Vom Bürger zum Konsumenten
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Группа авторов. Vom Bürger zum Konsumenten
Inhalt
Ökonomisierung: Eine Herausforderung wird besichtigt. Thomas Hauser und Philippe Merz
Literatur
Die Privatisierung des Marktes und das Ende des Neoliberalismus. Philipp Staab
Ökonomie der Daten – Imperativ der Überwachung
Proprietäre Märkte als Strategie und Praxis
Infrastrukturoffensiven
Privatisierter Merkantilismus
Literatur
Der verschenkte Konsum – Die Gratisökonomie der Digitalwirtschaft als neues Marktmodell. Christoph Böhm. Gratisökonomie – kann sie gerecht sein?
Regulierungsgrenzen am Beispiel der Datenethikkommission
Konsumentenverantwortung – ein mögliches Konzept für die Digitalisierung?
Eine Theorie der Gerechtigkeit bietet Orientierung
Literatur
Die Ökonomisierung der Natur und ihrer Leistungen. Reinhard Loske
Primat der Ökonomie oder Ökonomie als Hilfsargument?
Politik als Störung der ökonomischen Rationalität?
Grüne Märkte und grünes Wachstum
Die Renaissance der Wachstumskritik
»Grüne Preisschilder« reichen nicht
Literatur
Warum die Identität der Medizin durch die Ökonomisierung gefährdet wird. Giovanni Maio. Das ökonomische Tribunal in der modernen Medizin
Innere Landnahme der Ärzte durch die Ökonomie
Ökonomische Überformung der medizinischen Logik
Wettbewerbsfähigkeit als neues Qualitätskriterium
Entsolidarisierung von den Schwächsten
Schlussfolgerungen
Literatur
Öffentlichkeit – der ewige Strukturwandel. Thomas Hauser
Herrschaftsfreier Diskurs als Utopie
Blütezeit trotz Konzentration
Der Strukturwandel der Jahrtausendwende
Öffentlichkeit in Zeiten des Medienmix von Babel
Die Suche nach Gegenstrategien
Literatur
Wohnen – Zwischen Rendite und Gemeinwohl. Tilman Harlander
Der Immobilienboom …
… und seine Folgen
Wohnen – die soziale Frage unserer Zeit?
Markt und Staat
Warum fällt das Umsteuern so schwer?
Mangel an gemeinwohlorientierten Akteuren
Mangel an – bezahlbarem – Bauland
Quantität und Qualität
Literatur
Humankapitalismus: Bildung als Ware und Währung. Aladin El-Mafaalani
Literatur
Die Entleerung der Bildung – Ökonomisierung als radikales Reframing. Silja Graupe
Erkenntnistheoretische Überlegungen
Vermarktlichung der Erkenntnis
Quantifizierung der Erkenntnis
Monetarisierung der Erkenntnis
Schluss
Literatur
Das Ich als Unternehmen: Selbstökonomisierung. Christian Dries
Der homo oeconomicus und das Ökonomisierungssyndrom der Moderne
Formen und Folgen der Selbstökonomisierung
Schluss: Leben im Komparativ
Literatur
Smarte Optimierung im digitalen Kontrollregime: Vom quantifizierten Selbst zum quantifizierten Kollektiv. Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff
Digitale Doppelgänger (Apple Watch)
Im schwarzen Spiegel: Jede Bewegung zählt
Der Wettlauf mit sich selbst, oder: Das Leben im Zeitalter seiner technischen Machbarkeit
Nudge! Oder: Apple first
Vom vermessenen Selbst zum vermessenen Kollektiv
Literatur
Auswege aus der Ökonomisierung oder: Wo bleibt das Rettende? Thomas Hauser und Philippe Merz
Vom Konsumenten zum Wirtschaftsbürger
Verantwortungsvolle Unternehmensführung
Abkehr vom quantitativen Wachstumsstreben
Literatur
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Отрывок из книги
Jede Perspektive ist im Wortsinn relativ. Sie ist Teil eines Ensembles verschiedener Blickwinkel und Deutungen, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften und auch Möglichkeiten eines Phänomens hervorheben. Damit vernachlässigt jede Perspektive unweigerlich andere Deutungsmöglichkeiten oder blendet bestimmte Facetten sogar gänzlich aus. Das ist zunächst keineswegs problematisch: Eine Architektin blickt anders auf ein Haus als ein Statiker, eine Immobilienmaklerin anders als ein Tourist, die Mitarbeiterin einer Vermietungsplattform anders als der Mitarbeiter des städtischen Bauamts. Sie alle nehmen sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Facetten des Gebäudes wahr und heben diese hervor, geleitet von eigenen Interessen oder institutionellen Aufgaben. Das ist nicht nur legitim, sondern sogar ein wesentlicher Bestandteil ihrer jeweiligen sozialen Rolle.
Problematisch wird eine solche Fokussierung jedoch dann, wenn mit ihr der Anspruch einhergeht, die Fokussierung sei gar nicht relativ, sondern vielmehr absolut, also die einzig mögliche Deutung eines Phänomens. Dann wird aus einer Perspektive eine Ideologie. Karl Mannheim, der Soziologe, hat diese These sinngemäß schon vor fast 100 Jahren formuliert (vgl. Mannheim 2015).
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Auch im Bildungswesen hat sich der ökonomische Paradigmenwechsel eindrucksvoll niedergeschlagen. Wenn sich der Wert des Menschen primär an seiner Leistungs- und Konsumfähigkeit bemisst, sollte in Schulen und Universitäten vor allem verwertbares Wissen mitsamt einem bunten Strauß an arbeitsmarkttauglichen »Kompetenzen« erworben werden. So aber verliert Bildung schleichend ihre Bedeutung als Bürgerrecht. In diese Linie passt die Ökonomisierung der Hochschullandschaft mit ihrer Ausrichtung auf permanenten Wettbewerb um Drittmittel, Ranking-Positionen und Exzellenz-Orden ebenso wie die Diskussion um das acht- oder neunjährige Gymnasium. G8 sowie der Bologna-Prozess mit seinen Bachelor- und Masterabschlüssen wurde vor allem von der Wirtschaft gefördert, um junge Menschen rascher ins Berufsleben zu bringen und zielgenauer auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Mit dem Ergebnis ist kaum jemand zufrieden, auch weil im Tauziehen zwischen den bildungspolitischen und ökonomischen Kräften der Lehrplan überfrachtet wurde (überfrachtet werden musste?). Weitere Nebenwirkungen sind zu besichtigen: Handwerksberufe wurden unattraktiver, werden aber eher mehr gebraucht. Und wer kann, schließt dem Bachelor einen Master an, um sich mehr Entwicklungsmöglichkeiten offenzulassen und das eigene Verwertungspotenzial zu steigern. Dass die Ökonomisierung unseres Denkens und Handelns mit einer erstaunlichen Unkenntnis breiter Bevölkerungsschichten über ökonomische Zusammenhänge einhergeht, ist nur scheinbar ein Widerspruch. Schlecht Gebildete waren schon immer leichter zu (ver-)führen als aufgeklärte, kritisch nachfragende Geister.
Auch der Paradigmenwechsel in der Medienlandschaft verläuft tendenziell vom Bürger zum Konsumenten. Wichtig für die Qualität der Dienstleistung von Journalistinnen und Journalisten ist heute weniger, was eine Bürgerin oder ein Bürger wissen sollte, um sich ein fundiertes Urteil über öffentliche Sachverhalte zu bilden und die eigene Rolle als Souverän verantwortungsvoll auszufüllen; vielmehr zählt, was gefällt und daher zu erhöhter Nachfrage führt, insbesondere zu vielen »Klicks« und »Likes« im Online-Journalismus. Damit wird eine Zeitung für diejenigen Unternehmen interessanter, die hier ihre Anzeigen- und Werbeflächen buchen. Der recherchierende Blick von Journalistinnen und Journalisten, eigentlich Dienstleister der Bürgergesellschaft, schwenkt so tendenziell von den politisch relevanten Themen zu den spontanen Interessen und Launen der Konsumenten, die es zu fesseln gilt.
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