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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweiundzwanzigster Band.

Volks- und Familien-Ausgabe

Die Colonie.

Brasilianisches Lehensbild

Jena,

Hermann Costenoble Verlagsbuchhandlung.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

I.

Die Colonie Santa Clara.

Von Osten her strich die frische Seebrise über das weite, wellenförmige Land, schaukelte die einzelnen Palmen, die auf der Lichtung standen, und schüttelte von den Orangenbäumen nicht allein die überreifen Früchte, sondern auch manche Blüthe herab, unter der sich schon wieder die junge Frucht gebildet hatte. Ein würziger Duft wehte dabei über den ganzen Bergeshang, der sich hier gerade, und neben einer kleinen, freundlichen Wohnung oder Chagra dem Thale zu öffnete, und zwei Reiter, die den schmalen Waldweg herüber gekommen waren, hielten überrascht ihre Pferde an, als sie das entzückende Bild erblickten, das sich unter ihnen ausbreitete.

Dicht vor ihnen, und durch die reine Luft nur noch viel näher gerückt, als es in der That lag, füllte ein kleines Städtchen - die deutsche Colonie Santa Clara - den ebenen Theil des nicht breiten Thales aus, der vollkommen gelichtet war und nach allen Richtungen hin, wie durch Adern, von schmalen gelben Wegen durchschnitten wurde, während die Häuser, wohl in Straßen ausgelegt, aber doch noch einzeln aufgebaut, über die ganze Fläche hin zerstreut standen. Mit ihren lichten Farben und rothen, meist neuen Ziegeldächern stachen sie aber um so lebendiger von dem saftigen Grün ab, das die sie umschließenden Gebüsche trugen, während in der /6/ Ferne, nach Süd, Südost und Osten, drei scharf abgeschiedene Gebirgsschichten zuerst in dunkelm Grün, dann in blaugrüner Färbung und zuletzt in einem duftigen Lichtblau den Hintergrund bildeten.

Nur nach Südwest öffnete sich die sonst vollkommene Gebirgslandschaft ein wenig, und eben genug, um in blauer Ferne das Meer mit seinem scharf abgegrenzten Horizonte zu zeigen, und man erkannte, selbst von hier aus, deutlich, wie die verschiedenen Gebirgshänge, je mehr sie sich dem Seestrande näherten, niedriger wurden. Nur die gelben Sanddünen des Strandes selber ließen sich nicht erkennen, denn an den abschüssigen Hängen war noch nichts gelichtet, und nur die weiten Umrisse der höheren Partien schloß der Wald in seinen grünen Rahmen.

Wieder und wieder flog der Blick der beiden Reiter aber zu der kleinen Ansiedelung zurück, die auch zu gleicher Zeit ihr heutiges Ziel bildete, und während in dem Walde selber die tropische Vegetation von dem weit stärkeren Laubholze verdeckt oder überschattet wurde, konnte ihnen nicht entgehen, wie gerade nahe bei den Häusern der tropische Charakter der Landschaft sorgfältig gewahrt und erhalten war.

Die deutschen Einwanderer hatten nämlich, als sie den Wald in offenes Feld verwandelten, daheim schon zu viel von den „wehenden Palmen Brasiliens" gehört, und hier und da auch wohl in ihrer Art davon geschwärmt - denn der Bauer ist nie Phantast - um jetzt gleich die Axt an die ersten zu legen, die ihnen in den Weg traten. Wo sie ihr Haus aufrichteten oder ihren Garten umzäunten, ließen sie manche von diesen stehen, und hier und da bequemte sich auch wohl ein Einzelner, selbst in seinem Felde um die Wurzeln derselben herumzupflügen, nur um von seinem Fenster aus die stattlichen, schlanken Stämme sehen zu können.

Reizend gelegen war selbst die kleine Chagra1, vor der /7/ sie hielten, und eine schönere Fernsicht hätte der Eigenthümer wohl kaum in der ganzen Nachbarschaft finden können. Ebenso hatte er sein kleines Häuschen mit Geschmack gebaut, so einfach es auch sonst sein mochte, und der Platz schien nach Allem, was man auf den ersten Blick davon sehen konnte, neu eingerichtet und gelichtet, hätten dem nicht wieder die stattlichen Pinien und Orangenbäume widersprochen, welche das Haus umstanden, und mit drei oder vier stämmigen Palmen eine Gruppe bildeten, wie man sie sich kaum pittoresker denken kann.

Den beiden Fremden war dies ebenfalls nicht entgangen, und besonders der Jüngere von ihnen, der vielleicht dreißig bis zweiunddreißig Jahre zählen mochte, überschaute mit innigem Behagen den kleinen Platz, der sich wie ein Bild unter seinem grünen Blätterschmucke zeigte.

Der Fremde ritt einen grauen, prächtigen Hengst mit einem ganz eigenthümlichen, fremden Sattelzeuge, das mit seiner ganzen Form und einer Menge rohgearbeiteter Silberplatten, wie einer Anzahl kleiner silberner Schnallen und Troddeln und Quasten von ungegerbter, aber außerordentlich künstlich geflochtener Rohhaut mexikanischen, vielleicht sogar indianischen Ursprungs zu sein schien. Sonst aber ging er sehr einfach, doch für den Wald praktisch gekleidet. Der Wärme wegen hatte er ein ledernes, ausgefranztes Jagdhemd, wie es in den nordamerikanischen Wäldern Sitte ist, vorn über seinen Sattel geworfen, auf dem jetzt querüber eine sauber gearbeitete, aber ebenfalls einfache Büchsflinte ruhte. Er trug nur ein roth und grau gestreiftes wollenes Hemd, dunkle Beinkleider, von einem breiten Ledergurt gehalten, an dem ein breites, schweres Jagdmesser hing, hohe Wasserstiefel, einen braunen Strohhut auf dem Kopfe und eine alte lederne Kugeltasche an der rechten Seite.

Seine Sporen waren ebenfalls klein und von dunkler Bronze, und am Sattelgurt festgeschnürt, aber hinten am Sattel zusammengerollt und mit einer Schleife eingehakt hing ein dünner, doch stark gedrehter Lasso aus roher Haut.

Der Fremde sah keinesfalls wie ein Neuling im Walde aus, und die sonnverbrannte Farbe seiner Züge, aus denen /8/ ein Paar große blaue Augen treuherzig hervorschauten, verrieth ihn ebenfalls als den Nordländer, der vielleicht, wie Tausende seiner Landsleute, Brasilien zu seiner neuen Heimath gewählt.

Sein Begleiter, der etwa sechs Jahre mehr zählen mochte als er, bewegte sich trotzdem eben so frei im Sattel, verrieth aber in diesen Bewegungen, als auch noch zum Ueberflusse durch den Schnitt seines wohlgepflegten Bartes, den früheren Soldaten. Die enge Uniform hatte er freilich lange bei Seite geworfen und dafür den leichten Rock und breiträndigen Panamahut angenommen. Außerdem schien er sich den brasilianischen Sitten noch entschiedener durch ein Paar riesige brasilianische Sporen von ächtem Silber angepaßt zu haben, und auch das Kopf- und Zaumzeug seines Pferdes trug, wo es nur möglich war sie anzubringen, silberne Spangen und Schnallen. Seine Kleidung indessen, obgleich von feinem Tuche und modernem Schnitt, war durch den Busch und langen Ritt arg mitgenommen. Man sah ihm an, daß er schon eine gute Weile unterwegs sein müsse, und die ledernen Leggins, mit denen er den untern Theil der Beine bedeckt hatte, zeigten die im Walde geholten Spuren von Dornen und Ranken.

Sein Blick haftete gegenwärtig aber fast ausschließlich auf der Ansiedelung und den Berghängen voraus, während sein Begleiter sich weit mehr durch das Wohnliche des Bauernhauses gefesselt und angezogen fühlte.

„Sehen Sie nur, Günther, was für ein reizendes Plätzchen das hier ist," wandte sich in diesem Augenblicke der Jüngere der Beiden an den Freund, „wie malerisch diese dunkeln Pinien - vielleicht unbewußt - mit dem lichten Grün der Palmenwipfel gruppirt sind, und wie ganz eigenthümlich der goldgesprenkelte Orangenhain das Ganze wie ein künstlich gewobenes Netz umschließt. „Eine Hütte und ihr Herz", wie das alte Sprüchwort lautet, und wenn es das richtige Herz wäre, glaub' ich selber, daß ich rs in einer solchen Hütte aushalten könnte."

„Und auf wie lange?" lachte sein älterer Gefährte, indem er mit den Augen dem ausgestreckten Arme des Freundes /9/ folgte; „Sie unsteten Menschen möchte ich wirklich einmal und selbst in eine solche Hütte gebannt sehen - noch dazu in einer Gegend, in der es nicht einmal Wild zum Jagen giebt."

„Das wäre freilich fatal," erwiderte der Andere, „und daran dachte ich im ersten Augenblicke nicht. Aber hab' ich trotzdem nicht Recht? Kann man sich ein freundlicheres Plätzchen auf der Welt denken?"

„Nein - in der That - in Brasilien wenigstens nicht," erwiderte der Freund, den er mit „Günther" angeredet hatte; „mit meinem Thüringen daheim möchte ich's freilich immer nicht vertauschen. Es giebt doch nur ein Deutschland."

„Haben Sie das Heimweh, Günther?" sagte sein Kamerad lächelnd.

„Und wenn ich's hätte, wär's ein Wunder?" fragte Günther leise; „wie lange schon führ' ich dieses unstete, wilde Leben jetzt? Wie lange schon treib' ich mich heimathlos im Walde umher, während daheim - doch wir wollen uns den schönen Tag nicht mit solchen Gedanken verbittern, Freund - die Heimath hat doch keiner von uns vergessen."

Sein Begleiter nickte nur schweigend mit dem Kopfe, und auch seine Gedanken schienen in dem Augenblicke weit, weit zurück zu schweifen, zu ganz anderen Scenen und Ländern, als sich die beiden Freunde plötzlich angerufen hörten. Die Stimme schallte hinter der Gartenhecke vor und rührte von einem jungen Manne, dem Eigenthümer der Chagra, her, den ihnen das Grün der Hecke bis jetzt verborgen gehalten.

„Hallo, Fremde!" rief der Mann in deutscher Sprache mit nur einem leichten Anklang nicderrheinischen Dialektes; „wollt Ihr nicht ein wenig absteigen und ein Glas Milch trinken? Der Weg ist schlecht, und ein bischen Rast kann Euren Pferden nicht schaden, denn 's ist noch eine gute Stunde bis in die Colonie hinunter."

Die beiden Deutschen sahen sich erst erstaunt um, von woher die Stimme eigentlich komme. Endlich entdeckten sie hinter der Hecke und gerade unter einem blühenden Granatbaume das frische, freundliche Gesicht eines jungen Mannes, der /10/ ihnen erst jetzt, als er ihren Blick auf sich gerichtet fand, sein herzliches „Guten Morgen miteinander.'" zurief.

„Guten Morgen, Landsmann," sagte der jüngere Fremde, der ihm zunächst hielt, indem er den Kopf seines Thieres gegen die Hecke drehte, „ich wußte gar nicht, weshalb mein Grauer immer die Ohren spitzte. Also eine Stunde Wegs ist's noch hinunter? Es sieht eigentlich von hier oben viel näher aus."

„Ja," lachte der hinter der Hecke, „wenn die Brücke nicht wieder eingebrochen wäre, die der Bleifuß da neulich erst gebaut hat, dann wär's auch nicht viel mehr als ein halb Stündchen zu Thal. So aber müßt Ihr hier rechts unter meiner Chagra durch, um der Schlucht aus dem Wege zu gehen, und der Pfad zieht sich mordmäßig in die Länge. Aber steigt ab, das besprechen wir besser im Hause."

„Schon recht," sagte Günther, indem er sich leicht aus dem Sattel schwang; „unseren Packthieren sind wir doch vorausgeritten, und bis die nachkommen, können wir recht gut ein halbes Stündchen plaudern."

Sein Gefährte folgte, ohne ein Wort zu erwidern, dem Beispiele, denn es drängte ihn selber, das Innere des Häuschens zu sehen, das schon von außen einen so freundlichen Eindruck auf ihn gemacht. Die beiden Reisenden banden deshalb ihre Pferde außen an der Hecke an die herunterhängenden Aeste eines stattlichen Orangenbaumes, und traten dann in den Garten, wo ihnen der Hausherr, ein junger, prächtig gewachsener Mann mit offenen, ehrlichen Gesichtszügen, blauen Augen und blonden Haaren, entgegenkam und sie begrüßte.

„Das ist gescheidt," sagte er dabei, „Sonntag Morgens habt Ihr so nicht viel in der Colonie zu versäumen und kommt noch zeitig genug zum Mittagessen, wenn Ihr nicht das hier ebenfalls verzehren wollt."

Er schüttelte dabei den beiden Fremden kräftig die Hand und führte sie dann ohne Weiteres in sein Haus hinein, wo Beide aber unwillkürlich erstaunt und überrascht auf der Schwelle stehen blieben.

Das kleine Zimmer, das sich ihnen öffnete, glänzte von /11/ Sauberkeit; der einfache Holztisch war schweeweiß gescheuert, aber nicht weißer als der Fußboden selber, den in der Mitte eine leicht geflochtene Matte überdeckte. An den Fenstern hingen sogar Gardinen, und ein nett gearbeiteter Nähtisch aus polirtem Holze schien mit diesen, als Luxusmöbel, concurriren zu wollen. Aber die Freunde sahen das Alles weniger, als daß sie es im Eindrucke des Ganzen fühlten, denn Beider Augen hingen in dem ersten Momente an einem wunderbar schönen jungen Weibe, das ein Kind auf dem Schooße hielt und, als die Fremden die Hütte betraten, den kleinen strampelnden Burschen aufgriff und ihnen mit freundlichem Lächeln entgegentrat.

„Grüß Gott!" sagte sie herzlich, als sie Beiden nacheinander die Hand reichte, „und setzt Euch und macht's Euch bequem - Vater, hast Du denn schon nach den Pferden gesehen?"

„Werd's schon besorgen, Schatz," lachte der Mann, „bring Du nur einmal ein paar Gläser Milch, denn die beiden Herren werden durstig geworden sein."

„Ja, dann mußt Du indessen den Schlingel da nehmen," sagte die junge Frau, indem sie ihrem Gatten den kleinen unruhigen Burschen so leicht hinüberreichte, als ob er keine zwei Pfund gewogen hätte, wie er sicher zwanzig wog, - „der läßt mir ja sonst nicht Ruh' noch Frieden an den Milchnäpfen."

„Ob er Frieden halten wird!" lachte der Mann, nahm ihr den kleinen Burschen ab, gab ihm ein paar derbe Küsse und setzte ihn sich auf den linken Arm. „Und nun thut, als ob Ihr zu Hause wäret," fuhr er dann, indem er sich wieder zur Thür wandte, gegen die Fremden fort; „ich bin gleich wieder da, und zu trinken wird Euch die Trine auch im Augenblick bringen." Die „Trine" war schon lange aus der Thür hinaus, und die beiden Freunde sahen sich im nächsten Moment allein in dem kleinen Raume.

„Ist das nicht ein wahres Madonnengesicht?" brach aber der Jüngere heraus, als der junge Bauer kaum das Zimmer verlassen hatte; „haben Sie je in Ihrem Leben ein Paar solcher Augenbrauen, einen solchen Mund gesehen?" /12/

„Ein wunderhübsches Paar, in der That," erwiderte Günther, der den Blick indessen forschend umherwarf, „und wie nett und sauber steht's bei ihnen aus! Ja," fuhr er tief aufseufzend fort, „der hat's gut, und Unsereiner zieht nun so in der Welt umher, sieht die verbotenen Früchte an den Bäumen hangen, wischt sich resignirt den Mund und - wandert eben weiter."

„Ob denn das wirklich Deutsche sind?" sagte sein Freund.

„Was denn sonst? Doch wahrhaftig keine Portugiesen!"

„In meinem Leben habe ich noch keinen ausgewanderten Bauernburschen gesehen," erwiderte der Jüngere, „der ein so ungezwungenes und doch anständiges Benehmen hatte, und die junge Frau würde in einem schweren Seidenstoffe ebenso zu Hause sein, wie in ihrem einfachen Kattunröckchen. Aber sie sprechen vollkommen gut Deutsch."

„Er noch dazu mit dem rheinischen, sie etwas mit dem Tyroler Dialekt," sagte Günther, „aber da kommt sie zurück. Sie wird uns gleich sagen, wo sie herstammen."

„So - da bin ich wieder - hat's lang' gedauert?" sagte die junge Frau, als sie mit einem kleinen Präsentirteller in's Zimmer trat; „und nun, setzen Sie sich her und langen Sie . zu - 's ist nicht viel, aber wir haben's hier oben noch nicht besser, denn wir sind hier erst seit kaum sechs Monaten auf der Chagra."

Während sie sprach - und so rasch und gewandt, daß Alles sich fast von selber zu ordnen schien, hatte sie indessen das Mitgebrachte auf dem Tische ausgebreitet, und frische, süße Milch, weißes Brod, Butter und Käse, alles auf blinkendem Geschirr, lachte den Fremden bald darauf entgegen und lud sie schon selber ein, nur tapfer zuzulangen.

„Und sind Sie erst so kurze Zeit hier oben?" fragte der ältere Fremde; „die Pinien und Orangen müssen doch schon vor vielen Jahren gepflanzt sein."

„Das sind sie auch," erwiderte der Mann, der in diesem Augenblicke wieder in der Thür erschien und der Frau das Kind entgegenhielt. „Da, Mutter, nimm den Schlingel," fuhr er dann zu dieser fort; „ob der Bengel wohl Ruhe ge-/13/geben hat, bis ich ihn auf den Grauen setzte, und da oben blieb er, bis ich die Thiere gefüttert hatte."

„Aber der Graue ist ein sehr unruhiges Thier," sagte Günther.

„Bah, der hält sich schon fest," lachte der Mann; „ja was ich sagen wollte, die Chagra habe ich erst kürzlich gekauft, und zwar von einem Deutschen, der sie so hatte verwildern lasten, daß man die Bäume kaum fand, die darauf standen. Es war ein vornehmer Herr gewesen, der, wie er meinte, hatte brasilianischer „Pflanzer" werden wollen, sich die Sache aber wohl ein wenig anders und leichter gedacht haben mochte und auch irgendwo anders besser hinpaßte, als hinter Pflug und Egge."

„Und seid Ihr keine Deutsche?" fragte der ältere Fremde?

„Wir? - Nein," lachte der Mann, - „das heißt, ja, wir sind schon Deutsche, aber doch nicht in dem Deutschland drüben geboren, sondern hier in Brasilien. Mein Vater stammt vom Rheine und der Frau ihr Vater von Innsbruck, die Beide vor etwa dreißig Jahren hier herüber gekommen waren und sich in San Leopolds niedergelassen hatten."

„Also Brasilianer?" sagte Günther enttäuscht.

„Ah, nein, wir sind schon Deutsche," lachte die Frau gutmüthig, „und halten uns ja auch immer zu den Deutschen, wie Ihr seht, denn mit den Bleifüßen ist es doch nichts, und sie wollen nichts arbeiten und schaffen."

„Bleifüße - was zum Henker ist das nur?" frug der eine Fremde; „ein Bleifuß soll ja auch die schlechte Brücke gebaut haben."

„Ih ja," meinte der Mann schmunzelnd, „der Bleifüße giebt's gar viele - eigentlich mehr, als gut ist, und wir nennen besonders die eigentlichen Portugiesen so, die immer herüberkommen und so thun möchten, als ob Brasilien ihnen gehörte. Weshalb sie aber eigentlich so genannt werden, weiß ich selber nicht recht; aber den Namen haben sie, so viel ist sicher, und werden ihn wohl auch behalten. Aber seid Ihr selber erst so kurze Zeit im Lande, daß Ihr noch nicht einmal das Wort Bleifuß gehört habt? Ich dächte doch, das würde häufig genug aller Orten genannt." /14/ „Ich selber bin schon lange im Lande und kenne auch den Namen“ lächelte Günther, „aber mein Reisegefährte da ist erst kürzlich aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Rio, und von da zu Pferde hier nach dem Süden gekommen, um sich das Land einmal anzusehen."

„Und was ist Ihr Geschäft? wenn man fragen darf."

„Ich bin Feldmesser," erwiderte Günther, „und von der Regierung hierher beordert, um die Colonien für frisch eintreffende Emigranten auszumessen."

„Das ist gescheidt," sagte der junge Bauer; „am vermessenen Lande fehlt's ewig, und die armen Teufel müssen sich oft Monate lang in den sogenannten Auswanderungshäusern herumtreiben, ehe sie eigenen Boden und eine feste Heimath bekommen. Nun, da werden Sie Arbeit genug kriegen, daran fehlt's nicht - aber essen Sie nicht mehr?"

„Wir danken,", erwiderte Günther, der bis jetzt mit seinem Gefährten wacker zugelangt, „es hat vortrefflich geschmeckt und war delicat. Jetzt können wir's schon bis in die Colonie hinunter aushalten."

„Und wollen Sie schon wieder fort?" fragte die Frau freundlich, als die beiden Fremden von ihren Sitzen aufstanden und zu den Hüten griffen - „das war ein gar kurzer Besuch."

„Wenn Sie's erlauben," sagte der jüngere Fremde, „so komme ich schon wieder einmal her. Ich selber habe nichts zu versäumen und werde mich doch wahrscheinlich ein paar Monate in der Nähe der Colonie herumtreiben. Daß es mir aber hier bei Ihnen gefällt, dürfen Sie mir auf mein Wort glauben. Mein Freund ist jedoch mit seiner Zeit gebunden und hat heute noch viel unten mit dem Director zu besprechen. Da draußen sind auch eben unsere Packpferde angekommen, und wir wollen deshalb lieber aufbrechen."

„Apropos," fragte Günther, „was für ein Mann ist der Director eigentlich? Ich habe in den anderen Colonien am Chebaja nicht gerade viel Gutes von ihm gehört."

„Ich weiß nicht," lachte der Mann . „es kommt immer darauf an, wen Ihr fragt. Die Einen schimpfen auf ihn, die Anderen loben ihn, und Allen kann man's eben nicht /15/ recht machen auf der Welt. Er ist sehr streng, das ist wahr, und oft auch wohl ein bischen eigensinnig. Mit den armen Leuten geht er aber gut um und steht ihnen bei."

„Und das ist die Hauptsache," rief Günther - „nun, ich werde schon mit ihm fertig werden - also, herzlichen Dank für die Aufnahme. Wenn ich's einmal wieder gut machen kann, stehe ich zu Diensten!"

„Das mag vielleicht rascher geschehen, als Sie denken." meinte der junge Bauer, „denn unsere Grenzen sind hier alle in Confusion, und ich bin schon lange darum eingekommen, die meinige ebenfalls nachsehen zu lassen. Doch darüber sprechen wir später; ich möchte Sie jetzt nicht länger als nöthig aufhalten, und komme auch vielleicht in diesen Tagen einmal nach der Colonie hinunter."

Damit reichten er und die Frau den Fremden die Hand zum Abschied. Draußen hielten auch in der That die beiden eingeborenen Diener der Freunde, ein paar braune, rauh genug aussehende Burschen, mit drei Lastpferden, wovon zwei dem Vermesser, eins aber seinem Freunde gehörte, und gleich darauf trabte die kleine Cavalcade, welcher der junge Bauer erst noch den Weg um seine Chagra herum zeigte, diesen thalein.

Ein wundervoller Pfad war es, der sie hier in die Niederung hinabführte, denn gerade an diesem Berghange zeigte sich die schon fast tropische Vegetation des Landes in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit. Der Baumwuchs war allerdings lange nicht so mächtig, wie in den nördlicher gelegenen Theilen Brasiliens, aber das üppige Unterholz mit seinen zierlichen Farrnpalmen und Fächern, mit seinen Lianen und Ranken bildete überall, wo es dem Blicke erlaubte einzudringen, die reizendsten Gruppen und Festons, aus denen sich die grünen schlanken Schäfte verschiedener wilder Palmenarten keck emporhoben.

Hier und da, wo eine eingerissene Schlucht oder ein breiteres Bachbett den Blick in die Tiefe gestattete, zeigte sich dann die kleine Niederlassung im Thale mit ihren lichten Gebäuden und hellgrünen Rasenstecken, durch welche die gelben Wege wie Fäden liefen, immer in verschiedener Form und /16/ Beleuchtung, aber immer freundlich, so daß die Reiter ihre Thiere oft anhielten und ein paar Secunden schweigend auf das unter ihnen ausgebreitete Bild hinabblickten.

Da hier der Weg aber zu schmal war, oder der Regen doch in den Boden an den verschiedensten Stellen Einrisse gemacht hatte, mußten sie ihre Pferde hintereinander halten, und dadurch war die Conversation gestört. Erst weiter unten, auf der letzten Abdachung angelangt, bog der Beipfad wieder in den durch die eingefallene Brücke unterbrochenen Hauptweg ein, und jetzt hatten sie die eigentliche Colonie Santa Clara auch bald erreicht, deren Ausläufer in kleinen, allein stehenden Ansiedelungen schon bis hier herauf reichten.

„Der Platz liegt wirklich allerliebst," sagte Günther, der bis jetzt vorangeritten war, indem er sein Pferd anhielt, um wieder neben dem Freunde zu bleiben.

„Was die Scenerie betrifft, ja," erwiederte dieser, „aber der Boden scheint mir hier nicht besonders, und der Mais da drüben in dem Felde steht dünn und mager genug - wenigstens magerer, als ich es bis jetzt gewohnt bin zu sehen."

„Das bessere Land wird weiter zurück in der Ebene liegen," meinte Günther; „jedenfalls hat der Ort nicht weit zur See, und das ist schon immer ein enormer Vortheil für eine Colonie."

„Wenn der Hafenplatz gut ist, ja; und wohin wollen wir jetzt zunächst?"

„Direct zum Direktor," sagte Günther, der wird uns dann schon die beste Auskunft geben, wo wir übernachten können. Wir müssen nun im nächsten Hause seine Wohnung erfragen."

„Das ist nicht nöthig," sagte sein Freund - „das Haus da drüben, wo die deutsche Fahne weht, ist jedenfalls das Wirthshaus und das größere Gebäude daneben eben so sicher die Kirche - wo baute der Deutsche nicht eins neben das andere? Außerdem steht aber dort nach Süden nur noch ein sehr großes Haus mit einer neuen Umzäunung, und dort hat natürlich auch der Director seinen Aufenthalt. Wir wollen ruhig darauf zureiten." /17/

„Sie können Recht haben," sagte Günther „aber vielleicht wohnt er doch da drüben in dem kleinen allerliebsten Gebäude, wo die vielen Orangenbäume stehen. Den Platz hätte ich mir jedenfalls zu meiner Wohnung ausgesucht."

„Das ist sicher die Pfarrwohnung," versetzte aber sein Kamerad; „sehen Sie nicht den breiten betretenen Pfad, der von dort zur Kirche niederführt? Ich glaube kaum, daß der Director alle die Fährten nach der Kirche in den Sand eingedrückt hat. Folgen Sie mir nur; ich führe Sie den richtigen Weg." Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, gab er seinem Pferde leicht die Sporen und sprengte, von Günther jetzt dicht gefolgt, dem vorher bezeichneten Hause zu, vor dessen Thür er anhielt und ohne Weiteres aus dem Sattel sprang.

2.

Der Director.

Gerade als Günther an seines Gefährten Seite hielt und seinem Beispiel folgte, trat eine Erscheinung aus dem Hause, die beide junge Leute hier, mitten im brasilianischen Walde, wohl kaum vermuthet hatten, und die sie deshalb um so mehr überraschte eine Dame in vollem europäischen Putze, mit einem grün und schwarz groß carrirten Seidenkleide , sehr bedeutender Crinoline und überhaupt allem dazu Nöthigen und Gehörigen versehen, die mit stolzer, fast majestätischer Haltung aus der Thür rauschte, einen Augenblick erstaunt die Fremden betrachtete und dann, mit einem leichten, kaum bemerkbaren Kopfnicken ihre Begrüßung erwidernd, vorbei und in die kleine Stadt hinein schwebte.

„Alle Teufel," murmelte der Jüngere der Beiden halblaut vor sich hin, als die Dame außer Hörweite, „von allen Dingen auf der Welt hätte ich eine Crinoline hier am allerwenigsten erwartet. Das muß die Frau oder eine Verwandte des Direktors sein, denn nach einer Colonistenfrau /18/ sieht sie doch nicht aus. Es thut den Augen aber ordentlich wohl, nach einem Stück wilden Lebens wieder einmal auf eine so breite Fährte der Civilisation zu kommen. Diesen Anzeichen nach giebt es also hier auch jedenfalls eine haute volée; unser rauher Waldanzug schien der Dame nicht besonders zu behagen, denn sie grüßte nur sehr vornehm und nachlässig."

„Nun, wir werden ja bald erfahren, mit wem wir es hier zu thun bekommen," sagte Günther. „Jedenfalls müssen wir jetzt erst erfragen, ob hier der Director wirklich wohnt und, wenn so, ob er zu Hause. - Heh, Landsmann," wandte er sich dann an einen Colonisten, dessen Aeußeres, mit dem langen blauen Rocke und schmalen Kragen, dem Gesangbuche unter dem Arm, über sein Vaterland keinen Zweifel gestattete - „ist das die Wohnung des Directors?"

„Guten Morgen miteinander," erwiderte der Gefragte, der sich dabei die Fremden von Kopf bis zu Fuß betrachtete - „ja wohl, der Herr Director wohnt hier - er ist oben in seiner Stube - wollen Sie 'was?"

„Danke schön; ja, wir wollen ihn sprechen."

„Gehen Sie nur hinauf; er ist oben allein, aber - nicht gerade guter Laune. Sie kommen wohl weit her?"

„Nicht sehr."

„Und wollen Sie hier in der Colonie bleiben?"

„Uns wenigstens den Platz erst einmal ansehen," sagte Günther, nicht gesonnen, sich hier vor der Thür in eine lange Unterredung einzulassen. Sein Freund hatte das Haus schon betreten, und Beide schritten jetzt die Treppe langsam hinauf. Auf der Treppe oben blieb der Jüngere plötzlich stehen und sagte:

„Kamerad, ich habe mir die Sache überlegt; ich werde jetzt nicht mit hineingehen. Wenn der Herr Director übler Laune sind, möchte ich ihm nicht gern in den Weg treten, denn ich will nichts von ihm und gedenke mich deshalb auch nicht seiner übeln Laune auszusetzen. Sie haben Geschäfte mit ihm, das ist etwas Anderes; ich werde indessen in's Wirthshaus gehen und Sie dort erwarten. Machen Sie Ihre Sachen so rasch ab, wie Sie können." - /19/

Damit wollte er ohne Weiteres umdrehen und wieder hinabsteigen, Günther aber ergriff seinen Arm und sagte:

„Thun Sie mir den Gefallen und bleiben Sie; kommen Sie wenigstens einen Augenblick mit hinein, um Ihren Auftrag auszurichten."

„Auftrag - es ist nur ein Gruß."

„Und wenn auch. Er wird uns nicht gleich beißen, und ich selber habe vor der Hand ebenfalls nur wenige Worte mit ihm zu sprechen, denn unsere Thiere müssen abgepackt und untergebracht werden."

„Meinetwegen," sagte der Freund achselzuckend, „wenn Sie's absolut wollen. Lieber ginge ich freilich in's Wirthshaus."

Wenige Stufen höher standen sie vor der Thür des Directors, die eine daran genagelte einfache Visitenkarte bezeichnete. Die Karte trug auch weiter keine Bezeichnung, als „Ludwig Sarno", nicht einmal der Titel „Director" war beigefügt, und der jüngere Fremde nickte befriedigt mit dem Kopfe. Günther hatte indessen ohne Weiteres an die Thür geklopft, und ein etwas barsches „Herein!" lud sie ein, des Löwen Höhle zu betreten.

Der Director, ein schlanker, aber stattlicher Mann, ebenfalls mit einem militärischen Anstriche, starkem, etwas röthlichem Barte und vollem, lockigem Haar, ging mit auf den Rücken gelegten Händen in seinem Arbeitszimmer auf und ab, das sich besonders durch eine Menge von Gefächern mit actenartig in blaues Papier geschlagenen Folioheften auszeichnete. Bei dem Anklopfen hatte er seinen Spaziergang unterbrochen und stand, halb nach der geöffneten Thür gedreht, mitten im Zimmer. Günther ließ ihn aber nicht lange über sich in Zweifel, sondern auf ihn zugehend, sagte er:

„Herr Director, ich bin gezwungen, mich selber bei Ihnen einzuführen. Mein Name ist Günther von Schwartzau, Ingenieur-Officier, und ich bin vom Präsidenten der Provinz hierher beordert, etwa nöthig gewordene Vermessungen vorzunehmen.“

„Etwa nöthig gewordene?" wiederholte der Director, indem er den Fremden erstaunt ansah; „als ob ich nicht den /20/Präsidenten seit sechs Monaten bei jeder möglichen Gelegenheit mit Eingaben bombardire, daß er endlich einmal die seit einem Jahre schon fast dringend nöthigen Vermessungen vornehmen lasse! Etwa nöthigen..."

„Es thut mir leid, Herr Director, wenn Sie haben warten müssen," sagte Günther ruhig, „aber meine Schuld war es nicht; denn vor fünf Tagen erst erhielt ich am Chebaja den Brief des Präsidenten, der mich hierher beordert, und Sie werden mir zugestehen, daß ich von dort aus, bei der Entfernung und den Wegen, wahrlich keine Zeit versäumt habe."

„Der Herr ist Ihr Gehülfe?"

„Bitte um Verzeihung," sagte der Fremde, der indessen mit einem leichten, kaum bemerkbaren Lächeln dem Gespräche gefolgt war - „ich gehöre in das Geschäft gar nicht hinein und muß mich eigentlich als einen Aufdringling betrachten, will Ihre kostbare Zeit auch nicht länger in Anspruch nehmen, als unumgänglich nöthig ist, Ihnen mir aufgetragene und an's Herz gelegte Grüße zu bestellen."

„Grüße? Von wem?" sagte der Director, der indessen die schlanke, edle Gestalt des Fremden mit eben nicht freundlicher werdenden Blicken musterte.

„Vom Hauptmann Könnern."

„Von Hermann Könnern?" rief der Director rasch.

Der Fremde nickte nur langsam mit dem Kopfe.

„Und kennen Sie Könnern persönlich?" fragte der Director eben so eifrig weiter.

„Ziemlich genau," erwiderte der junge Mann; „er ist mein Bruder, und ich heiße Bernard."

„Der sich in Amerika so lange herumgetrieben - der Maler?"

„Derselbe," lächelte der junge Mann.

„Dann seien Sie mir herzlich und viel tausendmal willkommen," rief Sarno, der in dem Augenblick ein ganz anderer Mann zu werden schien - „herzlich willkommen!" wiederholte er noch einmal, die gefaßte Hand aus allen Kräften schüttelnd. „Oft haben wir von Ihnen gesprochen - und wie geht es Hermann? - Aber davon nachher - /21/ Sie kommen eben von der Reise, und unsere Wege sind nichts weniger als musterhaft; erst müssen Sie sich erholen und eine Erfrischung einnehmen; nachher plaudern wir viel, recht viel mit einander, denn Ihr Bruder ist der beste Freund, den ich auf der Welt habe, und ich muß Alles wissen, was ihn angeht."

„Er schrieb mir noch in seinem letzten Briefe, wo ich Sie hier in Brasilien anträfe, den Fuß nicht eher aus dem Bügel zu setzen, bis ich Ihnen die aufgetragenen herzlichen Grüße überbracht - da ich aber nicht gut die Treppe herauf reiten konnte, mußte ich wenigstens vor der Thür absteigen."

„Ihr Pferd steht noch unten?"

„Gesattelt."

„Desto besser, dann legen Sie Alles gleich herein - keine Widerrede; ich schicke gleich Jemanden hinunter, denn leider Gottes habe ich Menschen genug dazu im Hause - Bernard Könnern soll wahrhaftig nicht in Brasilien in einem Wirthshause wohnen, so lange ich selber ein Dach über mir habe, und ein Bett, mit ihm zu theilen."

„Aber, Herr Director..."

„Kein Wort mehr; ich lasse keine Einrede gelten, wenn ich Ihnen auch keine besondere Bequemlichkeit zu bieten vermag. Sie aber sind ja auch an ein Lagerleben gewöhnt. - Mein lieber Herr von Schwartzau," wandte er sich dann an den Ingenieur, „mit großem Vergnügen würde ich auch Sie gern beherbergen, aber überzeugen Sie sich selber, ich habe das ganze Haus voll von Emigranten, und noch dazu fast lauter Kranke, Frauen und Kinder, die ich bei dem ewigen Regen in dem erbärmlichen Auswanderungshause nicht lassen mochte."

„Mein lieber Herr Director!" sagte Günther abwehrend.

„Sie können uns aber helfen," fuhr der Director fort. „Vermessen Sie uns eine tüchtige Strecke Land, daß ich die armen Einwanderer bald unterbringen kann, und ich habe dann Raum genug in meinem Hause für sechs oder acht Freunde, und vielleicht für mehr."

„Mit Freuden, sobald ich nur erst einmal weiß, wo." /22/

„Das zeige ich Ihnen noch heut Abend, denn wir haben in der That keine Zeit zu verlieren. Ihre Pferde brauchen Sie dabei nicht anzustrengen, ich borge Ihnen von meinen Thieren, und Könnern hier begleitet uns; dann können Sie morgen früh mit Tagesanbruch Ihre Arbeit gleich beginnen. Was Sie von Leuten dazu brauchen, stelle ich Ihnen; ich kenne einige dazu ganz passende junge Burschen, und hätte die Arbeit schon längst selbst gemacht, wenn ich's eben im Stande wäre. Aber sehen Sie selber hier die Actenstöße an - Berichte, Klagen, Eingaben, Zänkereien, Befehle von Oben, wovon immer einer dem andern widerspricht, und Quengeleien, daß sie einen Heiligen manchmal zum Fluchen bringen könnten - und ich bin eben keiner - doch darüber sprechen wir nachher. Und außerdem noch, lieber Schwartzau - Sie waren Officier, nicht wahr?"

„In schleswig-holsteinischen Diensten."

„Aha - die alte Geschichte, mit der sie daheim die besten Kräfte über die Grenze getrieben haben. - Ich muß Sie noch um Entschuldigung bitten, daß mein Empfang gerade kein überfreundlicher war, aber weiß es Gott, sie treiben es hier manchmal, daß es Einem die Galle mit Gewalt in's Blut hineinjagt. Die Frau Gräfin verbessert überhaupt nie meine Laune, wenn sie mich einmal mit ihrem hohen Besuche beehrt."

„Die Frau Gräfin," sagte Könnern, aufmerksam werdend; „war das etwa die Dame, die vorhin aus dem Hause trat?"

„Kurz vorher, ehe Sie kamen - sie verließ mich sehr beleidigt, daß ich einen armen Teufel von Bauer, der noch drei Stunden Weges bis nach Hause hat, nicht ihretwegen vor der Thür warten ließ und ihn abfertigte, während sie bei mir war. Doch ich schwatze und schwatze. Also, Schwartzau, Sie müssen sich noch ein paar Tage im Wirthshause unterbringen, und dann werden Sie wahrscheinlich gezwungen sein, einige Wochen auszulagern, bis dahin aber hoffe ich, Ihnen Raum geschafft zu haben. Heh, Christoph - Klaas!" rief er dann aus dem Fenster - „schaff' doch einmal die Sachen des fremden Herrn in's Haus - Sattel und Taschen, oder was es ist - wo wollen Sie hin, Könnern?" /23/

„Wenn Sie es denn nicht anders haben wollen, so muß ich wenigstens hinunter, um mein Packthier selber abzuladen, daß mir die guten Leute nichts zerbrechen?'

„Gut, auch recht. Lassen Sie nur Alles hier herauf schaffen und draußen vor die Thür stellen; wir arrangiren es dann selber, denn ich habe hier Junggesellenwirthschaft. Indessen Sie das besorgen, schreibe ich nur noch zwei Briefe, die jener Colonist mit in eine andere neue Colonie nehmen muß, wohin sonst sehr selten Gelegenheit ist."

„Und um wie viel Uhr ist es Ihnen recht?" fragte Günther.

„Um aber das können wir nachher bereden," sagte der Director; „natürlich essen Sie mit uns, was gerade da ist, und nach dem Essen reiten wir in aller Bequemlichkeit hinaus. Die übrigen Geschäfte müssen warten, denn dieses ist das wichtigste. Um ein Uhr esse ich gewöhnlich, bis dahin behalten Sie also noch übrig Zeit, sich ein wenig auszuruhen. Und Sie, lieber Könnern, kommen gleich wieder zu mir hinauf, sobald Sie Ihre Sachen besorgt haben."

Und damit, ohne irgend eine Einladung zu erwarten, setzte er sich ohne Weiteres an seinen Schreibtisch und überließ die beiden Fremden indessen sich selber.

„Nun, wie gefällt Ihnen Ihr Director?" sagte Könnern auf der Treppe.

„Vortrefflich!" erwiderte Günther; „im Anfang schien er ein wenig brummig, aber der Name Ihres Bruders wirkte Wunder. - Wo haben sich die beiden Herren eigentlich gekannt?"

„In der österreichischen Armee," erwarte Könnern, „wo sie den siegreichen Feldzug in den vierziger Jahren zusammen durchgemacht haben. Mir gefällt aber Mann auch außerdem; er ist rasch, kurz angebunden wie mir scheint, aufrichtig und offen. Mit solchen Leuten ist immer am besten verkehren, denn der Böse soll die Unfreundlichen holen, die stets ein lächelndes Gesicht zeigen, und bei denen man doch nie und nimmer weiß, woran man mit ihnen eigentlich ist."

„Mich hat es ebenfalls gefreut, daß er mich so ohne /24/ Weiteres in's Wirthshaus wies. Er hätte ja eine lange Entschuldigung machen können, aber er sagte einfach, deshalb geht's nicht, und damit Punktum. Ich glaube, ich werde mit dem Director fertig."

Sic waren damit vor die Thür getreten, wo ihre Diener mit den Pferden noch hielten, und während Günther wieder aufstieg, lockerte Könnern seinem Grauen den Sattelgurt. Da schallten rasche Hufschläge die Straße herauf, Beide wandten den Kopf dorthin und Günther rief aus:

„Hallo, wer kommt da - eine Amazone!"

In demselben Augenblicke aber sprengten schon zwei Reiter, mehr in Carriére als in Galopp, an dem Hause des Directors vorüber, und die beiden Fremden hatten nur eben Zeit zu bemerken, daß auf dem ersten Pferde ein junges wunderhübsches Mädchen in einem knapp anschließenden, dunkeln Reitkleide saß, mit einem kleinen Amazonenhute auf, von dem eine einzelne mächtige weiße Straußfeder und ein paar lange Reiherfedern in dem scharfen Luftzuge weit auswehten. Ihr Begleiter, der etwa eine Pferdelänge hinter ihr folgte, war ein ganz junger Bursche von etwa sechzehn bis siebzehn Jahren.

Wie eine Erscheinung flogen die Beiden an ihnen vorüber, und Günther hatte noch außerdem jetzt mit seinem eigenen Pferde zu thun, das sich, wie es schien, am liebsten dem Rennen angeschlossen hätte und herüber und hinüber tanzte.

„Hier im Orte scheint es wirklich ganz interessante Gesellschaft zu geben," sagte Könnern, als die wilden Reiter die Straße hinab verschwunden waren, „und es wird lohnen, sich eine Zeit lang aufzuhalten und ihre Bekanntschaft zu machen."

„Beinahe hätt' ich das Letzte gleich gethan," lachte Günther, „denn mein Rappe schien dasselbe Bedürfniß zu fühlen. Aber, Adieu jetzt, Kamerad. Um ein Uhr sehen wir uns beim Diner wieder."

„Hoffentlich nicht im Frack, denn darauf bin ich nicht eingerichtet," nickte ihm Könnern zu, während Günther, von seinen beiden Lastthieren gefolgt, denselben Weg, aber /25/ bedeutend langsamer, einschlug, den die junge Dame eben genommen. Die Kirche lag in dieser Richtung, und er wußte gut genug, daß Könnern Recht hatte, wenn er das Wirthshaus dicht daneben vermuthete.

Aus dem Directionshause waren indessen ein paar deutsche Arbeiter gekommen, junge Burschen in Hemdärmeln und mit ledernen Hosen und Pantoffeln, der eine eine runde blaue, der andere eine viereckig grüne Mütze auf, und beide genau so aussehend, als ob sie eben dieselben Pantoffeln nicht ausgezogen hätten, seit sie in Bremen oder Hamburg das Schiff betreten.

Diese griffen willig mit zu, das Packthier abzusatteln, und wenn sie auch stets an den verkehrten Stricken, aber deshalb nicht minder gutgemeint, zogen, gelang es doch endlich mit Könnern's Hülfe, den Packen aufzuschnüren, und die verschiedenen Gegenstände in's Haus und in die erste Etage zu schaffen. Die Pferde brachten sie dann ebenfalls auf einen kleinen Weideplatz dicht am Hause, wo sie auch einzeln gefüttert werden konnten, und seinen Diener schickte Könnern dann mit dessen eigenem Sattelzeuge in das Wirthshaus hinüber, da er den Eingeborenen nicht mit den Deutschen zusammenbringen wollte. Er wußte, daß dies selten gut that.

Hierbei gelang es ihm, einen Blick in den untern Theil des Directionshauses zu werfen, und es sah dort allerdings wild und wunderlich genug aus. Das ganze Haus war noch neu, ja, es stand sogar noch ein Theil des Gerüstes. Die Wände waren auch nur erst einfach geweißt und die Fensterrahmen noch nicht einmal gestrichen.

Gleichwohl glich der Platz da unten weit eher einem indianischen Bivouak, als der Wohnung eines Directors der Colonie, denn überall in den Zimmern lagen Matratzen, überall an den Wänden standen die riesigen Kisten und Koffer der Auswanderer, mit der groß gemalten Adresse „Nach Brasilien" noch daran, und auf dem ebenfalls preisgegebenen Kochherde war auf jeder Ecke ein Feuer angezündet, über dem theils ein Kessel brodelte, theils eine Pfanne zischte. Selbst im Hofe loderte ein stattliches Feuer, /26/ um den übrigen Kochgeschirren Raum zu geben, denn heute war ja Sonntag, und die Deutschen feierten diesen, genau wie daheim, mit Essen und Trinken.

Könnern, im Augenblick ohne weitere Beschäftigung, trat dort hinein, ohne daß die Leute jedoch besondere Notiz von ihm genommen hätten. Ein paar alte Frauen saßen auf den Kisten in der Ecke und lasen in ihren Gesangbüchern; die Mädchen und jungen Frauen waren fast alle mit einer oder der andern Arbeit für die Küche beschäftigt, und die Männer lagen zum Theil ausgestreckt auf den Matratzen oder auch auf dem nicht gerade überreinlichen Boden und rauchten ihre kurzen Pfeifen. Tabak war billig hier, und sie konnten sich dem Genusse mit unbeschränkter Leidenschaft hingeben.

„Nun, Leute, wie geht's?" redete Könnern einen der Männer an, der beide Beine von einander gestreckt hatte und, ein Bild der höchsten Zufriedenheit, flach auf dem Rücken lag. Nur den einen Arm hatte er als Kisten unter den Kopf geschoben und sah den eigenen Rauchwolken nach, die er mit Macht gegen die Decke blies; „Ihr scheint Euch hier ganz behaglich zu befinden?"

„Und warum nicht?" sagte der Mann, indem er die Pfeife in den einen Mundwinkel schob; „hier kann mer's aushalten, und die Schinderei geht doch noch zeitig genug an. Das Brumsilien ist ein ganz famoses Land - wären wir nur erst (früher) hergekommen."

„Ja, mit dene Männer hat's keine Noth," fiel hier die eine Frau ein, die mit roth erhitztem Gesichte gerade aus der Küche kam und sich mit der Schürze den Schweiß von der Stirn trocknete, „wenn die nur satt Tabak haben und auf der faulen Haut liegen können, sell freut sie und sie wollen's net besser; aber uns arme Weiberleut' derf's schinden und plagen, wie's mag."

„Und was geht Euch ab?" fragte der Mann, faul den Kopf nach ihr umdrehend.

„Was uns abgeht?" sagte die Frau, „ein eigen Haus und ein eigener Herd, weiter nichts, daß man weiß, weshalb man sich plagt und schind't, und seine Kochtöpf' nicht /27/ auf Gottes Erdboden herum zu stoßen hat. Erst aber drei Monat das leidige Schiffsleben und nun vier Monat wieder hier in einer wahren Heidenwirthschaft - sell kann Einen freuen, und bis an den Hals steht mir's."

Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, schreiendes Kind an einem Arme auf, warf sich's mit einem Ruck auf die Hüfte und verschwand damit durch die offene Thür.

„Weiberleut'!" sagte der Bauer verächtlich und rauchte weiter.

Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch weitere Forschungen anzustellen, denn der Director sah in diesem Augenblick in's Zimmer. Er hatte jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt:

„Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? Aber kommen Sie, Könnern, wir wollen vor Tisch noch einen kleinen Spaziergang machen - lassen Sie nur, Sie können sich nachher umziehen; es kommt bei uns nicht so genau darauf an, und Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte Stube stellen lasten."

Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten sich aber, als der Director das Zimmer betrat, etwas überrascht auf, rückten ihre Mützen und nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. Sowie er ihnen aber den Rücken drehte, fielen sie in ihre alte Stellung zurück und rauchten ruhig weiter.

Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen dem Director von seinem Bruder erzählen, wie es ihm gehe, was er thue und treibe, und er wurde dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als jener Alles erschöpft, was er darüber zu sagen hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse zu sprachen, und Bernard Könnern gestand dem Director, daß er, doch einmal in der Welt umherstreifend, nur nach Brasilien gekommen sei, um die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten und widersprechendsten Gerüchte gehört, einmal selber von Augenschein kennen zu lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. Habe er das erreicht, /28/ dann kehre er eben wieder nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein anderer Ort der Welt ersetzen könne.

„Sie haben Recht," erwiderte der Director, der ihm schweigend zugehört. „Je mehr wir von fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre größte und schönste Pracht entfalten, desto mehr fühlen wir doch immer, daß sie uns die Heimath nie ersetzen können - aber um das zu fühlen, dazu gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und es ist äußerst interessant zu beobachten, auf welche verschiedene Art und Weise sich das auch bei den verschiedenen Naturen äußert, und wie es ausbricht. Jeder Mensch bildet sich nämlich dazu eine gewisse Entschuldigung, und die am meisten poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn sie den niedrigsten Klassen angehören. Bei diesen ist es das Grab der Eltern oder das eines Kindes, die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste Heimath bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der Brunnen, an dem sie Wasser holten, die alte Linde vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum ersten Mal mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die sie sich um so viel lieber erinnern, weil d e r Mann gerade damals so viel anders war, als er jetzt ist - der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh selber, das sie großgezogen, das alles hat seinen Anhaltspunkt noch lange nicht verloren, und ob sie Vieles hier mit der Zeit besser und bequemer finden mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen Gefühl zurück zu den alten Verhältnissen. Der Mann dagegen - ich meine hier den gewöhnlichen Bauer - hat wieder einen ganz andern Ankergrund für sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich Deutschland in's Gedächtniß zurückruft, fast immer an seine heimische Schenke, an das Bier und eine Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen aber doch trotzdem die alte Linde und der alte Kirchthurm den nebelhaften Hintergrund bilden. Seine „Freundschaft", wie er die Verwandten nennt, zieht ihn weniger zurück; der Bauer lebt eigentlich nie recht in wirklichem Frieden mit seinen Verwandten, und die Sehnsucht nach ihnen ist deshalb auch nie außergewöhnlich. Den gebil-/29/deten Mann zieht dagegen mehr ein geistiges Bedürfniß, als das bloße Gemüth, nach der Heimath zurück."

„Den gebildeten Mann zieht gewöhnlich das zurück," sagte Könnern, „daß er in dem fremden und überseeischen Lande selten eine passende oder ihm wenigstens zusagende Beschäftigung findet, die ihn hinreichend ernährt. Kaufleute natürlich ausgenommen, die überall daheim sind und auch herüber und hinüber ziehen, steht sich der, der daheim gewohnt war, mehr mit seinem Kopfe als mit seinen Fäusten zu arbeiten, in nur zu häufigen Fällen allein auf die letzteren angewiesen. Das gefällt ihm nicht, eine Quantität Gemüth kommt dazu, und das Heimweh ist fix und fertig."

„Sie haben wohl Recht," nickte der Director, „und nicht allein das Heimweh, sondern auch zugleich die Unzufriedenheit mit allen sie umgebenden Dingen, die, der Meinung jener Leute nach, für sie nicht passen, während sie selber es sind, die sich nicht hineinfinden können oder wollen. Davon weiß ein armer Director am besten zu erzählen, denn gerade in meiner Colonie bin ich mit einer Klasse von Menschen geplagt, die fast alle das Jahr 1848 von Deutschland herüber gescheucht hat, und die jetzt auf Gottes Welt nicht wissen, was sie mit sich angeben sollen."

„Sie scheinen hier wirklich eine Art von haute volée zu haben," lächelte Könnern, „denn außer jener Frau Gräfin sah ich heute Morgen auch noch eine reizende junge Dame, die in Carriere vorüberflog."

„Sie wird nächstens einmal ihren reizenden Hals brechen," meinte der Director trocken; „jene Beiden gehören aber zusammen, denn die junge Dame ist die Comtesse, die Tochter der Gräfin. Da haben Sie also gleich die Spitze der Gesellschaft, den sogenannten crème gesehen. Außerdem aber sind wir noch mit einer Anzahl von Titular-Honoratioren geplagt, die voller Ansprüche stecken und, wie der Engländer ganz passend sagt: „neither for use nor ornament, weder zum Nutzen noch zur Verzierung der Colonie dienen. Doch mit diesen Herrschaften werden Sie selber wohl näher bekannt werden, wenn Sie sich länger in unserer Colonie aufhalten, und nur einen Rath muß ich Ihnen schon jetzt /30/ geben, ehe er zu spät kommt: Borgen Sie Niemandem Geld."

Könnern lachte gerade heraus.

„Fällt Ihnen die Warnung bei den Honoratioren ein?" sagte er.

„Allerdings," erwiderte der Director ganz ernsthaft; „der Bauer, wenn er Geld braucht, wendet sich einfach an die Regierung um Subsidien, die ihm nur in Ausnahmefällen abgeschlagen werden und für deren Rückzahlung er mit seinem Lande haftet. Unsere haute volée dagegen ist viel zu stolz, an etwas Derartiges nur zu denken, hat auch in leider sehr vielen Fällen entweder kein Land, oder doch schon eine Menge von stillschweigenden Hypotheken darauf aufgenommen."

„Aber sie werden doch wahrhaftig keinen wildfremden Menschen anborgen?"

„Es giebt dafür verschiedene Auswege," meinte der Director, „und Menschen, die sich sonst in den einfachsten Verhältnissen nicht zu helfen wissen, entwickeln gerade in dieser Branche eine erstaunliche Mannigfaltigkeit."

„Aber weshalb wandern solche Menschen," sagte Könnern, „die doch von vornherein wissen sollten, daß sie für derartige Arbeit und Beschäftigung nicht passen, eigentlich nach einem wilden Lande aus? An Büchern fehlt es wahrlich nicht, die ihnen ziemlich deutlich sagen, was sie in der neuen Welt - ob sie nun Amerika, Australien oder sonstwie heiße - zu erwarten haben. Sie können sich darüber nicht täuschen, wenn sie überhaupt Deutsch verstehen."

„Und doch thun sie es," sagte der Director, „und zwar meist aus dem ganz einfachen und in jedem andern Falle schätzenswerthen Grunde, daß sie eine sehr gute Meinung von sich selber haben. Ich kann Alles, was ich will, sagen sie, bedenken aber dabei gar nicht, daß sie nicht Alles wollen, was sie können, denn es kann natürlich ein Jeder, wenn er nicht gerade einen überschwächlichen Körper mitbringt, Handarbeit verrichten; aber wie die Vorsätze auch daheim gewesen sein mögen, hier machen sie nicht einmal den Versuch dazu, und wenn sie ihn machen, bleibt es auch gewiß immer bei dem Versuche. Es ist und bleibt ein wun-/31/derliches Volk, und wenn ich erst einmal nicht mehr Director bin, was, wie ich hoffe, nicht mehr lange dauern wird, so glaub' ich, daß ich mich sogar prächtig dabei amüsiren werde, sie in ihrem eigenthümlichen Treiben und Wirthschaften zu beobachten. Jetzt aber halten sie mir die Galle fortwährend in Gährung, und dabei kann natürlich der beste Humor nicht aufkommen, ohne seine bestimmte Partie Gift mit anzunehmen. Sehen Sie, da kommt gleich Einer davon; sieht der Mensch aus, wie ein brasilianischer Pflanzer?"

Um die eine Ecke bog in diesem Augenblicke ein Herr, der - wenn die Sommerbeinkleider nicht ein klein wenig zu kurz gewesen wären - in dem Anzuge recht gut hätte an einem schönen Nachmittage unter den Linden in Berlin spazieren gehen können. Er trug vollkommen moderne Tuchkleidung, einen Cylinder, einen Regenschirm, der hier auch besonders gegen die Sonne benutzt wurde, und im Knopfloch den Rothen Adlerorden vierter Klasse.

Als er den beiden Herren begegnete, lüftete er den Hut mit einer sehr förmlichen, aber auch sehr vornehmen Verbeugung, und ging dann, ohne Miene zu einem weiteren Gruße zu machen, stolz vorüber.

„Und wer war das?"

„Der Baron Jeorgy, seinem Berichte nach aus einer sehr alten Familie, der mit der Idee herüberkam, brasilianischer Pflanzer zu werden. Er übernahm eine allerliebst gelegene Colonie - Sie müssen heute Morgen daran vorbei gekommen sein."

„Ah, das Haus da oben auf dem Berge, wo ein reizendes junges Paar von brasilianischer Abstammung wohnt?"

„Ganz recht, Köhler's Chagra, wie der Platz jetzt heißt - und er v e r wirthschaftete das Gut in unglaublich kurzer Zeit dermaßen, daß es zuletzt wenig mehr als eine Wildniß war. Er mußte es endlich verkaufen, denn es trug ihm nicht einmal mehr die Kosten, und natürlich konnte Niemand weiter daran schuld sein, als der Director, da ihm dieser noch dazu nicht einmal mehr Geld darauf vorstrecken wollte. Er ist seit der Zeit wüthend auf mich, nach Art solcher Leute aber auch um so viel höflicher geworden, und ärgert /32/ sich nur, daß ich von seinen Verleumdungen gegen mich nicht die geringste Notiz nehme."

„Guten Morgen, Herr Director!" unterbrach in diesem Augenblick ein junger Mann das Gespräch, der sie überholt hatte und rasch an ihnen vorüberschritt. Er grüßte dabei sehr ehrfurchtsvoll, schien sich aber nicht lange in seines Vorgesetzten Nähe aufhalten zu wollen, dem er vielleicht unerwartet in den Wurf gelaufen, denn er bog rasch in die nächste Querstraße ein und verschwand in einem der Gärten.

„Der junge Herr," sagte Könnern, „scheint stark gefrühstückt zu haben. Sein ganzes Aeußere sah wenigstens danach aus."

„Ein anderer Fluch unserer Colonie," seufzte Sarno, „das war unser Schullehrer."

„Der Schullehrer? Er kann höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein."

„Und nicht einmal ist er trotzdem, sondern gerade deshalb Schullehrer," sagte der Director; „unser deutscher Bauer ist nämlich von Haus aus und von klein auf so daran gewöhnt worden, den „Schulmeister" als ganz untergeordnete Persönlichkeit zu betrachten und danach natürlich auch die Erziehung seiner Kinder zu bemessen, daß ihn für diese jeder Milreis reut, den er ausgeben soll, und er förmlich gezwungen werden muß, die Kinder in die Schule zu schicken. Das Loos eines Schullehrers ist aber in keinem Lande der Welt beneidenswerth, und nur daheim, wo Leute von Jugend auf dazu erzogen werden und dann später keine andere Laufbahn mehr einschlagen können, finden sich immer genügende Kräfte. Hier dagegen, wo Jeder sein Brod weit besser und sorgenfreier verdienen kann, der nur irgend seine Knochen gebrauchen will, denkt gar Niemand daran, sich zu dem fatalen und außerdem noch schlecht gelohnten Amte eines Schullehrers herzugeben, der nicht nothgedrungen muß. Das aber sind dann meist junge Leute, Studenten oder Handlungsdiencr, die einen angeborenen Abscheu vor Hacke und Schaufel haben, und nur, um nicht zu verhungern, sich gerade für so lange der „Beschäftigung" eines Schullehrers unterziehen, als sie nichts Anderes und Besseres zu /33/ unternehmen wissen. Sowie sic aber etwas Besseres finden, kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie der Gemeinde kündigen - manchmal gehen sie sogar ohne Kündigung fort, und wie nachtheilig ein so steter Wechsel - den eigentlichen mangelhaften Unterricht nicht einmal gerechnet - auf die Kinder wirken muß, läßt sich ja denken und liegt klar zu Tage.

„Zu Zeiten trifft es sich, daß wir trotz alledem einen ordentlichen Mann, wenigstens für Monate oder ein halbes Jahr, in der Schule haben. Dieses Mal freilich meldete sich, als die Kinder schon drei Wochen ohne den geringsten Unterricht gewesen waren, ein möglicher Weise irgendwo durchgebrannter Handlungsdiener für die Stelle, die man ihm auch „auf Probe" überließ, und da der gute Mann den brasilianischen Wein merkwürdiger Weise trinken kann, benutzt er jeden freien und nicht freien Augenblick, um über die Stränge zu schlagen."

„Und auf die Art," lachte Könnern, „warten beide Parteien gegenseitig, ob sie einander nicht bald wieder los werden können?"

„Allerdings," erwiderte der Director; „hier aber haben wir jetzt das Ziel unseres Spaziergangs - das Auswanderungshaus erreicht, das ich doch heute Morgen einmal besuchen und Ihnen gleich zeigen wollte. Hier sehen Sie die Einwanderer untergebracht, welchen, der furchtbaren Nachlässigkeit unserer Provinzialregierung zufolge, noch keine Colonie - d. h. kein eigenes Land für ihre Arbeit angewiesen werden konnte, und die hier auf Staatskosten gefüttert werden müssen, bis Ihr Freund die nöthigen Landstrecken für sie vermessen haben wird. Aber treten wir ein. Sie sehen da Alles viel besser, als ich es Ihnen sagen könnte."

Könnern sah vor sich ein langes, fast ovales Gebäude, aus Pfählen oder eingerammten Stämmen aufgerichtet, und theils mit Schindeln, theils mit Ziegeln, an einigen Stellen sogar mit Schilf und Reisig nothdürftig gedeckt, um das herum es von den abenteuerlichsten Gestalten wimmelte. Alle waren Deutsche, darüber blieb dem Fremden auch nicht der geringste Zweifel, denn die flachsköpfigen Kinder nicht allein, Männer und Frauen selbst in ihren alten heimischen

/34/ Trachten verleugneten ihr Vaterland nicht einen Augenblick.

Ihre Beschäftigung war aber ziemlich genau dieselbe wie die jenes Theiles, den der Director in seine eigene Wohnung genommen hatte, nur daß hier entschieden mehr Männer einquartiert schienen. Der innere weite Raum, wo nicht die unpraktischen riesigen Auswandererkisten aufgeschichtet standen, war mit ihnen ordentlich angefüllt, denn in der heißen Tageszeit hatten sie den Schatten des luftigen Gebäudes gesucht, während die Frauen hier und in der Sonne draußen arbeiten konnten, so viel sie eben Lust hatten.

Als der Director übrigens mit dem Fremden den innern Raum betrat, erhoben sich die Meisten von ihrem rauhen Lager und nahmen die Mützen ab, denn der „Herr Director" war ja die erste Person in der Kolonie, und mit dem durften sie es also schon nicht verderben.

„Nun, Leute," sagte Herr Sarno nach der ersten flüchtigen Begrüßung, „nun werdet Ihr bald Euer Land bekommen können, denn heute hat die Regierung endlich Jemanden hergesandt, der Euren Grund und Boden vermessen soll. Haltet Euch nur bereit, daß einige Familien von Euch gleich ausrücken können, sowie eine Anzahl von Colonien vermessen ist. Ihr werdet das Herumliegen hier wohl auch satt haben?"

„Na, es geht, Herr Director," lachte der eine Mann; „wenn wir's im Leben nicht schlechter kriegen, läßt stch's aushalten - aber froh wollen wir doch sein, wenn wir einmal wieder für uns arbeiten dürfen. Das faule Leben hat auch keine rechte Art - und eigentlich schon ein bischen zu lange gedauert."

„Hier geht's auch schmählich eng zu," sagte ein Anderer, „beinah wie auf dem Schiff, und der Müller da drüben, der macht sich mit seiner Familie auch noch so breit, daß wir Anderen lieber hinaus vor die Thür möchten, damit der große Herr nur Platz hat."

„Ja, Du darfst auch noch räsonniren, Du Lumpenkerl," erwiderte eine tiefe Baßstimme aus der Ecke, „wenn wir lauter solch Gesindel wären, wie..." /35/

„Ruhe!" unterbrach ihn der Director, „haltet mir Frieden hier, das sag' ich Euch, denn der Erste, der Streit anfängt, wird ohne Weiteres auf das nächste Schiff gesetzt und wieder aus der Colonie geschickt. Wir wollen hier Frieden haben, und wer sich dem nicht fügen will, mag gehen."

„Aber der Müller..."

„Haltet Euer Maul!" fuhr ihn der Director an; „wenn Ihr eine gegründete Klage habt, so wißt Ihr, an wen Ihr Euch damit wenden sollt, und zu welcher Zeit, und daß Ihr dann Eure Zeugen mitzubringen habt. Einfache Klatschereien will und werd' ich nicht anhören. Was fehlt denn der Frau da, die dort in der Ecke liegt?"

„Schlecht ist ihr's," sagte eine andere Frau, die neben ihr saß und ihr gerade aus einem großen Topfe zu trinken gab ; „sie hat sich den Magen verdorben an den vielen Apfelsinen."

„Ist denn der Dcctor heute noch nicht hier gewesen?"

„Der Doctor? Ja, der kommt schon lange nicht, wenn man ihm nicht erst das Haus einläuft," sagte eine andere Frau; „meine Kathrine, der war's gestern auch so elend zu Muthe - daß er auch nur einmal nach ihr gesehen hätte - und wie ich ihn darum gebeten habe!"

„So?" sagte der Director, „nun, in einer halben Stunde soll er hier sein, das verspreche ich Euch - wie viele von Euch haben denn in der Woche mit an dem Wege gearbeitet ?"

Keine Antwort - die ihm Nächsten schienen die Frage eben nicht gern zu hören.

„Nun? Kann Keiner den Mund aufthun?"

„Na, der Niklas," sagte die eine Frau, „hat zwei halbe Tage, und der Christoph, der hat gestern Nachmittag angefangen, und Schultze's Elias, der muß schon den Donnerstag oder Freitag hinausgegangen sein."

„Da haben Sie's!" sagte der Director zu Könnern; „Monate lang liegen die Menschen hier auf der faulen Haut und leben von den Subsidien oder Unterstützungen, die ihnen der Staat verabreicht, also von Geldern, die sie nach fünf Jahren wieder zurückerstatten müssen. Wo ich ihnen aber /36/ eine Gelegenheit geboten habe, selber für sich etwas zu verdienen, wenn sie nur die faulen Knochen rühren sollen, glauben Sie, daß da Einer gutwillig mit angriffe? Gott bewahre! Wenn ihnen der Polizeidiener nicht auf dem Nacken sitzt, rühren sie kein Glied, und wenn es eine Arbeit wäre, die sie nur zu ihrem eigenen Besten thun sollen und noch außerdem extra bezahlt bekommen, 's ist, weiß es Gott, eine Freude, mit solchen Menschen zu thun zu haben!"

„Herr Director," sagte in diesem Augenblick ein kleiner ältlicher Mann in einem wunderlichen Costüm, das er von allen Ständen der menschlichen Gesellschaft zusammengeborgt zu haben schien, indem er den Director an einem Aermel zupfte, „das Essen ist gleich fertig - Sie möchten nach Hause kommen."

„Ah, Jeremias," sagte Sarno, sich nach ihm umdrehend; „schickt Dich die Kathrine herüber?"

„Ja, Herr Director," sagte der Mann, einen hohen Seidenhut, um den eine Art von Livréeband befestigt war, unter den Arm drückend, „und das Schiff ist auch unten."

„Das Schiff? Was für ein Schiff?"

„Nun, das Schiff mit den neuen Landsleuten."

„Neue Auswanderer?" rief der Director erschreckt.

„Die Gesina," nickte der Mann; „der Herr Director haben ja schon lange davon gesprochen, 's ist gerade vor der Barre gesehen worden und der Capitain wird heut Abend herauskommen."

„Na, das hat gerade noch gefehlt!" seufzte Sarno; „das Haus hier ist schon zum Ueberlaufen voll, und dazu noch eine frische Gesellschaft, eine neue Zufuhr - das wird angenehm !"

„Und die Suppe?"

„Darf nicht kalt werden. Du hast Recht, Jeremias. Sag' nur der Kathrine, daß wir den Augenblick hinaufkommen. Ist der fremde Herr schon da?"

„Eben angekommen. Er sitzt oben in der Stube."

„Gut - also melde nur, daß wir gleich kommen, und halt - spring hinüber zum Doctor - ich lasse ihm sagen, augenblicklich hierher zu kommen. Verstanden?" /37/

Auf das Wort drehte sich das kleine Männchen um, machte noch eine ganz eigenthümliche Krümmung des Körpers, was als Verbeugung gelten sollte, und verschwand dann blitzschnell durch die Thür. Könnern hatte nur eben noch Zeit, zu bemerken, daß seine Beinkleider jedenfalls für eine andere Person zugeschnitten und gemacht sein mußten - wonach sie die andere Person denn auch so lange getragen haben mochte, wie ihr gut dünkte. Für Jeremias waren sie aber viel zu lang und unten in einem wahren Wulst umgelegt und aufgekrempelt. Er besaß außerdem - wenigstens glaubte es Könnern bei seinem ersten Erscheinen - brennend rothes Haar von einer ganz auffallenden Färbung, und als die kleine Gestalt sich zwischen den verschiedenen Gruppen der Auswanderer, zwischen Kochtöpfen, Kisten und in Betten eingepackten Kindern wie ein Ohrwurm durchwand, leuchtete sein Haar ordentlich irrwischartig, bis er draußen in den Büschen verschwand.

„Da haben wir's!" sagte aber der Director, mit ganz anderen Gedanken wie mit Jeremias beschäftigt; „jetzt geschieht, was ich schon lange befürchtet habe. Das Auswanderungshaus, selbst meine eigene Wohnung gefüllt, - keinen Fuß breit Land vermessen, den neuen Colonisten einen eigenen Fleck Grundeigenthum anweisen zu können, kommt noch eine Schiffsladung frischer Kräfte dazu, und was ich indessen mit denen machen soll, weiß Gott!"

„Und ist denn das nicht Sache des Präsidenten der Provinz," fragte Könnern, „stets Land genug vermessen zu haben, um die Einwanderer unterbringen zu können?"

„Allerdings ist cs das, aber unser Präsident - ein braver, guter Mann, der es wirklich ehrlich meint - ist schon seit längerer Zeit schwer krank, und seine Frau - ein intriguantes, kokettes Frauenzimmer - regiert indessen nach Herzenslust und hat eine Masse nichtsnutziger Protegés, die sie unter jeder Bedingung unterbringen will und unterbringt. So schickte sie mir vor sechs Monaten einen Kerl hierher - ich habe keinen andern Namen dafür - der das Land vermessen sollte, und nicht mehr davon verstand wie der Junge da. Glücklicher Weise faßte ich gleich Verdacht, /38/ paßte ihm auf und jagte ihn, wie ich merkte was an ihm war, wieder zum Teufel; er hätte uns sonst hier eine Heidenverwirrung angerichtet. Die Frau Präsidentin ist aber natürlich jetzt wüthend auf mich."

„Und leidet das die Regierung in Rio?"

„Lieber Gott, einestheils erfährt sie nie den wahren Thatbestand, und dann ist es auch wirklich für sie schwer, gegen einen einmal eingesetzten höhern Beamten ernstlich einzuschreiten, so lange nicht directe Anklagen vorliegen. Jetzt verklagen Sie aber einmal von der Colonie Santa Clara aus den Präsidenten, der in Santa Catharina sitzt, oben in Rio de Janeiro - die Geschichte wäre gleich von vornherein so weitläufig, daß man sie doch in Verzweiflung aufgeben würde, wenn man auch wirklich hoffen dürfte, etwas auszurichten - was man aber außerdem nicht darf. Doch unsere Suppe wird wahrhaftig kalt und die Kathrine nachher böse - also vor allen Dingen zum Essen" - und Könnern's Arm ergreifend, führte er ihn rasch der eigenen Wohnung zu.

Unterwegs hielten sich die Beiden auch nicht auf. Nur ein einziges Mal blieb Könnern stehen, und den Arm gegen einen der kleinen Hügel ausstreckend, sagte er:

„So viel ist sicher, nur der Deutsche und der Engländer - vielleicht auch noch der Holländer - hat den richtigen Sinn für eine nicht allein bequeme, sondern auch freundliche Umgebung seiner Heimath, baut sich sein Nest in Büsche und Blüthen hinein und pflanzt Rosen vor seine Thür, während besonders der Amerikaner höchstens einen Gemüsegarten daneben dulden würde. Sehen Sie nur, was für ein wunderbar romantisches Plätzchen sich jener Ansiedler wieder gewählt hat, dessen kleines Haus nur eben aus dem dunkeln Grün der Büsche auf jenem Hügel da drüben herausblinzt."

„Ah, Sie meinen unseres Einsiedlers Villa," lächelte der Director; „die Aussicht von seinem Hause aus hat er übrigens ganz zufällig bekommen, denn eine Palmengruppe verdeckte den Platz so vollständig, daß man von unten aus keine Ahnung hatte, dort oben sei eine menschliche Wohnung. Neulich nun warf der Sturm die kleinen Palmen um, und /39/ das Haus bekam dadurch, wahrscheinlich vollkommen gegen den Willen seines Eigenthümers, eine reizende Aussicht."

„Gegen seinen Willen?"

„Ich glaube, ja. Der Mann heißt Meier und lebt mit Frau und Tochter, einem jungen Gärtner und einer alten Dienstmagd, die sie hier angenommen, fast ganz abgeschieden von der Colonie und verkehrt fast mit Niemandem. Jammerschade noch dazu, denn das wäre in der That eine Familie, mit der man einen angenehmen Umgang haben könnte; aber man darf sich doch auch nicht aufdrängen, und da er mich, obgleich ich drei oder viermal oben bei ihm war, noch nicht ein einziges Mal wieder besucht hat, so muß ich wohl annehmen, daß er es lieber sieht, wenn ich meine Besuche nicht wiederhole, und den Gefallen habe ich ihm denn auch gethan. - Aber da sind wir - sehen Sie, da oben steht die Kathrine schon am Treppenfenster - ja, ja, Alte, wir kommen schon. Was so eine alte Person für eine Tyrannei ausübt, wenn man einmal ein paar Minuten zu spät zum Essen kommt!"

3.

Bei der Frau Gräfin.

Die Frau Gräfin Baulen hatte des Directors Haus etwas in Aufregung verlassen, und der Gedanke daran, oder etwas Anderes auch vielleicht, lag ihr schwer auf dem Herzen, als sie ihrer eigenen Wohnung wieder zuschritt. Sie ging wenigstens mit auf den Boden gehefteten Blicken und erwiderte den Gruß etwa Begegnender nur mit einer leisen Beugung des Kopses, ohne zu ihnen aufzusehen.

So erreichte sie endlich das kleine freundliche Gebäude, das, von einem Garten umschlossen, an der äußersten Grenze /40/ der Ansiedelung lag, und wollte eben dasselbe betreten, als die beiden Reiter, ihr Sohn und ihre Tochter, wie sie durch den ganzen Ort geflogen waren, mit donnernden Hufen die Straße herabkamen, und dicht vor dem Hause ihre Thiere so rasch herumwarfen, daß sie die alte Dame fast gefährdet hätten.

„Aber Helene, aber Oskar!" rief sie entsetzt, indem sie rasch das Gartenthor zwischen sich und die Pferde brachte - „Ihr reitet ja wie die Wahnsinnigen, und seht gar nicht wohin Ihr rennt! Daß Ihr die Thiere dabei ruinirt, scheint Euch ebenfalls nicht im Mindesten zu kümmern!"

„Nicht böse, Mütterchen, nicht böse," lachte Helene, indem sie den Hals ihres noch immer tanzenden und courbettirenden Schimmels klopfte; „Oskar behauptete aber, daß sein Rappe flüchtiger wäre als meine Sylphide, und da habe ich ihm eben das Gegentheil - aber Sylphide - ruhig, mein Herz, ruhig - wie wild sie nur geworden ist, weil ich sie die beiden letzten Tage nicht geritten habe!"

„Du hattest von Anfang an einen Vorsprung," rief Oskar, „sonst wärest Du mir wahrhaftig nicht vorgekommen; und dann verlor ich gleich beim Abreiten einen von meinen Sporen, was mich auch aufhielt."

„Einen von Deinen silbernen Sporen?" rief die Frau Gräfin.

„Ja - aber er wird sich schon wiederfinden," sagte der junge Bursche gleichgültig. - „Heh, Gotthelf! Gotthelf! Wo der nichtsnutzige Schlingel nun wieder steckt, daß er die Pferde nehmen könnte. - Gotthelf!"

„Ja - komme schon," antwortete eine Stimme, die dem ungeduldigen Rufe des jungen Mannes in keineswegs entsprechender Eile zu sein schien.

Gleich darauf schlenderte auch ein Bauernbursche, dessen reines, grobleinenes Hemd allein an ihm den Sonntag verkündete, beide Hände in den Taschen, um die Hausecke und kam langsam näher.

„Na, Du fauler Strick, kannst die Beine wohl nicht ein bischen in die Hand nehmen?" rief ihm der junge Graf /41/ entgegen — „es wird wahrhaftig immer besser. Soll ich Dich etwa in Trab bringen?"

„Brrrrrr!" erwiderte Gotthelf mit unerschütterlicher Ruhe, indem er seine Schritte nicht im Geringsten beschleunigte; „gehen Sie nur nicht durch, junger Herr, und machen Sie die Pferde nicht scheu."

„Willst Du noch unverschämt werden, Halunke!" rief der junge Graf in aufloderndem Zorne, indem er seine Reitpeitsche fester packte und hob. Gotthelf aber, nicht im Geringsten dadurch eingeschüchtert, trat dicht zu dem Pferde heran und sagte:

„Na, so schlagen Sie doch! - Warum langen Sie denn nicht zu? Mein Buckel wäre doch, dächt' ich, breit genug."

Graf Oskar schlug aber nicht; der junge, allerdings sehr breitschulterige Bauernjunge hatte heute etwas in seinem Auge, was ihm nicht gefiel. Deshalb nur mit einer verächtlichen Kopfbewegung aus dem Sattel steigend, sagte er, indem er Gotthelf den Zügel hinreichte:

„Da - ich will mich mit Dir nicht befassen. Führe die Pferde herum und reibe sie nachher trocken ab."

Gotthelf nahm aber nicht einmal seine Hände aus den Taschen, und die beiden Pferde nacheinander betrachtend, sagte er kopfnickend:

„Ja Herumführen werden sie wohl brauchen, denn geritten sind sie wieder, daß es eine Schande ist; aber der Gotthelf wird Ihnen das schwerlich besorgen, denn mit „Halunke"-Schimpfen werden die Leute nicht fett, und wo es außerdem weiter nichts giebt, nicht einmal Lohn, da lohnt's eben nicht, daß man sich die Nägel von den Fingern arbeitet. Suchen Sie sich einen andern Gotthelf, aber ich glaube kaum, daß Sie noch einen so dummen finden, der Ihnen drei Monate nur der Ehre wegen den Schuhputzer macht." - Und sich damit scharf auf dem Absätze herumdrehend, schlenderte er wieder in's Haus zurück, ging auf sein Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ eine halbe Stunde später in der That, ohne ein weiteres Abschiedswort, die gräfliche Familie.

„Das hast Du nun von Deiner Heftigkeit," sagte die /42/ Gräfin, drehte sich ab und schritt würdevoll in das Haus hinein.

Graf Oskar biß wüthend die Zähne zusammen und hätte seinen Zorn gern an irgend Jemandem ausgelassen; aber es war Niemand da, von dem er vermuthen durste, daß er es sich gefallen lassen würde. Sein Sattel allein mußte es entgelten, den er selber abschnallte und dann völlig rücksichtslos über den Gartenzaun, mitten zwischen die Blumen hineinwarf; - dann führte er sein Pferd in die kleine Umzäunung, wo die Thiere gewöhnlich gefüttert wurden, nahm ihm den Zaum dort ab und ließ es laufen. Von Herumführen oder Abreiben war keine Rede mehr.

Comtesse Helene indessen war einigermaßen in Verlegenheit, denn da sich ihr Bruder in seinem Ingrimm gar nicht um sie bekümmerte, wußte sie nicht gleich, wie sie aus dem Sattel kommen sollte. Als sie den Kopf die Straße hinabdrehte, sah sie einen jungen Mann dicht hinter sich, der stehen geblieben war und sie betrachtet hatte. Unter anderen Umständen würde sie auch kaum von ihm Notiz genommen haben, denn trotz seiner anständigen Kleidung sah er etwas verwildert aus, und um das sonnengebräunte, von einem leichten, schwarzgekräusten Barte halb beschattete Gesicht hingen ihm die langen, schwarzen Haare unordentlich und wirr herab. Auch in den dunkeln Augen, mit denen er das wirklich bildschöne Mädchen betrachtete, lag ein eigenes, unheimliches Feuer, und erst als ihr Blick auf dem seinen haftete, milderte sich der Ausdruck in seinen Zügen.

Es konnte ihm aber auch nicht entgangen sein, daß sie Hülfe brauche - die Straße war außerdem, als an einem Sonntag-Nachmittag, fast menschenleer, und sich ordentlich gewaltsam dazu zwingend, trat er endlich näher, sah zu der Jungfrau auf und sagte:

„Erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen meinen Arm zu bieten?"

Helene sah ihn im ersten Augenblicke mißtrauisch an; sie war viel zu selbstständig aufgewachsen, oder hatte sich vielmehr selber so erzogen, um irgend Furcht vor einem fremden Manne zu zeigen; aber ein gewisser Instinct warnte /43/ sie, sich Jemanden zu irgend einem Danke zu verpflichten, der damit vielleicht einmal Mißbrauch treiben könne. Das Benehmen des Fremden war aber so achtungsvoll und ehrerbietig, und das Anerbieten wurde mit so viel natürlichem Anstande gemacht, daß sie nach kaum secundenlangem Zögern lächelnd die Hand ausstreckte, sich auf den vorgehaltenen Arm des Fremden stützte und leicht aus dem Sattel sprang.

Der Fremde hatte dabei zugleich den Zügel des Pferdes in einer Art ergriffen, die deutlich zeigte, daß er mit ihm umzugehen wisse, machte der Comtesse, als sie glücklich unten angelangt war, eine leichte Verbeugung, und führte dann das durchaus erhitzte Thier zu dem nächsten Aste, an dem er den Zügel befestigte und den Sattel nachher durch Aufschnallen des Gurtes etwas lüftete. Das Alles geschah rasch und anscheinend ohne die geringste Anstrengung, und ehe Comtesse Helene nur recht mit sich einig war, ob sie abwarten bis sich der Fremde entfernt habe, oder lieber gleich in das Haus gehen solle, war dieser schon fertig, verbeugte sich wieder leicht gegen sie, und wandte sich dann rasch und ohne sich umzusehen die Straße hinab, so daß sie ihm für seine Dienstleistung nicht einmal danken konnte.

Comtesse Helene war bei ihrem Range und wirklich reizenden Aeußern, noch dazu in der bescheidenen Umgebung einer deutschen Colonie, allerdings daran gewöhnt worden, die Huldigungen und Galanterien der jüngeren wie älteren Leute als eine Art von Tribut fast gleichgültig hinzunehmen. Die Aufmerksamkeit dieses wunderlichen Fremden, der sich außerdem fast ängstlich jedem nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas so Eigenthümliches, daß sie, frappirt davon, auf der Schwelle des Gartens stehen blieb und sich erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem läutete auch in diesem Augenblicke die Glocke oben, welche zum Mittagessen rief, und sie durfte keine Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen und überhaupt ein wenig Toilette machen wollte.

In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen hatten /44/ sich indessen schon vor der Ankunft der Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden.

Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, welcher Könnern und dem Director auf ihrem Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische Ader zu seinem jetzigen sehr großen Bedauern nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht unbedeutende Summe Geldes mit herübergebracht und es in sechs Jahren möglich gemacht, den größten Theil seines Capitals nicht gerade durchzubringen, aber doch auszugeben, was sich im Resultat allerdings vollkommen gleich blieb.

Der Andere war ein junger, erst kürzlich herübergekommener Künstler, Namens Vollrath, der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin eingeführt war. Er spielte mit der Comtesse manchmal Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen Besuch nicht gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, als ihrer Mutter lieb schien, und war außerdem blutarm - aber so lange er sich in seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht zurückweisen. Die Frau Gräfin hatte indessen schon ernsthaft mit ihrer Tochter über ihn gesprochen.

Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon vor dem Ausgange gemacht zu haben; Oskar, obgleich eben von dem scharfen und staubigen Ritte zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des Barons wegen die Wäsche zu wechseln - und der Andere war ja nur ein Clavierspieler.

Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden Ritte war ihr reiches, schweres Haar gelöst und in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer zu Gebote stand, bedurfte sie einer länger als gewöhnlichen Zeit, um sich der Gesellschaft, so klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. Oskar, überhaupt heute nicht in der besten Laune, war entsetzlich ungeduldig geworden und hatte den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch etwas rascher herbeizurufen.

Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief und seinem Aerger durch verschiedene Ungezogenheiten Luft machte, /45/ die Gräfin mit dem Baron Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine freundliche Aussicht über die Stadt gewährte, und ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an das Instrument gesetzt und intonirte leise einige Lieblingsmelodien Helenens, theils im einfachen getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch durchgeführten Variationen.

„Es ist ein trauriges Land," sagte endlich der Baron mit einem tiefen Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt auf dem Fenster trommelte - „ein sehr trauriges Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß auftreten könnte."

„Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron," bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. „Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit herübergebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen."

„Aber, beste Frau Gräfin …"

„Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen," fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten zu lassen, „die nicht allein ihr Fortkommen auf höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron."

„Aber, beste Frau Gräfin," beharrte der Baron, „der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen, und Sie wollen doch nicht voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten könnten?"

„Ich denke gar nicht daran," sagte die Gräfin mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; „wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da eben muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir finden es überall bestätigt, daß die erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur für die /46/ Speculation arbeitet, und diese eigentlich den Nutzen von jener erntet."

„Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung," seufzte der Baron, der seine Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen müssen - „und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen."

„Bah," sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, „der Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen selber dienstbar macht."

„Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch Capital dazu gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als zu einer einfachen Speculation in Kaufmannsgütern, und wenn man das Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl - was dann? - Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, ohne die Mittel zu leben - denken Sie sich die Möglichkeit, daß man bei diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!"

Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte „Furchtbarkeit" sie außerdem schon erprobt hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort: „Dafür ist aber auch dem Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es im Stande wäre?"

„Der rohe und ungebildete Bauer," erwiderte der Baron achselzuckend, „hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten Dinge möglich." /47/

„Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron," sagte die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte.

„Und habe alle Ursache dazu," seufzte der Baron.

„Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten," fuhr die Gräfin fort, „das hat Sie kopfscheu gemacht - Oskar, ich bitte Dich um Gottes willen, laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös - verlieren Sie jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen."

„Das ist's eben, was ich bezweifle," versicherte der Baron; „aber, verehrte Frau, haben Sie vielleicht einen Plan? denn Ihr ganzes Benehmen scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben - und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher Weise mit weiter nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals vertritt."

„Ich habe allerdings einen Plan," erwiderte die Gräfin, „der aber schon so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. Wenn ihn deshalb noch etwas fördern kann, so ist es einzig und allein Capital. Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen."

Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über „Oskar's Ungeduld" einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei Schritte bis zu dem einfachen Tannentische. Ueber diesen war aber ein kostbares Damasttuch gebreitet, auf dem neben den weißen Steinguttellern schwere englische Löffel und Gabeln /48/

lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut für ächtes Silber angesehen werden konnten.

Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen.

Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haar, und dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn, und Hand und Arm vollkommen makellos. Das fest anschließende, lichtgraue Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.

„Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig geworden," empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für die Uebrigen, zuerst niederließ.

Das Diner war so einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem Obste, und zum Dessert die vortrefflichen Orangen und Granatäpfel des Landes.

Niemand machte hier auch größere Ansprüche oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die neu erwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja mit Allen. /49/

Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig und schien sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt nur über Pferde.

Das Diner ging so vorüber - Oskar plauderte in einem fort, ob ihm Jemand zuhörte oder nicht - der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten sich lebendig, und nur Vollrath schwieg hartnäckig still. Ein paar Mal schien er freilich den Mund öffnen zu wollen - aber es blieb eben immer nur bei dem Versuch, und Helenen war es nicht entgangen, daß er irgend etwas aus dem Herzen trage, was ihn beenge - wußte sie, was es war? Aber so unbefangen sie sich stets gegen ihn gezeigt, so unbefangen blieb sie auch heute, und als das Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den Garten gegangen war, legte sie ruhig und lächelnd ihren Arm in den seinen und sagte: „Kommen Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein wenig auf- und abgehen. - Oskar ist heute unausstehlich, weil ich ihm in unserem Wettrennen vorgekommen bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem alten, steifen Baron eine so hochwichtige Besprechung, daß sie alles Andere, was um sie her vorgeht, zu vergessen scheinen."

Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, aber er verbeugte sich leicht, nahm den Arm und schritt mit der jungen Schönen den Garten entlang. Helenen aber genügte der beschränkte Raum heute nicht; war es die Aufregung des scharfen Rittes, war es der Aerger über den Bruder, kurz, sie stieß die Gartenpforte auf, die an dieser Seite gerade nach den zu einer Art von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, und wanderte langsam mit ihrem Begleiter den schmalen Weg entlang, der, immer in Sicht der Häuser, sich fast um die Ansiedelung schlängelte.

Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank gelegt und rauchte, ein Bein über das andere gelegt, seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem Baron wieder in eifrigem Gespräche im Garten auf und ab.

„Aber, verehrte Frau," sagte der Baron jetzt, „Sie rücken noch immer nicht mit Ihrem Projecte heraus. Sie reden /50/ nur fortwährend von glänzenden, sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die Heimath, von - ich weiß selber kaum was, und den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich einen Mißbrauch damit treiben und als Ihr Concurrent in irgend einer glücklichen Speculation auftreten könnte?"

„Mein lieber Baron - nein, das nicht," sagte die Gräfin nach einigem Zögern, „und ich habe auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem Vertrauten zu machen - vielleicht werden wir doch noch Compagnons," lächelte sie dazu.

„Ich bin auf das Aeußerste gespannt," sagte der Baron.

„Sie müssen bemerkt haben," fuhr die Gräfin fort, „daß mir sowohl wie Helenen eine Beschäftigung in diesem Lande fehlt."

Des Barons Blick suchte unwillkürlich die junge Dame, die er gerade noch durch eine Lücke der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte.

„Helene besonders," fuhr die Gräfin fort, „hat mich schon lange gebeten, eine leichte Arbeit aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser hinbringen könne, denn immer Lesen und Cla- vierspielen geht ja doch auch nicht, noch dazu in einer so prosaischen und sogenannten praktischen Umgebung, wie die ist, in der wir uns befinden."

„Ich werde immer gespannter," versicherte der Baron, und er hatte die Augenbrauen schon bis unter den Hut hinaufgezogen.

„Wenn man nun unter so praktischen Leuten fortwährend lebt," lächelte die Gräfin, „so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein wenig davon auch an unserer Natur hangen bleibt, und ich habe denn auch schon das ganze letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, an was man im rechten Augenblicke und mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte - ich glaube, ich habe jetzt gefunden was ich suchte."

„Sie hätten wirklich?"

„Ich habe gefunden und außerdem die genauesten Erkundigungen deshalb eingezogen," fuhr die Gräfin fort, „daß hier im Lande eine ganz enorme Quantität von Cigar-/51/ren verbraucht wird, die man sämmtlich mit einem, zu den Kosten des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden hohen Preise bezahlt."

„Cigarren?" fragte der Baron erstaunt.

„Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge junger Leute hier in der Colonie - und werden mit dem Schiffe noch mehr erwartet - von denen viele, besonders alle aus Bremen stammende, Cigarren zu drehen verstehen. Hier auf diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis guten Blättertabaks genau zusammengestellt, ebenso die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre nur einigermaßen guten Tabaks ist aber hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, und nun berechnen Sie selber, welcher enorme Nutzen dem Fabrikherrn werden muß, wenn die Sache nur ein klein wenig in's Große getrieben wird."

„Hm," sagte der Baron, der aber doch nur einen flüchtigen und zerstreuten Blick über das Papier warf, „und mit etwas Derartigem wollten Sie sich befassen?"

„Und warum denn nicht?" sagte die Frau Gräfin, indem sie einer leichten Verlegenheit Meister zu werden suchte. „Wir müssen in der That eine Art von Beschäftigung haben, wenn wir hier nicht vor Langerweile sterben sollen, und Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der jetzt vor lauter Muthwillen gar nicht weiß, was er für Tollheiten angeben soll."

Der Baron Jeorgy war in der That nichts weniger auf der Welt als ein praktischer Charakter, der auf einen gewissen Ueberblick Anspruch machen konnte, um wirklich Ausführbares von bloßen Chimären zu unterscheiden. Hatte er aber schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen Projecten gehabt, oder war es ihm vollkommen unmöglich, sich die Comtesse Helene und den jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher zu denken, - er schüttelte ganz ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und sagte:

„Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich denn die Sache wirklich schon recht genau überlegt, und vermuthen Sie, /52/ daß Sie einen, alle dem Aerger und der Schererei entsprechenden Nutzen daraus ziehen könnten?"

„Mein lieber Baron," erwiderte die Gräfin lebhaft, „das können Sie sich doch wohl denken, daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren würde, wenn ich mich nicht vorher gründlich damit bekannt gemacht. Helene brennt ordentlich darauf zu beginnen, und Oskar selber hat versichert, daß es ihm ungeheuern Spaß machen würde, selber Cigarren zu drehen."

„So? In der That? Hm! Und haben die beiden jungen Herrschaften also darin schon einen Versuch gemacht?"

„Jetzt schon - wo denken Sie hin?" lachte die Gräfin. „Das selber Cigarrenmachen muß doch auch immer nur Nebenbeschäftigung bleiben, wenn es vielmehr darauf ankommt, eine große Anzahl von Arbeitern zu überwachen. Aber es ist nöthig, daß es Jeder von uns versteht, um etwa vorkommende Fehler andeuten und rügen zu können, und deshalb wollen wir auch Alle ordentlich mit zugreifen."

Der Baron, die Hände auf den Rücken gelegt, nickte langsam und bedächtig mit dem Kopfe, und manchmal schüttelte er ihn auch ganz in Gedanken, aber er sagte kein Wort. Es entstand dadurch für die Gräfin eine etwas peinliche Pause, denn sie hatte erwartet, daß der Baron die Enthüllung dieses Planes mit mehr Enthusiasmus aufnehmen würde. Der Baron blieb aber vollkommen kalt und schien nicht die geringste Lust zu haben, auch nur eine Bemerkung zu machen.

„Und was sagen Sie dazu?" unterbrach endlich die Gräfin das ihr lästig werdende Schweigen. - Der Baron zuckte die Achseln.

„Ja, lieber Gott, was kann ich dazu sagen? Ich verstehe nicht das Geringste von Tabak oder Cigarren, das ausgenommen, daß ich beim Rauchen eine gute von einer schlechten unterscheiden kann. Wenn Sie aber fest dazu entschlossen sind und das nöthige Capital dazu besitzen, so - weiß ich in der That nicht..."

„Aber das gerade hab' ich noch nicht," unterbrach ihn die Gräfin etwas gereizt, „wenigstens nicht in diesem Augenblicke, und meine Ungeduld, die mich jeden neugefaßten Plan /53/ mit voller Energie ergreifen läßt, war die alleinige Veranlassung, daß ich Ihnen Gelegenheit gab, sich bei dem Unternehmen zu betheiligen. Sie zweifeln doch nicht etwa an dem Erfolg?"

„Beste Frau Gräfin," betheuerte der Baron, der, stets voller Rücksichtsnahmen, schon vor der Idee eines Widerspruchs zurückschreckte; „ich erlaube mir nicht im Geringsten daran zu zweifeln, und hoffe von ganzer Seele, daß Sie ein außergewöhnlich günstiges Resultat erzielen werden, aber -"

„Aber?"

„Aber," fuhr der Baron, sich verlegen die Hände reibend, fort, - „ich besitze kein Capital, um mich dabei zu betheiligen."

„Sie besitzen kein Capital?" sagte die Gräfin erstaunt.

„Ich besitze allerdings ein kleines," verbesserte sich der Baron, „was ich aus dem Verkaufe meiner Chagra und meines Viehes, besonders meiner Pferde, gelöst habe, aber ich brauche das nothwendig zu meinem unmittelbaren Leben, und wenn ich dasselbe angreife, bin ich am Ende genöthigt, mir noch auf meine alten Tage mein Brod mit Handarbeit zu verdienen."

„Und glauben Sie nicht, daß Sie das Drei-, ja vielleicht Vierfache Ihrer jetzigen Zinsen bei einem solchen Unternehmen herausschlagen könnten?" lächelte die Gräfin.

Der Baron hätte um sein Leben gern „Nein" gesagt, aber er riskirte es nicht; die etwas hitzige Gräfin hätte sich beleidigt fühlen können, und er erwiderte nur achselzuckend:

„Ich bin zu alt zur Speculation, meine Gnädigste, und - außerdem ist mir die Sache auch wirklich noch zu neu - zu fremd - es kam mir zu überraschend. Gestatten Sie mir, daß ich mich vorher ein wenig informire, und wir können ja dann später mit Muße darüber sprechen."

„Aber die Zeit drängt, mein bester Baron," versicherte die Gräfin; „ich habe die nicht unbegründete Vermuthung, daß sich Andere mit einer ähnlichen Idee tragen, und es ist in der That seltsam, daß ein solches auf der Hand liegendes Unternehmen nicht schon lange mit Begierde aufgegriffen ist. Was also geschehen soll, muß rasch geschehen. Ich habe dabei /54/ von Anfang an auf Sie gerechnet, da ich Sie als alten, lieben Freund meines Hauses kannte, und ich hoffe nicht, daß Sie mich jetzt im Stiche lassen werden."

Dem Baron kam es allerdings etwas wunderlich vor, daß die Frau Gräfin gerade auf ihn von Anfang an gerechnet haben sollte, während sie ihn erst im letzten entscheidenden Augen- blicke davon in Kenntniß setzte. So groß seine Höflichkeit aber auch sein mochte, der Trieb zur Selbsterhaltung war doch noch größer, und mit viel mehr Entschiedenheit, als er bis jetzt gezeigt und überhaupt der Gräfin gegenüber für möglich gehalten hätte, sagte er, indem er seine Tabaksdose in allen Taschen suchte:

„Man soll eine Dame nie im Stiche lassen, meine Gnädigste, aber - ich bitte tausendmal meiner Hartnäckigkeit wegen um Entschuldigung - ich muß doch darauf bestehen, vor allen Dingen mir eine größere Kenntniß über den Betrieb dieser Angelegenheit zu verschaffen. Apropos - sollte sich der Director Sarno nicht am Ende bewogen finden, ein so gemeinnütziges Unternehmen aus Regierungsmitteln zu fördern?"

Ein ganz eigener Ausdruck von Zorn und Verachtung zuckte um die Lippen der Dame, als sie erwiderte:

„Ja, wenn ihm einer der Bauern den Vorschlag gemacht hätte."

„So haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?" rief der Baron, von dieser Wendung sichtlich überrascht.

Die Gräfin hatte sich in ihrem Unmuthe verleiten lassen, mehr zu sagen als sie eigentlich wollte. Was noch gut zu machen war, that sie.

„Fällt mir nicht ein," sagte sie wegwerfend; „der Herr Director und ich stehen nicht auf einem so freundschaftlichen Fuße zusammen, ihm eine solche Mittheilung zu machen, und ich werde mich hüten, mit der brasilianischen Regierung etwas Derartiges zu beginnen, die mir vielleicht fünfzehn oder zwanzig Procent für meine Mühe ließe. Doch Sie verlangen Zeit, mein lieber, ängstlicher Freund, und seien Sie versichert, daß ich Sie nicht drängen möchte. Ueberlegen Sie sich also die Sache, sagen Sie mir aber bis spätestens morgen /55/ früh Antwort, oder" - setzte sie hinzu, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte - „ich halte mich an kein Versprechen mehr gebunden und sehe mich nach einem andern Compagnon um."

Der Baron machte eine stumme, dankende Verbeugung, schien aber von dieser directen Drohung keineswegs so eingeschüchtert, wie es die Wichtigkeit der Sache hätte sollen vermuthen lassen. In diesem Augenblicke bekam er aber auch Succurs, denn ihr Gespräch wurde durch jenes wunderliche Individuum, Jeremias, unterbrochen, der plötzlich in den Garten kam, ohne Weiteres auf die Frau Gräfin und den Baron zuging, und Beiden, ehe sie es verhindern konnten, auf das Cordialste die Hand schüttelte. Oskar, der Zeuge dieser Scene war, lag noch immer in der Laube auf der Bank und wollte sich jetzt ausschütten vor Lachen.

Oskar war auch in der That die eigentliche Ursache dieser plötzlichen Begrüßung gewesen, denn während er in der Laube seine Siesta hielt, da ihn die Projecte der Frau Mutter wenig interessirten, hatte er nur über seinen heutigen Verlust, den Pferdejungen, nachgedacht, der sich auf so grobe Weise empfohlen, und dabei hin und her überlegt, wie er denselben wohl ersetzen könne. Da ging Jeremias, ebenfalls auf einem Sonntag-Nachmittag-Spaziergange begriffen, an der Laube vorüber, und Oskar, der den sonderbaren Burschen schon kannte und sich oft über ihn amüsirt hatte, glaubte in ihm einen passenden Ersatz gefunden zu haben und rief ihn auch ohne Weiteres an und herein.

„Guten Tag, Frau Gräfin," sagte Jeremias indessen, durch das etwas erstaunte Zurückfahren der Dame nicht im Mindesten beirrt - „schönen guten Tag, Herr Baron - prächtiges Wetter heute - wie bei uns im Sommer - nur ein bischen heiß - Herr Gott, wie man schwitzt!"

„Und was wollen Sie?" fragte die Gräfin, wie in Gedanken die eben erfaßte Hand mit ihrem Batisttuche abwischend. Jeremias war das auch nicht entgangen; er betrachtete ebenfalls seine eigenen arbeitharten Fäuste, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Aber er nahm /56/ weiter keine Notiz davon, sondern sagte nur, freundlich ihr zunickend:

„Der junge Herr da hinten hat mich gerufen; will einmal zu ihm gehen und sehen, was er wünscht - amüsiren Sie sich gut" - und mit einer Art von Kratzfuß drückte er den Hut wieder in die Stirn und wandte sich dorthin, wo Oskar schon wieder sein: „Jeremias, hierher!" herüberrief.

„Hat ihm schon," antwortete Jeremias, als er in die Laube trat, sich ohne Weiteres auf die andere Bank setzte und vergnügt mit den kurzen Beinen schlenkerte; „hier ist's hübsch kühl; wenn man jetzt hier ein Maß baierisch Bier und einen Handkäs hätte, könnte man's eine ganze lange Weile aushalten."

Oskar hatte sich das Benehmen seines künftigen Pferdejungen wahrscheinlich anders gedacht; mit den Sonderbarkeiten des Burschen aber schon bekannt, beachtete er es nicht weiter und fragte ohne Umschweife:

„Willst Du Geld verdienen, Jeremias?"

„Immer," lautete die kurze, bündige Antwort.

„Kannst Du Pferde warten?"

„Kann ich?" sagte Jeremias in Selbstvertrauen.

„Und wie viel verlangst Du monatlich?"

„Hm," meinte der Bursche, den brennend rothen Schopf kratzend, der sich jetzt, als er dazu den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene Perrücke auswies, „je mehr, je besser - was lohnt's denn eigentlich?"

„Sechs Milreis."

„Und sonst noch 'was?"

„Stiefelputzen -"

„Ne, so mein' ich's nicht," sagte Jeremias, „ob noch sonst etwas bei den sechs Milreis wäre, wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen."

„Wenn Du Dich gut hältst, gewiß," sagte der junge Graf.

Jeremias schob beide Hände, so tief er sie bekommen konnte, in seine Hosentaschen und spitzte den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich vor sich nieder. Endlich sagte er nach /57/ einer kleinen Pause, indem er die Hände wieder aus den Taschen nahm und seine Perrücke zurechtschob:

„Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, wir wollen's einmal einen Monat zusammen versuchen, wöchentliche Kündigung natürlich von beiden Theilen, wenn ich Ihnen nicht gefallen sollte oder Sie mir nicht - außerdem gegenseitige Hochachtung und ein Milreis Handgeld - sind Sie das zufrieden?" - und er hielt dabei Oskar die Hand in so drolliger Weise zum Einschlagen hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung des Milreis Handgeld einen Augenblick gestutzt hatte, lachend einschlug und ausrief:

„Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie Du sagst, einmal zusammen versuchen - hier ist Dein Milreis, und nun beginne Dein Geschäft gleich damit, daß Du vor das Haus gehst und das dort stehende Pferd meiner Schwester hereinführst und absattelst."

„Donnerwetter, das geht geschwind!" meinte Jeremias, „und eigentlich wäre heute Sonntag. Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen stehen bleiben - also, junger Herr, wir sind jetzt für einen Monat mit einander zusammen gegeben, wie der Pfarrer sagt."

Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete es einen Moment aufmerksam, schob es dann in die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte Verbeugung und verließ rasch den Garten, um den überkommenen ersten Auftrag auszuführen.

Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm sehr gelegene Unterbrechung benutzt, dem ihm unangenehm werdenden Gespräche mit der Gräfin eine andere Wendung zu geben, und als jetzt auch die Comtesse zurückkehrte, die Vollrath aber nur bis an die Gartenthür begleitete, worauf er sich empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und beurlaubte sich ebenfalls mit der gewohnten Förmlichkeit bei den Damen.

Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen und wieder gehen sehen, und wenn sich ihr Geist auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte Aussehen des jungen Mannes nicht entgangen. Sie warf einen forschenden Blick auf ihre /58/ Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen auch einen ganz ungewohnten Glanz hatten, verrieth durch nichts einen in ihr aufsteigenden, plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen den Kopf abwandte - vielleicht um ihr Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu entziehen - und sich dem Hause zuwandte, sagte die Dame leise:

„Helene!"

„Mutter?" fragte die Tochter und wandte sich halb nach ihr um.

„Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? Er hatte, als er Dich verließ, keinen Blutstropfen in seinem Gesichte."

„Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet."

„Und Du bist auch so sonderbar."

„Ich, Mutter?"

„Ja - Du - Helene, ich will nicht hoffen, daß Du..."

„Was, Mutter?" sagte Helene, und ihr Auge haftete kalt und ernst auf den strengen Zügen derselben.

„Es ist gut, mein Kind," sagte die Gräfin, die sie einen Moment aufmerksam betrachtet hatte. „Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich verlassen und Du bedarfst keiner Wächterin."

„Ich denke nicht, Mutter," sagte Helene, indem ein leichtes zorniges Roth ihre Wangen färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab und schritt, ohne der Mutter Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, rasch in das Haus und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß und an dem Abend nicht mehr zum Vorschein kam.

4.

Die „Meierei".

Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn man in gerader Richtung eben hätte hinauf kommen können, aber /59/ durch einen ziemlich steilen Hang, an dem nicht einmal ein Fußsteig emporführte, davon getrennt, lag die Wohnung des Colonisten Meier, den der Director gegen Könnern den Einsiedler genannt hatte. Allerdings lief ein Fahrweg bis dicht an seine kleine, wenig bebaute Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, und die Bewohner der „Meierei" - wie man den Platz scherzweise genannt hatte - kamen nie selber in die Colonie herab. Insbesondere der Eigenthümer, der alte Herr Meier, hielt sich so von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar nicht erinnerten, sein Gesicht je gesehen zu haben.

Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing oder schrieb, und doch mußte er sich, seinem ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach, daheim in der besten Gesellschaft bewegt haben. Wie er aber sein kleines Haus dicht hinter den Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig und versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst beachtet von der Außenwelt, so hielt er sich selber und seine Familie dem regen Leben und Treiben fern, das unter ihm wogte - es nicht suchend und nicht von ihm gesucht.

Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der er sich einzig und allein beschäftigte und in der er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt zu finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem an Thätigkeit gewohnten Manne eine bestimmte und ausgesprochene Beschäftigung, und er genügte dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er seinen eigenen Garten anlegte, umgrub und pflanzte. Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit nicht befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in seinem Hause zu machen hatte und einen jungen, sehr geschickten Arbeiter dazu fand, schaffte er sich selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen Griffe und Vortheile dieses Handwerks. Dann kaufte er sich eine Drehbank, und nahm sich auch hierfür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem verstand er schon daheim ein wenig von der Malerei, was er jetzt in seinen Mußestunden noch weiter ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek hatte er sich /60/ ebenfalls angeschafft, und da er bei allen diesen Beschäftigungen viel praktischen Verstand besaß, so richtete er sich in wenigen Jahren seine kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne daß er dabei aber auch nur den geringsten Luxus getrieben hätte.

Nach außen vermied er jedoch Alles, was nur im Geringsten die Aufmerksamkeit eines Fremden hätte auf sich ziehen können; er wollte nun einmal mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn auch dazu bewogen haben konnte, auf die geschickteste Weise wich er jeder Annäherung fremder Menschen aus.

Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, nur aus seiner Frau und einer erwachsenen Tochter. Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum entstandene und noch ziemlich wilde Colonie erreichte, und wenn auch ein junges Mädchen in diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche an das Leben zu stellen, während sie hier - obgleich von allen Bequemlichkeiten umgeben - wie auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise das nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch zu kennen als den, die Häuslichkeit ihrer Eltern eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt. Sie war immer heiter und guter Laune und eigentlich das einzige sonnige Element im Hause.

Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander lebten und nie ein hartes oder auch nur unfreundliches Wort zwischen ihnen vorfiel, so lag doch auf des Vaters Stirn nur zu oft ein tief eingeschnittener Zug von Schwermuth, den wegzuscheuchen nur allein der Tochter, nie der Mutter gelang.

Noth oder Sorge um den Lebensunterhalt konnte das nicht sein, denn Meier war, wenn auch vielleicht nicht reich, doch keineswegs ohne die Mittel, sich eine sichere Existenz zu wahren. Konnte es Heimweh sein - vielleicht, aber Niemand erfuhr das, Niemand hörte je eine Klage, wie er etwaigen Fremden, mit denen er trotz aller Vorsicht gelegent-/61/lich zusammentraf, wenn er nur die Schüchternheit der ersten Begegnung überwunden hatte, auch stets das nämliche freundliche Lächeln zeigte. Es lag dabei etwas in seinem ganzen Wesen, das rasch für ihn einnahm, wenn man nur kurze Zeit in seiner Nähe weilte. War es das lange, schlichte, schneeweiße Haar, das er mitten auf dem Kopfe gescheitelt trug, und das sonderbarer Weise erst hier in Brasilien diese Farbe des Alters, und zwar gleich im ersten Jahre, angenommen hatte, war es der leichte leidende Zug um den Mund, den selbst das Lächeln der feingeschnittenen Lippen nicht ganz zerstören konnte, war es sein mildes, nachgebendes Wesen, man wußte es selber nicht, aber konnte dem Manne, trotz seiner Eigenheit, nie böse sein.

Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte seine Gattin, obgleich man auch ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie sich stets in guter Gesellschaft bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende ihres Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, und der mißtrauische Blick ihres kleinen grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja selbst Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, betrachtete, munterte eben nicht zu einem freundlichen Zusammenleben mit ihr auf. Uebrigens war sie eine noch recht hübsche, stattliche Frau, von vielleicht sieben- oder achtunddreißig Jahren, und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war die, daß sie sich mehr dem geselligen Leben der Colonie hinzugeben wünschte.

So nachgebend dieser aber auch in jeder andern Beziehung sein, mochte, an dieser Klippe scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. Was ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, ja selbst hier und da an einem versteckten Luxus bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die Hand und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; aber über die Grenze seines kleinen Besitzthums ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen Klosterhof umschloß und, durch den Sturm niedergebrochen, sein Haus der Aussicht öffnete, schien ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens keine Stunde am nächsten Morgen, die zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung /62/ anderer junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich jetzt Zeit brauchten, bis sie die nöthige Höhe wieder erreichten, aber doch wenigstens den untern Theil des Hauses deckten.

Es war an dem nämlichen Sonntag-Nachmittage, daß der Direktor Sarno mit den beiden Freunden Könnern und Günther den schmalen Weg hinausritten, der zu der sogenannten „Meierei" führte, und erst als sie in die Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses kamen, hielt der Director sein Pferd an und sagte, mit dem Arm in eine früher gehauene Schneuße hinein deutend:

„Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist die zweite alte Linie, die damals von jenem Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur Ihren Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie schon, welchen Bock jener gescheidte Herr geschossen, der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung ist dadurch vollkommen werthlos geworden und muß neu gemacht werden. Die nächstgelegenen sechs Colonien gehören aber jenem Herrn in dem Hause da drüben, der sich einen ziemlich bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, wie es scheint, keinen nahen Nachbar zu bekommen, denn was er selber bis jetzt urbar gemacht, ist sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber dessen Grenzen mit bestimmen, damit wir wissen, wo das noch freie Land beginnt, und ich möchte diesen District, wie jenen südlich von der Ansiedelung, am liebsten zuerst in Angriff genommen haben. Diesen hier nehmen Sie also vielleicht gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich eine ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser Steigung dem nächsten Bergrücken zu, und Sie können hier eine tüchtige Anzahl Varas2 den Tag ablegen."

„Und ist der Wald sehr dicht?"

„Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt auch nicht zu schwer machen und einen zu breiten Ausschlag verlangen, gründlich müssen die Linien aber gelegt und die Bäume besonders so markirt werden, daß die hiesige Vegetation nicht die Spuren in ein paar Jahren wieder verwächst und vernichtet - wir sprechen darüber noch heut Abend, ob wir Theer mit Buchstaben von weißer Oelfarbe oder vielleicht gar /63/ Blechplatten nehmen, was freilich bedeutend mehr Kosten macht."

„Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit mir nehmen soll?"

„Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes Stück in den Wald hinein, der sich dort hinüber ziemlich gleich bleibt," erwiderte der Director, „Sie können es dann selber leicht beurtheilen. Sparen Sie lieber nicht mit den Leuten, wenn Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich garantire Ihnen, daß Sie hier, um nur das Nothwendigste fertig zu bringen, drei volle Monate scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in möglichst kurzer Zeit beenden, desto besser ist es; denn wenn uns die neuen Ansiedler erst noch auf den Hals kommen, und ich weiß nicht, wo ich sie unterbringen soll - dann ist es mit dem Frieden hier vorbei." Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und ritt in einen schmalen Seitenpfad, von Günther gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem breiten Wege hielt und sich Meier's stille und trauliche Heimath betrachtete. Es lag ein ganz eigener Zauber über dem Platze, dem die hier vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte Palmen, Farrn und die wunderliche Baumform der Pinien einen noch viel größeren Reiz verlieh.

Gern wäre er auch einmal zu dem Hause hinüber geritten, die Insassen desselben kennen zu lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber er durfte seine Gesellschaft nicht zu weit aus den Augen verlieren, und der Director wie Schwartzau waren viel zu sehr in ihr „Terrain" vertieft, um sich in diesem Augenblicke um etwas Anderes zu kümmern, als Nord und Süd und Ecken und Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß herausgenommen und visirte damit, als sie den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel interessanteren Front vorüber, wie sie die bestgelegene Colonie hätte bieten können, ohne sie auch nur zu sehen, nämlich an einem reizenden jungen Mädchen, das, vielleicht sechs Schritt von dem Pfade entfernt, mit einem Buche in der Hand unter /64/ einer halb natürlichen, halb durch Kunst hergestellten Laube saß und, ohne sich zu rühren, die vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen Männer beobachtete.

Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen haben, hätte sie nicht gefürchtet, durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt erst, als sie vorüber und schon halb von den Büschen verdeckt waren, richtete sie sich empor und drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen.

In diesem Augenblicke passirte Könnern die versteckte Laube. Mit keinem solchen Interesse an der Vermessung des Bodens, und in der alten Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden Punkte rasch zuzuwenden, entdeckte er kaum die liebliche, jetzt verlegen erröthende Gestalt, als er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und achtungsvoll die Jungfrau grüßte.

War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung gewesen, hier zu halten, so besaß er entweder in dem Momente nicht Geistesgegenwart genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu geben, oder die freundliche Erscheinung fesselte ihn so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen konnte und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich werdenden Situation zu bringen, sagte er verlegen:

„Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Sie gestört zu haben, Señora, aber ich vermuthete hier in der That Niemanden mitten im Walde."

„Sie haben mich nicht gestört," erwiderte Elise mit ihrem gewinnenden Lächeln, denn die Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs entgangen; „ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen Freunde den Weg verfehlt haben, denn dieser Pfad führt allein wenige hundert Schritte in den Wald hinein und endet dann in einem verworrenen, von Schlingpflanzen durchwachsenen Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht dringen können."

„Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?" fragte Könnern, sichtlich darüber erfreut, denn er bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu erwarten.

„Allerdings," erwiderte das Mädchen - „wollen Sie denn zur Kolonie hinunter?" /65/

„Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. Wir kommen eben daher und sind nur auf einem Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn das Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen vorzunehmen."

Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde anredete, aufgestanden war, verbeugte sich leicht und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher Weise fortzusetzen, grüßte noch viel verlegener als vorher, und folgte jetzt den beiden Freunden, die er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten Stelle überholte.

Es war das der nämliche Platz, wo der Director damals die verkehrten Arbeiten des von der Frau Präsidentin herübergeschickten Vermessers unterbrochen hatte, und alle Drei wandten nun ihre Thiere, um auf den breiteren Weg zurückzukehren.

Als sie die Laube passirten, warf Könnern freilich den Blick hinüber, um nach der freundlichen Gestalt zu suchen; aber wie eine Erscheinung war sie verschwunden, und nur auf der Bank, auf welcher sie gesessen hatte, lagen ein paar Blumen, die sie wahrscheinlich mit heraufgenommen und in der Eile ihres Rückzuges auf dem Sitze liegen gelassen hatte.

Könnern, der jetzt voranritt, hatte die Blüthen augenblicklich bemerkt, und ehe er sich selber über das, was er that, Rechenschaft geben konnte, hielt er an, stieg vom Pferde und schnallte seinen Sattelgurt ein Loch empor. Dadurch gab er seinen Begleitern Zeit, an ihm vorüber zu reiten, und als er sie voraus sah, trat er rasch in die Laube, nahm die Blumen, legte sie in sein Taschenbuch, stieg dann wieder auf und folgte, ohne sich umzusehen, den Vorausgerittenen. - Und doch hatte ihn dieses Mal sein sonst so scharfes Auge im Stiche gelassen, denn hinter einem kleinen Dickicht der hier gerade sehr üppig wachsenden Flachs- oder Tucung-Pflanze, hinter das sich Elise zurückgezogen, um die Fremden erst vorüber zu lassen, hatten ein Paar lächelnde Augen seinen unschuldigen Raub beobachtet und folgten ihm, bis sich der Wald wieder hinter ihm schloß.

Könnern überholte seine Begleiter dicht am Hause des menschenscheuen Meier, der aber durch einen geschickt gefällten Baum die Passage so gelegt hatte, daß sie nicht unmittelbar /66/ an seinem Garten vorüberführte, sondern diesen durch sorgfältig gepflegte Büsche vollständig verdeckt hielt.

„Hier wohnt der sonderbare Kauz," sagte der Director. mit der Hand in das Dickicht zeigend, durch welches das Dach nur undeutlich herausschimmerte. „Wenn mit dem Manne nur irgend ein Umgang wäre, wollte ich vorschlagen, daß wir anhielten und ihm wenigstens guten Tag sagten. Schade um das allerliebste Mädchen, das der alte Brummbär hier wie eine Nonne gefangen hält."

„Eine Brünette?" fragte Könnern.

„Ja," erwiderte der Director; „aber wie, zum Teufel, haben Sie das schon ausgefunden? Sie sind doch, so viel ich weiß, zum ersten Mal in der Colonie."

„Hätten es die Herren nicht gerade so gemacht wie der vorige Landvermesser," lachte Könnern, „und die Variation auf der verkehrten Seite der Nadel gesucht, so würden sie, nur ein paar Striche aus dem Cours, eine allerliebste junge Dame im Walde gesehen haben, die sich da draußen mit irgend einer Lectüre die Zeit vertrieb."

Die Colonie

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