Elternlos

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Описание книги

Wie kann ein Junge, der in früher Kindheit Vollwaise wird, in den schlimmen Zeiten des 2. Weltkrieges und der Nachkriegszeit bei seinen Großeltern in Landsberg an der Warthe aufwächst, von dort nach Ostdeutschland flüchten muss, sein Leben meistern? Bis ins Detail genau berichtet der Verfasser über Höhen und Tiefen während seines Lebensweges, wie er immer wieder versucht, durch Mut, Fleiß und Beharrlichkeit aus Schwierigkeiten herauszufinden und neue Möglichkeiten zu erkennen, die ihm mehr Sicherheit in seiner Existenz bieten können. Wird er als Ruheständler trotz aller belastenden Probleme während seiner Entwicklung auf ein erfülltes Leben zurückblicken können?

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Hans-Joachim Risto. Elternlos

Impressum

Geburt und Landsberg (Warthe) 1935 war Friedenszeit. Es war ein Jahr, das zu den guten Jahren nach all den Entbehrungen der Nachkriegszeit, der Inflation, der Weltwirtschaftskrise und der enormen Arbeitslosigkeit Anfang der 30iger-Jahre gehörte. Die Menschen waren wieder fröhlich und glaubten an eine großartige Zukunft. Sie jubelten Hitler zu. Er hatte es geschafft, Arbeitslosigkeit und Elend weitgehend zu beseitigen. Die meisten Leute hinterfragten nicht, wie das möglich war und was Hitler mit seiner Politik erreichen wollte. Sie wollten das alles auch gar nicht wissen, Hauptsache, es ging ihnen gut. Zweifel an den Zielen des Regimes wurden weitgehend verdrängt, man hörte nicht so genau hin, was Hitler sagte, man gab sich einfach der Euphorie dieser Zeit hin. Man hatte wieder etwas, woran man glauben konnte nach all der Schmach, die den Deutschen angetan worden war. Der verlorene Krieg, das Versailles-Diktat, die Enteignung der Kolonien, die Besetzung des Rheinlandes und die verlorene Monarchie. Deutschland war im Aufbruch, für die Masse keineswegs in Richtung eines neuen Krieges, eher nach Rehabilitierung, nach Abschütteln der Versailler Unrechte und nach wirtschaftlicher Blühte. Man traute es Hitler zu, das alles zu verwirklichen. Für die stark aufkommenden Kommunisten hatte man wenig Sympathie, obwohl sie eine erhebliche Wählerschaft hatten. In dieses Jahr hinein wurde ich nun geboren von einer jungen Frau von 24 Jahren, die selbst noch ihren Weg ins Leben suchte. So ähnlich ging es auch meinem Vater, dem einzigen Sohn einer sehr reichen Familie. Sie besaßen in Landsberg an der Warthe ganze Häuserzeilen und eine Fabrik in Czarnikau, Provinz Posen. Mein Vater, Heinz Paulsen, war Alleinerbe und hatte bis zu der Zeit, als ich geboren wurde, wohl kaum gearbeitet

Mein Vater. Nach dem von mir Vernommenen hatte er Ingenieur-Wissenschaft studiert und sich auf die Übernahme des Grundstück-Vermögens vorbereitet. Nach den Fotos zu urteilen, waren seine Eltern schon sehr alt. Allerdings lebten zu der Zeit noch seine Großeltern, die wohl etwa in dieser Zeit ihre Goldene Hochzeit feierten, wie aus den Fotos zu entnehmen ist. Mein Kommen scheint den Eltern und Großeltern meines Vaters nicht willkommen gewesen zu sein. Jedenfalls wollten sie eine feste Verbindung zu meiner Mutter nicht unterstützen, so sagten es mir meine Großeltern mütterlicherseits. Leichte Zweifel daran kommen mir allerdings angesichts eines Fotos aus meiner großelterlichen Wohnung, auf dem neben meinen Eltern, den Eltern meiner Mutter auch die Großmutter meines Vaters zu sehen ist. Die Zweifel werden größer, wenn ich die Fotos betrachte von der Verlobung meiner Eltern, bei der die Großeltern meines Vaters und seine Mutter anwesend sind

In Omas Wohnung, meine Eltern u. meine Omas, 1934

Verlobung meiner Eltern, Wohnung meiner väterlichen Großeltern, 1934. Danach kann es doch eigentlich keine so starke Ablehnung gegen meine Mutter als Ehefrau von Heinz Paulsen gegeben haben. Vielleicht hat sich das Ganze durch meine Anwesenheit geändert und die Familie meines Vaters glaubte an eine vorübergehende Liebschaft. Durch mein Unterwegssein und meine Geburt wurden nun Tatsachen geschaffen, die Verpflichtungen auslösten. Es wurde ernst. Möglich dass erst jetzt die Ablehnung meiner Mutter deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Meine Mutter als Tochter eines Gastwirts, gelernten Fleischers und Kochs und einer Hausfrau war nicht standesgemäß, so jedenfalls sagte es mir meine Großmutter einmal. Warum meine Mutter sich scheinbar mehr zu der Arztfamilie Tews in Landsberg in dieser Zeit hingezogen fühlte, sich dort oft mit mir aufhielt und dann nach Berlin ging, um mich dort zu entbinden, ist mir verborgen geblieben. Ich vermute, es gab meinetwegen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater. Über mögliche Treffen oder eine Beziehung zu meinem Vater während der Schwangerschaft und danach ist mir leider nichts bekannt. Auch hier nur die Vermutung, die Schwangerschaft hat die Beziehung auseinandergebracht. Die Eltern meines Vaters waren scheinbar dagegen. Damit war meine Mutter in doppelter Weise in die Enge getrieben. Einmal war sie von meinem Vater verlassen und zum anderen hatte sie Probleme mit ihrem Vater. So entband sie in einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Wahrscheinlich wohnte sie bei ihrem Onkel Richard, zu dem und dessen Frau Else sie schon früher gute Beziehungen unterhielt. Mein Opa hatte in den 20er-Jahren seinem Schwager Richard die Else Wunnicke aus dem Dorf Zechow bei Landsberg als Ehegattin empfohlen. Er kam als fahrender Händler damals in zahlreiche Dörfer und lernte dadurch viele Menschen kennen, was seinen Schwager veranlasste, ihn zu fragen, ob er nicht eine junge Dame kennen würde, die für ihn als Ehefrau geeignet wäre. Tatsächlich wurde Else dann seine Ehefrau. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, zu deren Tochter ich heute noch in Verbindung stehe. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass 1945 Richard und Else mit ihrer Villa im Französischen Sektor angekommen waren und Einquartierung von französischen Offizieren hatten. Else, noch relativ jung und sehr hübsch, fand Anklang bei einem der Offiziere. Onkel Richard ließ sich scheiden, aber nur, um seine Else später erneut zu heiraten, nachdem die Franzosen abgezogen waren. Irgendwann zwischen 1936 und 1938 zogen wir nach Oranienburg und später in das Dorf Malz bei Oranienburg, wo wir bei einem Bauern in einem Mansardenzimmer wohnten. An diese Zeit kann ich mich noch gut erinnern. Ich müsste damals etwa 3 bis 4 Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter hatte sich mit einem Lebenspartner zusammengetan, mit dem wir in Malz in einem Bauernhaus lebten. Es war eine schlimme Zeit. Der Mann war oft betrunken und schlug meine Mutter regelmäßig. Ich erinnere mich, wie er sie einmal mit Holz „bearbeitete“, das unmittelbar vor unserer Wohnungstür im 1.Stock aufgeschichtet war. Auch kann ich mich lebhaft daran erinnern, wie uns einmal meine Oma Helene besuchte und sie mit mir spazieren ging. Wir machten an einer kleinen Brücke halt und pflückten Blumen, Sie war sehr, sehr nett zu mir – wie dann auch in meinem späteren Leben. An einem großen Wasser angelangt, warf ich ein kleines rotes Rad von einem Spielzeugwagen in ein großes Wasser und fragte, ob das Rad auch bei Onkel Richard ankommen werde. Meine Oma bestätigte ganz ernsthaft mein Wunschdenken. Einmal hatte mich meine Mutter allein gelassen (das kam sicher öfter mal vor), wenn sie wegging, hatte ich immer fürchterliche Angst und weinte sehr. An diesem Tag bin ich ins Dorf gelaufen und kam an einen Waldrand. Ich ging einen schönen Waldweg entlang und fand einen kleinen Karren, den ich hinter mir herzog. Langsam füllte ich ihn mit allen möglichen Gegenständen, die ich unterwegs im Wald fand. Ich erinnere mich an eine emaillierte Kaffeeflasche mit Schnappverschluss. Voller Stolz über meinen Ausflug und die gefundenen Sachen kehrte ich irgendwann um. Ich kam erst gegen Abend in das Dorf zurück. Dort gab es einen riesigen Menschenauflauf. Meine Mutter hatte das ganze Dorf zusammengetrommelt, um mich zu suchen. Da niemand meine Wegrichtung kannte, war man am Dorfausgang stehen geblieben und diskutierte gerade darüber, wo ich nun hingegangen sein könnte. Als mich meine Mutter wieder in ihre Arme schließen konnte, war sie unheimlich glücklich und ich auch. Hier lernte ich auch erstmals Spargel kennen, den uns „unser Bauer“ auf dem Feld zeigte. Meine Großeltern erfuhren dann irgendwann von den Zerwürfnissen mit dem Partner meiner Mutter. Jedenfalls stand eines Tages ein LKW vor unserem Haus, auf den die Sachen meiner Mutter aufgeladen wurden, und ehe der Partner meiner Mutter nach Hause kam, waren wir schon weg in Richtung Landsberg. Das hatte mein Großvater über die Firma Neuleib in Landsberg organisiert, bei der er eine Großgarage und einen sich über mehrere solcher Großgaragen hinziehenden Boden gemietet hatte. Es waren alles LKW-Garagen und ein sehr langgestreckter Boden, auf dem mein Opa seine Felle lagerte, die er von den Bauern als Zugabe für die Schlachtungen erhielt, die er neben seiner Handelstätigkeit auf den Bauernhöfen durchführte. Er war gelernter Koch und Fleischer, war aber jetzt selbstständiger Händler für Wolle, Strümpfe und sonstige Textilien. Bis zum Krieg war er stets mit einem Opel Blitz unterwegs. Dann hat man ihm die Autoreifen für den Krieg entzogen, so musste er alles mit einem Lastenfahrrad bewältigen. Das muss sich etwa 1939 oder 1940 abgespielt haben, denn 1941 wurde ich schon in Landsberg eingeschult. An die ersten Jahre in Landsberg kann ich mich nicht gut erinnern, wohl aber an einige Ereignisse während der Schulzeit. Wir wohnten zunächst einmal in der Wohnung meiner Großeltern. Auf der Wiese seitlich des Grundstücks und in dem gegenüberliegenden Kirchgarten der Lutherkirche haben wir als Kinder oft gespielt. Da mehrere Kinder im Haus wohnten, kamen wir auch öfter im Hof zusammen, spielten dort an einer Schaukel oder auf dem gegenüberliegenden Zirkusgelände. Im Sommer wie im Winter war aber auch „der Kanal“, ein nicht weit entfernter künstlicher Wasserlaufmit dem Namen Brenkenhof-Kanal, unser Spielplatz. Im Winter liefen wir dort Schlittschuh, im Sommer war baden und angeln angesagt. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich hatte mir im Volksbad, einer Schwimmhalle, selbst das Schwimmen beigebracht, da war ich etwa 8 Jahre alt

1944, an der Lutherkirche, ich bin der Größte der Jungen. Zunächst badete ich im Nichtschwimmerbereich,später schwamm ich immer im Schwimmerbecken am Seil entlang von einer Seite zur anderen hinüber. Als ich das geschafft hatte, konnte ich richtig schwimmen.Im Sommer war ich bald jeden Tag am Kanal. Ich angelte viele kleine Fische, die ich manchmal an eine Katze verfütterte, die in unserer Nähe am Hauseingang saß. Einmal vertilgte sie 8 kleine Plötzen. Ich wundere mich heute noch darüber, wie die Katze diese Menge in ihrem kleinen Magen untergebracht hat. Meine Freunde kamen aus unserem Haus und der näheren Umgebung. Wir spielten gern auf unserem Hof und auf der Wiese neben uns und an der Kirche. Deren Wiesen und Sträucher luden geradezu zum Versteckspielen ein, wie auch der dahinter liegende Lunapark. Ein guter Freund von mir wurde mit uns zusammen und seiner Familie vertrieben. 1947 gingen wir in dieselbe Schule in Leißling bei Weißenfels. Danach haben wir uns aus den Augen verloren. Erst im Jahr 2000 habe ich ihn über das Internet gefunden. Leider verstarb er 2 Monate später in Duisburg, wo er die ganzen Jahre im Bergbau tätig war. Als ich mit ihm sprach, merkte ich schon seine Teilnahmslosigkeit und erfuhr von seiner schlimmen Krankheit. Nach 2 Monaten rief mich seine Frau an und sagte mir, dass er verstorben ist. Zurück zu Landsberg. Meine Großeltern hatten eine 2-Zimmer-Wohnung mit Küche, Klo war eine halbe Treppe tiefer, im Stall auf dem Hof lagerte unser Brennmaterial für die Ofenheizung. Meine Großeltern wohnten und schliefen im vorderen Zimmer, das ein Durchgangszimmer war. Meine Mutter und ich bekamen das hintere Zimmer, in dem auch im Winter kaum geheizt wurde. Da stand auch noch das Klavier meiner Mutter. So lebten wir einige Jahre bis etwa Mitte 1944 dort zusammen. Dann bekamen wir eine eigene Wohnung am Wall 8, auch in Brückenvorstadt, nur wenige Meter von der Warthe und der großen Warthebrücke entfernt. Das Haus war ehemals eine Pension mit Fremdenzimmern. Unten gab es eine Gaststätte und eine Bäckerei. Meine Mutter hatte eine Anstellung als Kassiererin im Kino „Kyffhäuser-Lichtspiele“ angenommen. Da sie manchmal abends nicht wusste, wo sie mich unterbringen sollte, nahm sie mich mit ins Kino. Ich saß dann immer in einer nicht besetzten Loge und konnte mit großer Freude Filme sehen, die eigentlich für Kinder verboten waren. Darunter „Quax, der Bruchpilot“, „Alkazar“ und auch ein U-Boot-Film, in dem das Boot wegen Sabotage zu sinken drohte. Manchmal überredete meine Mutter unseren Gastwirt, mich im Gastraum auf einem Sofa zum Schlafen zu legen. Wenn mir das nicht mehr gefiel, lief ich schon nachmittags zu meiner Oma und übernachtete dort. Da meine Mutter davon nichts wusste, kam sie nach ihrem Dienst zum Haus ihrer Eltern und warf Steinchen gegen die Fensterscheibe – das Haus war ab 8.00 Uhr abends verschlossen – um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn meine Oma ihr durch das geöffnete Fenster sagte, dass ich bei ihr sei, war alles in Ordnung und meine Mutter ging wieder in ihre Wohnung. Die Kinobelegschaft hatte sich im Laufe der Zeit zu einer richtig guten Gemeinschaft entwickelt, in der sich meine Mutter sehr wohlfühlte. Im Jahre 1943 oder 1944 erhielten wir die Nachricht, dass mein Vater an der Ostfront als vermisst gemeldet wurde. Wir wussten, dass das eine Todesnachricht war. Von der Nachricht war meine Mutter wie auch ihre Eltern sehr betroffen, für mich als Kind spielte das keine große Rolle, da ich meinen Vater noch nie gesehen hatte. Mein Vater wurde als Wehrdienstverweigerer verurteilt und ins Landsberger Gefängnis gebracht, später wohl in ein KZ. In den letzten Kriegsjahren wurde das sog. Todesbataillon 999 gegründet, in dem meist Strafgefangene an die vorderste Frontlinie geschickt und als „Kanonenfutter“ geopfert wurden. In diesem Bataillon hat mein Vater gedient und ist dabei in Russland ums Leben gekommen. Ich bedaure sehr, dass ich bei meinen zahlreichen Recherchen im Internet nie etwas über meinen Vater und seine Familie finden konnte. Ich kenne weder sein Geburtsdatum noch seinen Wohnsitz. Ein einziger Hinweis ergab sich bei der Suche durch eine Annonce in der „ Neumärkischen Zeitung“, dass er sich im Mai 1931 mit einer Dame namens Heddy Gläser in dem Städtchen Soldin bei Landsberg verlobt hatte. Ich ging in Landsberg bis etwa Weihnachten 1944 in die Schule und war damals in der 4. Klasse. An die Schule habe ich nicht die beste Erinnerung. In meinem Gedächtnis sind immer nur der Lehrer auf dem Podium (1-2 Stufen höher als die Schülerbänke) und der Rohrstock, der meist längs der Tafel auf den Haltestöpseln lag, haften geblieben. Damit wurden die Jungs wegen geringster Vergehen oder schlechter Leistungen in gebückter Haltung und stramm gezogener Hose geschlagen. So zog uns der Lehrer die Hosen stramm. Einmal wurde ich vom Geigenstock des Gesangslehrers getroffen, der mir dabei eine Wunde unter der linken Augenbraue beibrachte. Sonst weiß ich nicht mehr viel über die Schule zu berichten. Außer, dass wir bei Fahnenappellen immer sehr lange mit zum Hitlergruß erhobenem rechten Arm stehen und uns die Reden und Fanfarenbläser anhören mussten. Das mochte ich nicht. Was mir sehr imponierte, waren die Geländespiele der Hitlerjugend (HJ). Die Jungs hatten schwarze, kurze Manchesterhosen, braune Hemden, Ledergürtel, Lederriemen quer über der Brust an und trugen Fahrtenmesser. Ich war ja erst 9 Jahre, durfte also noch nicht daran teilnehmen. Ich war voller Bewunderung und auch etwas neidisch. Besonders gefielen mir die Fähnriche mit ihren Kordeln und anderen Dekorationen. Eine Attraktion war der Zirkus Brumbach, der genau uns gegenüber sein Winterquartier hatte. Jeden Tag konnte ich die 2 Liliputaner sehen, die uns gegenüber neben dem Tor Tag für Tag viele Stunden standen, die bunten Fahrzeuge und auch die Tiere, Elefanten, Tiger und Löwen. wie sie ihr Futter bekamen. Es waren für mich kleinen Kerl ganz tolle Erlebnisse, auch in den Fahrzeugen zu spielen, z. B. im Fahrerhaus der großen Zirkuswagen oder zwischen den verschiedenen Gerätschaften. Höhepunkte waren der Auszug des Zirkus im Frühjahr und der Einzug im Herbst ins Winterquartier. Da kam der ganze Zirkus mit allen Wagen und Tieren an unseren Fenstern vorbei, das dauerte mehrere Stunden. Im letzten Jahr bin ich sogar bis zum Bahnhof mitgelaufen, um das Verladen auf die Waggons zu beobachten. Natürlich habe ich auch einmal eine Vorstellung des Zirkus Brumbach in Landsberg besucht, um alles mal in Aktion zu sehen. Eines Tages wurde die Straßenbahn, die durch unsere Straße bis zur Roswieser Straße hinausfuhr, eingestellt und durch Oberleitungsbusse ersetzt. Die Leitungen wurden an Betonmasten angebracht, die entlang der Straße errichten wurden. Wir wohnten einerseits gegenüber dem Zirkus und andererseits gegenüber der Lutherkirche mit ihren Grünanlagen und dem angrenzenden Lunapark. Eine ideale Gegend zum Spielen für uns Kinder. Auch nach dem Umzug mit meiner Mutter an den Wall 8 war ich meistens bei meinen Großeltern in der Dammstraße 65 zu finden, wo ich meine Freunde hatte und wo es die besseren Spielmöglichkeiten gab. Außerdem war dort in der Nähe auch meine Schule (Knabenschule II), zu der ich durch den Park gelangte. Einmal fuhren wir mit dem Zug zu der Großmutter meiner Mutter nach Hohensalza (Inowrazlaw) zur Trauerfeier. Der Großvater war 1942 gestorben. Sie hatten dort ein Fuhrgeschäft und besaßen 2 Mietshäuser. In einem großen Garten stand eine Schaukel für vielleicht 10 Personen, da durfte ich mitschaukeln. Wir waren auch auf einer Kirmes mit meiner Mutter und Urgroßmutter, dort konnte man an einer langen Leine aufgehängte Dinge wie Bobontüten, Spielsachen oder Plüschtiere im Vorüberlaufen abschlagen und als Preis behalten. Das fand ich ganz toll. Wir besuchten dann dort in Hohensalza die Essig- und Mostrichfabrik des Onkels meiner Mutter, Alfred, der dort im Ort lebte und seine Mutter betreute. Er war verheiratet und hatte 2 Kinder, die etwas älter als ich waren. Bevor er die Fabrik übernahm, hat er als Dentist gearbeitet. 1945 sind alle zusammen geflüchtet. Zunächst zu Richard nach Berlin, nach kurzem Aufenthalt dort sind sie nach Kempten im Allgäu weitergereist und von dort später nach Villingen im Schwarzwald gezogen, wo meine Urgroßmutter Hulda, am 22.08. 1956 mit ca. 88 Jahren gestorben ist. Alfred und Richard wie Arthur (wohnhaft in Kiel) waren Brüder meiner Oma Helene und Kinder der Hulda. Alfred und Richard haben sich wegen des Erbes der Mutter, das ausschließlich aus einem Lastenausgleich in Höhe von 24 000 DM bestand, heftig gestritten. Arthur war zu diesem Zeitpunkt schon tot, von ihm erbten zwei Kinder zu gleichen Teilen und auch ich 1964 mein erstes Auto, einen Trabant 601. Der Wagen kostete damals im Westen 4100 DM. So behielt ich noch 2000 DM übrig, die ich gegen 8000 Ostmark eintauschen konnte. Zurück zu Landsberg. Ich erinnere mich an einige dramatische Ereignisse: Als ich noch nicht schwimmen konnte, hatten mich mehrere Schüler der höheren Klassen in den Kanal geworfen, mich also an Händen und Füßen gepackt und ins Wasser geschleudert. Dabei hätte ich leicht ertrinken können. Meine Mutter ging mit mir zum Direktor der Schule und beschwerte sich darüber. Das fand ich toll. Wir waren öfter mal baden an den sogenannten Schafspfuhlen, die in der Nähe des Kanals lagen. Meine Mutter saß auf der Wiese, unterhielt sich mit irgendwelchen Bekannten und achtete nicht auf mich, der ich zwar Wasser sehr mochte, aber eben noch nicht schwimmen konnte. So kam es, dass ich allein an einem der kleinen Pfuhle ins Wasser ging. Ich bewegte mich aber nur am Rande entlang, wollte den Pfuhl in Ufernähe umlaufen, so etwa bis zum Bauch im Wasser. Plötzlich kam ich an eine Stelle, wo das Wasser viel tiefer war und ich geriet unversehens unter Wasser. Da ich nicht schwimmen konnte, kam ich mir ziemlich hilflos vor und wäre wohl in Kürze ertrunken, hätte nicht unser Nachbar, Bäckermeister Jordan, mein Untergehen von einem anderen Pfuhl, in dem er gerade badete, zufällig gesehen. Er kam mir zu Hilfe und rettete mich. Später, nachdem ich mir selbst das Schwimmen beigebracht hatte, überraschte ich einmal meine Mutter mit einem Sprung vom 7,5-Meter-Turm, als sie gerade zur Tür des Schwimmbades hereinkam. Dabei blieb ich dann noch extra lange unter Wasser, um ein Unglück vorzutäuschen. Als ich dann an der Leiter wieder auftauchte, war ich ganz stolz auf mein Können. Meine Mutter war beeindruckt und aber auch entsetzt. Mein Jagdtrieb muss damals schon relativ ausgeprägt gewesen sein, hatte ich es doch auf Vögel abgesehen. Ich besaß ein Katapult, der Gummi stammte von einem alten Autoschlauch meines Opas. Damit ging ich auf Pirsch und erlegte die schönsten Singvögel, die ich an Ästen im Gestrüpp aufhängte. Da ich keine Zeugen dafür hatte, sollten doch auch andere von meinen „Jagderfolgen“ erfahren. So erzählte ich davon den Mitschülern

Meine Großeltern Helene und Albert Risto. Ich habe bemerkt, dass ich über meinen Opa nur wenig berichtet habe. Er stammt aus einer Bauernfamilie, die in Klein Mirkowitz in der Nähe von Wongrowitz (bei Posen) einen Bauernhof hatte. Sie waren 12 Geschwister. Sein Bruder Karl hatte eine Bäckerei in Schwerin an der Netze, seine Schwester wohnte in Potsdam-Babelsberg, seine Schwester Klara, verh. Wartowiak (?) wohnte in Bln.-Wilmersdorf, sein Bruder Otto Risto war Lokführer und wohnte in Neustadt an der Dosse, sein Bruder Arnold wohnte in Berlin. Mein Opa (geb. am 15.12. 1877 und gest. im Mai 1956 in Ribnitz) hatte den Beruf eines Fleischers gelernt. Er musste bei seinem Lehrmeister auf dem Dachboden schlafen um jederzeit zur Verfügung zu stehen. Oftmals ging es früh um 3 Uhr zu den Bauern, wo Schweine aufgekauft wurden. Das musste deshalb so früh sein, damit sie nicht heimlich zusätzliches Gewicht durch Fressen und Tränken bekamen. Der Kaufpreis richtete sich ja nach dem Gewicht. Die Bauern waren auch nicht ohne und gaben den Schweinen in der Nacht vor dem Verkauf reichlich Wasser zu saufen, sodass das Gewicht verfälscht wurde. Nach der vierjährigen Lehrzeit ging mein Großvater sofort nach Dresden zu einem großen Schlachthof. Dort wurden täglich 600 Schafe geschlachtet. Später erlernte er zusätzlich den Beruf eines Kochs, was ihm eine Anstellung als Koch im Deutschen Schauspielhaus in Dresden einbrachte. Dort beköstigte er einmal König Albert von Sachsen. Der fand so viel Gefallen an dem Essen, dass er sich nach dem Koch erkundigte. So kam es, dass mein Opa danach des Öfteren für König Albert von Sachsen kochte. Später ging er nach Berlin, wo er für Aschinger arbeitete. Das war eine große Restaurantkette, die in dem Hause, wo mein Opa arbeitete, allein acht Säle betrieb. Er sagte mir mal, es war immer Tanz in allen Sälen, besonders groß war der Kaisersaal. Dort war er erster Koch und Küchenfleischer. Von dort ging er 5 Jahre nach Oslo in das Grand-Hotel, wo er ebenfalls als erster Koch und Küchenfleischer arbeitete. Er war immer noch Junggeselle, verlobte sich mit einer Schwedin und besuchte mehrmals Stockholm. Er war in Bergen und Narvik und in der nördlichsten Stadt Hammerfest. Nun reizte ihn wohl irgendwann die Ferne. Er hatte von einem Hotelneubau in Johannesburg (Südafrika) gehört und bekam dort eine Anstellung als Koch zugesagt. So machte er sich (etwa 1905) auf den Weg nach Südafrika mit einem Schiff, auf dem er sich als Heizer, Tellerwäscher und Ähnliches verdingte. Er landete in Durban. Als er in Johannesburg ankam, gab es das Hotel noch gar nicht, der brasilianische Unternehmer war inzwischen Pleite gegangen. So war er genötigt, sich als Koch und mit jeder anderen Arbeit durchzuschlagen. In der Wüste Kalahari verlobte er sich mit einer schwarzen Häuptlingstochter, der Vater hatte bereits die angemessene Ziegen- und Schafherde als Mitgift bereitgestellt. Im letzten Moment zog es mein Opa jedoch vor, sich zu verkrümeln. Er war wohl nicht so sehr darauf versessen, in der Kalahari Wurzeln zu schlagen. Irgendwann verließ er Südafrika. Natürlich mit einem Dampfschiff, auf dem er als Kohlentrimmer anheuerte. Sie liefen die Häfen von Daressalam, Sansibar und Aden an, fuhren durch den Suezkanal bis nach Neapel und Genua, bevor sie in Hamburg an Land gingen. Auf irgendeine Weise hatte er schon früher meine Großmutter Helene Nickel aus Hohensalza kennengelernt. Er kam dorthin und wollte, vielleicht sollte er auch, meine Oma heiraten. Zwischenzeitlich war aus Norwegen vom Grand-Hotel ein Telegramm eingegangen, in welchem das Hotel anfragte, ob er sich eine erneute Dienstzeit in Oslo vorstellen könne. Meine Urgroßmutter und meine Oma verheimlichten ihm dieses Telegramm, denn sie wollten ihn in Deutschland halten und ihn endlich zu einer Heirat mit meiner Oma bewegen. Er war damals schon 31 Jahre, meine Oma mal gerade 20. Es war also im Jahre 1908 oder 1909, als sie heirateten. 1910 wurde meine Mutter geboren, ihre Schwester vielleicht ein Jahr später, sie starb schon mit drei Jahren. Meine Großeltern hatten sich zu dieser Zeit in Berlin-Moabit eine Existenz aufgebaut. Sie betrieben eine Berliner Eckkneipe

Opas Gaststätte, meine Mutter an seiner Hand, Berlin 1912. Es war vor allem für meine Oma eine harte Zeit. Sie hatte zwei Kinder zu betreuen, die Küche der Gaststätte und den Haushalt. Und das als schmale, schlanke junge Frau aus guter Familie mit der Bildung der Höheren Töchter-Schule (Lyzeum). Im August 1914 wurde mein Opa eingezogen. Von da an hatte meine Oma die Kneipe allein am Halse. Nach 2 Jahren mehrten sich die Einbrüche und Gewalttaten in Berlin. Meine Oma bekam Panik. Eines Tages im Jahre 1916 schloss meine Oma die Kneipe ab und verließ mit ihrer Tochter Berlin in Richtung Hohensalza, wo sie bei ihren Eltern Aufnahme fand. Die Eltern betrieben dort ein Fuhrgeschäft. Der Bruder meiner Oma, Alfred, war dort Besitzer einer Essig- und Mostrichfabrik (wohl aber erst später, denn ich besuchte die Fabrik etwa 1942). Nach Ende des 1. Weltkrieges mussten meine Großeltern sich eine neue Existenz aufbauen. Sie taten das in Landsberg a.W., weil Deutschland durch den Versailles-Vertrag sowohl Westpreußen als auch die Provinz Posen verloren hatte. Landsberg gehörte zur Mark Brandenburg und war damit sicheres deutsches Gebiet. Wer konnte ahnen, dass auch die Neumark eines Tages für Deutschland verloren sein würde? Einen polnischen Staat gab es seit der 3. polnischen Teilung schon 120 Jahre nicht mehr, erst im Ergebnis des 1. Weltkrieges wurde der Staat Polen neu gegründet. Jedenfalls nahmen sie dort eine Wohnung und mein Opa schaffte sich einen Opel-Blitz als Lieferwagen an, mit dem er täglich über Land fuhr und bei den Bauern Wolle und Strümpfe verkaufte

Meine Rückkehr nach Ribnitz. Eigentlich wollte ich nur bis Anfang Januar bleiben. Da meine Oma krank wurde und frühere Bekannte mich überredeten, doch einfach dazubleiben, reifte dieser Gedanke in mir. Ich fuhr dann noch einmal nach Hamburg, um dort alles abzuwickeln. Dann machte ich es wahr und übersiedelte nach Ribnitz, immer aber mit der Gewissheit, ja wieder nach Hamburg zurückkehren zu können, was dann ab 13. August 1961 nicht mehr möglich war. Ich kam zu einer Zeit in die DDR als die Campagne „Industriearbeiter aufs Land“ im Gange war. Die Warnowwerft hatte gerade 6000 Leute entlassen, die sich alle in ihren Wohnorten eine Arbeit suchen sollten. Viele aus Ribnitz arbeiteten (oftmals spielten sie auch nur Skat) in der Warnowwerft, da war es für mich schwer, gleich eine Arbeit zu finden. Ich fand nach längerem Suchen eine Stelle als Verkaufsstellenprüfer bei der Konsumgenossenschaft Ribnitz-Damgarten, die ich am 27.4.1957 antrat. Meine konkrete Arbeit war es, in den verschiedenen Geschäften in Ribnitz und auf dem Lande sowie in Gaststätten, die zum Konsum gehörten, Inventuren durchzuführen. Über Land sind wir meistens mit dem Postauto gefahren, ab und zu mit dem Fahrrad, manchmal auch mit dem Bus. Das war irgendwie romantisch. So waren wir in den Dörfern Bartelshagen I und II, in Trinwillershagen, in Saal, Herrmannshof und Wiepkenhagen, Altheide und Klockenhagen. Am meisten Spaß hatten wir in den Ostseebädern Neuhaus, Dierhagen, Wustrow, Niehagen und Ahrenshoop. In Wustrow haben wir in einem Hotel gewohnt, weil wir in einer Woche mehrere Läden zu inventieren hatten. Überall wurden wir sehr freundlich empfangen. Wir bekamen Essen und Trinken von den Verkaufsstellenleitern, gehörten manchmal schon fast zur Familie. Wenn wir z. B. nach Ahrenshagen kamen, gab es immer eine Gans zum Mittagessen

Ich auf dem Fahrrad, Ribnitz 1957. Wir nahmen am bäuerlichen Mittagstisch Platz und wurden von der Bäuerin bewirtet. Damals betrieb der Bauer mitunter neben seinem Hof noch eine Gastwirtschaft. Fehlbeträge, die immer auftraten, weil der Wirt von der Kneipe lebte, also sein Bier, seinen Schnaps, seine Bockwurst und seine Zigaretten ohne Bezahlung entnahm, wurden nach der Inventur stets mit Scheck bezahlt. Das war zwar nicht legal, aber wir drückten dann schon beide Augen zu, da dem Konsum ja eigentlich kein Schaden entstanden war. Der Scheck wurde wie Bargeld in den Bestand aufgenommen. Der Wirt sah uns mal beim Mittagessen in einer Gaststätte in Damgarten, gleich bekamen wir ein paar doppelstöckige Schnäpse serviert. Man war halt nett zueinander. Eine junge Kollegin namens Bärbel gehörte zu unserem Kollektiv. Sie war 19 Jahre alt und sehr hübsch. Ich war gleich in sie verliebt. Es war für mich eine sehr glückliche Zeit. Mein Lohn war zwar sehr gering, aber ich hatte große Freude an meiner Arbeit. Wie schon erwähnt, wir wurden überall bestens behandelt, mit Essen und Trinken verwöhnt, man wollte uns eben positiv auf die Inventur „einstimmen“. Ich muss sagen, diese Tätigkeit war der Grundstein für meine ganze spätere erfolgreiche Entwicklung. Mit Bärbel (sie ist 2003 gestorben) hatte ich mich nach Feierabend verabredet. Wir wohnten in Wustrow im Hotel und trafen uns in einem Strandkorb an der Ostsee. Es war im Mai 1957. Ein schöner Abend. Leider gingen wir anschließend in ein Strandlokal, wo getanzt wurde. Wir saßen etwas abseits. Dauernd kamen neidische Blicke männlicher Konkurrenten herüber. Am liebsten hätten sie mir die Bärbel zu sich herübergezogen. Ich war doch damals ein absoluter Nichttänzer und schon deshalb dort fehl am Platze. Ich traute mich aber auch nicht, ihr zu sagen, dass ich am liebsten wieder gehen möchte. Sie tat es dann auf eine sehr nette Art, indem sie mich fragte, ob wir nicht noch ein wenig nach draußen gehen wollen. Nichts lieber als das. Wir haben immer nur miteinander gesprochen. Es kam nie zu einem Kuss oder gar mehr. Das Ganze sollte noch reifen, dachte ich. Außerdem waren wir damals noch sehr zurückhaltend in den Dingen der Liebe. Die Woche ging zu Ende und es war nichts passiert. Einige Zeit später hatten wir uns an einem Sonntag verabredet, um an die Ostsee zu fahren. Da sie in Damgarten wohnte, kam sie mit dem Zug nach Ribnitz. Ich holte sie vom Bahnhof ab. Ich merkte sofort nach ihrer Ankunft, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie war eigentlich nur gekommen, um mir zu sagen, dass sie nicht mit mir an die Ostsee fahren möchte. Sie war auch nicht umzustimmen. Ich habe es mit Engelszungen versucht. Es war nicht möglich. So begaben wir uns auf den Weg nach Damgarten, da auch ich in diese Richtung musste, und trennten uns dann etwa am Ortsausgang von Ribnitz. Man merkte ihr allerdings eine erhebliche Verstimmung an, mit der ich aber offensichtlich nichts zu tun hatte. Später arbeiteten wir zwar noch zusammen, aber es kam zu keiner Beziehung mehr. Ich war darüber ziemlich sauer. Und ließ sie das auch spüren. Das war nicht so gut, aber ich konnte ihren Wandel und ihre Entscheidung gegen mich nicht verstehen. Heute weiß ich, woran es lag. Ihr Vater war Oberleutnant bei der Kripo in Ribnitz. Ich war ein Dahergelaufener, der zudem noch aus dem Westen kam. Mit solchen Leuten durfte ein Kripomann überhaupt keinen Umgang haben. Man stelle sich vor, es wäre zu einer Heirat gekommen, der Mann hätte seinen Posten quittieren können. Bärbel machte mir in der Zeit nach unseren ersten Gesprächen auch einen deprimierten und ängstlichen Eindruck. Heute weiß ich, warum. Leider kann ich nicht mehr mit ihr darüber reden. Sie ist 2003 verstorben. Sie wurde nur 65 Jahre alt. Meine jetzige Frau Christel und ich haben ihr Grab auf dem neuen Friedhof in Ribnitz besucht. Etwa 2004 habe ich die Mutter von Bärbel angerufen, sie war damals 93 Jahre und machte am Telefon einen vitalen Eindruck. Sie wohnte immer noch in Damgarten. Als ich meinen Namen nannte, konnte sie sich gleich erinnern. Sie erzählte über Bärbel und war sehr traurig, dass ihre einzige Tochter noch vor ihr verstorben ist. Von ihr weiß ich auch, dass sie später bei der Polizei gearbeitet hat und auch ihr Mann Polizist war. Über die Sache von damals haben wir nicht gesprochen, sie hätte wahrscheinlich alles abgestritten. Im Sommer/Herbst 1957 lernte ich dann Helga kennen, die als Verkäuferin beim Konsum arbeitete. Sie war so freundlich und aufgeschlossen, dass sie mir sehr gut gefiel. Wir trafen uns nach Feierabend und gingen viel spazieren. Sie erzählte mir von ihren Eltern, die ziemlich streng zu ihr waren, ihre 10 Jahre jüngere Schwester Elke immer bevorzugten und ihre Wünsche erfüllten. Einer Heirat wollten sie nicht zustimmen. Ich hatte inzwischen eine eigene Wohnung, die aus einem Zimmer mit Kanonenofen und Waschgelegenheit bestand. Toilette war auf dem Hof, sodass ich immer 2 Etagen hinunterlaufen musste. Ich bekam das Angebot, auch das Zimmer neben mir mieten zu können, wenn wir zu zweit wären. Damals bekam man eine richtige Wohnung bzw. 2 Zimmer nur, wenn man verheiratet war. So kam es zum heimlichen Auszug Helgas aus der elterlichen Wohnung und zu einer langen Zeit des Schweigens zu ihren Eltern. Wir heirateten am 1. März 1958 in der Wohnung von Willi Hinrichs in Damgarten im Beisein meiner Oma und unseres gesamten Vorstands. Danach wohnten wir mehr als 3 Jahre in der Nizzestraße 15 in zwei kleinen Zimmern. Im Herbst des Jahres 1958 machte ich Fahrschule und bekam den Führerschein für PKW, LKW und Motorrad. Die praktischen Fahrstunden fanden auf einem LKW H3A statt, der nur mit Zwischengas geschaltet werden konnte. Das war für mich eine gute Schule, fortan konnte ich jedes Fahrzeug fahren. Nach dem das Schweigen zu den Schwiegereltern gebrochen war, bin ich einmal mit in den Wald gefahren, wo Helgas Vater ständig mit einem H6 Holz aufzuladen und vom Darßer Wald nach Rövershagen zu transportieren hatte. Er tat das immer mit einem Kollegen. Ich war nun der dritte Mann an Bord und arbeitete fleißig mit. Auf der Strecke nach Barth fragte er mich, ob ich Lust hätte, das Steuer zu übernehmen. Mutig sagte ich ja und fuhr dann diesen großen LKW. Es ging alles gut. Damit hatte ich bei ihm Respekt gewonnen, immerhin war ich erst 24 Jahre alt. In meiner Freizeit arbeitete ich an der Schule Ulmenallee als Trainer der Schulsportgruppe Turnen, wofür ich etwas Geld bekam. Bekannte hatten wir nur wenige. Alle waren doch wesentlich älter als wir. Aufgrund der Freundschaft mit Floreks, konnte ich während der Olympischen Spiele 1960 in Rom nachmittags allein in ihrer Wohnung fernsehen. Diese Spiele waren für mich so beeindruckend, dass ich sie nie vergessen habe und viele Einzelleistungen noch heute weiß. Wir waren noch gar nicht lange verheiratet, da wurde die Stelle eines Verkaufsstellenleiters für eine Kleinstverkaufsstelle in der Margaretenstraße in Ribnitz frei. Helga übernahm den Posten, ich half ihr bei der Abrechnung. Ich bewarb mich um den frei werdenden Posten eines Handelsinstrukteurs in unserer Konsumgenossenschaft, den ich dann auch mit immerhin einer Lohnsteigerung von 333 auf 428 Mark bekam. Nur wusste ich nicht so recht, was ich machen sollte. Mein Chef gab mir keine Aufträge, er ließ mich einfach machen, was ich wollte. Er war auch nur 2 Jahre älter als ich. Wir kannten uns von der Schule. So fühlte ich mich mehr und mehr unwohl in dieser Funktion, obwohl ich für meinen Dienst ein Motorrad zur Verfügung gestellt bekam. Als dann Helgas Laden immer mehr Umsatz machte, bewarb ich mich um die Stelle als Verkaufsstellenleiter und bekam sie auch. Helga wurde wieder Verkäuferin. Der Laden konnte nun gut 2 Leute beschäftigen. Vom Konsum bekam ich anfangs ein Moped, später eine 250er AWO. Ich durfte sie auch noch privat und für das Geschäft nutzen, weil wir früh die Brötchen von Bäcker Müller holen mussten (in einer großen Tüte, die Helga hinten auf dem Motorrad festhielt). Etwa 1960 kauften wir uns eine eigene Maschine, eine 250er MZ. Mit der fuhren wir dann im selben Jahr erstmals etwas weiter in Urlaub – in den Harz. Wir wohnten in Hasselfelde bei einer ganz lieben Familie. Später waren wir dort von Schenkendöbern (unserem späteren Wohnort) aus noch zwei Mal. An den Wochenenden waren wir viel am Strand oder in der näheren Umgebung unterwegs, auch mal auf Rügen, wo wir in Ralswiek die Störtebekerfestspiele erleben konnten. Ansonsten mussten wir ja immer 6 Tage in der Woche arbeiten, selbst am 1. Mai musste ich Eis verkaufen. Es gab eben damals wenig Freizeit, aber wir hatten auch kaum Geld, um größere Reisen zu unternehmen. Man war mit dem Leben auch so einigermaßen zufrieden. Dennoch wollten wir eine andere Wohnung und auch eine größere Verkaufsstelle. Der Konsumvorstand lehnte unser Anliegen mangels eigenen Bedarfs bzw. einer verfügbaren Wohnung ab. Ich gab dann eine Suchanzeige im „Konsumgenossenschafter“, einer Konsumzeitung, die in der ganzen DDR gelesen wurde, auf und bekam das Angebot „Landwarenhaus Schenkendöbern“ von der KG Guben Land. Bevor wir Ribnitz verließen, konnte ich einerseits den Facharbeiterabschluss als Fachverkäufer und andererseits den Befähigungsnachweis zur Leitung einer Verkaufsstelle bzw. Gaststätte des sozialistischen Handels an der Betriebsakademie erfolgreich mit den entsprechenden Zeugnissen abschließen, was für meine weitere Tätigkeit eine große Bedeutung hatte. Als der Ribnitzer Konsum unsere Kündigung bekam, hatte er plötzlich eine größere Verkaufsstelle für uns und wollte sich um eine Wohnung bemühen. Wir sollten doch bleiben. Das aber taten wir dann nicht. Es wäre auch zu spät gewesen. So kam es zu der Annahme des Angebotes für Schenkendöbern und dem Umzug dorthin. Die Ribnitzer Jahre von 1957-1961 waren eigentlich ganz glückliche Jahre, privat und beruflich war ich nicht unzufrieden, nur die materiellen Umstände waren weniger gut. Der geringe Lohn und die miserable Wohnung waren nun nicht mehr erträglich. Wir wollten etwas anderes. Am 13. Aug. 1961 fand der Mauerbau statt. Die Meldungen überschlugen sich. Es hieß, man wolle den Schiebern und Spekulanten einen Riegel vorschieben. Also den Leuten, die z. B. im Westen wohnten und im Osten für wenig Geld einkaufen gingen, aber auch denen, die im Osten wohnten und im Westen arbeiteten und somit DM-Einkommen bezogen. Beide Gruppen standen sich viel besser als die übrige Bevölkerung. Das war einleuchtend. Und so hatten wir damit kein Problem. Allerdings ahnten wir nicht, dass damit eine totale Reisebeschränkung für alle DDR-Bürger verbunden war, die über Jahrzehnte andauern sollte. Dann sagte Eduard v. Schnitzler noch, dass ein Krieg unmittelbar bevorstand –, und schon waren viele Menschen in der DDR für diese Abschottung, ohne zu ahnen, dass sie selbst so lange davon betroffen sein werden und dass sie nur dazu diente, die ständig zunehmende Flucht aus der DDR zu verhindern. Unsere Pläne standen fest, wir wollten Ende August nach Schenkendöbern umziehen. Vorher war ich mit Willi Hinrichs mit meinem Motorrad schon einmal in Guben und Schenkendöbern. Ich wollte mich bei der Konsumgenossenschaft Guben Land vorstellen und den Arbeitsvertrag festmachen. Willi kam aus Solidarität mit. Ich war für Samstag im Sitz der KG an der Neißebrücke verabredet. Glaubte, dass die KG genauso wie die Ribnitzer Konsumgenossenschaft bis 13 Uhr besetzt sein würde. War aber nicht so. Sie hatten schon um 11 Uhr Feierabend gemacht. So standen wir vor verschlossener Tür am Sonnabend um etwa 11,30 Uhr. Was nun? Wir hofften auf Hilfe von der Post, die wir auch bald fanden, um in einem Telefonbuch nachzusehen. Wir suchten den Vorstandsvorsitzenden Heinz Feller, denn wir wollten ja nicht unverrichteter Dinge zurückkehren. Schon im Postraum sagte man uns die Adresse. Wir riefen ihn an und konnten zu ihm in die Wohnung kommen. Seine Eltern hatten dort im Hause ein Möbelgeschäft. Er empfing uns in seinem Wohnzimmer, auch seine Frau und die beiden Kinder waren dabei. Da wir schon vorher per Brief unsere Bewerbung eingereicht hatten, ging es eigentlich nur noch um den persönlichen Eindruck, den ich auf ihn machte. Der muss ganz gut gewesen sein, denn ich wurde sofort eingestellt. Gleichzeitig bekam ich die Wohnung im Landwarenhaus zugesagt. Damit war alles perfekt. Jetzt ging es nur noch um den Umzugstermin. Wir waren etwa um den 13. August herum in Guben. Feller sagte, das Landwarenhaus soll zum 7. Okt. 1961 eröffnet werden. Für uns war das kein Problem. Wir konnten schnell unsere Zelte in Ribnitz abbrechen. Ich fragte den Fahrer der Möbelfabrik Schäfer, die unser direkter Nachbar war, ob er den Transport übernehmen könnte. Es kam ein Ja, so stand einem Umzug Ende August nichts mehr im Wege. Beim Konsum hatten wir gekündigt. Während der letzten Tage kam dann der Chef Grieshaber zu mir und fragte, ob wir es uns nicht noch einmal überlegen wollten. Er hätte jetzt eine Wohnung für uns und wir könnten auch den Laden in der Bachmannsiedlung übernehmen. Da war allerdings alles zu spät und das Schicksal nahm seinen Lauf. Wir freuten uns natürlich sehr auf die neue Aufgabe. Ich war mit meinen 26 Jahren auch stolz auf das Vertrauen, das Heinz Feller in mich gesetzt hatte, als er mich so ohne große Nachforschungen einstellte. Ich machte gleich einen Gehaltssprung von 305 auf 505 Mark zzgl. der Umsatzprämien, die es sowohl in Ribnitz als auch in Guben gab. Helga bekam den Lohn einer Verkäuferin wie in Ribnitz auch. Für die Wohnung zahlten wir nur eine ganz geringe Miete, die etwa bei 20 Mark lag. Immerhin hatten wir drei Zimmer, Flur, Küche, Bad, Kellerräume, Zentralheizung, Kalt- und Warmwasserversorgung als Erstmieter in einem Neubau. Für uns, die wir aus den 2 kalten Kammern kamen, war das der pure Luxus. Mit H. Feller hatten wir einen bestimmten Tag vereinbart, an dem wir umziehen wollten. Der Schlüssel für das leere Haus war beim Bürgermeister Arthur Natusch hinterlegt, wo wir ihn uns holen sollten. So sind wir ohne schriftliche Abmachungen per Handschlag mit Heinz Feller verblieben. 10 Jahre in Schenkendöbern Wir kamen mit dem Möbelfahrzeug etwa früh um 5.00 Uhr, einem schönen, warmen Augusttag, in Schenkendöbern an. Wegen der frühen Stunde blieben wir zunächst mit unserem LKW hinter dem Haus stehen und machten ein kleines Nickerchen. Als Erster kam ein alter, etwas sabbernder Mann in alten Klamotten an das Auto und sagte etwas, was wir wegen der ihm fehlenden Zähne und der schlechten Aussprache gar nicht verstehen konnten. Er und seine Frau waren Flüchtlinge, die im alten Gutshaus wohnten und den Tag überwiegend vor ihrem Schuppen hinter dem Konsum verbrachten. Irgendwie bekamen wir aber doch heraus, wo der Bürgermeister zu finden war. Wir wollten, es war Sonntag, nicht zu früh stören, und warteten noch eine Weile. Dann ging ich zu der Wohnung. Dort war aber nur seine Frau. Ihr Mann sei auf dem Feld, wo er die Arbeit einteilen würde. Es war Erntezeit. Da wurden freiwillige Helfer angeheuert, die der Bürgermeister dann zur Arbeit aufteilen musste. Frau Natusch gab mir dann aber den Schlüssel für das Haus. Der Kraftfahrer des Möbelwagens war wesentlich älter als ich. Nachdem wir das Haus besichtigt hatten, fragte er mich: „Und hier willst du einziehen?“ Er war ganz ungläubig angesichts der schönen Neubauwohnung mit Bad, Küche und drei Zimmern. Er dachte, alles wäre wohl ein Irrtum. Nein, es war alles in Ordnung. Wir brachten die Möbel ins Haus, es waren ja nicht sehr viele, und machten uns alsbald auf die Rückreise. Ein paar Tage später fuhr ich dann mit Helga auf dem Motorrad endgültig von Ribnitz nach Schenkendöbern, wo unsere schöne Zeit begann. Die Leute von der Konsumgenossenschaft hatten schon viele Waren geordert, die nun nach und nach eintrafen: Wolle, Strickwaren, Glas, Porzellan, Keramik, Kristall, Radios, Fernseher, Motorräder, Fahrräder, Waschmaschinen, Kühlschränke, Kurzwaren, Textilien und natürlich Lebensmittel. Im Dorf gab es schon einen Laden, der wurde eines Tages dann aufgelöst. Alle Waren wurden von uns übernommen. Dabei halfen alle 22 Mitarbeiter/innen aus der Verwaltung der KG. Es musste ja schnell gehen, da man die Versorgung nicht unterbrechen durfte. Unser Vorstandsvorsitzender war sich nicht zu schade, sich selbst die Deichsel des großen Wagens zu schnappen und ihn durch das Dorf zu ziehen, natürlich unter Mithilfe anderer Kollegen. Es war wie eine verschworene Gemeinschaft. Alle halfen mit, alle packten an, auch beim Einräumen in die Regale. Auch am Eröffnungstag hatten wir viel Unterstützung aus der Verwaltung. Bei der Eröffnung stand eine große Menschentraube vor dem Landwarenhaus. Dann begann der Alltag. Wir hatten 6 Tage geöffnet, samstags bis 13,00 Uhr, danach kam das Großsaubermachen bis etwa 15,00 Uhr. Dann hatten wir endlich Feierabend, Nur nicht im Winter, wenn wir alle 2-3 Stunden die Zentralheizung befeuern mussten. Im ersten Jahr hatten wir noch einen Heizer, der das besorgte. Der starb aber plötzlich. Wir bekamen dann die ganzen Jahre niemanden mehr und mussten alles selber machen. Das große Haus beheizen und alle 3 Wochen drei Tonnen Kohlen in den Keller schaffen. Das war harte Arbeit. Eigentlich wollte der Konsum dafür gar nichts bezahlen. Mit viel Mühe habe ich dann erreicht, dass ich täglich 3 Stunden zu 0,85 Mark je Stunde bezahlt bekommen habe. Wenn wir nicht frieren wollten, mussten wir ja schließlich heizen. Das hat der Konsum, später dann unter anderer Leitung, weiterhin ausgenutzt. Im ersten Jahr machten wir ja auch noch einen tollen Umsatz, so etwa 1 Million Mark. In den folgenden Jahren wurde es immer weniger Umsatz, weil wir dann keine Motorräder und Fernseher mehr bekamen. Diese Dinge wurden in Guben in Spezialläden verkauft. Durch die zunehmende Motorisierung der Bevölkerung auf dem Lande kauften auch immer mehr Leute in der Stadt ein, so nahm unser Umsatz bis auf ca. 450.000 Mark ab. Nach einigen Jahren war ich damit nicht mehr zufrieden und wollte etwas anderes machen. 1964 wurde in Cottbus das Konsumentwarenhaus erbaut. Darin gab es eine große Lebensmittelkaufhalle, für die ich mich als Leiter beworben hatte. Ich bekam eine Zusage. Nach reiflicher Überlegung nahm ich das Angebot nicht an, da mir der Weg zu weit und die Kosten zu hoch waren. Außerdem hätte der Laden ständig ungewollt unter Kontrolle der Mitarbeiter des Warenhauses wie des Chefs gestanden, viele hätten dort eingekauft und kleinste Mängel kritisieren können. Da ich immer gern etwas vom Chef entfernt arbeitete, trugen auch diese Umstände zu meiner Absage bei. Vielleicht war es dennoch ein Fehler, wir hätten in Cottbus beide später vielleicht noch ganz andere Möglichkeiten bekommen, bestimmt auch eine neue Wohnung. Dennoch war 1964 ein sehr glückliches Jahr für uns. Im August erhielten wir über GENEX unser erstes Auto, einen Trabant 601. Das Geld stammte aus der Erbschaft von meiner Urgroßmutter, die aus der Provinz Posen nach Westdeutschland geflüchtet war und dort für den Verlust ihrer Häuser einen Lastenausgleich bekam. Das war ein großes Glück für uns. Nur wenige Leute besaßen damals ein Auto, ich hatte ja immer noch meine 250 MZ. Der 601 ging im Jahr 1964 erstmals in Produktion und so stammte unser Trabant aus der 0-Serie. Kurz danach fuhren wir mit dem Wagen an die Ostsee in den Urlaub, ganz berauscht von dem Glücksgefühl eines Autobesitzes. Hinzu kam, dass endlich nach 6 Jahren unsere Tochter unterwegs war. Tief eingeprägt hat sich unsere erste Reise nach 1945 mit dem Trabant nach Landsberg an der Warthe (heute Gorzow) im Sommer 1965. Damals standen noch beide Häuser, in denen wir gewohnt hatten, auch die Umgebung war noch ähnlich wie vor 20 Jahren. Heute hat sich fast alles verändert, ganze Straßenzüge sind abgerissen, aber nicht wieder aufgebaut worden. Es gibt daher viele leere Flächen in Brückenvorstadt. 1965 wurde unsere Tochter Katrin geboren, so war an eine Veränderung erst einmal nicht zu denken. Wir wollten nun auch etwas mehr Geld verdienen, so übernahm Helga alsbald die Stelle als Verkaufsstellenleiterin in Atterwasch (Nachbardorf), die gerade frei geworden war. In der ersten Zeit wurde Katrin dann von mir versorgt, später nahm Helga sie mit auf dem Fahrrad in die Kinderkrippe. So richtig schmeckte mir die Sache nicht. Immerhin war das für Helga mit sehr vielen Umständen verbunden, was mir ziemlich leidtat. 1967 im Februar kam ich ins Krankenhaus und wurde unnötigerweise am Darm operiert. Man hatte nichts gefunden, dann aber den Blinddarm entfernt, um wenigstens ein Ergebnis vorweisen zu können. Meine Kopfschmerzen, um die es eigentlich ging, wurden aber nicht besser. Ich war mehrfach in Berlin in der Charité wegen meiner Kopfschmerzen. Zunächst in der Nervenklinik, dann in der HNO und zuletzt in der Augenklinik. Man konnte nichts finden. Später war ich bei dem Chefarzt der Peitzer Klinik privat in Behandlung. Er versuchte es mit einer sogenannten Stellatumblockade. Dabei wurde mir eine Spritze 7 cm tief in den Hals gegeben, bis ein bestimmter Punkt erreicht war. Das barg sehr große Gefahren wegen möglicher Verletzungen der Hauptschlagader bzw. anderer Gefäße oder Nervenstränge. Auch das hatte keinen Erfolg. Erst ein alter Internist im Krankenhaus in Guben sagte mir, ich hätte eine „spasmische Lähmung“ im Darm, die zu Verstopfungen führt. Das sei die Ursache für meine Kopfschmerzen, insbesondere für die Hinterkopfschmerzen, die bis hin zu Gleichgewichtsstörungen führten. Wenn ich dann mal gut entleert war, waren auch die Kopfschmerzen nicht mehr da. Das machte Sinn. Ich sollte mich darum kümmern, immer für guten Stuhlgang zu sorgen. Leicht gesagt und schwer getan. Ich probierte alles Mögliche aus. Leinöl, Sennesblättertee, Mixturen mit Belladonna, Abführmittel, nichts war richtig von Dauer. Bis ich dann auf den Leinsamen stieß. Ende der 60er-Jahre begann ich damit, täglich vor dem Schlafengehen Leinsamen mit Milch oder Wasser zu nehmen. Von da an besserte sich mein Zustand. Ich habe diesen Leinsamen bis etwa 2003 täglich eingenommen, auch immer während des Urlaubs. Für den Urlaub habe ich mir immer die entsprechende Menge mitgenommen, auch für die 5 Wochen Kenia und Kreuzfahrt im Indischen Ozean. Dann bekam ich immer mehr Probleme damit, den Leinsamen hinunterzuschlucken. Er blieb mir einfach im Halse stecken, was mit Schmerzen und Versuchen verbunden war, durch Zuführung von Wasser die Verkrampfung in der Speiseröhre zu lösen. Ich litt manchmal Höllenqualen. Es ging einfach nicht mehr. So hörte ich mit dem Leinsamen auf. Und siehe da, es ging auch ohne. Es funktioniert wieder alles und Kopfschmerzen habe ich auch kaum noch. Lediglich die in der Stirn, nicht aber die lästigen Hinterkopfschmerzen. Zurück ins Jahr 1967. Der Internist schickte mich im Monat Juni zur Kur nach Potsdam-Neufahrland. Das Heinrich-Heine-Klinikum behandelte solche Verstopfungen mit einem sog. SUDA-Bad. Da bekommt man 10 Liter Wasser in den Darm gefüllt, was dann wie eine Spülung wirkt. Das habe ich aber nicht vertragen und schon den ersten Versuch abgebrochen. Dennoch habe ich dort wunderschöne 4 Wochen verbracht. Es war warm, wir gingen täglich baden und trafen uns nachmittags immer in einer Kneipe nahe der Klinik mit anderen Patienten. Das war so das erste Mal, dass ich mit unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch kam und Teil einer Gemeinschaft war. Da reifte in mir der Gedanke, ich muss mein Leben ändern, ich kann nicht auf dem Dorf versauern. Weil der Umsatz zurückging, verlor ich auch Personal und musste oft selbst bedienen. Ich sah darin keine Perspektive mehr. Auch war die Ehe nicht mehr ganz so intakt wie einst. Irgendwie kam es mir komisch vor, dass Helga mich mit einem Bekannten namens Rudi ohne Absprache in unserem Trabi in Neufahrland besuchen kam. Das Auto wurde von Rudi gefahren, da Helga keinen Führerschein besaß. Ich hatte für einen kurzen Moment den Eindruck, die haben was miteinander, wies dann aber den Gedanken wieder von mir. In den 9 Jahren unserer Ehe gab es so etwas nicht und deshalb hatte ich absolutes Vertrauen. Unsere Urlaubsvertretung übernahm stets eine Frau Bagehorn aus der Verwaltung der KG. Wir hatten ein freund­-schaft­liches Verhältnis zu ihr, weil wir uns auch schon kannten, als sie noch in einem Dorf bei Guben Verkaufsstellenleiterin war. Sie bekam während unseres Urlaubs immer auch die Wohnungsschlüssel. In meiner Stasiakte konnte ich dann nach der Wende lesen, dass sie sehr intensiv für die Stasi als IM tätig war und besonders viele Berichte über mich ablieferte. Fast alles, was sie mitteilte, waren Vermutungen und falsche Behauptungen. Z. B. unterstellte sie mir, dass ich nicht zu Arztbesuchen in die Charité nach Berlin gefahren sei, sondern dass ich mich mit westlichen Agenten getroffen hätte. Sie wollte manchmal mit mir mitfahren, um Berlin zu besuchen. Ich lehnte das ab, da ich mit dem Trabi nur bis Königswusterhausen und dann mit der S-Bahn weitergefahren bin. Sie muss auch unsere Wohnung durchsucht haben. In einem Bericht erwähnt sie eine Flugzeuguhr, die sie bei uns gefunden hätte. Ich besaß diese Uhr tatsächlich. Es war nur eine normale Uhr mit Stoppfunktion. Weiterhin ist zu lesen, ich hätte in meiner Verkaufsstelle eine Waschmaschine entwendet. Sie schrieb, auch ihr Mann würde gern für die Stasi arbeiten, ließ aber durchblicken, dass sie selbst gern eine besser bezahlte Stelle bekommen möchte. Als ich das alles gelesen hatte, war ich total entsetzt darüber, wozu Menschen fähig sind

Meine Zeit bei der HO in Guben. Ich habe dann im August 1967 meinen Entschluss zur Veränderung wahrgemacht und bin zur HO nach Guben gegangen. Dem lag eine Anfrage der HO zugrunde, der ich gern nachkam. Ich sollte eine neu zu eröffnende Kaufhalle am Eingang des Chemiefaserkombinates übernehmen, die aber noch nicht fertig war. So arbeitete ich zunächst in der Verwaltung der HO. Während dieser Zeit erkrankte der Leiter der damals größten Kaufhalle „Zentrum“ der HO in Guben an Magengeschwüren. Er war lange im Krankenhaus und ließ verlauten, dass er den Job nicht weitermachen wolle. Es war damit sehr viel Stress verbunden und dann noch die ganzen Probleme mit den Inventurdifferenzen, die immer an dem Leiter hängen blieben. In dieser Situation wurde ich zum Direktor gerufen und gefragt, ob ich vorübergehend die Aufgabe übernehmen wolle. Ich stimmte zu, sagte aber, nicht nur vorübergehend, sondern wenn schon, dann ganz und gar und mit vollem Gehalt. Erst wollte man mich eine Stufe darunter abspeisen. Der Direktor sagte dann am Schluss des Gespräches: „Na dann mal ran an vorderste Front!“ Das sagt schon alles über die Aufgabe. Ich hatte inzwischen mitbekommen, dass die Kaufhalle, die ich erst übernehmen sollte, um einiges abgespeckt werden sollte, und am Ende wohl nur ein größerer Laden herauskommen würde. So übernahm ich dann etwa im August 1967, 6 Jahre nach Ankunft in Schenkendöbern, mit 32 Jahren die Kaufhalle „Zentrum“ mit all den Problemen, die es dort gab. Helga war vorher von Atterwasch nach Schenkendöbern zurückgekehrt, wo sie die Leitung des Landwarenhauses übernahm. Erst wollte man uns raushaben aus der Wohnung, sah aber wohl ein, dass das nicht ging, wenn Helga das Haus übernahm. Mein Chef Heinz Feller war schon lange weg vom Konsum, jetzt war Wolfgang Jauernick Vorstandsvorsitzender. Irgendwie hat er mir den Wechsel zur HO übel genommen, außerdem war er Stasi-IM, wie ich meiner Akte entnommen habe. Jedenfalls hat er meine ganze Veränderung und die Absicht, in der Wohnung zu bleiben, brühwarm der Stasi mitgeteilt. Das war ganz gut so, sonst wüsste ich manches gar nicht mehr. Während meiner Zeit im Intershop, etwa 1987, hat er mich dort zusammen mit seiner Frau besucht. Nach der Wende habe ich ihn mal angerufen und ihm gesagt, dass ich seine Berichte an die Stasi gelesen habe. Er stritt seine IM-Tätigkeit ab. Ich sagte, ich sei ihm gar nicht böse, weil ich weiß, warum er für die Stasi arbeiten musste (er hatte wegen Republikflucht und einer Rede im Kölner Rundfunk 3 1/2 Jahre in Bautzen gesessen, sein drittes Kind wurde in dieser Zeit geboren; er sah es nach dem Knast zum ersten Mal). Auf gemeinsamen Einkaufsfahrten erzählte er uns unter Tränen immer wieder diese Geschichte, die ihn sehr bewegte. Deshalb tat er mir leid. Uns verband eigentlich ein freundschaftliches Verhältnis. Da änderte sich etwas, als er vom Handelsleiter zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen war. Da ich ihm einmal im Scherz eine Stasimitarbeit vorwarf und er diese spaßige Aussage unmittelbar seinem Führungsoffizier mitteilte, galt er als enttarnt und wurde als IM nicht mehr eingesetzt. Er wusste davon natürlich nichts, ich habe das alles auch erst nach der Wende meiner Akte entnommen

Im Bericht sind seine Informationen nachzulesen. Sein Pseudonym bei der Stasi war „Rudolf“. 1968 gab es erneut ein freudiges Ereignis, wir durften in Barth den kurz vor unserem Umzug nach Schenkendöbern bestellten Skoda MB 1000 abholen. So fuhren wir nach 4 Jahren Trabant einen schönen neuen Viertakter. Im Sommer machten wir dann gleich unseren ersten Auslandsurlaub in der CSSR. Die Kaufhalle „Zentrum“ war wirklich ein schwerer Brocken. Viel zu wenig Personal, vor allem ab 16 Uhr, wenn die Leute vom CFK zum Einkaufen kamen. Das Brot aus Eisenhüttenstadt wurde manchmal erst abends um 19 Uhr geliefert, da hatte sich schon eine lange schimpfende Traube von Menschen gebildet. Kam das Brot ofenwarm, war es im Nu alle und ich hatte am nächsten Tag kein Brot mehr. War es altbacken, schimpften die Leute wie die Rohrspatzen und nahmen nur ein halbes Brot. Am nächsten Tag war es dann noch härter. Die gesamte Versorgung war ein Auf und Ab. Die Kunden ließen natürlich bei uns die Luft ab, obwohl das Ganze einfach in dem System der „bedarfsgerechten Versorgung“ lag, die man einfach nicht planen kann. Außerdem mussten sich ja die Hersteller und Lieferanten vor Ort den Protesten der Bevölkerung nicht stellen, dafür waren wir ja da. Ein Bürger namens Brendel fiel besonders unangenehm auf, indem er sofort mich für alles verantwortlich machte und gleich zu mir nach hinten kam, sich wie der Vertreter aller Kunden aufführte und so tat, als ließe sich das alles mit Leichtigkeit regeln. Als mir das zu viel wurde, sagte ich ihm, er könne ja in den HO-Beirat eintreten und selbst „als Stimme des Volkes“ mit den Lieferanten telefonieren und für Besserung sorgen. Er tat das auch, nur es änderte sich nichts, weil sich im System nichts änderte. Aus meiner Stasiakte ist zu entnehmen, dass er IM war und intensiv über mich berichtet hat. Anfangs waren seine Aussagen über mich recht negativ, zum Schluss aber, als wir uns näher kannten, berichtete er sehr viel Lobendes über mich. Einmal behauptete er sogar, die Inventurdifferenzen hätte ich mir in die Tasche gesteckt. 1970 hatte dann selbst die Stasi wohl von solchen Informanten die Nase voll und schloss meine Akte, die danach ins Archiv nach Cottbus wanderte

Die Zeit in Marienberg. Schon in Guben gab es mitunter Streit zwischen Jutta und mir. Am Anfang hatten wir in Marienberg viel Arbeit mit der Einrichtung der Gaststätte, es fehlten viele Ausrüstungen für einen ordentlichen Betrieb, die ich heranschaffen musste. Das Objekt war noch nicht komplett fertiggestellt, war aber längere Zeit frei zugänglich, sodass zahlreiche Ausrüstungen verschwunden waren. Die beiden Großen mussten in der Schule untergebracht werden, Constanze kam in die Krippe des Federnwerkes, wo sie jeden Tag hingebracht werden musste und ebenso wieder von mir abgeholt wurde. Neben der Arbeit war das eine ziemliche Belastung. Wir kamen dort am 04. April 1973 an. Es lag ca. ½ Meter Schnee, die Eiszapfen an der Dachrinne des Saales waren beindick und hatten Bodenberührung. So etwas kannte ich bis dahin noch nicht. Stellenweise war der Schnee 2 Meter hoch aufgetürmt, da musste ich mit dem Skoda durch, um zum Wareneinkauf in die Stadt zu fahren bzw. zum Federnwerk. Für mein Auto mit Hinterradantrieb waren das ungewohnte Verhältnisse. Manchmal dachte ich, es geht nicht weiter, der Schnee und dann die Anstiege, allein von Marienberg bis nach Marienberg-Gebirge waren das ca. 200 Höhenmeter. Bald aber schmolz der Schnee und ich konnte nun erleichtert wieder überall hinfahren. Das war auch nötig, weil so viele Dinge zur Eröffnung fehlten. Z. B. Gläser, Kaffeetassen, Servierschränke, Tischwäsche zum Wechseln und vieles mehr. Außerdem musste ich die Lieferverträge mit der Brauerei, der Fleischerei, dem Bäcker, dem Lebensmittelgroßhandel und dem OGS-Großhandel abschließen. Die Gaststätte gehörte ja nicht zur HO oder zum Konsum, sondern musste außerhalb der üblichen Touren beliefert werden. Laufend musste ich dafür sorgen, dass die Propangasflaschen gefüllt waren. In der Küche wurde mit Propangas gekocht. Am Anfang hatte ich keine Helfer, das Personal trat erst kurz vor der Eröffnung seinen Dienst an

Mein Leben in Frankfurt (Oder) Mit dem Kaderleiter vereinbarte ich die Aufnahme unserer Tätigkeit für den 01.01.1974. Ich sollte die Kaufhalle Zentrum übernehmen und meine Frau später als Stellvertreterin im neu errichteten Bekleidungshaus arbeiten. Eine Neubau-4-Raum-Wohnung wurde mir zugesagt. Bei einem weiteren Besuch in Frankfurt erhielt ich die Schlüssel für die Wohnung in der Prager Str.1. Der Umzug sollte am 22. Dezember stattfinden, Jutta war schon einen Tag vorher mit den Kindern nach Frankfurt gefahren. Am 22. Dezember war Marienberg wegen zu viel Schnee von der Außenwelt abgeschnitten, deshalb kam der LKW aus Karl-Marx-Stadt erst am 23. Dezember. Dann ging aber alles glatt über die Bühne. Jutta hatte die letzte Nacht schon in der Wohnung verbracht. So konnten wir zügig entladen und die Möbel aufstellen, es waren ja nicht so viele. Die Wohnung war sehr schön warm und durch den Spannteppich gut gedämmt. Oft wird über den Plattenbau negativ gesprochen. Ich kann nur sagen, außer durch die Flurtür haben wir keine Nachbargeräusche gehört. Es war ein richtiges Glücksgefühl, eine solche Wohnung zu beziehen, in der man sich um nichts weiter kümmern musste. Heizung, Warmwasser, Trinkwasser, Strom, Bad, Küche, alles war da. Die Schule war 100 m und der Kindergarten 150 m entfernt. Die Kinder gewöhnten sich schnell ein, der Sohn von Jutta nahm nach Abschluss der 10. Klasse eine Lehrstelle im Eisenhüttenkombinat-Ost in Eisenhüttenstadt an, wo er auch im Internat wohnte. Ich war zunächst neben dem Kaufhallenleiter in der Kaufhalle Zentrum tätig und wurde dann nach der Inventur am 14. Januar 1974 ihr Leiter. Jutta war vorübergehend in einem großen Textilgeschäft eingesetzt worden, da das Bekleidungshaus noch nicht fertiggestellt war. Eigentlich war das so gar nicht geplant. Ich wollte allein nach Frankfurt gehen und mich von Jutta trennen. Ich sah mit ihr zusammen keine Zukunft mehr, hatte ihr das aber noch nicht gesagt. Frankfurt bot dann uns beiden einen guten Job. Da wir nun getrennt arbeiteten, dachte ich, es würde sich alles wieder einrenken. 1974 ging auch alles gut, die Probleme hatten sich erheblich reduziert. Wir hatten einen schönen Urlaub bei Benedek am Balaton. Es gab keine Probleme zwischen uns, auch nicht im Betrieb, der von unserem großartigen Direktor Horst Klämbt geleitet wurde. 1975 bat er mich, nochmals eine Qualifikation an der Betriebsakademie in Sallgast als Fortbildung aufzunehmen. Es handelte sich um ein postgraduales Studium der Fachschule für Binnenhandel Dresden und begann im April 1975. In den Sommermonaten wurde es unterbrochen und ab September bis Dezember fortgesetzt. Im Sommer machten wir erneut Urlaub am Balaton bei Carola und Benedek Nemeth. Es waren sehr schöne 3 Wochen, in denen wir einmal in Budapest waren und rings um den See gefahren sind. Bei der Anreise haben wir die Autofähre von Tihany nach Szantod benutzt. Auch Zoltan Szigethy, der in Budapest beim Zoll beschäftigt war, haben wir in Szigetvar besucht, wo er noch bei seinen Eltern lebte, in deren Wohnung wir übernachten durften. Gemeinsam sind wir ins Thermalbad gegangen und haben am nächsten Tag eine Tante in Harkany besucht, die einen wunderschönen Garten mit vielen verschiedenen Obstbäumen und Sträuchern hatte. Die Früchte waren ein Genuss. Zoltan hat uns dann auch noch Pecs und das Villany-Gebirge sowie einen herrlichen See gezeigt, in dem wir gemeinsam baden gingen. Auch 1975 verbrachten wir erneut einen sehr schönen Urlaub am Balaton bei Benedek und Carola, besuchten auch wieder Zoltan in Szigetvar und viele andere schöne Orte. Gegen Ende des Jahres 1975 merkte ich, als ich an den Wochenenden von der Schule nach Hause kam, dass Jutta sich verändert hatte. Ab September 1975 besuchte sie die Kreisparteischule, wo vielleicht die Ursache für ihr Verhalten lag. Eines Tages sagte sie: „Wir sollten uns scheiden lassen.“ Von dieser Vorstellung war ich zwar sehr überrascht, aber nach kurzer Überlegung durchaus bereit dazu. Da ich wegen meines Schulunterrichts in Sallgast nur an den Wochenenden zu Hause war, ist mir vieles entgangen. So auch, dass eines Tages ihre Tochter Constanze verschwunden war, sie musste eigentlich schon zur Schule gehen. Ich nahm an, sie hat sie wohl zu ihrem Exmann gebracht, aber denkbar waren auch andere Möglichkeiten. Ich fragte nicht danach. Es ging alles auf das Ende der Ehe zu, was sie aber nicht davon abhielt, mich häufig um Hilfe bei den Hausaufgaben zu bitten. Z. B. Arbeiten zu formulieren, die ihr von der Parteischule aufgetragen wurden. Sie war schon Mitglied der SED, als ich sie kennenlernte. Irgendwie war ich ganz froh, dass diese Ehe zu Ende ging. Ich hatte immer das Gefühl, dass Katrin, meine Tochter, ihren eigenen Kindern gegenüber zurückgesetzt wurde. Es war nur ein Gefühl, erst später erzählte mir Katrin, dass sie während meiner Abwesenheit innerhalb der Woche geschlagen wurde, dass ihr mit Heimunterbringung gedroht wurde, falls sie mir davon erzählen würde. Die Scheidung wurde im Frühjahr 1976 ausgesprochen. Noch aber waren Juttas Möbel in der Wohnung, sie selbst war schon ausgezogen. Ich hatte gehört, dass mein Chef ihr eine Wohnung auf dem Bruno-Peters-Berg besorgt hatte. Als sie zusammen mit dem Hausmeister des Bekleidungshauses ihre Möbel aus unserer Wohnung ausgeräumt hatte, kam sie noch einmal zu mir und Katrin ins Wohnzimmer und sagte: „Ich wünsche euch beiden alles Schlechte, was man nur wünschen kann. Mögt ihr im Dreck verkommen!“ Es fielen noch andere schlimme Worte. Ich war darüber nicht einmal erbost, eher erstaunt und erschrocken, da es für solche Äußerungen gar keinen Grund gab, zumal wir vorher keine verbalen Auseinandersetzungen hatten und ich ihr noch bei den Hausaufgaben geholfen hatte. Als sich die Wohnungstür hinter ihr schloss, machten wir beide einen riesigen Luftsprung mit einem Befreiungsschrei. Endlich war sie weg! Es begann ein ganz neues Leben. Wir mussten uns um Essen, Wäsche usw. kümmern. Katrin war 11 Jahre alt, ab April 1976 waren wir beide allein. Nach 1 ½ Jahren im Oktober 1977 lernte ich meine jetzige Frau Christa kennen. Sie wohnte in Görlitz und war im Krankenhaus als MTA tätig. Am 10. Februar 1978 heirateten wir in Görlitz und feierten die Hochzeit gemeinsam mit ihren Eltern im Burghof. Meine Frau kam mit nach Frankfurt und fing am Bezirkshygieneinstitut in der Abt. Fremdstoffanalytik als Chemisch-techn.-Assistentin an. Für meine Frau war diese Tätigkeit ein völlig neues Arbeitsgebiet. Hier wurden Lebensmittel auf schädliche Inhaltsstoffe untersucht. Zunächst arbeitete sie allein mit ihrem Chef zusammen, später kam noch eine weitere Kollegin dazu. Ich war mit meiner Arbeit weitgehend zufrieden, auch wenn es anfangs Probleme mit einigen Mitarbeiterinnen gab, die aber nach und nach aus dem Kollektiv ausschieden. Es gab sehr viele Außeneinsätze anlässlich der 1. Maifeiern, der Campingausstellungen, zum 07. Oktober, dem Tag der Republik und bei den Weihnachtsmärkten. Am 31. Mai 1977 fand in Frankfurt das große Fest der deutsch-polnischen Jugend statt. Die Tribüne stand direkt vor dem Oderturm, an dem sich meine Kaufhalle befand, mit Erich Honecker und Edward Gierek an der Spitze beider Delegationen. Erich Honecker hielt eine lange Rede, während ein endloser Fanfarenzug der Jugend beider Länder in deutsch-polnischer Pionierkleidung daran vorbeizog. Auch Tochter Katrin war dabei. Es war ein sehr heißer Tag, an dem überall Bühnen standen, wo die verschiedensten Künstler auftraten, bewundert von 10.000en von Besuchern. Wir als Kaufhalle hatten sieben Stände mit Getränken und diversen Imbissen aufgebaut und zu besetzen. Um alles rechtzeitig zu organisieren, bin ich mit einigen Kollegen am Abend vorher in die Kaufhalle gegangen, wo wir auf Decken übernachteten. Rund um unser Haus war der Sperrbezirk Nr. 1, dort durften nur auserwählte Personen mit entsprechendem Ausweis hinein. Nach der Rede Honeckers standen mein Kollege Kalwellis und ich an der Seite des Gebäudes und genau dort kamen Honecker und Gierek vorbei. Sie schauten uns mit unseren weißen Kitteln an und grüßten freundlich durch Handerheben. Die schwarzen Limousinen der Abordnungen beider Länder waren auf dem Brunnenplatz geparkt und von der Stasi bewacht. Dorthin gingen Honecker und Gierek. Danach löste sich die Veranstaltung vor dem Oderturm auf und die Leute fingen nun richtig an zu feiern. 1978 war die Kaufhalle ca. 4 Wochen wegen Umbaus und Erneuerung der Einrichtung geschlossen. Am Eröffnungstag kam die Prominenz aus dem Frankfurter Handel und besichtigte den fertigen Umbau und die gefüllten Regale, die erste Kundin bekam einen Blumenstrauß. Im laufenden Jahr 1979 wurde darüber diskutiert, dass die Kaufhalle in einen Delikatladen umgebaut werden sollte. Mein Direktor fragte mich, ob ich das machen wolle oder ob ich lieber die große Kaufhalle „Südring“ übernehmen wolle. Da ich schon 1978 zwei Monate im „Südring“ geholfen hatte, einen neuen Kaufhallenleiter einzuarbeiten, der dann aber entlassen wurde, sagte ich zu und übernahm im September 1979 diese Kaufhalle. Ich fand in Südring ein wunderbares Kollektiv vor, das mit mir gemeinsam an einem Strang zog, die Versorgung hervorragend organisierte und half, Inventurdifferenzen über die ganzen 6 Jahre meiner dortigen Tätigkeit zu vermeiden. Dafür bekamen wir stets Auszeichnungen, ich wurde mehrmals „Aktivist der sozialistischen Arbeit“. Es waren sehr schöne Jahre mit sehr vielen Feiern und Veranstaltungen, die wir teilweise selbst organisierten oder zu denen wir von unserer HO-Leitung eingeladen wurden. Darunter war auch ein Auftritt von Herricht & Preil während einer Betriebsfeier. Meine Tochter Katrin wurde wegen ihrer sehr guten Leistungen in der Grundschule auserwählt, ab der 9. Klasse die Gauß-Spezialschule (heute Gauß-Gymnasium) zu besuchen. Sie schloss die Schule mit Abitur ab und nahm ein Chemiestudium an der TU in Dresden auf, das sie als Diplom-Chemikerin abschloss. Meine Frau war mit ihrer Arbeit durchaus zufrieden. Leider erkrankte ihre Mutter an Krebs, so musste sich meine Frau öfter um sie kümmern, nach Görlitz fahren und ihren Vater unterstützen sowie im Krankenhaus Besuche bei ihrer Mutter machen. Deshalb bat sie im Betrieb darum, ihre Arbeitszeit auf drei Wochentage zu verkürzen, was auch genehmigt wurde. Im Jahre 1981 verstarb meine Schwiegermutter leider, was uns alle tief bewegte, zumal sie erst 73 Jahre alt war. Mein Schwiegervater verblieb in der Wohnung allein und wurde von meiner Frau oft besucht und in der Hausarbeit unterstützt. Seine Wäsche schickte er uns per Post, um sie von meiner Frau in der Waschmaschine waschen zu lassen. Jedes Jahr von Dezember bis März war er unser Gast in Frankfurt/O. Im Frühjahr 1982 war ich mal kurz im Zimmer unseres ökonomischen Direktors. Unser Gespräch wurde durch einen Anruf meiner Exfrau Jutta unterbrochen. Im Anschluss erzählte mir der Kollege, dass sie wohl sehr nervös sei, da man ihre Inventurunterlagen zur Prüfung eingezogen hatte. Irgendetwas war wohl auffällig. Die Unterlagen wurden zunächst von der Kontrollabteilung unseres Betriebes geprüft und später weitergegeben an die Bezirksdirektion. Sie wollte von meinem Kollegen wissen, wie der Stand der Prüfung derzeit ist. Er konnte dazu nichts sagen. Bald stellte sich heraus, dass die Untersuchungen eine Belegfälschung ergeben hatten, die wiederum beträchtliche Unterschlagungen verdecken sollten. Es kam zu einem Strafprozess und einem Urteil von mehreren Jahren Freiheitsentzug. Sie hatte nach unserer Trennung erneut geheiratet und mit 41 Jahren noch ein 4. Kind bekommen. Ihre Tätigkeit im Bekleidungshaus beendete sie etwa 1980 und übernahm einen unter dem Bekleidungshaus liegenden, neu eingerichteten Intershop mit ca. sieben Mitarbeiterinnen. Dort kam es zu den Verfehlungen. Nach einiger Zeit ließ sich ihr Ehemann scheiden und nahm das gemeinsame Kind an sich. Das hatte Auswirkungen auf den gesamten Intershophandel in der DDR, zumal vorher schon im Intershop des Hotels Stadt Frankfurt ein größerer Diebstahl aufgedeckt worden war. Auch im Intershop des Palasthotels in Berlin soll es zu größeren Unterschlagungen gekommen sein. Nach dem Vorfall in Frankfurt durften keine Frauen mehr von Angehörigen der bewaffneten Organe im Intershophandel eingestellt werden, da nach den Verwicklungen der Frauen in diese Vorgänge nicht nur die Frauen bestraft, sondern auch die Ehemänner suspendiert oder versetzt wurden. Bis dahin waren vielfach Ehefrauen von Mitarbeitern bewaffneter Organe im Intershophandel tätig, weil sie als besonders ehrlich und zuverlässig galten. Das hatte sich als Irrtum erwiesen und Auswirkungen auf die Besetzung bei den bewaffneten Organen gehabt, es mir aber – als ich den Intershop übernahm – bei der Personalsuche leichter gemacht. Im April 1982 wurde ich von der Bezirksdirektion der HO im Rahmen der Aktion „Die Bezirke helfen Berlin“ beauftragt, als Leiter einer Arbeitsgruppe eine Kaufhalle in Berlin dabei zu unterstützen, ihre erheblichen Inventurdifferenzen zu senken. Wir wohnten zunächst zu dritt in einem Zimmer bei einer Familie in Lichtenberg. Später waren wir nur noch zu zweit und jeder nahm danach ein eigenes Quartier. Ich bekam eine Ein-Raum-Wohnung in der Einsteinstraße, die ich bis Ende 1983 bewohnte. Wir waren die ganze Woche über in der Kaufhalle im Einsatz und fuhren nur an den Wochenenden nach Hause. Ich baute die Einrichtung der Kaufhalle um, damit das Personal einen besseren Überblick über die Gänge zwischen den Regalen bekam. Daraufhin beschwerte sich der Lichtenberger Bürgermeister darüber, dass man von außen nur noch Regale und keine Ware sieht. Das aber war genau der Fehler, da der Eingang von innen nicht einsehbar war, waren Diebstähle leichter möglich, manchmal sogar von außen gesehen worden. Ich änderte mein Konzept nicht, ließ die Regalwände lediglich dekorieren, was letztendlich zum Erfolg bei den Inventurdifferenzen beitrug. Zum Betriebsteildirektor der HO Lichtenberg hatte ich ein gutes Verhältnis, die ersten Tage übernachteten wir sogar bei ihm zu Hause. Später pflegten wir eine sehr positive Zusammenarbeit mit ihm, halfen ihm auch mal zwei Wochen lang bei Ermittlungen in einer anderen Kaufhalle. Es gab häufig Prämien für unsere Arbeit und am Ende der Einsatzzeit bekamen wir von der HO-Bezirksdirektion einen hohen Betrag als Belohnung für unsere erfolgreiche Tätigkeit. Dort war der Hauptbuchhalter Wolfgang Seeber für uns zuständig, mit dem uns später eine private Freundschaft verband und der mir auch geholfen hatte, nach meiner Zeit in der Südringkaufhalle die Stelle als Leiter des an der Autobahn neu errichteten Großintershops zu bekommen. Er selbst war seit einiger Zeit in der Bauernpartei und wünschte sich, dass ich da auch eintreten sollte. Ich aber wollte weiterhin parteilos bleiben. Dennoch erhielt ich die Zusage, den Intershop leiten zu dürfen. Nachdem feststand, dass ich übernehmen werde, begann ich schon von Südring aus die Weichen für meine spätere Arbeit zu stellen. Ich nahm regelmäßig an den Bauleitungsbesprechungen teil und konnte somit Einfluss auf diverse Details am Bau und der Einrichtung ausüben

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