Stillstände
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Götz Großklaus. Stillstände
Отрывок из книги
Götz Großklaus, geboren 1933, Dr. phil. Prof. em. für Neuere Deutsche Philologie an der Universität (TH) Karlsruhe; Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie; Staatsexamen an der Universität Hamburg; Promotion an der Universität Freiburg; Habilitation an der Universität Karlsruhe (TH); Mitbegründung und kollegiale Leitung des Instituts für Angewandte Kulturwissenschaft an der Universität Karlsruhe (TH) (1983 – 1990); Assoziierter Professor für Mediengeschichte an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe; Gastprofessuren an der Cairo University (1974 – 1976), der University of Melbourne (1983) und der Universität Istanbul (1995). Hauptarbeitsgebiete: Vergleichende Literaturwissenschaft, Kultursemiotik, Mediengeschichte und -theorie. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Natur-Raum, Medien-Zeit, Medien-Raum, Medien-Bildern, zur Kulturgeschichte der Natur sowie zur Literatur in einer industriellen Kultur. Letzte Buch-Veröffentlichungen: „Heinrich Heine. Der Dichter der Modernität (2013)“, „Das Janusgesicht Europas. Zur Kritik des kolonialen Diskurses“ (2017).
Das Gedächtnis der Kriegskinder
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Durch die geöffnete Kellertür starrte er auf die dichte Rauchdecke, die jetzt über der Stadt lag. In seiner Vorstellung musste alles Leben unter dieser Decke erstickt sein, die Stadt in Schutt und Asche versunken sein. Er empfand keine Angst. Die Plötzlichkeit und die rasende Geschwindigkeit der Gewalteinwirkung ließen irgendwelchen Angst-Gefühlen keine Zeit. Nur ein kurzfristiges Zittern, das seinen Körper wie einen Fieberschauer erfasste, vermittelte dem Zehnjährigen ein noch undeutliches Gefühl hautnahen Bedrohtseins, der Schutzlosigkeit gegenüber einer übermächtigen Gewalt. Er erfuhr – ohne sich dessen bewusst zu sein – eine tiefer gehende Erschütterung seines Urvertrauens in eine immerwährende Geborgenheit. Gerade die Kellerräume des großväterlichen Hauses hatten für ihn, die Mutter und seine Brüder, in den vorangehenden Jahren der nächtlichen Fliegeralarme und der bedrohlichen Überflüge die Bedeutung von Flucht- und Schutzhöhlen angenommen; so versteckten und verkrochen sie sich unten in der Kellerhöhle, während oben tausend Lancaster-Bomber über Haus und Stadt hinwegflogen. Das Stunden andauernde, an- und abschwellende, mal dumpfe, mal heulende Dröhnen einer Masse von Flugzeugmotoren setzte alles in Vibration und löste in ihm quälende Angstgefühle aus, die er bis zu diesen Nächten nicht gekannt hatte.
Jetzt, während dieser Minuten von 14:02 bis 14:04 des 22. Februar 1944, schien es, als habe der Schock alle Angstgefühle in einem Punkt der Exaltation gerafft und konzentriert – und als habe diese Exaltation die Angst in ihm ausgebrannt wie ein Geschwür. Er fühlte sich auf irgendeine Weise ins Freie geworfen. Rechenschaft darüber, was in ihm vorging, konnte sich der Zehnjährige nicht geben. Erst Jahrzehnte später sollte sich offenbaren, dass die Ausbrennung Wunden hinterlassen hatte. In Alpträumen erschien das Geschehen des 22. Februar in einer fremden Landschaft.
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