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Verheirathet
ОглавлениеAm Saume eines mexicanischen Urwaldes hielten, fackelbeleuchtet, zwei Reiter in klarer Nacht, der Eine ein europäisch gekleideter Weißer, die Linien des Gedankens auf der vergeistigten Stirn, der Andere, welcher die Fackel trug, ein Neger mit pfiffigem Gesichtsausdrucke.
»Ist’s hier,« fragte der Erstere, »wo wir rasten werden?«
»Ja, Herr,« antwortete der Fackelträger.
Sie ritten auf ein Blockhaus zu, das wie eingeklemmt aus Baumgruppen hervorblickte, wohl eine Art Nothwirthshaus, das hier, fern von jeder anderen menschlichen Wohnung, wie Freundesgruß lockte. Es schien von Gästen überfüllt zu sein; denn Lärm, Lieder und das dumpfe Gerassel der Negertrommel schollen den Ankommenden schon von weitem entgegen, und zahlreiche dunkle Gestalten bewegten sich in dem innern Raume, der durch die rothe Lohe brennender Kienfackeln und die Gluth eines mächtig aufflammenden Herdfeuers hell erleuchtet war. Aus den Fugen der Wände und den Oeffnungen, die als Thür und Fenster dienten, strahlte dieser Schein grell in die Nacht hinaus und zeichnete das Gebäude scharf ab von den stillen, schwarzen Massen des Urwaldes, die es von drei Seiten umgaben.
Einen Augenblick zögerte der Weiße, sich dem Schutz dieses ihm völlig unbekannten Obdaches anzuvertrauen. Es war die Zeit des Secessionskrieges; die unteren Theile der Bevölkerung, weit über die Grenzen der Union hinaus, waren durch denselben aufgewühlt, die Leidenschaften wogten in bedenklicher Weise, und für einen Reisenden, namentlich einen, der dem Welttheile fremd und mit dessen Sitten und Bräuchen nur wenig vertraut war, mußte Vorsicht doppelt gerathen erscheinen. Doctor Edmund Walter, ein junger deutscher Botaniker, befand sich auf Streifzügen durch einen Theil von Mexico, um die Wissenschaft durch Forschungen auf dem Gebiete der dortigen Flora zu bereichern; er hatte seit Wochen kein menschliches Antlitz gesehen, jenes seines Negers ausgenommen, und da dieser, der das Blockhaus kannte, feierlich versicherte, daß auch Jäger und Reisende besseren Standes, welche Zufall oder Geschäfte des Weges führten, hier nicht selten einzukehren pflegten, und daß der Wirth ein ruhiger, zuverlässiger Mann sei, so entschied die Sehnsucht, einen mehr oder minder gebildeten Menschen zu finden, von dem man Nachrichten aus den bewohnten Theilen des Landes erhalten konnte, dazu die Aussicht auf eine heiße Bowle, die nach dem langen Ritt in der empfindlich kalten Nachtluft doppelt willkommen erschien.
Der junge Gelehrte sprang vom Pferde, dessen Besorgung er seinem Neger überließ, und betrat das Haus.
Was er suchte, fand er nur zur Hälfte. Zwar wimmelte es in dem von Rauch geschwärzten Raume von Gestalten der verschiedensten Art; alle menschlichen Färbungen, bis in ihre kühnsten Schattirungen, schienen daselbst vertreten zu sein, und die romantische Zerrissenheit der Anzüge hätte das Herz eines Malers mit Wonne erfüllt. Allein vergebens spähte der Botaniker nach einem Repräsentanten der weißen Rasse, außer dem Wirthe, dessen scheue, abgeängstigte Physiognomie nicht darnach angethan war, besonderes Vertrauen einzuflößen. Es blieb ihm daher nichts übrig, als sich mit seiner eigenen Gesellschaft zu begnügen.
Er setzte sich in einen Winkel, bestellte sich die Bowle und ein Abendessen, so gut es eben zu haben war, und während er auf beides wartete, betrachtete er ausruhend das ihn umgebende Bild. Schwatzend, lachend und singend, auf wackligen Bänken und Stühlen sitzend oder auf dem Fußboden kauernd, essend und trinkend oder mit Karten und Würfeln beschäftigt, hatte die Gesellschaft ihrerseits nicht sonderlich auf den neuen Ankömmling geachtet. Ein Einziger hatte eine Ausnahme davon gemacht, und gerade dieser war es, der nach der ersten Umschau auch Walter’s Aufmerksamkeit ausschließlich fesselte.
Es war ein großer, wohlgebauter Mulatte mit auffallend kräftigem Körper, dessen intelligente, aber finstere und leidenschaftliche Gesichtszüge sich gelegentlich verzerrten unter den Zuckungen der Spielwuth, mit welcher er dem wechselnden Glücke seiner Würfe folgte. Besser gekleidet als alle Uebrigen, sogar mit unleugbarem Geschmack, wenn auch in den schreienden Farben, welche sein Stamm mit Vorliebe trägt, schien er ebenso an Geldmitteln wie an Nichtachtung derselben seinen Mitspielern überlegen zu sein; nach der Art, wie er bei Verlusten aus einem großen netzartigen Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war, die Geldstücke den Gewinnern hinwarf, und wie er sie einstrich, wenn er gewann – was meistens geschah – galt seine leidenschaftliche Aufregung offenbar nicht sowohl dem Gewinn oder Verlust, als vielmehr dem Spiel selber.
Das hätte schon genügt, um Walter’s Interesse zu wecken. Auffallender noch war es, daß der Mann trotz seiner Aufgeregtheit keinen Augenblick die Verbindung mit der nicht beim Spiel betheiligten Umgebung verlor. Kurz, doch stets mit befriedigender Deutlichkeit beantwortete er jede der zahlreichen Fragen, die von dem Einen und Andern, welcher zu ihm trat, an ihn gerichtet wurden, und warf oft ganz unerwartet blitzartige, entscheidende Bemerkungen in die Gespräche hinein, die zwischen verschiedenen Gruppen in seiner näheren Umgebung gehalten wurden. Und überall wurde, was er sprach, mit der zustimmenden Unterwürfigkeit entgegengenommen, die den Untergebenen gegen den Vorgesetzten ziemt.
Der Mann war unzweifelhaft eine erste Autorität unter seines Gleichen.
Während Walter sein Nachtmahl verzehrte und dazu seine Bowle schlürfte, überkam ihn plötzlich ein Gefühl, als habe er den Menschen schon früher gesehen, dieselbe hochragende Gestalt, dasselbe gebieterische Tragen des Kopfes und die meist von den langen Lidern verdeckten Augen, die, plötzlich sich öffnend, Blitze zu schleudern schienen. Hier und da auf den Marktplätzen der Städte durch die Menge streifend, im Dunkel des Urwaldes rasch verschwindend oder unversehens auftauchend aus den hohen Gräsern der Prairie – irgendwo an solchen Orten, und zwar öfters, mußte ihm der Mann begegnet sein, und jetzt dachte er daran, daß ja auch bei seinem Eintreten der Blick des Mulatten sich langsam von den Würfeln erhoben und ihn gestreift hatte mit einem Ausdruck – Walter konnte nicht sagen mit welchem, aber ein angenehmer war es keinesfalls gewesen. Es lag überhaupt nichts Anmuthendes in der glühenden dunklen Tiefe dieses Blickes, der selbst in seiner Ruhe an den des Königstigers erinnerte, wenn dieser, übersättigt und in sicherem Versteck hingelagert, das scheue ahnungslose Wild ungefährdet herankommen und vorbeistreifen läßt, zu träge, um eine Klaue zu rühren – nur der blinzelnde Blick folgt nach, als berechne er schon jetzt an dem Lebenden den Werth des ihm sicher zufallenden künftigen Fraßes.
Und wie Walter es dachte, hoben sich wieder jene düstern Augen, und wieder hefteten sie sich auf ihn mit demselben unerklärlichen Ausdruck, der dem jungen Manne jetzt ein beklommenes Gefühl erregte. Er stand auf und trat in’s Freie hinaus, um aus dem Gesichtskreise des Mulatten zu kommen.
Es war eine wundervolle, wenn auch herbstlich kalte Nacht. Durch die dichte Finsterniß der Tropen leuchtete der wolkenlose gestirnte Himmel mit bezaubernder Pracht. In die flammende Herrlichkeit über ihm verloren, saß er auf einem Baumstumpfe und hatte bald den sonderbaren Mulatten und sogar sich selbst vergessen.
Ein schwaches Geräusch vom Hause her weckte ihn aus seiner Versunkenheit, und den Blick dahin wendend sah er unter der weiten Thüröffnung den Mulatten stehen, deutlich von dem erhellten Hintergrunde sich abhebend, die Hand über die Augen gelegt, als spähe er aufmerksam in die Finsterniß hinaus. Neben ihm stand ein Neger, mit dem er gesprochen zu haben schien, doch huschte dieser eben in das Haus. Walter glaubte seinen Diener erkannt zu haben, nur war die Erscheinung zu flüchtig gewesen, um einen sichern Anhalt zu bieten. Der Mulatte mußte sich jetzt genügend orientirt haben, denn raschen sichern Fußes schritt er vorwärts durch die Finsterniß und blieb, als sehe er Walter, in Gesprächsweite von ihm stehen.
»Seid Ihr der kräuterkundige Fremde, der seit einiger Zeit sein Wesen in dieser Gegend treibt?« fragte er im correctesten Französisch und mit einer Stimme, deren eigenthümlicher Wohllaut, trotz der herrischen Betonung, dem Botaniker schon vorhin aufgefallen war.
»Ja,« antwortete er verwundert. »Wollt Ihr etwas von mir?«
»Ihr kehrt in Eure Heimath zurück, und zwar bald, sowie Ihr den Zweck dieser Reise erreicht habt?«
»Allerdings,« versetzte Walter, nicht wenig überrascht, den Farbigen in seine Absichten so gut eingeweiht zu sehen.
Der Mulatte schwieg eine Weile.
»Wohl dem, der eine Heimath hat!« sagte er dann.
»Ja wohl,« stimmte Walter dieser unerwarteten, fast lyrisch gefärbte Bemerkung zu.
»Wollt Ihr heirathen?« fragte plötzlich der Mulatte.
Walter stutzte. Der Mann schien es darauf abgesehen zu haben, ihn von Ueberraschung zu Ueberraschung zu führen.
»Nein,« sagte er endlich, und dann mußte er lachen. Ein blondes Bäschen fiel ihm ein, das ihm stets als der Inbegriff aller weiblichen Abgeschmacktheit erschienen war und mit dem seine gute Mutter verfängliche Pläne gegen die Freiheit ihres Sohnes geschmiedet. Diese mütterlichen Bestrebungen, denen er nicht schroff begegnen wollte, hatten ihr gutes Theil dazu beigetragen, ihm die Reise über’s Meer als eine angenehme Abwechselung erscheinen zu lassen.
»Ihr seid ein junger Mann und bedürft einer Hausfrau,« fuhr der Mulatte fort, »vielleicht seid Ihr schon verheirathet?«
»Auch das nicht. Die Wissenschaft ist bis jetzt meine einzige Geliebte gewesen, und nie wird sie mein Herz mit einem irdischen Weibe theilen. Ich denke, Ihr versteht mich,« setzte Walter gutlaunig hinzu. Die Sache amüsirte ihn.
Vielleicht verdroß der leichte Spott den Mulatten. »Des Menschen Schicksale werden noch durch andere Einflüsse geleitet, als den eigenen Willen,« bemerkte er scharf.
»Gewiß,« versetzte Walter. »Allein gerade im Punkte des Heirathens erfreut sich der Mann, wenigstens bei uns, einer glücklichen Freiheit, die Keiner sich so leicht wird entwinden lassen.« »Es kommt auf die Macht der Umstände an. Denkt Euch, Ihr hättet keine Wahl, als die Frau —«
»Ich würde einfach Nein sagen.«
»Auch um den Preis Eures Lebens?«
Walter verlor die gemüthliche Stimmung.
»Das Leben ist Jedem eine kostbare Sache,« sagte er ernst. »Hat man doch nur das eine. Und eben darum hat der Staat diese kostbare Sache unter den Schutz des Gesetzes gestellt.«
Ueber die Lippen des Mulatten kam ein Laut, von dem es schwer war zu entscheiden, ob er mehr Zorn oder Verachtung ausdrücken sollte. Walter erhob sich. Das Gespräch, in dem er nichts als eine rohe Verhöhnung sah, fing an, ihm lästig zu werden, und er wollte in das Haus zurück. Der Farbige vertrat ihm den Weg.
»Bleibt!« herrschte er den Deutschen an. »Ihr sollt meinen Willen thun, ob Ihr nun wollt oder nicht. Ich habe nicht umsonst Tage und Wochen und meiste besten Kundschafter daran gewendet, bis ich Euch hierher gelockt. Zwingt mich nicht, Mittel anzuwenden, vor denen all Euer Widerstand vergebens wäre. Das Mädchen, für das ich Euch bestimmt, vereinigt Alles, was ein Mann Eurer Art sich wünschen kann.«
»Ich aber will sie nicht!« rief Walter, dem der Zorn nachgerade zu Kopfe stieg.
»Sie ist schön.«
»Meinetwegen.«
»Sie ist reich.«
Walter antwortete nicht und machte ein paar Schritte dem Hause zu. Der Mulatte blieb dicht neben ihm.
»Ihr sucht mir umsonst zu entkommen,« sagte er. »Ueberlegt es nochmals! Ihr seid in meiner Gewalt. Wollt Ihr das Mädchen heirathen oder nicht?«
»Ich habe es Euch schon gesagt – nein!« rief Walter, um so ärgerlicher, als er zu seiner Beschämung fühlte, daß er immer mehr die Geduld verlor, während sein Gegner vollkommen ruhig blieb.
»Nun gut, so seid Ihr mein Gefangener,« sprach der Mulatte und hatte im selben Moment Walter’s Arm mit eisernem Griffe gefaßt.
Der junge Botaniker war den gewöhnlichen Vorfällen des Lebens gegenüber weit mehr ein Träumer, als ein Mann der That. In seiner Wissenschaft, wie in einer unbezwinglichen Festung, verschanzt, hatte er sich von den Leidenschaften und Wirren der außerhalb sich bewegenden Wirklichkeit bisher nur wenig berührt gefühlt. Dennoch stählte der rohe Angriff, der ihn so unerwartet traf, seine Nerven blitzartig zu ihrer ganzen, von ihm selbst kaum geahnten Kraft. Mit einem raschen Rucke machte er sich frei, sprang zwei Schritte zurück und hatte im nächsten Augenblicke auch schon den Revolver gefaßt. Aber mit der Waffe in der Hand und dem Bewußtsein der damit verbundenen Uebermacht, kehrte ihm auch sogleich die gewohnte Mäßigung zurück. Er war überzeugt, er habe es mit einem Wahnsinnigen zu thun, und einen Kranken niederschießen wegen der Aeußerung seiner Krankheit, das war für sein Gewissen weit ärger, als ein gewöhnlicher Mord. Er trat daher noch etwas weiter zurück, und den Revolver in Bereitschaft haltend, sagte er ruhig, aber fest: »Ich kenne Euch nicht und weiß nicht, was Ihr wollt. Laßt mich in Frieden! Ich habe nichts mit Euch zu thun —«
»Ihr sollt mich kennen lernen,« zischte der Mulatte, und in seiner Stimme, obgleich sie jetzt verhalten war, grollte es wie drohendes Gewitter. »Ja, Ihr sollt Melazzo Guizcoa kennen lernen, und daß er noch nie vergebens gedroht —«
Und plötzlich, wie rasend und blind, drang er von Neuem auf den jungen Gelehrten ein.
War es das Knacken des Hahnes an dessen Revolver oder der gleichzeitige Schrei eines Condors, der, wie aus der Ferne, und doch scharf und deutlich über den Wipfeln hin zu den Beiden drang, was ihn plötzlich in seinem Anlaufe inne halten ließ? Er war jetzt Walter so nahe, daß dieser sein rasches heftiges Athmen vernehmen konnte, während er die dunkle Gestalt, sich schwarz abzeichnend von der umgebenden Finsterniß, in gespanntem Horchen regungslos stehen sah. Noch einmal ertönte der Schrei – und noch einmal, diesmal in schneller Wiederholung – der Mulatte wich zurück. Doch auch im Hause mußte der Schrei seine Wirkung thun, denn unter den Leuten drinnen entstand plötzlich eine jähe, sich überstürzende Bewegung.
»Ich muß fort,« sagte der Mulatte, tief aufathmend. »Denkt an Melazzo Guizcoa – vergeßt den Namen nicht, denn ich habe beschlossen, daß er mit Euch bis an das Ende Eures Lebens gehen soll! Lebt wohl! Wir werden uns wiedersehen —«
Und er war verschwunden, als habe der Boden ihn verschluckt.
Walter kehrte in das Haus zurück; es war leer. Er sah sich nach seinem Neger um und entdeckte ihn nach kurzem Suchen, fest eingeschlafen, im Stalle neben den Pferden. Der Mensch, welcher ihm durch eine erstaunliche Kenntniß der Wege in der Gegend bisher sehr nützlich gewesen, war ihm plötzlich verdächtig geworden, und er faßte den Entschluß, ihn am andern Morgen zu entlassen.
Als er wieder in die Wirthsstube trat, fand er dieselbe von neuem Leben erfüllt. Ein zahlreicher Trupp Männer, welche eben von den Pferden gestiegen waren, zwängte sich lärmend zur Thür herein, während draußen Pechfackeln, welche der Schaar den Weg beleuchtet, auf der Erde ausgestoßen wurden. Es waren reiche mexikanische Pflanzer und Sclavenbesitzer, zu denen sich einige der nahe angrenzenden Union gesellt hatten, durchweg Weiße und von den verschiedensten Altersstufen, vom unbärtigen Jüngling bis zum silberhaarigen Greise, aber Alle rüstig, Alle bis zu den Zähnen bewaffnet, Alle auch, ohne Unterschied, von wüstem, zügellosem Aussehen und mit jenem unverkennbaren Gepräge, welches nur die lange Gewohnheit des Befehlens den Gesichtern eingräbt. Mit ihrem rücksichtslosen Hereinstürmen, ihrem Rufen, Lachen und Schreien und dem harten Auftreten ihrer hohen schweren Stiefel bildeten sie einen scharfen Gegensatz zu der dunklen, wilden, dürftig beschuhten Schaar, die so gespensterhaft flüchtig in die Nacht verschwunden war.
Ein alter Neger, der dem Wirth gehörte, hatte alle Mühe, dem ungeduldigen Begehren der herrischen Gäste nach heißen Getränken mit genügender Schnelle zu entsprechen, und auch die junge Wirthin war erschienen, um bei ihrer Bedienung behülflich zu sein. Die ganze Gesellschaft befand sich in der größten Aufregung. Walter war kaum eingetreten, so brachte man gewaltsam den Wirth geschleppt, und auf das Haupt des todtbleichen zitternden Mannes fuhren von allen Seiten Fragen und Flüche nieder, wie Schloßen auf ein Weizenfeld, während er, trotz der Angst, die ihn sichtbar schüttelte, starrsinnig dabei blieb, daß er nichts wisse, Niemand gesehen habe und sich überhaupt um seine Gäste nur so weit kümmere, als es bei seinem Beruf als Wirth unerläßlich sei.
Auf sein Befragen erfuhr Walter, daß die Herren sich auf der für sie interessantesten aller Jagden befänden, nämlich auf einer Menschenjagd. Man hatte vor einigen Monaten den Besitzer einer großen mexikanischen Plantage mit Weib und Kindern und einem Theile seiner Sclaven ermordet gefunden; die Anderen waren entflohen, und auf diese fiel natürlich der Verdacht. Noch stärker fiel er auf einen gewissen Melazzo, den nachgelassenen Bastard eines vornehmen Mexikaners, dem sein Vater, aus unbegreiflicher Eingenommenheit für den malpropren, aber begabten Sprößling, eine ungewöhnlich sorgfältige Erziehung hatte angedeihen lassen.
Viel war dabei die Rede von der Raubgier und Grausamkeit des wilden Gesellen, und eine Reihe ruchloser Thaten wurde zur Bekräftigung erzählt, besonders wie er seine Laufbahn damit begonnen, den eigenen Bruder und Erben seines Vaters zu erdrosseln, als dieser ihn einst mit der Peitsche geschlagen. Seitdem treibe er sich flüchtig umher, habe bei allen bösen Streichen seine Hand im Spiele und spotte dabei jeder Verfolgung, da er über die farbige Bevölkerung des Landes und leider nicht minder über die herabgekommene weiße eine geradezu zauberhafte Macht besitze. Deshalb hatten denn zuletzt die Herren selbst sich verbunden, und dem Treiben des Burschen, den sie offenbar in gewissem Sinne für gefährlicher hielten, als die ganze unionistische Armee, sollte ein Ende gemacht werden um jeden Preis. Sichere Kundschafter wollten ihn in der Nähe gesehen haben; in dieser Posada sollte er sein Lager aufgeschlagen haben, und so hatten sie sich in der prächtigsten Jagdlaune aufgemacht, um den dunkelhäutigen Bösewicht abzufangen und ihm ohne weiteren Proceß an einem der nächsten Bäume den Garaus zu machen.
Dabei war es ihnen nun gegangen, wie schon oft Anderen vor ihnen: sie hatten das Nest leer gefunden, und der gesuchte Vogel saß Gott weiß wo und sang ihnen sein Spottlied nach.
Seltsamer Weise kam Niemand auf den naheliegenden Einfall, Walter wegen eines vermutheten Besuchs des Mulatten im Wirthshause zu befragen. Von selber aber der Gesellschaft mitzutheilen, wie nahe er noch vor wenigen Minuten den Gesuchten vor dem Revolver gehabt, dazu verspürte er im Hinblicke auf den unglücklichen Wirth keine Lust. Er lehnte auch die Einladung, sich an der weiteren Hetze zu betheiligen, die ihm von mehreren Seiten gemacht wurde, unter dem Vorwand von Ermüdung mit ruhigen, höflichen Worten ab und zog sich bald in die Kammer zurück, welche die Wirthin, dankbar für sein Schweigen, ihm in der Eile zurecht gemacht hatte. Die Männer hatten unterdessen stehend ihre Gläser ausgetrunken; jetzt zündeten sie ihre Fackeln wieder an, und gleich darauf hörte Walter sie unter wildem Hallo davonbrausen, froh, der unheimlichen Verwickelung nach beiden Seiten hin in so guter Art entkommen zu sein.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als er am nächsten Morgen mit seinem Neger bereits wieder auf der Wanderung war. Die Absicht, seinen verdächtigen Begleiter zu entlassen, hatte er aufgegeben, seit der neue Morgen ihm die Ruhe der Ueberlegung und das gewohnte Phlegma wiedergegeben hatte. So trabten sie denn weiter zusammen in friedlicher Vereinigung, und wenn der Schwarze wirklich Grund hatte, mit dem Ausgang der gestrigen Begegnung unzufrieden zu sein, so war er klug genug, es nicht merken zu lassen.
Um vor jeder Möglichkeit einer neuen Begegnung mit Melazzo gesichert zu sein, hielt es der Botaniker für das Klügste, ein Land zu verlassen, wo die Gesetze nur dem Namen nach existiren, und sich und seine Mission sobald wie möglich unter den Schutz der nordamerikanischen Flagge zu stellen.
So hatte er sich denn wohlgemuth der nahen Grenze zugewendet, und in seinem Herzen bat er dem Neger die ungerechte Verdächtigung ab, als er diesen in einer wahrhaft kindlichen Freude über die veränderte Reiseroute sich ergehen sah.
Es mochte der dritte Nachmittag nach jenem ereignißreichen Abend sein, als Walter, der sich bereits wohlbehalten auf dem Boden der Union befand, nach einer ungewöhnlich erfolgreichen botanischen Streiferei, behaglich im Schatten einer weit ausgebreiteten Platane hingestreckt, seine wissenschaftliche Ausbeute zu besserer Einsichtnahme vor sich ausgebreitet hatte.
In freudige Betrachtungen über die günstigen Erfolge des Tages versunken, hörte er plötzlich einen Gegenstand pfeifend durch die Luft sausen, und fast zu derselben Zeit hatte sich die Schlinge eines Lasso fest um den Hals des jungen Mannes gelegt. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank er rücklings auf den Boden zurück, von dem er sich eben erhoben hatte. »Nicht tödten!« hörte er noch den in spanischer Sprache ertheilten Befehl und verlor dann für einen Augenblick die Besinnung.
Als er erwachte, fühlte er sich an Händen und Füßen gebunden; dunkle Gestalten bewegten sich um ihn; der Lasso wurde von seinem Halse genommen und ein Knebel zwischen seine gewaltsam geöffneten Zähne geschoben. Dann hoben ihn zwei Neger in die Höhe, warfen ihn wie einen Sack Getreide über ihre Schultern, und fort ging es unter Lachen, Johlen und Singen, quer durch den Wald, daß die Aeste der Bäume und die dornigen Zweige der Lianen dem Gefangenen empfindlich in das nach aufwärts gewendete Gesicht schlugen.
Eine Stunde etwa dauerte der Marsch; dann lichtete sich der Wald; ein weiter Wiesenraum dehnte sich vor ihnen aus, und zugleich schlugen die Laute einer größeren Menschenmenge an Walter’s Ohr. Er versuchte den Kopf zu wenden: Lagerfeuer brannten an vielen Stellen über die Lichtung verstreut, und um dieselben wimmelte es von abenteuerlichen Gestalten, alle der farbigen Race angehörend, in einer Anzahl, die dem Deutschen in seinem jetzigen halbbetäubten Zustande geradezu unübersehbar erschien.
Bei dem Erscheinen des Trupps, welcher den Gefangenen brachte, bemächtigte sich dieser Strolche eine unbeschreibliche Aufregung. Wer in der Nähe war, warf unter Fluchen und Verwünschungen weg, was er gerade in den Händen hielt, um mitzugehen, und von den entfernteren Punkten liefen die Anderen herbei und schlossen sich an. Dazwischen erscholl das Bellen der Hunde, das Weinen und Schreien der gestoßenen und getretenen Kinder, das schrille Rufen der Weiber.
Die Träger hatten noch nicht Halt gemacht, als eine mächtige, wohlbekannte Stimme an Walter’s Ohr schlug.
»Habt Ihr ihn endlich?«
»Ja, Herr!« lautete die Antwort.
Dann noch einige Schritte, und mit einem plötzlichen Rucke sah sich der unglückliche Gelehrte dicht neben einem riesigen offenen Feuer auf die Erde versetzt.
Seine erste Bewegung deutete auf den, freilich vergeblichen, Versuch, sich der gefährlichen Nähe der züngelnden Flammen zu entziehen. Ein rohes Lachen der ihm zunächst Stehenden antwortete hierauf, und schon hoben sich ein paar nackte braune Füße in der unverkennbaren Absicht, ihn dem feindlichen Gluthherde noch näher zu schieben, als ein leiser drohender Laut der soeben gehörten befehlenden Stimme im Momente rings umher lautlose Ruhe schuf. Aufblickend, erkannte Walter die hohe Gestalt und die grausamen kalten Augen des Mulatten Melazzo, die in aufmerksamer Beobachtung auf ihn gerichtet waren.
»Pedro!« rief der Mulatte jetzt.
Ein junger Mestize trat vor, der die Leitung des Unternehmens gehabt zu haben schien.
»Es ist der Spion, Herr, der Deinen Zufluchtsort verrathen hat. Heute trafen wir ihn, als er eben seine Zaubermittel vor sich ausgebreitet hatte. Möge ihn die verdiente Strafe treffen!«
Der Mulatte nickte. Seine unheimlichen Augen verließen den Gefesselten nicht einen Augenblick.
»Ja, er ist es,« sagte er dann mit der eigenthümlich wohllautenden Stimme, die für Walter das Entsetzliche seiner Erscheinung womöglich noch erhöhte. »Er ist der Mann, der nicht nur mich, sondern uns Alle dem Strick der weißen Schufte ausliefern wollte. Was werden wir mit ihm beginnen?«
Ein Zucken zweideutigen Erstaunens lief über all die gaffenden, in höchster Spannung stierenden dunklen Gesichter; dann folgte ein Murmeln, welches ungefähr die Meinung kundgab, daß der umliegende Wald Bäume genug enthalte, um die ganze Sclavenhalter-Armee an ihren Zweigen baumeln zu sehen, und daß daher nichts leichter sei, als diesen einzelnen wehrlosen Deutschen mit einem passenden Galgen zu versorgen.
Der Mulatte nickte auf’s Neue. Ueber seine bronzenen Gesichtszüge glitt es wie herber Hohn, doch nur für die Dauer einer Secunde. Er erhob den Kopf, und die frühere athemlose Stille trat wieder ein.
»Er hat den Tod verdient,« sagte er mit laut erhobener Stimme. »Wir stehen indessen nicht allein. Der Union, den Befreiern der Sclaven sind unsere Dienste gewidmet, und General Grant zahlt mit freigebiger Hand jede Kundschaft, die wir ihm bringen. Die Aussagen dieses Menschen können ihm und dadurch auch uns von Nutzen sein. Ueberlaßt ihn daher mir! Ich werde ihn auszuforschen wissen, und Ihr sollt alle mit mir zufrieden sein.«
Wieder durchlief ein Murmeln die Versammlung; nach kurzem, unsicherem Zögern erfolgte endlich die einstimmige Einwilligung. Der Mulatte schien es nicht anders erwartet zu haben. Ruhig winkte er ein paar Leute heran.
»Bringt den Gefangenen in Sicherheit!« sagte er. »Die Nacht ist da; Ihr werdet müde und hungrig sein; ein Fäßchen Rum steht für Euch bereit. Geht und laßt es Euch schmecken.«
Ein tobender Jubel antwortete dieser Rede. Wieder wurde Walter aufgehoben und wenige Minuten darauf befand er sich in einer Art von Verschlag, der, roh aus ungeschälten Holzstämmen ausgeführt, zur Aufbewahrung von Kisten und allerhand Vorräthen diente. Die schwere Thür wurde geschlossen, und eine eiserne Stange von außen davor befestigt; der junge Mann war allein und hatte ungestörte Muße, seine Lage zu übersehen, so weit nämlich die traumartige Betäubung, von der er sich noch immer nicht befreien konnte, und das schmerzende Einschneiden seiner Bande ihm die Fähigkeit dazu ließe.
Walter glaubte nicht, daß Melazzo es auf seinen Tod abgesehen – und doch – wenn es kein anderes Mittel zur Rettung gab, als eines, das offenbar der Wahnsinn erfunden hatte – Walter’s Seele bäumte sich schaudernd auf bei dem Gedanken. Sollte er ein Weib aus dieser blutgetränkten Hand empfangen, dann dünkte ihm selbst der Tod eine Erlösung.
Allein der Tod ist kein Gast, den man mit offenen Armen und lächelnder Lippe zu empfangen pflegt, und Walter hatte so Vieles, was ihm das Leben theuer machte: eine segensreiche Wirksamkeit, den Ruhm des Gelehrten, und vor Allem die Heimath, von der er jetzt erst fühlte, wie stark sie seine Seele fesselte.
Sie war ihm kein Paradies gewesen, diese Heimath, denn Walter war armer Leute Kind und hatte sich durchkämpfen müssen durch des Lebens Noth – es war ihm gelungen – und wie Vieles enthielt diese Heimath nicht sonst noch, wie Vieles, das ihm theuer war! Der letzte Brief, den er der Mutter geschrieben, er sollte nun der letzte bleiben für alle Ewigkeit.
Walter stöhnte auf im grimmen unaussprechlichen Schmerze. Und dazwischen kamen immer wieder die körperliche Leiden und steigerten sich zur unerträglichen Qual. Er konnte nicht schreien; denn der Knebel riß seinen Mund aus einander und drückte ihm die ausgedörrte Zunge gegen den trockenen, brennenden Gaumen – ach! und er hätte Alles gegeben, was er auf Erden besaß, für einen einzigen labenden Trunk.
Endlich nahm die fieberhafte Betäubung immer mehr überhand und versenkte ihn in einen Zustand halber Vergessenheit. Da weckte ihn ein Geräusch, das vor dem Verschlage entstand. Die eiserne Stange wurde von der Thür weggenommen; diese öffnete sich; Licht drang herein, und Melazzo erschien auf der Schwelle. Ein junger Neger hinter ihm trug eine Fackel, die er, vortretend, an der Mauer in eine rohe Klammer befestigte; dann bückte er sich zu dem Gefangenen nieder, löste den Knebel aus seinem Munde und rückte ihn in sitzende Stellung, worauf er sich schweigend entfernte.
Melazzo hatte dem ganzen Vorgehen stumm mit verschränkten Armen zugesehen; nun trat auch er vor, stieß mit dem Fuße einen großen Holzblock in die gehörige Lage und setzte sich nieder. Dann zog er mit Gelassenheit ein höchst zierlich gearbeitetes silbernes Etui hervor, das schwerlich auf gesetzlichem Wege in seinen Besitz gelangt war, entnahm ihm einige Cigaretten und begann mit größter Gemüthsruhe zu rauchen, indem er dabei mit offenbarer Befriedigung seinen Gefangenen betrachtete.
Walter wandte die Augen weg, um sich den verhaßten Anblick zu ersparen. Melazzo rauchte unbekümmert weiter. Endlich hatte er seine Cigaretten zu Ende geraucht, und Walter fühlte, daß nach der Komödie jetzt der Ernst sich geltend machen werde.
»Ihr seht, daß ich Wort zu halten weiß – wir sehen uns wieder,« eröffnete Melazzo das Gespräch. »Könnt Ihr nicht sprechen, oder habt Ihr mir nichts zu sagen?« fuhr er fort, da der Deutsche schwieg.
»Was soll ich sagen? Wir sehen uns wieder – das Wie und Warum und die Folgen, welche dieses Wiedersehen haben wird, mögt Ihr vor Eurem Gewissen verantworten.«
Der Mulatte zuckte die Achseln.
»Das Warum habt Ihr vorhin gehört,« sagte er ruhig.
»Ich habe Euch nicht verrathen.«
»Ich weiß es.«
»Und doch behandelt Ihr mich wie einen überwiesenen Verbrecher?«
»Könnt Ihr meinen Leuten beweisen, daß Ihr unschuldig seid?«
»Ich nicht, aber Ihr. Sprecht vernünftig mit diesen Menschen, und sie werden Euch glauben.«
»Lenkt man wüthende Massen durch die Stimme der Vernunft? Nur der gesättigte Tiger hört auf den Befehl seines Wärters.«
»Und das ist Eure Gerechtigkeit?« stöhnte Walter auf.
»Was haben wir mit der Gerechtigkeit zu thun? Wird die Natur durch Gerechtigkeit beherrscht? Wenn der Orkan die Palme fällt, ist es die Gerechtigkeit, die ihren Schaft zerknickt?«
»Nein – aber Ihr wißt es, daß ich unschuldig bin.«
»Auch die Antilope ist unschuldig, und doch trifft sie das Blei des Jägers.«
Er schwieg und eine Weile ruhte sein Blick wie in tiefen finsteren Gedanken auf dem Gefangenen.
»Wo so viele Schuldige straflos durchkommen,« fuhr er dann ruhig fort, »was liegt daran, ob ein Schuldloser zu Grunde geht? Denkt an die Generationen farbigen Blutes, die, durch Eures Gleichen von ihrem natürlichen Boden gerissen, in der Fremde unter Martern lebten, unter Martern starben und Alle, Alle in Verzweiflung hinüber gingen, und dann beklagt Euch, daß Euer Loos ein zu hartes ist! – Nein, Ihr müßt sterben, wenn ich Euch nicht rette – und dazu giebt es nur einen Weg: Ihr müßt das Mädchen heirathen, für das ich Euch bestimmt —«
»Niemals!« rief Walter verzweifelnd.
»Ihr müßt sie heirathen, oder morgen hängt Ihr als Leiche an einem der nächsten Bäume – das ist die mildeste Todesart, die ich Euch versprechen kann.«
»In Gottes Namen!« rief Walter mit einer Art zorniger Ergebung. »Wollt Ihr mich morden, so macht es wenigstens kurz!«
»Hört mich an: das Mädchen ist jung, schön, reich, wohlerzogen, von guter Familie. Hunderte werden Euch beneiden.« Und er setzte mit cynischer Ironie hinzu: »Sie hat sogar die Ehre, mit mir verwandt zu sein.«
Walter schauderte, und unwillkürlich schloß er die Augen, als könne er es dadurch ermöglichen, sie nicht einmal in Gedanken zu sehen. Dann besann er sich.
»Wenn sie das alles ist, warum heirathet Ihr sie nicht selbst?« fragte er rasch.
»Es war auch meine Absicht, allein sie will mich nicht. – Ja,« wiederholte er und sah an seiner stattlichen Gestalt hinunter, als könne er solche Verblendung nicht begreifen, »sie will mich nicht. Sie hat erklärt, lieber, als noch einmal von einer Heirath mit mir auch nur zu hören, werde sie sich das Leben nehmen, und der kleine Satan,« setzte er mit einer Art grimmig verbissenen Lachens hinzu, »ist wirklich im Stande, es zu thun. – Uebrigens habe ich mich inzwischen verheirathet. Folgt meinem Beispiel und entscheidet Euch schnell! Die Zeit ist kurz.«
»Aber großer Gott, ich kann einmal nicht heirathen!« rief Walter außer sich. »Es ist nicht meine Schuld – ich hege eben eine unüberwindliche Abneigung gegen die Ehe, und mein Beruf —«
»Nun, Ihr müßt es ja wissen, ob Ihr lieber hängen wollt,« unterbrach ihn Melazzo trocken.
»Bedenkt, daß meine Regierung, daß die amerikanische Regierung, daß General Grant, dem Ihr dient, niemals ein solches Verfahren dulden würden! Bedenkt, daß sie einen Mord, der an einem friedlichen Reisenden und obendrein an einem Vertreter der Wissenschaft begangen wird, ahnden werden!«
»Und was kümmert das mich?« rief Melazzo dagegen. »Was vermögen sie überhaupt in diesen Wäldern gegen mich? Wo der Löwe brüllt, muß selbst der Tiger weichen; wo Melazzo steht, da kann kein Anderer Gebieter neben ihm sein.«
»Wird es immer so bleiben? Werdet Ihr nie die Wälder verlassen?«
»Nicht mit mir hat es die Regierung zu thun,« entgegnete ruhig der Mulatte. »Nicht mein Opfer seid Ihr – merkt es Euch! – sondern das meiner Leute, die in Euch den Spion der Secessionisten sehen. Ihr wehrt Euch umsonst, und der Tod ist Euch gewiß, wenn Ihr nicht meinen Willen thut. Aber ich hasse Euch nicht; ob Ihr lebt oder sterbt, was kümmert es mich? Meiner Rache fallen der Opfer genug; ich brauche Euch nicht dazu, und selbst in dem, was ich von Euch fordere, habe ich es nicht auf Euer Unglück abgesehen. Meine Lebensschicksale mögen Euch meine Handlungsweise erklären. Ich bin der Sohn eines Weißen und einer seiner Sclavinnen. Ich hatte einen liebevollen Vater, aber dafür hegte der Bruder desselben eine um so unbegrenztere Antipathie gegen den farbigen Bastard-Neffen, und manche Strafe und Demüthigung, die meine Jugend traf, danke ich ihm. Er that mehr – er, dieser Onkel —« die Augen des Mulatten glühten und seine Fäuste ballten sich – »er hat nach meines Vaters plötzlichem Tode meine Mutter weit hinein in die Union verkauft und unserer Beider Freibrief aus dem Nachlasse verbrannt. Er war ja Vormund für meinen saubern Halbbruder, dem die Erbschaft zufiel, und dieses Brüderchen – haha! – dieses Brüderchen war die getreue Copie des Onkels und ich der ‚Hund von einem Sclaven’ für ihn. Während der Herr Onkel in Europa drüben sich vergnügte, hörte sein Neffe hier eines Tages auf zu leben. Ich hatte zufällig einen Strick gefunden, der ihm paßte. Seitdem habe ich in den Wäldern auf die Rückkehr des Onkels gewartet; und ich mußte lange warten – bis der Krieg ausbrach. Da kam er herüber und fing an, auf mich zu fahnden.«