Notizen aus dem Vernichtungskrieg
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Notizen aus dem Vernichtungskrieg
Impressum
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|5|Inhalt
|7|Einführung. Ein ganz normaler Wehrmachtsgeneral1
|22|Editorische Hinweise
|27|Dokumente
|28|Vor dem Feldzug, September 1940 bis Juni 1941
|43|Vormarsch, Juni bis September 1941
|73|Angriff auf Moskau, Oktober/November 1941
|97|Der große Rückschlag, Dezember 1941 bis Januar 1942
|132|Stabilisierung der Front, Februar bis Juni 1942
|155|Anhang
|156|Weltbilder eines Offiziers – Dokumente 1915–1940
|194|Der Weg in die totale Niederlage – Dokumente 1942–1945
|241|Abkürzungen
|244|Quellen und Literatur. Archivalien
Literaturhinweise
|246|Personenregister
Karten
Informationen zum Buch
Informationen zum Herausgeber
Отрывок из книги
|2|Johannes Hürter (Hrsg.)
Die Ostfront 1941/42 in den Aufzeichnungen
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Ostkrieg. Nicht erst der rückhaltlose persönliche Kriegseinsatz bis zur totalen Niederlage belegt, dass Heinrici aus professioneller Leidenschaft und patriotischer Überzeugung Soldat war. Die meisten hier abgedruckten Dokumente handeln vom Krieg, genauer vom deutschen Krieg gegen die Sowjetunion. Die Beteiligung an diesem Krieg war das zentrale Ereignis seiner militärischen Laufbahn, vermutlich sogar seines Lebens überhaupt. Tatsächlich handelte es sich um ein Geschehen von fundamentaler Bedeutung, für den Zweiten Weltkrieg insgesamt und insbesondere auch für die Wehrmacht, ihre Generalselite und alle ihre Soldaten. Die deutsche Militärmacht büßte auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz nicht nur ihre Schlagkraft ein, was kriegsentscheidend war, sondern verlor hier die Reste ihrer moralischen Integrität. Der Krieg im Osten hatte von vornherein das Doppelgesicht eines zugleich militärisch und politisch-ideologisch mit den äußersten Mitteln und Zielen geführten Kampfes, eines Neben- und Ineinanders von gewaltigen Schlachten und ungeheuren Verbrechen. Die Tragweite des Ostfeldzugs wird Heinrici zunächst nicht bewusst gewesen sein. Der passionierte Soldat brannte auf seinen Einsatz, nachdem er bisher zu seiner Enttäuschung fast ausschließlich an ruhigen Abschnitten der Westfront verwendet worden war. Als Kommandierender General eines Infanteriekorps gehörte er zur kleinen Elite der „oberen Truppenführer“ und wollte seinen Verband im Kampf führen. Die professionelle Aufgabe des Kommandeurs stand im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. |18|Heinrici erwies sich als harter und fähiger Befehlshaber, der sich ebenso viel abverlangte wie seinen Soldaten und der noch als Armeeoberbefehlshaber ständig den persönlichen Kontakt zur Kampftruppe und Front suchte. Damit entsprach er dem preußisch-deutschen (und auch Hitlers) Ideal eines hohen Truppenkommandeurs, der „von vorne“ führte und das Können des Generalstabsoffiziers mit der Kühnheit des Frontoffiziers verband. Seine Aufzeichnungen aus dem Ostkrieg legen davon ein beredtes Zeugnis ab, auch von der Empathie und Fürsorge für seine Soldaten, für die er sich verantwortlich fühlte. Die Briefe und Tagebücher dienten außerdem als Ventil der eigenen physischen und psychischen Belastung, die eindringlich thematisiert wird. Das mag teilweise larmoyant wirken, besaß aber eine wichtige kompensatorische Funktion, durfte doch der Offizier nach dem voluntaristischen Selbstverständnis seines Berufsstands nach außen keine Schwächen zeigen. Somit sind die Notizen Heinricis ein Kaleidoskop der immensen Anforderungen, die der Ostkrieg mit seinen extremen Kampflagen, Nachschubproblemen, Ortsverhältnissen und Wetterbedingungen an Offiziere und Mannschaften stellte. Der Vernichtungskrieg traf auch die Truppen des deutschen Aggressors, vor allem die Landser, die zum großen Teil zu jung waren, um die Verantwortung für einen verbrecherischen Staat und seinen Krieg zu tragen, dem sie nun zum Opfer fielen. Ein hoher General wie Heinrici war dagegen ganz anders Akteur und Täter. Er hatte den Weg in diesen Krieg unterstützt, war ein wichtiger Teil des Systems und musste sich nun in einem Kriegsinferno bewähren, das die Elite, der er angehörte, mitverursacht hatte. Militärisch bestand er diese Bewährungsprobe, indem er nicht nur auf seinem Posten „durchhielt“, sondern sich zunächst im Bewegungskrieg des „Unternehmens Barbarossa“, dann in vielen Abwehrschlachten gegen die Rote Armee als so fähiger Truppenführer erwies, dass Hitler auf ihn bis zuletzt nicht verzichten wollte und ihm 1945 sogar noch im letzten Kapitel des deutsch-sowjetischen Krieges eine Hauptrolle zudachte.
Fremde. Die große Empathie für die eigenen Soldaten, das eigene „Vaterland“ und die eigene Person stand im auffälligen Kontrast zur nüchternen, oft abfälligen, erst im weiteren Verlauf des Ostkriegs manchmal etwas verständigeren Beschreibung des Fremden. Die tief sitzenden rassistischen Ressentiments und antibolschewistischen Feindbilder führten auch bei Heinrici zu vorgeprägten Wahrnehmungen dessen, was man im „Ostraum“ ohnehin erwartet hatte und jetzt scheinbar bestätigt fand: eine dem deutschen „Kulturmenschen“ völlig fremde, triste und feindselige Landschaft, Kultur und Bevölkerung. Das Gefühl der totalen Fremdheit ließ auf diesem Kriegsschauplatz alles zum Problem werden, die Menschen und Tiere, die Orte und Häuser, die Wälder und Weiten, die Natur und das Wetter, die Ernährung und Hygiene. Die anschaulichen Reflexionen Heinricis über „Land und Leute“ belegen, dass er mit ethnografischer Neugier auf das Fremde blickte. Doch war dies der Blick des Kriegers und Eroberers, voreingenommen und misstrauisch. Der General fühlte sich in einen anderen Erdteil versetzt, der von den Deutschen nicht zu beherrschen und zu ordnen war. Die Größe |19|und Feindseligkeit des Landes und seiner Natur wurden in seinen Aufzeichnungen zunehmend zur Metapher für die Widerstandskraft des sowjetischen Gegners und die Überforderung der deutschen Truppen. Das Fremde wurde als so extrem empfunden, dass die Landschaften wie feindliche Wesen, die Menschen kaum mehr menschlich erschienen. Mit dieser Art der Wahrnehmung des Fremden ließ sich auch der Verlust aller gewohnten Maßstäbe rechtfertigen, der militärischen, politischen und ethischen. In der negativen Projektion Heinricis war nur wenig Platz für ein tieferes humanes (und christliches) Mitgefühl angesichts der menschlichen Leiden in den Regionen, die das deutsche Heer so widerrechtlich und brutal mit Krieg überzogen hatte.
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