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I

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Wispelbeck ist ein anmutiges Dörfchen. Ich hab es im im Herbst gesehen, wenn die Bäume um seine Höfe und Hütten unter der Last rot schimmernder Früchte sich beugen, wenn das Laub in bunten Farben prangt und die Luft mit purpurnem Dunst sich schmückt, wenn die Blätter zu fallen beginnen und dies traurige Vorzeichen des kommenden Schlafes der Natur den Dichter in düstere Träume versenkt  . . . Ich hab es im Winter gesehen, wenn seine Felder unter der glänzenden Schneedecke verborgen liegen, wenn die Kinder vor der Schule auf der glatten Eisbahn gleiten, wenn die Luft von den Schlägen der Dreschflegel und von dem Knall der Jagdgewehre widerhallt . . . Ich hab es auch während des Frühlings gesehen, wenn die Nachtigallen die jugendliche Natur besingen, wenn Bäume und Kräuter sich in das zarteste Grün kleiden; wenn in allem, was lebt, das Gefühl der Sympathie und der Freundschaft kräftig und wild zugleich erwacht . . .

Jetzt ist es Sommer. Die durch den Schweiß des Menschen befruchtete Erde wird bald seine Arbeit belohnen. Über die Felder, aus deren Schoß das liebe Dörfchen sich wie eine Insel mitten in einem Kornozean erhebt, strahlt die Mittagssonne mit ihrer alles zur Reife dringenden Glut. Kein Lüftchen bewegt die gebogenen Ähren; alles ist bewegungslos und schweigend. Die Vögel sitzen ermattet unter dem Laube: selbst die kleinen Insekten, die sonst so gern sich in der Sonnenglut baden, sind nach kühleren Stellen geflüchtet.

Eine feierliche Stille scheint meilenweit über das Dorf gelagert. Kein Fuß betritt die Pfade, die, wie die Speichen eines ungeheuren Rades, aus Heide, Busch und Weilern gehn und sich durch das Getreide schlängeln, bis sie sich am Eingang des bescheidenen Kirchleins vereinigen, der Stätte, wo Aller Vorfahren ruhen, wo Aller Leben beginnt und endigt und wo in diesem Augenblick die Hoffnung und Dankbarkeit Aller in einer brüderlichen Harmonie zum Himmel aufsteigt . . . Ja, es ist Sonntag, der Tag der Ruhe und des Gebets. Die Dorfbewohner sind in die Kirche gegangen, um dem Gottesdienste beizuwohnen, und während sie mit gefalteten Händen Gott um eine reiche Ernte bitten, gibt der gütige Vater seiner Sonne die glühende Kraft, die die Nahrung für Arme und Reiche mit Lebensmark erfüllt.

Bald aber wird der letzte Ton des Loblieds unter dem Gewölbe des Kirchleins verklungen sein; dann wird das Dorf, nach Erfüllung der heiligen Pflicht, widerhallen von Freudenrufen und auf die Stille des Gebets werden laute Festklänge folgen . . .

Sieh, da strömt die Menge aus dem Tempel. Es ist ein buntes Gewimmel von Frauen mit Spitzenhauben und rothen Halstüchern, von Männern mit blauen Kitteln, von Kindern mit blonden Lockenköpfen und blühenden Wangen.

Da durchzuckt es auf einmal die bewegte Schaar; aus jedem Angesicht glänzt ein Lächeln des Glücks: Die Trommel geht! Da macht der Weibel der St. Sebastiansgilde wirbelnd die Runde um die Kirche; er hebt die kraftvollen Arme hoch über sein Haupt und läßt sie mit solcher Macht niederfallen, als wollte er das donnernde Eselsfell in Stücken schlagen. – Der Mann ist gar seltsam ausstaffiert; auf seinem Kopfe sitzt ein gewaltig großer Schützenhut, worauf eine rothe Feder mit grüner Spitze hin und her schwankt; Rock und Beinkleider sind mit gelben Tressen besetzt; er trägt weiße Strümpfe, über die Knieen mit Schnüren von Rauschgold befestigt; himmelblaue Bänder verzieren seine Schuhe. Seine ganze Brust und ein Theil des Rückens sind mit silbernen Gegenständen behangen; das vornehmste Stück darunter ist ein Schild, worauf das Bild von St. Sebastian eingegraben ist; ringsherum schimmern Ehrenpfennige, silberne Löffel, Becher, ja sogar eine Pfefferbüchse und zwei Zuckerzangen. Es sind die Preise, welche die Gilde seit ihrem Bestehen aus andern Dörfern mit der edlen Armbrust errungen hat; diese Denkzeichen der gemeinschaftlichen Siege machen einen Theil von der Festtagsuniform des Gildweibels aus und er wird sie auch ferner tragen, und müßte er auch bei neuen Triumphen der Gesellschaft einmal darunter zusammenbrechen.

Während er den geräuschvollen Aufruf an die Schützen bis zu den äußersten Grenzen der Gemeinde hinträgt, und die Kinder jauchzend vor ihm her tanzen, kehrt ein Theil der Einwohner nach Hause zurück; die Übrigen begeben sich durch eine Linden-Allee bis vor ein großes Wirthshaus, dessen Giebel mit Blumen und Laubkränzen geziert ist und aus dessen oberstem Fenster die dreifarbige Fahne herniederhängt. Man zeigt einander ein Chronogramm, das seine rothen und schwarzen Buchstaben über der Thür sehen läßt; die alten Leute zählen an den Fingern nach, ob der Küster sich bei der Zusammenstellung der Jahresschrift nicht geirrt hat; einige junge Leute lachen über die Verse, die darunter zu lesen stehen:

Lang LeVe Baron XaVerIVs van CeLLe,

0nze nIeWe hoofDMann!

»Von Silber eine Doos’ schenkt er der Gild als Preis beim

Schießen;

Und lebt er glücklich hundert Jahr, wen sollte das verdrießen?«

Der Schulmeister hatte in aller Eile sein Küstergewand abgelegt und kam nun nach dem Wirthshaus gelaufen; unterwegs rieb er sich voll Freude und Stolz die Hände, da er so viele Leute in Verwunderung vor seinem Werke stehen sah.

»Nun, Herr Studiosus, was sagen Sie dazu?« rief er schon von Ferne dem Sohn des Bürgermeisters zu. »Werden die freien Künste nicht mit Ehren in Wispelbeck getrieben? Zählt nur alles zusammen, ihr werdet kein Jota daran zu verbessern finden!«

»Zusammenzählen?« wiederholte lachend der Student, »ich glaub’ es wohl, wenn Sie die Buchstaben, welche Ihnen hinderlich sind, heimlich wegschaffen! So ists leicht, Chronogramme zu machen. Sie hatten fünf Jahre zu viel in Ihrer Rechnung, und darum ließen Sie das u (V) aus nieuwe durch Ihre Finger fallen.«

Alle vorstehenden-Bauern sahen mit offenem Munde den verlegenen Küster an; es schien ihnen nicht ewiglich, daß der Alleswisser des Dorfs sich geirrt haben könnte. Dieser faßte sich jedoch bald und antwortete mit einer kecken Zuversicht, die ihm in den Augen der Bauern den Sieg gewiß machte:

»Es ist die allerneueste Schreibart. Zu Wispelbeck schreitet der Unterricht mit den besten Schriftstellern fort.«

»Die allerneueste Schreibart?« wiederholte der Student. »Möglich; aber sie ist doch noch nicht angenommen?«

»Ja freilich, denn wenn sie angenommen wäre, würde sie nicht mehr neu sein.«

»Das verstehe ich nicht-« »Ich glaube es wohl; Sie sind ja auch kein Philologe? Das ist die Natur unserer Muttersprache: in der Veränderlichkeit der Fortschritt.«

Obschon die Bauern von des Küsters Rede nichts verstanden, nickten sie doch mit dem Kopfe Beifall; der Student ließ die Streitfrage fallen und sagte in spöttischem Tone:

»Nun, das sind Schulmeisterangelegenheiten: Sie haben vielleicht Recht. An Ihren Versen weiß ich aber doch etwas auszusetzen. Sie sind viel zu kurz.«

Der Küster gedachte auf diesen Spott zu antworten; doch nun kam der Gildeweibel, begleitet von einer Schaar Schützen, trommelnd auf das Wirthshaus zu und zwang die das Chronogramm Besehenden auseinander zu gehn. Alls folgten dem Zuge nach in den »goldenen Adler.«

Während die für das feierliche Preisschießen bestimmte Stunde herannahete, und immer mehr Schützen und Zuschauer sich ins Wirthshaus begaben, kam vom andern Ende des Dorfes eine Familie langsam herangeschrittem um gleichfalls dem Feste beizuwohnen.

Voran schritt, den Bogen in der linken Hand, der Brauer Baas Joh, ganz unter ernsten oder traurigen Gedanken gebeugt; denn während des Gehens sah er auf die Erde und machte mit der rechten Hand hastige, grimmige Gebärden. Seine Gesichtszüge waren etwas unfreundlich, seine Augen klein und seine Lippen dünn. Er hatte ganz das Aussehn eines, harten oder zornigen Mannes; aber, was noch das Merkwürdigste an ihm war, er war, obwohl Brauer, doch schlank und mager. Zwei oder drei Schritte hinter ihm ging Mutter Job, seine Gattin, eine rüstige Frau, welcher das nahende fünfzigste Jahr die Blüthe der Gesundheit noch nicht von den Wangen gewischt hatte. Ihre Augen glänzten von Lebensfreude und Zuversicht, um ihren Mund spielte beständig ein freundliches Lächeln; obschon von merklich langer Gestalt, trug sie den Kopf aufrecht auf ihren Schultern. Ihre Gebärden waren einfach; in ihrer ganzen Persönlichkeit lag etwas Imponierendes, das eine kräftige, muthige und brave Frau anzeigte.

An ihrer Rechten hielt sie einen dicken blühenden Knaben von etwa zehn Jahren, der immer an ihrer Seite hüpfte und sie vorwärts zu ziehen suchte, um desto schneller zu der Trommel zu gelangen, deren Wirbel noch durch die Bäume schallten.

An ihrer andern Seite schritt Hugo, ihr ältester Sohn, der Liebling und der Stolz ihres Herzens. Dieser konnte wohl sein sieben und zwanzigstes Jahr erreicht haben; denn die Ruhe und der Ernst des männlichen Alters warf schon einen Schatten aus sein noch frisches und jugendliches Gesicht. Er bewohnte das väterliche Dorf nicht mehr; seit einigen Jahren hatte er sich nach der Stadt begeben, um dort sein Glück im Handel zu versuchen. Seine Eltern hatten einige ihrer Grundstücke mit Schulden belastet, um ihm ein Kapital zu verschaffen; er hatte sich mit einem erfahrenen jungen Kaufmann verbunden und sie hatten zusammen ein kleines Handlungshaus gegründet, dessen Geschäfte sich allmälig ausgebreitet hatten und jetzt auf einem guten Fuße standen.

Sein Compagnon Herr Walter folgte in einer Entfernung von zwei bis drei Schritten; er hatte das Aussehen eines ehrenwerthen Mannes, war mit Sorgfalt gekleidet und Gang und Manieren zeugten von einer gewissen Glätte und feinen städtischen Bildung. Rosina, Hugo’s schöne und anmuthige Schwester, ging neben ihm. Das Mädchen horchte mit lebhaftem Interesse und sichtlichem Wohlgefallen auf die feine städtische Sprache des Herrn Walter, der Alles so schön auszudrücken wußte, daß es zu verwundern war. Vielleicht war das beständige Lächeln auf Rosina’s Mund und die Aufmerksamkeit ihrer großen blauen Augen nur eine Eingebung ihres Pflichtgefühls – denn war Herr Walter nicht der Compagnon ihres Bruders? Und mußte sie nicht gegen den freundlich und rücksichtsvoll sein, dessen Namen ihr Bruder nur mit Lobeserhebungen und Dankbarkeit aussprach?

Während die Mutter ihr liebliches, mit besonderer Sorgfalt gekleidetes Söhnchen, den Liebling der ganzen Familie, wegen seiner zu großen Hast sanft verwies, hatte Hugo sein Auge nachdenklich aus seinen Vater gerichtet und mit einem gewissen Unwillen dessen ungeduldige Gebehrden bemerkt. Er unterbrach die Rede seiner Mutter und sagte:

»Vater sieht so böse aus. Es ist aber doch traurig, daß ihm jeden Tag, den ich zuweilen zu Hause zubringen kann, etwas fehlt.«

»Das sind so seine Launen! Hugo, Du weißt es wohl,« antwortete die Mutter lächelnd. »Laß Dich das nicht bekümmern; Vater ist vielleicht froher als ich über deine Ankunft; aber es liegt in seiner Art, immer etwas im Kopfe zu haben, worüber er zum Schein murren kann. Es hat nichts auf sich; wenn er nur erst beim Schießen ist und Glück hat, so wird er bald heiter und wohlgemuth sein.«

Baas Job wandte sich um, stampfte auf die Erde und rief mit übel verhaltenem Aerger:

»Werdet Ihr nun kommen? Die Frauen schleichen über den Weg wie die Schnecken. Um Gotteswillen, beeilt Euch etwas, oder ich komme zu spät zum Schießen. Man würde dort, auf mein Wort; recht froh darüber sein. Es ist wirklich so, als wolltet Ihr meinen Feinden wider mich beistehen; aber ich will sie lehren, diese neidischen Menschen!«

»Herr Walter! nehmen Sie es nicht übel«, sagte Mutter Job, ihren Kopf umdrehend, »wir sollen etwas schneller gehen.« – Und sie selbst beschleunigte ihre Schritte, ihrem Verdrießlichen Mann zu Liebe.

Hugo, dem das Wort Feinde seltsam in den Ohren klang, war zu seinem Vater geeilt, und ihn beim Arm nehmend, fragte er ihn:

»Aber, Vater, ist denn jemand im Dorfe, der Dir Verdruß bereitet? Du hast doch, so viel ich wenigstens weiß, niemals Feinde gehabt!«

»Jetzt hab ich doch welche,« murmelte der Brauer. »Wenn sie diesen Bogen in meiner Hand zerbrechen könnten, sie würden’s gern thun. Unglücklicher Weise bin ich heute nicht aufgelegt; sonst würde ich ihnen schon zeigen, wie Baas Job sich an denen rächt, welche ihn beneiden!«

»Aber von wem sprichst Du denn?«

»Zuerst von dem Notar.«

»Von Gabriel's Vater?«

»Ja, von dem Heuchler! Zweitens vom Pächter Wyns, drittens von dem Secretär, viertens von Bauer Daems und von noch vielen andern.«

»Du nennst ja da, Vater, Deine ältesten Freunde, und, irre ich mich nicht, die besten Schützen im Dorfe?«

»Ich bin der beste Schütze!« rief der Brauer, »und jedermann weiß es.«

»Wirklich können sich wenige im Schießen mit Dir messen; aber das beweist doch, dünkt mich, keineswegs, daß die Freunde aus der St. Sebastiansgilde Deine Feinde geworden sind. Haben sie Dir wirklich etwas zu Leide gethan?«

»Sie haben mich diesen Morgen ausgelacht. Sieh, Hugo, nach dem Hochamt bin ich nach der Schießbahn gegangen, um einige Probeschüsse zu thun. Von zehn Schüssen nur einmal ins Schwarze und zweimal außerhalb des Weißen! Außerhalb des Weißen! Es ist mir in einem halben Jahre nicht passiert. Ich wußt’ es aber schon am frühen Morgen: beim Aufstehen stieß ich die Lampe vom Tisch; ich zog meine Schuhe verkehrt an; und beim Öffnen der Thür trat ich auf die Katze, daß sie heulte. Alles zusammen Unglückszeichen!«

»Ich begreife, daß Dich diese Vorzeichen beunruhigen, Vater, aber Deine Freunde haben doch daran keine Schuld; und wenn sie zufällig das Weiße nicht treffen, lachst Du dann nicht auch, wie die andern Gildebrüder?«

»Ja, ja; aber die silberne Tabaksdose!« murmelte Baas Job mit einem schweren Seufzer. »Ich bin bezaubert; es ist immer dasselbe: Alles ist gegen mich! Gibts wohl einen unglücklicheren Menschen als ich bin?«

»Vater, Vater, das meinst Du doch wohl nicht so?« sprach der Jüngling mit sanft verweisendem Tone. »Wir sind alle gesund. Deine Brauerei bewahrt ihren alten Ruf in der Umgegend; meine Geschäfte verbessern sich täglich; unsre Rosine geht eine vortheilhafte Verbindung ein; Mutter ist die Heiterkeit und Güte selbst. Die Leute im Dorf nennen uns die Glücklichen; und, zum Uebermaß des Segens, jedermann hat uns lieb; wir werden von Niemand gehaßt oder beneidet. Sind wir Gott nicht Dankbarkeit für dies Alles schuldig?«

Hugo’s Stimme war bei diesen letzten Worten so dringen und so innig geworden, daß der Vater sich gerührt fühlte.

»Du hast Recht, Hugo; wir müssen Gott dankbar sein,« antwortete er, »aber die Tabaksdose, die Tabaksdose! Sie kommt mir zu, und ich werde sehen müssen, daß sie ein Anderer gewinnt: es ist um krank zu werden vor Ärger.«

»Was ist es doch um eine silberne Tabaksdose? Wünschest Du Dir wirklich eine? Ich werde sie Dir mit Freuden schicken.«

»Ach, es ist mir nicht um die Dose; ich kann mir ja doch auch eine kaufen, wenn ich will! Aber meine Ehre als Schütze! Mein Ruf! Ein ganzes Jahr als Stümper gelten müssen und ausgelacht werden in der Gilde? Hielte ich mich nicht mit Gewalt zurück, ich zerschlüge meinen Bogen an dem Baum da; dann würde ich doch nicht besiegt werden!«

»Du kannst es nicht wissen, Vater; vielleicht wirst Du besser schießen, als du denkst. Und begegnete Dir es auch, daß die Dose von einem andern Gildebruder gewonnen würde, morgen wird es doch wohl besser gehen?«

»Ja, ja, das hast Du von Deiner Mutter gelernt: Auf Leiden folgen Freuden, auf Regen folgt Sonnenschein; so lange man lebt, hoff man . . . und so weiter, immer daß selbe Liedchen. Deine Mutter grämt sich um nichts; ich glaube, wenn der Kirchthurm ihr auf den Leib fiele, sie würde noch rufen: ’s wird morgen schon besser gehn! . . . Aber sieh, da steht die Kutsche des Herrn Barons vor der Thür des »goldenen Adlers«; der Gilderath muß ihn empfangen. O Schande, ich bin der einzige, der nicht dabei zugegen sein wird. Frau, Frau, das ist Deine Schuld!«

Und grimmig die Faust gegen Mutter Job ausstreckend, lief er zur Stelle, wo er, aus der Ferne, die Bauern ihre Mützen in die Höhe schwenken sah, um den neuen Hauptmann der St. Sebastiansgilde zu bewillkommnen.

Baas Job kam wirklich zu spät; denn als er nahte, verschwand die jubelnde Menge ins Innere des Wirthshauses und der Wagen des Barons ward durch den Kutscher auf der Straße nach dem Schlosse umgewendet.

Einige Augenblicke später saß Mutter Job neben den Ihrigen auf dem Hinterhof des »goldenen Adlers-« mit ihrem Knäbchen an der Seite und mit ihrem Sohne Hugo über seinen Handel sprechend. Herr Walter hatte sich neben Rosina gesetzt und fuhr fort, stets freundliche und höfliche Worte an sie zu richten, indem er sie bald um Erklärungen über das Gildefest fragte, bald wieder ihr lustige Geschichten von Bogenschützen und Jägern erzählte; denn es stand Herrn Walter ein reiches Gedächtnis zu Gebote. Allerdings wurde Rosine jetzt manchmal sehr unaufmerksam und schien mit ihren Augen jemand zu suchen; gleichwohl konnte man bemerken, daß sie sich über diese Zerstreutheit schämte und sich Gewalt anthat, um sie vor dem Freund ihres Bruders zu verbergen.

Der ganze Hinterhof war mit laut sprechenden und lachenden Leuten angefüllt. An der Seite, wo Mutter Job sich befand, saßen die Frauen – meist Pächterinnen und Bäuerinnen – mit ihren Töchtern und Kindern. Viele sahen auf Mutter Job hin und wechselten unter einander einige leise Worte.

»Ja, Katharina, den schönen Herrn da mit seinem weißen Hut,« sagte eine alte Bäuerin, »wir oft hab’ ich den auf den Armen getragen!«

»Hugo von dem Brauer?«

»Ja, ja. Jetzt ist er reich und treibt Handel in der Stadt.«

»Die Mutter Job ist eine verständige Frau, das ist sicher. Aber sagt, was ihr wollt, wo das Glück einmal ist, da wird es auch immer bleiben. Sie hat alles, was ihr Herz verlangen kann.

»Viel Geld.«

»Gesundheit dazu.«

»Die schönste Tochter im Dorfe.«

»Ein Kind, wie eine Rose, so lieblich und so blühend.« »Einen Sohn, der sie noch auf ein Schloß sehen wird.«

»Eure Tochter, die den Gabriel von unserm Notar heirathen wird . . . Und die haben auch Geldrollen im Kasten liegen.«

»Das heißt, da sind auch acht Kinder.«

»Das ist gleich; die Jobs sind die glücklichsten Wesen von der Welt. Wenn nur der Brauer nicht ein solcher Murrkopf wäre . . . «

»Sieh, da kommt er gelaufen! In was für einen Dorn hat er nun wieder getreten?«

Baas Job näherte sich seiner Frau, und sagte verstört:

»Sie sind da wieder am Zögern und Trödeln, daß man davon krank werden könnte! Schon zehnmal haben sie die Namen ausgerufen und sind noch nicht im Klarem – Ihr habt nichts zu trinken für die Gesellschaft? Ich glaub’, Ihr sitzt alle zusammen da und träumt!«

Zu dem vorbeigehenden Diener sagte er:

»Heda, Faulenzer, warum fragst Du hier nicht, was uns gefällig ist? Eine Kanne Bier! Seht, der Schelm läßt seine Beine schleppen, um mich zu ärgern, aber ich werde ihn schon kriegen!«

»Komm, komm,« lachte Mutter Job, »der arme Junge hat seinen Fuß verstaucht. Du weißt es ja doch wohl?«

Als der Diener wiedergekommen war und die Gläser eingeschenkt hatte, fuhr der Brauer grimmig auf ihn los, behauptete, das Bier wäre sauer und wollte den Wirth rufen lassen, um sich darüber zu beschweren; – aber jetzt hörte er den ersten Pfeil durch die Schießbahn schwirren und daraus das Wort: »Das Schwarze« mit lauter Stimme rufen. Da durchzuckte der Grimm seine Glieder und er lief murmelnd von seiner Familie fort, um nachzusehn, wer der Glückliche wäre, der bei seinem ersten Schuß bereits ins Schwarze getroffen hätte.

»Der Brauer ist schrecklich kurz angebunden,« sagte Katharina zu ihrer Nachbarin. »Seit den dreißig Jahren, daß ich ihn kenne, habe ich ihn noch niemals als zanken und murren hören, als ob die ganze Welt gegen ihn wäre. Nur gut, daß jeder weiß, er mein’ es nicht so arg und daß er eine Frau hat, die die Geduld selbst ist. Ich würde es sicher nicht aushalten, das ewige sauer sehn!«

»Und St. Job aus dem Düngerhausen ist doch sein Patron! Das hat sein Pathe gewiß zum Spott gethan, als ob er vorher sehen konnte, was für ein aufbrausender Mann das Kind einmal werden würde?«

»Nein, nein, Job ist sein Vatersname.«

»Ja, aber sein Vorname ist auch Job.«

»So? Dann heißt er Job-Job?«

»Wißt Ihr das nicht? Unser Kobe lacht täglich darüber; und wenn er von unserm zänkischen Brauer spricht, nennt er ihn immer den doppelten St. Job, weil er so geduldig ist.«

»Ja, Th’res, das kommt von der schwarzen Galle; der Mann kann nichts dafür, daß er so geboren wurde.«

»Sicher, ich weiß es wohl, Kathrine; denn Baas Job gibt viel an die Armen, und wenn er jemand helfen kann, wird er es, mit all seinem Geknurr, doch nicht unterlassen. Voriges Jahr schien er sehr auf uns erbittert, weil mein Mann, ohne es zu wissen, in sein Gehege geritten war. Es hatte selbst viel Zank zwischen ihnen gegeben. Einen Monat später geriethen wir durch den Tod unseres Gutsherrn in eine sehr kümmerliche Lage. Baas Job, der es vernommen hatte, kam selbst, ohne gefragt zu sein, und brachte uns die nöthige Hilfe. Daß wir noch auf unserm väterlichen Hofe sitzen Kathrine, das haben wir dem zu verdanken, der unser Feind schien, Baas Job!«

Das Preisschießen hatte begonnen; die eine Hälfte der Gildebrüder that ihre ersten sieben Schüsse; darnach sollte, die zweite Hälfte gleichfalls in die Schranken treten; dann wieder die erste Abtheilung und gleichfalls noch einmal die zweite. Wer in diesen beiden Gängen am Öftersten ins Schwarze würde geschossen haben, sollte als Sieger aus den Händen des Herrn Baron die schöne silberne Tabaksdose erhalten.

Viele Zuschauer hielten sich in der Nähe der Scheiben auf und lehnten sich an das Geländer, womit die Schußbahn eingefaßt war; unter diesen, das Auge aus das Weiße gerichtet, stand Baas Job, der Brauer, der zur zweiten Schaar gehörte und mit sichtbarer Ungeduld wartete, daß die Reihe an ihn kam. Schoß einer der gewandtesten Gildebrüder etwas weit vom mittelsten Kreis, dann fuhr ein zweideutiger Ausdruck von Freude über des Brauers Gesicht; aber kündigte der Ruf: »Ins Schwarze!« das Treffen des Centrums an, dann knipp er die Lippen vor Wuth zusammen und stampfte mit den Füßen.

Etwa zwanzig Schritte von den Scheiben stand ein Haufe Bauern, einige mit dem Bogen in der Hand, andere mit entblößtem Haupte; doch alle merkwürdig still und zurückhaltend für einen solchen frohen Tag. Sie bildeten einen Kreis um den Herrn Baron, der eine Zigarre im Mund, einen Livreebedienten an der Seite und einen Jagdhund zwischen den Knieen, dann und wann ein wohlwollendes Lächeln an diejenigen austheilte, welche so dreist waren, ihm einen Glückwunsch über seine Ernennung zum Hauptmann oder eine Schmeichelei über sein Geschenk an die Gilde zu sagen. Der Schulmeister wiederholte zwanzigmal in verschiedenen Ausdrücken die Versicherung, daß es ein Segen für die Gemeinde wäre, solch einen Baron zu haben und daß die Gilde unfehlbar unter dem Schatten seines erlauchten Namens, den höchsten Gipfel des Ruhms und Glücks erreichen würde u.s.w. Die Bauern, die mit der Mütze in der Hand standen und beständig mit dem Kopf nickend bei jeder Schmeichelei ausriefen: »Gewiß, Herr Baron, ’s ist wahr, Herr Baron, Gott sei Dank, Herr Baron,« waren ohne Zweifel seine eigenen Pächter; denn es standen da auch Landleute, die mit halbspöttischem Lächeln auf den Lippen und mit bedecktem Haupte Alles mit anhörten. Gewiß saßen diese auf ihrem eigenen Gut, oder hatten von Gutsbesitzern gepachtet, die das Dorf nicht bewohnten. Sie sahen sich deshalb für freie Leute an und zeigten dies hinlänglich durch die ungenierte Keckheit ihrer Haltung.

Eben war der Schulmeister damit beschäftigt, dem Baron in hochtrabendem Kanzleistyl zu beweisen, daß seine erlauchte Gegenwart dem Dorfe und der Gilde ebenso wohlthätig und fruchtbringend sein würde, wie der Thau des Himmels, der nach einem alle Pflanzen versengenden Sommertag auf das schmachtende Erdreich niederfällt . . .als die Stimme des Weibels aus voller Kraft erscholl:

»Männer von der zweiten Compagnie, macht Euch fertig! Männer von der zweiten Compagnie, kommt herbei!«

Dieser Ruf erlöste den Baron von dem Schulmeister und von mehreren andern seiner Schmeichler: er gedachte einige Schritte vorwärts zu thun, doch alsbald sah er sich aufs Neue durch die abgelösten Schützen umringt, die ihm nun ihrerseits mit vielen Verbeugungen und schmeichelnden Worten Rechnung ablegten über die ungefähre Anzahl der Centrumschüsse die jeder der Männer von der ersten Compagnie gethan. Der Baron, den vielleicht die Huldigung belustigte, welche die Bauern ihm darbrachten, ließ sie ruhig gewähren, lächelte mild und schenkte auch seinerseits jedem ein freundliches Wort.

Während das Preisschießen langsam fortschritt und das Geräusch auf dem Hof von St. Sebastian, unter dem Einfluß des genossenen Biers, immer mehr zunahm, stand ein Jüngling ganz einsam hinter der Buchenhecke welche den Schießstand von dem Gemüsegarten des Wirthshauses trennte.

Seine städtische Kleidung, sein feinen Gesichtszüge und sein zarterer Gliederbau hätten auf die Vermuthung leiten können, daß er hier Fremdling wäre und nur durch den Zufall an diesen Ort geführt worden wäre. Eine tiefe Trauer war auf seinem Gesicht zu lesen; die meiste Zeit hielt er den Kopf gebeugt und den Blick zur Erde gerichtet; aber dann und wann richtete er sich aus und schaute mit funkelnden Augen durch eine kleine Oeffnung der Buchenhecke, nach dem Ort, wo die Frauen der Gildebrüder an vielen Tafeln plaudernd und lachend saßen. Dann spielte ein eifersüchtiger Zug um seine bebenden Lippen, sein Gesicht ward bleich, und er hielt den Hals in Selbstvergessenheit ausgereckt nach dem Gegenstande, der ihn zu reizen schien. – Aber bald ließ er wieder, erliegend unter einer zermalmenden Gewißheit mißmuthig den Kopf auf die Brust sinken.

Da nahte unvermerkt ein junger Bauer dem leidenden Träumer. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach in theilnehmendem Ton:

»Gabriel, wenn ich an Deiner Stelle wäre, so setzte ich einen tüchtigen Krug Bier darauf. Hab’ ich es Dir nicht vor einem halben Jahr gesagt, daß der städtische Ränkemacher mit seinem Knebelbart Dir noch bitter Bier brauen würde? Es ist eine Schande! So, mitten im ganzen Dorf ihre Ohren nach dem Geschwätz eines Fremden hängen lassen!«

Gabriel sah den Redenden mit feuchten Augen an und seufzte schmerzlich. – Der Andere fuhr fort:

»Der Schmidt meinte es gut, als er vor drei Monaten – sagte, daß dieser Herr Walter Dich aus dem Sattel heben würde. Weißt Du, was er jetzt ganz fest behauptet? – Daß da eine Heirath geflickt wird zwischen ihm und Rosina.«

Ein bitteres Lächeln des Zweifels stieg auf Gabriels Gesicht und er hob den Ellenbogen drohend in die Höhe, als wollte er die drohende Vermuthung von sich abweisen.

»Komm; komm, zeige daß Du Mann bist,« sagte der Andere, »es ist doch hinlänglich sichtbar, daß etwas im Werke ist? Ist dieser Herr Walter seit einiger Zeit nicht fast alle Sonntage in Wispelbeck? Und verhehlt Rosina ihre Hoffnung, daß sie, gleich ihrem Bruder, einmal in der Stadt wohnen wird? Ist dieser Walter nicht ein Wunder von Edelmuth, Feinheit und Weisheit in ihren Augen, und spricht sie nicht von ihm, als ob er ein Muster von Verstand und von allen Tugenden wäre? Man wird Dich allerdings nicht eher abweisen, als bis Alles fertig ist; aber an Deiner Stelle würde ich gar nicht so lange warten; ich ließe sie laufen und amüsierte mich tüchtig mit den Freunden, um zu zeigen, daß ich mich um ihre Falschheit nicht viel kümmere. Komm, komm und bleibe nicht so allein da; stehn und grübeln. Der Schmidt hat Dich gesehen und lacht Dich bei den Scheiben aus. Komm und halte Dich gerade als ein Mann.«

Gabriel folgte dem jungen Bauer schweigend und mit gebeugtem Haupte. Rosina, welche, ohne es zu wissen, hinter der Hecke mit solch eifersüchtiger Aufmerksamkeit beabsichtet worden war, saß noch immer neben dem Compagnon ihres Bruders. Allmälig war eine unerklärliche Trauer ihr ins Herz gesunken und diese Gemüthsstimmung war Herrn Walter nicht entgangen. Er hatte, wie um sie zu schonen seit einer Weile das Gespräch unterbrochen und hielt das Auge mit scheinbarem Interesse nach den Scheiben und dem Preisschießen gerichtet.

»Warum bist Du so traurig, Rosina?« fragte Mutter Job. »Ich weiß nicht; aber Du und Dein Vater, Ihr seid doch sonderbare Menschen. Wir sind hier auf einem Feste, um uns zu erlustigen und Ihr zieht Gesichter, als ob wir unglücklich wären und Gründe hätten, verdrießlich zu sein.«

»Wo mag doch Gabriel sein? Er weiß, daß wir hierher kommen würden,« flüsterte das Mädchen.

»Ich glaube, ich sehe ihn dort von Weitem.«

»Du siehst ihn, Mutter,« wiederholte Rosina freudig.

»Da, hinter dem Herrn Baron; er steht mit dem Rücken zu uns gekehrt und spricht mit Bauer Adrian’s Sohn.«

»Und er begrüßt uns nicht einmal! Es ist doch nicht recht von ihm. Gabriel ist ein guter Junge, Mutter; aber er hat oft solche seltsame Gedanken im Kopf. Was mag ihm nun wieder fehlen? Sei gewiß, er ist böse auf mich. Warum? Das weiß Gott. Es ist doch traurig! . . . Ach, da dreht er sich um: er sieht mich!«

Der Name »Gabriel« entschlüpfte ihren Lippen, und aufstehend winkte sie ihm mit der Hand.

»Ach Mutter« seufzte sie »er geht weg; sein Blick ist so wild.«

»Worüber Du Dich doch alles bekümmerst, Rosina,« sagte Mutter Job lächelnd, »der Himmel ist so hoch, und doch fahren einmal Wolken darüber . . . Schlag’ Dirs aus dem Sinn. – Sieh, da ist der Vaters er sieht auch ganz verstört aus.«

Baas Job verließ in diesem Augenblick die Schießbahn und näherte sich den Seinigen. Schon von Ferne konnte man es ihm ansehn, daß er nicht zufrieden war mit Resultat des Schießens.

»Hab’ ich es nicht gesagt, daß ich behext war?« rief er aus. »Unter acht Schüssen dreimal ins Schwarzes Ich wette um eine halbe Tonne Bier daß ich morgen fünfmal hintereinander so gut schieße. Aber heute!«

»Und wer hat die silberne Tabaksdose gewonnen?« fragte Mutter Job.

»Gewonnen, gewonnen! Es ist noch gar nichts gewonnen. Wir müssen jeder noch sieben Schüsse thun.

»Und welches ist die meiste Zahl der besten Schüsse?«

»Der Notar hat wohl vier!«

»Und du Job, hast doch drei. Mit einem glücklichen Schuß kannst Du den Notar einholen. Und schießt er etwas weniger gut, so kannst Du die Tabaksdose doch noch gewinnen und primus sein.«

Unterdessen hatte der Brauer in aller Eile ein paar Gläser Bier getrunken, und antwortete nun mit Ungeduld:

»Wäre ich nicht geboren, um unglücklich zu sein; ja dann sollte niemand anders die Dose kriegen; aber jetzt? Ich werde im zweiten Gang noch schlechter schießen, Ihr sollt es sehn!«

»Setze Dich doch ein Augenblickchen nieder bei uns,« sagte Mutter Job mit freundlichem Ton, »und sei doch heiter: sei versichert, es wird bald wohl besser gehen!«

»Ach, mit Deinem ewigen Gerede von »’s wird wohl besser gehn;« ich sage Dir, daß es nicht besser gehn wird, schlechter wird es gehen!«

»Nun, lieber Mann, sei doch nicht böse auf mich,« sprach Mutter Job, »wenn es nicht besser gehn will, ich kann nichts dazu thun. Es muß doch jemand den Sieg davon tragen; und auf alle Fälle, werden dabei keine Arme oder Beine gebrochen werden.«

»Ich weiß wohl, Du würdest Dir nicht viel daraus machen, und müßt ich vor Schande aus dem »goldenen Adler« weglaufen,« herrschte Baas Job ihr zu. »Rosine, sitzt Du da und grübelst und läßst den Kopf hängen?« fragte er seine Tochter. »Was soll das sauer Sehen? Herr Walter sitzt in einer schönen Gesellschaft! Hugo läuft weg und raucht Zigarren mit dem Baron, und Du kehrst unserm Gaste fast den Rücken zu. Das ist fein!«

Hugo’s Compagnon wollte einige Worte zu Rosina’s Entschuldigung sprechen, doch Baas Job schien ihn nicht zu hören; und fragte, während er den Blick auf das Kind gerichtet hielt: »

Engelbertchen ist so blaß! Warum laßt Ihr das Kind so unangeredet da sitzen? Es ist krank?«

»Ach, Du denkst immer das Schlimmste,« antwortete seine Frau. »Er hat zu viel Reisbrei gegessen, der kleine Vielfraß. Es soll wohl vorübergehn; laß Engelbertchen nur in Ruhe.«

Ohne Zweifel hätte der Brauer noch länger durch Raisonniren seinem Mißvergnügen Luft gemacht: aber jetzt rief der Gildeweibel aus der Ferne:

»Männer von der zweiten Compagnie, macht Euch bereit!«

Und Baas Job spannte in aller Eile seinen Bogen, worauf er, ohne weiter auf seine Gesellschaft Acht zu geben, zu den Scheiben lief.

Rosina begann aus einem Gefühl von Schicklichkeit mit Herrn Walter ein Gespräch über die einfachen Freuden der Bauern und die Freiheit des Landlebens; Mutter Job plauderte laut mit Pächterin Kathrine über die Kinder und über das Scharlachfieber, das im Dorfe herrschte, aber jetzt glücklicherweise abzunehmen schien. Hugo sprach noch immer über den wahrscheinlichen Marktpreis des Getreides nach der Ernte.

Nach einer geraumen Zeit entstand plötzlich ein starkes Händeklatschen bei den Scheiben und alle Dorfbewohner liefen nach dem einen Ende des Hofs in einen dichten Haufen zusammen. Aus Neugier sprangen die Frauen gleichfalls in die Höhe . . . Die Dose war gewonnen! Aber wer mochte der Glückliche sein!«

Rosina, die auf ihren Stuhl gesprungen war, und sicher besser als die Andern sah, was vorging, begann plötzlich zu rufen, indem sie all ihren Kummer vergessend, dir Hände mit kindlicher Freude zusammenschlug:

»Mutter, Mutter, ach, Vater hat gewonnen! Sieh, sieh! Der Herr Baron gibt ihm die silberne Dose!«

»Ist es wahr?« fragte die Mutter Job, indem sie ihr Söhnchen außer sich vor Freude in die Höhe hob.

»Ja wohl, höre, da rufen sie bereits: Es lebe, es lebe Baas Job!«

Und wirklich erscholl dieser Glückwunsch jetzt über dem durcheinander wogenden Haufen, in dessen Mitte der Baron den Preis dem Sieger einhändigte.

»Gott sei Dank!« jauchzte Mutter Joh. »Nun wenigstens wird er zufrieden sein.«

Rosina bemerkte in diesem Augenblick, wie Gabriel hinter der Hecke hervortrat, und den Gildebrüdern nahte. Sie sprang vom Stuhle und sprach:

»Mutter, Mutter, ich werde einmal dahin gehn; o, das muß schön sein, wie der Herr Baron zum Vater spricht und ihm allerlei freundliche Worte sagt!«

Bei diesen Worten begab sie sich vorwärts zur versammelten Menge: der Campagnon ihres Bruders stand gleichfalls auf, augenscheinlich, um sie aus Höflichkeit zu begleiten.

Das Mädchen war ihm jedoch voraus und schien, ein besonderes Ziel im Auge habend, sich hinter dem jubelnden Haufen der Dorfbewohner zu kehren; und wirklich, sie stand plötzlich vor Gabriel, mit trübem Blick ihn ansehend, während ihre süße Stimme ihn leise fragte:

»Gabriel, warum bist Du böse auf mich?«

Der Jüngling bebte erst und erbleichte vor Ueberraschung; aber bald erschien ein stilles Lächeln des Glücks aus seinen Lippen . . . Jetzt aber hatte Herr Wetter die Tochter des Brauers eingeholt, und stellte sich an ihre Seite, als wäre er ihr Geleitsmann.

Plötzlich verzog sich das Gesicht Gabriels zu einem spöttischen Lächeln, er drehte sich um mit dumpfem Murmeln und verschwand aus den Augen des verstummten Mädchens.

Zwei Thränen fielen auf Rosina’s Wangen; aber sie bezwang ihren Schmerz aus einem Gefühl von Scham und drang kühn durch die versammelten Männer, um dadurch ihre schmerzliche Aufregung zu verbergen.

Mutter Job sah endlich, wie ihr Mann, mit der silbernen Tabaksdose in der Hand, sich aus der Menge drängte und sich loszuringen suchte von den Dorfbewohnern, welche ohne Aufhören ihm Glück wünschten und »es lebe Baas Job!« schrieen. Einige riefen auch laut, daß eine halbe Tonne Bier darauf gehöre; – und man bemerkte, an der Bewegung ihrer Lippen, daß sie den kostenfreien Trunk bereits im Geist genossen.

Der Brauer sah jedoch nicht heiterer aus als vorher und fuhr jeden wie erzürnt an:

»Laßt mich in Ruhe: es ist der Mühe nicht werth; ich bin ärgerlich auf mich selbst. Die Tonne Bier werde ich den Sonntag geben. Geht weg: laßt all dies Geschrei!«

»Ich gratuliere! Ich gratuliere!« rief Mutter Job, »hab’ ich es nicht gesagt, daß es besser gehn würde? Komm, Job, und trink nun ein Gläschen mit uns auf den guten Ausgang.«

Hugo und Walter ergriffen ihre Gläser und hoben sie gleich einigen andern Freunden in die Höhe.

»Wir trinken zu Ehren von Baas Job!« rief man.

»Auf die Gesundheit von uns allen zusammen,« murmelte der Brauer.

»Nein, nein, zur Ehre des glücklichen Siegers,« rief Herr Walter.

»Ich trinke solche Gesundheit nicht,« sagte Baas Job. »Glücklich! Ach, dies nennt Ihr glücklich?«

»Was fehlt Dir denn noch dran?« fragte seine Frau verwundern »Bist Du nicht zufrieden?«

»Zufrieden?« fuhr der Brauer los. »Zufrieden? Ich schäme mich. Unter fünfzehn Schüssen nur siebenmal ins Schwarze! Hätte ich kein Unglück, so hätte ich zehnmal geschossen!«

»Ach!« sprach Mutter Job zu sich selbst. »Der Mann ist nur froh, wenn er knurren kann. Jeder hat seine Schwächen . . . «

»Komm, komm,« gebot der Brauer ungeduldig. »Laßt uns nach Hause gehn; dies Geschrei verdrießt mich. Sagt Ihr nicht lieber gleich, daß ich einen Berg von Gold gewonnen habe? Komm, sage ich, oder ich gehe allein fort!«

Die meisten Frauen waren jetzt aufgestanden, um den »goldnen Adler« zu verlassen. Mutter Job und die Ihrigen gehorchten schweigend dem Befehl des brummenden Mannes. Rosina warf noch einen traurigen Blick umher: doch erspähete sie Gabriel nicht mehr . . .


Denselben Abend wandelte ein Jüngling mit langsamen und unterbrochenen Schritten am Rande des großen Kirchwegs.

Nach Sonnenuntergang hatte sich die Luft merklich abgekühlt und aufsteigende Dunstwolken bedeckten Felder und Gebüsch mit so dichter Dunkelheit, daß man den Jüngling nur ganz in der Nähe als einen schwarzen Schatten hätte wahrnehmen können.

Am Ende des Kirchwegs wandte er sich rechts und trat in die große Allee, die bis zum Schloß des Barons führte. Große Buchenbäume vereinigten hier ihre Wipfel, um diese Promenade zu einer schattenreichen Laube zu machen, wo den Tag über Kühlung und des Abends geheimnißvolle Dunkelheit herrschte.

Der Jüngling wankte auf eine der Buchen zu; erschien auf der Rinde des Baums mit der zitternden Hand nach gewissen eingeschnittenen Zeichen zu suchen; und als er sie gefunden hatte, legte er seine brennende Stirn dagegen, als dächte er, daß diese Berührung der Erinnerungszeichen seiner Verlobung ihn von dem folternden Schmerze seiner Eifersucht erlösen könnte. Endlich seufzte er unter Thränen:

»Ach, könnte ich auch, wie sie, mein früheres Leben vergessen und die Wurzel meiner verletzten Liebe mir aus dem Busen reißen. Unsere Liebe sollte länger dauern als die Zeichen, welche hier mit der Rinde des Baumes verwachsen sind! und sie, sie richtet ihren Sinn auf einen Fremden, sie lacht ihm zu, sie sieht ihm die Worte vom Munde ab; ja wird ihn heirathen . . . vor meinen Augen, in sorgloser Freude, als ob ich gar nicht auf der Welt wäre! . . . Aber es ist nicht möglich! Rosina kann doch nicht in einem Tage grausam und mitleidslos werden. Wenn ihre Neigung für mich vermindert oder vergangen wäre, sie würde doch Mitleiden mit dem armen Gabriel haben . . . Aber wer weißt Sie denkt vielleicht, daß ich sie eben so leicht vergessen werde? Sie vergessen! – Rosina, Rosina! Was halt Du gethan!«

Da traf ein fernes Geräusch seine Ohren; er sprang weg vom Baume, bückte sich zur Erde, um so durch die Dunkelheit zu sehn und blieb zitternd stehn.

»Rosina! Walter!« seufzte er dumpf und sank tödtlich erschreckt zur Erde . . . Gleichwohl stand er wieder auf und schlich hinter den Baum, von wo er mit unsagbarer Spannung das flammende Auge auf die nahenden Personen gerichtet hielt. Bald glaubte er, von dem Unglück überzeugt zu sein, das er fürchtete: ein undeutlicher Angstschrei entwand sich seiner vom Schmerz zerrissenen Brust und er eilte wie sinnlos zwischen den Bäumen hinweg . . .

Einige Rufe der Angst oder der Ueberraschung antworteten auf seine Stimme: vier oder fünf Personen, worunter drei Männer und ein junges Mädchen kamen herzugelaufen und suchten die Stelle zu entdecken, von wo, wie es ihnen schien, jemand in Gefahr um Hilfe gerufen hätte.

»Nun, das ist seltsam! murmelte Baas Job. »Hier an diesem Baum war es, sag’ ich Euch.«

»Ich dachte« es geschähe hier ein Unglück,« seufzte Hugo in voller Aufregung. »Ich glaube« ich habe mich in meinem Leben nicht so erschrocken!«

»Komm, komm,« bemerkte Herr Walter, »es wird ein Spaßmacher gewesen sein; die Bauern auf dem Dorfe haben manchmal eine gar seine Manier, witzig zu sein.«

»Dahin ist er gelaufen!« sagte Rosina mit schmerzlichem Ton, indem sie die Richtung zeigte, welche der Jüngling bei seiner Flucht genommen hatte.

»Rosina, komm her!« rief Mutter Job beklommen.

Die Gesellschaft lauschte noch eine kurze Weile, ob sich noch ein Geräusch vernehmen ließe, dann begaben sich Alle auf das Andringen der Mutter nach Hause. Unterwegs flüsterte Rosina ihrer Mutter wehmüthig zu:

»Mutter, Mutter, es war Gabriel!«

»Ach, was sind das nun für Gedanken?« erhielt sie zur Antwort, »seit diesem Mittag träumst Du von nichts anderem als von Gabriel. Wozu sollte er denn hier in der Dunkelheit sein? Ich würde es ihm schwer vergeben, wenn er solche alberne Possen anfinge, um uns zu erschrecken.«

Rosina bog den Kopf und folgte in schweigender Trauer.

Mutter Job

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