Die Verwissenschaftlichung der ›Judenfrage‹ im Nationalsozialismus
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Horst Junginger. Die Verwissenschaftlichung der ›Judenfrage‹ im Nationalsozialismus
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: religion matters
2. Religion, Blut und Rasse aus religionswissenschaftlicher Sicht
3. Die Universität Tübingen und die Juden: von der Universitätsgründung im Jahr 1477 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
4. Die Weimarer Republik als Höhepunkt und Wende der Judenemanzipation: Institutionalisierungsprozesse und ihr Ende
5. Die „Judenfrage“ stellt sich neu
6. Die Auseinandersetzungen um eine Professur zum Studium der „Judenfrage“
7. Antisemitismus in Theorie und Praxis: „the smoking gun“
8. Antisemitismus in letzter Konsequenz
9. Im Fluss der Geschichte
Abkürzungsverzeichnis
Archivquellen
Bibliographie für die Zeit vor 1945
Bibliographie Sekundärliteratur
Personenregister
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Hinweise des Verlages
Fußnoten. 1. Einleitung: religion matters
2. Religion, Blut und Rasse aus religionswissenschaftlicher Sicht
3. Die Universität Tübingen und die Juden: von der Universitätsgründung im Jahr 1477 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
4. Die Weimarer Republik als Höhepunkt und Wende der Judenemanzipation: Institutionalisierungsprozesse und ihr Ende
5. Die „Judenfrage“ stellt sich neu
6. Die Auseinandersetzungen um eine Professur zum Studium der „Judenfrage“
7. Antisemitismus in Theorie und Praxis: „the smoking gun“
8. Antisemitismus in letzter Konsequenz
9. Im Fluss der Geschichte
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Horst Junginger
Die Verwissenschaftlichung der „Judenfrage“ im Nationalsozialismus
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Eine der methodischen Grundannahmen der Religionswissenschaft geht von der Notwendigkeit zur Distanzierung vom religiösen Gehalt ihrer Gegenstände aus. Wie bei allen Erscheinungen der Religionsgeschichte sucht die Religionswissenschaft auch im Fall der „Judenfrage“ nach nichtreligiösen Erklärungen für bestimmte religiöse Verhaltensweisen. Interpretationen, die selbst auf religiösen Vorannahmen beruhen und normative Glaubensaussagen zum Ausgangspunkt haben, sind mit ihren Methoden und Prinzipien nur schwer vereinbar. Gerade am Beispiel der „Judenfrage“ wird ersichtlich, worin sich eine theologische und eine religionswissenschaftliche Herangehensweise voneinander unterscheiden. Für die christliche Theologie besteht der alles entscheidende Punkt darin, ob das Heilsgeschehen auf Golgatha für wahr gehalten wird oder nicht. Ohne das Norm setzende und alles Nachfolgende präjudizierende Glaubenspostulat des auferstandenen Christus hätte sie keine Existenzberechtigung. Man kann nicht Christ oder christlicher Theologe sein, ohne an die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu drei Tage nach seinem Tod zu glauben. Die Kreuzigung Jesu bildet zugleich aber auch den Nervus rerum der „Judenfrage“. So wie sie für die Christen der Wendepunkt zum Heil ist, so für die Juden zum Unheil. Dass überhaupt eine „Judenfrage“ entstehen und zwei Jahrtausende lang nicht gelöst werden konnte, liegt an der Schuld der Juden und an ihrer halsstarrigen Verweigerung, sie anzunehmen. Würden sich die Juden zum christlichen Heiland bekehren und die Autorität des Christentums anerkennen, hätte sich das Problem auf einen Schlag erledigt. Das Dilemma des Christentums ist darin zu sehen, dass es sich von der zu überwindenden jüdischen Vorgängerreligion so schroff als möglich abgrenzen und die Tötung Jesu als die denkbar schwerste Freveltat bezeichnen musste. Gleichzeitig war das Christentum aber in existenzieller Weise auf den jüdischen Deizid angewiesen. Ohne jüdisches Verbrechen kein christliches Heil. Die theologische Schwierigkeit der „Judenfrage“ resultiert aus diesem doppelten Verhältnis gleichzeitiger Anziehung und Abstoßung. In jeder Feier der Eucharistie wird die jüdische Bluttat durch die Erinnerung an das Opfer Jesu in Erinnerung gerufen. Mit der ständigen Enttäuschung konfrontiert, dass gerade die Juden die Wahrheit des Christentums erkennen müssten, statt dessen aber durch ihre trotzige Haltung das Gegenteil bezeugen, lag es religionspsychologisch vermutlich nahe, die Schuld auf die Juden zu projizieren und sie selbst für das „Judenproblem“ verantwortlich zu machen.
Das, was für die christliche Theologie das Wichtigste ist, ist für die Religionswissenschaft irrelevant. Ob der mit der Kreuzigung Jesus in Verbindung gebrachte Wahrheitsanspruch des Christentums – oder der irgendeiner anderen Religion – gerechtfertigt ist, fällt nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Sie kann nur in einem wissenschaftlichen und nicht in einem religiösen Verhältnis zu den von ihr behandelten Gegenständen stehen. Bei der Vielzahl der Religionen, mit denen sie es zu tun hat, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie sich religiös wertender Urteile enthält und keiner Glaubensweise den Vorzug gibt. Die einfache Erkenntnis, dass nur der religiöse Glaube und nicht der Glaubensinhalt selbst eine religionsgeschichtliche Tatsache ist und dass sich die Religionswissenschaft deshalb im Gegensatz zur Theologie nicht mit Gott und den göttlichen Dingen, sondern nur mit der empirisch fassbaren Religion beschäftigt, bringt einen grundlegenden Wechsel der Perspektive mit sich, der im allgemeinen zwar nicht bestritten, doch in seinen Konsequenzen oft nicht genügend reflektiert wird. Vor allem die damit verbundenen erkenntnistheoretischen Implikationen sind längst nicht ausreichend durchdacht. Wenn der Mensch als Homo faber der Religionsgeschichte anerkannt ist, heißt das auch, ihn zum Schöpfer Gottes zu machen? Wo ist die Religionswissenschaft zwischen Metaphysik und Positivismus, zwischen religiöser Spekulation und Materialismus zu verorten? Was wären die Folgen, würde man in einer religionswissenschaftlichen Erkenntnistheorie Hybridbildungen zulassen oder ausschließen? Obgleich derart grundsätzliche Überlegungen nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind, wird sie, so meine Hoffnung, die Spezifik der religionswissenschaftlichen Objektivierung etwas deutlicher machen können. Ob eine religionswissenschaftliche Untersuchung die Erkenntnis zu befördern vermag, lässt sich letztendlich nur am konkreten Objekt erweisen.
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