Blitzschlag – Spuren der Zukunft

Blitzschlag – Spuren der Zukunft
Автор книги: id книги: 1990275     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 1358,91 руб.     (15,07$) Читать книгу Купить и скачать книгу Купить бумажную книгу Электронная книга Жанр: Языкознание Правообладатель и/или издательство: Bookwire Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783903271968 Скачать фрагмент в формате   fb2   fb2.zip Возрастное ограничение: 0+ Оглавление Отрывок из книги

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Описание книги

Der Klimawandel hat zugeschlagen. Die globale Ernährungskrise eskaliert. Und Peter hat die Lösung: mit gesteuerter Evolution schafft er klima-resistenten Weizen. Da trifft ihn ein tödlicher Blitzschlag. Aber es hatte kein Gewitter gegeben. War er Opfer seiner bahnbrechenden Erfindung geworden? Tochter Laura übernimmt die Aufklärung als Sonderermittlerin. Ihre Aufgabe wird täglich gefährlicher: Entführung im autonom fahrenden Wagen, Attacken auf ihre Firma, Ziel skrupelloser Brain Hacker … Mächtige Geheimorganisationen missbrauchen Peters Technik der Informationsübertragung für grauenvolle Manipulationen von Gehirnen und künstlicher Intelligenz. Doch Laura gibt nicht auf, sie wächst mit jeder neuen Herausforderung. Rückschläge und Siege, enttäuschte und erfüllte Liebe – Laura geht ihren Weg…

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Hans-Dieter Betz. Blitzschlag – Spuren der Zukunft

Impressum

3 Spuren der Vergangenheit. Teuflisches Projekt. Unheimliches hatte sich schon lange Zeit vor dem tödlichen Blitzschlag zusammengebraut. Die Eskalation des Schreckens hatte eine Vorgeschichte. Früh am Morgen im Büro angekommen, hörte Aldo als Erstes die Nachricht „komm sofort in den abhörsicheren Besprechungsraum“. Offensichtlich war sein Boss noch früher als er eingetroffen und hatte eine neue Idee ausgebrütet. Als eng vertrauter Angestellter der Klinik arbeitete er „nebenberuflich“ in einer höchst geheimen Unternehmung. Daher fühlte sich Aldo als Komplize und nannte seinen Vorgesetzten schlichtweg ‚Boss’, all dessen honorige Titel ignorierend. „Aldo“, begann der Boss vielsagend, „ich habe ein neuartiges Projekt, höchst interessant für unsere Gruppe. Den ersten Teil führt schon mein bester Externer aus, der wegen einer Gehirn-Optimierung bei uns war und seitdem sagenhaft leistungsfähig ist. Er eignet sich auch wegen seiner internationalen Verbindungen, die wir benötigen. Eine tolle Chance für uns. Du bist für die Strategien zuständig, deine Helfer sorgen für die Detailschritte. Schau dir die Unterlagen an.“ Nach kaum einer halben Stunde stürmte Aldo zu seinem Boss: „Phantastisch, dieses Spezialverfahren brauchen wir als Ergänzung zu den Nanos. Damit decken wir alles ab und kommen mit BrainHacking schneller voran.“ Er warf sich in den Sessel und schnaufte erregt: „Bombastisch, eine große Nummer. Obwohl riskant und aufwändig, neue Entwicklungen, Testreihen, Personal, Aufwand für Geheimhaltung und mehr unvermeidliche Spezialeinsätze.“ „Kein Problem“, entgegnete der Boss selbstsicher, „unser Gönner wird zahlen. Das Thema gewinnt an Bedeutung, weltweit. Er ist heiß auf unsere Ergebnisse. Je schneller wir vorankommen, desto besser für ihn, und natürlich auch für uns.“ „Geht klar“, freute sich Aldo, „ich werde die Überwachung dieser Kornbrüder intensivieren und suche Insider-Kontakte zu allen beteiligten Spielern; ich hab’ schon Ideen.“ Das Projekt nahm Fahrt auf. Bald kam eine Neuigkeit; der Boss klingelte Aldo an: „Unsere Spionageagentur hat sich gemeldet: Die Weizenfans besorgen sich Anbauflächen in Auslandsgebieten. Das ist mir ein Schritt zu viel, die dürfen nicht zu stark werden, bevor wir alles Nötige abgesaugt haben. Wir könnten mit einem kleinen Zusatzplan eingreifen, den unser Kontaktmann ausführt – das wäre nämlich ebenfalls genau sein Ding. Und du hältst die verdeckte Verbindung und überwachst den Ablauf, klar?“ „Sicher, Boss“, ereiferte sich Aldo, „wird gemacht.“ Der Boss legte die Stirn in Falten und dachte laut nach: „Wir müssen testen, wie viel Druck nötig ist. Unser Mann soll sanft beginnen und, falls nötig, den Knüppel aus dem Sack holen. Wir haben unsere Ziele noch nicht erreicht, es muss besser laufen.“ In Wahrheit konnte die Wirkung der früheren Attacke im Ausland nur rein technisch als gelungen gelten. Dennoch klopfte sich Aldo genüsslich auf die Schenkel und prahlte: „Was für ein Erfolg! Denen haben wir’s gezeigt. Deren Projekte werden gehörig verzögert. Gut dass unsere Kontaktleute vor Ort einiges Kleingeld locker gemacht haben.“ „Schon gut, Aldo“, erwiderte der Boss einschränkend, „der Erfolg wird nicht von langer Dauer sein, die lernen dazu. Außerdem amortisieren sich die erbeuteten Ausrüstungen noch nicht und an der Heimatfront fehlen die benötigten Forschungsdaten.“ „Stimmt“, gab Aldo zu, „wir müssen mehr tun, vielleicht den Wadi-Stamm für unsere Sache überzeugen? Die könnten dafür Beutematerial am Schwarzmarkt verkaufen. Ansonsten warten wir mit der nächsten Abholaktion, bis die Lager wieder voll sind?“ „Wäre zu überlegen“, erwiderte der Boss, „sofern die Sicherheitsmänner, die sie jetzt angeheuert haben, nicht zu zahlreich und zu stark bewaffnet sind. Auf keinen Fall dürfen wir bei der Sache zu viele Leute ins Paradies schicken. Sonst werden die Behörden wachgerüttelt und unsere Partner bekommen Ärger. Lass uns neues einfädeln.“ „Na, da bin ich mächtig gespannt.“ „Es gibt eine Maklergruppe, die weltweit Anbauflächen und Agrarfirmen handelt. Da ist nämlich unser Kontaktmann tätig, der gerade in Kiralistan gezeigt hat, was er kann. Ich ließ ihn Kaufangebote lancieren, zuerst auf sanfte Weise. Das hat nicht funktioniert. Daher der erste Schuss in Kiralistan, um einem Sinneswandel auf die Sprünge zu helfen. Als Nächstes wäre wieder die Übernahme-Taktik dran, aber diesmal ein wenig kräftiger.“ „Verstehe, das ist etwa so wie Zuckerbrot und Peitsche.“ „So ähnlich. Wir können den Preis erheblich steigern, jeder ist käuflich.“ „Richtig“, erwiderte Aldo, „kostet uns selbst nichts. Und wenn’s wieder nicht klappt?“ „Hm“, knurrte der Boss, „dann machen wir auf spezielle Art und Weise eindringlich klar, dass es ansonsten rundum massive Konsequenzen geben würde. Realistischerweise sollten sie das verstehen und nicht mehr ablehnen.“ „Würde ein Übernahme-Coup nicht unnötig Aufsehen erregen?“ „Nicht unbedingt, die würden unter anderer Leitung weiterarbeiten. Uns geht es vordringlich um Zugriff auf deren internes Wissen, das uns noch fehlt.“ „Und wenn diese Angebote nichts fruchten?“ „Dann lassen wir der Firma erklären, dass kritische Enthüllungen öffentlich auftauchen könnten, mit Folgen bis zum Konkurs. Das sollte zünden, weitere Ablehnung wäre äußerst riskant für sie. Erwähne aber keinesfalls, dass wir gewisse Dokumente besorgen und ein wenig frisiert für kluge Verwendung bereithalten, klar?“ „Interessant“, grinste Aldo zu den Einfällen seines Chefs, „lass mehr hören.“ „Es ist mir geglückt, einen kleinen Mittelsmann zu überzeugen, ein wenig für mich zu tun, natürlich nicht nur als Freundschaftsdienst. Er ist harmlos und soll mir ein paar Datenblätter besorgen, die er bei seiner Freundin kopieren kann. Das ist alles, er kennt weder mich noch unsere Absichten, wir haben das Zeug bald in der Hand.“ Geheimnisvoll fügte der Boss gedämpft hinzu: „Ich hab noch einen Dreh in petto, legal, aber kompliziert. Unser Makler wird ‚unabhängig‘ mit dem weltgrößten Agrarproduzenten sprechen, damit dieser – ganz im eigenen Interesse – seine Kontakte zur Zulassungsbehörde clever nutzt. So würde unser Weizenzüchter in Engpässe geraten und wir könnten die Beute leichter reinholen. Ich müsste notfalls mit unserem Financier einen doppelten Whisky trinken.“ Aldo schaute fast überzeugt drein: „Okay, einer der Knüller wird schon passen.“ „Wir gehen in die Schlussphase, möglichst ohne Rauch aufsteigen zu lassen. Doch notfalls, wenn nichts fruchtet, müssen Führungspersonen dran glauben. Ich hab eine einmalig clevere Idee im Visier, einen tollen Blitzschlag – im wahrsten Sinne des Wortes –, und dafür kenn’ ich einen äußerst fähigen Typen, der mir verpflichtet ist. Du würdest staunen. So was hat die Welt bisher noch nie gesehen … “ Plantax-Gruppe. Peter stöhnte. Diese dauernden Anfeindungen in Kiralistan. Beispiel Drohnendiebstahl: Hatten die Gegner trotz Geheimhaltung herausgefunden, dass die von MetMod, den Wettermachern, entwickelten Drohnen die Luftfeuchte regulieren konnten? Niemand anders vermochte Pflanzen luftbasiert mit Wasser zu versorgen. Hoffentlich war noch nicht durchgesickert, dass die Züchtung von AllCorn erhöhte Aufnahmebereitschaft von Luftfeuchte wie bei Wüstengewächsen gewährleistete. Dann gestern dieser Anruf. Ein Firmenmakler wollte im Auftrag eines Interessenten die ganze GenTra aufkaufen. Peter klingelte nach seiner Chef-Assistentin Conny. Es gab Wichtiges zu regeln. Sie wirbelte fröhlich blickend in das Büro. Ihre dunklen Haare hingen halb über die Schultern und verdeckten den Kragen ihrer cremefarbenen Bluse, der knielange rote Rock betonte die schlanke Figur und flatterte bei ihrem schwungvollen Gang. Achtundzwanzig, mit einem Informatiker verheiratet, kinderlos, sprühte sie vor Ideen. Vor zwei Jahren war sie gleich nach dem Biologie-Studium mit Schwerpunkt Gentechnik zur GenTra gekommen. Nachdem sie in verschiedenen Abteilungen auffallend erfolgreich gearbeitet hatte, stieg sie zu Peters persönlicher Assistentin auf. Sie schwang sich in den Sessel am kleinen Besprechungstisch und schaute Peter erwartungsvoll an. „Das Kaufangebot habe ich rundweg abgelehnt“, begann Peter, „ich fürchte, das hängt mit den Angriffen auf Kira-1 zusammen. Ich sollte Edo anweisen, unsere Sicherheitsvorkehrungen massiv zu verstärken.“ „Ist wahrscheinlich nötig“, pflichtete Conny bei. „Mehr noch: Wäre es jetzt an der Zeit, die diskutierte ständige Expertenrunde einzurichten, die sich mit der Optimierung von AllCorn beschäftigen soll – und neuerdings mit dem Schutz der GenTra?“ „Trifft ins Schwarze, das habe ich mit Michel schon vorgesehen. Wegen der gefährlichen Attacken wird so eine Kerntruppe umso wichtiger. Die interne Projektgruppe könnte Plantax heißen. Überlege, wer dabei sein sollte. Es dürfen nicht zu wenige sein, denn wir müssen alle Fachgebiete vertreten, die in der GenTra nicht ausreichend besetzt sind. Aber auch nicht zu viele, damit es leichter fällt, unsere Entwicklungen noch für eine Weile streng vertraulich zu halten.“ „Okay, mach’ ich. Unsere fünf eigenen Führungsleute dürften klar sein. Dazu Vertreter der engsten und bewährten Partnerfirmen, auf deren Know-how wir angewiesen sind. Ich denke an Nutrica, MetMod und HighBrain.“ „Einverstanden. Sprich mit Edo und stelle ein Memo zusammen.“ Conny war am nächsten Tag mit dem Entwurf fertig und projizierte dem Team die Liste mit den ausgewählten Teilnehmern auf den Wandschirm: Plantax-Arbeitsgruppe

5 Turbulenzen. Gedenken. In der GenTra war die Hölle los. Der Tod des Chefs hatte sich schneller herumgesprochen, als eine Nachricht an die Mitarbeiter geschickt werden konnte. Gestern bereits war über den tragischen Unfall in allen Medien berichtet worden. Peters Geschick berührte die Angestellten so stark, dass sie Conny bedrängten, mehr darüber zu erfahren. Sie beriet sich mit Jack und entschieden, eine Mitarbeiterversammlung einzuberufen. Besonderes Anliegen war es, alle Angestellten zu beruhigen und jeder Abteilung zu vermitteln, wie weiterzuarbeiten war. Die einzige führungslos gewordene Gruppe war die von Peter, sie ließ sich vorerst durch Conny und Jack leiten. Wichtig war auch die Ankündigung, dass Laura die Nachfolge von Peter antreten und sich bald vorstellen würde. Ihre Entführung sollte nicht publik werden. Angesichts der bekannten Umstände würde von vornherein jeder Verständnis zeigen, dass sie sich heute nicht selbst präsentierte. Das neueste AllCorn Desaster mit der Produktqualität war den Mitarbeitern noch nicht bekannt. Gerade an dieser Front würde es zu Projektänderungen kommen, wenn sich die problematischen Nebenwirkungen bewahrheiteten. Doch das war derzeit ungewiss und somit sollte das Thema unerwähnt bleiben. Schnell hatte sich der große Versammlungssaal gefüllt, niemand wollte dieses bewegende Treffen versäumen. Conny hatte eiligst mehrere Bodenvasen mit großen weißen Lilien auf das Podium stellen lassen, um dem traurigen Anlass symbolisch Ausdruck zu verleihen. Edo hatte das Überwachungssystem persönlich kontrolliert. Nur Angestellte waren zugelassen, es durfte kein Fremder zugegen sein. Jack übernahm die Leitung. Er fand die passenden Eingangsworte, beschrieb den Unfall, beruhigte die Angestellten, versprach kontinuierliche Weiterarbeit und wandte sich dann dem Wirken Peters zu „Ihr wisst, dass Peter diese Firma mit vielen Ideen, Geschick und Ausdauer führte. Wir alle arbeiten für wichtige Ziele und wollen auf diese gemeinsam zugehen. Jetzt ist der Moment, euch über den vergangenen und geplanten Weg Peters zu informieren. Viele unter euch haben es selbst miterlebt, aber die anderen sollen auch erfahren, wie sich die Firma und ihr Highlight entwickelt haben. GenTra, genauer GenTransTec Corporation, entstand aus Peters Mission, eine Antwort auf die wachsende Ernährungskrise zu geben. Er sah die wichtigste Ursache ganz klar: ein falsches Verständnis von Wirtschaftswachstum, das nicht grenzenlos sein konnte. Die Folge: Ausbeutung der Ressourcen, Zerstörung natürlicher Gleichgewichte, Verschwinden von Millionen von Arten, Überbevölkerung, Verringerung bewohnbarer und bewirtschaftbarer Gebiete, Klimawandel … ihr habt das tausendfach gehört. Trotz hoffnungsvoller neuer Wege sind die Probleme nicht überwunden. Daher lautete Peters Beitrag: Verbesserung der Ernährungsgrundlagen, nachhaltig, weltweit, jetzt. Es bedurfte einigen Mutes. Die globalisierte Weltwirtschaft bewirkte, dass wenige große Agrar- und Chemiekonzerne den Weltmarkt in allen Bereichen der Ernährung aufteilten und kontrollierten. Kleinen Firmen verbleibt kaum eine Chance, die Zukunft innovativ mit zu gestalten, weil in den noch verfügbaren Nischen der Aufwand immer höher und mögliche Verkaufsgewinne immer niedriger wurden. Warum wagte Peter es dennoch? Er hatte die einzigartige Vision, man könne die Natur selbst zu gewünschten Evolutionssprüngen anregen, um stabile Pflanzen zu ‚erschaffen‘, perfekt an die jeweils vorhandene Umgebung angepasst. Ja, eine verrückte Idee. Peter stellte sich das so vor: Wenn Pflanze und Umgebung als einheitliches Gesamtsystem gesehen werden, könnte die DNA des Organismus bei der Vermehrung zusätzlich durch Umgebungsfaktoren beeinflusst werden. Peter nannte das translokale Evolution. Er gab dieser Idee eine Chance, weil man solche passgenaue und schnelle Entwicklungssprünge höchst überraschend schon bei Tieren beobachtet hatte. Das bestärkte Peters Ansicht, dass Evolution nicht wie nach Darwins Lehre nur reinem Zufall folgte, sondern auch weiterreichende Wechselwirkungen dahinterstecken mussten – eine neue Dimension, deren Nutzung einen wertvollen Durchbruch bedeuten würde. Theorien hin oder her, der Beweis war anzutreten. Dafür bedurfte es eines potenten Partners. Glücklicherweise fand Peter ideale Möglichkeiten für Kooperation in der NutricaTec Group, die Grundnahrungsmittel erzeugt. Dort hatte sein langjähriger Freund und Studienkollege Michel Miller gerade ein Projekt zu ‚Aqua-Nahrung‘ abgebrochen, weil die geernteten Algen und andere Meerespflanzen zu viel Mikroplastik enthielten, die sich nicht auf wirtschaftliche Weise herausfiltern ließ. Da kam Peter mit seiner Idee zur richtigen Zeit. So wurden wir Partner und begannen auszuprobieren, ob sich Saatgut mit Peters revolutionärer Methode tatsächlich herstellen ließ. Nach vielen Fehlschlägen zeigte sich der erhoffte Erfolg. Wir tauften unser erstes Produkt ‚AllCorn‘, ein Weizen nach Plan, mit unvorstellbaren Vorteilen: Anbau auf unwirtlichen Böden, ohne Chemie, keine künstliche Bewässerung, zwei Ernten im Jahr. Er gedeiht jetzt auf vielen großen Versuchsfeldern und rechtfertigt unser ehrgeiziges Ziel: Anbau in großem Stil für die Belieferung des Weltmarkts. Nachhaltig, bei angepasstem Düngen und Fruchtwechsel mit verwandten Sorten. Peters Traum sollte endgültig zur Realität werden. Wir werden daran gemeinsam weiterarbeiten, künftig unter Führung von Laura Freudberg, doch stets an Peter denken, dem wir all das verdanken. Er würde sich über eure Loyalität freuen. Vielen Dank euch allen, für eure hervorragende Mitarbeit.“ Frenetischer Beifall ließ den Saal vibrieren. Die Liste des Post-Doc. Früh am Morgen waren Olaf und ein Beamter in einem Sicherheitsfahrzeug pünktlich bei Laura erschienen, um sie in die Firma zu fahren. Dort prüften sie zuerst, wie die Sicherheit Lauras in den öffentlichen Bereichen innerhalb der GenTra zu gewährleisten war und verifizierten: Ausgebildete Personenschützer standen zur Verfügung. Olaf war zufrieden und verabschiedete sich. Nach Ende der Betriebsversammlung traf sich Edo mit Laura. Sie mussten unbedingt über die Funde auf dem Chip sprechen und einen Plan für die Sichtung des Materials entwerfen. Sie fragte, ob eine KI-basierte automatische Auswertung möglich wäre. Leider schied das aus, weil ihnen keine geeigneten Schlüsselworte bekannt waren. Eines war aus den Titelzeilen klar: Es ging nicht nur um Weizen und Agrarthemen. Aber worum noch? Bei dem vermeintlichen Post-Doc handelte es sich tatsächlich um einen erfahrenen Spezialisten, der für staatliche Auftraggeber an geheimen Aktionen arbeitete. Das erwies der Schriftwechsel, der ohne Vorkenntnisse leider nur bruchstückhaft zu verstehen war. Immerhin, häufig auftauchende Stichworte lauteten Projekt-1, Projekt-2, Informationsübertragung, Gehirnleistung, und BrainHacking. Der Hauptteil der Dokumente bestand aus einer Sammlung wissenschaftlicher Literatur, jedoch nicht nur öffentlich zugängliche Publikationen, sondern überwiegend nicht publizierte Laborarbeiten aus aller Welt. Die Themen streuten breit und umfassten Getreideproduktion, Gehirnforschung im weitesten Sinne, Massenpsychologie, Neuromedizin, Implantationsverfahren, Biotechnik und Evolution. Interessanterweise fand sich ein Blatt mit dem Titel „Zielführende Highlights der Forschung“, ärgerlicherweise ohne Inhalt. Da die Fußzeile die Bezeichnung „Version 3“ aufwies, musste es den Text gegeben haben. Doch nirgends fand sich das vollständige Dokument. Zu dumm, denn ohne konkrete Hinweise auf relevante Stellen in den unzähligen Literaturfiles auf dem Chip war es aussichtslos, das Entscheidende zu finden. Edo schien zu resignieren: „Mir fällt nichts mehr ein, was uns weiterbringen könnte.“ „Lass uns noch die letzten ‚Notizen‘ ansehen“, antwortete Laura, „bevor wir aufgeben.“ Sie arbeiteten sich weiter durch die Dateien. Doch sie fand ausschließlich schwer verständliche Inhalte, es fehlten die Hintergrund-Informationen. Beim letzten Blatt hielt Laura inne: „Du, das erscheint mir höchst interessant. Was könnte das bedeuten?“ Die Seite war kurz. Nach der Überschrift „Wichtige Personen – Einzelrecherchen“ folgten nur drei Namen: „Kasimir, Racco, Tabuntao“. Sonst nichts. Vornamen, wie sie in aller Welt zu finden waren. Doch dann erinnerte sich Laura an die Mail, in der von der „Partnerorganisation K“ die Rede war. Könnte ‚K’ für Kasimir stehen? „Das werde ich nachprüfen“, sagte Laura, „am besten mit Enrico.“ Drei Minuten später versprach Enrico, seine Dienstkontakte zu bemühen. Post auf Sonderwegen. Der gläserne Aufzug brachte Laura zum kleinen Besprechungsraum in Peters Büroräumen in der obersten Etage, wo sich kurz darauf auch Jack, Conny und Edo einfanden. Es war ein freundlich heller Raum, ausgestattet mit den neuesten technischen Raffinessen, elektronisch abgeschirmt, so dass auch ausgeklügeltste Lauschangriffe keine Chance hätten. Daher mussten die persönlichen Teldexer auch nicht in eine extra Abschirmbox eingeschlossen werden. Sie nahmen um den breiten Tisch herum Platz und Connys Büroassistentin servierte die VIP-Versorgung mit Getränken und Häppchen, obwohl sie auch auf die Bedienung durch Roboter hätten zurückgreifen können. Edo gab einen Überblick betreffs Vorsichtsmaßnahmen, inklusive der Teldexer, die funkgesteuert in Echtzeit aktualisiert wurden. Es folgte eine Diskussion über die anonyme Sendung, deren Umstände und Hintergründe Rätselraten auslösten. Laura fragte: „Warum wollte der Absender anonym bleiben? Und warum hat er einen falschen Namen als Absender verwendet, wohl wissend, dass solche Post entweder zurückkommt oder im Abfall landet. Warum nimmt er dieses Risiko in Kauf, wenn er die Sendung als sehr wichtig einstuft?“ Sie versuchte, selbst eine Antwort zu geben: „Der Mann ist vorsichtig und hat Angst. Er möchte unentdeckt bleiben, um sich nicht mit höchstwahrscheinlich gefährlichen und hochgerüsteten Verbrechern anzulegen. Daher kann er sich der GenTra nicht direkt offenbaren, das wäre zu riskant.“ „Klingt plausibel“, gab Edo zu, „zumal es nicht mehr einfach ist, handfeste Post anonym zu senden. Da hat er sich offenbar überlegt, dass ein Päckchen mit verfälschter Adresse zwar nicht direkt an den eigentlich gewünschten Empfänger gelangt, aber doch näher angesehen werden könnte, zumal wenn der Absender mit bekannten Firmennamen große Ähnlichkeit hat, wie das hier der Fall ist.“ Laura erkundigte sich ungeduldig: „Was war nun in der Sendung wirklich enthalten, ich habe bisher nur ein paar Gerüchte gehört.“ Jack gab Auskunft: „Ein dicker Analyse-Bericht. Peter hatte mich und Conny nach dem Lesen gerufen und wir haben jedes Blatt gemeinsam überflogen. Irritierend war, dass man nicht erkennen konnte, wer den Bericht verfasst hatte. Die meisten Seiten waren Zahlenkolonnen, aber am Ende kamen Bewertungen zu Testserien, in welchen Unverträglichkeiten bei ausgewählten und zufälligen Probanden festgestellt wurden. Da gab’s anscheinend harte Fälle, einige Personen mussten in die Notaufnahme. Wir dachten erst, das kann nichts mit uns zu tun haben, denn solche Produkte gibt es bei uns doch gar nicht, und selbst wenn, dann würden sie unser Haus niemals verlassen.“ Conny warf kopfschüttelnd ein: „Zu dumm, wir haben die Zahlen analysiert und festgestellt, dass es sich um Versuche mit AllCorn handelt. Allerdings sind diese Blätter nicht die Art von Dokument, die wir aus dem Prüflabor von Nutrica erhalten; es sieht wohl eher wie ein Anhang zu einem internen Nutrica Bericht aus, den wir nicht kennen. Nutrica hat uns wunschgemäß stets nur die zusammengefassten Ergebnisse mit Bewertungen zugestellt, ohne das dahinterliegende umfangreiche Zahlenmaterial.“ „Das ist so gewollt“, ergänzte Jack, „wozu haben wir die Aufgabenteilung mit Nutrica? Selbstverständlich müssen wir uns stets auf den Partner verlassen können.“ Laura fragte: „Und, können wir uns auf sie verlassen? Sind die berichteten Nebenwirkungen echt oder gefälscht? Haben wir ein AllCorn-Problem, ja oder nein?“ Jack sagte: „Genau das klären wir mit der Auswertung der Originaldaten von Nutrica. Dann sehen wir ohne Zweifel, ob es Probleme gibt. Das dauert leider noch.“ „Ich vertraue Michel“, bekundete Conny, „er hätte allenfalls kleinere Überschreitungen von Grenzwerten toleriert und ansonsten Alarm geschlagen. Zuvor hätte schon Petra die Glocken geläutet, weil sie in der Analyseabteilung von Nutrica verantwortlich ist und am Beginn der Prüfkette steht.“ „Es ist kompliziert“, schaltete sich Edo ein, „einerseits, wenn die Analyse der echten Daten intern zum Ergebnis ‚gut‘, jedoch in der anonymen Version zu ‚schlecht‘ führt, dann manipuliert jemand. Andererseits, wenn unsere Ergebnisse in Wahrheit schlecht sind, aber intern als ‚gut‘ erscheinen, kann die ‚Bereinigung‘ nur im Bereich von Petra passieren – aber wer hätte daran Interesse? Also: Gute Daten in ‚schlecht‘ zu verfälschen wäre etwas für Gegner, die uns schaden wollen. Da kommen Externe ins Spiel.“ Laura hakte ein: „Gibt es in der Produktanalyse ein Leck? Kriminelle könnten die Daten entweder im Stil von Hackern abgreifen oder von einem internen Verräter erhalten, manipulieren und eigene Bewertungen erfinden. Jedenfalls verfügen sie über Originaldaten und Berichtsblätter mit der Struktur, die wir intern verwenden.“ „Zu viel der Spekulation“, beklagte Jack, „selbst Peter wollte nicht ausschließen, dass Michel in den Schlamassel involviert sein könnte. Obwohl er selbst, wie auch wir alle, dies für abwegig halten. Daher wollte er unsere Ergebnisse der Analyse-Prüfung abwarten, bevor er Michel und die anderen Leiter der Nutrica angeht. Wir dürfen uns nicht mit falschen Anschuldigungen blamieren und das Klima unnötig vergiften. Auf jeden Fall werden wir Petra im Auge behalten.“ Conny sorgte sich: „Die Hintermänner könnten gefährlich werden, wenn Spezialkommandos dahinterstecken. Da bliebe kein anderer Weg als Polizei und Staatsanwaltschaft einzuschalten.“ Sie schaute Laura an und meinte: „Es ist gut, dass du zusammen mit Enrico Nachforschungen planst. Das ergibt Möglichkeiten, die uns in der GenTra nicht offen stehen. Hoffentlich schnappt ihr bald einen der Übeltäter.“ „Hast du schon Handschellen“, scherzte Edo, „und eine Laserkanone?“ „Lach nicht, ich muss immerhin einige Trainingskurse absolvieren.“ „Eines verstehe ich nicht“, kam Conny zum Thema zurück: „Warum übergibt der Anonyme die getürkten Protokolle kunstvoll uns, anstatt sich damit gleich an die Presse zu wenden?“ „Ich könnte mir vorstellen“, sagte Laura, „dass uns die Analyse gar nicht von den wahren Kriminellen zugestellt wurde, sondern von einer anderen Person, die mit den Kriminellen in Kontakt steht, deren böse Absichten kennt, uns aber entweder wegen weiterer Information erpressen oder vielleicht nur ‚freundlich‘ warnen möchte.“ Jack stieß lauthals hervor: „Verflixt, ein ganz neuer Aspekt, aber warum sind die Dokumente kurz darauf bei uns gestohlen worden? Das war nicht die gleiche Person, die die Papiere eingeschleust hat.“ „Richtig. Aber“, fragte Laura nachdenklich, „wie konnte die Box leer sein? Entweder hatte Peter die Papiere im Büro wieder herausgenommen, oder sie waren gestohlen worden, nachdem Peter die Box abgegeben hat und bevor ich sie geöffnet hatte.“ „Letzteres“, gab Edo grimmig von sich, „denn sonst müssten die Akten in Peters Büro liegen, da sind sie aber nicht. Der Diebstahl muss sich hier im Hause ereignet haben. Auf dem Heimweg trug Peter die Mappe selbst, und gleich nach den Unfall waren Constanze, die Sanitäter, die Polizei und wir am Unfallort, da sehe ich keine Chance, eine illegale Öffnung zu bewerkstelligen, ohne dass es jemand bemerkt hätte.“ Laura warf ein gewichtiges Argument ein: „Der Dieb muss ausgezeichnet und höchst aktuell informiert gewesen sein. Nur wenige wussten von der Sache. Für mich ist das eine erste heiße Spur: Entweder war es ein Insider, oder es gibt ein gewaltiges Leck.“ Edo meinte: „Jemand hackt unsere Kommunikation, entweder selbständig oder mit Hilfe eines Insiders. Ich habe schon die Sichtung aller Infokanäle, Ü-Kameras und Türen veranlasst. Wir müssen auch nachsehen, ob eine verdächtige Person auf den Videos auftaucht. Das dauert bis morgen, denn ich kann dafür nur das zuverlässigste Personal heranziehen.“ „Fassen wir zusammen“, leitete Jack das Ende der Besprechung ein: „Bei GenTra und Nutrica sind sowohl Datenlecks als auch untreue Mitarbeiter zu vermuten. Zudem tanzen verschiedene externe Kriminelle auf unserem Rücken herum. Shit hoch drei.“ Laura besänftigte: „Wir haben mehrere plausible Spuren, da dürfte es doch nicht so schwer sein, die Täter dingfest zu machen. Lasst uns einen Aktionsplan aufstellen.“ Laura schlug lächelnd vor, sie könne noch mal versuchen, zu Michel zu fahren, um sich als Nachfolgerin ihres Vaters vorzustellen und die Firmen-Kooperation zu besprechen. Im günstigen Fall würde sie die ungeklärten Produkt-Nebenwirkungen aufs Tapet bringen; andernfalls müssten sich Jack und Edo dieser Aufgabe widmen. Lauras Teldexer summte, Enrico strahlte sie an: „Stell dir vor, Alfredo hat unterschrieben. Du bist im Team! Herzlichen Glückwunsch!“ Es hagelte Gratulationen von allen Seiten. Laura atmete tief durch. Der Nachlass. Mit neuen Plänen im Kopf kam Laura nach Hause. Sie fand Constanze in guter Verfassung, Melinda und Robert hatten sich aufopfernd um sie bemüht. Schon im Foyer umarmten sie sich innig. Robert war lange damit beschäftigt gewesen, im Garten Laub und kleine Äste einzusammeln, die im Sturm von den Bäumen gefallen waren. Die Arbeit hatte ihn von der traurigen Tatsache abgelenkt, seinen einzigen Sohn verloren zu haben. Melinda war damit befasst, Papierkram und Organisatorisches zu sortieren. Es gab viel zu regeln. Der Bekanntenkreis, der zu benachrichtigen war, erwies sich als größer als zuvor gedacht. Dann ging es um die Nachlassregelung; sie hatten eigentlich geplant, diese erst nach angemessener Trauerzeit anzugehen, aber die Verantwortung für die GenTra ließ ihnen keinen Spielraum. Die Firma durfte nicht zu lange ohne neue Geschäftsführung sein und Laura sollte zügig übernehmen. Fabrizio hatte sie bereits am Vortag über die wichtigsten rechtlichen Punkte informiert und danach alle nötigen Unterlagen vorbereitend zusammengestellt. Falls sie in entsprechender Verfassung wäre, würde am morgigen Vormittag der Notartermin anberaumt werden. Laura schaute ihre Mutter an: „Bevor ich morgen mit Peters Nachfolge konfrontiert werde, sollte ich wissen, was Vater dazu in seinem Testament festgelegt hat, ich … “ Constanze unterbrach sie: „Ja, du solltest Gewissheit haben. Lass uns nachschauen, es dürfte im Bürotresor liegen. Gehen wir rüber.“ Alle zusammen betraten Peters Arbeitszimmer und sahen auf dem Schreibtisch und in Regalen einige Unterlagen, Mappen, Ordner und Speichermedien, in drei Rubriken sortiert: Behörden, private Vorgänge, sowie geschäftliche Akten- und Datenträgersammlungen. In einer Box „Aktuelles“ fanden sich Unterlagen zu den Planungen, die bei GenTra im Gange waren. Es gab aber keine Ordner zur Vorgeschichte der Firmengründung und Peters wissenschaftlichen Studien und Erfindungen. „Wie ordentlich“, staunte Melinda, „ich bin auf den Tresor gespannt.“ Constanze holte den langen und mit vielen Kerben versehenen Schlüssel aus ihrem Schlafzimmer, steckte ihn in das Schloss des Wandtresors, hielt nach einigen Umdrehungen inne, wandte sich einem unspektakulär erscheinenden Bild zu, das neben dem Tresor an der Wand hing, schob hinter dem unteren Rand des kräftigen Rahmens eine von vorne nicht sichtbare Abdeckung zur Seite und drückte mit einem Finger auf die freigelegte Fläche; danach drehte sie den Schlüssel weiter und der Tresor öffnete sich. Sie erklärte sachkundig: „Peter liebte es, massive mechanische Schlösser mit elektronischen Sicherungen zu kombinieren. Der Finger-Scan am Bilderrahmen ist eine DNA-Analyse, die zwar keine echte DNA-Sequenzen oder gar Gen-Defekte liefert, aber personell einzigartige charakteristische Merkmale abtastet und prüft, ob sie auf Peter, mich oder euch Kinder passen.“ Robert nickte: „Eine beeindruckende physikalische Sensortechnik. Sie analysiert Zellkerne blitzschnell mit Mischfrequenzen kurzwelliger Laserstrahlen und hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie. Der benutzte Mini-Superrechner läuft mit Software von HighBrain. Peter war gut informiert und hat das System vor kurzem bei sich privat eingebaut.“ Im Tresor lagen Mappen mit Urkunden wie Zeugnissen, Versicherungspolicen, Grundbuchauszügen, Verträgen, Münzen, Schmuck und persönlichen Erinnerungsstücken, Kontoauszügen, Depotaufstellungen und Zahlungsverpflichtungen, ferner Hinweise für den Todesfall, wie Benachrichtigungen von Organisationen oder Personen und Kündigungen von Beiträgen und Mitgliedschaften. Zur allgemeinen Verwunderung fand sich trotz dieser perfekten Ordnung kein Testament „Könnte es bei einem Notar liegen?“, fragte Laura. „Nein, glaub ich nicht“, entgegnete Constanze, „Peter hat immer wieder Änderungen überlegt; da es ein gemeinschaftliches Testament ist, habe ich öfter unterschrieben, zuletzt vor etwa vier Wochen. Es gab keinen wesentlichen Änderungsgrund.“ „Kennst du den Inhalt?“, fragte Melinda behutsam. „Ich denke schon“, antwortete Constanze, „wir haben Privates stets gemeinsam beschlossen. Was jedoch GenTra angeht, kenne ich nur Bruchstücke.“ „Vater verschloss alle für GenTra entscheidenden Dokumente im Firmentresor“, überbrückte Laura die Stille, „falls ich dort nichts finde, bleibt Fabrizio. Da er von Anfang an die Rechtsangelegenheiten der GenTra regelte, könnte Peter auch seine privaten Nachfolgeregelungen mit ihm besprochen haben.“ „Mag sein. Aber trotz allem“, gab Constanze zu bedenken, „es fehlen eine Menge Unterlagen, die Peter gewöhnlich hier aufbewahrte. Ich denke an Berge älterer Akten, auch an Dokumente wegen der Landkäufe für GenTra, in die Laura punktuell eingebunden war. Wo ist all das geblieben? Peter wollte Hintergrund-Vereinbarungen nicht in der GenTra belassen, soweit diese dort nicht benötigt wurden. Weißt du da mehr, Laura?“ „Kaum“, versicherte Laura, „ich erinnere mich zwar ungefähr, um was es damals ging und warum diese Landkäufe nicht ausschließlich in der GenTra abgewickelt werden sollten. Aber Peter wollte mich keinem Risiko aussetzen und setzte mich nur als ‚Strohmann‘ ein. Ich musste nicht einmal persönlich finanzieren. Fabrizio versicherte mir, dass es sich dabei um übliche und legale Konstruktionen handelte, um wahre Eigentümer nicht öffentlich zu machen. Die Konkurrenz hätte nämlich daraus schließen können, was GenTra vorhatte; dann wäre unser Wettbewerbsvorteil schnell dahin gewesen. Fabrizio weiß das alles, er hat es mit Peter ausgeheckt, von Fachjuristen kontrollieren lassen, und zuletzt die Aktionen mit den Finanzbehörden abgeklärt.“ „Na ja, dann haben wir noch Möglichkeiten“, seufzte Constanze. „Wenn ich mir das durch den Kopf gehen lasse, könnte ich mir auch vorstellen, dass Peter seine ihm wichtigsten Unterlagen separat versteckt hat, vielleicht hier im Haus. Er hätte mir bestimmt noch einen Hinweis gegeben, wenn er nicht so plötzlich … “ Sie schluchzte, aber raffte sich schnell wieder auf und fuhr fort: „Er hat sicher nicht mit seinem Tod gerechnet, aber ich habe das Gefühl, dass er vor kurzem anfing, Vorkehrungen zu treffen. Ich werde morgen nach Hinweisen suchen, vielleicht hat er mir einen Anhaltspunkt hinterlassen.“ Robert hatte ruhig zugehört; nun äußerte er einen konstruktiven Vorschlag: „Ich kenne Peter und glaube auch an ein Versteck. Es gibt physikalische Methoden zum Aufspüren von Hohlräumen. Morgen probieren wir das aus.“ Es war spät geworden. Würde der nächste Tag eine aufregende Schatzsuche und hoffentlich neue Antworten bringen? Der Videobeweis. Früh am Morgen verkündete Edo bei der Teamleiter-Besprechung: „Heute erwarte ich die ersten Ergebnisse zu den Videoaufzeichnungen, ich bin äußerst gespannt, ob wir dem Rätsel von Peters leerer Aktenbox näher auf die Spur kommen.“ Zwei Stunden später sandte er eine Eilmeldung an das Team: „Ihr müsst sofort zu mir kommen, es gibt Neues, die Kameras, hochinteressant.“ Das ließen sich Conny und Jack nicht zweimal sagen und eilten hinunter zu Edos Büro. Laura und Fabrizio waren noch mit dem Notar beschäftigt. Edo hatte die Durchsicht der Videobilder gerade beendet. Die Analysen der Melder aller Türöffner, die von den Eingängen bis zur Poststelle Hinweise geben konnten, waren zwar erst für den Nachmittag angekündigt, aber Edo beschwichtigte: „Vorerst reicht aus, was wir schon haben. Seht her und urteilt selbst.“ Edo startete sogleich den Teil des Bildlaufs, der den Täter zeigte. Man erkannte die Poststelle und den Tresen, hinter dem der Diensthabende geschäftig hin und her eilte, in dieser Schicht war es Jonas Schmitt, um Poststücke zu inspizieren und einzusortieren. Dann erschien ein Mann, in unauffälligem Grau gekleidet, mit dick umrahmter Brille, den Kopf mit einer großen dunklen Schildmütze bedeckt, so dass man Stirnpartie und Haarfarbe nicht erkennen konnte. Er zeigte Jonas einen Ausweis, den dieser unter einen Scanner hielt. Dann nahm Jonas eine intern verwendete Sicherheitsbox, die er an einer bestimmten Stelle scannte. Er nickte und übergab sie dem Besucher, der daraufhin mit seiner Beute ruhigen Schrittes wegging. Conny fragte erschrocken: „Weißt du, ob es Peters Box war? Konnte der Mann, den wir sahen, als Mitarbeiter oder Besucher erkannt werden?“ „Die Gesichtserkennung kann ihn keinem unserer Mitarbeiter zuordnen. Er muss als Lieferant, Handwerker oder Besucher ins Haus gekommen sein, das ist noch zu klären. Was die Identität der Box angeht, das werdet ihr gleich verstehen, wenn ihr euch das Video anschaut, das fünf Minuten später aufgezeichnet wurde.“ Alle schauten erwartungsvoll auf den Bildschirm: Er zeigte einige Mitarbeiter, die Post abholten und brachten, und dann den Mann, wie er zurückkam, die Box wieder an Jonas übergab, die Ausweiskarte vorgezeigte, Jonas nach dem Einscannen die Box erneut in die Ablage einsortierte, und der Unbekannte gemütlich von dannen zog. Edo nahm die Frage Connys auf und erläuterte: „Es war Peters Box. Erstens gab es im gesamten Zeitraum an diesem späten Nachmittag keine weitere Einlagerung oder Abholung einer Sicherheitsbox. Und zweitens haben die elektronischen Registrierungen bei Jonas eindeutig Peter als verantwortlichen Nutzer ausgewiesen.“ „Hm“, nuschelte Jack grübelnd vor sich hin, „welche Ausweiskarte hatte denn der Mann, was muss man vorzeigen, um eine Sicherheitsbox mitnehmen zu können?“ „Das ist immer das Gleiche“, gab Edo zurück, „die Karte identifiziert die interne Nummer der Box und die ID desjenigen, der etwas abgibt oder abholt – das geht nur für Angestellte der GenTra, kein Externer darf mit Sicherheitsboxen herumlaufen. Bevor ihr weiterfragt: Ja, es war die Personalnummer eines Mitarbeiters im Außendienst, den Jonas nicht persönlich kennt und der nicht oft im Hause ist. Die Videos zeigen jedoch eine andere Person. Ich lasse gerade feststellen, ob die Karte gestohlen oder gefälscht wurde. Mein Assistent Mario kümmert sich darum.“ Conny folgerte: „Irgendwo in der GenTra muss es ein Leck geben, um an eine solche Ausweiskarte heranzukommen und diese mit der Box-Nummer zu vernetzen. Das sieht sehr nach einem internen Verräter aus.“ „Ja, leider hast du recht“, fuhr Edo fort. „Es ist noch schlimmer: Das Hauptproblem ist doch, wie der Mann die Box öffnen konnte, um die Unterlagen zu stehlen. Ihr wisst, dass wir eine Reihe von Sicherungen eingebaut haben, die hier ausgetrickst wurden. Da waren eindeutig Profis mit internem Wissen am Werk.“ Jack wollte nun wissen: „Edo, wann zeichnet die Box Videos auf, haben wir vielleicht noch bessere Bilder des Diebes?“ „Das Video schaltet sich nur ein, wenn man Öffnen oder Verschließen nicht korrekt ausführt, falsche Fingerabdrücke oder ungültige Codes benutzt. Das war nicht der Fall, der Mann kannte die Codes und hatte die nötigen Fingerabdrücke. Die Box befindet sich noch in der Detailüberprüfung; allerdings erhoffe ich mir davon nicht sehr viel.“ Conny meinte: „Wir müssen diese Entdeckung sofort an Enrico weitergeben. Laura sollte gleich nach ihrem Notartermin herkommen und das Video ansehen. Jetzt haben wir zum ersten Mal einen konkreten Personen-Verdacht auf eine Straftat, bisher war alles eher Spekulation.“ „Richtig“, stimmte Edo zu, „und mehr: Es gibt einen Grund für weitere Ermittlungen in der Angelegenheit Freudberg. Wir werden aller Voraussicht nach nicht umhinkommen, unser ursprüngliches Problem, die ominösen Nebenwirkungen zumindest in abgespeckter Form an die Behörden weiterzugeben, damit sie das in die polizeilichen Ermittlungen einbeziehen können.“ Edo räusperte sich: „Ich muss euch bei dieser Gelegenheit noch etwas berichten“, fuhr er betreten fort, „unsere Reinigungsroboter spionieren uns aus!“ „Wie bitte?“, Conny schaute ungläubig zu ihm, „was sagst du da? Die Reinigungsroboter? Soll das ein Witz sein?“ „Leider nein, ihr hört richtig, kein Witz. Wir haben das gerade bei der Inspektion der Datenströme herausgefunden. Es hilft uns nicht bei Peters Fall, aber wir müssen auch hier handeln. Ihr werdet es nicht für möglich halten: Die Reinigungsroboter, neueste Modelle auf dem Markt, verwenden Spähsoftware! An den langen Armen zum Fensterputzen befinden sich Kameras. Aber diese kümmern sich nicht nur um den Schmutz, sondern schauen auf jeden Schreibtisch, alle herumliegenden Schriftstücke und senden die Bilder an eine externe Adresse.“ „Das ist ja unerhört, so eine Frechheit“, riefen alle durcheinander. Conny fragte ungläubig: „Was sagt der Hersteller dazu?“ Edo antwortete: „Wir haben gleich den Lieferanten befragt, aber der weiß von nichts; offenbar ein neuartiger Hackerangriff. Wir müssen noch klären, seit wann das schon so geht, es kann noch nicht lange sein. Auf jeden Fall konnten wir dieses Datenleck sofort schließen.“ Conny schlug nach kurzem Nachdenken vor: „Wir sollten Putzroboter nur noch in nicht sicherheitsrelevanten Bereichen und an besonders schwierigen Stellen einsetzen. Ansonsten wären gut kontrollierte Reinigungskräfte vorzuziehen, die ihren Teldexer und andere Elektronik vorher abgeben und nur mit Putzgeräten arbeiten, die wir selbst zur Verfügung stellen. Natürlich bleibt jeder Bereich wie bisher videoüberwacht. Das wäre die einfachste Lösung, unsere Sicherheit zu gewährleisten.“ Lauras Notartermin endete, sie war nun auch offiziell die Chefin von GenTra. Eigentlich war das ein Anlass zum Feiern – doch angesichts der Umstände war gerade niemandem danach zumute. Laura schaute das Video zusammen mit Fabrizio an, der anschließend bei Enrico eine ausführliche schriftliche Anzeige ankündigte und um erweiterte Ermittlungen bat. Nach Inspektion des Videos holte sich Enrico Rückendeckung bei Alfredo. Die Schließung der Akte Freudberg war vom Tisch, Alfredo sicherte seine volle Unterstützung zu. Peters Akten. Robert hatte nachgedacht, wo sein Sohn die brisanten Dokumente versteckt haben könnte. Vorsorglich wie Peter war, musste er etwas geplant haben, wie Constanze oder die Töchter an die wichtigen Unterlagen herankommen könnten. Doch wo gab es Hinweise? Neben den beiden Tresoren in Büro und Schlafzimmer wusste niemand von einem dritten gesicherten Aufbewahrungsort. Robert ging in Peters Werkraum und suchte den Metalldetektor zum Aufspüren von Elektroleitungen: Er fand ihn bei den Elektrogeräten. Sofort begann er, die Wände in allen Räumen abzusuchen. Vergebliche Mühe, es gab nicht das geringste Anzeichen, auch nicht auf den Fußböden. Zuletzt fiel ihm noch der Abstellraum ein, der früher als Garage diente. Darin fanden sich allerlei Garten- und Freizeitgeräte, aber auch hier wurde er nicht fündig. „Melinda“, wandte er sich an seine Enkelin, die im Wohnzimmer noch mit der Vorbereitung der Beerdigung beschäftigt war, „hast du eine Idee, wo wir suchen könnten? Möglicherweise hat Peter einen Hinweis hinterlegt, der auf den ersten Blick nicht als solcher erkennbar ist.“ „Wenn wir im Haus nichts finden, sehe ich kaum eine Chance“, gab Melinda enttäuscht zurück. „Fragen wir Mutter.“ Just in diesem Moment kam Constanze zur Tür herein; sie hatte den letzten Teil der Unterhaltung gehört: „Zu dumm, dass mir Peter nichts gesagt hat. Er hatte früher mal eine Notiz in meine Schmuck-Schatulle gelegt. Schauen wir nach, auch in diejenigen, in denen ich ältere Ringe, Ketten, Manschettenknöpfe und Ähnliches aufbewahre, was ich nicht regelmäßig benutze.“ Sie ging mit Melinda zum Tresor im Schlafzimmer und nahm sämtliche Kästchen, die Schmuck, kleinere Wertsachen und persönliche Andenken enthielten, heraus. Die Suche nach Notizen oder Aufklebern an Schmuckzertifikaten begann, obwohl keiner wusste, wonach man genau Ausschau halten sollte „Lass uns noch mal alles durchsehen, was mit eigenen Beschriftungen, Worten oder Notizen zu tun hat“, schlug Robert vor. Doch ohne Erfolg. Schon wollten sie aufgeben, da fiel Constanze auf, dass in ihrer Schatulle mit dem laufend benutzten Schmuck ein Zettel lag, der eigentlich im Andenken-Kästchen sein sollte. Der Zettel schien aus einem Malbuch ihres Enkels Felix zu stammen, war voller bunter Kringel und enthielt nur das Wort „Secrets 45“ in ungelenken Buchstaben gekritzelt. „Damit könnte das Detektiv-Buch von Felix gemeint sein“, schoss es plötzlich aus Melindas Mund, „ich erinnere mich. Mutter, kennst du das?“ „Nein, kommt mir momentan nicht bekannt vor, ist zu lange her.“ „Darin werden Verstecke beschrieben, die sich ein Junge zulegen kann, Felix war damals wild begeistert, im ganzen Haus solche geheimen Orte zu suchen und auch unsere Wertsachen zu verstecken. Das Buch müsste noch hier sein, wahrscheinlich in meinem alten Kinderzimmer.“ Constanze nickte: „Wir haben alles Mögliche aufbewahrt, auch eure Jugendbücher, Spielsachen, Bilder; alles, was noch gut erhalten und dir zum Mitnehmen zu viel war. Immer wenn Felix zu Besuch war, konnte er eine Menge lesen und bemalen und war eine Weile beschäftigt. Schauen wir mal nach!“ Es dauerte keine Minute, bis das alte Buch in einem Regal mit Jugendliteratur gefunden war, das zu „Secrets“ passen könnte: „100 Geheimverstecke für junge Detektive“. Etwas zerfleddert, aber noch gut lesbar. Da ging es um Marmeladengläser, alte Socken, hinter Kommoden geklebte Umschläge, Kästchen mit doppeltem Boden … wo sollte man da suchen? Was nun? Robert dachte angestrengt nach: „Wir sind doch nicht im Kindergarten, das erscheint mir alles sehr abstrus.“ Schließlich schlug er gewitzt vor: „Schau’ doch mal auf Seite 45 nach, was steht denn dort?“ Melinda blätterte zu Seite 45 und stutzte: „Oh, das könnte interessant sein, hört mal her.“ Alle horchten auf und schauten die Seite an. Ein Meisterdetektiv erklärte dort seinen jungen Schülern ein besonders pfiffiges Versteck in allen Details: „Gehe in die Garage und suche an einer Seitenwand eine kleine runde Lüftungsklappe. Nimm sie heraus und taste in der Öffnung nach einer seitlichen Vertiefung: Stecke eine 10-Volt Kompakt-Batterie hinein und berühre die daneben angebrachte Sensorfläche mit einem Finger, sehr fest und 5 Sekunden lang.“ „Na so was“, polterte Robert los, der sich nach dieser Überraschung als Erster gefasst hatte, „das passt auf unseren Abstellraum. Wir schauen nach, so albern es klingt.“ Constanze und Melinda blickten ungläubig, sie konnten sich nicht vorstellen, dass Peter derart Kindisches ersann, aber sei’s drum. Melinda schaute sich die Seite 45 nochmals näher an und entdeckte etwas Merkwürdiges. Die Seite passte nicht zu den sonstigen Blättern im Buch – sie war extra hineingeklebt worden, offensichtlich anstelle der Original-Seite 45, aber man sah es nur, wenn man den inneren Seitenrand genau inspizierte. Robert hatte sofort eine Bestätigung parat: „Als das Buch herauskam, gab es noch keine 10-Volt Batterien. Peter hat die Seite erst kürzlich gedruckt und ausgetauscht. Klar, das ist unser gesuchter Hinweis.“ Die frühere Garage war direkt am Haus angebaut und durch eine schwere Eisentüre zu betreten. Nachdem es immer weniger private Fahrzeuge gab, wurden in vielen Villen die Garagen als Lagerraum für E-Roller, Fahrräder, Kartons und Kinderspielzeug verwendet. Zwar gab es zur Erhaltung von Individualität noch immer eigene Fahrkabinen und Transporter, bei deren Ausstattung der Phantasie kaum Grenzen gesetzt waren, vor allem im Unterhaltungs- und Komfortbereich. Aber selbst dann waren Garagen nur noch selten gefragt, da die Wagen mit Solar-Karosserien im Freien Sonnenenergie einfingen. Es gab kein Problem mit Baumharz oder Vogeldreck, die Karosserien waren schmutzabweisend und selbstreinigend. Sogar Hagelschlag war kein Hindernis, denn die Karosserien bestanden aus elastischem und recycelbarem Kunststoffmaterial, das jede kurze Verformung zurückbildete und die integrierte Flexi-Solarschicht nicht beschädigte. Neugierig eilten alle drei los. Es gab an der hinteren Garagenwand tatsächlich einen weißen Deckel, der sich leicht herausnehmen ließ und eine 9 cm breite Öffnung freigab. Robert inspizierte das Loch: Darin befand sich exakt, wie im Buch beschrieben, eine seitliche Öffnung, die eine handelsübliche 10-Volt Kompakt-Batterie aufnehmen konnte. Constanze hatte eine solche so ungläubig wie erwartungsvoll mitgebracht und Robert setzte sie sofort ein. Nichts geschah. Nun war der beschriebene Finger-Scan dran. Robert fand den Sensor, der mit einer Kappe gegen Verschmutzung geschützt war und sich zur Seite schieben ließ. Er drückte die eigentliche Sensorfläche. Ohne Erfolg. Gab es hier den gleichen Mechanismus wie am Bild im Wohnzimmer neben dem Tresor? „Klar“, korrigierte sich Robert, „das läuft personenspezifisch. Wer könnte zugelassen sein? Zuallererst Constanze. Komm’ doch mal her und drücke den Sensor.“ Alle waren gespannt, was passieren würde – und tatsächlich, es knackte kaum vernehmlich an der rechten Seitenwand des Raums und ein etwa 1 cm breiter Schlitz öffnete sich; vorher war keine Vertiefung zu sehen gewesen. Beide Innenwände der Garage waren auf halber Länge etwa 14 cm dicker als die andere Hälfte. Man konnte denken, dass dies aus statischen Gründen nötig war. In der Mitte der stabilen Betonwand hatte sich eine Abdeckung an der schmalen Seite der Mauerverstärkung aufgetan und ein fast 2 m hohes Regal von knapp 3 m Länge und 8 cm Breite ließ sich dort herausziehen – voller Datenträger und Akten! Nach ein paar Sekunden Sprachlosigkeit erschallte lautes Durcheinander von Staunen bis Spekulationen über den Sinn dieser ungewöhnlichen Aktenverwahrung. Plötzlich rief Constanze: „Ich glaube, ich weiß etwas. Als ich vor vier Wochen für drei Tage verreist war, muss Peter das Versteck eingebaut haben. Nach der Rückkehr habe ich leichten Farbgeruch bemerkt, mir aber nichts Besonderes dabei gedacht.“ Das klang plausibel. Aber seltsam, warum hatte Peter Constanze nichts erzählt? Robert inspizierte den Öffnungs-Mechanismus und dozierte zufrieden: „Das Schieberegal enthält einen mechanischen Riegel, der durch den Druck beim Schließen vorgespannt wird. Zum Öffnen gibt ein elektronisches Schloss die Verriegelung frei. Die Batterie aktiviert den DNA-Scanner, der einen leistungsstarken Prozessor für Datenanalyse und Vergleich mit eingespeicherten DNA-Zieldaten enthält. Sehr clever.“ „Und warum hast du das Regal in der Wand mit deinem Suchgerät nicht vorher entdecken können?“, fragte Melinda etwas unsicher. „Das wird mir jetzt klar“, erklärte Robert, „der Hohlraum ist schmal und das Regal besteht aus Kunststoff, ohne jedes Metall. Vielleicht hätte ein besserer Detektor geholfen. Lass uns lieber mal schauen, was die Akten enthalten. Einiges muss wichtig sein.“ Es gab eine zeitliche Einordnung, links prangten ältere Jahreszahlen auf den Festplatten und Aktendeckeln, rechts die neueren. Am Ende stand eine rote Mappe. Melinda schlug sie auf. Es waren Peters letzte Notizen. Sie bemühte sich, ihr Zittern zu verbergen, als sie die sichtlich hastig aufgeschriebenen Sätze vorlas:

10 Die Konferenz. Intrigen. Als Laura ihr Büro betrat, waren Conny und Jack bereits intensiv mit den Feinheiten des neuesten Entwurfs für Jacks Präsentation auf der Agro-Konferenz zu Gange. Alles sollte bis in die Feinheiten stimmen. Es war mit etwa zwanzigtausend Gästen im Saal und in weiteren angeschlossenen Konferenzräumen zu rechnen, dazu Internet-Streaming, TV-Zuschauer und Radiohörer, deren Anzahl den Nachrichten zufolge täglich größer wurde. Vor allem wuchs das Interesse durch die Ankündigung, dass hochrangige Politiker anreisen und zu Klimawandel und Welternährungskrise Stellung beziehen würden – und Protestgruppen aus allen Teilen der Welt ihren Vorstellungen Ausdruck verleihen wollten. Es war klar, jedes Wort musste wohlüberlegt, jede Bilddarstellung hieb- und stichfest, die Zahlen auf dem aktuellsten Stand sein, und vor allem, die Botschaft der GenTra sollte deutlich rüberkommen: einen beachtlichen, gleichwohl unkonventionellen Beitrag zur künftigen Welternährung zu liefern, der dringend erforderlich war. Conny gedachte die Darbietung so zu gestalten, dass kein Widerspruch provoziert würde, insbesondere durften Skeptikern und Gegnern keine unnötigen Ansatzpunkte serviert werden. Und dennoch sollte das Hauptziel, die Präsentation neuartiger Grundnahrungsmittel zur Linderung der Ernährungskrise, nichts an Glanz einbüßen. Eine Gratwanderung. Leider fehlten Peters Notizen, so dass sie nicht wussten, wie weit er die Neuartigkeit der Produktionsmethoden zu offenbaren gedacht hatte. Es blieb keine andere Wahl, als eine eigene Einschätzung vorzunehmen. Fabrizio würde Hinweise zu den Schutzrechten beisteuern und darlegen, welcher Musterschutz schon beim Patentamt eingereicht war. Was das Herstellungsverfahren betraf, war Peter strikt dagegen gewesen, etwas zu patentieren, das zur Grundernährung aller Menschen gehörte. Da man aber wirtschaftliche Stärke benötigte, hatte er eine Reihe eher nebensächlicher Produktionsschritte als schutzwürdig ausgewählt. Diese könnten von Konkurrenten nach einigem Aufwand ausgehebelt werden, aber bis dahin würden GenTra und Nutrica voll im Markt sein. Eine weitere Taktik zur Bild- und Textgestaltung des Vortrags war eher unter dem Stichwort Psychologie einzuordnen. Dies hatten Jack und Conny nach viel Hin und Her vorbereitet. Conny zeigte Laura das Ergebnis: „Du siehst ein Bild von AllCorn, die Ähren sind größer und die Halme kürzer als bei Weizen. Daneben die Tabelle mit den wichtigsten Eigenschaften, die für den Verbraucher entscheidend sind. Dann folgt ein Schema, in welchem die Produktion des Saatgutes dargestellt wird, betont sparsam ausgelegt und die Interpretation zulassend, dass es gar nicht so anders sei als bei herkömmlichen Methoden. Der gravierende Fortschritt, nämlich die Evolutionssteuerung, wird heruntergespielt und das Prinzip von Züchtung, Kreuzung und Selektion stärker betont, als es nötig und richtiger wäre.“ Nun übernahm Jack das Konzept: „Im nächsten Bild zeigen wir, wiederum nur schematisch, die Produktionsverfahren und einige Parameter, welche wir während des Anbaus und Reifeprozesses überwachen, also Nährboden, Wasserbedarf, Wachstum und Gesundheitsstatus. Der Einsatz von Drohnen ist auch enthalten, das ist schon seit langem üblich. Es wirkt nicht auffällig, dass wir an dieser Stelle ganz neue Methoden praktizieren, denn es bleibt unerwähnt, welche verschiedenen Aufgaben die Drohnen genau ausführen. Interessant wäre es zu erklären, wie MetMod die Feuchte beeinflusst und regelt, aber da ist MetMod mit der Patentierung noch nicht weit genug. Das werden wir erst in künftige Präsentationen einbauen.“ Conny fuhr fort: „Wichtig ist es, der Ernährungskrise Rechnung zu tragen, die alle bewegt. Unser Motto: Wir liefern zusätzlich zur bisherigen Weltproduktion eine Menge hochqualitativer Grundnahrungsmittel, und zwar klimaresistent, dauerhaft. Hier liegt unser Beitrag zur Lösung eines epochalen Weltproblems. Dann zeigen wir Zertifikate, welche Verträglichkeit und Sicherheit beim Verzehr nachweisen. Damit wäre möglichen Angriffsversuchen der Wind aus den Segeln genommen. Das müsste überzeugen.“ Laura erwiderte: „Einverstanden. Beachte, dass wir die Prüfberichte noch heute besorgen wollen, um diese Säule zuverlässig im Kasten zu haben und unsere Argumente abzusichern. Noch eine Frage: Ich hörte, dass wegen der kritischen Ernährungslage ein Gespräch am runden Tisch mit hochrangigen Politikern und Experten stattfinden soll. Kennt ihr die Themen oder das Programm? Dann könnten wir deren bevorzugte Eckpunkte in unseren Vortrag geeignet einbauen, das würde die Aktualität steigern.“ „Nein, leider nicht“, antwortete Conny, „aber ich könnte Alfredo fragen. Als Mitglied des lokalen Organisations-Komitees müsste er es am ehesten wissen.“ „Danke“, nickte Laura zufrieden, „warten wir’s ab. Falls neue Schwerpunkte auftauchen, treffen wir uns kurzfristig noch mal. Ich mach mich auf den Weg zu den Prüfern. Conny, sind alle Vorbereitungen für Plantax abgeschlossen? Wird jemand fehlen?“ „Alles in Butter, alle kommen. Ich bleibe aber dran. In wenigen Stunden ist es so weit.“ Nachdem Laura wieder alleine im Büro war, holte sie sich die letzten vorliegenden Nutrica Analyseberichte auf das Display, um sie vor dem entscheidenden Treffen mit den Produktkontrolleuren kurz durchzugehen. Da flackerte das Anrufsignal auf und Fabrizio war dran. Nicht schon wieder! „Leider habe ich eine neue Problemnachricht. Stell dir vor, die Sonderzulassungsbehörde, welche bisher noch nicht auf dem Markt befindliche Nahrungsmittel zur Verteilung freigeben soll – wir hatten ja kürzlich darüber gesprochen –, hat die temporäre Zulassung für unser Produkt verweigert. Das kam gerade herein, ich habe noch nicht überlegt, was wir tun können, ich werde dir noch Vorschläge machen. Ärgerlich, das verlief ganz und gar nicht wie avisiert. Am besten, du liest es selbst durch. Die haben eine Kopie des Protestschreibens der WorldCorn zur Begründung beigelegt. Der staatlichen Behörde war es vermutlich zu mühsam, eine eigene belastbare Begründung zu senden, die wir anfechten könnten. Eigentlich sollte man annehmen, die Zeit der Klüngelei mit der internationalen Großindustrie sei vorbei. Das hat gerade noch gefehlt. Total inakzeptabel. Diese WorldCorn. Stecken die doch hinter all dem anderen Ungemach? Ich schicke dir gleich den Text auf dein System. Gib mir Bescheid, ich warte.“ So wütend hatte Laura Fabrizio selten gesehen. Sie überflog den Text: Sehr geehrtes Amt für Produktzulassung, hiermit erheben wir Widerspruch gegen die Gewährung jedweder Zulassung von Nahrungsmittelprodukten, welche mit Methoden hergestellt werden, die weder langjährig geprüft noch im internationalen Register zugelassener Produkte enthalten sind. Auch die gegenwärtigen Versorgungsengpässe stehen dem nicht entgegen. Wir weisen darauf hin, dass die WorldCorn Group und ihre Partner in der Lage sind, die Produktion erheblich hochzufahren und verlässliche Ware bereitzustellen, so dass keine unzertifizierten und risikobehafteten Erzeugnisse für den Markt notwendig werden. Bert Wallinghaus, CPO, Produktabteilung, WorldCorn Group. Welch eine Hinterlist! WorldCorns zusätzliche Lieferungen wären nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nutrica/GenTra musste sofort gegensteuern, denn diese Entwicklung konnte sich zu einer Existenzkrise auswachsen. Laura blickte zu Fabrizio, der noch im Hintergrund des Schirms zu sehen war und ihre Reaktion abwartete. Sie entschied: „Stelle bitte die möglichen Gegenargumente zusammen und kläre sie mit deinen Kollegen bei Nutrica ab. Ich werde gleich Michel anrufen und den Einspruch besprechen, mehr dann im Meeting heute Nachmittag.“ Sie erreichte Michel sogleich, doch der legte noch vor Lauras erstem Wort los: „Laura, ganz toll. Wir haben soeben die Aufforderung für künftige Sonderlieferungen durch Nutrica erhalten, die mit der Qualität nicht in der Elitegruppe E oder im nächsthöheren Rang A liegen müssen. Wir hatten auf die Schnelle zusätzliche Angebote für Brotweizen in der Kategorie B und für Tierfutter in Gruppe C angeboten und schon heute die verbindliche Bestätigung für Nutrica erhalten.“ „Prima“, warf Laura ein, „ich bin froh, dass ihr das Zusatzgeschäft einplanen könnt.“ „Wir auch. Allerdings“, fuhr Michel fort, „und das überrascht doch gewaltig, von AllCorn war überhaupt keine Rede, obwohl wir diese geplanten Lieferungen ausdrücklich und als entscheidend benannt hatten.“ „Das kann ich dir erklären“, entgegnete Laura ruhig, „da ist etwas im Gange, wir haben eine neue Hiobsbotschaft erhalten: WorldCorn will uns das gesamte AllCorn Geschäft blockieren. Fabrizio klärt die Formalien mit euren Juristen, sendet dir deren Einspruch und unsere Meinung dazu. Wir brauchen eine zusätzliche Idee, an wen wir uns neben dem Verfolgen des Rechtsweges noch wenden könnten.“ „Verdammt noch mal, das ist also der Hintergrund! Was soll das, das geht auch gegen uns. Wir sammeln zuerst Munition beim Prüfer, um das Thema Analysebericht und die Absicherung durch ein Qualitätszertifikat zu klären. Der Termin steht ja schon, er ist in einer Stunde. Treffen wir uns gleich dort? Wir könnten danach zu Mittag essen und anschließend zur Plantax-Runde fahren.“ „Guter Vorschlag. Machen wir. Bis gleich.“ Laura holte sich die bisherigen Zertifikatsberichte, um beim Gespräch mit der Prüfinstanz ausreichend informiert zu sein. Die frühere Idee, dort eine amtliche Hausdurchsuchung zu veranlassen, hatte sie fallen gelassen, weil sich mittlerweile die Vermutung erhärtet hatte, dass eine Fälschung eher außerhalb der Prüfinstanz zu vermuten war. Alle für die erwünschten Zertifizierungen wichtigen Qualitätsmerkmale von AllCorn bewegten sich mindestens im zulässigen Rahmen. Es ging also darum, dies zu bestätigen und sofort eine vorläufige international anerkannte Zertifizierung zu erhalten. Mitten in diese Überlegungen platzte der Anruf von Jack: „Soeben erhielt ich eine Nachricht vom Lokalkomitee der Agro-Konferenz, du wirst es nicht für möglich halten: Mein Vortrag wurde gestrichen. Angeblich aus dem Grund, der Politiker-Runde mehr Zeit zu verschaffen. Irgendwie glaub ich das nicht. Diese Runde findet nämlich nachmittags statt, mein Vortrag ist aber für den Vormittag eingetragen. Was können wir tun? Sollen wir Alfredo ansprechen?“ „Na so was! Unerhört! Was braut sich da schon wieder zusammen? Bist du sicher?“ „Kein Zweifel. Es kommt vom offiziellen Komitee. Ich bin total schockiert.“ „Rein sachlich gesehen kann ich aus meiner Erfahrung nur sagen: Meistens würde man bei Zeitmangel weniger hoch angesetzte Beiträge absetzen. Nein, das akzeptieren wir nicht. All unsere Mühen wären umsonst. Ruf Alfredo an, gleich, und gib ihm Bescheid.“ Laura war stinksauer. Hatte sie doch ihre Strategie für den nötigen Markterfolg sehr deutlich auf diesen Vortrag ausgerichtet und auf die danach zu erwartenden Berichte der Journalisten und Medien. Auf keine andere Weise würde GenTra auf einen Schlag solch große lokale, nationale und weltweite Aufmerksamkeit für AllCorn erzielen können. Sie musste diese Ausladung umpolen. Gespannt wartete sie auf Alfredos Reaktion. Diese ließ nicht lange auf sich warten. „Was hab ich da gehört!“, polterte Alfredo mit wütender Stimme los, nachdem Laura den Anruf entgegengenommen hatte, „wie hab ich mich im Konferenz Komitee dafür eingesetzt, dass gute Vorträge reinkommen. Zum Beispiel eure Korn-Vorstellung. Besonders jetzt, wo wir diesen Riesen-Schlamassel mit der Ernährungskrise haben. Ich bin schließlich für ein attraktives Tagungsprogramm als Hauptmitglied der Lokalkommission ebenso zuständig wie andere, aber ich wurde nicht gefragt. Mir flog die Änderungsmitteilung einfach so auf den Tisch. Das akzeptiere ich nicht.“ Er schnaufte hörbar erregt und schlug mit der Faust auf den Tisch. Laura konnte sich vorstellen, wie sein Blutdruck gestiegen war. Wer hatte sich da erdreistet, ihm so in die Parade zu fahren? „Alfredo“, übernahm Laura behutsam das Gespräch, „ich finde diesen Affront auch völlig unmöglich. Wie kannst du uns da helfen? Wir müssen die Präsentation unbedingt vorstellen, es ist enorm wichtig. Du hast uns in der gleichen Sache schon einmal beigestanden, als die Gutachter Jacks Vortrag aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt hatten, weil der Inhalt angeblich nicht den nötigen wissenschaftlichen Kriterien entspreche. Damals steckte ein von WorldCorn mit Projektmitteln korrumpierter Forscher dahinter.“ „Ich weiß“, entgegnete Alfredo in etwas beruhigter Tonlage, „ich werde sofort die Organisatoren kontaktieren. Das würde ich auch tun, wenn es um einen anderen guten Beitrag ginge. Hör zu, es gibt einen verdächtig interessanten Punkt: Es stimmt zwar, dass wegen der zusätzlich anberaumten Politik-Runde die Nachmittagspräsentationen am ersten Tag gekürzt und verschoben wurden. Am Vormittag, nach den Eröffnungsreden – wovon ich eine präsentieren werde, und zwar im Auftrag unserer Stadt und als Sicherheitschef –, da hat sich nichts geändert, ich sehe keine Zeiteinsparung. Aber: Hört, hört, da steht in der aktuellsten Programmversion tatsächlich anstatt Jack Oberfeld/GenTra nunmehr Bert Wallinghaus/WorldCorn. Zum Explodieren.“ „Ein starkes Stück“, empörte sich Laura, „das erklärt einiges. Es könnte sogar einen Zusammenhang mit dem weiteren Angriff geben, den du vielleicht noch nicht kennst. Stell dir vor, ebendieser Herr Wallinghaus hat bei der Zulassungsstelle erreicht, dass unser AllCorn entgegen der letzten Aufforderung generell nicht zugelassen wird, wir nichts liefern dürfen. Schamlos, die lassen keinen Trick unversucht.“ „Wahrscheinlich hat Wallinghaus bei der Programmkommission einen Freund, dem er weismachen konnte, dass ein nicht zugelassenes Produkt auch nicht auf der Konferenz vorgestellt werden darf. Übrigens, es kommen hochrangige Politiker. Für deren Sicherheit bin ich jetzt auch noch zuständig geworden. Geheimdienste rennen mir die Türe ein, um ihre Forderungen vorzutragen. Sie wollen Horden von Beamten und Spezialausrüstungen einfliegen, ich fühle mich schon wie inmitten eines Militärmanövers.“ Laura flötete: „Oh, das ist ja toll. Hoffentlich hast du für die zusätzliche Arbeit genug neue Leute zur Verstärkung.“ „Ja, das hab ich. Fünftausend Mann werden wir zur Sicherung haben. Aus allen Polizeistellen unseres Landes reisen sie an, das Militär muss den Flughafen sichern, alles wird gründlich überwacht. Die Personenkontrollen arbeiten mit dem gesamten Arsenal neuester Methoden. Der Geheimdienst hilft uns bei der Schätzung, wie viele Protestler kommen werden. Zu den angesagten Gruppen für Menschenrechte, Umweltfragen und Gegnern der Weltagrarwirtschaft haben wir jetzt noch Polit-Randalierer zu erwarten.“ Laura verstärkte ihre schmeichelhafte Tonlage: „Wie schaffst du das nur, bewundernswert. Wenn ich dir nur helfen könnte!“ „Hm“, schnauzte Alfredo grimmig, „nun muss ich erst einmal dir helfen. Sag Jack Bescheid. Ich werde mir das Lokal-Komitee zur Brust nehmen. Ihr hört wieder von mir.“ Zertifizierung. Laura lehnte sich in ihrem Bürosessel zurück und dachte: „Wenn ich endlich dieses Zertifikat in Händen hätte.“ Vor der AllCorn Lieferung türmten sich immer mehr Hindernisse auf, von einer Vielzahl an Gegnern hinterlistig arrangiert. Zum Haare ausreißen. Am liebsten würde sie laut losschreien, ihrem Frust Luft machen. Sie zwang sich gleichmäßig zu atmen und die sich überstürzenden Ereignisse neu zu sortieren. Es gelang ihr nur kurze Zeit, denn der bestellte Wagen meldete sich pünktlich, um sie zum Prüfinstitut zu bringen. Zwei Sicherheitsleute fuhren mit; die Fahrt würde eine Viertelstunde dauern, es war nicht weit. Sie fuhr los, doch nach fünf Minuten verlangsamte sich das Fahrzeug „Was ist passiert?“, fragte Laura panisch beunruhigt die Begleiter. „Im Moment wird unerwartet heftiger Starkregen auf unserer Strecke angesagt. Daher drosselt die Leitzentrale die Geschwindigkeit der Fahrzeuge, so dass der Verkehrsfluss erhalten bleibt, wenn auch langsamer.“ „Versteh ich nicht, warum geht es nicht so schnell wie üblich? Die Wagen könnten auch bei starkem Regen fahren, alle Sensoren funktionieren unverändert.“ „Richtig. Aber man darf nicht vergessen, dass sich auf schlechteren Straßenabschnitten Wasserlachen bilden und die Regenmengen an einigen Stellen langsamer ablaufen. Die Kanalisation ist nicht überall auf den neuerdings vermehrt auftretenden Sturzregen ausgelegt, den uns der verdammte Klimawandel beschert.“ Der Bodyguard fühlte sich wegen der Fragen besonders wertgeschätzt und erzählte, was er sonst noch zu diesem Thema wusste: „Ähnliches haben wir bei Orkan, wenn Bäume, Äste oder abgerissene Bauteile auf die Fahrbahn fallen; das passierte früher selten, neuerdings viel häufiger, ich sage noch mal: Klimawandel. Solche Hindernisse stören den Verkehr viel großräumiger als Regen. Im Winter können Eis oder Schnee Probleme verursachen, obwohl das von Jahr zu Jahr seltener wird. Dann nutzt die beste Technik nichts, der Verkehr muss reduziert werden oder kommt gebietsweise zum Erliegen. Ein wenig helfen Einschränkungen der Fahrterlaubnis.“ Laura sah aus dem Fenster, weil es auf einmal dunkel wurde. Schwarze Wolken zogen auf, die Schleusen des Himmels öffneten sich, gewaltige Wassermassen stürzten hernieder und bildeten einen undurchsichtigen Vorhang. In der Ferne hörte man das Geheul von Sirenen, wahrscheinlich waren Überflutungen zu beseitigen. Doch nach kaum fünf Minuten hellte es sich auf und alles war vorbei. Die Sonne zeigte sich, als wenn nichts gewesen wäre. Kurz darauf nahm der Wagen merklich Fahrt auf und bewegte sich bald wieder mit üblicher Geschwindigkeit voran. Michel saß bereits im Foyer, als Laura ankam. Carla, eine junge freundliche Assistentin mit langen blonden Haaren, führte sie in Karls Büro, der sie sofort empfing und beim Eintreten von seinem mit Aktenbergen umrahmten Schirm aufschaute. Karl erhob sich flink und begrüßte beide Besucher sehr herzlich: „Oh, Frau Freudberg, Michel, seid willkommen.“ Laura erwiderte betont höflich: „Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben, mich vorzustellen und die künftig noch umfangreichere Zusammenarbeit zu besprechen.“ „Sehr gerne, ich bin gespannt. Es ist nach dem Ende des kurzen Unwetters draußen ein wenig schwül geworden. Darf ich Ihnen etwas anbieten?“ Er deutete auf den Robot, der seine Angebote in Bild und Wort zeigte und das Gewünschte im Greiferhand-Umdrehen mixte. „Womit kann ich dienen?“, erkundigte sich Karl, der ja absichtlich über den Grund des Besuchs im Unklaren gelassen worden war. „Soweit ich weiß, läuft alles reibungslos und eure Entwicklungen machen große Fortschritte.“ Michel begann voller Absicht mit dem zweiten Thema, dem speziellen Gutachten: „Wie du vielleicht gesehen hast, präsentieren wir auf der Agro-Konferenz unser neues Produkt AllCorn. Da bietet es sich geradezu an, dem Auditorium ein vollwertiges, wenn auch vorläufiges Gütesiegel von euch zu zeigen. Wegen der Neuheit unseres Korns wäre das eine äußerst hilfreiche Maßnahme, die Glaubwürdigkeit und Vertrauen schafft. Zudem würden wir das aktuellste Dokument bei der Zulassungsbehörde einreichen, um die Berechtigung für Lieferungen zügig zu erhalten. Wäre das kurzfristig möglich?“ „Ja, kein Problem, die fachliche Prüfung ist ja schon durch. Am besten, ihr wendet euch an unsere Dokumentenabteilung und klärt die nötigen Details ab. Sollten irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, würde ich mich sofort einschalten. Nach Abschluss aller einzelnen Teilbewertungen hättet ihr das endgültige Dokument ohnehin erhalten.“ „Das ist wirklich sehr entgegenkommend“, bedankte sich Michel. Nach einer kleinen Kunstpause brachte er das andere, wesentlich sensiblere Anliegen ins Gespräch, wobei sich sein Gesicht etwas verdüsterte: „Wir haben noch eine Bitte, Karl. Bei unseren Bearbeitungen der Produktanalysen, die wir von euch erhielten, kam beim letzten Bericht eine Unstimmigkeit auf. Neben positiven Prüfergebnissen wurden Beobachtungen erwähnt, welche die Verträglichkeit von AllCorn infrage stellten, beispielsweise Übelkeit nach dem Verzehr. Leider konnten wir das intern nicht ausreichend klären, irgendwo könnte ein Fehler bei der Nachbearbeitung entstanden sein. Weil es uns so wichtig ist, dachten wir, dich direkt danach zu fragen, um nicht langwierige Aktenprüfungen auszulösen. Es wäre unserer Meinung nach das Einfachste, unsere Version des Berichts mit der entsprechenden Stelle in eurem Original zu vergleichen. Macht das Umstände?“ „Keineswegs, das müsste sich schnell aufklären lassen; es liegt bestimmt ein Irrtum vor, sonst hätten wir nicht das exzellente Prüfzertifikat in Arbeit.“ Er rief Carla an und bat um den letzten Nutrica-Analysebericht. Dann startete Karl sein Informationssystem und holte die Akte „Nutrica“ mit allen Gesamtvorgängen auf den Schirm. Minuten später kam Carla mit einer Sicherheitsmappe zurück, welche zwei Umschlägen enthielt, einer war relativ dünn, der andere ziemlich dick. Sie öffnete den dünneren Umschlag und legte ihn Karl vor. „Aha, das ist der Bericht, den ihr erhalten habt“, verkündete Karl, „im anderen Umschlag stecken die Detaildaten, die als Basis zur Auswertung herangezogen wurden. Diese Hintergrundinformation steht euch bei Bedarf zur Verfügung, normalerweise braucht ihr das nicht. Ihr könnt das auch auf Datenträger haben.“ Michel suchte das kritische Kapitel über die Nebenwirkungen, während Laura aus ihrer Sicherheitsbox die entsprechenden Seiten aus dem bei Nutrica vorliegenden Bericht herausholte. Es zeigte sich sehr schnell, dass beides exakt übereinstimmte und im aktuellsten Reporting der Weizenprüfer lediglich unbedeutende Beschwerden aufgezeichnet waren. Nirgends war auch nur annähernd so ein Problem erwähnt, wie es in den anonym zugespielten „Kopien“ aufgeführt war. Michel und Laura atmeten auf, ließen sich aber nichts anmerken. Laura konstatierte: „Das deckt sich perfekt mit unseren Erwartungen. Euer letzter Ergebnisbericht ist genau derjenige, der bei Nutrica erhalten und bearbeitet wurde. Es muss bei unserer Weiterbearbeitung ein bedauerliches internes Versehen gegeben haben. Entschuldige bitte vielmals die unnötigen Umstände. Aber noch mal die Frage: Das hier ist bestimmt euere neueste Analyse, es gibt keine neuere Version, die fortgeschriebene oder andere Ergebnisse enthalten könnte?“ „Nein, gibt es nicht, ganz sicher. Sobald ein Bericht fertig ist, geht die Kurzfassung an euch, und zwar elektronisch sofort, hoch verschlüsselt und parallel per Kurierpost.“ Michels Gesicht hellte sich auf: „Allerbesten Dank, Karl, das wäre klar. Nun müssen wir uns vorrangig mit der Zulassung befassen.“ Sie wechselten noch ein paar Worte zur bevorstehenden Agro-Konferenz. Karl würde natürlich ebenfalls anwesend sein; er hatte Jacks Vortragsankündigung gesehen – die aktuelle Programmänderung war ihm offensichtlich noch nicht bekannt – und bat schon jetzt um das Manuskript. Laura sagte es zu, ohne auf die laufenden Verwicklungen einzugehen. Sie verabschiedeten sich, denn das nächste Ereignis, das Plantax-Treffen, rückte näher. Zum Mittagessen blieb keine Zeit, ein Sandwich musste heute genügen. Carla brachte sie durch die Sicherheitsschleusen zurück zum Ausgang, wo ihr Wagen und Lauras Sicherheitsmänner bereitstanden. Unterwegs blickten sich Laura und Michel erleichtert an. Laura würde der Plantax ein wichtiges Zwischenergebnis berichten können. „Ich kann erklären, das Prüfinstitut ist ‚sauber‘ und AllCorn funktioniert. Aber“, beklagte Laura einschränkend, „unser Kernproblem bleibt ungelöst. Wo könnte die undichte Stelle tatsächlich liegen, wo packen diese Widersacher an?“ „Was den Report betrifft, er kann nur bei den Weizenprüfern oder der Nutrica gestohlen worden und anschließend manipuliert zu euch gebracht worden sein.“ Laura dachte an Petra. Nachdem sie Michel verabschiedet hatte, rief sie Enrico an und berichtete ihm von dem Vorfall. Enrico überlegte kurz und meinte: „Wenn was dahintersteckt, dann sollten wir sie jetzt nicht durch einen Anruf warnen, sondern zuerst gezielt beobachten und ihre Kontakte identifizieren, vor allem den Mann, den du gesehen hast. So können wir womöglich mehr in Erfahrung bringen.“ Plantax tagt. Conny hatte den Bewirtungsroboter auf das Angebot an Getränken und Snacks geprüft. Edo zeigte sich mit den verstärkten Sicherheitsvorkehrungen zufrieden. Mario war ihm hilfreich gewesen; er wusste über die brisanten Vorgänge in der GenTra Bescheid und betreute die interne Überprüfung, welche durch den Diebstahl von Peters Box ausgelöst worden war. Heute ging es darum, die Mitglieder auf den neuesten Stand zu bringen, denn seit der letzten Runde hatte sich Gravierendes ereignet. Alle vier Externen trafen kurz nacheinander ein, so dass Plantax mit fünf GenTra Mitgliedern vollzählig war. Der abhörsichere und vom Internet getrennte Konferenzraum lag im zweiten Tiefgeschoss. Digitale Geräte, inklusive Teldexer, blieben draußen. Laura begann das Treffen damit, sich als Nachfolgerin von Peter vorzustellen. Dann erläuterte sie ihre neue Rolle als Sonderermittlerin, was zuerst Überraschung auslöste, gefolgt von Erleichterung und Zustimmung. Als Nächstes präsentierte Conny die Tagesordnung. Aktuelle Vorgänge waren sorgfältig gelistet, Fragen markiert, besonders wichtige rot unterstrichen, gelöste Punkte mit Häkchen versehen. Michel dachte insgeheim: „So kluge und erfolgreiche Frauen wie Laura und Conny hätte ich gerne in meiner Firma.“ Edo begann mit Peters Unfall und versicherte, dass wegen wachsender Zweifel an einer natürlichen Todesursache an der Aufklärung weiter gearbeitet werde. Dann kam die anonym erhaltene Zusendung: Unzweifelhaft war die Sendung außerhalb des Sicherheitsbereichs bei der Poststelle in die Annahme eingeworfen worden. Das konnte jeder tun, der sich Zugang zum Betriebsgelände verschaffte. Leider hatte sich auch der beim Diebstahl der Sicherheitsbox gefilmte Eindringling bisher nicht identifizieren lassen. Er hatte Sicherheitsschleusen und Poststelle mittels einer gestohlenen ID Karte ausgetrickst. Der echte Besitzer der Karte hatte den Verlust nicht bemerkt; Unkenntnis über Ort und Zeit des Diebstahls machten Nachforschungen wenig aussichtsreich. Max meinte: „DNA-Scanner könnten bessere Sicherheit gewähren.“ „Ja, das testen wir schon für die strengsten Sicherheitszonen, wo sich nur eigene und von uns gut erfasste Personen bewegen“, antwortete Edo, „aber für den allgemeinen Bereich passt das nicht, weil es keine öffentlichen DNA Datenbanken gibt.“ Im nächsten Punkt ging es um die nach außen geheim gehaltene Entführung Lauras. Matti erklärte, dass die Hacker kurz vor Lauras Abfahrt nahe am Wagen eine Software eingespielt hatten, in welcher der Code des CarSwift Algorithmus manipuliert worden war. „Das ist ganz große Hackerkunst. Wie kommen die zu den innersten Codes?“ Max hob die Augenbrauen und brummte sarkastisch: „Über einen Insider-Spion, wie denn sonst?“ Edo nickte: „Es gibt in der Tat keine andere Lösung. Übrigens, kurz vor der Entführung hatte HighBrain eine etwas dubios klingende Anfrage betreffs der Notfall-Steuerung autonomer Fahrzeuge. Dem Anrufer wurde nichts preisgegeben und die Sprachaufzeichnungen sind gelöscht. Schade!“ „Ich muss leider noch eines draufsetzen“, bekannte Edo, „betreffs Lauras Teldexer, dessen Manipulation ums Haar verhindert hätte, dass Laura gerade noch rechtzeitig den Notruf über ihre Entführung absetzte. Die Ganoven hatten einen extern unbekannten Port an Lauras Teldexer ausgenutzt und so die Ausgangssignale blockieren und Lauras Verbindungen lahmlegen können. Ich hatte eine neue Sperre erst vor kurzem eingebaut, ohne sie außerhalb meines engsten Mitarbeiterkreises zu kommunizieren. Trotzdem war den Eindringlingen auch diese Änderung des Zugangs zum Port bekannt. Zum Glück blieb die in der Schaltlogik eingebaute nächste Sperre gegen Abhören unüberwindlich. Dennoch, der Eingriff war nur mit Insider-Kenntnissen möglich. Also: noch ein Spion. Ich würde nur Geheimdiensten zutrauen, unter derart schwierigen Umständen einzudringen. Ich vermute eher, dass sich Hacker in die GenTra Systeme eingeschlichen haben.“ Matti fragte Edo besorgt: „Hast du Indizien, ob es sich um einen Hacker-Angriff von außen handelte, ein Spion euch einen Besuch abstattete, oder es gar ein Verräter von innen gewesen sein könnte?“ Edo gab betreten zu: „Ich weiß es nicht. Dein letzter Punkt kam mir auch in den Sinn, zieht aber die Konsequenz nach sich, dass ich das ganze IT Team kontrollieren muss, ohne dass Verdacht geschöpft wird. Das gilt besonders für die mit der Aufklärung betrauten Mitarbeiter.“ Plötzlich erlosch das Licht im Raum, der Videoschirm wurde für einige Sekunden schwarz, die Notbeleuchtung schaltete sich ein. Alle riefen durcheinander, was das denn bedeute, niemand hatte eine Antwort. Die Stromversorgung war gut gesichert. Wasserstoff-Anlagen und Photovoltaik lieferten elektrische Energie, neuartigste Flüssig- und Carnot Batterien dienten als potente Stromspeicher. Für gravierende Notfälle konnte man städtischen Strom zuschalten. Im Land war es Standard, unregelmäßig anfallenden Strom aus alternativen Quellen, vornehmlich Solaranlagen, in fast beliebigen Mengen zu speichern. Beim momentanen Black-out konnte es sich nur um einen technischen Fehler in der Gebäudeinstallation handeln. Edo fragte per Nottelefon bei der Haustechnik an und erfuhr: Sämtliche Puffer-Akkus des Zentralgebäudes hatten sich gleichzeitig ausgeschaltet, der Grund dafür war unklar. Da keine Gefahr bestand, gab der Sicherheitsdienst Edo die Erlaubnis, im Raum zu bleiben und mit der Arbeit fortzufahren. Die Zentralversorgung würde zwar erst nach zeitaufwändigem Hochfahren übernehmen, doch Notstrom war reichlich bemessen. Edo wusste, dass Ausfall aller Akkus im gleichen Moment extrem unwahrscheinlich war. Er konnte auch nicht durch externe Hacker in „Black-out“-Manier erfolgt sein, denn dieser Gefahr hatten sie vorgebeugt. Er sah nur die Möglichkeit eines internen software-gesteuerten Angriffs infolge einer Sicherheitslücke. Kein beruhigender Gedanke. Der nächste Punkt auf der Agenda war die Zulassung von AllCorn und die damit verbundene Vermarktung. Fabrizio, Michel und Laura beschrieben Hindernisse und Erfolge sowie letzte Erfahrungen, positive mit den Weizenprüfern und negative mit WorldCorn. Laura erklärte, das bei AllCorn bestehende Datenleck sei kaum im Prüfinstitut zu finden, eher am „Ausgang“ der Nutrica oder am „Eingang“ der GenTra, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit unter Mitwirkung externer Personen. Jeder verdächtigte WorldCorn, auch wenn sie als Täter nicht selbst agieren würde. Dieser Eindruck verstärkte sich, als Jack die zahlreichen Behinderungen schilderte, auf der Agro-Konferenz vorzutragen. Ein Beweis, dass Gegner direkt eingreifen, wenn es legal oder am Rande der Legalität möglich war. Alle hofften, dass Alfredo die Sache wieder drehen und Jack den Vortrag präsentieren könnte. Conny sollte daher die Präsentation unter Einbeziehung des erwarteten Güte-Zertifikats fertig stellen. Um die Darstellung der Gefahrenlage abzurunden, informierte Laura über den Unbekannten „X“, der GenTra übernehmen wollte. Michel fügte seinen neuesten Fall hinzu, den angedrohten Aufkauf der Nutrica durch einen zwielichtigen Makler. Zur Beruhigung aller Anwesenden bekräftigte er, alles zu tun, um jede Art von Verkauf zu vermeiden, vielleicht mit einem Ja für eine günstige Kooperation, aber einem definitiven Nein zu Abhängigkeit oder dem Verlust der Mehrheitsanteile. Danach berichtete Laura über den spionierenden Post-Doc, die Liste mit dem Namen „Racco“ und die letzten Erkenntnisse über Raccos Treiben in Kiralistan. Zuletzt ging es um Zuarbeit von HighBrain und MetMod. Jack erklärte, dass er wegen der UN Beschlüsse auf größere Weizenlieferungen vorbereitet sein müsse, und fragte, ob Steuerungspakete und Drohneneinsatz zur Stabilisierung des Pflanzenwachstums stark vergrößerte Anbauflächen verkraften würden. Andreas, der Entwicklungs-Chef bei MetMod, antwortete: „Ja, wenn wir mehr Module produzieren. Es gibt aber noch eine neue Herausforderung: Ich merkte, dass die Drohnen auch außerhalb der Anbaufelder fliegen sollten, um heranziehende Wolken, sprich deren Feuchte, früher zu erfassen. Dann ließen sich die Impfdrohnen effizienter steuern, um bessere Feuchteaufnahme für optimale Kornreifung zu erzielen. Wir sollten diese Erweiterungen planen, betreffs Gerätetechnik und Flugerlaubnis.“ Michel stöhnte, Matti nickte betroffen. Das musste in Angriff genommen werden. Aber: die Drohnen würden auch Wadigebiete überfliegen, was als provokant und somit höchst gefährlich galt. Sollte man es dennoch wagen? Conny nahm dies ins vertrauliche Protokoll auf. Laura und Michel würden nach Kontakt mit Dimitri darüber entscheiden. Schließlich fassten Edo und Max die IT-Baustellen zusammen. Die Zuhörer machten aus ihrem Unverständnis solcher fatalen Schwachstellen keinen Hehl. Ohne Frage war das Einkreisen der Datenlecks bei GenTra und Nutrica höchst vordringlich. Nach längeren, konstruktiven Diskussionen schloss Laura die Runde: „Die Aufgaben weiten sich aus und werden teilweise riskanter. Doch zusammen mit Enrico und den dahinterstehenden Kapazitäten werden wir die Ermittlungen forcieren. Inzwischen haben wir vielversprechende Spuren gefunden, die wir verfolgen. Noch eines: Bitte alles Gesagte und Gehörte streng vertraulich halten und mir jede ungewöhnliche Beobachtung oder nützliche Idee mitteilen.“ Sie dankte allen und wies guten Mutes auf die nahende Agro-Konferenz hin: Falls die aktuellen Hürden überwunden werden konnten, würde GenTra einen Knüller landen. Kaffee mit Jim. Es war wieder später geworden als gedacht. Auf ihrem Teldexer sah Laura, dass sich Jim gemeldet hatte. Was hatte er wohl vor? Während ihre Gedanken abschweiften, kam Alfredos Anruf. Er strahlte sie an. Laura wusste sofort: Es gab eine positive Nachricht, heute die zweite, nach den Fortschritten bei der Weizen-Zertifizierung. „Es war nicht leicht“, begann er mit Nachdruck, „aber ich hab’s geschafft. Den Vortrag wieder auf Jack umzustellen war vergleichsweise simpel, ein einzelnes Mitglied des Komitees war allzu offensichtlich über seine Kompetenzen hinausgeschossen. Was konkret dahintersteckte, konnte ich nicht klären, dazu fehlte die Zeit. Wahrscheinlich ist es wie vermutet, der Bursche genoss dafür eine kleine Aufmerksamkeit von anderer Seite. Die Beamten stellten sich dagegen recht bockig an, die Behörde ist groß und die Kompetenzen sind nicht auf Anhieb zu sortieren. Erst als ich mit kräftigen Donnerschlägen auf den ministeriellen Erlass an Polizeidienststellen hinwies, Getreidelieferungen zu erhöhen, hatte ich sie so weit. Ihr könnt AllCorn liefern. Aber das vorläufige Gütesiegel muss schleunigst vorgelegt werden, das ist Voraussetzung.“ „Oh Alfredo“, strahlte Laura überglücklich, „ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Du bist großartig, ich bin so froh, dass du derart geschickt bist und wir mit jemandem wie dir so freundschaftlich verbunden sind, der eine ungewöhnlich einflussreiche Position innehat. Ich weiß es zu schätzen. Vielen Dank.“ Alfredo genoss die Streicheleinheit und lächelte huldvoll. „Keine Ursache Laura, ist doch selbstverständlich. Wir wollen etwas für die Menschheit tun, und für unsere Stadt.“ Ein ganzer Schwung von Steinen fiel Laura vom Herzen. Schnell informierte sie ihr Team und bat Conny, die gute Botschaft an Michel zu leiten. Nun war Jim an der Reihe. Sie wählte. Er erschien auf dem Schirm und lachte sie an: „Laura, endlich, wie schön dich zu sehen und zu hören“, säuselte er mit weicher Stimme, „ich denke, du hast heute wieder vieles um die Ohren. Deshalb sage ich es ohne Überleitung: Darf ich dich nach deiner Arbeit in das Café Move-Blick einladen?“ Laura stimmte überaus freudig zu: „Gerne. Ich hab viel über dieses Café gehört, bin aber bisher nicht dort gewesen. Endlich lerne ich mal meine Stadt genauer kennen. Ich sag dir Bescheid, wann ich dort sein kann. Geht das so?“ „Ja klar, ich bin in einer halben Stunde mit meinem Pensum durch und kann danach losfahren. Nimm dir Zeit. Bis bald, ciao.“ Laura informierte ihren Begleitschutz über die anstehende Fahrt und versuchte sich auf die noch verbliebenen Arbeiten zu konzentrieren. Das war schwerer als gedacht, denn die kniffligen Themen forderten volle Konzentration und Abstimmung mit Conny, Jack und Fabrizio. Letztlich ergänzte sie aus dem frischen Gedächtnis ihre Notizen zum Plantax-Treffen und reichte diese für das Endprotokoll an Conny weiter. Dann war es so weit, Laura fuhr voller Vorfreude zum Move-Blick. Dieses Café war vor einem halben Jahr eröffnet worden und erfreute sich sofort höchster Beliebtheit bei jüngeren Menschen. Ohne Reservierung gab es keine Chance hineinzukommen. Die Lage war spektakulär: mitten im Stadtzentrum im dritten Stock eines Hochhauses, direkt am Zentralplatz, mit 270-Grad rundum Blick hinunter auf die interessanteste Kreuzung weit und breit. Man sah auf einen riesigen Platz mit Grünanlagen, Monumenten und Wasserspielen, sich kreuzende und verbindende breite Straßen, an den Seiten elegante Geschäfte, Restaurants und Freizeiteinrichtungen und nicht weit entfernt den Stadtpark. Der eigentliche Pfiff war die aus dem Gebäude herausragende überdachte Terrasse, welche einen phantastischen Blick auf den Verkehr erlaubte, auf eine der wenigen großen Kreuzungen, die es im Innenbereich der Stadt noch gab. Man sah genau, wie die Wagen aus verschiedenen Richtungen herankamen, gelegentlich leicht abgebremst wurden, sich auf bis zu 8-spurigen Straßen einfädelten und kreuzten, recht dicht hintereinander, quer durcheinander, mit atemberaubender Geschwindigkeit, ohne irgendeine Ampel, wie im Animations-Film. Nur Drohnen hätten einen vielseitigeren Blick des vollkommen autonom gesteuerten Gesamtverkehrs ermöglicht. Vom Café aus sah man alles direkt und konnte dabei einen erfrischenden Drink genießen. Bei Nacht faszinierten die Lichter, wenngleich die Scheinwerfer nicht mehr so stark und weitreichend wie früher sein mussten, weil die Bordsysteme bevorzugt mit Infrarot und Radar arbeiteten. Jim hatte einen Tisch an einem Eckfenster reserviert und wartete bereits. Aus einem Kännchen duftete heißer Kaffee. Er begrüßte Laura mit Küsschen, sog verzückt mit geschlossenen Augen den berauschenden Duft ihrer Haare ein und versicherte, wie sehr er sich über ihr Kommen freue. Sie schauten eine Weile auf den Verkehr und staunten, wie gut die fortschrittliche Technik funktionierte. Beide erzählten sich, wie sie jeweils den Tag verbracht hatten. Laura fand es gut, dass sie in unterschiedlichen Branchen arbeiteten und nicht im Betriebsalltag verbunden waren. So konnten sie sich zwanglos unterhalten und erst einmal zahlreiche Themen des Lebens außerhalb der Büros aufgreifen. Jim merkte, dass immer, wenn er ernstere oder kompliziertere Themen anschneiden wollte, sie ihn mit großen Augen anblickte und nicht so reagierte, wie man es in einem anspruchsvolleren Gespräch erwarten würde. Plötzlich spürte er den tieferen Grund. Laura schien ihn viel persönlicher zu sehen, wichtig war nicht sein Wissen, sondern er selbst. „Es ist schön hier“, lächelte sie ihn vielsagend an, „ich meine nicht den beeindruckenden Straßenverkehr, sondern das Zusammensein mit dir, die entspannte Atmosphäre, das Vergessen der Tagesereignisse und deiner Stimme zu lauschen.“ Jim schaute in ihre wundervollen blau-grünen Augen, auf die geschwungenen langen dunkelblonden Haare, ihr klassisches Profil, das ihn immer wieder an ägyptische Königinnen erinnerte, ihre wohlgeformten Wangen, nichts an ihr könnte schöner sein, er war hin und weg. Er spürte, wie er ihre Aufmerksamkeit durch Natürlichkeit gewann, nicht durch imposantes Gehabe. Wie wunderbar, was er mit Augen sah und welch intensive Resonanz er spürte. Ihre Wesensart empfand er als einmalig und unübertrefflich, dieses Erleben dürfte nie enden … Die Bedienung riss Jim aus seinem Halbtraum; sie erkundigte sich nach weiteren Wünschen. In höherwertigen Lokalen waren keine Roboter üblich, persönliche Betreuung dominierte. Sie bestellten Halbgefrorenes mit Waldfrüchten und Sekt. Alkohol im Restaurant stellte seit der Zeit des autonomen Fahrens keine Einschränkung dar. Laura tauchte ebenfalls aus ihrer Phantasiewelt auf; als sie beim Herumsehen im Lokal die beiden Wachleute einige Tische entfernt erblickte, fragte sie Jim unvermittelt: „Hast du eigentlich noch mal über den Blitz nachgedacht?“ „Oh ja, er verfolgt mich ständig. Als ich kürzlich mit dir das Ionen-Feuerwerk erlebte, zuckte eine Idee durch meinen Kopf. Ich möchte das noch genauer hinterfragen, damit ich dich nicht auf eine falsche Spur lenke, aber vielleicht kann man einen Blitz so ähnlich wie ein Nordlicht erzeugen? Künstlich? Als Mordinstrument? Warte ab, es ist zu wichtig, um voreilige Schlüsse zu ziehen. Wir werden das Rätsel knacken, sei zuversichtlich. Ich hoffe erst einmal, dass Dir die Agro-Konferenz einen Durchbruch bescheren wird.“ Mit anregendem Tonfall schlug er vor: „Der Abend ist so schön warm und windstill, der Himmel voller Sterne, lass uns ein wenig bummeln und frische Luft atmen.“ Laura hob ihren Kopf, lächelte sanft und sah ihn mit großen Augen an, es bedurfte keiner Worte. Sie schlenderten los, verträumt und glücklich. Die Konferenz beginnt. Die Internationale Agro-Konferenz befand sich einen Tag vor der Eröffnung. Alle 8000 Zimmer der großen Hotels auf dem Gelände waren schon lange ausgebucht, ebenso die näheren Unterkünfte in der Stadt. Kein Wunder, denn über 20000 Besucher standen auf der Anmeldeliste, ungewöhnlich für eine spezielle Fachkonferenz. Schon seit Tagen zogen sie durch die Stadt. Darunter waren viele Studenten, die sich mit Landwirtschaft und Ernährung befassten. Die meisten nutzen die Gelegenheit für Sightseeing und Ausflüge in die Umgebung zu tiefblauen Seen und wilden Bergketten. Zahlreiche Events außerhalb des Kernprogramms, welches am morgigen Montag beginnen würde, lockten die Besucher an. Bands bauten Bühnen auf und sorgten für Spaß und Auflockerung. Bewunderung erregte eine Musik- und Tanzgruppe aus Afrika; diese wollte mit Kunst und Optimismus zeigen, dass es auch auf ihrem gebeutelten Kontinent noch Hoffnung gab, dass Einheimische darauf warteten, sich kraftvoll und engagiert ihrer eigenen Zukunft anzunehmen. In weiträumigen Ausstellungshallen bereiteten Firmen sich vor, neue Methoden, Produkte, jeweils begleitet von Marketing und echt informativer Werbung, zu zeigen. GenTra Techniker bauten den Stand auf, an dem man köstlich zubereitetes AllCorn probieren konnte. Sie konfigurierten die aktuellste Generation des KI-basierten Service-Systems für technische Informationsgespräche. Ein mächtiger Zentralprozessor des Nutrica Rechenzentrums vermochte damit einen Saal voller Video-Terminals und eine unbegrenzte Anzahl von App-Anfragen zu bedienen, so dass Neugierige auf jede erdenkliche Fachfrage eine sofortige Antwort erhalten konnten. Hierfür war ein KI-Roboter integriert, der im interaktiven Gespräch mit dem Interessenten jede Frage zu Nutrica und GenTra beantworten konnte – ohne dass auffallen würde, dass am anderen Ende der Leitung ein Robot, kein hochtrainierter Fachmann, auf den Anrufenden in seiner Sprache reagierte. Während der Konferenz würden auch leibhaftige Firmenvertreter für b2b-Geschäftskunden und potenzielle Interessenten bereitstehen und freundliche Damen für lockere Atmosphäre und kulinarisches Wohl sorgen. In der Stadt fanden ständig Tagungen statt, weil die Infrastruktur längst dafür konzipiert worden war. Große ansässige Firmen, Ministerien, Spitzenuniversitäten und Ausbildungseinrichtungen schätzten diese. Alfredo und sein Team begleiteten solche Ereignisse in puncto Sicherheit. Mit kooperierenden Polizei- und Armeeeinheiten hatten sie auch den momentanen Massenansturm bewältigt. Flughäfen, Bahnstationen, Busterminals und Einfallstraßen unterlagen der Überwachung. Alle Anreisenden wurden mittels elektronischer Ausweise und Gesichtserkennung identifiziert, im Zweifelsfall auch mit Iris-Bild oder DNA-Scanner, welche meist im Wahlmodus „Fingerabdrücke“ arbeiteten. Zusätzlich wurde mit ausgereifter Technik auf der Stelle geprüft, ob der Einreisende gefährliche Viren ausatmete; dazu strahlten 3-dimensionale DNA-Scanner polarisiertes UV-Licht aus, dessen Wellenlänge sich für die Erkennung charakteristischer Größen und Formen diverser Viren eignete. Auf diese Weise konnten die Gefahren von Pandemien vermieden werden, ohne im Land irgendwelche Einschränkungen zu verordnen. Letztlich musste jeder seine Übernachtungsbestätigung vorweisen, und hochsensible Gepäckscanner prüften in Sekundenschnelle auf Waffen aller Art und unerlaubte Drogen. Jeder Besucher durfte zahlreiche Vergünstigungen genießen, wie freie Fahrt mit allen lokalen Verkehrsmitteln oder freier Eintritt zu öffentlichen Veranstaltungen, wobei die Gesichtserkennung automatisch einsetzte. Ansonsten waren die Freiheiten der Gäste nahezu unbegrenzt, auch für Gruppen, die als Protestorganisationen bekannt waren. Alfredo ließ sorgfältig prüfen, ob die Einreisekontrollen des Innenministeriums bei den hohen Besucherzahlen unvermindert zuverlässig blieben. Er wollte sichergehen, dass keine aktenkundigen Terrorverdächtigen oder Krawallmacher einreisten. Wegen des hohen Automatisierungsgrades musste die Polizei dafür keine eigenen Beamten zur Verfügung stellen. Das Gros der Polizisten wurde für passive Beobachtung der Massen, Umzüge, Demonstrationen und Großveranstaltungen eingesetzt. Glücklicherweise waren berüchtigte Krawallteams bislang nicht aktiv geworden; Alfredo hoffte, dass dies über die ganze Tagungsperiode so bliebe. Daher hatte er alle Leiter der Sicherheitsdienste positiv motivierend angewiesen, möglichst jeder Person und Gruppe die Freiheit zum Demonstrieren und Protestieren zu ermöglichen, so dass sie die Aufmerksamkeit fanden, die sie zu benötigen meinten. Dabei blieb Friedfertigkeit eine unverzichtbare Forderung der Gastgeber. Die Rechnung schien aufzugehen, denn bereits am Sonntag wurden Informationsstände aufgestellt, große Transparente aufgehängt und kleinere Kundgebungen abgehalten. Trotz hoher Besucherzahlen gab es keine Zwischenfälle. Zwei wesentlich größere Aufgaben raubten Alfredo den gesunden Schlaf: zum einen die Gewährleistung der Sicherheit hochrangiger Staatsgäste, zum anderen die Abwehr möglicher internationaler Cyberattacken auf diverse Ziele im Konferenzareal oder in der Stadt. In beidem kooperierte er eng mit dem Geheimdienst, weil er als Polizeichef im Normalfall mit lokaler Reichweite arbeitete und nur dafür die nötigen Kontakte besaß. Schwierig gestaltete sich die Zusammenarbeit mit auswärtigen Geheimdienstlern, die zum Schutz ihrer jeweiligen Politiker vorab angereist waren und viele Sonderrechte beanspruchten. Dies griff nicht selten in die Souveränität der Gastgeber ein und stellte auch ein latentes Risiko dar. So war aus früheren Ereignissen durchgesickert, dass Geheimdienste, welche man nur eingeschränkt kontrollieren durfte, die Gelegenheit ausnutzten, um Spionage zu betreiben, kleinere Gerätschaften an dafür geeigneten Orten zu deponieren oder sich in gewissen Szenen nach potenziellen Helfern umzuschauen. Offiziell wurde darüber nie gesprochen, aber jeder wusste, dass es geschah. Es kam der Tag der Eröffnung. GenTra hatte im Hauptgebäude Gesprächs- und Ruheboxen gemietet, besonders für Jack als exponierten Vortragenden. In diesen Räumen mit Tisch, Liege und Bad ließ sich ungestört entspannen, persönliche Besucher empfangen und an Präsentationen feilen. Letztere lud jeder Sprecher auf eine Adresse im Rechensystem der Konferenz hoch, so dass die technische Assistenz zu jedem Vortrag die richtige Bildpräsentation auf die riesigen Projektionsflächen des Plenarsaals und auf mehrere kleinere Schirme der angeschlossenen parallelen Übertragungssäle einspielen konnte. Jack hatte seinen Vortrag gleich nach einer letzten Überprüfung in der Ruhebox am Morgen hochgeladen, bevor er sich mit seiner Gruppe in den Saal begab. Pünktlich erstrahlte die festlich geschmückte Bühne in gedämpftem Licht, die Scheinwerfer leuchteten auf das Sprecherpult und der internationale Präsident der Konferenz ergriff das Wort: „Verehrte Honoratioren, sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine außerordentliche Freude, die 25. Internationale Agro-Konferenz eröffnen zu dürfen. Wie gewohnt führt uns heute der technische Fortschritt zusammen, es gibt viel Neues zu berichten und zu diskutieren, alte Fragen sind zu überdenken, und neue Fragen müssen gestellt werden. Noch wichtiger ist heute für uns alle die Herausforderung durch die Welternährungskrise, sie ruft, nein, sie schreit nach Antworten. Die überaus hohe Besucherzahl beweist das starke Interesse an diesen lebenswichtigen Themen, an welchen wir und viele damit verbundene Disziplinen arbeiten müssen … “ Lange Worte und Dankadressen folgten. Danach sprach der Landesvertreter über die Ehre, die Konferenz in diesem Lande ausrichten zu dürfen, und als Dritter war Alfredo an der Reihe, der großzügige Bewegungsfreiheit und getroffene Sicherheitsmaßnahmen zusammenfasste. Das Publikum zollte wohlwollend Beifall. Es folgten weitere kurze Begrüßungsreden, bevor die Plenarvorträge begannen. Der Vortrag. Edo war an den ersten beiden Präsentationen nicht speziell interessiert und konzentrierte sich daher auf die Sicherheit von Laura und des GenTra Teams. Als Jacks Vortrag unmittelbar bevorstand, ging er zum Ruheraum, um sicherzustellen, dass Jack rechtzeitig loslief und die Saaltechnik den Vortrag erhalten hatte. Er öffnete die Tür mit seiner Generalkarte, schaute hinein, aber es war niemand da. Jack war wie erwartet schon weg. Da erblickte er dessen Teldexer auf dem Arbeitstisch. Das war seltsam, denn ohne diesen wäre Jack unerreichbar, würde er nicht zu einem wichtigen Termin gehen. Edo steckte ihn in seine Sakkotasche, schritt zurück auf den Gang und schaute sich um. Einige Zimmer weiter sah er einen Sicherheitsmann auf seinem Kontrollgang. Edo rief ihm zu: „Hallo, haben Sie vor kurzem hier jemanden rausgehen sehen?“ Der Mann drehte sich um und rief: „Nein, aber ich habe dort zwei Männer hineingehen sehen. Kam mir komisch vor, denn das ist der Raum für Haustechnik.“ „Schauen wir da lieber gleich einmal rein, vorsichtshalber“, entgegnete Edo bestimmt. Der Mann kam herbei und öffnete die verschlossene Stahltüre. Da sahen sie Jack liegen, auf dem Boden, regungslos, aber ohne sichtbare Verletzungen. Edo fühlte den Puls, er war zwar schwach, aber tastbar. Der Wachmann alarmierte den Notdienst. Edo rief Olaf an, der heute im Personenschutz von Laura Dienst hatte, und informierte ihn mit wenigen Worten. Jack sollte jetzt eigentlich am Rednerpult stehen. Da der Sicherheitsmann bei dem offensichtlich bewusstlosen Jack blieb, konnte Edo mit fliegenden Schritten in den Vortragssaal rennen. Schon beim Eintreten in den Saal erblickte er Jack nahe am Rednerpult. Gleichzeitig sah er Laura und Conny aus ihrer Sitzreihe auf den Gang eilen und nach vorne stürmen. Was zum Teufel lief da ab? Er hastete noch schneller in Richtung Bühne. Noch wenige Minuten zuvor hatten Laura und Conny in einer der vorderen Reihen gesessen und auf „ihren“ Vortrag gewartet. Wie würde er ankommen? Viel hing davon ab. Als der zweite Vortrag beendet war und einige Fragen zur Diskussion kamen, wegen der begrenzten Zeit nur wenige, sahen sie, wie Jack von hinten her langsam zum Podium ging. Der seitliche Gang des großen Saals war recht weit weg, aber es kam beiden vor, dass Jack ungewohnt ungelenk ging. Nun ja, vielleicht war es die Aufregung, das Lampenfieber. Vor so vielen Leuten spricht man nicht alle Tage, seine Themen waren kritisch und manche wichtige Zuhörer auch. Der Sitzungsleiter kündigte Jack als nächsten Redner an. Dieser dankte, übernahm das Rednerpult und wandte sich zum Mikrofon. Gleichzeitig erschien auf der großen Leinwand der Titel des Vortrags sowie der Untertitel: „Neue Weizensorte als Lösung? Risiken und gefährliche Nebenwirkungen.“ Dann sprach Jack: „Geehrtes Publikum, mein Vortrag beschreibt eine neue Methode der Weizenzüchtung und deren Problematiken. Vor allem die Gefahren von Nebenwirkungen, die sich gezeigt haben … “ „Zum Teufel“, stieß Laura hervor, „das ist nicht unser Vortrag.“ „Verdammt noch mal, das ist auch nicht Jack“, zischte Conny hinterher. Beide sprangen auf, an den Zuhörern in ihrer Reihe vorbei und stürmten nach vorne. Edo hatte die beiden fast eingeholt. Als sie sich dem Rednerpult laut gestikulierend näherten, erkannte der falsche Jack seine Enttarnung, drehte sich um, rannte in die linke Ecke der Bühne und verschwand. Edo winkte den seitlich des Podiums positionierten Wachleuten zu und bedeutete ihnen, die Verfolgung aufzunehmen – was diese sofort erfassten und in die Tat umsetzten. Durch das Publikum ging ein Raunen, niemand konnte sich einen Reim auf die Geschehnisse machen. Edo sprach den Sitzungsleiter kurz an, welcher dann das Auditorium beruhigte: „Wir haben eine kurze Unterbrechung, bedauerlicherweise geschah bei der Präsentationsauswahl ein Missgeschick. Haben Sie bitte ein wenig Geduld, es geht gleich weiter.“ Die Technik stoppte den falschen Vortrag und projizierte zur Überbrückung allgemeine landwirtschaftliche Bilder und Videoausschnitte. Im Auditorium wurde es wieder etwas ruhiger, aber das Getuschel hielt an. Edo und Conny suchten schnellen Schrittes die Technik auf. Edo keuchte: „Bitte fixieren Sie den gerade begonnenen Vortrag, er ist beschlagnahmt. Niemand darf ihn löschen. Ein Polizeibeamter wird in Kürze eine Kopie ziehen. Sie erhalten gleich den richtigen Vortrag von uns, dann geht es im Programm weiter, wir beeilen uns.“ Conny hatte vorsichtshalber einen Chip mit dem Vortrag bei sich. Dieser ließ sich in Sekundenbruchteilen einspielen und wenig später erschien auf der Großbildleinwand: „Neuartige Erzeugung von Korn als Grundnahrungsmittel – Chancen für die Lösung der Welternährungskrise.“ Das Tuscheln endete schlagartig, die Zuhörer warteten gespannt auf den Beginn des neuen Vortrags. Nun fehlte nur noch der Sprecher. Edo schaute Conny fragend an. Sie kannte sich mit dem technischen Inhalt bestens aus, zumal sie alle Bilder und Tabellen selbst zusammengestellt hatte. Sie könnte einen perfekten Fachvortrag aus dem Stehgreif halten. Doch Conny gab zu bedenken, es gehe mehr um Strategie, Überzeugungskraft, Gefühl für Skeptiker und deren Beweggründe, politische Gegebenheiten und das Welternährungsproblem – Lauras Domäne. Sie entschieden sich: Laura musste ran. Die technischen Fakten, die erwähnt werden mussten, waren Laura ohnehin im Schlaf geläufig und der Leitfaden wie auch die Details ließen sich aus den Bildern der Präsentation ableiten. Edo und Conny ermunterten Laura, sich einen Ruck zu geben. Die Zuhörer durften nicht länger warten, es musste weitergehen. Inzwischen war Enrico informiert worden. Er rannte zum Hinterausgang des Vortragsgebäudes, wo er auf die Polizisten traf, die den falschen Jack verfolgten. Sie berichteten ihm: „Wir eilten hinter dem Mann her und hatten ihn gut im Blick. Aber dort“, sie deuteten auf eine 20 Meter entfernte ebene Grasfläche, „da ist eine Station für Lufttaxis, nicht öffentlich, nur für VIPs. Ein Taxi hatte wohl auf ihn gewartet, er sprang hinein, und weg war er, hoch in den Lüften. Wir kamen höchstens fünf Sekunden zu spät.“ „Haben wir eine Drohne parat, um die Verfolgung aufzunehmen?“, fragte Enrico. „Ja, aber die Basis für Spezialdrohnen liegt zu weit weg und die reichlich präsente Bereitschaftspolizei konnten wir nicht schnell genug aktivieren. Wir hätten sofort und von hier aus losfliegen müssen, um auf Sicht hinterherzukommen, denn es gibt noch keine Identifizierung des Taxis. Auf so etwas Verrücktes waren wir leider nicht vorbereitet.“ Da den Wachleuten momentan keine weitere Verfolgung möglich war, beorderte Enrico sie zurück in den Saal. Es ließ sich derzeit nicht ausschließen, dass dort weitere Komplizen ihr Unwesen trieben. War es vorstellbar, dass nur ein Mann die Örtlichkeiten ausspionierte, den Überfall auf Jack ausführte, ihn gekonnt betäubte, die falsche Präsentation einspielen ließ, den Vortrag hielt und das Lufttaxi punktgenau organisierte? Hinzu kam noch, Jack zu doubeln. Da sollte man eher mit Helfershelfern rechnen. Enrico dachte, wenn das einer alleine geschafft hatte, sollten wir ihn uns krallen und umpolen, und dann als 006 bei uns arbeiten lassen. Er ließ sich mit der Leitzentrale für Taxis verbinden, wo man über den Flug Bescheid wissen sollte. Der zuständige Lotse schaute in die Liste aktueller Flüge: „Ja, es gibt eine Anforderung für einen Flug vom Konferenzzentrum zum Taxi-Terminal Süd-Ost. Allerdings hätte der angemeldete Abflug erst in einer halben Stunde erfolgen sollen, er wurde aber schon vor einigen Minuten abgerufen und genehmigt. Das kommt öfter vor.“ „Können Sie mir bitte sagen, wer den Flug angemeldet hat?“ „Sicher, die für Gäste-Service zuständige Konferenzleitung, ich habe keine Namen.“ „Danke. Was ich noch wissen möchte: Wann landet das Taxi in Süd-Ost?“ „In etwa sechs Minuten. Das hängt ein wenig vom dortigen Verkehrsaufkommen ab.“ Während des Gesprächs war Olaf eingetroffen. Enrico gab ihm Anweisungen. Er sollte zur Station Süd-Ost fliegen und sich mit der dort stationierten Polizei kurzschließen, die er jetzt gleich auf die Ankunft des Taxis ansetzen würde, um den erwarteten Passagier zu verhaften. Die verbleibenden fünf Minuten könnten dafür gerade reichen. Enricos nächster Gang führte zur Notfall-Station, wo sich Ärzte um Jack kümmerten. Dem ersten Anschein nach war ihm sehr „fachmännisch“ eine bei Operationen übliche Narkose verpasst worden, zum Glück ohne Muskelrelaxans, sonst hätte es zur Aufrechterhaltung der Atmung einer Intubierung bedurft. Dadurch schwebte Jack nicht in Lebensgefahr und würde bald aus der Betäubung erwachen. Dennoch ließ sich nicht ganz ausschließen, dass es auch eine gefährlichere GHB-Liquid-Ecstasy Drogenattacke gewesen war, die bei hoher Dosierung nicht Wonnegefühle, sondern Bewusstlosigkeit bis zu Herzstillstand bescheren konnte. Die Ärzte bereiteten sich auf alle Möglichkeiten vor. Jedenfalls war eindeutig: Jemand hatte ihn für die Zeit des Vortrags außer Gefecht setzen wollen und das auch geschafft. Nach der überstürzten Flucht des falschen Jack redete auch Edo, ziemlich außer Atem geraten, im Vortragssaal sanft wie bestimmt auf Laura ein: „Du musst den Vortrag übernehmen. Los, geh zum Podium, schnell. Wir haben die richtige Präsentation jetzt drin, du siehst sie schon auf der Leinwand.“ Laura kam nicht zum Nachdenken. Instinktiv wusste sie, es gab keine Wahl. Wenn die Lage für GenTra noch zu retten war, lag es jetzt an ihr, an ihr ganz allein. Sie atmete tief durch und versuchte, sich die langen Vorbereitungen, Argumente und Beweisführungen präsent zu machen: Plötzlich sah sie sich am Rednerpult stehen, jetzt ging es um alles oder nichts. Ein kurzer Schluck Wasser, dann ergriff sie wie in Trance das Wort: „Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich, und sage insbesondere denjenigen besten Dank, die mir diesen Vortrag ermöglicht haben. Sie sehen am Titel, welches Thema ich Ihnen heute präsentieren möchte. Es geht darum, die Grundernährung für alle Menschen in Zeiten des Klimawandels auf eine breitere Basis zu stellen, zu verbessern, und damit einen neuen Beitrag zur Bewältigung der gravierenden Welternährungskrise zu leisten. Sie fragen sich, wie ist das möglich, nach all den gewaltigen Anstrengungen, die in der Welt in den letzten Jahren vollbracht wurden. Nun, was haben wir heute Neues anzubieten und welche Vorteile lassen sich daraus ableiten? Das ist mein Thema. Es ist uns gelungen, ein dem Weizen ähnliches Korn mit neuen Eigenschaften zu erzeugen, von welchen die wichtigsten aufgelistet sind:

13 Grenznah. Falle. Fernando blieb wie vom Erdboden verschwunden, trotz ausgeschriebener Fahndung. Keine einzige Überwachungskamera zeigte sein Bild, weder in öffentlichen Bereichen der Stadt noch an Bahnhöfen oder Flughäfen. Enrico recherchierte an allen denkbaren Orten wie Krankenhäusern, Hotels, Reiseunternehmen, ohne dass eine Spur auftauchte. Entweder musste ihm irgendetwas zugestoßen sein, oder er hatte sich sehr erfolgreich aus dem Staub gemacht. Olaf prüfte die Videoaufzeichnung der Klinik: War Fernando an seinem letzten Arbeitstag beim Verlassen der Klinik zu sehen? Nein, Enrico fand kein Bild von ihm. War er also immer noch dort im Gebäude? Freiwillig? War er betäubt als „Patient“ in einer Ambulanz nach draußen gebracht worden? Oder konnte er als Insider einen unbeobachteten Weg nach draußen finden? Doch was wäre der Anlass für ein derart ungewöhnliches Verhalten? Enrico berichtete Laura mit niedergeschlagener Miene von seinen Entdeckungen und wo Fernando momentan überall gesucht wurde. Laura überlegte: „Er könnte entführt oder gar ermordet worden sein, weil er zu viel wusste.“ „Welches gefährliche Wissen könnte er denn haben?“ „Da fällt mir auch nichts ein. Ich dachte nur so, als gebranntes Kind.“ „Das ist was anderes, du hast wirklich einige wichtige Informationen besessen und Strippen gezogen. Das kann man nicht vergleichen. Deine Firma wurde der Konkurrenz zu gefährlich.“ „Schon wahr, aber bedenke, dass Fernando zumindest über brisante Dokumente verfügt, denn er hat uns die Nutrica-Dossiers heimlich zugespielt. Das dürfte der Gegenseite nicht gefallen haben – vorausgesetzt, dass sie es erfahren hat.“ Enrico nahm den Gedanken auf: „Lass mich weiter spekulieren, etwas ist höchst verdächtig: Ganz kurz nach dem Moment, wo wir den Überbringer der Dossiers erkannten, nämlich Fernando, da verschwindet er. Das ist kein Zufall.“ „Du hast recht, damit brachten wir ihn in Gefahr. Es könnte doch so sein: Unser Gegner erfährt, dass ihm Fernando durch uns in die Quere kommt, er sucht ihn, findet ihn am Arbeitsplatz in der Klinik, lässt ihn mit irgendeiner Drohung Urlaub anmelden und entführt ihn. Wir wissen ja, dass man dort ungesehen rauskommen kann, wenn man weiß wie.“ „Hm, schon möglich. Doch ohne weitere Zufälle geht das auch nicht. In der Klinik arbeiten viele Leute, man muss ungestört eindringen und einen ziemlichen Tanz vollführen, bis man mit dem ‚Opfer‘ wiederum ungestört draußen ist.“ Laura gab nicht auf: „Es geht auch anders. Unser Gegner gehört zur Klinik und Fernando ist dort noch immer gefangen. Das würde auch viel besser erklären, dass sich keine Spur von ihm finden lässt.“ „Könnte sein. Am wichtigsten ist mir jetzt: Wie kommt der Entführer dazu, Fernando gerade dann zu schnappen, als wir ihn enttarnten? Fernando würde doch nicht freiwillig über seine GenTra Aktion reden und sich gefährden. Wie konnte der Entführer so schnell und so gut Bescheid wissen?“ „Dann sehe ich nur eine plausible Erklärung. Ich wage es gar nicht auszusprechen.“ „Meine Güte, Laura, ich weiß, was du meinst. Ein interner Spion. Wie viele Personen haben von der Enttarnung Fernandos gewusst? Glücklicherweise nicht allzu viele. Wir müssen sie einzeln durchgehen und überlegen, wem das zuzutrauen wäre. Eine verdammt unangenehme Aufgabe.“ „Ja, du hast recht, aber es hilft nichts“, klagte Laura. „Wen haben wir denn als Mitwisser: Conny, Jack, Edo, Toni und Mario. Da ist niemand dabei, dem ich es auf Anhieb zutrauen würde. Wen haben wir noch informiert?“ „Olaf, aber den würde ich ausschließen.“ „Das Dumme ist, dass all diese Leute mein Vertrauen haben, ich kann niemanden der Genannten in einer solchen Rolle sehen. Vor allem, wir würden wohl einen davon beauftragen, das Leck zu suchen; was dann, wenn wir schon dabei den Falschen wählen? Einen externen Kontrolleur damit beauftragen? Ich sehe nur eine Möglichkeit, wie wir verfahren können, ohne unser internes Vertrauensverhältnis zu zerstören.“ „Da bin ich gespannt“, sagte Enrico, „was schlägst du vor?“ Laura lächelte: „Wir stellen dem Verräter eine Falle. Wir streuen in dem Kreis der Verdächtigen eine falsche, aber an sich unverdächtige Information, welche den Gesuchten zu einer für uns erkennbaren Reaktion veranlassen müsste. Das machen doch Kriminalkommissare so, oder?“ Enrico erkannte ihren Hintersinn und lachte. „Du hast zu viele Krimis gelesen, aber hier hast du recht. Wir legen eine falsche Fährte. Nur welche? Es soll schnell gehen und unkompliziert sein.“ „Ich habe eine Idee. Du darfst doch als Kommissar die Teldexer Kommunikation des Verdächtigen Fernando inspizieren; zumindest könntest du behaupten das getan zu haben, weil du bei deinem Chef Gefahr im Verzuge geltend machen konntest. Dabei hast du eine Mitteilung gefunden, der zufolge Fernando zu Hause weitere Nutrica Berichte oder Kopien davon aufbewahrt. Daher versuchst du nun, eine Wohnungsdurchsuchung zu beantragen. Du sagst, das sei nicht leicht, weil der Verdacht etwas vage ist, aber du arbeitest daran und gibst unserem Verdächtigen damit Zeit, vor dir zu handeln.“ „Und dann beobachten wir, wer schleunigst einzubrechen versucht, um die belastenden Unterlagen an sich zu nehmen.“ „Genau so. Abgemacht“, bestätigte Laura, „in der nächsten gemeinsamen Runde, die wir anberaumen, streust du diese Idee ein. Danach muss Fernandos Wohnung rund um die Uhr beobachtet werden. Sollte tatsächlich ein Einbrecher auftauchen, dürfte es aller Voraussicht nach nur ein Handlanger sein. Aber das ist egal, es gibt uns dennoch eine Chance, ihn zum Reden bringen und den Kontakt ausfindig zu machen.“ „Übrigens“, bemerkte Edo, „meinst du, es gibt wirklich Unterlagen in der Wohnung? Das könnte durchaus der Fall sein. Ich sage das nur, weil wir uns überlegen müssen, ob wir die Wohnung wirklich durchsuchen wollen.“ „Nein, glaube ich nicht. Seine wahren Motive kennen wir zwar nicht, aber ich vermute, dass er überlegt und uneigennützig gehandelt hat.“ Gleich am nächsten Morgen nutzte Laura die Gelegenheit, nach der Arbeitsbesprechung den besagten Kreis zu einem Update in der Sache Fernando zu bitten. Edo schaltete sich per Video zu, gab einen Überblick über seine erfolglosen Recherchen und konnte die Meldung unterbringen, die eine Wohnungsinspektion nahelegte. Alle stimmten dem Vorhaben zu. Laura war gespannt, ob sich dieser Trick auszahlen würde. Hoffnung in Kiralistan. Radanis Spion war es gelungen, einem Wadi Söldner ein nützliches Geschenk so überzeugend zukommen zu lassen, dass dieser darüber plauderte, was die lokal einflussreichen Agrarbetriebe derzeit bewegte und was sie als nächste Schritte planten. Radani gab die Neuigkeiten unverzüglich an Michel weiter, der wiederum Laura in Kenntnis setzte. Es sah nicht gut aus. Mit den lokalen Betrieben wäre ein Kuhhandel erreichbar gewesen, es gab schon einige dieser Art, jedoch machten sich zunehmend fremde Akteure breit, deren verantwortliche Vertreter kaum zu greifen waren. Es sei vor allem die Firma BS und deren nicht bekannte ausländische Partner, die sich finanzstark engagierten und die Fäden in der Hand hielten. Neuerdings waren sie darauf aus, Anbauflächen und Erntegut aufzukaufen. Nutrica sollte auf diese Weise verdrängt werden. Bei Laura läuteten die Alarmglocken. Sie wusste nicht zuletzt durch Joe, dass Racco die Aktionen in eigener Regie führte und wahrheitswidrig behauptete, dass er für BS handle. Es galt Racco zu stoppen, dabei genügend hoch anzusetzen und ihre früheren Ideen endlich zum konkreten Einsatz zu bringen. Kurz entschlossen entschied sie, im ersten Schritt die Regierung direkt anzugehen. Doch zuvor sprach sie mit Matti. Neue wirtschaftliche Erfolge hatten Kiralistan einen schnellen Ausbau der Infrastruktur in Städten ermöglicht. Mit Dimitris Hilfe wandte sie sich an das Verkehrsdezernat und bot die HighBrain Software zur Verkehrssteuerung für autonomes Fahren besonders günstig an. Der Zeitpunkt war wohl richtig gewählt, die Idee stieß auf reges Interesse. Das Angebot schaffte konstruktive Kontakte, welche Laura nutzte, die Regierung zu schärferer Prüfung der Nahrungsmittelproduktion zu bewegen und von den Vorteilen des im Land angebauten AllCorn Kenntnis zu nehmen. Die Beteiligung nationaler Gruppen an den Erlösen und die gestiegenen Weltmarktpreise für Korn taten ihr Übriges. Nicht zu vergessen das erhöhte Bewusstsein für die katastrophalen Schäden, welche der Klimawandel im Lande anrichtete: Gletscher schmolzen und „ewige“ Schneefelder tauten, mit der Folge von Erdrutschen und Überschwemmungen. Jede Hilfe war willkommen, die ein Abfedern der Wetterschwankungen und Klima-Änderungen mittels moderner und angepasster Landschaftspflege und Agrarwirtschaft versprach. Als nächsten Schritt regte Laura die Sicherheitsbehörden an, den Pflanzenanbau vor Störungen zu schützen. Der Ressortleiter versprach tatsächlich, dies auf zwei Ebenen anzugehen, über Verwaltung und innere Sicherheit. Man würde Akteuren wie Racco und jeder aggressiven Agrargruppe engere Grenzen für betriebliche Aktionen setzen und Sicherheitskräfte anweisen, rebellische Milizen in Schach zu halten. Der Ressortleiter schien sich zu bemühen und nutzte die Gelegenheit, Dimitri dafür zu danken, dass Nutrica das Risiko des Anbaus eingegangen war, obwohl man wusste, dass die schon immer heißen Sommer noch wesentlich heißer werden würden. Selbst in höher gelegenen Steppen, wo der Großteil des Anbaus erfolgte, waren aufgrund des Klimawandels Temperaturanstiege oberhalb des weltweiten Mittelwertes zu erwarten. Aber GenTra hatte versichert, dass AllCorn dagegen gewappnet sei und stärkere Resistenz als Konkurrenzprodukte aufweise, wohl wissend, dass herkömmlicher Anbau hier total versagen würde. Laura blieb besorgt. Würde sich Racco nach erzwungenem Einbremsen in Kiralistan andere Schauplätze für Störaktionen suchen? Sie musste den Stier bei den Hörnern packen und mit Racco reden. Ein internationaler Haftbefehl lag noch in der Ferne. Nichts geht mehr. In der Zentrale für die Steuerung des autonomen Verkehrs herrschte geschäftiger Betrieb. Alle Systeme arbeiteten automatisch, fehlerfrei. Mitarbeiter saßen an verschiedenen Konsolen und Schirmen, um Bilder der Kameras und Meldungen zu Auslastung oder Besonderheiten zu beobachten. Andere eilten in Nebenräume, diskutierten und führten externe Gespräche. Spezialisten befassten sich mit Straßenbaustellen, Gebietserweiterung oder ungewöhnlichen Sondertransporten. Eine Gruppe tüftelte an Performance-Analysen des vergangenen Verkehrsgeschehens, um einstellbare Leitparameter zu optimieren, so dass Schwachstellen gemildert oder beseitigt werden konnten. Wünsche für grundsätzliche Änderungen an den Algorithmen oder Behebung von seltenen Fehlfunktionen wurden stets der HighBrain als Hersteller übergeben. Plötzlich bemerkte ein Mitarbeiter, wie der angezeigte Verkehrsstrom im gesamten sichtbaren Bereich langsamer wurde, immer langsamer, und schließlich zum Stillstand kam. Verdutzt schaute er auf den Schirm seines Kollegen: Der hatte den gleichen Befund zu verzeichnen. So etwas war unmöglich. Nirgends war ein Stau zu erkennen. Keinerlei Störung oder Warnung war gemeldet, kein extremes Wetterereignis, kein anstehendes Großereignis, keine Unfallserien, nichts. Für diesen Stillstand gab es keine Erklärung und keine Handlungsanweisung in den Störungs- und Notfallplänen. Die Mitarbeiter der Leitungsebene setzten sich augenblicklich zusammen, um zu überlegen, was zu tun sei. Kaum hatte die Diskussion darüber angesetzt, sah man auf den Schirmen, dass sich die Wagen schlagartig und harmonisch wieder in Bewegung setzten, wie am Schnürchen schneller wurden und nach wenigen Sekunden den Normalzustand erreichten, als wenn nichts gewesen wäre. Hatten sie alle geträumt? Nein, die Aufzeichnungen waren unbestechlich, es hatte eine massive Störung gegeben, wenn auch nur für eine halbe Minute. Was war die Ursache? Der diensthabende IT Leiter spekulierte: „Das könnte ein Ausfall der Datennetze gewesen sein. Oder ein unerkannter Fehler in der Software. Wir müssen HighBrain informieren. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sich die Unterbrechung nicht von selbst beseitigt hätte. Eine komische Sache, wir müssen das unverzüglich klären.“ „Ja, sehr verdächtig“, stimmte sein Kollege zu, „ich tippe auf Hacker. Erinnert euch, vor kurzem hatten wir das Problem mit Langsamfahrt, dann mit dem Vertauschen der Befehle für das Lenken nach rechts und links, was tatsächlich zum Kollaps führte.“ Jeder kehrte an seinen Platz zurück und arbeitete weiter, allerdings unter ständiger Beobachtung der Verkehrslage. Der IT-Leiter informierte HighBrain und stellte die Log-Files der letzten Minuten sicher, um Inspektion und Fehlersuche zu ermöglichen. In der HighBrain ging die Störungsmeldung an Matti, der sich sogleich darüber hermachte und ebenso wie alle anderen staunte. Das konnte seiner Kenntnis nach – er hatte die entscheidenden Algorithmen selbst entworfen – kein bisher unentdeckter Fehler im Code sein. Es musste sich zum dritten Mal um eine neue Gefahr von außen handeln. Dieser Eingriff könnte sich wiederholen, sogar in wesentlich stärkerem Ausmaß, und unermesslichen Schaden anrichten. Kein Zweifel, erneut waren Hacker am Werk. Aber wie? Die Sicherheitsvorkehrungen waren einzigartig, Spezialfirmen hatten bei regelmäßigen professionellen Hackerversuchen keine Möglichkeit gefunden, sich einzuschleichen. Was war da los? Er würde sich alle Log-Files genau vorknöpfen und versuchen herausfinden, welche Algorithmen betroffen waren. Vorschriftsmäßig informierte er Alfredo. Dessen Tobsuchtsanfall war gewiss; er würde womöglich den Geheimdienst einschalten, weil massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung überregionale Auswirkungen haben könnte – höchst peinlich für Matti. Beweise der Superlative. Kasimir wurde ungeduldig und drängte Giovanni zu schnelleren Ergebnissen. Trotz gegenteiliger Erfahrungen übertrieb er häufig bei anspruchsvollen Projekten seine Erwartung, dass die Gewährung gewünschter Mittel schnell und direkt zu den gesetzten Zielen führen würde. Es widerstrebte ihm zu akzeptieren, dass die Entfaltung menschlicher Intelligenz und Phantasie durchaus viel Zeit erfordert, nicht zu reden von einigen Portionen Glück. Giovanni und sein Team waren dennoch sehr gut im Rennen und hatten bedeutende Erfolge eingeheimst, und dies mussten sie jetzt dem Partner neu beweisen. Giovanni dachte an zwei spektakuläre Kostproben aus seinem Spitzenprojekt. Eines der Experimente hatte er vor kurzem ausprobiert und war über den Erfolg selbst erstaunt. Er war sich des Restrisikos bewusst, denn die geringe Zahl durchgeführter Testläufe war noch nicht sehr aussagekräftig und man wusste wenig über die Fehlerrate. Doch der Druck war groß, sie hatten nicht viel Zeit. Jetzt galt es zu glänzen. Zwei Tage später begab sich Giovanni in sein Geheimlabor, um die angekündigten Experimente seinen Gästen vorzuführen: Kasimir, dessen rechte Hand Victor und Kasimirs neue Partnerin Marina. Drei Probanden lagen bereits in bequemen Funktionssesseln und bereiteten sich darauf vor, als Sender von Gedanken zu fungieren. Der eine trug ein dichtes Elektrodennetz am Kopf, dessen Kabelstrang mit einer Steuerkonsole und einem Regal voller Rechner verbunden war. Das würde näherungsweise der klassischen Methode einer Hirn-Computer Schnittstelle entsprechen, um Gedanken ohne Gehirnimplantate zu übertragen – wenn der Empfänger technisch ähnlich präpariert wäre, was hier mitnichten der Fall war. Bei den zwei anderen Probanden lag der Kopf im Feld eines Magnetresonanzgerätes, einem fortentwickelten Modell aus der früher benutzen gröberen fMRT-Generation. Mit dieser neueren Tomographie, höchst empfindlich auf magnetische Neuronenaktivität, Blutfluss und Aktionspotenziale, ließen sich Gehirnaktivitäten in solch unglaublichen Details erfassen, dass sie ein Quantenrechner als bildhafte Gedanken interpretieren und darstellen konnte. Heute jedoch war der wichtigere Aspekt entscheidend, in umgekehrter Richtung zu arbeiten und extern gespeicherte, komplexe Informationsimpulse als dreidimensionales Gedankenmuster in Gehirne dynamisch einzuspeisen. Jeder Proband konnte auf einen großen Videoschirm blicken, der mehrere Funktionen erfüllte. Zu Beginn der Sitzung sorgten sanfte, wechselnde Farben für Entspannung. Danach würden die Aufgaben in Bildern und Texten dargestellt werden. Der untere Teil des Schirms diente als Monitor zur Selbstkontrolle, damit der Proband seinen Leistungsstand verfolgen, aufrechterhalten und nachjustieren konnte. Markus erklärte, dass man das Experiment nur mit einer der drei Personen ausführen würde, nämlich derjenigen, welche sich für den Test heute am geeignetsten zeigte. Zur richtigen Auswahl diente ein eigens entwickeltes Verfahren, in welchem die Reaktion auf kleine Impulsketten gemessen wurde. Das Analysesystem ermittelte, wer sich für die Aufnahme und Verarbeitung von 3D-Informationen und Handlungsbefehlen im besten Zustand befindet. Zudem war es gut, bei Bedarf auf eine Reserveperson zugreifen zu können. Die Experimente waren anstrengend und die Kräfte des Probanden durften während des gleichermaßen entspannten wie konzentrierten Zustands nicht nachlassen. Die Besucher nahmen hinter schalldichten Scheiben an einem Bildschirm Platz und setzten Kopfhörer auf. Markus richtete sich an der Steuerkonsole ein und startete die 3D-Visualisierung der Gehirnaktionen, welche die Probanden allerdings nicht zu Gesicht bekamen, um sie keinen unnötigen Reizen auszusetzen. Die Musik klang aus, es herrschte gespenstische Stille. Nach dem Hochfahren und Erreichen des regulären Betriebszustandes aller benötigten Systeme beschrieb Markus die geplante Vorführung: „Heute versuchen wir, einen unserer drei Probanden, den wir gerade auswählen, zu einer speziellen Gedankenübertragung zu veranlassen. Er soll einer Zielperson befehlen, eine bestimmte Handlung auszuführen. Das Besondere an dem Experiment liegt darin, dass die Zielperson unserem Probanden unbekannt ist, sich an einem anderen Ort in der Stadt befindet, nicht mit uns in irgendeiner technischen Signalverbindung steht und von unserem Ansinnen auch nichts weiß. Selbstredend dürft ihr auch davon ausgehen, dass sie diesen Auftrag ohne die von uns gleich einsetzende Gedankenübertragung keinesfalls ausführen würde. Wir haben vor wenigen Minuten überprüft, ob sich die Person an ihrem Arbeitsplatz befindet, welchen sie zum Ausführen unseres Auftrages benötigt. Das ist der Fall. Wir können also loslegen.“ Die drei Gäste blickten skeptisch, das war deutlich mehr, als sie erwartet hatten. „Wie kommt ihr auf die Zielperson, könnt ihr irgendjemanden beliebig auswählen?“ „Im Prinzip ja, aber es müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Wir benötigen einen Zugangscode zu der Person, eine Art ‚Hirn-IP‘, sonst finden wir sie nicht. Natürlich ist diese IP keine Zahl wie bei einem Rechner, sondern ein komplexes mehrdimensionales Muster. Außerdem ist ein Umfeld erforderlich, das sie technisch und organisatorisch in die Lage versetzt, die Aufgabe zu lösen. Um dies zu gewährleisten, haben wir die Zielperson nicht zufällig ausgewählt. Es handelt sich um jemanden, dessen Gehirn-Charakteristika wir kennen und der die gestellte Aufgabe an seinem normalen Arbeitsplatz ausführen kann, auch wenn er das normalerweise nie tun würde.“ Markus schaute zu Giovanni, der die Gründe für diese Auswahl genauer darlegte: „Die Person war Patient in unserer Klinik und hat deutliche Besserung ihres Hirnleidens erfahren. Dabei zeichneten Analogrechner ein holographisches Gehirnmuster auf, dessen Basisstruktur für diese Person absolut charakteristisch ist, etwa so wie eine DNA oder ein Fingerabdruck. Damit könnten wir die Person einwandfrei identifizieren, wenn wir ihr Gehirn im Labor abtasten würden. Im Experiment stimulieren wir den Probanden und spielen das besagte ‚IP‘-Muster ein. Wenn er sich diese ‚IP‘ so vorstellen kann, dass sie mit unserem gespeicherten Muster übereinstimmt, hat er die Zielperson gefunden und ist für Informationsübertragung bereit. Dann geben wir den Arbeitsauftrag – und warten ab.“ Genau nach diesem Schema lief nun das Experiment mit dem inzwischen ausgewählten Probanden. An der Konsole ließen sich die einzelnen Schritte verfolgen. Der Kontrollschirm zeigte das dreidimensionale Bild der Gehirnaktivität in zwei Farben, welche den örtlichen und zeitlichen Verlauf darstellten. Da gab es wildes und chaotisches Blitzen, Flackern, stärker und schwächer werdendes Getümmel an Farbflecken. Nachdem Markus den Filter „Hirn-Aktion“ zugeschaltet hatte, wurde das Bild ruhiger und zeigte 3D-Strukturen in roten Farbtönen, die nur leicht hin und her wogten und mit der Zeit klare Konturen ausbildeten. Diese raffiniert gefilterte Projektion stellte die Basisstruktur seiner tatsächlichen, momentanen Gedanken dar. Im nächsten Schritt überlagerte Markus in grünlichen Farben die Hirn-IP Struktur der Zielperson, welche im Rechner gespeichert war. Beide Muster erschienen auf dem Videoschirm des Probanden, der jetzt versuchte, an die Zielperson zu denken und die rote und grüne Struktur zur Deckung zu bringen, um sich mit der Zielperson zu synchronisieren. Anfänglich sahen beide Muster völlig verschieden aus, aber nach und nach wurden sie immer deckungsgleicher. Um die letzten entscheidenden Feinheiten zu erzielen, wurde auf 3D-Hologramm Projektion umgeschaltet. Eine wahnsinnig plastische Darstellung der räumlichen und zeitlichen Gehirnaktivität erschien in perfektionierter Technik, die jede modernste virtuelle Bühnenshow dieser Art hinter sich ließ. Zur Synchronisierung erklärte Markus: „Wir nutzen die Möglichkeit, dass sich Organismen, hier die Gehirne von Proband und Zielperson, wechselseitig mit Informationen versorgen können, welche an einem anderen Ort vorliegen. Dieses auf translokaler Wechselwirkung beruhende Phänomen kennen wir von Tier- und Pflanzenexperimenten. Zu unserem Erstaunen klappt das bei Menschen noch viel besser. Einfach ausgedrückt: Die beiden Gehirne von Proband und Zielperson befinden sich im Austausch, als wenn sie in ein und demselben System oder Körper wären. Übrigens, Experten wissen, dass es sich hier um das quantenmechanische Phänomen der Nicht-Lokalität handelt, das für Mikrosysteme seit über 150 Jahren bekannt ist und in den Lehrbüchern steht. Aber nun zum Experiment. Da die Synchronisierung steht, können wir den Auftrag erteilen.“ Auf dem Videoschirm des Probanden erschien die Aufforderung: „Stoppe den gesamten autonomen Autoverkehr in der Stadt für dreißig Sekunden.“ Der Proband hatte seine Augen nach wie vor geöffnet, verhielt sich aber die ganze Zeit absolut ruhig und bewegungslos, wie in Trance. Markus erwähnte, dass ein Ergebnis erst nach einiger Zeit sichtbar werden würde, weil die Zielperson einen Weg finden musste, die ungewohnte Aufgabe auszuführen zu können. Marina dachte: „Bühnenshow eines Illusionisten?“ Alle starrten wie gebannt auf den Monitor, als würden ihre Augen von diesem magnetisch angezogen. Auf seitlichen Kontroll-Bildschirmen ließen sich nun Echtzeitaufnahmen des Straßenverkehrs in der Stadt verfolgen. Offensichtlich waren die Zugangscodes zu den Kameras in diesem Labor kein Geheimnis. Jede der zugeschalteten WebCams zeigte Fahrzeuge, die auf Straßen und Kreuzungen unterwegs waren. Fünf Minuten vergingen ohne ungewöhnliches Geschehen. Kasimir dachte an einen schlechten Scherz, gleichwohl übte er sich in Geduld. Giovanni würde schon wissen, was er tat. Dann geschah das Undenkbare: Die Wagen wurden langsamer, immer langsamer, und kamen zum Stillstand, soweit die Kameras die Straßen erfassten. Nach einer halben Minute setzen sich alle Wagen erneut in Bewegung und kurz darauf war alles wieder beim Alten. Kasimir sprang erregt auf und schüttelte seinen Kopf: „Unglaublich. Phänomenal, was ihr könnt. Respekt, solch ein Erfolg. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Ruckartig wandte er sich an Victor: „Welche Macht über Menschen und Systeme! Wir werden dieses Verfahren zur Informationsübertragung in unseren Kliniken weltweit einführen. Natürlich nur, wenn auch andere Befehle möglich sind. Victor, das ist eine einzigartige Monopolstellung, du musst unsere Pläne sofort ergänzen.“ Und zu Marina gewandt: „Das ist die angekündigte Spezialversion. Perfekt für euch.“ Sie nickte verblüfft. Victor pfiff anerkennend. Das würde seinen Plänen enorm entgegenkommen. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass man davon nur sehr intelligenten Gebrauch machen durfte. Giovanni war erleichtert, dass der Test geklappt hatte, und erklärte souverän: „Wir hätten den Stillstand auch länger haben können, wollten aber nicht zu viel öffentliche Aufmerksamkeit. Es galt lediglich zu demonstrieren, dass wir Aufgaben an Fremde delegieren können, ohne dass diese den Grund für ihr Handeln erfassen.“ „Phantastisch, das war überzeugend“, sagte Kasimir, „das ist der richtige Weg für uns. Können wir noch genauer erfahren, wie das funktioniert?“ „Selbstverständlich, ich fasse kurz zusammen. Zunächst die Zielperson: Sie ist eine frühere Patientin, deren Hirn-IP wir in der Datenbank gespeichert haben. Sie arbeitet verantwortlich in der Verkehrszentrale und hat Zugangsberechtigung zu geschützten Codes. Unser Proband muss sich in ihr Gehirn einloggen und vermag dann eigene Gedanken oder Handlungsziele zu übertragen. Die Empfängerin meint, sie hätte sich den Auftrag selbst gestellt. Als Expertin weiß sie, dass man den Stillstand des Verkehrs durch Manipulieren des Codes der Steuerungssoftware erreichen kann. Mit ihrer Zugangsberechtigung zum Code öffnet sie den Programmiermodus und fügt einen Haltebefehl ein, um ihn dann gleich wieder aufzuheben.“ Markus ergänzte: „Um keine falschen Erwartungen zu schüren, möchte ich Giovannis Worte präzisieren. Wir können keine Wunder vollbringen. Ich wiederhole die absolut notwendigen Voraussetzungen, um so etwas durchzuführen: eine lösbare Aufgabe, die dafür geeignete Zielperson und das passende Umfeld, in dem die Aufgabe lösbar ist. Wichtig ist auch, dass wir die Gedankenübertragung so dominant gestalten, dass die empfangenen Befehle als vorrangig behandelt und möglichst sofort ausgeführt werden.“ Victor dachte nach und fragte: „Hätte der Versuch auch misslingen können?“ „Ja, was das Ergebnis betrifft. Es hätte einiges schiefgehen können, vor allem im dortigen Umfeld. Sie hätte einen Programmier­- fehler machen können, die gestellte Aufgabe hätte zu schwierig sein können. Nebenbei gesagt, wir durften heute zuversichtlich sein, weil die Zielperson uns schon mal ein erfolgreiches Experiment bescherte, indem sie durch Vertauschen der Codierung für rechts-links-Lenken einen stadtweiten Stau produzierte. Nach Ablauf der vorgesehenen Stillstandszeit hätten wir das rückgängig gemacht, aber die Verkehrsexperten sind uns knapp zuvorgekommen.“ Victor fragte: „Kann es vorkommen, dass die Zielperson Anweisungen aufgrund eigener Gedanken und Bewertungen ablehnt? Gibt es Hemmschwellen?“ „Nein“, gab Giovanni zurück, „zumindest ist es uns bisher stets gelungen, die Gedanken des Empfängers mit unseren Vorgaben sicher zu überschreiben. Zugegebenermaßen fehlt uns noch etwas die breite Erfahrung. Immerhin, wir haben schon bewiesen, dass Aufgaben erfüllt werden, welche die Zielperson alleine, ohne externe Beeinflussung ihrer Gedanken, wohl nie akzeptiert und erledigt hätte. Unser zweites Experiment zeigt euch, was noch alles möglich ist. Sobald unser Proband ausgeruht ist, werden wir es vorführen.“ Kasimir extrapolierte das Erlebte sofort in die Zukunft seiner Projekte. Daher interessierte es ihn, mehr an Hintergrundinformation zu erfahren. „Ich verstehe noch immer nicht, wie die Synchronisation mit der Zielperson funktioniert.“ „Wie vorhin erklärt, muss die Person irgendwie bekannt sein, sonst kann unser Proband das Zielgehirn nicht finden, sich nicht einloggen. Das ist in etwa so, als wenn man sich in einen Rechner einwählt, indem man dessen IP-Adresse eingibt. Oder einfacher formuliert: Ein Brief kommt an, wenn der Empfänger angegeben wird. Wir haben hier zwei Möglichkeiten. Entweder wir nutzen eine uns bekannte Hirn-IP, wie wir es gerade vorgeführt haben, oder der Proband besitzt ausreichend Kenntnis über den Empfänger und kann sich selbst in diesen ‚hineindenken‘.“ „Das kling nicht ganz unlogisch, obgleich recht phantastisch. Doch wie lernt man Empfänger kennen? Was muss man über sie wissen?“ „Bei unserem jetzigen Wissensstand“, erläuterte Markus, „arbeiten wir nur mit Personen, von deren Gehirn wir in unserem Labor einen holographischen Abdruck genommen haben. Wie wir es gerade erlebten, kann sich unser Proband dann anhand dieses Musters recht zuverlässig in Resonanz bringen.“ Marina fragte: „Wie kopiert und speichert ihr das Hologramm eines Gehirns?“ „Die gemessenen Aktionspotenziale sind speicherfähige Daten, und Speicherplatz ist kein Thema. Das Besondere ist die Korrelationssoftware, welche diese Unmenge an dynamischen Daten in Echtzeit intelligent verarbeitet und interpretiert; dafür gibt es Quantenrechner, welche das mit links schaffen – wenn man sie zuvor programmiert hat.“ Giovanni sagte: „Es wäre selbstverständlich hilfreich, später mit weniger Informationen über Zielpersonen auszukommen. Gedankenübertragung zwischen Gehirnen ohne technische Signale unterliegt Naturgesetzen, selbst wenn wir diese nur unvollständig kennen. Wir wissen nicht, welche Voraussetzungen mindestens erfüllt sein müssen, um eine Verbindung zwischen Sender und Empfänger zu knüpfen.“ „Offenbar habt ihr es geschafft, von GenTra entscheidende Informationen zu beschaffen“, konstatierte Kasimir. „Ja, das war der entscheidende Schritt. Wir konnten alle Daten besorgen, die zur translokalen Informationsübertragung vorhanden waren, und diese weiterentwickeln. Ich konnte den Informationseinkauf, wenn ich es mal so nennen darf, abschließen; natürlich erfahren wir weiterhin, ob sich neue Erkenntnisse auftun, die hilfreich sein könnten.“ Inzwischen schien sich der Proband für das nächste Experiment erholt zu haben. Es sollte ähnlich wie bei der ersten Demonstration ablaufen, aber noch besser illustrieren, wie nahe man den Zielvorgaben Kasimirs schon gekommen war. Diesmal war der Gedanken-Empfänger ein Angehöriger der Armee, der die Befehlsgewalt über Kampfdrohnen besaß. Auch er war Patient der Klinik gewesen und hatte sein Gehirn-Hologramm hinterlassen, mit welchem der heutige Proband die Synchronisation zur Zielperson ausführen würde. Giovanni verkündete, ohne seine innere Aufregung zu zeigen: „Die Aufgabe lautet: Bestücke eine Drohne mit Sprengstoff und fliege einen Scheinangriff auf die Raffinerie. Da es sich um einen Test unserer Fähigkeiten handelt, wollen wir keinen Schaden anrichten, keine Explosion verursachen, sondern nur andeuten, was mit unserer Technik alles möglich wäre. Markus, starte das nächste Programm.“ Die Gäste kannten jetzt bereits den Ablauf und starrten auf den großen Bildschirm. Dieser zeigte Bildausschnitte zweier Überwachungskameras, die man für die Vorführung angezapft hatte. Im linken Teil sah man ein Bombenlager und den daneben befindlichen Drohnen-Startplatz auf einem militärischen Flugfeld, im rechten Bild erschien der größte Energiespeicher der städtischen Raffinerie. Markus spielte das „Hirn-Muster“ der neuen Zielperson ein, wartete die Synchronisation ab und zeigte die genannte Aufgabe auf dem Bildschirm. Auf seinem Kontrollmonitor ließ sich der Fortschritt des Probanden verfolgen. Das ermöglichte ihm das minutengenaue Ankündigen der nächsten Aktion. Auf dem linken Bild war keinerlei Bewegung zu sehen, doch dann rollte eine Drohne aus dem Hangar zum Waffenlager. Ein Roboter entnahm eine Bombe, fuhr zur Drohne und klinkte diese an deren Unterseite ein. Kurz darauf stieg die Drohne auf und brauste im Tiefflug davon. Nach einigen Minuten erschien sie auf dem rechten Bild. Sie raste mit hoher Geschwindigkeit auf den Tank zu. Dessen Überwachungssensoren lösten bei der militärischen Abwehr Alarm aus, Sirenen heulten auf. Kurz vor dem möglichen Angriff nahm die Drohne eine scharfe Kurve und flog zurück. Am ursprünglichen Startplatz angekommen, wurde die Bombe vom Roboter ausgehängt, eingelagert, und die Drohne verschwand im Hangar. Alles sah wieder aus wie zuvor. Wie bei der ersten Demonstration sprang Kasimir vor Begeisterung auf: „Nicht zu glauben. Ihr seid spitze.“ „Wir haben die Empfängerperson nicht gesehen“, erklärte Giovanni, „weil sie im Leitstand des Gefechtszentrums arbeitet und dort alle für den Auftrag nötigen Befehle ausführte. Wir wollten uns im Leitstand nicht technisch einhacken, das wäre zu gefährlich. Aber ich denke, ihr habt auch so ganz gut beobachtet, was wir zustande bringen.“ „Ihr ahnt sicher, wie das Ganze bei der Armee tatsächlich abgelaufen sein muss. Der diensthabende Offizier hat die Berechtigung, bewaffnete Drohnen fliegen zu lassen. Das darf er natürlich nicht ohne Grund tun. Wir konnten jedoch von der Annahme ausgehen, dass er eine ‚Routine-Übung‘ ansetzen würde, um das Ganze als offizielle Maßnahme zu deklarieren und keine lästigen Fragen auf sich zu ziehen. Auf diese Weise könnten auch Alarme gelöscht und Beschwerden abgewehrt werden. Indes, als der Alarm einsetzte, erhielt der General sofort Meldung und musste erkannt haben, dass eine Kampfdrohne ohne seinen Einsatzbefehl flog – völlig inakzeptabel. Alle seine Bemühungen zur Hackerabwehr hatten nicht gegriffen, die HighBrain IT würde etwas zu hören bekommen. Vielleicht wird es weitere Nachspiele geben, aber die werden sie überstehen.“ Leicht erschöpft schlug Markus vor: „Gönnen wir uns eine Erfrischungspause im Konferenzraum, bevor wir die Konsequenzen dieser Vorgänge diskutieren.“ Gedanken manipuliert. Die beiden Experimente hatten die Besucher fassungslos gemacht. Sie kannten zwar Giovannis Konzepte und Ankündigungen, doch die Live-Darbietung hinterließ einen wesentlich stärkeren Eindruck. Und sie warf Fragen auf. Also setzten sich die fünf im Besprechungsraum zusammen, um die Zukunft zu schmieden. Kasimirs hochfliegende Pläne konnten noch höher steigen. Seine Phantasie kannte keine Grenzen, gleichwohl er Realitäten zur Kenntnis nahm und sich, wenn nötig, daran orientierte. Unbeirrt würde er Giovanni weiter antreiben, seine Ziele umzusetzen. Heute war man hier, um die Konzepte gemeinsam zu fixieren. Kasimir forderte: „Diese personenbezogene Gedankenübertragung ist beeindruckend. Aber es gibt zu viele Begrenzungen, sie müsste einfacher werden. Könnte sie auch von weniger erfahrenen Experten ausgeführt werden?“ „Du bist lustig, darf es sonst noch etwas sein?“, antwortete Giovanni leicht amüsiert. „Aber ernsthaft: Es ist doch fast schon so. Und wir arbeiten an Verbesserungen.“ „Zum Beispiel die Kontrolle über Zielpersonen“, erläuterte Markus, „bei Gedankenübertragung müssen Ziel-IP oder Hirnmuster aus unserer Datenbank entnommen und dem Sender vermittelt werden. Das führt zu hohen Anforderungen an Tomographie-Technik, weil die Sender nicht mit allen Zieldaten im Kopf versorgt sind.“ „Ein wichtiges Argument, in der Tat“, gab Kasimir zu, „wir benötigen die Hirn-Datenbank von Zielpersonen. Allerdings wünschte ich mir, das Einspeisen aus der Datenbank könnte schneller und mit minimaler Technik ablaufen. Sonst können wir nicht an umfangreichere Anwendungen denken, die bedienungssicher sein sollten.“ „Darin sind wir uns einig“, konstatierte Markus, „bevor wir heute auseinandergehen, listen wir unsere Konzepte und Möglichkeiten auf, und ihr nennt alle eure Wünsche.“ Marina stimmte zu: „Prima. Aber neben den spektakulären Einzelbeeinflussungen, wie wir es gerade erlebt haben, möchte ich gerne mehr über Methoden für Massenanwendungen hören. Es geht um viele Millionen Menschen bei uns und in Partnerstaaten, welche verlässlich überzeugt werden müssen, den Staat und seine Gesetze zu achten und beispielsweise separatistische Ideen für sehr schlecht zu halten. Das gelingt uns mit den Nano-Robots ganz gut. Jedoch wäre es das i-Tüpfelchen, einflussreiche Einzelpersonen speziell zu behandeln, von denen wir keine Hirn-IP haben. Ist es eine realistische Erwartung, dies dennoch künftig mit eurer translokalen Methode zu bewerkstelligen?“ „Vermutlich gibt es auch dafür Wege. Ich gebe euch erst mal einen aktuellen Überblick.“ Nun wählte Giovanni seine Worte mit Bedacht: „Vergegenwärtigen wir uns zuerst noch mal die Massenbehandlung mit Nanos, die ihr aus eurem Testversuch schon kennt. Menschen lernen durch Hören und ändern ihr Verhalten durch Verarbeitung akustischer Informationen. Wohlgemerkt, im Wachzustand und mit bescheidenem Erfolg bei Anweisungen, welche Widerspruch auslösen. Nun wissen wir, dass Hypnose einen besonderen Bewusstseinszustand erzeugt, in welchem sich Probanden ziemlich barrierefrei beeinflussen lassen. Daher bereiten Nanos als ‚innere Stimme‘ den empfangsbereiten Zustand wie ein Hypnotiseur vor. Das entwickeln wir hier im Labor in langen Versuchsreihen mit Tests an zahlreichen Probanden.“ Kasimir fragte: „Wie findet ihr den richtigen Zeitpunkt für die Hypnose?“ „Die Nanos messen automatisch den Anteil der Theta-Wellen und erkennen damit einen geeigneten Zustand, zu welchem das vorgesehene ‚Hörprogramm‘ direkt aus dem Speicher des Nanos oder über Funk aus unserer Zentrale abgerufen wird.“ Marina fragte kritisch: „Wie kommen die Nanos an die richtige Stelle im Gehirn?“ „Sie müssen nur im Kopfbereich landen. Die ausgesandten Signale sind so transformiert, als wenn sie über das Ohr kämen, breiten sich im Gehirn aus und gelangen in die Nervenbahnen zum Hörzentrum. Die Chips wirken letztlich wie Hören mit Ohren.“ „Erstaunlich. Und wie sieht es mit der Erfolgsquote aus?“, fragte Victor. „Nanos können in vielen Verästelungen des Körpers landen, auch in den Zehen. Daher sollten viele Nanos injiziert werden, damit wenigstens eines im Gehirn andockt. Dann ist die Erfolgsrate etwa 95 %. Für die verbleibenden 5 % haben wir auch schon Ideen.“ Marina kannte hypnotische Befehle aus Bühnenshows und wusste, dass die Effekte im Laufe der Zeit nachlassen. Sie fragte: „Wie erreicht ihr eine dauerhafte Wirkung der Manipulation?“ Giovanni erklärte: „Bei den bisherigen Labortests zeigten sich ausgezeichnete Dauerwirkungen. Bedenkt, dass Befehle nicht zwingend zurückgenommen, sondern eher einige Male wiederholt werden. Bei Massenmanipulation, wo derzeit keine Rückmeldung des Betroffenen an uns vorgesehen ist, vermuten wir die gleiche Effizienz.“ „Ich hätte eine Idee“, schlug Marina vor, „unsere Kontrollbehörden verfügen über das komplette Verhaltensprofil eines jeden Bürgers in Echtzeit. Sie können eine Veränderung sofort erkennen, also auch die Nano-Impfwirkung prüfen, für jede einzelne Person.“ „Das hilft bei der nächsten Nano-Version“, bestätigte Giovanni, „wo wir IP Adressen einbeziehen, um bestimmte Person gezielt per Fernsteuerung nachzubehandeln.“ „Nun ist es Zeit, unsere Planung abzustimmen“, leitete Markus über, „ich habe eine Übersicht entworfen. Wem sie zu kompliziert erscheint, kann sie getrost ignorieren, wir haben das meiste schon besprochen. Ansonsten schaut auf die Leinwand vor euch.“

Anhang. Wichtigste handelnde Personen

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