetzen vor den Scheiben zur Seite und warteten, bis im Schein der Fackeln und der Laternen der König in einer mondhellen Nacht an ihnen vorüber glitt wie das Christkind in einer Kutsche, die ganz aus Gold schien. Kaum einer hatte da ein Auge für den Kutscher des Königs, den Falkenstein-Sepp, der die ganze Verantwortung trug, um seinen königlichen Passagier nicht nur heil an sein Ziel, sondern auch gesund wieder auf Schloss Neuschwanstein zu bringen. Bei dem ständig befohlenen gestreckten Galopp war das keine Kleinigkeit.

Nach der Ermordung Ludwigs II. durch heimtückische, von Bismarck gedungene preußische Heckenschützen hat sich mein Vorfahr auf den Falkenstein in eine Einsiedelei zurückgezogen, dorthin, wo ihn einst seine Mutter, angeblich ein „Weib wie ein Fels“, während der Heuernte geboren hat. Von nun an führte er mit ein paar Hühnern und Geißen sein eigenbrötlerisches Leben, ernährte sich von Erdäpfeln und Ziegenmilch und schrieb seine Lebenserinnerungen nieder, die ich als kostbaren Familienschatz in einer Schreiblade bewahre. Im Winter schlief er im Stall, er konnte jodeln, ein wenig auf der Ziehharmonika spielen, und er soll gerne geschnupft haben. War er einmal krank oder benötigte er Hilfe, was nur selten vorkam, so stellte er eine Laterne ins Fenster, die man bis ins Tal sehen konnte. Meist kurierte er sich jedoch mit Hilfe einheimischer Kräuter, mit denen er sich bestens auskannte. Als er starb, versagte man ihm seinen letzten Wunsch, im selbstgeschaufelten Grab neben seiner Hütte beerdigt zu werden. Die Bewohner des Blauen Landes packten den Falkenstein-Sepp in ein Fässchen und rollten es den Berg hinunter, um ihn am Weissensee zu begraben.

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