Durch den Eisernen Vorhang
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Gottfried Niedhart. Durch den Eisernen Vorhang
Durch den Eisernen Vorhang
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INHALT
ABSCHIED VOM KALTEN KRIEG
Der Kalte Krieg als Phase im Ost-West-Konflikt
Entspannung als Deeskalation des Ost-West-Konflikts
Jenseits des Kalten Kriegs
Antagonistische Kooperation und Kommunikationsbereitschaft
Zwei deutsche Staaten im Ost-West-Konflikt
Die Ära Brandt
Nationale Interessen und Friedenssicherung
I Ostpolitik als kommunikatives Ereignis
KOMMUNIKATION UND REALITÄTSBEREITSCHAFT
Kommunikative Methoden
Wandel durch Annäherung
Mehr Wahrheit in der Politik
Mut zum Status quo
Hegemonialmacht Sowjetunion
KOMMUNIKATIVE PRAXIS
Auf dem Weg der Normalisierung
Pro und contra Ostpolitik
Politische Dialoge
Tunnelbau von beiden Seiten
Kommunikativer Schub in Bonn
Wallfahrt nach Moskau
Osthandel und Ostpolitik
Deutsch-sowjetischer Gesprächskreis
Entspannungspolitik und Geheimdiplomatie
Dreieckskontakte für Berlin
Permanente Verbindung durch die Hintertür
Entspannungspolitik auf Deutsch
Willy Brandt ans Fenster!
Kommunikativer Gipfel
II Ostpolitik als Interessen- und Friedenswahrung
DIE „ERWACHSENE“ BUNDESREPUBLIK ALS „FRIEDENSMACHT“
Nationale Interessen
Steigendes internationales Gewicht der Bundesrepublik
Westliche Vorbehalte
Sturm im Pariser Wasserglas
Die Last der Vergangenheit
Ostpolitik als Versöhnungspolitik
Frieden gestalten
Frieden mit der Sowjetunion
DIE DOPPELTE WESTBINDUNG
Ostpolitik als Teil der Europapolitik
Misstrauen in Washington
US-Détente und deutsche Ostpolitik
Atlantische Partnerschaft und europäische Dimension
Entspannungskonformer Antikommunismus
III Entspannung als Prozess
KONTRÄRE ERWARTUNGEN
Gewaltfrei, aber nicht konfliktfrei
Das Dilemma der Sowjetunion
Friedliche Offensive oder Aggression auf Filzlatschen
ANTAGONISTISCHE KOOPERATION
Stagnation der Ostpolitik
Gebremste Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen
Friedliche Aufhebung von Grenzen
Politische Kompromisse ohne militärische Entspannung
BILANZ UND AUSBLICK
ANHANG. Zeittafel
ABKÜRZUNGEN
ANMERKUNGEN. Abschied vom Kalten Krieg
I Ostpolitik als kommunikatives Ereignis
II Ostpolitik als Interessen- und Friedenswahrung
III Entspannung als Prozess
Bilanz und Ausblick
QUELLEN UND LITERATUR. Unveröffentlichte Quellen
Gedruckte Quellen und Literatur
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Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Отрывок из книги
Gottfried Niedhart
Die Ära Brandt und das Ende des Kalten Kriegs
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Auf die bange Frage Präsident Nixons vom August 1971, ob die USA noch die führende Weltmacht seien,30 gab es nur eine Antwort, nämlich die Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen durch eine Deeskalation von Konflikten im Zeichen einer umfassend angelegten Entspannungspolitik. Nicht ohne resignativen Unterton bezeichnete Nixon eine solche Anpassung als „bittere Notwendigkeit“.31 Die zentrale Korrektur im Verhältnis zur Sowjetunion lautete Anerkennung der militärischen Parität, im Verhältnis zu China bedeutete sie die Anerkennung der Herrschaft der KP Chinas, im Verhältnis zu Westeuropa das nach anfänglichem Zögern erfolgte Einschwenken auf die Politik der EG während der multilateralen KSZE-Verhandlungen. Als Fehlschlag entpuppte sich der Versuch von Amerikas Nationalem Sicherheitsberater Henry Kissinger, 1973 ein „Jahr Europas“ auszurufen und damit die transatlantischen Beziehungen unter amerikanischer Führung neu zu ordnen. Die Europäer – insbesondere im Westen, aber auch in Osteuropa – sahen ihre Stunde gekommen. Sie stellten sich schon aus sicherheitspolitischen Gründen weder in West noch in Ost frontal gegen ihre Führungsmächte, aber sie verfügten jetzt über größere Spielräume. Anders formuliert: Der Ost-West-Konflikt kann nicht überwiegend oder gar ausschließlich als Geschichte der Beziehungen zwischen den Supermächten dargestellt werden. Insbesondere die in der EG organisierten Staaten Westeuropas, die in einen Integrations- und Erweiterungsschub eintraten, beanspruchten, als eigenständige Akteure wahrgenommen zu werden.
Von Beginn an spielte sich der Ost-West-Konflikt nicht nur in Europa ab. Allerdings war Europa der Ort, wo der Konflikt als direkte Konfrontation seine schärfste Zuspitzung erfuhr und wo sein Ende eingeleitet und herbeigeführt wurde. In Europa wiederum war es die deutsche Frage, die den Kern dieses Konflikts ausmachte. Die Errichtung von Besatzungszonen nach Kriegsende und die Gründung zweier deutscher Staaten 1949 mit gegensätzlicher politisch-gesellschaftlicher Ordnung und internationaler Ausrichtung auf einem gegenüber dem Deutschen Reich deutlich verkleinerten Territorium brachten zweierlei zum Ausdruck: zum einen das Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland, zum anderen die Unfähigkeit der für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Siegermächte, einen Zustand gemeinsamer Sicherheit herzustellen. Die Herausforderung für die deutsche Nachkriegspolitik bestand in der Notwendigkeit, dem Ost und West gemeinsamen Interesse an einer Kontrolle Deutschlands gerecht zu werden und zugleich das Ziel im Blick zu behalten, als eigenständiger Akteur in die internationale Politik zurückzukehren. Letzteres hing davon ab, ob auch Sicherheit mit Deutschland wieder denkbar wurde. Unter den Bedingungen des Kalten Kriegs waren beide deutsche Staaten unverzichtbare Bastionen in der jeweiligen Bündnisstrategie. Die DDR war zu strikter Ausrichtung auf die Sowjetunion verpflichtet, wenngleich Moskau die Wünsche der DDR-Führung nicht selbstherrlich ignorieren konnte. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs stieg die Bundesrepublik allmählich Schritt für Schritt zu einer Mitgestalterin westlicher Sicherheitspolitik auf. Darüber hinaus wuchs sie in eine gesamteuropäische Schlüsselrolle hinein. Denn von ihr hing es ab, ob Sicherheit mit Deutschland auf die Ost-West-Beziehungen ausgeweitet werden konnte. Während Adenauer um Vertrauen im Westen gerungen hatte, bemühten sich seine Nachfolger mit unterschiedlicher Intensität, die bestehenden Kontakte zur Sowjetunion zu verbessern und die reflexartige Diskreditierung der Bundesrepublik als revanchistischer Feindstaat aufzuweichen. Die im Dezember 1966 gebildete Regierung der Großen Koalition wünschte unter ausdrücklicher Einbeziehung des Warschauer Pakts Beziehungen mit „allen Völkern“, „die auf Verständigung, auf gegenseitiges Vertrauen und auf den Willen zur Zusammenarbeit gegründet sind“.32 Dieses Angebot, Sicherheit mit Deutschland zu konzipieren, nahm in der Ära Brandt konkrete Gestalt an, als die Bundesrepublik und die Sowjetunion sich 1970 im Moskauer Vertrag wechselseitig zum Verzicht auf die Androhung und Anwendung von Gewalt verpflichteten. Damit war in aller Form ein entspannungspolitisches Projekt aus der Taufe gehoben, das zwar von den Vorstellungen eines europäischen Sicherheitssystems noch weit entfernt, aber durchaus geeignet war, die Bundesrepublik aus dem Schatten sowohl des Zweiten Weltkriegs als auch des Kalten Kriegs herauszuführen.
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