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I
Die zwei Hirten

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Um das Jahr 1360 lag noch zwischen den Dörfern Wyneghem und Santhoven, drei Stunden von Antwerpen, ein wüster und dunkler Wald. Die Eiche, der Gott der nordischen Wälder, schoß ihre stolze Krone gen Himmel; der treue Epheu klammerte sich in Liebeskränzen üppig um seinen rauhen Stamm, während die duftigen Blumenkelche des Geisblattes seinen breiten Fuß als mit goldenem Kleide schmückten. Kinder Einer Mutter grünten dort gleichfalls: die Buche mit ihren glänzenden Blättern, die Bitte mit silbernem Stamme, die zitternde Pappel und die zartere Trauerweide, die wie eine trauernde Jungfrau sich mit ihrem hängenden Laube über die Seen beugte.

Am Ende des Waldes war Alles lieblich: da schoß der Brombeerstrauch seine purpurnen Ranken von Stamm zu Stamm, und wob einen undurchdringlichen Schleier, an dessen Fuß Schlüsselblume und Maßliebchen wie verlorene Perlen glänzten.

Aber tiefer in dieser einsamen und wüsten Schöpfung änderte sich Alles: – der Boden schien die Zeichen einer Naturumwälzung an sich zutragen. Da und dort erhoben sich nackte Sanddünen; zerstreute Moräste und gährende Sümpfe zerstörten halb verrottete Stämme entwurzelter Weiden . . . und statt des lieblichen Geisblattes sah man hier nur fahles am Boden fortwucherndes Moos, das die umstehenden Bäume zu einer Gesellschaft sterbender Greise machte, mit Pilzen und Schwämmen wie mit Eiterbeulen überdeckt.

Nie senkte die Sonne ihre heitern Strahlen auf diesen feuchten Boden; unheimliche Dunkelheit und entsetzliche Stille herrschte hier ununterbrochen; nur von Zeit zu Zeit ertönte das Aechzen einer Nachteule durch das Laub oder machte ein fliehender Fuchs die Blätter rascheln, und unterbrach so die Todtenstille, um sie noch schrecklicher zu machen.

Neben diesem Walde lag eine unermeßliche Haide, und weiterhin, am Ende des Horizontes, wo der Himmel die Erde zu berühren scheint, hing ein undurchdringbarer Vorhang von Tannenbäumen.

*                   *

*

Beim Anbruche eines Lenzmorgens im Jahre 1366, ehe die Sonne die nächtlichen Nebel durchbrochen hatte, befanden sich zwei Schafhirten aus der Haide. Der Eine war ein alter Mann, von mehr als sechzig Jahren mit weißem Haare und gekrümmten Rücken. Der Andere beinahe noch ein Knabe: siebzehn Jahre glänzten auf seinem angenehmen rosigen Gesichte, blaue Augen funkelten mit sanfter Gluth unter seiner breiten Stirne hervor und feine Haare, deren Farbe einer Mischung von Gold und Silber glich, fielen über seinen Hals. Beide waren in rauhe Stoffe gekleidet, und damit beschäftigt, Hosen aus schwerem Wolltuch zu nähen, während ihre Heerden in einiger Entfernung die spärlichen Haideblumen pflückten.

Nach einiger Zeit legte der alte Hirte seine Arbeit nieder, zog ein Buch aus seiner Tasche und öffnete es. Der junge Hirte hatte kaum das Buch bemerkt, als die Nadeln seiner Hand entfielen; sein Auge erglänzte von dem Feuer der Neugierde, und sich seinem Kameraden nähernd, beugte er sich über die offenen Blätter des Buchs und betrachtete mit aufmerksamem Blicke die Buchstaben. Dann sprach er seufzend:

»Du kannst lesen, Albrecht? In diesem Buche also hast Du gelernt, wie man die Winde drehen muß, wie man gut Wetter und schlecht Wetter macht, wie man das Vieh bezaubert und entzaubert . . . O ich gäbe zwanzig schöne Jahre meines Lebens, wenn ich die Zeichen verstünde, wie Du!«

Der alte Hirte lächelte bei dieser Betheurung und antwortete:

»Nun, Bernhard, glaubst Du auch an das Geschwätze der alten Weiber von Santhoven? Weil ich lesen kann, macht man mich zu einem Zauberer und doch habe ich in meinem Leben kein ander Buch in Händen gehabt, als das, was Du jetzt siehst. Weißt Du, was darin steht?«

»Nein, o sage es mir!«

»Nun, es ist das Leiden unseres Herrn. Als ich noch jung war, wohnte ich bei einem alten Geistlichen, der hat das Buch für mich geschrieben und mich mit vieler Mühe die Zeichen verstehen gelehrt. Der gute Mann, Gott habe seine Seele, hat hinter dem Buche einige unbekannte Heilmittel für kranke Schafe hinzugefügt. Sieh, Bernhard, in der Kenntniß dieser Heilmittel besteht alle meine Zauberkunst.«

Diese Erklärung befriedigte den jungen Bernhard nicht.

»O laß’ mich das Buch mal in den Händen halten!« rief er mit Ungeduld.

Sobald der alte Hirte ihm dasselbe gegeben, warf Bernhard sich in das Haidegras, legte das Buch auf seine Kniee und begann mit fieberhafter Aufmerksamkeit die Blätter eins nach dem andern umzuwenden. – Es war etwas Sonderbares in der Haltung des jungen Hirten und besonders in der festen Unbeweglichkeit seines Kopfes, an welchem die blonden Haare wallend niederfielen. Mit wohlwollendem Lächeln betrachtete der alte Albrecht seinen jungen Kameraden und fragte endlich:

»Du hast also großes Verlangen, zaubern zu lernen, Bernhard?«

Dieser hob seinen glühenden Kopf empor und antwortete:

»Zauberei! O nein, nein! Aber ich gebe zwei Finger meiner rechten Hand dem, der mich lesen lehrte.«

»Ich würde es Dich wohl lehren, wenn wir unsre Heerde oft am selben Platze könnten weiden lassen, doch das geschieht keine zehn Mal im Jahre, darum glaube ich nicht, daß Du es je lernen würdest.«

Das letzte Wort betrübte den jungen Hirten sehr: er gab mit innigem Verdruß das Buch zurück, nahm seine Nadeln wieder auf und ließ das Haupt in tiefstem Mißmuth sinken, während eine Thräne in seinem Auge glänzte.

Eine Zeitlang herrschte ein peinliches Stillschweigen wischen den zwei Hirten; bald aber ergriff den alten Albrecht Mitleiden und er sprach zu seinen weinenden Kameraden:

»Bernhard, Dein Wunsch lesen zu lernen, ist eine sonderbare Krankheit. Ich sehe nicht ein, wie Du Dich so betrüben kannst; ein Zufall hat mich so gelehrt gemacht, aber dieß Glück wiederfährt nicht jedem; – und warum solltest Du Dich nicht trösten, da Ritter und Edelfrauen, Bürger und Bauern ebenso unwissend sind, als Du? Und wärest Du gelehrt, wo würdest Du ein Buch finden, da Du nicht reich genug bist, eines zu kaufen?«

Bernhard machte bei diesen Worten eine Bewegung der Verzweiflung; seine Stirne umwölkte sich.

»Gewiß, Bernhard,« fuhr der alte Albrecht fort, »Deine Wißbegierde ist nicht natürlich; sie hat zweifelsohne ihre verborgenen Gründe. Du bist ein wunderbares Kind! Niemand weiß, von wannen Du gekommen, Du kennst weder Vater, noch Mutter, Du sprichst und thust nicht, wie wir. Noch so jung und ein so geheimnisvolles Leben! Ich habe Mitleiden mit Dir, denn ich sehe wohl: Du leidest und bist unglücklich!«

Der rührende Ausdruck, mit welchem er die letzten Worte gesprochen, ergriff den jungen Hirten sehr. Vielleicht war es ihm ein Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. Er näherte sich seinem Kameraden, drückte seine Hand und sprach in traurigem Tone:

»Albrecht, niemand kennt mich an diesem Orte. Gelobe mir strenge Verschwiegenheit und Du sollst mich kennen lernen; ich werde Dir sagen, warum der Schmerz meine Brust erfüllt. – Ich bin von edlem Blute, Albrecht; Du wirst es nicht glauben, aber Dein Kamerad, der Schafhirte Bernhard, kann sich Burggraf von Reedale nennen.«

»Du bist von edlem Blute! Burggraf von Reedale!« rief der alte Hirte verwundert. »Sprich, ich kann schweigen.«

Bernhard trocknete die Thräne, die in seinem Auge glänzte, und setzte sich auf der Haide nieder und als sein Kamerade das Gleiche gethan, begann er also: —

»Ja setze Dich nieder, Albrecht, denn meine Geschichte ist lang und traurig: ich bin jung, doch habe ich schon viel gelitten.

»Höre: – Noch ist es keine zehn Jahre her, daß ich mit meinem Vater und meiner Mutter ein adlig Schloß in der Nähe von Grimberghe in Brabant bewohnte. Da verbrachte ich meine Tage mit allen Uebungen, die einem Edelknaben geziemen; mein Vater, der ein berühmter Kriegsheld war, lehrte mich den Degen führen und ein wildes Roß bändigen. Ich war noch sehr jung und doch verwunderten sich erfahrene Ritter schon damals über meine Gewandtheit. Wir waren aber arm und unsre Tafel wurde nicht oft unseren adligen Stand verrathen haben, wenn wir nicht durch unaufhörliches Jagen die Wälder gezwungen hätten, ihr bestes Wildpret zu liefern. Um seinem Fürsten, dem Herzog von Brabant, Jan dem Siegreichen, mit Ehren in den Krieg gegen die Vlamingen zu folgen, hatte mein Vater sein Landgut bei Brüsseler Wechslern verpfändet. Der Herzog machte ihm viele Versprechungen, doch nichts wurde gehalten. – Du hast vielleicht gehört, Albrecht, wie die Vlamingen unter ihrem Grafen Ludwig Van Male im Jahre 1356 Brüssel eroberten und ganz Brabant in Besitz nahmen. Mein Vater war einer von denen, die es mit Eberhard ’t Serelaes versuchten, Brüssel zu befreien. Bei Nacht gelangten sie in die Stadt und vom Volke unterstützt, vertrieben sie die Vlamingen. Mein Vater war’s, der das triumphierende Banner von Brabant auf die Wälle pflanzte; aber ein Pfeil traf ihn in die Seite und er starb schon am andern Tage an seiner Wunde.

»Inzwischen lebte ich mit meiner Mutter auf dem Schloß bei Grimberghe; wir hatten schon die Kunde der Befreiung Brüssels empfangen und freuten uns über die wahrscheinliche Erhaltung unseres Vaters. Getrosten Muthes und fröhlichen Herzens sprach meine Mutter mit mir über ihre Hoffnung aus bessere Zukunft: Herzog Wencelyn, dem nun Brabant gehörte, würde zweifelsohne die wenigen Ritter belohnen, denen er seinen Thron verdankte. Diese schönen Aussichten in unserer Phantasie ausmalend, stiegen wir die Treppe hinauf, um uns schlafen zu legen; meine Mutter küßte mich zu wiederholten Malen, bekreuzte mich öfters und ich sah in jedem ihrer Augen eine Thräne der Hoffnung und Liebe glänzen. So glücklich und zufrieden über unser Loos, schlossen wir unsere Augen und sanken in süßen Schlaf.

»Mitten in der Nacht höre ich plötzlich ein schreckliches Geschrei; ich erwache . . . aber, o Gott ich sehe nichts als Flammen, der Rauch erstickt mich, ich höre die Stimme meiner Mutter, die um Hilfe ruft . . . und außerhalb des Schlosses Waffengerassel und Jauchzen vielen Volkes. Alles dreht sich vor meinen Augen, ich fühle Leben und Athem schwinden. Da sehe ich plötzlich ein schwarzes Menschenbild die Flammen durchschneiden und sich meinem Bette nähern. – Ich fühle; daß seine beiden Arme mich umfassen, mit Gewalt aufheben und wie er mit mir durch das Feuer springt . . . Jetzt verlor ich mein Bewußtsein und Gefühl . . . «

Ergriffen von seinen trüben Erinnerungen, schwieg Bernhard nach diesen Worten. Thränen flossen über seine Wangen, doch kein Seufzer, kein schwerer Athem begleitete sie. Sein alter Kamerade sprach gleichfalls nicht, so daß eine seltsame Stille der Ausdruck ihrer gegenseitigen Rührung ward.

Endlich fragte Albrecht:

»Nun Bernhard, und Deine Mutter?«

»Meine Mutter, nicht wahr? meine arme Mutter? . . . Verbrannt, zu Asche verbrannt! Man hat nichts von ihr gefunden, als das verkohlte Gebein!«

Der alte Hirte schrie laut auf, und aus seinen Augen begannen die Schmerzensthränen zu fließen; sein junger Kamerade drückte ihm die Hand und fuhr, als er sich wieder gefaßt hatte, also fort:

»Die Anführer der Vlamingen, die aus Brüssel vertrieben waren, hatten meinen Vater im Streite erkannt. Bei ihrem Rückzuge kamen sie des Nachts an unserer, Wohnung vorüber und erinnerten sich, daß mein Vater ihr Feind war; sie legten Holzhaufen um das Schloß, und steckten es an, um uns zu tödten . . .

»Nun war ich eine arme Waise, von Allem entblößt und noch zu jung, um im Kriege meine Zukunft zu finden. Das väterliche Schloß lag zerstört – und doch, wäre es auch nicht beschädigt gewesen, was hätte es geholfen, da es gänzlich den Wechslern verpfändet war? Ich war so ohne alles Erbe, ohne Eltern, ohne Verwandtschaft. Ein einzig Mittel blieb mir übrig: ich konnte mich als Hofjunker bei dem einen oder dem andern Landesherrn annehmen lassen, und so in einen Stand treten, der meinen Jahren und meinem Adel ziemte.

»In der Erwartung, daß es mir glücken werde, blieb ich in einer Bauernwohnung, bei dem edelmüthigen Laet, der mich mit Lebensgefahr aus den Flammen gerettet hatte. Am zehnten Tage kam ein Ritter, der eine Wallfahrt nach Unsrer Lieben Frau von Halle mitgemacht, an den noch rauchenden Trümmern des Schlosses vorüber. Er beklagte unser Urglück sehr und sagte, daß er früher ein Freund meines Vaters gewesen; und in der That, erschien ein Kriegsmann zu sein, denn es zog sich über seine Stirne eine tiefe und lange Narbe, wie von einem Schwerthiebe. Ich wurde ihm als einziges Ueberbleibsel vom Hause derer von Reedale vorgestellt. Meine rothgeweinten Augen und mein trauriges Gesicht machte Eindruck auf sein Gemüth; er nahm mich als Hofjunker mit, den guten Leuten, die mich gerettet und beherbergt hatten, gelobend, daß er mich sein Leben lang wie ein eigenes Kind behandeln werde.

»Das Benehmen des Ritters war mir unbegreiflich: am ersten Tage sprach er zehn Stunden lang nichts, ließ den Zaum seines Pferdes gleichgültig hängen, und hatte den Kopf wie ein schläfriger Mensch vorwärts gebeugt. Seine Augen, die er selten auf mich richtete, waren halb unter seinen schweren Brauen eingesunken, und schienen ohne Leben, wie angelaufenes Glas. Oft beschlich mich Angst und Furcht, ich träumte mehr als einmal von den schrecklichsten Dingen; aber die Stimme des Ritters, wenn ich sie hörte, war so sanft und traurig, daß ich zuletzt mehr Mitleid als Angst fühlte.

»Nach zwei Reisetagen ritten wir die Stadt Antwerpen vorbei und standen eine Stunde später vor der Brücke eines großen Schlosses, das mit vier schweren Thürmen und hohen Festungsmauern umgeben war. Kaum hatte uns der Wächter über dem Thore bemerkt, als sein Jagdhorn ertönte; das Gatter ging in die Höhe, die Zugbrücke fiel nieder und die Pforte ächzte in ihren Angeln.

»Eine Anzahl Diener, eben so schweigsam und vielleicht noch geheimnißvoller, als mein Wohlthäter, empfingen meinen Beschützer mit tiefer Ehrfurcht, und ich begriff leicht an der gebietenden Sprache, daß dies seine Wohnung war.

»Ich hatte kaum etwas gegessen, als Graf Arnold von Craenhove, dieß war der Name meines Herrn, einem alten Diener befahl, zwei Pferde zu satteln und mit mir nach Antwerpen zu reiten, um mich in seine Farben kleiden zu lassen. Wir blieben fünf Tage in der Stadt, bis ich meine Dienstkleidung erhielt. – O was war ich schön, Albrecht: ich wurde halbleibs gekleidet, die rechte Hälfte in himmelblaue, die linke in rosenfarbige Seide; auf meinem Kopfe wehte eine rosenfarbene Feder auf einem braunsammtenen Barette; um meinen Hals hing eine silberne Kette, und an dieser auf meiner Brust ein kleines Jagdhorn vom selben Metall. – O, ich war so schön und o vergnügt, daß man mich mit Gewalt von meinem stählernen Spiegel entfernen, und mit der Wegnahme des Jagdhorns drohen mußte, um mich am unaufhörlichen Blasen zu hindern. Am sechsten Tage kehrten wir wieder zum Laternenhof zurück, dessen Namen mir der alte Diener mitgetheilt hatte.«

»Bei unserer Ankunft wurde ich zu Graf Arnold von Craenhove gebracht. Er schien sehr zufrieden mit meinem Anzuge und mit meiner stolzen Haltung; doch, was ich schon während unsrer Reise bemerkt hatte, machte mich auch jetzt wieder sinnend. Seine Stimme war dumpf und traurig, sein Lächeln erzwungen und peinlich; ja, als ich aus Dankbarkeit seine abgemagerte Hand küßte, ließ er mich machen und blieb gleichgültig gegen die Beweise meiner Liebe zu ihm. Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens stand er von seinem Stuhle auf, nahm mich, ohne etwas zu sprechen, bei der Hand und brachte mich durch zwei oder drei Säle, bis in ein schönes Gemach, worin ein Mädchen von ungefähr sieben Jahren, gerade meinem Alter, an dem Fenster saß und verdrießlich hinausblickte. Sobald wir einander sahen, erleuchtete dasselbe Lächeln unsre Züge. Graf Arnold sprach indeß mit dumpfer Stimme:

»Aleidis, meine Schwester, ich bringe Dir einen Gesellschafter, einen Bruder.Nun wirst Du nicht mehr trauern, nicht wahr? Unterhaltet Euch gut . . . «

»Und mit diesem Befehle ließ er mich stehen, und ging weg. Verschämt, und keinen Schritt vorwärts wagend, blieb ich stehen und schlug die Augen nieder. Aber das Mädchen eilte ungeduldig auf mich zu, ergriff meine Hände und zog mich an das Fenster, in lebhaftem, aber freundlichem Tone fragend:

»Wie ist Dein Name? Von wannen kommst Du? Bleibst Du immer hier? Kannst Du auf dem Horne blasen?«

»Ich antwortete, so gut ich konnte, auf die Fragen meiner Spielgenossin, obwohl sie mir kaum die Zeit dazu ließ, und ebenso schnell mir einen Sessel vor den ihrigen rückte und mir befehlend sagte:

»Setz’ Dich da vor mich hin!«

»Und als ich niedergesessen war, begann sie mit sonderbarer Neugierde, meine Gesichtszüge und Kleider zu betrachten. Nachdem diese Prüfung einige Zeit gedauert hatte, sprach sie, während sie eine Locke von meinem Haare um ihren Finger rollte:

»Welch schöne blonde Haare hast Du, Bernhard! sie sind wie Silberfäden.«

»Ich, der ich bewußtlos mit meinen Augen an ihr hing, antwortete:

»Nicht so schön, als Deine blonden Haare, Aleidis – sie sind so schön, wie das Gold, das in Dein Samaer gewebt ist.«

»Sie lächelte, wie mit meinem Lobe zufrieden, und sprach:

»Welch’ schöne blaue Augen Du hast, Bernhard – sie sind wie der Himmel.«

»Nicht so schön, als Deine klaren Augen, Aleidis – sie sind glänzender, als der blaue Atlas meines Gewandes.

»Welch’ schöne Lippen und rosige Wangen Du hast, Bernhard. Sie sind wie die rosenfarbige Feder auf Deinem Barette.

»O nicht so schön, als die Deinen, Aleidis – sie sind wie die Korallen an Deinem Halse.«

»Aleidis schien an diesem Gespräche großen Gefallen zu finden; doch sprang sie rasch auf, zog mich vom Stuhle auf und sprach:

»Bernhard, Du mußt immer bei mir bleiben, nicht wahr? Du darfst nicht gehen, hörst Du? Denn sonst bin ich wieder so traurig, verlassen, so allein! Du bleibst immer, nicht wahr? Du sollst mein Bruder sein, und wir werden immer mit einander spielen.«

»Wir begannen auch sogleich herumzulaufen, zu hüpfen und zu tanzen, bis die Ermüdung uns auszuruhen zwang; dann blies ich auf meinem silbernen Jagdhorn, oder ich erzählte das Unglück, das mein Haus betroffen; ich machte das Mädchen bald lachen, bald weinen . . . Mit einem Worte, sie unterhielt sich so gut, daß sie Mittags zu essen weigerte, bis man mir erlaubte, neben ihr zu sitzen. Abends weinte sie unaufhörlich, weil der Tag nicht lang genug war, und sie sich von ihrem Spielgenossen trennen mußte, um schlafen zu gehen.

»Was soll ich Euch weiter sagen, Albrecht? Aleidis hatte die ganze Neigung ihres Herzens mir zugewandt; ich wurde ihr theurer, als der blaue Apfel ihrer Augen. Was mich betrifft, ich hatte nun eine Schwester, so gut, so liebreich, als der Sonnenschein, – so schön und leiblich, als ein Maßliebchen! Damals konnte man nie eins ohne das andere sehen, als wären eins des Andern Schatten gewesen; zwei Lämmer einer und derselben Mutter folgten einander nicht treuer, als wir.

»Ohne Nebengedanken überließ ich mich ganz meinem seligen Loose und bemerkte Anfangs nicht, daß mein Glück nur allzufrüh Neider fand, obwohl ich selbst die Mißgunst verursachte. – Du mußt wissen, daß mein Beschützer, Graf Arnold von Craenhove, nie zu sehen war; die Gemächer des Schlosses, welche er bewohnte, blieben stets für uns und allen Dienern verschlossen, ausgenommen eine Person, welche ebenso tiefsinnig und sprachlos, wie er, sein unbegränztes Vertrauen zu genießen schien. – Es war ein sonderbarer Mann, dessen Antlitz über mich eine unwiderstehliche Gewalt ausübte; seine Gegenwart allein schon machte mich zittern, und oft erschrak ich vor ihm, wie vor einem Teufel. Die Natur hatte ihm keine angenehmen Gesichtszüge geschenkt. Meine Angst vermehrte noch seine ernste Unfreundlichkeit und gab ihm in meinen Augen die gräßlichste Gestalt. Hast Du bemerkt, Albrecht, daß eine Eule gelbe und trübe Augen hat? So waren die seinen. – Du siehst Deinen Hund mit seinen rauhen Haaren, die emporstehen, wie die Nadeln einer Tanne? So war sein Haar. Dein Buch ist gebunden zwischen zwei eichenen Brettchen, schmutzig und fahl? So war sein Gesicht. – Hast Du je einen Fuchs gesehen, der in einem Strick gefangen ist, wie er den Jäger angrinzt und zu beißen droht? Dies war sein süßestes Lächeln. Falkner kommen manchmal hierher; Du hast doch vielleicht einen Falken gesehen? Gleich den Klauen dieses Raubvogels waren seine Hände – mit magern Fingern und gekrümmten Nägeln. – Hast Du je eine Gotteslästerung gehört, Albrecht? So war sein Name; er hieß: Abulfaragus!«

»Dieser Mann, der auf dem Schlosse und in der Umgegend für einen Sterndeuter und Wahrsager galt, begegnete mir nie, ohne einen mißtrauischen und forschenden Blick auf mich zu werfen. Oft, wenn ich mit meiner Schwester Aleidis unter den Bäumen spielte, sah ich sein gelbes und furchtbares Auge hinter dem Stamme eines Baumes blitzen. Mehr als einmal kroch er wie ein Jagdhund unter dem Gesträuche durch, um unsre Worte zu belauschen. Obwohl ich mich damals nicht darum bekümmerte, glühte doch in meinem Innern ein tiefer Haß gegen diesen feindlichen Spionen. Ich war es nicht allein, der ihn fürchtete: alle Bewohner des Schlosses zitterten vor seiner Stimme, theils weil man wußte, daß der unsichtbare Graf Arnold durch seinen Mund sprach, theils weil man von ihm befürchtete, er könne durch übernatürliche Mittel sich wegen des geringsten Ungehorsams rächen.

»Auf dem Laternenhof war ein kleines Wäldchen von Ulmen, unter deren schwarzen und undurchdringlichen Blättern ein Grabstein mit eingemeißelter Schrift stand. Dort hielt Abulfaragus sich gewöhnlich auf, wenn er nicht um Graf Arnold von Craenhove sein mußte. Niemand wußte, was der Wahrsager in dem Ulmenhaine that, noch warum er so lange dort verweilte; ängstlich vermied Jeder den Ort; wo sich der Grabstein befand und wir selbst durften auf jener Seite nicht spielen. Aleidis wußte aber wohl, daß der Stein das Grab ihrer Aeltern bedeckte, war aber noch nie in dem Ulmenhaine gewesen.

»Außer bei Sachen von großer Wichtigkeit hatten alle Diener von dem Wahrsager selbst den Befehl erhalten, Aleidis nie etwas zu verweigern, und sie schien wirklich trotz ihrer Jugend allein Herrin auf dem Schlosse zu sein. Denn wenn sie etwas verlangte oder einen grillenhaften Befehl geben wollte, war es immer ihr guter Bruder Bernhard, den sie als Bote zu den Dienern sandte. Ich gebot als Herr in ihrem Namen, und ohne daß ich die Ursache davon ahnen konnte, sah ich oft bei solchen Gelegenheiten das Feuer der Betrübniß auf den Gesichtern der alten Diener des Hauses von Craenhove. Ein leichtsinnig Kind, wie ich damals war, achtete ich nicht darauf und beantwortete mit spöttischem Lächeln ihren Verdruß, während ich, mein silbern Jagdhorn ergreifend, Freude daran fand, meine Neider mit einem Spottstückchen zu begrüßen. – Welchen Eindruck konnte auch auf mich die Mißgunst einer ganzen Welt machen, da ein einziger Sprung mich nach meinem Himmel zurückbrachte, wo meiner immer ein liebereich Engelchen wartete?

»Du weißt, Albrecht, dem Unglücklichen schleicht die Zeit hinkend weiter; aber für den Glücklichen, der die Freude aus vollen Kelchen trinkt, fliegt die Zeit mit mächtigeren Schwingen, als denen des Adlers. Auch ich war dreizehn Jahre geworden, ohne einen Tag gezählt zu haben, so rein war stets unsre Bruderliebe geblieben. – Während dieser Zeit hatte ich von Aleidis und den Dienern genauere Auskunft über die sonderbare Lebensweise und den unbegreiflichen Gemüthszustand meines Beschützers bekommen. Vernimm, was ich erfuhr:

*                   *

*

»Zwei Jahre vor meiner Ankunft auf dem Laternenhofe bewohnte der gegenwärtige Herr Arnold von Craenhove dasselbe mit seinem älteren Bruder Hugo; obwohl dieser letztere allein Graf genannt wurde und von Geburt wegen der Herr von allen Gütern von Craenhove war, so lebte er doch ganz gleichgestellt mit seinem Bruder; ja so weit ging ihre gegenseitige Zuneigung, daß sie, um sich nicht zu trennen, und die Erziehung ihrer fünfjährigen Schwester zu sichern, einander gelobten, nie zu heirathen, noch die Bekanntschaft irgend einer Frau zu machen. Während der vier ersten Jahre nach dem Tode ihrer Aeltern blieben sie ihrem Versprechen treu. Wie ich Dir so eben sagte, sie lebten glücklich bis zwei Jahre vor meiner Ankunft auf dem Schlosse. Dann aber hoben sie, mit gegenseitiger Zustimmung, ihre Verbindlichkeit auf und begaben sich fast täglich nach einem nahe gelegenen Landgute, das von einer wälschen Edelfrau bewohnt war. Diese hieß sich selbst Gräfin von Merampré. Niemand wußte, welcher Mittel sie sich bediente, um alles, was sich ihr nahte, von Sinnen zu bringen; viele Menschen glaubten, sie gebrauche schwarze Künste und Liebestränke. Was auch daran sein mag, man sagt, daß mehr als zwölf Ritter um ihretwillen im Kampfe umgekommen und daß nie zwei Personen ihr nahen konnten, ohne einander nach dem Leben zu trachten. Es scheint, daß die beiden Brüder von Craenhove sich durch ihre List nicht fangen ließen, denn sie blieben bei ihrer früheren Zuneigung. – Aber ein anderes Unglück traf sie.

»Eines Tages, gegen Abend ritt der jüngere Arnold aus dem Schlosse und schlug den Weg nach dem Landgut der Gräfin de Merampré ein. Kurze Zeit darauf ritt sein Bruder Hugo, begleitet von Abulfaragus denselben Weg. Diese Nacht blieben die Herren von Craenhove lang, sehr lang weg; schon begann der Schlaf die Wachen zu übermannen, als plötzlich vor der Zugbrücke ein Ruf erscholl, gleich dem Schrei eines Raubvogels. Die Wächter erkannten Abulfaragus Stimme. Man ließ die Brücke nieder und’ öffnete das Thor. Ohne jemanden anzusehen oder etwas zu sprechen, lief der alte Wahrsager nach dem Theile des Hofes, wo die Herren von Craenhove ihre Schlafgemächer hatten. Er kam ebenso schnell wieder zurück mit einem schwer beladenen Reisesack, ließ aufs neue die Brücke niedersenken und verschwand im Dunkeln. – Ihr könnt Euch denken, wie ängstlich und neugierig die Wächter auf die Lösung dieser räthselhaften Handlungsweise harrten. Während sie einander ihre Vermuthungen und Gedanken mittheilten, hörten sie nochmals den Schrei von Abulfaragus und ließen ihn ein. Diesmal sprach der Wahrsager; er erzählte nämlich mit wenigen Worten, daß die Herren von Craenhove von Räubern angefallen worden und beide ihr Leben verloren hätten; daß ihre Leichen noch blutig auf dem Wege lägen und daß er nun komme, um Hilfe zu holen, damit man sie nach dem Hofe bringe. Die verstummten Diener gehorchten mit thränenden Augen: sprachlos folgten sie dem kalten und gefühllosen Abulfaragus. Nachdem sie ungefähr eine Viertelgstunde gegangen waren, kamen sie an einen Kreuzweg, und fanden dort den Ritter Arnold leblos in seinem Blute liegen. Aber wie sehr sie auch suchten, man fand die Leiche Hugo’s so wenig, als die blutige Stelle, wo er gelegen haben sollte. Arnolds Pferd graste ruhig bei der Leiche seines Herrn, doch Hugos Pferd sah man nimmer wieder. Was Abulfaragus mit dem Reisesack gethan, wagte ihn Niemand zu fragen.

Arnolds Leiche wurde nach dem Hofe gebracht und auf ein Bett gelegt; unmittelbar darauf hieß der Wahrsager jeden sich zur Ruhe begeben und schloß sich bei der Leiche ein. Des andern Tages sagte er, der Ritter Arnold sei nicht todt, und würde vielleicht wieder genesen. Nachdem er das Mittagessen in Empfang genommen, schloß er, die Thüre wieder zu. Dieß dauerte vierzehn Tage, bis er am fünfzehnten endlich mit Graf Arnold auf dem Vorhofe erschien. Der Ritter war blaß, seine Wangen eingefallen, wie einer der von einer langen Krankheit aufsteht: auf seiner Stirne war eine tiefe Narbe, die er noch trägt.

Dieß ist Alles, was ich über das Haus van Craenhove erfahren konnte.

*                   *

*

Meine Schwester Aleidis und ich erreichten endlich unser vierzehntes Jahr. Wir waren nicht mehr so wild, noch so kindisch, wie früher, doch unzertrennlich von einander. Nun erschien Abulfaragus eines Morgens in unserem Spielzimmer mit einem großen Buche unter dem Arme; er setzte sich auf einen Sessel, schlug das Buch auf seinen Knieen auf und sagte zu Aleidis in einem Tone, der viel sanfter war, denn sonst:


»Aleidis, edles Fräulein, Ihr habt nun das vierzehnte Jahr erreicht . . . Es ist Zeit, daß Ihr lernt, was einer Edelfrau zu wissen ziemt. Bernhard kann Euch nichts lehren, denn er ist unwissend.«

»Zum erstenmale in meinem Leben glühte ein mir unbekanntes Gefühl in mir auf. Wüthend besah ich den Wahrsager; aber er lachte spottend und fuhr fort:

»Es ist der Wille Eures Bruders, Aleidis, daß Ihr Euer Gedächtniß zieret mit schönen Sprüchen und den Heldenthaten der Ritter. Die Zeit des Spielens ist vorbei. – Ihr müßt einst am Hofe der Herzogin erscheinen, und was würde man sagen, wenn Aleidis von Craenhove einer unwissenden Bäuerin gliche?«

»Die Jungfrau bemerkte auf meinem Gesichte, welch’ ungewohnter Schmerz mein Herz bedrücke; sie stand auf, faßte meine Hand mit zärtlicher Theilnahme und sprach zu Abulfaragus:

»Ich will nichts lernen. Ihr wollt mich von meinem Bruder Bernhard trennen? das kann nicht sein.«

»Euer Bruder, Euer Bruder!« murmelte Abulfaragus, »wißt Ihr denn nicht, daß er Euer Diener ist?«

»Bei diesem blutigen Hohn, der über mich ausgegossen wurde, stieß ich einen Schrei des Unwillens und der Entrüstung aus:

»Unedler « rief ich dem Wahrsager zu, »Du bist unverschämt genug, den Burggrafen von Reedale einen Diener zu nennen! Warum hast Du kein adlig Blut in Deinen Adern? Dann wollt ich Dich lehren, wie man den Hohn bestraft. Aber nein, ich will Dich behandeln, wie man Knechte behandelt!«

»Blind geworden in meiner Wuth und noch mehr gereizt durch das spöttische Lachen auf Abulfaragus Antlitze ergriff ich einen Weidenstock und hob meinen Arm auf, um dem Wahrsager ins Angesicht zu schlagen; aber in diesem Augenblicke schoß sein gelbes Auge einen unwiderstehlichen Blick auf mich; ein kaltes Zittern machte meine Glieder erbeben und der Stock fiel mir aus der Hand, ohne daß ich begreifen konnte, welch’ geheime Macht mich so plötzlich zu einem Feigling machte; ermattet sank ich in einen Sessel nieder; Abulfaragus lachte laut auf und Aleidis weinte seufzend.

»Auf unsere ungünstige Gemüthsstimmung nicht achtend, begann der Wahrsager in dem Buche zu lesen. Anfangs wollten wir nicht darauf hören. Die Jungfrau entfernte sich von Abulfaragus und stellte sich an das Fenster; ich kehrte ihm den Rücken zu. Aber kaum hatte er etwas gelesen, als wir uns mit unbegreiflicher Macht zu ihm hingezogen fühlten; langsam und unwillig näherten wir uns und beide horchten wir mit Neugierde. O welch’ schöne Dinge erzählte das Buch! Wie er reifend und rührend war die Stimme des häßlichen Abulfaragus! Ich selbst war gezwungen, Vergnügen an seinen Worten zu finden: Aleidis hing an seinen Lippen.

»Nach einer Vorlesung von zwei Stunden schlug der Wahrsager das Buch zu und verließ das Zimmer mit den Worten:


»Morgen werden wir fortfahren.«

»Noch ganz dem Eindrucke hingegeben, den die schönen Dinge, welche wir gehört, auf uns machten, blieben wir lange schweigend sitzen; endlich sprachen wir zusammen darüber. Aleidis konnte nicht aufhören, von Ritter Walewein und von König Artur zu reden, deren Geschichte Abulfaragus uns vorzulesen begonnen. Den ganzen Tag hörte ich nichts, das unseren früheren Gesprächen glich, und welche Mühe ich mir auch gab, die Aufmerksamkeit von Aleidis auf etwas Anderes zu ziehen, es gelang mir nicht. Oft sagte sie zu mir:

»Warum kannst Du nicht lesen, Bernhard! Wie schön wäre es dann! Deine Stimme ist so sanft und hell! Dann würden wir den schrecklichen Abulfaragus nicht nöthig haben.«

»Ich unterdrückte gewaltsam meinen Schmerz, wie weh es mir auch that, zu sehen, wie sehr meine Aleidis auf ein Vergnügen erpicht war, das ich ihr nicht verschaffen konnte.

»Am andern Tage und an allen künftigen Tagen kam Abulfaragus zur bestimmten Stunde um im Lesen fortzufahren.

»Nie erschien er früh genug für Aleidis und ging immer zu früh. Obwohl mich die Jungfrau noch mit derselben Zuneigung umfaßte, so fühlte ich doch wohl, daß ich nicht mehr, wie früher Alles für Sie war und daß Abulfaragus mit seinen schönen Büchern alle ihre Aufmerksamkeit und Gefühle in Anspruch nahm.

»Die Wißbegierde, die Dich an mir in Erstaunen gesetzt, begann mich wie ein Feuer zu verzehren; Nacht und Tag sann ich auf Mittel, lesen zu lernen. Oft versuchte ich, mich hinter Abulfaragus zu stellen und in das Buch zu sehen, während er las. Doch dann schloß der böse Wahrsager alsbald das Buch, bis ich wieder auf meinem Sessel saß. Mehr als einmal hatte ich den Vorsatz gefaßt, mit Gewalt die Thüre eines Zimmers aufzubrechen und ein Buch wegzunehmen; aber es gelang mir nicht. Jedes mal wenn ich es versuchte, stand Abulfaragus hinter mir . . .

»Eines Morgens erinnerte ich mich, daß Buchstaben auf dem Grabsteine im Ulmenhaine eingehauen waren; von Neugierde getrieben, überwand ich meine Angst und drang zitternd ein. Verdorrte Blumen bedeckten rings den Boden und den Stein, auf dessen Schrift ich bewußtlos und mit glühendem Antlitz starrte. Plötzlich hörte ich ein Rauschen der Blätter und den Kopf umkehrend, gewahrte ich Abulfaragus, der zum Grabsteine kam. Voll Angst und beinahe todt vor Schrecken, verbarg ich mich unter dem dichtesten Laube und meinen Athem zurückhaltend, beobachtete ich meinen Feind. Abulfaragus näherte sich langsam dem Grabe, zog ein Körbchen mit Blumen unter seinem Obergewande hervor und streute sie über den Stein; ihr Balsamgeruch war so kräftig, daß ein wohlriechender Duft mein Versteck durchdrang. Ich hörte nun Abulfaragus Stimme, die schluchzend sagte:

»O Herr Jesus durch Dein theures Blut gib der Seele meines Wohlthäters und meiner Schwester den ewigen Frieden! Amen.«

»Und dann beugte er das Haupt zum Steine herab und vergoß Thränen, so daß ich selbst aus Mitleiden zu weinen begann; ich konnte mich nicht länger ruhig verhalten, ich mußte mir eine Thräne trocknen. Durch diese Bewegung entdeckte mich Abulfaragus; – ich sah seine zwei Augen so flammend auf den meinen ruhen, daß mir ein Angstschrei entflog.

Der Wahrsager ergriff mich bei der Hand, zog mich unter dem Laube hervor und sprach in fürchterlichem Tone:

»Du hast gesehen und gehört, Vermessener! Aber wenn Du zu sprechen wagst, wird Dir der Tod den Mund auf ewig schließen.«

»Wäherend ich knieend um Vergebung bat, entfernte sich Abulfaragus, mir von fern noch einen gewaltigen, drohenden Blick zusendend. Nicht länger blieb ich da, denn nun war mir der Ulmenhain schrecklicher, denn je geworden; ich wanderte lange irrend umher, bis ich mich hergestellt fühlte und zu Aleidis zurückkehrte. Wie sehr ich auch innerlich von dem Gedanken gefoltert ward, was Abulfaragus gesagt habe, und ob die Mutter meiner Aleidis die Schwester des hassenswerthen Abulfaragus sei, so hätte ich doch um nichts in der Welt von dem Besuch bei dem Grabstein gesprochen; ich schwieg wie ein Stummer über diesen Vorfall. Täglich kam Abulfaragus zum Lesen und schien nicht mehr zu wissen, daß ich ihn beobachtet habe . . . Ich wurde mager und verlor meine Farbe, so sehr brannte in meinem Herzen die unbefriedigte Lust zum Wissen und der Neid auf Abulfaragus Kunst.

»Eines Tages, ich werde es nie vergessen, saßen wir wieder bei dem Wahrsager; er hatte ein neues Buch auf seinen Knieen liegen, da wir am vergangenen Abend Flos und Blaneflos zu Ende gelesen. Aleidis sah ihn begierig an und schien vor Neugierde jedes Wort ihm aus dem Munde nehmen zu wollen. Plötzlich gab der Wahrsager seinem Gesichte eine unbegreifliche Süßigkeit, seine Augen strahlten mit mehr Feuer, seine Stimme wurde weich. «Er wandte sich an Aleidis und las folgende Worte: – ich lernte sie beim ersten Vorlesen auswendig, so ergriffen sie mich:

Schöne Jungfrau hold und rein,

Alle Tugenden sind Dein;

Edel und von feiner Art,

Artig, keusch und sanft und zart,

Wie soll ich die Worte finden,

Deine Ehre zu verkünden,

Deiner Schönheit Zauberkraft,

Kluge Sprach’ und Wissenschaft —

Niemand kann sich mit Dir messen:

Gott hat nichts an Dir vergessen.


»Ich sah während des Lesens dieser Worte die innigste Freude sich auf Aleidis Antlitz spiegeln aber je mehr diese schmeichelnden Worte sie ergriffen, desto mehr quälten mich Schmerz und Neid. Thränen stoßen reichlich über meine Wangen, bis der Wahrsagen aufstand und ging.

»Ohne Aleidis etwas von meinem Vorsatze zu sagen, folgte ich ihm auf dem Fuße bis vor die Thüre seines Zimmers. Da warf ich mich weinend auf die Kniee vor ihm nieder und rief mit schmerzlich bewegter Stimme:

»O Abulfaragus gieb mir ein Buch um Gottes willen. Lehre mich lesen, wenn Du mich nicht zu Deinen Füßen verschmachten sehen willst. Ich will Dich verehren, Dir gehorchen, als Dein Knecht. O habe Mitleiden mit mir. Siehst Du nicht, daß die Wißbegierde mich verzehrt?«

»Dieß sagend umschlang ich seine Kniee und benetzte seine Hände mit meinen Thränen. Er ließ mich gewähren, ohne zu antworten, und schien sich an meiner Betrübniß zu weiden. Ich wiederholte mit mehr Kraft und mit bittender Stimme meinen Wunsch; aber er, der böse Peiniger, er steckte den Schlüssel in die Thüre, öffnete dieselbe und mich mitleidslos mit dem Fuße wegstoßend, trat er in das Zimmer, schloß es zu und antwortete von drinnen mit einem spöttischen Ha, ha, ha!

»Gebrochenen Herzens und niedergedrückt von Scham, kehrte ich langsamen Schrittes zu Aleidis zurück. Da warf ich mich wie unmächtig in einen Sessel, begann zu weinen, zu seufzen und zu rasen, wie ein Wahnsinniger. Aleidis wollte mich trösten, aber nun stieß ich auch sie zurück, und weigerte mich, mit ihr zu sprechen. Ihre Thränen machten endlich meiner Wuth ein Ende. Dann rief ich:

»Aleidis, Du hast mir gesagt, ich solle immer Dein Bruder sein. – Dieß Versprechen hast Du gebrochen. Abulfaragus ist mein Blutfeind, er wird mich noch umbringen. Eben stieß er mich noch von sich wie man einen Hund wegstößt. Eine Schwester kann den nicht lieben, der ihren Bruder so behandelt. Sie verlangt nicht nach seiner Gegenwart, sie findet seine abscheuliche Stimme nicht schön! Ich bin adeligen Blutes, Aleidis, und ich werde es nicht länger ertragen, daß ein unedler Mensch mich verhöhne und verachte; – selbst Deine Zuneigung läßt s mich den Hohn nicht mehr vergessen. – Morgen verlasse ich den Laternenhof. – Ich werde gehen auf Gottes Gnade bauend und Du wirst mich nimmer wiedersehen! Ich weiß wohl, daß mein Gehen Dich nicht sehr schmerzen wird. Du bleibst ja bei Abulfaragus, er kann Dir besser sagen, als ich:

Schöne Jungfrau, hold und rein,

Nichts hat Gott an Dir vergessen.


»O ich werde lesen lernen, ich werde es lernen. Aber dann sollen Andere meiner Stimme tauschen . . . «

»Während meiner bösen Worte senkte Aleidis das Haupt, wie unter einer großen Last; plötzlich sprang sie auf, wahrscheinlich, um mir den Mund zu schließen; aber ihre Kräfte schwanden und sie sank unmächtig zu Boden.

»Ich wollte um Hilfe rufen, aber bei Abulfaragus Erscheinen starb das Wort aus meinen Lippen; er betrachtete mich mit verächtlichem Lächeln, nahm Aleidis in seinen Arm und belebte sie wieder durch den Blick seiner Augen und verließ das Zimmer.

»Nun begann Aleidis unter bitteren Thränen mir meine Grausamkeit zu verweisen; sie sagte mir so viel zärtliche Worte und gab mir so vielfache Versicherung ihrer Zuneigung, daß ich wenige Augenblicke später sie auf meinen Knieen weinend um Vergebung bat. Wir wurden wieder gute Freunde und gelobten einander alles Geschehene zu vergessen.

»Des andern Tages kam Abulfaragus mit einem Buch in unser Gemach und setzte sich nieder, um seine Vorlesung zu beginnen. Ich sah plötzlich die Stirne Aleidis sich röthen; sie näherte sich Abulfaragus, schlug die Hand auf das Buch und riß einige Blätter heraus. Dieselben in Stücke zerfetzt auf den Boden werfend, sagte, sie mit sanfter Stimme zu Abulfaragus:

»So werde ich immer thun, wenn Du es wagst, mit Büchern in meinem Zimmer zu erscheinen. – Und nun geh hin, Ungläubiger!«

»Ein dumpfer Schrei war Abulfaragus Antwort; er warf sich mit Händen und Füßen auf den Boden, und raffte so rasch er konnte, die Stücke der zerrissenen Blätter zusammen. Ich sah zwei Thränen aus seinen Augen fallen; zweifelsohne betrauerte er den Verlust eines so kostbaren Buches. Aufstehend, floh er aus dem Gemache und rief in klagendem Tone: »Wehe, wehe!«

»Von diesem Tage an ließ Abulfaragus uns in Frieden, wir lebten glücklich und vergnügt; aber die einmal angefachte Wißbegierde verließ mich nie und ich blieb bei dem Vorsatz, lesen zu lernen, was es auch kosten möge.

»Je älter ich wurde, desto mehr entschwand die Erinnerung an den Vorfall bei dem Grabstein meinem Gedächtniß, aber aus Haß gegen Abulfaragus begann ich Alles zu versuchen, um herauszubringen, was mein unsichtbarer Wohlthäter und der Wahrsager so sorgfältig vor mir verbargen. Daß der Letztere es ahnte, konnte ich an dem glühenden Haß bemerken, den er auf mich geworfen hatte. Einst, als ich früher aufgestanden, denn meine gute Schwester Aleidis, wandelte ich neugierig an den Thüren der Zimmer vorüber, die immer für mich verschlossen blieben. Eine derselben hatte einen Spalt; auf meinen Fußspitzen stehend, blickte ich mit klopfendem Herzen in das Gemach. Da sah ich Gras Arnold, wie gelähmt, in einem Lehnsessel sitzend; sein Auge war bewegungslos nach der Wand gerichtet, an der eine schwarze Tafel hing, die mit goldenen Zeichen bemalt war; neben ihm saß Abulfaragus, in einem Buche lesend. In dem Augenblick, als ich an der Thüre erschien, hörte ich Graf Arnold sprechen:

»Du sagst, Abulfaragus, der junge Bernhard müsse das Schloß verlassen? Aber Du denkst nicht an die Verzweiflung, die Aleidis trifft, wenn man ihr den Freund der Kinderjahre nimmt?«

»Es ist eine Schlange, die Du aufziehst?« sprach der Wahrsager, »wenn er hier bleibt, entdeckt er noch das schreckliche Geheimniß und er wird das Haus Deiner Väter einer blutigen Schandthat beschuldigen.«

»Nein, nein! sprich mir nicht davon,« rief Gras Arnold. »Es gibt in diesem Schlosse nur zwei Herzen, die die Freude kennen – und Du wolltest mir diese Herzen brechen?«

»Es muß sein!« rief Abulfaragus in überredendem Tone. »Höre! . . . Diese Nacht um zwölf Uhr war der Himmel mit Sternen besät; leicht fand ich die Planeten von uns Allen. Dein Stern glänzte schwach neben dem Bernhards, und schien als halbgelöschtes Lämpchen mit Mühe hie und da noch karg aufzuflammen. Plötzlich entfernte sich Bernhards Stern von dem Deinen; doch bald sich ihm wieder nähernd, erleuchtete sich derselbe mit einem Strahlenkranze von Freude und Trost. – Dann habe ich durch die Macht meiner Kunst das Schicksal gezwungen, sich zu erklären, und nun höre, was die Stellung der Sterne mir gesagt: – Wenn Bernhard nicht Dein Haus verläßt, wird er der Ehre desselben zwei schreckliche Schläge beibringen, und den Namen Craenhove mit ewiger Schande beladen. Wenn er geht, wird er einst wiederkommen, und Dich mit Freude und Seligkeit überladen. So lautet das unerbittliche Urtheil des Schicksals!«

»O Abulfaragus, wie grausam bist Du! Wie unbarmherzig gegen meine Schwester Aleidis. Nein, eher sollen meine Leiden sich verdoppeln, als daß sie das Unglück kennen lerne!«

»Arnold, Arnold!« rief der Wahrsager mit Ungeduld, während er aus die goldnen Zeichen der Tafel wies, »wenn Du immer meine Weissagung geglaubt hättest, würdest Du jetzt nicht leiden, Du würdest nicht mit Reue und Schmerz zu Grabe gehen. Was steht hier geschrieben? – »Wenn das Weib einen Platz zwischen Euch beiden findet, so wird das Haus Craenhove mit seinem eignen Blute befleckt werden?« – War es nicht also? Nun fehlt Deinem Namen nichts mehr als die offenbare Schande. Nun wirf zuerst den Koth in Dein eigenes Antlitz, beschimpfe den Schatten Deines Vaters, schreib auf sein Grab, daß sein Blut ein schändlich Blut! Habe den Muth zu dieser feigen That . . . «

Währends dieses Gesprächs hatte ich vor Angst und Schrecken wie ein Espenblatt gezittert; nun mangelte mir beinahe alle Kraft, so daß ich zu meiner Unterstützung mich an der Mauer halten mußte. Ich sah, daß Graf Arnold das Haupt tief aus die Brust sinken ließ, und unter den grausamen Worten Abulfaragus’ seinen Nacken beugte. Nach langer Pause fragte dieser mit fester Stimme:

»Nun, Graf Arnold, was befiehlst Du?«

»Er ziehe!« war die schreckliche Antwort.

»Habe Dank;« sprach der Wahrsager, »aber das Schicksal will, daß er ziehe wie er gekommen, arm und verstoßen.«


»Ein banger Seufzer löste sich aus Graf Arnolds Brust. Als sich derselbe zu Worten formte, klang mir dies schreckliche Urtheil in das Ohr:

»Es sei so, thue mit ihm nach Deinem Willen!«

»Nun fiel ich kraftlos zusammen, und begann zu weinen. Meine Seufzer drangen bis in das Zimmer. Abulfaragus öffnete dasselbe, stand vor mir und grinzte mich wie ein Teufel an, sich an meinem Schmerze weidend. Lachend schritt er durch den Gang und stieß einen Schrei aus, der durch das ganze Schloß wiederhallte. Dann hörte ich viele Thüren öffnen und schließen, Diener laufen und ein Geräusch, wie von Menschen, die eine Arbeit rasch besorgen wollen. Plötzlich sagte mir eine innere Stimme, daß man damit umginge, mich auf immer von Aleidis zu trennen. Ich sprang auf und lief eilig zu dem Gemache, wo meine Schwester sich noch kurz zuvor befunden hatte. Ach, Albrecht, die Thüre war geschlossen! Wie sehr ich auch rief, obgleich ich mir die Hände am Schlosse wund rüttelte, mir ward keine Antwort, als das Echo meiner eigenen Klagen. Verzweifelnd und den Tod in der Brust, lief ich wie ein Wahnsinniger durch das ganze Schloß; keinen Thurm ließ ich unbesucht und keine Thüre lief ich vorüber, ohne nach meiner Aleidis zu fragen; aber Alles blieb verschlossen und stumm. O was war ich unglücklich, Albrecht. Bald erhob ich wieder meine Klagen vor Aleidis Zimmer, bald weinte ich unter den Bäumen, bald wandelte ich unter den gewölbten Gängen, doch nichts half mir, mein Urtseil war gefällt und vollzogen, – ich hatte meine Schwester Aleidis verloren.

»Gegen Abend saß ich auf dem Gras, an dem Platze, wo ich so oft mit ihr gespielt und meine Erinnerungen zogen in lebendigen Bildern an meinem Geiste vorüber. Wie litt ich dabei! Es war, als ob jede dieser Freuden, mir ein ewig Lebewohl sagen wollte, wie man einen Freund zum letztenmale umarmt, den man nimmer wiedersieht. Das Gras war durch meine heißen Thränen verwelkt: ich sah die Maiblümchen sich schließen und sterben . . . «

»Endlich verlor ich das Bewußtsein; ich hatte Alles vergessen, und schlief mit offenen Augen. In diesem Zustand muß ich lange zugebracht haben, denn erwachend, fühlte ich, daß meine Glieder erstarrt waren und sich meinem Dienste nicht fügen wollten. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich vor mir einen alten Diener des Schlosses stehen. Es war ein sechzigjähriger Waffenknecht, mit Namen Rogier, der mir am wenigsten feindlich gesinnt war und mich mitleidig anzusehen schien.

»Steh’ auf, Bernhard,« sprach er, »ich muß Dir Etwas sagen.«

»Als ich mich aufgerichtet, trat ich näher zu ihm und horchte ängstlich auf so folgende Worte:

»Bernhard, es wird etwas Schreckliches gegen Dich, gebraut. Es scheint, Du hast ein Verbrechen begangen; einige behaupten, Du habest unter den Bauern ein Gerücht verbreitet, das unser Fräulein beschimpfen kann. Aus Deine ehrenrührigen Worte wartet eine schreckliche Strafe.«

»Ich, meine Schwester Aleidis gelästert? O Albrecht ich wurde zerschmettert von der falschen Anklage. Ein Schrei der Verzweiflung und unmächtiger Wuth entflog meiner Brust; ich riß mir die Haare aus und geberdete mich wie ein Wahnsinniger. Der alte Kriegsmann ergriff meine Hand, um mich zu beruhigen, und fuhr fort:

»Bernhard, kennst Du Abulfaragus? Weißt Du, daß er Gift und Galle aus dem Honig kochen kann? Daß ein Stilet in seiner Hand ein Spielzeug ist und daß ihm die höllischen Geister dienen? Warst Du je in den unterirdischen Gemächern des Schlosses? Nun, dieß Alles droht Dir. Fliehe, ich habe ein geheimes Thor offen gelassen; Du kannst leicht durch den Graben waten. – Gehe, Dein Verbrechen ist groß, aber Du bist noch zu jung, um eines bitteren . . . «

»In diesem Augenblicke funkelte Abulfaragus gelbes Auge hinter einem Baum hervor; die Worte erstarrten auf dem Munde des Waffenknechtes und er entfernte sich bebend von mir.

»Ich begreife nicht, was mir dann geschah; meine Augen begannen sich zu drehen, Bäume und Thürme tanzten in flüchtigen Kreisen vor mir, und ich mußte mich wieder ins Gras niedersetzen, wenn ich nicht fallen wollte. Niedergedrückt von meinen Leiden, blieb ich einige Zeit fast gefühllos in diesem Sinnen, bis mir endlich das Bewußtsein zurückkehrte. Dann gedachte ich der Worte des alten Waffenknechtes; ich sah n meinen Gedanken Kelche mit Gift für mich gefüllt, und Dolche aus meine Brust gezückt. O Albrecht, da fühlte ich erst, was Todesfurcht ist, ich wurde ängstlich, und ergriff das Mittel, das mir der Waffenknecht als letzte Hoffnung gewiesen.

»Begünstigt von dem Halbdunkel schlich ich unter den, Bäumen nach dem Theile der Festungsmauer, wo die Hilfspforte war – einige Schritte noch, und ich hatte dieselbe erreicht! Diese Gewißheit gab mir wieder Muth und Kraft. Es war ein Trost für all mein Leiden, daß ich den häßlichen Abulfaragus nimmer sehen sollte. Aber anders hatte es der Himmel beschlossen . . . Da saß Abulfaragus vor der Hilfspforte! – Während ich, wie von einem unerwarteten Schlage getroffen, stehen blieb und das Haupt auf die Brust sinken ließ, stand der Wahrsager auf und näherte sich mir, ehe ich es bemerkt hatte. Ich fühlte seine beinerne Hand die meine ergreifen; dann sprach er mit ungemein sanfter Stimme, wie er mit Aleidis zu reden pflegte:

»Bernhard, mein junger Freund, Du bist unglücklich? Wen beschuldigst Du in Deinem Herzens? Abulfaragus, nicht wahr?«

»Ja, ja,« rief ich aus, »ich beschuldige Dich mit Recht. Du hast mich stets wie ein böser Geist verfolgt, und nun kocht vielleicht bereits auf Deinem Feuer das Gift, das mich tödten soll.«

»Ein bitteres Lächeln war des Wahrsagers Antwort. Er schwieg eine Zeitlang und fragte dann:

»Bernhard, hast Du gehört, was ich diesen Morgen zu Graf Arnold sagte?«

»Ich habe es gehört,« antwortete ich unter Thränen, »wie Du mich gelästert und wie Du um mein Todesurtheil gebeten.«

»Hast Du sonst nichts gehört, Bernhard?« fragte der Wahrsager nochmals.

»In der Absicht, meinen Feind zu erschrecken, heuchelte ich nun, etwas von seinen wichtigen Geheimnissen erlauscht zu haben, und antwortete beißend:

»Ja ich habe noch mehr gehört; – doch nie würde ich es wagen, etwas von dem zu sagen, was ich weiß und noch weniger, was ich vermuthe. Graf Arnold ist mein Wohlthäter!«

»Die Stille, welche auf diese Worte eintrat, wunderte mich außerordentlich. Abulfaragus schien plötzlich noch düsterer zu werden, als ich: er schlug sein Auge zu Boden und seufzte ungemein schmerzlich.

»Das Haupt wieder erhebend und mich beinahe bittend ansehend, sprach er:

»Bernhard, mein Kind, Du siehst mich für einen bösen Menschen an, nicht wahr? Wüßtest Du, was ich thue und warum ich es thue? Wüßtest Du, warum ich mich hasse, da ich doch nie aus dieser Welt Jemanden etwas zu Leide gethan, o du würdest Mitleiden mit Abulfaragus haben. Du würdest ihn gewiß lieben, denn Dein Herz ist edel und rein.«

»Wie soll ich meine Verwunderung ausdrücken, Albrecht? Der Mann, den ich für einen Teufel gehalten, stand bittend vor mir; seine Worte drangen zu meinem Herzen, ich fühlte in der That Mitleiden und meine Furcht verging.

»Abulfaragus,« seufzte ich, »Du machst mich staunen. Spricht Dein Mund die Wahrheit?«

»Folge mir,« sprach er, mich bei der Hand ergreifend, »folge mir, die Zeit ist kostbar.«

»Es mußte wirklich kein Gefühl Abulfaragus Stimme widerstehen können, denn seine wenigen Worte hatten nicht allein meinen Haß und meine Angst, sondern auch all’ mein Mißtrauen vertrieben. Ich folgte ihm deßhalb gutwillig bis vor die Thüre seines Gemaches.

»Hier begann eine leichte Furcht sich meiner wieder zu bemächtigen; ich trat in ein geheimnißvolles Zimmer, das acht Jahre lang meine Neugierde wach gehalten. Ich zitterte, als ich die Thüre aufgehen hörte und hineinschritt. Was ich jedoch sah, erschreckte mich nicht und ich war sehr – erstaunt, nichts Geisterhaftes und Gefährliches zu sehen. Das Zimmer war schmutzig und in Unordnung: eine eiserne Lampe erleuchtete es nur spärlich; da und dort standen Gerippe von kleinen Thieren, etwas getrocknete Kräuter, einige Bücher; ein großes Liebfrauenbild, von zwei schönen Blumenstöcken umduftet. – Dieß war Alles.

»Abulfaragus ließ mich in einen Stuhl sitzen, stellte gleichfalls einen Sessel neben mich, nahm mich bei der s Hand und sprach:

»Bernhard, Du glaubst, ich hasse Dich und suche Dein Verderben? Du täuschest Dich, mein Freund, außer denen von dem Blute derer von Craenhove, »liebe ich Niemanden als Dich. Ich habe Dir in der That Ursache gegeben, mich zu fürchten und zu hassen; aber dazu nöthigte mich das unerbittliche Schicksal. Ich sah Dich auf den Laternenhof kommen; Deine Ankunft freute mich. Ich ließ Dich im Frieden, bis eine unwiderstehliche Neugierde Dich zur Erforschung von Dingen trieb, die Du nicht wissen sollst. Da ergriff ich die Wagschaale, legte Dich hinein, während in der andern Schaale das Glück und die Ehre des Hauses Craenhove lag. Du wogst weniger und mußtest geopfert werden. – Du mußt fortziehen! Ich habe Dich verfolgt und verursachte Dir Leiden, in der Hoffnung, Dir den Aufenthalt auf dem Laternenhofe zu verleiden; aber Aleidis heilte alle Deine Schmerzen, Du warst unüberwindlich. Du hast ein Recht, mich zu hassen, Bernhard; denn ich überhäufte Dich oft mit Verdruß; – und um Dich zu erschrecken, schien ich Vergnügen an Deinem Schmerz zu finden. Du bist zu jung, mein Sohn, um die Beweggründe dieses Betragens zu begreifen, wenn ich sie Dir auch mittheilen wollte. Abulfaragus ist an das Haus der Herren van Craenhove wie ein Sklave gebunden; er muß sich ihrem Wohlergehen opfern, und während er Dich so feurig liebte, zwang ihn diese Sklaverei zu einer scheinbaren Feindschaft gegen Dich. Später sollst Du erfahren, Bernhard, warum ich Dich von Aleidis trenne, es gibt Triebe des Herzens, welche Du glücklicherweise noch nicht empfindest, die aber den Geist durchglühn, wie ein verzehrend Feuer. Diese Nacht hat Gott durch seine Sterne sich über Deine Zukunft ausgesprochen; nichts kann Dich ihrem Urtheile entziehen. Morgen vor Sonnenaufgang wirst Du das Schloß freiwillig oder durch Gewalt verlassen. Höre, zu was ich gezwungen bin, wenn Du Dich, nicht unterwirfst: – Ich werde Waffenknechte rufen, Dich entkleiden und aus dem Schlosse werfen lassen, wie einen Hund. – Das wäre grausam, nicht wahr? Ja, ich werde, es nicht thun; denn Du unterwirfst Dich, erhörst meine, Bitte und ergibst Dich in Dein Geschick. Sage mir, daß Du bereit bist, zu folgen. Sage mir, ob Du gehen, willst?«

Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove

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