Die verstörende Lebensgeschichte des Julian M
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Günter Scholtes. Die verstörende Lebensgeschichte des Julian M
Отрывок из книги
Günter Scholtes
Die verstörende Lebensgeschichte des Julian M
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Das seltsame, und die Duplizität der Fälle, der nächtliche Akteur auf dem Friedhof war Julian, und der wollte nur die Leiche ausgraben, um sich mit dieser zu vergnügen und sonst nichts. Nichts von all den Legenden aus der brodelnden Giftküche der Gerüchte, so war das nun einmal in diesem seltsamen Dorf. Sicherlich ein besonderer Zufall, oder doch eine Fügung des Schicksals? Hier, in der Psychiatrie meines Ausbildungskrankenhauses, sollte ich Julian, den Leichenschänder aus meinem Heimatdorf, antreffen.
Der folgende Tag, an dem ich Dienst hatte, war nun ein Sonntag. Wie in psychiatrischen Anstalten oft üblich, ist der Sonntag einer der ruhigsten Arbeitstage überhaupt. Also was lag näher, als diesen Tag zu nutzen? Nach Rücksprache mit meinen Arbeitskollegen plante ich erneut, Julian eine Visite abzustatten. Gesagt getan, und so machte ich mich auf den Weg. Wieder stand ich vor der Tür, klopfte vorsichtig an und begehrte Einlass. Natürlich, wie erwartet, wiederum keine Antwort. Ich hatte es geahnt. Aber, wie damals im Saarland so üblich (in ländlichen Gegenden wird dieser unhöfliche Brauch immer noch gepflegt), heute ging ich einfach hinein in das Atelier von Julian. Er begrüßte mich erstaunlicherweise mit einem freundlichen Hallo. Ich begrüßte ihn mit einem Handschlag, und er erwiderte ihn. Ehe ich ein weiteres Wort an ihn richten konnte, hob er fast drohend den Zeigefinger in Augenhöhe und sagte zu mir ganz kategorisch und genauso unmissverständlich: „Ich weiß, dass Sie hier sind, um meine Geschichte zu erfahren. Sie haben wohl kaum ein Interesse an meiner Person, wohl nicht. Sie wollen nur meine Geschichte hören, aber von mir, dem Leichenficker, erfahren Sie kein Wort, nichts! Schluss und aus! Es wäre sinnvoll, jeglichen Versuch Ihrerseits strikt zu unterlassen, und damit Amen!“ Unzweifelhaft, dies war eine klare und nicht zu missdeutende Drohung, geradezu eine Kriegserklärung. Ich wehrte mit beiden Händen ab und erklärte ihm, dass ich ihn schon durch die Gerüchteküche meines Heimatortes kennen würde, leider nur sehr unvollkommen, und deshalb sei ich hier. Auch hätte ich mir ein ganz anderes Bild von ihm gemacht und sei doch arg enttäuscht von ihm und dem, was ich hier vorfand. Die Stirn von Julian kräuselte sich leicht. Ungewollt hatte ich wohl den richtigen Punkt bei ihm getroffen, denn er fragte: „Nun bin ich aber neugierig, inwieweit ich Sie enttäuscht habe.“ Einige Sekunden Schweigen, dann sagt er erneut, „Schießen Sie los, was haben Sie denn hier erwartet?" „Nun ja“, antwortete ich vorsichtig, denn man kann ja nie wissen, in welches Fettnäpfchen man bei solch einem neuen Bekannten tritt. „Ja also, nun ja, ich habe mir zum einem Ihren Aufenthaltsort etwas anders vorgestellt und, zum anderen, Ihre Person passt so gar nicht in das Bild, das ich mir von Ihnen gemacht habe." „Na wie denn bitte“, sagt Julian, offensichtlich neugierig geworden. „Nun“, sagte ich etwas umständlich, „wie stellt man sich solch einen Menschen wohl vor, als der Sie beschrieben wurden. Groß, breite Schultern, natürlich saudumm und ein Gesicht, so hässlich wie der Teufel. Und nun von all dem nichts! Das mit dem saudumm scheint offensichtlich ein völliger Fehlgriff meiner Einbildung zu sein, ein Produkt meiner Fantasie. Ihre Bilder, die ich nur oberflächlich bewundern durfte, sprechen des Weiteren gegen meine ursprüngliche vorgefertigte Meinung, alles Makulatur, welch ein Irrtum. Ach ja, auch ihre Bibliothek spricht für sich. Sie ist völlig konträr zu dem, was ich mir in meiner blöden Fantasie vorgestellt hatte.“ „Ha“, sagt Julian nun sehr laut, „mit Hässlichkeit hätte ich noch bis vor wenigen Jahren sehr gut dienen können, ja, das war ich, sehr hässlich. Und stellen Sie sich einmal vor, eine der lieben Damen des Arbeitsamtes hatte einst zu mir gesagt, ich wäre noch zu hässlich, um auf der Geisterbahn zu arbeiten. Ich würde dort die Besucher zu Tode erschrecken. Die Dame hatte leider absolut Recht. Nun stellen Sie sich einmal mein Gesicht genau so vor, wie ich es Ihnen jetzt beschreibe.
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