Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien

Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien
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Описание книги

Die Opfer des „Schwarzen Lagers“ Dormettingen, Zollernalbkreis, mussten unmittelbar nach Ende des Nazi-Regimes im April und Mai 1945 unglaubliche Qualen erdulden. Dabei nimmt der Verfasser Bezug auf eine Vielzahl von mündlichen Erzählungen und geschichtlichen Quellen zu den Verbrechen eines Trios, das ein ehemaliges Nazi-KZ fast sechs Wochen lang als „Schwarzes Lager“ weiterführte. Er benützt Augenzeugenberichte, Briefe und die Prozessakten des einzigen Gerichtsverfahrens, das nach dem Krieg gegen einen der Täter geführt wurde. Immo Opfermann wirft einen äußerst kritischen Blick auf die damaligen Geschehnisse, die schaudern machen.

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Immo Opfermann. Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien

Impressum

Vorwort. Wer sich auch noch 2019 in Deutschland mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Kultur des Erinnerns widmet, bekommt unweigerlich zu hören, ob man nicht endlich auf positive Dinge in der deutschen Geschichte blicken dürfe, ob nicht schon alles hinreichend erforscht, gesagt, wiederholt worden und es Zeit sei, den Blick nicht zurück, sondern nach vorn zu richten. Was dieses Buch betrifft, so beschreibt sein Inhalt nur einen kleinen Ausschnitt innerhalb des geschichtlichen Geschehens, geografisch und zeitlich, aber auch hinsichtlich der überschaubaren Zahl der Opfer: 18 namentlich bekannte Männer wurden im „Schwarzen Lager“ Dormettingen ermordet, ungefähr 60 Männer und Frauen, deren Namen nicht alle bekannt sind, kamen – teilweise nach unvorstellbarer Folter – mit dem Leben, jedoch schwer traumatisiert, davon. Mit den großen NS-Lagern verglichen, scheint dieses eine Quantité négligeable in den Augen mancher zu sein, die nach Zahlen aufrechnen, zumal die Opfer Vertreter des gerade untergegangenen Regimes waren. Gerade darum haben diese ein Recht darauf, einem Konglomerat von Gerüchten, Halbwissen, Heucheleien, Verschleierungen und Ausschmückungen entrissen zu werden, die sich immer noch um die Ereignisse ranken. Es gibt noch Zeitzeugen, die sich erinnern, und es gibt Familien und deren Nachkommen, von denen manche immer noch herb tragen an jenen Verbrechen, die dort begangen wurden. Denn gerade für sie, die selbst über Jahre nach Antworten gesucht haben mögen, gibt es viel Widersprüchliches und Undurchschaubares. Ziel dieses Buches ist es, mithilfe von belastbaren Quellen und dem Vergleich vieler einzelner Zeugenworte, schriftlicher wie mündlicher, Zusammenhänge aufzudecken, neue Kenntnisse über das Lager zu vermitteln, Ereignisse einander zuzuordnen, zu ergänzen, Missverständnisse auszuräumen und damit auf bis heute quälende Fragen von Angehörigen antworten zu können

Bedingungen bei Kriegsende. Als am 1. September 1944 der Befehl zur Räumung des Stammlagers Natzweiler-Struthof gegeben wurde, war klar, dass die Insassen in Außenlager überstellt und Transporte sofort in die Wüste-Lager geleitet werden mussten, zumal die Kommandantur sich auf die andere Rheinseite ins badische Guttenbach zu begeben hatte. Am 22.11.1944 trafen die Amerikaner das Lager Natzweiler-Struthof leer an und funktionierten es am 27.11.44 zu einem Internierungslager um, in dem nun die Sieger ihre politischen Häftlinge, d. h. ehemalige Funktionsträger des NS-Regimes in Gefangenschaft hielten. Ein zweisprachiges Hinweisschild in Natzweiler-Struthof macht dies 2015 deutlich: „Kurz nach der Evakuierung der KZ-Häftlinge dient das Hauptlager neuerlich als Lager für politische Gefangene, dieses Mal im Sinne der französischen Sieger. Es wird zu einem der Internierungsorte im Elsass, wo man der Kollaboration verdächtige Menschen oder Deutsche aus der Region festhält … Alle sind ohne Gerichtsverfahren hier.“ Das ehemalige Nazi-KZ Natzweiler-Struthof mit ca. 4000 Internierten wurde also Vorbild für den Fall, dass die künftigen Besatzer ein aufgegebenes Lager für sich requirierten.1 Dies ist auch die Voraussetzung für die Fragen im Zusammenhang mit dem wieder verwendeten ehemaligen „Wüste“-Lager Dormettingen, nachdem die Franzosen am 20. April 1945 im hiesigen Raum eingetroffen waren. 1 Frédérique Neau-Dufour: Le camp après le camp: le trou noir de 1945–1949 (Der Struthof als Internierungslager: das Schwarze Loch der Jahre 1945–1949). Vortrag, gehalten beim Kolloquium am 2. und 3. Dezember 2015 im Institut Historique Allemand, 8 Rue du Parc Royal, Paris. Das Zitat davor stammt aus einer Tafel der Ausstellung über die Verwendung des Lagers. Die letzten drei Aprilwochen 1945 kennzeichnen den Anfang vom Ende der Naziherrschaft auch in der Region um Balingen und Schömberg. Dem Vormarsch der alliierten Truppen trug die Kreisleitung der NSDAP Balingen-Hechingen dadurch Rechnung, dass sie am 2. April 1945 ein Schreiben „An die Bevölkerung des Kreises Balingen-Hechingen!“ veröffentlichte, das der Bevölkerung befahl, sich durch „Umquartierung“ in Sicherheit zu bringen: „Durch den Einsatz motorisierter Kräfte gelingt es oft dem Gegner überraschend in Gegenden vorzustoßen, die sich bis dahin in guter Sicherheit gefühlt haben. Um für alle möglichen Fälle vorbereitet zu sein, und um jeden einzelnen und uns allen sinnlose Handlungen zu ersparen, ist es zweckmäßig, wenn sich jeder auf den Ernstfall vorsorglich vorbereitet. Es ist befohlen, daß dort, wo eine Räumung notwendig wird, dieselbe total durchgeführt wird, das heißt, daß die gesamte deutsche. Bevölkerung diesen Raum aus bestimmten militärischen Gründen verläßt.“ Ebenfalls am 2. April 1945, Ostermontag, beschlossen die Verantwortlichen, besonders der DÖLF (Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft), dass alle KZ-Häftlinge aus den „Wüste“-Lagern abzutransportieren und durch zivile Arbeitskräfte zu ersetzen und diese in den bisherigen Lagern unterzubringen seien.2. 2 Arno Huth: Das doppelte Ende des „K. L. Natzweiler“ auf beiden Seiten des Rheins. Neckarelz, 2013, S. 301. Die Evakuierung des zuletzt eröffneten „Wüste“-KZ Dormettingen war am 6. April begonnen worden: Eigentlich vorgesehen bereits für den 2. April, verzögerte sich der Bahntransport in offenen Waggons, weil die wenigen geschlossenen für die SS und ihre Familien benötigt wurden. Der Transport nach Allach dauerte dann auch vom 6. bis 12. April: Die Listen aus Dachau beurkunden 163 Häftlinge aus „Natzweiler-Dormettingen“. Mit dem gleichen Ziel begann gleichzeitig die Räumung des „Wüste“-Lagers Erzingen. Dienstag, der 17. April, steht für den Beginn der Todesmärsche: Das Lager Schömberg, das „Bahnhofs“-KZ, mit dem „Bestand“ von „nur mehr 617“ Häftlingen (letzte Eintragung des flüchtigen Lagerältesten Hoffmann) wurde evakuiert, ebenso Dautmergen, Schörzingen, Frommern und Bisingen, nachdem auch hier Bahntransporte, z. B. der aus Dautmergen vom 7. April 978, arbeitsunfähige Häftlinge in Richtung Dachau befördert hatten. Die Zeichen des nahenden Endes waren demnach sicht- und hörbar. Der Dormettinger Bürgermeister Berner erinnert sich, dass „am 18. April abends gegen 8 Uhr […] die Sprengung der Neckarbrücken aus Richtung Rottenburg-Horb zu hören“ gewesen sei. Deutsche Truppen wollten also die Alliierten am weiteren Vormarsch hindern. Dieser ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten. Ein Flugblatt der US-Amerikaner „An den Bürgermeister“ bestätigte: „Amerikanische Truppen sind im Anmarsch auf Ihre Stadt“, „Widerstand gegen unsere Truppen würde die Zerstörung Ihrer Stadt zur Folge haben. Rasche Übergabe jedoch wird die Stadt und ihre Bewohner vor einem solchen Schicksal bewahren.“ „Sie haben die Wahl zwischen Übergabe und Schonung Ihrer Ortschaft oder Widerstand und Vernichtung.“ Diese Ankündigung gilt selbstverständlich auch für die anrückenden französischen Truppen, denn erst die US-Führung hatte ermöglicht, dass Frankreich als vierte zukünftige Besatzungsmacht mit einer eigenen Besatzungszone auf Kosten der amerikanischen etabliert wurde. Nach der sog. Direktive JCS 1067 des Generalstabs der Streitkräfte der USA vom 26. April 1945 hatten sich die Militärregierungen zu formieren. Unter Punkt vier heißt es: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat […] Bei der Durchführung der Besetzung und Verwaltung müssen Sie gerecht, aber fest und unnahbar sein.“ „Es muss den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben.“

Bereits 1944 hatten die Alliierten während des Vormarsches Kategorien für Verhaftungen und Internierungen entwickelt. „Vorgesehen war, dass am Kriegsende außer den Mitgliedern der Gestapo und der SS auch Funktionäre der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie Mitglieder des Staatsapparats interniert werden sollten.“ Ein „Arrest Categories Handbook Germany“ der „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“ legte im April 1945 diese Kategorien fest.3. 3 Arrest-Kategorien-Handbuch – Deutschland, herausgegeben vom Ober­sten Hauptquartier des Alliierten Expeditionskorps, April 1945. In: Das sowjetische Speziallager Nr. 2 1945–1950. Katalog zur ständigen historischen Ausstellung, hgg. von Bodo Ritscher, Göttingen, 1999, S. 24 f. Als man im April 1945 auf dem Rathaus Schömberg wie allenthalben glaubte, die NS-Herrschaft sei vorüber, hängte man schleunigst NS-Adler und Hitlerbild ab, die allerdings deutlich sichtbare verräterische Spuren auf der Tapete hinterließen. Waren sie Symbol für die Aufklärungsaufgaben der Nachkriegszeit? Kann man Vergangenheit und Schuld wie ein Bild abhängen? Wenig später wurde die Arrestzelle des Rathauses wieder benötigt für Männer, deren Schicksal im Nachkriegslager Dormettingen besiegelt wurde. Die Schwierigkeiten beginnen mit der Bezeichnung: Ein ehemaliges nationalsozialistisches Konzentrationslager wurde in der unmittelbaren Nach-NS-Zeit, nachdem es nur kurze Zeit leer gestanden hatte, wieder mit dem Begriff „Lager“ charakterisiert und bekam zur Unterscheidung nur ein anderes Epitheton, „schwarzes Lager“. Benutzte man die aus dem NS-Regime bekannte Bezeichnung aus Gewohnheit auch für die „Gegenseite“? Schließlich waren jetzt ehemalige Vertreter des besiegten Regimes eingesperrt. Die Eröffnung des letzten „Wüste“-KZ Dormettingen im Januar 1945, obwohl schon länger fertig, hatte noch einmal gezeigt, dass die NS-Herrschaft funktionierte. Deshalb war es ein sichtbares Zeichen des Endes, als die vom Regime angeordnete Räumung des Lagers spätestens am 17. April 1945 beendet war, nachdem alle Insassen seit 6./12. April per Bahn nach Dachau oder Allach abtransportiert worden waren. Sie erhielten dort neue Nummern.4 Aus diesem Grunde trifft die Bezeichnung „befreites KZ“ nicht zu, weil die französischen Befreier erst am 20. April in der Raumschaft eintrafen. Allerdings dürfte die Besatzungsmacht das aufgegebene Lager nach dem Vorbild des Stammlagers Natzweiler-Struthof wohl für eigene Zwecke requiriert haben, als französisches Kriegsgefangenen- oder Internierungslager, das nach und nach neue Häftlinge aufnahm oder aufnehmen sollte. 4 Listen aus Dachau mit Dachau-Nummern: Es sind die Nummern 154 638 bis 154 662 = 24 mit dem Datum 6. und 12. April 1945 und 155 898 bis 156 071 = 173 mit dem Datum 12. April mit der Bezeichnung „Zugang am 12. 04. von Natzweiler-Dormettingen“, also zusammen 197 Männer. Die Bezeichnungen wechseln von Sch. = Schutzhäftling, Sch.Po. = polnischer Schutzhäftling (oder anderer Nationen), Sch.Po. J. = Schutzhäftling polnischer Jude, Po. J. = polnischer Jude. Das KZ Dormettingen dürfte für viel mehr Häftlinge Platz geboten haben, aber vermutlich sind die Insassen des KZ Dautmergen mit denen Dormettingens vermischt worden, weil die Arbeitsstellen von beiden Lagern „beschickt“ wurden. Auch die Insassen des KZ Erzingen wurden zu diesem Zeitpunkt per Bahn nach Allach transportiert. Weil die offizielle Politik der Kommandanturen die ehemaligen großen und kleinen Funktionäre des NS-Regimes betreffend nicht direkt durchschaubar war, konnte sich ein selbst ernannter „Kommandant“ für das ehemalige KZ Dormettingen etablieren, eine eigene private „Kommandantur“ in Dotternhausen und sein „Privat“-Lager in Dormettingen, ein „KZ auf eigene Faust“, errichten. Der Begriff „wildes KZ“, der heute den bei Beginn der Nazizeit für die schnell verhafteten politischen Gegner 1933 benötigten Lager zugeordnet wird, trifft auf Dormettingen in der unmittelbaren Nachkriegszeit also nicht zu. Die „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933, die als „Rechtsbasis“ für das „Dritte Reich“ gilt, wurde von Hitler dazu benutzt, vermeintliche und tatsächliche politische Gegner verhaften zu lassen. In kürzester Zeit waren deshalb die Gefängnisse überfüllt, sodass „Konzentrationslager“ die Gegner schnell aufnehmen konnten. Das erste „KL“, so die offizielle Abkürzung, in Deutschland war nicht Dachau, „wie immer wieder fälschlicherweise behauptet wird“. Vielmehr „entstand Anfang März 1933 das ‚Sammellager‘ für Funktionäre der KPD in dem kleinen Ort Nohra, der westlich von Weimar in Thüringen liegt“5. 5 Hans-Günter Richardi, Eleonore Philipp und Monika Lücking: Dachauer Zeitgeschichtsführer. Die Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert mit zeitgeschichtlichen Rundgängen durch den Ort und durch die KZ-Gedenkstätte. Herausgegeben von der Stadt Dachau. 2. Aufl. 2001, S. 74. – Vgl. Hans-Günter Richardi, Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau. München, 1995. – Zur „Reichstagsbrandverordnung“ als „Rechtsbasis“ des Nationalsozialismus: Karl Ploetz: Auszug aus der Weltgeschichte und „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“. – Stichwort „wilde Konzentrationslager“. In: „Das nationalsozialistische Lagersystem“ CCP), herausgegeben von Martin Weinmann, für 2001 Frankfurt am Main 1990, Seite LXXX. Das Landgericht Rottweil benutzt die Überschrift „Illegales KZ in Dormettingen“: Ks 3/51 2 Js 7223/47. – Die Pfarrer nennen 1977, als sie die Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof Schömberg einführen, das ehemalige Nazi-KZ Dormettingen „wildes Lager“. Siehe unten S. 72. – Die „Ortschronik Erzingen 1950–1989“ spricht von „Dormettinger Todeslager“ auf Blatt 39 zum Jahr 1952. Verschiedene Bezeichnungen. des Schwarzen Lagers „Illegales Lager“, „illegales Gefangenenlager“, „illegales KZ“ (in) Dormettingen, „wildes Lager“, „französisches Häftlingslager“ oder „Dormettinger Todeslager“, „Schwarzes Lager“: Mehr als ein halbes Dutzend Bezeichnungen waren und sind bis heute über dieses Lager im Umlauf bzw. urkundlich im Totenbuch von Dormettingen bezeugt. Der Begriffswirrwarr spiegelt die Unsicherheit der Verhältnisse und das Unwissen über die Zustände im Lager. „Schwarzes Lager“ trifft den fürchterlichen Sachverhalt, dass nämlich schwärzeste Taten, Verbrechen von Verbrechern begangen wurden. „Schwarzes Lager“ Dormettingen steht dafür, dass Täter sich auf brutale Weise austobten, Opfer bestialisch quälten und ermordeten, sich bereicherten, indem sie die Wohnungen der Verhafteten plünderten. Nach dem Lärm der letzten Kriegstage war die Stille vor der Ankunft der Sieger am 20. April 1945, einem Freitag, zu spüren: Ab dem 17. April, die ganze Woche schon, hatte man die Geräusche der Auflösung der Lager in Schömberg und Schörzingen gehört und gesehen, vorher bereits auf den Bahnhöfen Dotternhausen und Schömberg den Abtransport der Gefangenen in offenen Güterwaggons beobachtet. Den letzten Fliegerangriff auf das Zementwerk am 18. April, bei dem der Schornstein zerstört wurde, konnten Anhänger wie Gegner des Regimes als sichtbares Zeichen des endgültigen Untergangs werten. Noch am 20. April hatten kurz vor dem Eintreffen der Franzosen englische Flugzeuge die SS-Baracken des Lagers Dautmergen bombardiert, fünf getötete SS-Männer wurden hastig auf dem Schömberger Friedhof begraben: Endzeitstimmung und Angst vor Chaos, vor der Zukunft nach dem offensichtlichen Scheitern des Nationalsozialismus, vor der erwarteten Rache der Sieger beherrschten je nach Temperament die Menschen. Aus dem Schömberger Gasthaus „Traube“ sind Parolen wie „Der Friede wird furchtbar“ und „Sauft und fresst, die gemeinsame Himmelfahrt steht vor der Tür“ von Angehörigen der SS überliefert.6 Denn genau zwölf Jahre nachdem die Stadt Schömberg am 18. April 1933 Adolf Hitler zum Ehrenbürger gemacht hatte, war das Naziregime zu Ende. 6 Freundliche Mitteilung der Traubenwirtstochter E. Z. – Vgl. Opfermann, Schömberg 1919–1946. In: Geschichte der Stadt Schömberg. Herausgegeben im Auftrag der Stadt Schömberg anlässlich der 750-Jahr-Feier 2005 von Casimir Bumiller, S. 236 f „Die tiefe Niedergeschlagenheit einer Bevölkerung, die noch kaum die militärische Katastrophe Deutschlands realisierte“, wurde von den Siegern festgestellt.7. 7 So wird der französische Administrator Oberst Jean Gonnet zitiert bei Wilhelm Foth: 1945–1949: Chaos und Neuanfang. In: „Heimatkundliche Blätter“ Balingen Nr. 1 Jahrgang 43, 31.01.1996

Drei Stempel der französischen Besatzungsmacht des Jahres 1945. Oben vom 5. Mai, Gignoux (?), Sûreté mit dem Vermerk „Vu“ = „gesehen“, unten November 1945, Kübler. Selbstverständlich war bei aller Unsicherheit für viele Vorsicht geboten. Zwar glaubte man sich aus zwölf Jahren Diktatur zu kennen, sodass man sich fragte, wer nun nach der Niederlage opportunistisch auf wessen Seite sei, wer wie zur Rechenschaft gezogen werde oder davonkomme: Profiteure des Regimes mussten ja mit Gefangennahme, Verhaftung und Aburteilung rechnen. „Solange die Deutschen noch die Uniform getragen haben, hat man nichts gegen den Hitler gehört, erst als die Franzosen kamen, dann hat man alles mögliche gehört vom deutschen Mund. Worte gegen den Hitler, die sie da gefunden haben … Sie wussten, jetzt kommt die Besatzung und ‚wenn wir etwas getan haben, dann werden wir vielleicht zur Verantwortung gezogen.‘ So war die Lage“, sagte Eduard Rock-Tabarowski, ein befreiter griechischer Zivilarbeiter zur Situation.8 Nun begannen Schweigen und Sprachlosigkeit aus Angst, verständlich, wenn man bedenkt, dass kriegsgefangene Franzosen seit Ende des Jahres 1940 z. B. in Schömberg eingesetzt waren und viele Schömberger vier Jahre lang von den französischen Kriegsgefangenen hatten profitieren können. Listen aus dem Stadtarchiv Schömberg registrieren den „Nachweis über den Einsatz von Kriegsgefangenen“, der zumindest in den Jahren 1942/43 ziemlich genau dokumentiert ist. Nimmt man die Nachkriegsliste, die nach dem „Befehl No 1792 des Generals Koenig“ angelegt wurde, hinzu, so handelt es sich um 31 kriegsgefangene und 141 deportierte Franzosen, die bei der DÖLF (s. o.) und in der Landwirtschaft hatten arbeiten müssen, nachdem sie im Rathaus angefordert worden waren. Nahrungs- und Waschmittel waren vom Lebensmittelgeschäft Faulhaber mit der „Stadtgemeinde“ abgerechnet worden.9 Die französischen Kriegsgefangenen hatten zunächst in der Schömberger Zehntscheuer in einem Anbau neben dem Leichenwagendepot, danach in der sog. „Bläsle-Fabrik“ Unterkunft gefunden, der Betreiber der Wirtschaft „Lamm“ hatte das Essen geliefert.10. 8 Eduard Rock-Tabarowski, ehemaliger Zwangsarbeiter aus Athen im Gespräch mit Dorothee Wein am 01.02.2006: „Wir waren Menschen zweiter Klasse.“ Teile des Gesprächs sind veröffentlicht in Volker Mall/Harald Roth: „Jeder Mensch hat einen Namen“. Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen. Berlin, 2009, S. 261 ff. 9 Stadtarchiv Schömberg Nr. 1562. – Berücksichtigt man die Eintragungen im Schuldenbuch des Lebensmittelgeschäftes Faulhaber, so werden bereits im Dezember des Jahres 1940 „5 Eßtöpfe“ für „Franzosen“ benötigt, die zu Lasten des Rathauses aufgeschrieben sind. Diesem Buch ist zu entnehmen, dass dem Rathaus gelieferte Nahrungsmittel wie „Kaffee, Kaffeeersatzmittel, Marmelade, Pudding, Reis, Käse, Grieß …“, Waschmittel „Imi, Henko, Waschpulver, Weißwäsche“, aber auch Hygieneartikel wie „Seife, Rasierseifen“ vermerkt wurden. Man kann deshalb feststellen, dass es den Franzosen zu diesem Zeitpunkt des Krieges, weil sie in der Verantwortung der Wehrmacht standen, besser ging als den späteren KZ-Häftlingen, die von der SS beschafft und von der OT ausgebeutet wurden. – Kopien des Schuldenbuches freundlicherweise von Marlies Pfeiffer-Blepp, deren Mutter Wera geb. Faulhaber die Waren für die Franzosen lieferte. 10 Freundliche Mitteilung von Josef Faulhaber, Fuhrunternehmer, dem Verfasser mitgeteilt am 21. März 2009. – Das Dokument A 1384 aus dem Stadtarchiv Schömberg bestätigt die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers. „Bläsle“-Fabrik, weil in dem Gebäude vorher Mundharmonikas für die Firma Hohner hergestellt worden waren. Vgl. Opfermann, Schömberg-Chronik. Der Tag der „Überrollung“ war ein „Tag der Befreiung“ für die vielen fremd- und „ausländischen Zivilarbeiter“, für Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die teilweise in die Orte, in denen sie in Lagern interniert gewesen waren, zurückkehrten, um ihre Landsleute zu suchen und zu beraten, wie es weitergehen werde. „Der Kreis Balingen hatte damals 70300 Einwohner; dazu kamen 9000 deutsche Flüchtlinge aus luftkriegsgefährdeten Gebieten, z. B. dem Ruhrgebiet […] und 8000 Ausländer […] aller Nationen“.11 Ein Zeitungsbericht von 1955 spricht nach zehn Jahren sogar von 12000 zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen, die eingesetzt gewesen seien.12. 11 Foth, wie Anm. 7. 12 Balinger Volksfreund vom 20.04.1955, Sonderbeilage „Das Ende zwischen Neckar und Oberrhein“ „Die lokale Verwaltung stand einer solchen Lage unfähig gegenüber. Manche Beamte waren Soldaten, und ihren zu alten Vertretern fehlte es an Aktivität und Kenntnissen. Die Polizei war nicht in der Lage, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Feuerwehr und die öffentlichen Dienste waren desorganisiert“.13. 13 Foth, wie Anm. 7. Deshalb bemühte sich die Besatzungsmacht Frankreich, potenziellen anarchischen Zuständen dadurch vorzubeugen und Ordnung herzustellen, dass sie Kommandanten für die jeweiligen „Ortskommandanturen“ einsetzte, z. B in Ratshausen oder in Schömberg. Dessen Stadtchronik stellt zum 22. April 1945 fest, „aus den Reihen der Zivilarbeiter“ sei ein Kommandant genommen worden. „Er war korrekt und hat manches Unrecht abgestellt.“14. 14 Ortschronik Schömberg zum 22.04.1945 „Einsetzen eines Ortskommandanten aus den Reihen der Zivilarbeiter …“ Stadtarchiv Schömberg AB 638. – In Schörzingen wurde ein ehemaliger französischer Zivilarbeiter eingesetzt, der Vater von Liliane Gesson, die später Recherchen auf den Spuren ihres Vaters machte, der die Exhumierungen in Schörzingen in Fotos hatte dokumentieren lassen. Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, dass es anderswo nicht sehr korrekt zuging. Der Name des Kommandanten war Doyer, der „auf Werk 9 als Bulldogfahrer tätig gewesen war.“ Über den Ort, wo die französische Kommandantur Schömberg untergebracht war, gibt es unterschiedliche Erinnerungen: Es waren exponierte Häuser, z. B. der „Herrenspittel“, das Gasthaus zum „Plettenberg“ als Kasino für Offiziere, die „Traube“ für Unteroffiziere. In der Villa des Fabrikanten Munding „residierte“ General König. Im ehemaligen „Konsum“, dem Haus Konrad Eha, „unterhielt eine französische Sanitätsabteilung eine Schreibstube“. Andere sprechen vom „Konsum“ als der regulären Kommandantur, die Anlaufstelle für mögliche Beschwerden und Ausgangspunkt für die ersten Maßnahmen der Sieger gewesen sei. Diese bestanden unter anderem in der „Suche nach Kriegsverbrechern und Nazis sowie deren Verhaftung“, so schrieb Jean Gonnet, Militärgouverneur für den Kreis Balingen, allerdings nach (!) der Zeit des Schwarzen Lagers Dormettingen. „Dazu müssen gefährliche Nazis gesucht und verhaftet, Widerständler aufgespürt, Waffen konfisziert, eine entnazifizierte Verwaltung und Polizei eingesetzt, der öffentliche Dienst reorganisiert sowie die Versorgung wiederhergestellt, die Kriegsgefangenen und Deportierten umgesiedelt, registriert und heimgeschickt sowie Bewegungsfreiheit (innerhalb der Zone) geregelt werden. […] Der Unterhalt der Truppen besteht aus Requisition und Beschlagnahmung, der Versorgung mit Lebensmitteln, Ausrüstungsgegenständen, Wohnungen und deren Ausstattung.“15. 15 Geschichte der Kreisdelegation von Balingen, Vorwort, S. 43. In: Blau-Weiß-Rot: Leben unter der Trikolore. Die Kreise Balingen und Hechingen in der Nachkriegszeit 1945 bis 1949. Herausgeber Landratsamt Zollernalbkreis, bearbeitet von Andreas Zekorn. Zollernalb-Profile. Schriftenreihe des Zollernalbkreises. Band 5, Balingen 1999. S. 43 ff. Besonders S. 37. Fritz Fortmann erstellte als Repräsentant, Geschäftsführer und Prokurist der DÖLF eine Liste, auf der ehemalige Parteigenossen und Amtsträger des Nationalsozialismus genannt wurden. Weil Fortmann sich als wichtigster Mann der DÖLF, der Französisch sprach, der Besatzungsmacht andienen konnte, beginnt mit dieser ominösen Liste die Denunziation, die alles bewirkte: schnell, in vorauseilendem Gehorsam, willkürlich und mutmaßlich in Trennung zwischen privaten Feinden und Freunden angelegt, ist sie bis heute im kollektiven Bewusstsein Inbegriff und Synonym für Denunziantentum per se, um die eigene Haut zu retten und mit Unliebsamen abzurechnen. Nach ihr wurden die entsprechenden Verhaftungen vorgenommen – ob noch durch den Polizisten Rösch, ist unklar, sodass im Ortsarrest des Rathauses in Schömberg nach und nach ungefähr 15 bis 20 Männer auf engstem Raum eingesperrt waren, in „Zimmer 3 inhaftiert“ und dann auf „3 Zimmer verteilt“, bis „am nächsten Morgen“, 20.04.45, „Oberleutnant De Laitre […] mit seinem Adjutanten, dem Tschechen Milan“ erschienen sei.16. 16 Aussage Friedrich Geise, des ehemaligen Leiters von „Wüste“ 9, am 17. August 1948. In: Staatsarchiv Sigmaringen 9/720/1/A 4. Hier beginnt die Geschichte des „Schwarzen Lagers“, denn der selbst ernannte Kommandant von Dotternhausen, Lieutnant Delètre, riss die Macht an sich und nahm mit seinen Spießgesellen angeblich in französischem Namen Verhaftungen und Requirierungen vor. Es traf auch Angehörige der DÖLF, weshalb deren Vorgeschichte wichtig ist. Ölschiefer. Nachdem Rudolf Rohrbach, während der NS-Zeit Gauamtsleiter für Technik in Stuttgart, durch die Vermittlung seines Freundes Dr. Fritz Todt, des Gründers der „Organisation Todt“ (OT), eine Befreiung vom Bauverbot zur Errichtung eines Zementwerkes in Dotternhausen bewirkt hatte, konnte er 1939 noch vor Kriegsbeginn darangehen, an der beabsichtigten Stelle mit dem Bau zu beginnen. Die Wahl des Standortes war bedingt durch ein genügend großes Ölschiefer-Vorkommen, denn die Ausnahmegenehmigung war daran gebunden, dass mit der Zementherstellung auch eine Ölschieferschwelanlage errichtet werde. Die Produktion von Schieferöl aus schwäbischem Schiefer Epsilon wurde als „Wehrmachtsbauvorhaben“ bezeichnet: Kalksteinvorkommen und Bahnanschluss als weitere Komponenten des Standortes waren vorhanden, außerdem war hier eine Seilbahn vom Plettenberg in das stillgelegte Zementwerk Balingen für den Kalksteintransport bekannt.17 Für das neue Werk in Dotternhausen am Albtrauf benötigte Rohrbach entsprechende Ingenieure, Techniker und Arbeitskräfte, die Straßen anlegen und das ganze Gelände betriebsgeeignet machen konnten. 17 Vgl. Opfermann, Schömberg-Buch, S. 220 ff. Als die vom Arbeitsamt Balingen vermittelten „130 kriegsgefangenen Franzosen“ sich durch „ihre Flucht über den Steinbruch auf dem Plettenberg“ Ende des Jahres 1941 der Weiterarbeit entzogen hatten, wurden der Baustelle und dem späterem Betrieb russische Kriegsgefangene zugewiesen. Sie bildeten „bis Kriegsende den Stamm“ der Arbeiter.18. 18 Rudolf Rohrbach: Ein Ölschiefer-Werk entsteht. 1987. S. 42 – Die russischen Kriegsgefangenen, die im Werk ein eingezäuntes Lager hatten, arbeiteten auch im Kalksteinbruch auf dem Plettenberg, wo sie in der „Hütte neben dem alten Schafhaus wohnten. Das Essen brachten ihnen zwei Dotternhausener Frauen von unten auf den Berg“, so Helmut Künstle. In: Am Fuß des Plettenbergs, hgg. von der Gemeinde Dotternhausen. Dotternhausen 1994, sog. „Heimatbuch“, S. 316. Nach diesen Russen ist der sog. „Russenweg“ am Plettenberg benannt. – Zwei Russen hätten sich vor einem Luftangriff in einem Bombentrichter in angebliche Sicherheit gebracht, weil nicht zweimal eine Bombe in den gleichen Trichter falle: Beide wurden getötet. – Diese beiden am 27.02. und die am 18.04.1945 beim letzten Luftangriff auf das Zementwerk getöteten fünf Russen wurden am Plettenberg in einem Grab verscharrt, die Stelle mit einer Art Kreuz markiert

Plan des Zementwerkes, links das Lager der Russen

Schieferbruch zum Zementwerk, Foto aus der Nachkriegszeit. Für den Schlichem-Stausee in Schömberg, der während und nach dem Bau des Zementwerkes Dotternhausen ab August 1941 als weiteres Projekt für das Werk angelegt wurde, waren wiederum sehr viele ausländische Arbeitskräfte notwendig: die Zusammensetzung der Arbeitenden wechselte im Sperrgebiet am künftigen See nach Baufortschritt, je nachdem, welche Arbeitskräfte die beteiligten Firmen Heilmann und Littmann oder Baresel überhaupt organisieren konnten. Bauaufsicht hatte das Wasserwirtschaftsamt Rottweil beim Bau der Schlichemtalsperre und die „Deutsche Arbeitsfront“. Dass hier bereits die OT beteiligt war, ist zu vermuten, denn die „Firmen hatten ein eigenes Stammpersonal, das in OT-Uniform war“19. Für weitere Baustellen des Unternehmens „Wüste“ war ihr technisches Wissen vonnöten. 19 „Erläuterungen zum Organisationsplan Geilenberg-Bauvorhaben Wüste“ vom 19. April 1946, also ein Jahr nach Kriegsende. In: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 317 III, Bü 1252. – Aus dem Dotternhausener „Heimatbuch“ ist bekannt, dass „im Oktober 1944 […] das Lehrmittelzimmer der Schule zusammen mit weiteren Lokalen in der Gemeinde von der OT beschlagnahmt“ wurde. „Nach Kriegsende war das Schulgebäude von den Besatzungstruppen vollständig belegt und wurde erst nach dem 30. Oktober 1945 für den Unterricht freigegeben“, S. 19

Bau der Schlichemtalsperre ab August 1941, Foto Erwin Krauß

Das „Schwarze Lager“ in Dormettingen „Beginn der ersten Festnahmen von politisch belasteten Personen durch bewaffnete D. P. aus Dormettingen“ stellt lapidar die Stadtchronik Schömberg zum 1. Mai 1945 fest. Die vom Naziregime aus ihrer Heimat verschleppten Personen, aber auch Flüchtlinge wurden „Displaced Persons“ genannt. Die Umstände der Festnahmen wurden im Prozess gegen einen der Täter – Helmer-Sandmann – folgendermaßen beschrieben, als „Sachverhalt“: „Wie durch die Ermittlungen festgestellt werden konnte, haben sich im April 1945 nach dem Umsturz Ausländer unter der Führung des Franzosen Deletre24und des Tschechen Kovar zusammengeschlossen, um gemeinsam unter Mitführung von Waffen Plünderungen, Räubereien und andere strafbare Handlungen zu begehen. Gleichzeitig hat diese Gruppe Ausländer in Dotternhausen eine illegale Kommandantur und in Dormettingen ein illegales KZ-Lager errichtet, in letzterem Lager wurden die willkürlich und ohne Berechtigung festgenommenen Personen eingeliefert und mussten dort schwere körperlich Misshandlungen erdulden. Ferner konnte ermittelt werden, dass in diesem Lager 18 Menschen entweder durch Erschiessen oder durch erlittene Misshandlungen ums Leben kamen. Dieser Gruppe Ausländer hat sich der Beschuldigte Helmer-Sandmann Ende April-Anfang Mai aus freien Stücken angeschlossen und an verschiedenen Straftaten mitgemacht.“25. 24 Der Name eines der Täter wird in den Quellen unterschiedlich wiedergegeben: Deletre, Delètre, Delaitre, De Laitre und andere Schreibweisen, die sich nach dem Hören und den jeweiligen Französischkenntnissen richteten. Natürlich achtete Delètre peinlichst darauf, nirgends eine schriftliche Spur zu hinterlassen. Selbst Rohrbach spricht von einem „neuen Kommissar“: s. u. S 139. 25 Akte der Landespolizei Württemberg-Hohenzollern Kriminal-Kommissariat Rottweil a. N. vom 04.11.1950. Stempel der Staatsanwaltschaft Rottweil vom 10. Nov. 1950. Akte des Amtsgerichts Rottweil, Anhörung am 22. Juni 1950 „In der Strafsache gegen Franz Helmer-Sandmann wegen Landfriedensbruch“. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T 4 Nr. 685. Die Akte von 1950 bemerkt wiederholt „Ausländer“ als Täter, zählt besonders Delètre, Milan Kovar, Franz Helmer-Sandmann und „weitere unbekannte Tschechen und Polen“ auf, was in dieser Abhandlung geprüft werden soll. Liste der Opfer des Schwarzen Lagers, aufgestellt für den Prozess 1950 gegen Helmer-Sandmann. Dormettingen, den 14.09.1950. Aufstellung der im illegalen KZ-Lager Dormettingen ums Leben gekommenen Häftlingen lt. Eintragungen im Sterbebuch des Bürgermeisteramtes Dormettingen:

Liste der von der Kommandantur Dotternhausen und im Lager Dormettingen inhaftierten Personen

Die Liste von 1950 ist unvollständig, wurde im Zusammenhang mit dem Prozess ergänzt, jedoch bleibt die genaue Zahl der ins Lager Verschleppten ungewiss. Sie war für das Gericht wichtig, weil viele der Aufgeführten als Zeugen aussagten. Die Pfarrchronik Schömberg stellte fünf Jahre früher fest: „Am 21. Mai wurden 24 Männer und 13 Frauen auf 1 Nacht in das Lager Dormettingen gesperrt.“ Beide Listen, die der Toten wie die der Davongekommenen, enthalten keine Auskunft über die Funktionen und Tätigkeiten der Verhafteten während der NS-Zeit. Die Verhaftungen erfolgten immer nach dem gleichen Muster: Nach schriftlicher oder mündlicher Denunziation26 wurden ehemalige kleine und größere Funktionäre des nationalsozialistischen Staates, insbesondere der DÖLF, von den Handlangern Delètres (Polen und Tschechen, auch Helmer-Sandmann) in ihren Wohnungen verhaftet und oft schon dort misshandelt, anfangs in den örtlichen Rathäusern und Kommandanturen „verhört“ und dann ins Lager gebracht, später sofort ins Lager, wo sie als „politische Gefangene“ separiert wurden. An den Verhören war außer Delètre und Kovar auch Helmer-Sandmann beteiligt. Delètre inszenierte dabei seine Auftritte: Er trug die Uniform eines französischen Oberleutnants, requirierte den Sportwagen des Schömberger Arztes Dr. Josef Fricker und ließ sich in diesem durch die Ortschaften chauffieren, wenn die Denunzierten abgeholt wurden. Milan Kovar saß im Fond mit schussbereiter Maschinenpistole in Drohgebärde. Der Name, den Delètre sich zugelegt hatte, klang, zumindest in deutschen Ohren, ähnlich wie der des französischen Oberbefehlshabers, des Generals de Lattre de Tassigny, den die besiegten Deutschen gekannt haben dürften. Diese Inszenierung wird wohl allenthalben Eindruck hinterlassen haben, sie diente der Einschüchterung und war Tarnung mörderischen Handelns. 26 Der Satz des Dichters Hoffmann von Fallersleben, des Verfassers des „Liedes der Deutschen“, den er in seinen „Politischen Gedichten“ 1843 geschrieben hatte, dürfte zum Allgemeingut im Denken gehört haben: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ „Quellen“ Schwarzes Lager Dormettingen: chronologische Reihenfolge. Mai 1945 Bericht: Viktor Rebstock Wegewart, Bauer (03.05.–17.05.1945 im Lager) Juni 1945 Brief: Liesel Kirchhardt Bauunternehmer Metzingen, DÖLF (ihr Mann am 16.05. verhaftet, am 26. Mai getötet) 13.08.1945 Brief: Rudolf Rohrbach Besitzer des PZW (24.04.45 ein Tag im Lager) 25.08.1945 Befragung: Martha Wiehl Hausfrau aus Weilen u. d. R. (ab 10.05.1945 mehrere Wochen im Lager) 28.01.1946 Bericht: Christian Zeh Verkaufsleiter im PZW (03.–15. Mai im Lager) 12.04.1948 Befragung: Arno Schreiber kaufmänn. Angestellter (28.04.–20. 05.1945 im Lager) 17.08.1948 Befragung: Friedrich Geise Leiter von Wüste 9 (29.04.–15.05.1945 im Lager) 29.09.1948 Befragung: Christian Zeh. Sept. 1950 Befragung: Christian Zeh. 09.09.1950 Befragung: Josef Aicher PG und Ortswalter der DAF (= Deutsche Arbeitsfront) (03.05.–16.05.1945 im Lager) 20.09.1950 Befragung: Wendelin Müller Bürgermeister Irslingen (29.04.–19.05. im Lager) 24.11.1951 Abschrift des URTEILS in der „Strafsache Franz Helmer-Sandmann“ Sitzungen des „Schwurgerichts in Rottweil 1./6. Oktober 1951. Voruntersuchungen und Prozessakten zu diesem Prozess. 29.03.1951 Zeitungsberichte vom Prozess gegen Franz Helmer-Sandmann Rottweil. Juli 1957 Zeitungsberichte vom Prozess gegen P. A. Maurer Hechingen („Des Schwarzen Lagers zweiter Akt“) 1951 Akte: Landgericht Rottweil: „Illegales KZ in Dormettingen“ Ks 3/51 Js 7223/47. 1945 Entnazifizierungsakten Rudolf Rohrbach aus dem Staatsarchiv Sigmaringen. 1970 Heinrich Eggert (16.5.–20.05.1945 im Lager) und Trick (23. auf 24.04.45 im Lager) aus großem zeitlichen Abstand: 1970 und später unter Verwendung der Zeitungsberichte. Diese Quellen sind umso glaubwürdiger, je näher am Geschehen sie verfasst, je weniger Stereotype, verbal und inhaltlich, benutzt worden sind. Die meisten dieser frühen Berichte wurden im Zusammenhang mit den Voruntersuchungen zum Prozess bei Aussagen vor Polizeibeamten oder Gerichtsbehörden bestätigt, sodass Zweifel nicht angebracht sind. Der Trick-„Bericht“ jedoch von 1972 mit der Überschrift „Inferno von Dormettingen“, der 1. auf dem Eggertbericht, 2. vorwiegend auf Zeitungsberichten von 1951 und 1957 und 3. in dem Abschnitt „Augenzeugenberichte“ mutmaßlich auf dem Zuhören im Rottweiler Schwurgerichtsprozess von 1951 gegen Helmer-Sandmann beruht, unterscheidet sich von allen anderen Quellen durch den zeitlichen Abstand und die sentenzenhaften Beurteilungen des Geschehens. Die wichtigsten Dokumente sind die Prozessakten und das Urteil im Prozess gegen Helmer-Sandmann von 1951, weil sie den Tatsachen am nächsten kommen. Ein Großteil derjenigen wird als Zeugen vernommen, die zeitweise im „Schwarzen Lager“ inhaftiert waren und die eigene Berichte hatten verfassen können oder bereits bei behördlichen Befragungen gehört worden waren. Allerdings stellt das Gericht fest, es habe über die Aussage eines Befragten „keinen Zweifel“, weil er Dinge gewusst habe, die vorher „in der Presse noch nicht erschienen waren“. Es wird implizit also eine Wechselbeziehung zwischen den Veröffentlichungen in der Presse und den Zeugenaussagen hergestellt. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Zeugen, die sich untereinander kannten, sich möglicherweise abgesprochen, sich wechselseitig an die Ereignisse erinnert und ermutigt hatten, um im Prozess mit gemeinsamer Stimme der Opfer zu sprechen

Die Verbrechen „War Delètre der oberste Gewalthaber im Lager Dormettingen, so war Milan Kovar sein grausamster Büttel, dessen Sadismus keine Grenzen kannte. Delètre hätte wohl die Macht gehabt, ihr Einhalt zu gebieten, aber er machte hiervon keinen Gebrauch. Man unterschied im Lager zwischen den ‚Politischen‘ einerseits und ‚ehemaligen Wehrmachtsangehörigen‘ und ‚Volkssturm‘ sowie ‚Zivilisten‘, die aus nichtigen Gründen eingesperrt worden waren, andererseits. Die Verwaltung (des ‚Schwarzen Lagers‘) richtete sich allein gegen die politisch Verdächtigen.“27. 27 Auszug aus dem Urteil gegen Helmer-Sandmann. Möglicherweise ist die Einteilung wirklich an der in französischen Internierungslagern üblichen Kennzeichnung orientiert: P = politischer Häftling, L = Legionär, M = Militär, SS = SS. Das Urteil spricht mehrfach von Soldaten einerseits und Politischen andererseits. Als dritter Täter kam Franz Helmer-Sandmann hinzu, bei dem diese Kategorien allerdings durcheinandergerieten. Zunächst als Angestellter der DÖLF selbst im Rathaus Schömberg eingesperrt, trug er sich Delètre an, für diesen die Requirierungen um Schömberg herum vorzunehmen. Damit wurden die Verhaftungsfahrten zu Rache- und Raub-Unternehmen. Repräsentanten der DÖLF waren sowohl Opfer als auch Täter und Denunzianten. Fritz Fortmann ist in fast allen Dokumenten als Verfasser der Liste genannt, die den Siegern übergeben wurde mit den Namen derer, die angeblich oder wirklich durch ihre Vergangenheit im NS-Staat belastet waren. Er war Geschäftsführer der vom „Reichsamt für Wirtschaftsausbau“ Berlin im Oktober 1943 gegründeten Gesellschaft DÖLF bis November 1944, „von da ab als Prokurist“. Er gehörte nach der Niederlage zu denen, „die sich über Nacht bekehren, sich zu jedem Staat bekennen, das sind die Praktischen in der Welt, man könnte sie auch Lumpen nennen.“ Ein Schild mit dieser Aufschrift hing an der Tür eines Zimmers in der Schömberger Wirtschaft „Traube“28: Sein Opportunismus als „ehemals strammer Nazi“ war allen bekannt, aber er sprach Französisch, sodass sich seine Sprachkompetenz als wichtige Hilfe beim „Umsturz“ erwies und ein glimpfliches Davonkommen ermöglichte. 28 Freundliche Mitteilung von E. Z., der Tochter des Wirtes, zum Verfasser. Der Spruch war an einer Tür des Gasthauses, in dem Fortmann verkehrte, angebracht. Ein anderes Licht auf Fortmann wirft ein „Certificat“, das er für den luxemburgischen Lagerältesten Roger Hofmann bereits am 25.03.1945 kraft seiner Autorität als Chef der DÖLF in französischer Sprache verfasst hatte, eine Gnade, willkürlich und nur einmal erteilt: „Diese ‚Bescheinigung‘ war das einzige Ausweispapier, das Roger Hofmann auf seiner Flucht bei sich trug.“29. 29 Der KZ-Häftling Roger Hoffmann konnte am 16.04., dem Tag der Räumung des Lagers Schömberg, mithilfe der Schömbergerin Paula Schwenk fliehen. Allerdings ist beim „Certificat“ der 3. Monat mit einer Vier überdruckt, das wäre der 25.04., und zu diesem Zeitpunkt war R. Hoffmann bereits weg. Das spätere Opfer der Verbrechen im „Schwarzen Lager“, Philipp Ludwig, war von Juni bis Oktober 1944 Betriebsführer der DÖLF. Franz Helmer-Sandmann hatte mit beiden zu tun, denn er war seit Anfang 1944 Leiter der Transportabteilung des Versuchswerkes. Der Schömberger Polizeimeister Karl Rösch sagte vor dem Amtsgericht Rottweil aus, er habe „den Eindruck (gehabt), dass Helmer darüber verärgert war, dass er im Versuchswerk nicht so zum Zuge gekommen ist, wie er sich das vorgestellt hatte“30. Dadurch, dass sich Helmer Delètre und Kovar anschloss, entging er als Angehöriger aus dem Ölschieferbereich den Misshandlungen. Persönliche Rivalitäten spielten dabei eine erhebliche Rolle, weil Philipp Ludwig sein Vorgesetzter war. 30 Akte des Amtsgerichts Rottweil, Anhörung am 22. Juni 1950 „In der Strafsache gegen Franz Helmer-Sandmann wegen Landfriedensbruch“. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T 4 Nr. 685

Ich bestätige, dass Herr Roger Hoffmann, geboren am 17. Mai 1919 in Esch, aus dem Konzentrationslager Natzweiler kommend als politischer Häftling seit dem 2. März 1944 im KZ Schömberg, Württemberg, interniert war. Fritz Fortmann. Helmer-Sandmann „hat sich sehr schnell das Vertrauen Deletres und Kovars erworben. Das zeigt schon die Tatsache, dass sie ihn bei Verhaftungen […] mitnahmen, dass sie ihm auftrugen, die Listen der früheren Parteigenossen auf den Bürgermeisterämtern aufstellen zu lassen, dass sie ihn mit der Vernehmung der Verhafteten betrauten und ihm einige Male sogar die Entscheidung über den Verblieb der Häftlinge im Lager oder ihr Verbringen ins Lager überließen.“31. 31 Urteil von 1951 gegen Helmer-Sandmann S. 23. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T 4 Nr. 685. Warum Helmer drei ehemalige KZ-Häftlinge, die während der Nazizeit für die DÖLF hatten arbeiten müssen, instrumentalisierte, um den Metzinger Bauunternehmer Kirchhardt, der vorher ebenfalls für die DÖLF in Schömberg verpflichtet worden war, am 16. Mai 1945 nach Dormettingen ins „Schwarze Lager“ verschleppen zu lassen, hängt mit der Schieferölgewinnung insgesamt zusammen. Führungspersonal von „Wüste“-Werken wie z. B. Geise und Tamm von „Wüste“ 9 in Schömberg oder Hübner von der „Kohle-Union-v. Busse“ in Schörzingen wurden verhaftet und eingesperrt. Sogar Angestellte von Fremdfirmen, verpflichtet von der DÖLF, entgingen nicht der Verhaftung: Ernst Frey als Schachtmeister der Bochumer Firma Wahmann, der Werkschutzmann im Ölschieferwerk des Portland Zementwerkes, Hermann König, und Lohnbuchhalter Haase wurden festgenommen. Weitere Angehörige des Zementwerks Rohrbach wurden verhaftet und wieder freigelassen, sodass teilweise Einzelheiten an die Öffentlichkeit gelangen konnten. Vor Gericht nannten der Täter wie die Zeugen als Rechtfertigungsversuche und Gründe das Verhalten und die Position der späteren Opfer während des NS-Regimes

„Gefährliche Nazis“ sollten aufgespürt werden: Die in den Orten angelegten Listen nannten Namen der Opfer, der Ermordeten wie der später wieder Entlassenen; sie zeigen einerseits die Ranküne der Listenmacher wie andererseits die Willkür der illegalen Machthaber, die sich auf übles Denunziantentum verlassen konnten. Bei allen Verhafteten ist immer der Bezug zu den Konzentrationslagern Schömberg, Schörzingen, Dautmergen und Dormettingen, aber auch zu den Fremdarbeitern im Zementwerk sichtbar. Es entsteht beinahe der Eindruck, dass nur die „zweite Reihe“ der in NS-Funktionen Verantwortlichen von dem Dormettinger Trio verfolgt und verhaftet worden ist, während wirkliche NS-Täter von der französischen Besatzungsmacht gesucht und gefunden wurden. Als Beispiel kann Walter Telschow dienen, der im „Schwarzen Lager“ Dormettingen noch als Sanitäter auftrat, jedoch im Rastatter Prozess für seine Taten als Kapo im KZ Schörzingen zur Rechenschaft gezogen, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.32. 32 Abdruck im JOURNAL OFFICIEL bei Opfermann, Wüste-Broschüre 1997, S. 113. – Telschow wird auch in der Akte des Kriminalkommissariats Rottweil vom 04.11.1950 genannt. Vgl. Anm. 25. Die Quellen reichen nicht aus, um das Schicksal aller Opfer des illegalen Lagers in Dormettingen beschreiben zu können, bei manchen ist nur der Name, in mehreren Fällen sogar nur die Nationalität bekannt. Die Darstellung der Einzelschicksale ist gegliedert nach den Orten, aus denen die Opfer kamen. Sie beginnt mit Schömberg, weil sich dort das Versuchswerk der DÖLF befand, in dem mehrere der späteren Opfer wichtige Funktionen innehatten, und weil zwei NS-Konzentrationslager hier angesiedelt waren. Schömberg

Belegschaft der Firma Wuhrer und Söhne. Die Brüder Paul und Emil Wuhrer (Jahrgang 1909 und 1910) von der „Metallwarenfabrik Johann Wuhrer u. Söhne KG“ stellten Schrauben in Schömberg her; der Betrieb war als „kriegswichtig“ eingestuft. Er beschäftigte seit April 1944 (einige bereits seit 21.07.1942) 25 ukrainische Frauen, „Ostarbeiterinnen“, die in der Nähe der Fabrik untergebracht waren. Als „Ortspropagandaleiter“ sorgte Paul Wuhrer dafür, dass entsprechende Fotos von schmucken Mädchen in Sommerkleidern gemacht wurden, denen es an nichts zu fehlen schien, waren sie doch, angeworben durch das Deutsche Reich, „freiwillig“ nach Deutschland gekommen. Ewgenia Sinijawskaja, geb. am 26.12 1923, wurde Kindermädchen im Hause Paul Wuhrer; sie war im April 1944 in Schömberg angekommen

Ewgenia Sinijawskaja. Auf die Gebrüder Wuhrer wurde Delètre aufmerksam gemacht durch Helmer-Sandmann, der als Angestellter der DÖLF wusste, dass KZ-Häftlinge für die Schraubenfabrik abgestellt waren. Als dieser am 16. Mai 1945 mit Delètre „im Kraftwagen durch Schömberg fuhr“, sagte er „ganz unvermittelt“: „Na, die Wuhrers, die Nazis, die müssen genau so klein werden wie vor 1933, die sind im Dritten Reich nur auf Kosten der Schömberger so gross geworden.“ „Delètre fragte darauf: „Wer sind die Wuhrers? Die möchte ich kennen lernen.“ „Am selben Tag wurden die Wuhrers verhaftet.“33. 33 Urteil zu Helmer-Sandmann, S. 24. – Nach Auskunft der Tochter E. W.s habe der Vater vom Klima des Denunziantentums den Kindern erzählt: „Die M. hat uns denunziert!“

Ukrainische Frauen in Sommerkleidung

In Dormettingen warf man den Brüdern vor, der eine habe den Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Schömberg bestochen, um nicht einberufen, sondern uk (unabkömmlich) gestellt zu werden, der andere habe die „Russenmädchen schlecht behandelt“.34 Beide wurden bereits bei der Vernehmung mit der Peitsche, später bis zur Unkenntlichkeit geschlagen; Emil sogar von Milan Kovar durch die linke Schulter geschossen,35 wobei die Kugel einen hinter ihm stehenden Häftling am Hals verletzt habe. Die Aussagen der Wuhrers bei der Staatsanwaltschaft Rottweil bereits im Oktober 1947 zu den Straftaten in Dormettingen sind zeitlich näher am Geschehen. Sie beschreiben die eigenen Erfahrungen mit den Tätern vor Gericht. Während die Brüder in Dormettingen eingesperrt gewesen seien, sei Emils Wohnung geplündert worden: „4 Sonntagsanzüge, eine Uhr, zwei goldene Siegelringe, 1200 RM“ seien gestohlen worden, Delètre habe seine, Emils, Anzüge getragen“. Das schauerliche Selektionsritual der Rampe von Auschwitz wurde von Helmer-Sandmann übernommen, der mit dem Daumen entschied „rein ins Lager“ oder „rein ins KZ“, wobei „Lager“ in die Baracken der gefangenen Soldaten bedeutete, „KZ“ ins illegale Lager für die „politischen“ Zivilisten und dort Misshandlungen und Tod ausgesetzt zu sein oder nicht. Die nach ihrem Mann suchende Else Ludwig wollte „Gewissheit haben und war verzweifelt“, als (sie) sah, wie die Brüder Wuhrer „in den drei Tagen körperlich und seelisch zugerichtet worden waren“. Die Ortschronik Erzingen zum Jahr 1952 (!) führt aus, dass Wuhrer andere Mitgefangene habe schlagen müssen, „dass er selbst sich bemüht habe, wenigstens nur auf die Schenkel oder auf die Brust oder auf das Gesäß zu schlagen, während […] Dehne (s. u.) in brutalster Weise die Opfer auf das Gesicht und auf die Geschlechtsteile geschlagen habe“. Beide Brüder sagten aus, sie seien deshalb entlassen worden, weil zurückgekehrte Juden aus dem KZ Dautmergen sich für ihre Freilassung eingesetzt hätten, denn die Eltern Wuhrer hätten diesen geholfen. 34 Aus den Prozessakten zum Verfahren gegen Helmer-Sandmann. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/Bd. 2 Staatsanwaltschaft Rottweil Nr. 1048, S. 60 ff. – Ortschronik Erzingen von 1952, Blatt 41. 35 Aussage der Tochter, als Kind habe sie ihren Finger in das Loch an der Schulter legen dürfen

Erklärung der Ukrainerinnen für die Firma Wuhrer vom 29.04.1945. Schon einen Tag nach der Besetzung durch die Franzosen hatte sich die Firma Wuhrer am 21. April 1945 von ukrainischen Arbeiterinnen bescheinigen lassen, dass sie die Frauen „sehr gut gehandelt“ habe, „Verpflegung und Unterkunft“ seien auch gut gewesen. Am 5. Mai 1945 ließen sich die Wuhrers von „entlassenen Häftlingen des Konzentrationslagers Schömberg“ bestätigen, dass sie diesen „in denkbar anständiger Art entgegengekommen“ seien. Die zweisprachigen „Bestätigungen“ sind ebenso von politischen Häftlingen des KZ Dautmergen verfasst: Das Dokument enthält die KZ-Nummern und die Unterschriften von sechs jüdischen Häftlingen, die teilweise dem Transport vom 04.10.1944 aus Stutthof mit Juden aus dem Getto Wilna (vgl. oben S. 9) angehörten: Hirsch Rubinow, Moses Nodel, Isaak Robolewski, J. Katz, L. Kacz und L. Nodel, die „im Auftrage der Oelschiefer GmbH bei der Firma Wuhrer gearbeitet haben“ Unterzeichnet ist das Dokument von den Franzosen/Lothringern Marcel Klein, der allerdings „Klein Mansuy“ signiert, aus Moussoy b/Saarburg, und Camille Kremer, das den Stempel der Stadt Schömberg trägt. Dies zeigt einerseits die Absicherung der Firma Wuhrer bei nun von Franzosen geführten Behörden, andererseits den auf dem Rathaus Schömberg fast reibungslosen Übergang von der NS-Diktatur zur Besatzungszeit.36 Das handschriftliche, nicht unterzeichnete Dokument einer wohlwollenden Ukrainerin vom 22.05.45 wirbt für die „Meister Emil und Paul Wuhrer als gute Spezialisten“ für „eine genau so gute Behandlung“ in der Ukraine (vgl. Anhang), falls sie dort „eingesetzt“ würden, der Höhepunkt an Vertrauen der bei ihnen eingesetzten „Mädchen“, von denen eine dort „als Dolmetscherin und Helferin“ wirken werde. Die Schrift weist auf jemanden hin, der wahrscheinlich in Westeuropa Deutsch gelernt hat, wiederum auf Marcel Klein, den ehemaligen Häftling des „Bahnhof“-KZ Schömberg, der eine Funktion auf der Schömberger Kommandantur übernommen hatte, mutmaßlich wegen seiner deutschen und französischen Sprachkenntnisse.37. 36 Eine damalige Angestellte der Stadt, Maria Bertsch, bestätigte dem Verfasser die Übergabe der städtischen Verwaltung an die Besatzungsmacht, ablesbar am neutralen Stempel der Stadt. 37 „Bestätigungen“ von Dusja Miroschischenko (21.04.), Pascha Telishenko (22.04.), eine „Erklärung der bei der Fa. Wuhrer/Söhne beschäftigten ukrainischen Arbeiterinnen“ (29.04.). „Bestätigung“ vom 5. Mai 1945, unterzeichnet von den Franzosen/Lothringer Mansuy Klein (= Marcel Klein aus Moussoy b/Saarburg), und Camille Kremer. Der Name Marcel Klein ist notiert in der Liste „Verschidden Détailler“ des Schömberger Lagerältesten Roger Hoffmann – Dokumente im Besitz des Verfassers

Bei der Ermordung von Philipp Ludwig, der zeitweise die Versuchsanlage der DÖLF geleitet hatte, war die ganze Verbrecherclique am Werk. Der Reichsbahnoberrat wurde in seiner Wohnung über der Schreibstube der französischen Sanitätsabteilung im Hause Conrad Eha, dem „Konsum“, verhaftet und nach Dotternhausen zur „Kommandantur“ geschafft. Seine Frau Else suchte Hilfe bei einem Offizier, der jedoch nur bewirken konnte, dass Helmer-Sandmann in seiner Gegenwart in der Wohnung Ludwigs nach dessen Parteibuch suchte, wobei er ein „unverschämtes und zynisches Verhalten gegenüber Frau Ludwig an den Tag legte“. Am Nachmittag des gleichen Tages, des 18. Mai 1945, wurde Ludwig im Lager Dormettingen aus der Baracke „zum Exerzieren“ geschickt, „nachdem er zuvor in der Kommandantur und dann erneut in der Baracke furchtbar geschlagen“ worden war. Helmer-Sandmann stachelte Milan Kovar und die umherstehenden tschechischen Wachmannschaften „in wütendem Ton“ an: „Da habt Ihr den Richtigen erwischt, der ist schuld am Tod vieler KZ-Häftlinge“. „Die Tschechen stürzten sich unter Anführung von Milan Kovars auf Ludwig. Einer der Tschechen schlug ihm mit einer Latte über den Unterleib, sodass Ludwig zusammensackte.“ Daraufhin „schlugen alle gemeinschaftlich mit verschiedenen Gegenständen auf den am Boden Liegenden ein. Als Ludwig kein Lebenszeichen mehr von sich gab, gossen sie Wasser über ihn und schlugen, als er sich darauf noch bewegte, erneut auf ihn ein. Schließlich schoss ihm Milan Kovar mit den Worten: ‚Was, Du Hund, lebst noch?‘ eine Kugel durch den Kopf, worauf Ludwig […] verstarb.“38. 38 Urteil zu Helmer-Sandmann S. 14 und 19 „Den Ausländern und KZ-Häftlingen war Ludwig nie zu nahe getreten, hat sicher nie einen solchen misshandelt oder misshandeln lassen und hatte deshalb von den Ausländern und KZ-Häftlingen nichts zu befürchten.“39 Else Ludwig versuchte vergeblich, etwas über den Tod ihres Mannes zu erfahren, z. B. von den Brüdern Wuhrer, die am 19. Mai aus dem Lager zurückgekommen waren. Sie und ihre Tochter Hannelore gingen zu Delètre, der ihnen auch keine Auskunft gab. Erst sehr viel später brachte ein Bote von der Kommandantur in Dotternhausen die Brieftasche Ludwigs mit der Behauptung, dieser sei „in Paris an Lungen- und Rippenfell-Entzündung sehr erkrankt. Die Diagnose stammte von dem Rentenbescheid, den Ludwig als ‚schwer kriegsbeschädigt‘ bei sich trug.“ Philipp Ludwigs Tochter überliefert weitere Details der Biografie: Ihr Vater sei bis 1943 in Berlin auf dem „Amt für Erfinderförderung“ gewesen, habe sich mit der Entwicklung von Kleinstradios und Röhren für Radar beschäftigt. Über die DÖLF habe er sich mit den „Schlosser-Hohl-Öfen“ auseinandergesetzt, habe als Wärmetechniker eine Verbesserung der Schwelanlage in Schömberg erreichen wollen. „Bis zum Einmarsch der französischen Truppen (hat er sich) nur noch privat mit der Entwicklung eines Ofens für die Herstellung von Schieferöl“ beschäftigt, wie im Urteil zu Helmer-Sandmann zu lesen ist, Verantwortung für den Betrieb habe er nicht mehr gehabt.40. 39 Aussage Polizeimeister Rösch am 22.06.1950. Vgl. Anm. 38. 40 Private Aufzeichnungen von Else Ludwig, die 1990 starb, dem Verfasser überlassen von der Tochter Hannelore Pratsch-Ludwig, geb. 27.01.1930, im Jahr 2005 (gest. 2008) Die Ungewissheit und Camouflage um den Tod ihres Mannes quälte Frau Ludwig bis zu dem Zeitpunkt, an dem er exhumiert wurde, und das geschah erst am 31. Juli 1945. Der Einzige, der Ludwigs Familie geholfen habe, sei Fritz Fortmann gewesen, der diesen auch nicht auf die „Liste prominenter Parteigenossen, die in Haft zu nehmen wären“41, gesetzt habe. Vielmehr habe er sich „sehr […] gekümmert“, d. h., er fuhr mit der Frau und Tochter Ludwigs zu Delètre, hatte jedoch keinen Erfolg. Dem später verurteilten Helmer-Sandmann habe Fortmann „einmal […] vorgehalten, ob er denn im Schömberg ein neues Katyn errichten wolle. Dem unsauberen Herrn Helmer war die anständige Gesinnung des Herrn Fortmann ein Dorn im Auge.“42 Diese Einschätzungen der Persönlichkeit Fritz Fortmanns stehen im Gegensatz zu vielen anderen, Fortmann spielte hier den Ahnungslosen. 41 Urteil Helmer-Sandmann S. 28. 42 Aussage Else Ludwig am 14.07.1950. – „Zweites Katyn“: „Im April und Mai 1940 wurden mehr als 25000 polnische Staatsangehörige – hauptsächlich Offiziere, aber auch Intellektuelle, Universitätsprofessoren […] von Agenten des NKWD (des sowjetischen Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten) erschossen. Dieses Verbrechen wurde als Massaker von Katyn bekannt.“ In: Victor Zaslavsky, Klassensäuberung. Das Massaker von Katyn; aus dem Italienischen von Rita Seuss. 2007 Berlin, Wagenbach. Einleitung S. 9. Auch Lothar Blum, ein von der französischen Besatzungsmacht in Schömberg in den Jahren 1945/46 angestellter Dolmetscher, ehemaliger Soldat, erinnerte sich an die Suche Else Ludwigs nach ihrem Mann. Sie bat ihn wegen seiner Französischkenntnisse, mit ihr auf die Kommandantur in Dotternhausen zu gehen, um etwas über ihren Mann in Erfahrung zu bringen. Er schreibt: „Der Chef des ‚schwarzen KZ‘, ein Krimineller, wie sich später herausstellte, lag auf einer Couch in der Villa des Betonwerkbesitzers, brüllte mich an, auch seine Spießgesellen, alle in halbmilitärischer Uniform, brüllten auf mich ein. […] Meine Begleiterin, eine Frau in den Dreißigern (Frau Ludwig), wurde angemacht und rausgeschmissen. Sie war zurückgerannt und als ich sie einholte, zitterte sie am ganzen Körper. […] Den Kommandant nannten sie ‚Leutnant‘. Dann wurde die Gendarmerie Balingen auf das Lager aufmerksam. Man holte mich aus Schömberg, um bei der Verhaftung dieses Gauners dabeizusein.“43 Auf diese verkürzte Weise erinnerte sich Lothar Blum, der Dolmetscher der Franzosen in Schömberg, an die Festnahme Delètres. 43 Lothar Blum, geb. 24.02.1915. „Erinnerungen an meine Zeit als französischer Dolmetscher in Ratshausen und Schömberg seit der Besetzung durch französische Streitkräfte in der Zeit von April/Mai 1945 bis Mai/Juni 1946“. Maschinenschriftlicher Bericht für den Verfasser vom 28.10.1988. Der große zeitliche Abstand zu den Ereignissen ist bei fast allen Erinnerungen problematisch

Otto Schoßer, stellvertretender ehemaliger Ortsgruppenleiter von Schömberg, Hauptlehrer an der „Deutschen Volksschule Schömberg Krs. Balingen“, geb. 24.04.1904, wurde auf die Liste der Nazi-Funktionsträger wahrscheinlich „aufgrund von Denunziationen seitens der Schömberger Bevölkerung“ gesetzt.44. 44 Die Chronik der Stadt Schömberg, formuliert so a. a. O. Seine Tätigkeit „in Vertretung“ – er musste die Gestellungsbefehle der Wehrmacht für die jungen Männer unterschreiben – lieferte den Mördern im illegalen Lager Dormettingen den Vorwand, ihn auf grausame Weise zu quälen und zu töten. Eine Augenzeugin beobachtete von ihrer Wohnung in der Nähe des Marktplatzes aus seine Verhaftung, und bis heute wird erzählt, dass er bereits an seiner Wohnung neben dem Schulhaus in die Güllegrube gestoßen worden und erst später, nachdem er das „Horst-Wessel-Lied“ habe singen müssen, nach Dormettingen transportiert worden sei.45 Er kam zu den „politisch Verdächtigen“, gegen die sich besonderer Hass richtete und die in einer besonderen Baracke des Lagers zusammenfasst wurden. Schoßer gehörte zu den „etwas 10 Deutsche(n), die einige Tage vorher (vor dem 1. Mai 1945) schon auf dem Rathaus in Schömberg festgesetzt worden waren. Sie waren sämtlich bei ihrer Einlieferung schon so zerschlagen, dass sie sich gegenseitig die Namen sagen mussten, um sich erkennen zu geben.“46. 45 Der ehemalige Schömberger Armin Krautter, Jahrgang 1944, erzählt, dass seine Mutter Fanny immer wieder davon gesprochen habe. Mündlich am 9. Mai 2014. – Das „Horst-Wessel-Lied“ ist die eigentliche Hymne der Nationalsozialisten: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen …“ 46 Anklageschrift gegen Helmer-Sandmann. Christian Zeh (s. u.) berichtet davon als Augen-und Ohrenzeuge: „Als wir uns dann in dem uns zugewiesenen Raum befanden, wurde einer von den erwähnten Häftlingen, der in besonders barbarischer Weise zugerichtet war, uns in unserem Raum vorgeführt. Seine Gesichtshaut war völlig abgeschält und der Kopf hatte durch die Aufschwellungen einen doppelt so grossen Umfang als normal. Zum Sprechen war er fast nicht mehr fähig. Auf die Frage, wer er sei, antwortete er: ‚Hauptlehrer und stellvertretender Ortsgruppenleiter.‘ Er wurde dann entsprechend bedroht und musste auf obige Frage antworten: ‚Ein Nazihund.‘ Es handelte sich hier um den früheren Ortsgruppenleiter Schosser aus Schömberg.“47. 47 Christian Zeh, Dotternhausen, den 28.01.1946, S. 3. Die Anklageschrift fährt fort: „Mit ihnen (= den „politischen“ Zivilisten) veranstaltete das Lagerpersonal zunächst einen ‚Begrüßungsabend mit Willkommensgruß‘, wie es in der Lagersprache hieß. Hierbei wurde jeder Häftling im Wachlokal mit Peitschen und Ochsenschwänzen auf den entblößten Rücken und nackten Unterleib geschlagen, bis er vollkommen bewusstlos war. […] Es entwickelte sich als Brauch, sie (die Neuangekommenen) nackt auf ein Betonrohr in der Unterkunftsbaracke zu legen und dann mit Schlagpeitschen im Vierertakt auf sie einzuschlagen, beginnend bei den Füßen und endend am Hals, sowie auf die Vorder- wie auch auf der Rückenseite. Vier Gefangene mussten die Opfer jeweils an den Händen und Füßen festhalten, sie wurden auch teilweise gezwungen, selbst mitzuschlagen. Die Zahl der Schläge schwankte.“ Danach mussten alle am „Exerzieren“ teilnehmen, bei dem sie „mit Kolbenschlägen […] zum Antretplatz getrieben (wurden), um dort ohne jede Atempause bis zur völligen Erschöpfung gehetzt und gejagt zu werden.“48. 48 Anklageschrift gegen Helmer Sandmann

Weil einer der Männer, Betriebsingenieur Hübner von der Kohle-Union-v.Busse, Schörzingen, sich wehrte, ließ Milan Kovar die „übrigen Gefangenen antreten und hieb wahllos mit einem Spaten auf ihre Köpfe ein“. Der Mitgefangene Josef Aicher sagte dazu 1950 aus: „Wie ich von den anderen Häftlingen erfuhr, hatte sich Hübner vor dem erwähnten Antreten geäussert, dass er diese Schikanen nicht mehr mitmachen würde und dass er Milan bei sich bietender Gelegenheit einfach den Kopf umdrehen werde. Wie ich den Erzählungen der Häftlinge weiterhin entnahm, hat sich Hübner dann auch beim Antreten auf Milan gestürzt, um anschließend von den Wachmannschaften durch viele Schüsse getötet zu werden.“ „Die Leiche des Hübner blieb nun einen Tag als abschreckendes Beispiel vor unserer Baracke liegen, bis dann Hübner nachts in die Baracke geschafft wurde“. „Wir mussten die Leiche des Hübner unter Bewachung aus dem Lager tragen und in der Nähe des Lagers verscharren. Hierbei sah ich, dass Hübner viele Einschüsse hatte. Die Beerdigung des Hübner mag etwa am 6. oder 7. Mai stattgefunden haben.“49 Milan Kovar konnte den Abwehrversuch Hübners als angeblichen Angriff auf sich darstellen, der sofort zur Erschießung durch seine Spießgesellen führte. 49 Josef Aicher am 09.09.1950 vor dem Landespolizeiposten Dotternhausen, S. 3. Kurt Hübner hatte die Schwelversuche der „von Busse Kommanditgesellschaft Betrieb Schörzingen“ beaufsichtigt, kommentiert und unterschrieben, die seit April 1944 in „Horizontal“- und „Vertikalkammern“ unter Tage bergmännisch durchgeführt wurden. Als Betriebsleiter war er eine bekannte Persönlichkeit aus dem Ölschieferbereich. Ex eventu kam noch eine andere Erklärung hinzu, dass nämlich Kurt Hübner „kurz vor dem Zusammenbruch fristlos entlassen und wegen verschiedener Delikte von der Besatzbehörde gefangengesetzt wurde“. Hübners Nachfolger Kring scheint in dieser Feststellung vom 5. Juni 1945 den Mord als legitimen Akt der Franzosen darstellen zu wollen.50. 50 Technische Beschreibung, S. 000060, 5. Juni 1945 „Momerandum“ von Kring. Schoßer und Josef Schmid, laut Todesurkunde Bauführer bei einer „Wüste“-Baustelle, erhielten bei der erwähnten Wutattacke Milans Schläge auf den Kopf. „Wenig später erhielten sie außerhalb des Lagers den Genickschuss.“51. 51 Anklageschrift gegen Helmer-Sandmann. Josef Schmid wurde wie Otto Schoßer irgendwo verscharrt, bis sie später ein ordentliches Grab auf dem Dormettinger Friedhof erhielten. Ein weiterer Mann aus Schömberg, der Zollsekretär Josef Seifried, geb. 17.07.1895, wurde auch ins „illegale Lager“ Dormettingen gebracht, ohne „Haftgrund“, wie er selbst es formulierte. Er ist ein authentischer Zeuge für die Untaten während seiner langen Haftzeit vom 29. April bis 15. Mai. Diese Zeugenschaft ist deshalb wichtig, weil Einzelheiten über das „Schwarze Lager“ lange Zeit in der Bevölkerung der Region nur hinter vorgehaltener Hand erzählt und schriftliche Berichte darüber noch Anfang der 1990er-Jahre in fast konspirativer Situation weitergegeben wurden. Es handelte sich bei Opfern und Zurückgekehrten ja um Bekannte, und deshalb wurde Wissen tabuisiert und nur in den Familien tradiert, wenn überhaupt. Josef Seifried wird in dem Nachkriegsdokument „Vorläufige Wählerliste 1946 für die Gemeindewahlen“, in der die Tätigkeiten während der NS-Zeit als Hinderungsgrund für die Wahl aufgeführt ist, als „stellvertretender Ortsgruppenleiter“ bezeichnet. Seit 1. Mai 1937 (oder bereits seit 1933) Mitglied der NSDAP, wird er in der „Liste der Mitglieder des Korps der politischen Leiter“ als „Blockwart“ geführt.52. 52 Dokumente aus dem Stadtarchiv Schömberg Nr. 415 und 1577. – Vgl. das Buch „Narrensprung“, das teilweise von der Zeit im „Schwarzen KZ“ handelt, von einem der Söhne Seifrieds, Gerhard. „Narrensprung. Ein wahre Geschichte“, Saarbrücken 2012. Nach Auskunft von Gerhard Seifried selbst ist der Inhalt jedoch, was das KZ-Geschehen anbelangt, eher fiktiv. Wenn Otto Schoßer als „stellvertretender Ortsgruppenleiter“ ins Schwarze Lager Dormettingen verschleppt wurde, so ist anzunehmen, dass auch Josef Seifried aus diesem Grund dorthin gelangte. Er hatte seit 1942 im Auftrag der NS-Kreisleitung kurze Zeit den eigentlichen Ortsgruppenleiter Karl Kiener vertreten, nachdem dieser zur Wehrmacht eingezogen worden war. Diese Tätigkeit auf dem Schömberger Rathaus – Seifried hatte dort ein eigenes monatliches Budget – und überhaupt die Parteizugehörigkeit genügten für die Festnahme. Er selbst gibt den „Kaufmann Fritz Fortmann“ als denjenigen an, auf dessen Betreiben er „eingewiesen worden“ sei: „Der Haftgrund bzw. die Gründe des Vorgehens […] sind mir bis heute noch unerklärlich.“ Seifrieds kurze Vergangenheit als Nazi-Funktionär blieb im September 1950 unerwähnt. Fortmann wurde als Denunziant verantwortlich gemacht. Dieser war ja 1947 in Rastatt vor dem Französischen Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden.53 In Dormettingen wurde Seifried zur Vernehmung in eine Baracke gezerrt, wo „ein Schlägerkommando“ bereitstand, ihn zu malträtieren, wenn er nicht die richtigen Antworten gegeben hätte. Es habe am 15. Mai 1945 ein „Entlassungsgesuch“ auf der Kommandantur Dotternhausen vorgelegen, das der „Malermeister Schwenk von Schömberg“ an diese gerichtet hatte. Die Fürsprache Bernhard Schwenks, des bekannten Nazi-Gegners und ehemaligen KZ-Häftlings von Sachsenhausen, der im Oktober 1942 nach drei Jahren Haft wieder zurück in Schömberg war, belegt, wie unterschiedlich die illegalen Verhaftungen im Ort bewertet wurden, denn für andere ehemalige Schömberger NS-Funktionsträger sind keine Eingaben bei Delètre bekannt. 53 Akte der Landespolizei für Württemberg-Hohenzollern vom 04.11. 1950 gegen Helmer-Sandmann, der Geschädigte ist Josef Seifried. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048, S. 111 ff. Die Vorladung trägt das Datum 06.09.50. Zu diesem Zeitpunkt hatte Fortmann die Strafe, die er in Rastatt bekommen hatte und in Wittlich verbüßen musste, bereits abgesessen. Bernhard Schwenk arbeitete nach seiner Rückkehr wieder als Malermeister, allerdings im KZ Schömberg, also im Auftrag der DÖLF, weil er für die Tarnung zu sorgen hatte. Die Rückkunft aus dem KZ Sachsenhausen war mittels eines frevelhaften „Tauschs“ bewerkstelligt worden: Die Familie wurde gezwungen, einen Sohn als SS-Mann zur Verfügung zu stellen, damit Bernhard entlassen würde. Ortsgruppenleiter Kiener hatte dies als Demütigung und Entlassungsbedingung für den Gegner der Nazis veranlasst. Als solcher wurde Bernhard Schwenk laut Eintrag in der Stadtchronik am 19.11.45 „auf Grund eines Erlasses des Landrats“ zum Mitglied des Gemeinderates ernannt. Bei der Nachwahl zum Bürgermeister vom 29. September 1946 erhielt er die meisten Stimmen: „Somit war Bernhard Schwenk für die Zeit vom 01.10.46 bis 30.09.48 zum Bürgermeister gewählt.“54. 54 Bernhard Schwenks Tochter Paula steht bei der Amicale der Luxem­burger bis heute in großem Ansehen, weil sie dem Lagerältesten Roger Hoffmann und seinem Kameraden Stein, Nummer 2257 und 4000, am 17.04.45 zur Flucht verholfen hatte. Als Bernhard Schwenk im Oktober 1942 zurückkehrte, war Josef Seifried Ortsgruppenleiter, und der Unterschied zum früheren dürfte vielen Schömbergern offenkundig gewesen sein. Als Zollsekretär und temporärer „Ortsgruppenleiter“ hatte sich Seifried während der NS-Zeit nichts zuschulden kommen lassen, allerdings hatte er die Brennerei von Privatleuten zu überprüfen und damit die zu zahlenden Steuerbeträge festzulegen, möglicherweise ein Grund, sich unbeliebt zu machen. Er kam nach Zeugenberichten sichtlich gezeichnet aus dem „Schwarzen Lager“ zurück, seine Familie habe ihn nicht erkannt, als er nach über zwei Wochen Lager mit schneeweißem Haar wieder nach Schömberg entlassen worden sei. Diese Erzählung steht in einem gewissen Widerspruch zu den Aussagen, dass alle Verschleppten kahlköpfig geschoren worden seien, Haare können aber auch vom 29.04. bis 15.05.1945 wieder gewachsen sein. Andererseits ist das Über-Nacht-Ergrauen in vielen Heimkehrberichten als Topos für die Folge unbeschreiblichen Grauens überliefert, angelehnt an literarische Zeugnisse. Am Beispiel des 24-jährigen Johann Dehne, des als „Kapo“ eingesetzten ehemaligen Angestellten der DÖLF, wird deutlich, dass die Clique des „Schwarzen Lagers“ Dormettingen es nicht nur auf die Führungskräfte ankam. Bei der „Vernehmung“ im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Helmer-Sandmann durch die Kriminalpolizei in Brühl am 01.11.1950 sagte er aus: „Von 1943 bis zu meiner Festnahme im Jahre 1945 in Schömberg war ich bei der Firma ‚Union Kraftstoff, Wesseling bei Köln‘, als Chemiearbeiter beschäftigt. Ende 1944 wurde ich durch das Werk zur ‚Deutschen Ölschiefergesellschaft, Schömberg‘ dienstverpflichtet. Mit 15 Arbeitern fuhr ich seinerzeit nach Schömberg. Dort wurden wir in einem Barackenlager untergebracht.“ „Etwa am 24.04.1945 wurde ich von den Franzosen festgenommen, nachdem ich von einem Fremdarbeiter […] bei den Franzosen denunziert worden war. Der Grund war der, dass ich mit noch anderen Deutschen den Auftrag von unserem Gefolgschaftsführer Rees erhalten hatte, sämtliches Material und Wertgegenstände vor Plünderungen durch die Fremdarbeiter und Franzosen sicherzustellen. Die sichergestellten Gegenstände brachten wir damals zu dem Bauer Paul Lander, Schömberg, wo wir auch in Quartier lagen, nachdem wir das Lager verlassen hatten. Meine Inhaftierungszeit dauerte bis Pfingstmontag 1945 […] Das ganze Anwesen (des Bauern Lander) wurde damals von dem besagten Fremdarbeiter und einer zweiten Person durchsucht, dabei wurden meine persönlichen sowie die werkseigenen Gegenstände von diesen sichergestellt und einige Tage später abgeholt. Ich wurde sofort festgenommen […] Mein persönlicher Wert gebe ich mit 300.– DM an. Bei den werkseigenen Gegenständen handelte es sich um 2 Schreibmaschinen, 1 5-Röhren Radiogerät, Textilwaren und Seife. Diesen Wert kann ich nicht angeben. Ich kenne noch folgende Mitgefangene mit Namen. Die Anschriften kann ich nicht mehr angeben. 1. OT-Führer Schneider, 2. Direktor Ludwig von der Deutschen Ölschiefergesellschaft, 3. 2 Gebrüder einer Schraubenfabrik in Schömberg, Name n. bek. 4. 1 Mühlenbesitzer aus der Gegend von Dormettingen, Name n. bek. 5. Ludwig, wohnhaft Wesseling, bei Köln, Südlager, 6. Der damalige Bürgermeister von Schömberg. Mir sind noch viele andere Mitgefangene ansehens bekannt, aber die Namen kenne ich heute nicht mehr.“ Die Namen der Mitgefangenen kennt Johann Dehne im Abstand von über fünf Jahren nach den Ereignissen nur unvollständig. Ludwig ist ihm ein Begriff, weil er sein Vorgesetzter war und weil dieser in der Nähe seiner Firma in Wesseling gewohnt hatte. Die Gebrüder Wuhrer kennt er, weil er wohl mit ihnen während der Schömberger Zeit zu tun hatte, den „Bürgermeister“ ordnet er fälschlicherweise ebenso Schömberg zu, obwohl es sich um den Bürgermeister Rebstock aus Dotternhausen handelte, bei dem angeblichen „Mühlenbesitzer“ verwechselt er den Beruf mit dem Familiennamen, denn es dürfte sich bei dem Gemeinten um Wendelin Müller aus Irslingen, der lange im Schwarzen Lager war, gehandelt haben. In der Vernehmung von 1950 werden selbstverständlich die Begriffe der NS-Zeit verwendet: „Gefolgschaftsführer“ für Betriebsleiter und „OT-Führer“ für einen hohen Dienstgrad der „Organisation Todt“. Bemerkenswert ist der Hinweis auf den Denunzianten in Schömberg, dessen Name Dehne angeblich nicht kennt, der jedoch 1950 längst die Runde gemacht haben musste. Alle kannten ihn (vgl. Anm. 51), aber Verschweigen und Verschleiern hatten zu diesem Zeitpunkt längst eingesetzt. Wenn Dehne von „Rache und Verrat“ an „Parteigenossen und führenden Persönlichkeiten“ als Motiven für die Gefangennahme spricht, fällt er selbst aus diesem Muster der für das Lager Bestimmten heraus. Möglicherweise ist dies der Grund, warum er dort Kapo wurde. In seiner Aussage verschwindet er selbst in der anonymen Masse der Gefangenen. Eingesperrt vom 24. April bis zum 20. Mai 1945, gab er in der „Vernehmung“ über die Verhältnisse im „Schwarzen Lager“ zur Kenntnis: „Sämtliche Gefangenen wurden täglich mehrmals mit Stöcken, Gewehrkolben, Eisenstangen, Stahlhandschuhen und mit der Peitsche geprügelt. Außerdem wurden Faustschläge und Fußtritte verteilt. Weiter mußten die Gefangenen nackend in der kalten Witterung unter die Brausen, anschließend mußten sie sich im Freien wieder anziehen. Die täglichen Schikanen wurden mit Marschieren, Robben, Parademärsche[n] usw. fortgesetzt. Es kam auch vor, dass Gefangene in die Latrine springen mussten. Unter den Gefangenen befand sich auch ein Mädchen aus Dotternhausen – der Name ist mir nicht bekannt – das im Beisein vom Lagerkommandanten, von französischen Frauen und Soldaten, von einem Mitgefangenen zwangsweise gebraucht wurde. Dem Mädchen wurden auch die Haare abgeschnitten. Sämtliche Gefangenen hatten die Haare abgeschnitten. Als Täter für die Mißhandlungen und Erschießungen im Lager gebe ich folgende Personen an: 1. Lagerkommandant Deletre, 2. Tscheche Milan, 3. Die wachhabende Mannschaften, bestehend aus Franzosen, Polen, Holländer, Tschechen usw. 4. ein französischer Segerant – Name unbekannt. Es kam mehrmals vor, dass bei Besuchen von angeblichen Amerikanern und Franzosen in Gegenwart von deren Frauen Erschießungen stattfanden. Hierbei hob sich besonders Milan hervor. Mir sind etwa 10–12 Erschießungen im Lager bekannt, die ich selbst gesehen habe. Dies wurden im Laufe von 1½ Monaten durchgeführt. Zuerst fanden die Erschießungen einzeln statt. Bei einem Besuch der vorerwähnten Personen wurden auf einmal 7 bis 8 Mann erschossen. Die Gefangenen wurden in einer Gruppe zusammengestellt und mussten innerhalb des Lagers über den Hof laufen. Dabei wurde von den Wachmannschaften, von den Besuchern selbst, vom Lagerkommandanten und besonders von Milan auf die Gefangenen geschossen. Die Frauen beteiligten sich mit Pistolen daran. Die Gefangenen, die noch lebten, wurden von Milan eigenhändig erschossen. Diese Vorgänge habe ich persönlich miterlebt. Ich stand an der Seite an einer Baracke und musste dies zusehen. Mir sind noch 3 Personen bekannt, die erschossen wurden: 1.) Direktor Ludwig, 2.) OT-Führer Schneider, 3.) der Bürgermeister von Schömberg. Unter diesen Erschossenen befanden sich auch 1 Franzose und 2 Belgier. Außerdem wurde noch ein SS-Mann mit dem Namen Schult oder Schults erschossen. Dieser wurde zuerst im Lager halb tot geschlagen und anschließend ausserhalb des Lagers erschossen. Von wem dieser erschossen wurde, weiß ich nicht.“ Die Namen der Toten lassen sich unschwer auf der Totenliste (s. o.) zuordnen, jedoch ist Bürgermeister Franz Rebstock aus Dotternhausen mit der Nr. 1 gemeint, der Tod eines Schult o. Ä. wird in keinem anderen Dokument erwähnt. Ob Dehne sich richtig an ein „Mädchen aus Dotternhausen“ als Vergewaltigte erinnert, jedoch eigentlich Martha Wiehl aus Weilen u. d. R. meint, ist nicht klar „Am zweiten Tage meiner Einlieferung im Lager fand die erste Erschießung statt. Es handelte sich um einen Ingenieur aus den Zementwerken Dotternhausen. Der Name ist mir nicht bekannt. Der Ingenieur holte mit einem zweiten Gefangenen im Lager Wasser. Auf dem Wege zum Wasserholen wurde der Ingenieur von dem Milan vermutlich geschlagen, wobei er sich zur Wehr setzte und direkt erschossen wurde. Als Zweiter wurde Schneider erschossen. Dies geschah etwa 8 Tage später. Schneider musste sich rechts von unserem Barackeneingang frei auf dem Hof hinstellen. Ich sah, wie sie ihm eine Hakenkreuzbinde um den Arm legten und eine Zigarette in den Mund steckten. Schneider musste seinen Kopf seitlich halten und Milan schoss mit einer Pistole nach der Zigarette. Die Zigarette wurde nicht getroffen, dagegen erhielt Schneider einen Streifschuss an der rechten Wange und Oberlippe. Anschließend stellte man ihm eine Flasche auf den Kopf. Dabei schoss Milan und noch zwei andere, die mir nicht bekannt waren, nach der Flasche. Milan schoss zuerst den Hals der Flasche weg. Dabei fiel die Flasche herunter. Diese wurde dem Schneider wieder auf den Kopf gesetzt und es wurde solange geschossen, bis noch eine kleine Spitze übrig blieb. Schneider erhielt dabei noch einen Schuss durch das rechte Ohr und einen Streifschuss an der rechten Kopfseite. Milan gab noch auf die kleine Spitze 2 Schuss ab, die vorbeigingen. Ich hörte nun, wie Milan noch sagte, als er zum dritten Mal anlegte: ‚Jetzt treffe ich aber!‘ Der Schuss fiel und traf den Schneider mitten in die Stirn. Schneider stürzte tötlich getroffen zu Boden und strampelte noch. Milan ging auf Schneider zu und gab auf Schneider noch einen Schuss ab. Schneider war tot. Kurze Zeit später […] wurde der Direktor Ludwig erschossen. Diese Erschießung haben alle Gefangenen gesehen. Es war am gleichen Tage, als Ludwig eingeliefert wurde. Hierzu gebe ich an, dass ich nach 8 Tagen meiner Inhaftierung im Lager als Kapomann von dem Lagerkommandanten eingesetzt wurde. Dies geschah gegen meinen Willen und ohne dass ich mir besondere Vorteile verschafft hatte. Als Ludwig eingeliefert wurde, erhielt ich von dem Lagerkommandanten den Befehl, Ludwig mit einer Hundepeitsche zu schlagen und zwar musste ich ihm 50 Schläge über den nackten Oberkörper und über das nackte Gesäß geben. Ich weigerte mich zuerst, dieses auszuführen, worauf mir Milan drohte, dass es mir so erging wie dem Schneider. Bei dieser Prügelung waren der Lagerkommandant, Milan und die Wachmannschaft dabei. Die Prügelung fand in unserem Unterkunftsraum in. Gegenwart meiner Stubenkameraden statt

Anschließend an die Prügelung wurde Ludwig auf Befehl von 4 Stubenkameraden auf den Hof gebracht und erschossen. Von wem Ludwig erschossen wurde, weiß ich nicht, da ich in der Baracke zurück blieb und nichts sehen konnte. Die Erschießung fand statt, als die 4 Stubenkameraden wieder in der Stube waren. Es fiel nur ein Schuss. Nachdem Ludwig erschossen war, erhielt ich mit noch 4 Mann den Befehl von Milan, den Toten in eine leerstehende Baracke zu schaffen. Ich nehme an, dass Ludwig durch einen Kopfschuss getötet wurde, denn sein Gesicht war blutig. Einige Zeit, nachdem Ludwig erschossen wurde, kam der Bürgermeister von Schömberg (gemeint ist der von Dotternhausen, Franz Rebstock) an die Reihe. Durch die laufenden Misshandlungen und Erschießungen war der Bürgermeister wahnsinnig geworden. Er wurde in einen Einzelraum gesperrt und etwa 2 Tage später wurde er erschossen und zwar in seiner Zelle. Wer ihn erschossen hat, weiß ich nicht. Ich erhielt wieder mit noch 6 Gefangenen den Auftrag, den Bürgermeister zu beerdigen. Als wir in die Zelle kamen, lag er dort mit einem blauweißen Bettlaken zugedeckt. Ich konnte in Brusthöhe Blutflecken in dem Laken feststellen. Anschließend wurde der Bürgermeister von uns außerhalb des Lagers beerdigt. An dieser Stelle wurden von uns alle Erschossenen beerdigt. Die Stelle kann ich heute noch genau angeben.“ Bei dem Ermordeten aus dem Zementwerk Rohrbach könnte es sich um den „Werkschutzmann“ König aus Lauffen handeln, der am 20. Mai 1945 getötet wurde. Möglicherweise ist auch der Betriebsleiter der Kohle-Union von Busse aus Schörzingen gemeint, Kurt Hübner, von dem überliefert ist, dass er sich das fürchterliche Verhalten Milans nicht habe gefallen lassen, sich gewehrt habe und dafür erschlagen/erschossen worden sei (s. u.). Nach der Liste im Urteil zu Helmer-Sandmann wurde der Ingenieur Hübner, an erster Stelle genannt, bereits am 5. Mai 1945 ermordet, Dehne war an diesem Samstag im Lager „Weitere Einzelerschießungen fanden im Lager während meiner Inhaftierung nicht mehr statt. Wohl kam es noch zu der Massenerschießung, wie ich bereits erwähnte. Die ganzen Erschießungen wurden nur aus Rache und aus Verrat durchgeführt. Denn bei allen Erschossenen handelte es sich um Parteigenossen und führende Persönlichkeiten. Wer die Leute verraten hat, kann ich nicht sagen. Später als ich entlassen war, hörte ich in Schömberg, dass einer die verraten hätte. Ein Mann namens Helmer-Sandmann ist mir mit Namen nicht bekannt. Auf dem mir vorgelegten Lichtbild erkenne ich eine Person wieder, die mir schon mal begegnet ist. Ob dies im Lager war, weiß ich nicht. Es ist um die Zeit meiner Inhaftierung gewesen. In welchem Verhältnis Helmer-Sandmann mit Milan und dem Lagerkommandanten gestanden hat, weiß ich nicht. Ich kann hierüber vorläufig keine genauen Angaben machen und bitte aus diesem Grunde, dass mir der Helmer-Sandmann gegenübergestellt wird. Die einzelnen Fragen über Helmer-Sandmann wurden mir vorgehalten und ich kann über diese Fragen bis zur Gegenüberstellung keine weiteren Angaben machen. Ich gebe zu, dass einer bei der Prügelung und Erschießung von Ludwig folgende Worte, wie sie mir bei der Vernehmung gesagt wurden, ausgesprochen hat. Es waren folgende Worte: ‚Das ist Ludwig, der viele KZ-Leute auf dem Gewissen hat.‘ Wer das gesagt hat, kann ich nicht sagen. Ob dies Helmer-Sandmann gewesen ist, dürfte sich dann bei der Gegenüberstellung herausstellen. Diese Worte wurden auch noch von verschiedenen Kameraden gehört. Darunter befanden sich auch Leute, die den Ludwig sehr gut kannten. Wir haben uns über diese Gemeinheit empört. Die Person, die diese Worte gebrauchte, muss bei der Ölschiefergesellschaft in Schömberg beschäftigt gewesen sein. Ich besitze heute noch verschiedene Niederschriften über die Inhaftierung. Ich bin bereit, diese freiwillig den Akten zu übergeben.“55. 55 Vernehmung Johann Dehnes durch die Kriminalpolizei in Brühl, seinem Wohnort, Liblarerstr. 66, am 1. November 1950. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T 2 Nr. 1048, S. 99–102. Aus diesen undatierten Niederschriften Johann Dehnes, die der „Vernehmung“ beigefügt sind, lässt sich eine Chronik seiner Gefangenschaft erstellen: Am 18. April sollte er „Material und Wertgegenstände vor Plünderungen“ schützen und sicherstellen, „am 20. April 3 Stunden vor Einmarsch der Französischen Truppen wurden die Lagerbestände gegen Entgelt an die Gefolgschaftler verteilt, und an die Russischen-Französischen-Holländischen Zivilarbeiter“, am 24.04. wird er festgenommen und im Rathaus Schömberg mit anderen DÖLF-Angehörigen in der Arrestzelle eingesperrt. Er stellte ein Entlassungsgesuch. „Leider ist es zu dieser Entlassung nicht gekommen denn anderen Tags kam eine Abordnung franz. Soldaten unter Führung eines Sergeanten und holte sämtliche Häftlinge meißt Politische und ein paar Soldaten die inzwischen eingeliefert worden waren ab. […] Mit Parade-Marsch u. Gesang ging es dann von Schömberg nach Dommertingen, unterwegs wurden die beiden Flügelleute, rechts ein SS Unterscharführer und links ein Ortsgruppenleiter von Schömberg geprügelt. […] Im Lager angekommen, standen wir erst eine Stunde auf dem Hof, wo einzelne Leute schon geprügelt wurden. Anschließend wurden wir in ein Nebenzimmer der Wachtstube gebracht, von (wo) wir einzeln in die Wachtstube gebracht wurden und von 5–8 franz. Soldaten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Gegenständen geschlagen bis wir halbtot am Boden lagen. Nach Beendigung dieser Sache wurden wir unser 15 in ein Zimmer gebracht von höchstens 7 qm, wo wir 4 Tage ohne Essen u. nur etwas Wasser erhielten. […] Wir erhielten jeden Tag 4-5mal Prügel wobei nicht gesehen wurde mit was oder wohin gehauen wurde. Am 5. Tag kamen wir dann in einen Saal mit 40 Betten. Daß Aussehen der Leute war furchterregent. Gegen Mittag kam der Oberleutnant, der Lagerkommandant war, und sah sich die Leute an. Da ich der einzige war der von Gesicht noch nicht verunstaltet war wurde ich leider Capo über diese Männer.“56. 56 Aussage in schriftlicher Form, eigenhändig von Dehne, dessen Rechtschreibung und Interpunktion beibehalten wurden. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048. Der Sergeant dürfte Deletre sein. Wer der erwähnte „SS-Mann“ war, ist nicht klar. Es könnte sich um den KZ-Kapo aus Schömberg Müller oder Miller handeln, der „im Mai 1945“ im Gefangenenlager Dormettingen ermordet wurde. Der Ortsgruppenleiter kann Schoßer (s. o.) gewesen sein

Dotternhausen. Nachdem die Luftangriffe auf das Zementwerk Dotternhausen den Schornstein am 18. April 1945 zum Einsturz gebracht und das Werk teilweise zerstört hatten und nachdem sich die OT abgesetzt hatte (s. o.), machte sich fast gleichzeitig Karl

Deutelmoser erklärt Maurer den Ort des künftigen Stausees in Schömberg. Maurer, der Baumeister des Werkes und der Hauptverantwortliche für den Bau der Schömberger Schlichem-Talsperre, möglicherweise im Auftrag Rudolf Rohrbachs an den Bodensee auf, um bei Verwandten Papiere zu deponieren, die nicht in die Hände der Sieger gelangen sollten. Seine Witwe Maria Maurer, geborene Hoch, sagte im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Helmer-Sandmann am 08.09.1950 vor dem Landespolizeiposten Dotternhausen Folgendes aus: „Als der Krieg seinem Ende zuging und in Dotternhausen damit zu rechnen war, dass in einigen Tagen der Franzose hier einmarschieren werde, sagte Herr Dir. Rohrbach zu meinem Mann u. Prof. Maier-Grolmann, sie sollen mit ihm zur Wehrmacht gehen. Mein Mann ist daraufhin, da er nur av. (arbeitsverwendungsfähig) war, zu einer Genesungskompanie nach Kressbronn gekommen. Ich füge hinzu, dass mein Mann mich hier am 18.4.45 verlassen hat.“57. 57 Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048. – Dr. Franz Wilhelm Meier-Grolmann, geb. am 11.01.1903 in Marktredwitz, gehörte zum Gauamt für Technik der NSDAP, Gauleitung Württemberg-Hohenzollern, wie mehrere Schreiben an ihn nach Stuttgart, Kriegsbergstraße 13, bestätigen. Er befand sich also in unmittelbarer Nähe Rudolf Rohrbachs, der ihn dann auch Ende 1942 nach Dotternhausen ins Zementwerk holte. Die Zusammenarbeit in Sachen Patente konnte demnach hier weitergehen. Die Dokumente stammen aus dem Ordner „Patente – Allgemein“ des Zementwerkes Rohrbach, der am Ende des Kriegs nicht vernichtet wurde und dem Verfasser zur Verfügung stand. Maurer suchte in Friedrichshafen den Großonkel seiner Frau auf, den katholischen Priester Dr. phil. August Bertsch58, der als Präzeptoratskaplan und Gymnasiallehrer eingesetzt war und aus Dormettingen stammte. Dieser war als Nazigegner bekannt und habe Adolf Maurer davor gewarnt, nach Dotternhausen zurückzukehren, denn „man höre aus der Heimat nichts Gutes“. Maurer sei dennoch allen Warnungen zum Trotz nach Hause zurückgekehrt, wo man sein Haus bereits beschlagnahmt hatte. Seine Frau und seine beiden Töchter (Jahrgang 1942 und 1943) seien ihm wichtiger gewesen als die Gefahr, verhaftet zu werden.59 Frau Maurer nennt bereits am Anfang ihrer Aussage mögliche Gründe, warum Karl Maurer in Dotternhausen einer feindlichen Gesinnung ausgesetzt war und darum verhaftet wurde. 58 August Bertsch, geb. 21.01.1887, gest. 26.11.1958, war der erste Nachkriegsbürgermeister von Friedrichshafen, eingesetzt von den Franzosen vom 27.06.1945 bis 13.06.1946; Verfasser einer Hebräischen Grammatik, Lehrbeauftragter für Hebräisch an der Universität Tübingen 1957–1958. 59 Mündlich von Barbara Dick-Maurer, der jüngeren Tochter Maurers „Mein Mann war stellvertretender Ortsgruppenleiter von Dotternhausen. Er hat in Dotternhausen vielleicht manchen feindlich gesinnten Arbeiter unter sich gehabt. Die feindliche Gesinnung kann m. E. nur deshalb zustande gekommen sein, weil mein Mann stets darauf bedacht war, dass die ihm übertragenen Arbeiten richtig und ordnungsgemäß ausgeführt wurden. Ein weiterer Grund dürfte wohl der gewesen sein, dass mein Mann in den letzten Kriegsjahren die bis dahin u. k. (unabkömmlich) gestellten Arbeiter nicht mehr halten konnte. Es hiess daher, dass mein Mann schuld sei, dass dieser oder jener Soldat werden musste. Letzteres traf aber in keiner Weise zu, da er ja darüber nicht allein entscheiden konnte, sondern das hierfür zuständige Wehrbezirkskommando.“60. 60 Vernehmung vom 08.09.1950, S. 1. Wie Anm. 54. Maria Maurer erwähnt fünf Jahre nach den Ereignissen nicht, dass ihr Mann zu den Repräsentanten des Zementwerkes gehörte, weil sie mutmaßlich nicht Spekulationen Nahrung geben wollte, ihr Mann sei wegen der Nähe zu Rohrbach an dessen Stelle verhaftet und ermordet worden. Maurers Position kommt z. B. darin zum Ausdruck, dass er den Plan des Zementwerkes, angefertigt vom Architekten Schön, im November 1944 gegenzeichnete (s. o.) oder bereits seit August 1941 den Stausee-Bau für das Zementwerk beaufsichtigte. Ebenso leistete er Aufbauhilfe für die Lias Frommern, ein weiteres Ölschieferwerk, bei der er die Abrechnungen der Firma Baresel überprüfte und unterzeichnete.61. 61 Dokumente bestätigen die Nähe des Zementwerkes zur Lias-Ölschiefer-Forschungsgesellschaft in Frommern: z. B. die Lohnabrechnung für „1 Ostarbeiterin 25 Tage–240 Stunden à -,35“ am 28.04.44. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 120 T4 Nr. 585

Beim Bau der Schlichemtalsperre in Schömberg waren Arbeiter dieser Firma, z. B. Kroaten, Italiener, Dänen wie auch russische Kriegsgefangene aus dem Zementwerk, von ihm, Maurer, beschäftigt und kontrolliert worden. Was Maria Maurer bei den folgenden Nachforschungen über ihren Mann auszuhalten hatte, schildert sie in dem Dokument im Zusammenhang mit dem Prozess zu Helmer-Sandmann: „Am 5.5.45 vernahm ich aus Gesprächen im Dorf, dass mein Mann hier sei. U. a. wurde ich von meiner Nichte gefragt, ob ich mit meinem Mann schon gesprochen habe, der ja hier sei. Ich verneinte diese Frage. Um Gewissheit über die Anwesenheit meines Mannes zu haben und nichts Gutes ahnend bin ich in die damalige in der Villa Rohrbach untergebrachte Kommandantur gegangen. Von einem anwesenden Franzosen, der mir namentlich unbekannt ist u. nur einige Tage in Dotternhausen war, bekam ich den Bescheid, dass mein Mann seit 4.5.45 im KZ-Lager

Dormettingen sei.62 Gleichzeitig habe ich dann den Franzosen gefragt, ob ich meinem Mann etwas zu essen und einen Mantel bringen dürfe. Dies wurde mir erlaubt und der Franzose sagte noch zu mir ich solle am darauffolgenden Tage bei ihm vorbeikommen und er würde ins Lager gehen. Bei meiner Vorsprache am 6.5.45 auf der Kommandantur sagte der betreffende Franzose zu mir, dass ich wieder gehen soll, ich dürfe die Sachen nicht abgeben. Ich bin noch am gleichen Tage aus eigener Veranlassung nach Dormettingen gegangen und versuchte meinem Mann etwas Essen zu bringen. Bei meiner Ankunft am Lager wurde ich von einem Polen empfangen und diesen bat ich, das mitgebrachte Essen meinem Manne zu übergeben. Der Pole fragte mich, ob mein Mann Soldat oder politischer Häftling sei. Aus Angst sagte ich, er sei Soldat. Gleichzeitig bat ich den Polen, mein Mann möchte mir eine kurze Zeile über sein Ergehen mir zukommen lassen. Der Pole versprach mir dies und frug mich nach meiner Adresse, mit dem Bemerken, dass er mir dann die Antwort meines Mannes in die Wohnung bringen werde. Dies habe ich dann auch getan. 62 Der Begriff „KZ-Lager“ wurde zum Zeitpunkt des Prozesses ohne Weiteres aus der Zeit des Nazi-Regimes als Kennzeichnung übernommen. Am darauffolgenden Sonntag kam dann der Pole und überbrachte mir einen kleinen Zettel, auf welchem folgendes, von meinem Manne geschrieben, stand: ‚Ich bin hier und es geht mir gut.‘ Weiteres stand nicht auf dem Zettel. Durch dieses angespornt habe ich dann jeden Tag versucht meinem Mann etwas Essen zu bringen. Meinen Mann habe ich bei diesen Gelegenheiten durch das Fenster in der Baracke gesehen, ohne aber mit ihm ein Wort sprechen zu können.“63. 63 Vernehmung vom 08.09.1950, S. 2. Wie Anm. 54. Manchmal nahm Maria Maurer auch ihre beiden Töchter mit, die heute berichten, sie hätten dem Vater zuwinken dürfen: „In den Mittagsstunden, wir harrten alle der Dinge, die da kommen sollten, gewahrte ich eine junge Frau mit zwei Kindern, Mädchen, ich schätze 3–4 Jahre.“ „Die Mädchen hatten weiße Dirndlblusen, das Eine trug ein rotes, das Andere ein grünes Schürzchen.“ „Die Frau und die Kinder gingen auf der Straße außerhalb des Lagers entlang auf und ab und winkten unablässig uns zu. Wendelin Müller [Bürgermeister von Irslingen; Erklärung des Verf.] sagte, das ist Frau Maurer, wir müssen doch winken“, schreibt ein Augenzeuge, der ebenso ins Lager verschleppte Verkaufsleiter des PZW, Christian Zeh (s. u.). Dieser erklärte in seiner Schilderung, warum Karl Maurer nicht zurückwinken konnte: „Er war völlig blutüberströmt, musste im Paradeschritt hereinmarschieren und sich dann eine zeitlang auf dem erwähnten Schotterfeld wälzen bzw. Übungen machen. Zum Schluss musste er noch einige Meter durch tiefen Schlamm kriechen und in diesem Zustand dann den in diesem Raum befindlichen Häftlingen der Reihe nach je einen Kuss geben.“64. 64 Christian Zehs Bericht vom 28.01.1946 nennt diese beobachteten Einzelheiten (vgl. Zeh-Bericht) „Die Versuche der Lebensmittelüberbringung habe ich bis zum 17.5.45 durchgeführt. Ich habe die Lebensmittel meistens abends zum Lager gebracht. Da die Baracke, in welcher mein Mann untergebracht war, direkt an der Straße Dotternhausen-Dormettingen stand, war es mir bis dahin jedenfalls vergönnt auf einen Moment meinen Mann hinter einem Fenster zu sehen. Am 17.5.45 ging ich wieder zum Lager und bei meinem Vorbeigehen sah ich, wie mein Mann hinter dem Fenster zum Fortgehen winkte. Ich bin daraufhin in Richtung Dormettingen weitergegangen und habe mich dann etwa in einer Entfernung von 500 m vom Lager in einer Wiese hingesetzt. Während ich so da sass, fuhren aus Richtung Dormettingen kommend einige Lastautos beim Lager vor. Anschliessend hörte ich furchtbare Schreie von den Häftlingen ausstossen und es fielen Schüsse. Das Schreien und das Schiessen dauerte eine ganze Stunde. Ich dachte bei mir selber, dieses überlebt keiner der Häftlinge. Auf meinem Rückweg nach Dotternhausen kam ich wieder an der Baracke vorbei und dabei sah ich, wie mir mein Mann zweimal noch zuwinkte und dann innerhalb der Baracke zusammensackte. Am 18.5.45 ging ich wieder zum Lager und bei meinem Vorbeigehen wurde ich in die Wache gerufen. Dort wurde mir ein Stuhl angeboten und die anwesende Wachmannschaft war sehr freundlich zu mir. Dieses Benehmen fiel mir auf, da ich meinen Mann zuvor nicht gesehen hatte. Durch das Benehmen der Polen etwas ermutigt, erlaubte ich mir nach dem Ergehen meines Mannes zu fragen und fragte, ob mein Mann krank sei. Ich erhielt zur Antwort, dass mein Mann gesund sei und es ihm gut gehe. Die von mir mitgebrachten Lebensmittel wollten sie mir zu Anfang nicht abnehmen. Sie nannten einen Mann, der gleich komme und mir die Sachen abnehmen werde. Als dieser aber nicht kam, haben sie mir doch die Lebensmittel abgenommen und versprochen, sie meinem Manne zu geben.“ In Dotternhausen wussten die Leute es besser, denn man redete bereits über den Tod Maurers: „Am 19.5.45 kursierte schon im Dorf das Gespräch, dass mein Mann tot sei. Ich konnte dies nicht glauben und bin deshalb nochmals zum Lager gegangen. Meinen Mann konnte ich nicht sehen und musste deshalb unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. An den darauffolgenden Pfingstfeiertagen bin ich zu meinem Kusin nach Dormettingen gegangen, um evtl. von diesem etwas näheres über meinen Mann zu erfahren. Dieser teilte mir mit, dass der bei dem Landwirt Franz Scherer wohnhafte Pole gesagt habe, dass mein Mann tot sei. Ich bin daraufhin zu Scherer gegangen und habe den Polen nach meinem Manne gefragt. Nach langem Zögern sagte der Pole mir, dass mein Mann am 18.5.45 gestorben sei.“65. 65 Aussage Maria Maurer vor dem LPP (Landespolizeiposten) Dotternhausen am 08.09.1950. Die Gründe, warum Karl Maurer Anfeindungen auf sich zog, nannte seine Frau bereits am Anfang ihrer Aussage. Dass Unterschriften-Listen von Dorfbewohnern kursierten mit der Bitte, Maurer nicht mehr aus dem „Schwarzen Lager“ herauszulassen, wusste sie nicht, wie sie überhaupt alles Geschehene als Letzte erfuhr. Die Verbrecher jedoch hatten sicher Kenntnis von dieser Liste; durch sie fand deren Selbstjustiz Zuspruch. Diese Willkür musste auch Maria Maurer erfahren. Im Zusammenhang mit dem Gerücht über die bevorstehende Exekution fragte sie mit dem Mut der Verzweiflung selbst bei Delètre an. Sie berichtet in dem bekannten Dokument vom 08.09.1950: „Es kann am 13. oder 14.5.45 gewesen sein, dass im Dorf gesprochen wurde, dass mein Mann aufgehängt würde. Ich bin deshalb zur Kommandantur gegangen und wollte näheres über das Gerücht erfahren. Deletre gab mir zur Antwort, wenn er alles das in die Tat umsetzen würde, was von der Bevölkerung ihm zugetragen werde dann müsste mein Mann diese Strafe erhalten. Er erklärte aber, dass er dies nicht mache. Er brachte eine Rücksichtnahme mir gegenüber vor. Delètre war an diesem Tag sehr erregt und fuchtelte mit einer Reitpeitsche vor mir herum. Auf einmal wurde ich aufgefordert, einen soeben eingelieferten anzusehen. Der Häftling war mir aber nicht bekannt. Es war ein Mann im Alter von 40–45 Jahren, schmächtiger Gestalt. Ich hatte den Mann kaum gesehen, als schon von allen Seiten Ausländer kamen und wie wild auf diesen mit Lederriemen einschlugen, bis er zusammenbrach. Ich selbst habe dieser Misshandlung nicht ganz beigewohnt, sondern habe mich abgewandt. Anschliessend daran wurde ich von Deletre nochmals gerufen und er fuchtelte wiederum mit seiner Lederpeitsche vor meinem Gesicht herum, und sagte dabei ‚Sehen Sie, so machen wir es auch mit Ihrem Mann, und nun können Sie gehen.‘“ Die seelischen Qualen Maria Maurers, denen sie während Delètres Demonstration, die für sie unerträglich war, ausgesetzt war, bestätigen den Sadismus des Verbrechers. Dessen fürchterliche Lektion und Prophezeiung wurde wenige Tage später in die Tat umgesetzt, wie der Bericht eines Mitgefangenen zeigt. Es ist die Schilderung der brutalen Ermordung und des Versuchs ihrer Vertuschung. Ihre Aussage vom 08.09.1950 endet mit der Auflistung der Gegenstände, die ihr bei der Plünderung ihres Hauses entwendet worden waren, aber sie stellt sehr entschieden fest, wer aus Dotternhausen ihr übel mitgespielt hat: „Ich bin der festen Überzeugung, dass mein Mann nur auf Betreiben des Wessolofski, des Emil Rebstock und der Lotte Rebstock festgenommen wurde. Ich nehme deshalb an, dass Wessolofski dahintersteckte, weil er gleich nach dem Einmarsch der Franzosen zu mir kam und meinen Mann verhaften wollte. Wessolofski war nämlich untergebener meines Mannes im Zementwerk. Hinter Wessolofski standen dann die beiden Rebstock.“ Bei der Lektüre von Maria Maurers Aussage vor dem Landespolizeiposten in Dotternhausen entsteht der Eindruck, dass fünf Jahre nach den Geschehnissen eine fürchterliche Sachlichkeit vorherrscht, die jede Emotionalität vermeidet. Es geht um eine sehr genaue Chronologie ihrer Bemühungen, überhaupt etwas über ihren Mann zu erfahren. Dabei nennt Maria Maurer viele Einzelheiten, obwohl sie wie im Schrecken bedrohliche Zeichen und Andeutungen nicht wahrnimmt, weil sie die Panik unterdrücken muss. Zugleich fällt die zähe Hartnäckigkeit bei ihrer Suche nach Gewissheit über das Schicksal ihres Mannes auf. Im gleichen Dokument ist von der Exhumierung und erneuten Beerdigung ihres Mannes auf dem Friedhof von Dotternhausen in sachlicher Sprache die Rede: „Meines Wissens bin ich dann am 23.5.45, dass ich auf die Kommandantur ging, um die Freigabe meines Mannes zu erwirken. […] Im August 1945 durfte ich dann durch Vorsprache des Schwagers meiner Schwester, der Pater ist, beim Landratsamt Balingen, meinen Mann ausgraben und auf dem Friedhof Dotternhausen beerdigen. Um die gleiche Zeit wurden auch der Bürgermeister Rebstock, Herr Ludwig und Herr Kirchhardt ausgegraben. Ich selbst stand bei den Ausgrabungen dabei, habe aber meinen Mann nicht mehr gesehen. Das Grab wurde uns von einem Polen gezeigt und befand sich etwa 20 m vom Lager entfernt in Richtung Dautmergen. Die ebenfalls bei der Ausgrabung anwesenden Verwandten von mir, Bruder und Schwager, sagten zu mir, dass ich meinen Mann nicht mehr ansehen soll. Daraus schloss ich, dass mein Mann schwer zugerichtet worden sein muss.“66. 66 Aussage Maria Maurer vor dem LPP (Landespolizeiposten) Dotternhausen am 08.09.1950. Nach Auskunft der jüngeren Tochter Maurers, Barbara Dick-Maurer, sind die Verwandten Hermann Hoch, der zusammen mit Schwager Eugen Schneider den Vater ausgrub. Der andere Schwager, Pater Schneider aus dem Kloster Weingarten, beerdigte ihn auf dem Friedhof in Dotternhausen. Der Mitgefangene und Augenzeuge Heinrich Eggert aus Zimmern u. d. B. besuchte Maria Maurer „im Herbst 1945“ und erzählte ihr von den Umständen des „Ablebens“ ihres Mannes. Einen ausführlichen Text hat Eggert über seine eigene Verhaftung und seine Beobachtungen in Dormettingen jedoch erst nach 25 Jahren 1970 abgefasst. Der Bericht ist der früheste über den Tod Karl Maurers: „Am 17.5.45 sei(en) gegen 20.00 Uhr nochmals Dèletre und Milan sowie ein anderer Ausländer zu ihnen in die Baracke gekommen und hätten meinen Mann aufgerufen. Mein Mann sei daraufhin vorgetreten und sei gefragt worden, ob er im Garten eine Pistole vergraben hätte. Mein Mann hätte dies entschieden in Abrede gestellt. Darauf hätten die 3 solange auf meinen Mann eingeschlagen, bis er zusammengebrochen sei. Als er auf dem Boden gelegen habe, hätten sie ihn noch mit Fußtritten bearbeitet, bis er gesagt hätte, ja, er hätte eine Pistole vergraben. Diese Misshandlung meines Mannes sei furchtbar gewesen und er hätte am ganzen Körper geblutet. Daraufhin hätten sie ihn auf seine Pritsche gelegt. Am darauffolgenden Morgen hätten sie festgestellt, dass mein Mann verstorben war. Dies hätten sie einem Polen gemeldet. Letzterer hätte einen Spiegel geholt und diesen meinem Mann vor den Mund gehalten, worauf der Pole das Ableben meines Mannes bestätigt habe. Gleichzeitig hätte er eine Rasierklinge vorgezeigt und gesagt, mit dieser hätte sich mein Mann geöffnet. Eckert teilte mir aber mit, dass mein Mann aufgrund der vorausgegangenen schweren körperlichen Misshandlung dazu gar nicht mehr in der Lage gewesen sei.“67. 67 Ibidem. In seinem späteren Bericht von 1970 heißt es: „Maurer, wo hast Du Deine Maschinenpistole vergraben?“ Offensichtlich ging Delètre den Denunziationen aus Dotternhausen doch nach, einen Vorwand für den Mord suchend, denn Waffenbesitz war streng verboten. Der Zeuge Eggert erinnerte sich, dass zwei Männer Maurer malträtiert hätten, indem beide, „sich an den Pritschengestellen haltend“, auf ihm auf und ab gehüpft seien. „Etwa um Mitternacht bemerkte ich, daß Maurer einen Schaumberg auf dem Mund, von Höhe und Durchmesser von 20 cm hatte, blassrot Lungenschweiß, so verwendet man das Wort in der Jagdsprache. […] Ich sah, daß er nahe daran war, sein Leben auszuhauchen. Am aufkommenden Morgen, Mittwoch der 16. Mai, meldete Bechthold dem Kapo Dehne, Maurer ist tot. Worauf dieser fortging. Nach ungefähr 10 Minuten kam Dehne zurück […] (und) sagte dann zu mir und Bechthold – Maurer hat sich die Pulsadern aufgeschnitten –, hob die Rechte von Maurer und zeigte uns die Schnittwunde. In dem Holzgestell der Bettkante steckte eine Rasierklinge.“ Der im Text erwähnte Alois Bechthold war als Blockleiter der NSDAP in Zepfenhan aus dem dortigen Ortsarrest nach Dormettingen verschleppt worden. Zwei Personen, ein „Pole“ im frühen und Dehne im späten Zeugnis, werden von Eggert im Zusammenhang mit der Rasierklinge genannt, das Mordgeschehen ist dramatisiert und ausgeschmückt. Warum diese angebliche Selbsttötung inszeniert und wer die Verschleierung in Auftrag gegeben hatte, wurde auch im späteren Prozess gegen Helmer-Sandmann nicht geklärt, aber allen war klar, dass ein Mann, dessen „Tod um Mitternacht“ eingetreten war, nicht mehr aus Stunden später zugefügten Rasierklingen-Wunden bluten konnte, denn die Zeugen beobachteten genau, dass „die Wunde völlig weiß“ war. Warum dennoch in den Dokumenten „Selbstmord infolge Folterung“ tradiert68 ist – Maurer konnte nach der „schweren körperlichen Misshandlung“69 schwerlich dazu in der Lage gewesen sein –, bleibt unklar. Das Gericht 1951 folgte dem bestellten Arzt Dr. J. Fricker, der sich zur Todesursache angesichts der Indizien nicht zweifelsfrei äußerte (s. u.). Die Töchter Maurers verneinten die Frage, ob ihr Vater Linkshänder gewesen sei, dass er sich Wunden auf dem rechten Arm hätte zufügen können. 68 Eggert-Bericht. Eggert und Bechthold sind Zeugen beim Prozess gegen Helmer-Sandmann. Urteil S. 5. – Noch 1960 wird in dem Beitrag „Die Internierung im deutschen Südwesten“ mit falschem Datum und Ort von einer Selbsttötung Maurers gesprochen. Auch der frühe Zeh-Bericht spricht von „Selbstmord“ „durch Aufschneiden oder Aufbeißen der Pulsader“ 69 Zitat aus dem Urteil gegen Helmer-Sandmann. Rudolf Rohrbach beschreibt Karl Maurer als „tatkräftigen Bauleiter“, den er „zum 15. Januar 1939 frei bekommen“ habe, „nach guten Auskünften“ der Firmen Steidle in Sigmaringen und Gustav Epple in Stuttgart-Degerloch, den Stationen vor der Anstellung zum Aufbau des Portland Zementwerkes. „Er begann mit den Anschlußgleisen und Werkstraßen, die vor Baubeginn in dem feuchten Gelände zu erstellen waren. Die Werksgebäude entwarf er in Zusammenarbeit mit Maschinenlieferanten.“ Maurer war also von Anfang an eine Autorität und Kapazität in Bau-Dingen, denn „mit großem organisatorischen Geschick und Tatkraft“ fasste er die „Bauaufgabe“ an, sodass „zwischen uns […] bald ein Vertrauensverhältnis bestand“, wie Rohrbach schreibt. Mit der Verantwortung für das entstehende Werk hatte er auch immer Untergebene, denen er Weisungen erteilen musste. Eine Verwechslung wegen Namensgleichheit kann ausgeschlossen werden, obwohl es im Zementwerk noch einen anderen Maurer, Ernst, gab, „ideenreicher Beschaffer von Nahrungsmitteln“ mit dem Spitznamen „Spinat-Maurer“, wie ihn Rohrbach zur Unterscheidung von Karl Adolf Maurer nennt.70. 70 Rohrbach, Ein Zementwerk entsteht, S. 44. – Ein weiterer Maurer war Kreishauptamtsleiter der NSDAP im Balinger „Wilhelm-Murr-Haus“, ein dritter Maurer, Alfred Philipp, wird laut „Balinger Volksfreund“ vom 15.07.1957 aus Mangel an Beweisen von der Beihilfe für den Mord an Klug freigesprochen: „Des schwarzen Lagers zweiter Akt“ Bei weiteren ins Lager verschleppten Männern aus Dotternhausen war wiederum ihre Funktion während der NS-Zeit und/oder im Zementwerk Verhaftungsgrund. Mordopfer wurde der „Traubenwirt“ und Bürgermeister Franz Xaver Rebstock, der fast die gesamte NS-Zeit, nämlich seit November 1933, dieses Amt innehatte. Am 14.12.1891 geboren, Vater von sechs Kindern, wurde er am 20. oder 23. Mai 1945 getötet und am gleichen Tag wie Karl Maurer exhumiert. Von einer „Mitbürgerin denunziert, weil er angeblich, gerüchteweise während des Krieges ihr gegenüber mit Bezugsscheinen nicht freizügig genug gewesen sei“ (Trickbericht s. u.), ging er an Schlägen im Schwarzen Lager Dormettingen zugrunde. Josef Aicher bezeugte und schilderte das Geschehen: „Am Himmelfahrtstage (d. i. der 10. Mai) wurde Bürgermeister Rebstock gegen 21.30 Uhr ins Lager eingeliefert u. von Milan in unseren Raum verbracht. Rebstock trug noch seine eigenen Kleider u. erzählte uns, dass er bis jetzt nicht geschlagen worden sei. Er blieb nun 3 Tage in unserem Raum u. wurde beim Sport immer wieder von den Wachmannschaften geschlagen, weil er nicht gut laufen u. robben konnte. Nachdem Bürgermeister Rebstock 3 Tage in unserem Raum gewesen war, kam ein mir namentlich unbekannter Franzose, den man Tierbändiger nannte […] abends in unsere Baracke und brachte Häftlingskleidung mit. Er holte Bürgermeister Rebstock aus der Baracke u. nahm ihn in Richtung der Abortgrube. Da der Franzose bei der Abholung des Rebstock Häftlingskleider mitbrachte, nahmen wir an, dass R. seine eigenen Kleider abzugeben hatte u. dass seine letzte Stunde geschlagen habe. Was mit Rebstock bei der Abortgrube gemacht wurde, konnten wir nicht sehen. Ich beobachtete jedoch als ich später an der Abortgrube vorbei ging, dass der darin befindliche Kot aus der Grube heraus geschleppt worden war. Demzufolge nahm ich an, dass Bürgermeister Rebstock in die Abortgrube geworfen wurde u. beim Heraussteigen den Kot herausschleppte. Wir konnten an diesem Abend noch beobachten, wie Rebstock von Polen mit einem 3-Zollschlauch abgespritzt wurde. Die Ausführenden Polen hielten Rebstock den starken Wasserstrahl einmal in den Mund. Nach dem Abspritzen wurde Rebstock zu den übrigen Häftlingen gebracht, die inzwischen in den grossen Raum unserer Baracke verlegt worden waren. Ich habe späterhin R. Im Lager nicht mehr gesehen u. nichts mehr von ihm gehört.“71. 71 Josef Aicher beim LPP Dotternhausen am 09.09.1950 vor dem Kriminalwachtmeister Gulde. Dieser könnte beim Abfassen des Dokuments Formulierungshilfe geleistet haben und fünf Jahre nach den Vorgängen den Befragten ermutigt haben, durchaus von einem Franzosen als Mittäter zu sprechen. Unklar bleibt, woher und wann dieser Franzose den Übernamen „Tierbändiger“ erhalten hatte. Gleichen Namens wie der Bürgermeister überlebte Viktor Rebstock, geb. am 28.02.1893, Landwirt und Straßenwärter, die Drangsale im Lager Dormettingen – er war vom 3. bis 17. Mai 1945 dort eingesperrt – und konnte einen eigenen Bericht unmittelbar nach seiner Freilassung verfassen. Dieser Bericht ist die noch im Mai aufgeschriebene früheste Quelle. Er dokumentiert das Nebeneinander verschiedener Kategorien von Internierten, nämlich „Untersuchungsgefangene“, wohl „politische Zivilisten“, die in eine Zelle verbracht werden. Diese sind die „Unglücklichen“ oder „Todgeweihten“, „Gequälten“, denn „die Menschen wurden nicht nur leiblich, sondern auch seelisch gemordet“. Deshalb ist das Lager eine „Mördergrube“, in die sich die Frauen der Verhafteten getraut hatten. Sich selbst rechnet Viktor Rebstock nicht zu den vom Tod bedrohten Gefangenen, was damit zu begründen ist, dass er ja das Lager hatte verlassen können. Die ebenfalls verhafteten Belgier und Holländer hatten „mehr Freiheit als wir“; ob es sich um Soldaten handelte, wird nicht klar. Ein hoher Soldat, ein „Oberst, dessen Nationalität“ er „noch nicht nennen möchte“, hielt eine Ansprache, in der er „den Schlächtern noch den Auftrag gab, innerhalb von 8 Tagen alle zu erledigen“. Dass es sich um einen „amerikanischen Oberst“ handelte, sagte Viktor Rebstock erst am 07.09.1950 im Zusammenhang mit dem Prozess Helmer-Sandmann aus. Es ist der Oberst, der wissen wollte, ob jemand von den Gefangenen Englisch spreche, der dann Christian Zeh, nachdem dieser sich gemeldet hatte, fragte, warum er in die Partei eingetreten sei (s. u.). Demnach ist anzunehmen, dass Zeh die Ansprache des amerikanischen Obersts in englischer Sprache seinen Dotternhausener Mitgefangenen übersetzt hat. Warum die Tatsache, dass ein Amerikaner die „Schlächter“ zum Töten aufgefordert hatte, in dem Bericht vom Mai 1945 unerwähnt blieb, kann damit zusammenhängen, dass sich Amerikaner mit den Franzosen ab dem 20. April im Zementwerk aufhielten, um die Technik des Werks zu erkunden, indem sie den kommissarischen Leiter Wesolofski befragten. Hier dürften auch künftige mündliche und schriftliche Äußerungen über das Geschehen im illegalen Lager von den betroffenen Dotternhausenern verständlicherweise abgesprochen worden sein. Handschriftliche Aufzeichnungen von Viktor Rebstock, Dotternhausen, aufgezeichnet von seiner Tochter Käthe Meinartz kurz nach seiner Entlassung aus dem Schwarzen Lager im Mai 1945:

Der Bericht ist der früheste, weil er wohl noch im Mai 1945 verfasst worden ist. Er spricht für sich und erläutert die fürchterlichen Schrecken des Lagers. Der Verfasser steht noch unter Schock, differenziert vom Ausgang her zwischen den „Todgeweihten“ und den Geretteten, bezeichnet durch die Wir-Perspektive: Mussten die Wir-Gruppe und Viktor Rebstock nicht mit dem Tod rechnen? Wenn er von „denen, die das Lager nicht mehr lebend verließen“, spricht, erweckt dies den Eindruck, als seien die Todeskandidaten von Anfang an ausgesucht wurden. Geschah dies in einer Art Gerichtsverhandlung wie in einem rechtmäßigen Prozess, wenn der Begriff „Untersuchungsgefangene“ verwendet wird? Haben die gleichzeitigen Richter und Henker die Gefangenen getrennt nach „Politischen“ und „Nichtpolitischen“, ablesbar am Eingesperrtsein in der Nachbarzelle für die zu Tötenden und „unsere Zelle“ für die anderen? Die „Bunker“-Erzählung offenbart für Anfang Juni 1945 noch einmal das zynisch-makabre Theater der für das „Schwarze Lager“ Verantwortlichen, die noch nicht einmal vor dem Mord an Ingenieur Koch zurückschreckten. In der Aussage von Josef Aicher, geb. am 10.03.1888, der als „PG und Ortswalter der DAF in Dotternhausen“ vom 03.05.45 bis 16.05.45 im illegalen Lager inhaftiert war, sind die Taten, die Franz Xaver und Viktor Rebstock auszuhalten hatten, detailliert geschildert.72. 72 Aussage von Josef Aicher vor dem LPP (= Landespolizeiposten) Dotternhausen am 09.09.1950 im Prozess gegen Helmer-Sandmann. Aicher war PG (= Parteigenosse) und „Ortswalter der DAF (= Deutsche Arbeitsfront) in Dotternhausen. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048. Zusammen mit Aicher und Rebstock wurde Aichers Nachbar in der Hauptstraße in Dotternhausen, der Posthalter Josef Schneider, geb. 18.03.1891, ebenfalls verhaftet, was Aicher in seiner Aussage vor dem LPP Dotternhausen 1950 verifiziert hatte. In der Kommandantur im Hause Rohrbach, wohin diese Männer geführt wurden, musste Aicher auf Befehl Delètres aus einem Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“ vorlesen: „In diesem Zusammenhang überschüttete er uns mit wüsten Beschimpfungen“ […] riss mir das Buch aus der Hand und versetzte mir unter Beschimpfungen mit dem Buchrücken einen kräftig geführten und schmerzhaften Schlag auf den Kopf.“ Nach dieser „Entnazifizierung“ durch erneute Demütigung – vorher hatten die Verhafteten alle Entgegenkommenden auf dem Weg zur Kommandantur mit „Heil Hitler“ grüßen müssen – wurden die Männer von Kovar nach Dormettingen gefahren, wo sie, abgesondert von den deutschen Kriegsgefangenen, den „politischen“ Häftlingen zugeteilt wurden. Aicher erkannte Schosser und Seifried aus Schömberg, andere nicht, denn sie waren „bis zur Unkenntlichkeit geschlagen worden. Manche hatten derart aufgeschwollene Gesichter, dass die Nase hinter den übrigen Gesichtspartien zurücklag. Einem Häftling war ein Auge ausgeschlagen worden, während einem anderen ein Ohr fehlte.“ Ein weiterer Dotternhausener, Christian Zeh, Kaufmännischer Leiter des Zementwerkes, verfasste schon am 28.01.1946 einen neunseitigen Bericht über seinen „Aufenthalt im Lager Dormettingen vom 3.–15.Mai 1945“73. Dieser könnte, zeitlich näher am Geschehen als fast alle anderen geschrieben, eine Topografie der Schauplätze im „Schwarzen Lager“ liefern, weil die Erinnerung an die jeweiligen Orte sehr eindrücklich ist. Ebenso differenziert Zeh bei den Inhaftierten zwischen den separierten Kriegsgefangenen und den von der illegalen Kommandantur als „politische“ Häftlinge Bezeichneten. Man konnte im „Spiegel des Fensterflügels“ die Drangsalierer und ihre Opfer beobachten, hatte gleichzeitig einen „Blick zum Eingang“ des Lagers, konnte deshalb sehen, wie sich der katholische Pfarrer von Dormettingen, Kammerer Haug, für einen OT-Führer eingesetzt habe. Ein weiterer Barackenraum habe die Häftlingsabteilung für die außerordentlich stark Verletzten enthalten. Dieses Gebäude war außerdem „der Hauptraum der erwähnten Baracke für deutsche kriegsgefangene Soldaten“. Es gab eine Wachstube, eine weitere Baracke für „Häftlinge einer anderen Abteilung“, ungefähr 50 Meter von der Hauptbaracke entfernt. Die „Abortgrube“, Ort der haarsträubenden Gewaltakte, ist ebenso lokalisiert. Es fehlt allerdings der Hinweis auf den Hydranten, wodurch die Folter mit Wasser ermöglicht wurde: auf Nachkriegsbildern ist er zu sehen. 73 Kreisarchiv Zollernalbkreis Sammlung „Unternehmen Wüste“ Christian Zeh, Josef Aicher und Viktor Rebstock konnten dann detailgetreu bezeugen, was mit Bürgermeister Franz Xaver Rebstock geschah: „Am Himmelfahrtstage (10. Mai gegen 21 Uhr) erschien der Tscheche Milan (Kovar) bei uns und, nachdem wir, wie es Vorschrift war, aufgesprungen waren und militärische Haltung eingenommen hatten, erklärte er uns lachend, wir würden jetzt vornehmen Besuch bekommen. Er brachte dann den früheren Bürgermeister Rebstock […] in unseren Raum“ (Zeh). „(Dieser) wurde mehrmals, auch des Nachts, zu Verhören geholt und erzählte uns, dass man ihm vorwerfe, dass während seiner Amtszeit […] Milan einmal Arrest bekommen habe und diesen in dem im Rathaus befindlichen Arrestlokal habe absitzen müssen“ (Zeh). Erstmals hier ist konkret eine Verbindung vom Täter zum Opfer hergestellt, Rache und Zorn als Motive. Bürgermeister Rebstock „blieb nun 3 Tage in unserem Raum und wurde beim Sport immer wieder von den Wachmannschaften geschlagen, weil er nicht gut laufen und robben konnte“ (Aicher). Dann erhielt Franz Xaver Rebstock Häftlingskleidung von einem „Franzosen, den man Tierbändiger nannte“, und dieser „nahm ihn in Richtung der Abortgrube“ mit, in „die andere Häftlingsabteilung“ (Aicher). „Wir beobachteten durch den Spiegel des Fensterflügels, dass an diesem Tage den Häftlingen der Reihe nach jeweils etwa 20–25 Minuten lang mit einem Wasserschlauch Wasser in den geöffneten Mund gespritzt wurde, während die gerade an der Prozedur nicht beteiligten im Chor das Lied singen mussten: ‚Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei …‘ Der […] Bürgermeister […] wurde bei dieser Gelegenheit einige Male in die Abortgrube gelegt und dann jeweils wieder kalt abgespritzt“ (Zeh). „Nach dem Abspritzen wurde Rebstock zu den übrigen Häftlingen gebracht, die inzwischen in den großen Raum unserer Baracke verlegt worden waren. Ich habe späterhin R. im Lager nicht mehr gesehen u. nicht mehr von ihm gehört“ (Aicher). Eggert berichtet von weiteren bezeichnenden Einzelheiten, die Motive Milan Kovars betreffend. „Rebstock hatte ganz blutunterlaufene Augen. Milan sagte hierauf zu Rebstock: ‚Heute hole ich noch die hübsche Blondine aus der Traube, mit der bist Du doch verwandt.‘ Rebstock sagte: ‚Ja, wir sind verwandt.‘ ‚Gut, ich bringe sie noch heute hierher und liquidiere Euch Beide zusammen, dann kommt Ihr zusammen unter die Erde und Beide miteinander in den Himmel.‘ Rebstock sah ohne sichtliche Erregung an die Decke. Er hatte mit dem Leben abgerechnet.“ „Jedenfalls starben laufend welche (Häftlinge) an den Folgen der Behandlung und wurden dann jeweils kurz vor Einbruch der Dämmerung von den übrigen Häftlingen in eine Decke gehüllt, zum Lager hinausgetragen und vermutlich irgendwo in der Nähe des Lagers beerdigt.“ „An mir namentlich bekannte Todesopfer erinnere ich mich an folgende: Hübler (= Hübner), Schörzingen, ehemaliger Ortsgruppenleiter Maurer, Dotternhausen, ehemalig. Bürgermeister Rebstock, Dotternhausen, Lohnbuchhalter Haase, Dotternhausen, Werkschutzmann König, Laufen“ (Zeh). „Soviel ich weiß, wurden die ansonsten ums Leben gekommenen mit einem Wagen in den Waldteil Härdtle bei Dormettingen verbracht“ (Aicher) Die „Aufstellung der im illegalen KZ’Lager Dormettingen ums Leben gekommenen Häftlingen lt. Eintragungen im Sterbebuch des Bürgermeisteramtes Dormettingen“ (oben) führt als erstes Opfer „Bürgermeister Franz Rebstock, geb.14.12.91 in Hausen o. R., zul. wohnh. in Dotternhausen, Krs. Bal., gestorben am 23.5.45, Todeszeit unbekannt“, auf. (Vgl. Liste vom 14.09.1950.) Die „Liste der von der Kommandantur Dotternhausen und im Lager Dormettingen inhaftierten Personen“ notiert für V. Rebstock eine weitere eintägige Inhaftierung vom 13. auf den 14. oder vom 14. auf den 15. Juni (das genaue Datum ist nicht bekannt), für J. Aicher „auf der Kommandantur Dotternhausen“ vom 9. auf den 10. Juni 1945. Christian Zeh taucht in der Liste gar nicht auf, weil er unverhoffterweise entlassen wurde. Er schreibt: „Am zweiten Tag meiner Inhaftierung wurde ich von dem Tschechen Anton aus dem Raum herausgeholt, unter Bedrohung mit der Waffe in eine Ecke gestellt und gefragt, ob ich noch Wein zu Hause habe. Ich sagte ihm, dass ich wahrscheinlich noch 2 Flaschen im Keller hätte und dass er sich dieselben holen solle. Das tat er, wie ich später erfuhr, in Begleitung eines Zivilfranzosen Namens Jakob noch am gleichen Tage und behandelte uns daraufhin wesentlich besser. Insbesondere wurden die für mich speziell schmerzhaften Übungen im Freien seltener.“

Diese durch den Wein verursachte „Milde“ hielt jedoch nicht lange an, denn „am Himmelfahrtstage abends“, 10. Mai, musste sich seine Häftlingsgruppe „in einer Reihe an die bereits angetretenen Häftlinge anschliessen. Sodann begaben sich ein zufällig anwesender amerikanischer Oberst in Begleitung des Oberleutnants Bilettre (= Delètre) und jeweils 1 oder 2 Tschechen von einem der Häftlinge zum anderen, beschimpfte ihn und liess ihn von seiner Begleitung durch Schläge auf den Kopf und dergl. misshandeln. Der Ob.Lt. Bilettre beteiligte sich persönlich dadurch an den Misshandlungen, dass er einzelnen Häftlingen mit Handschellen, die er in der Hand trug, ständig auf das Nasenbein schlug. Als man in der Reihe auch zu uns kam, fragte der amerik. Oberst, wer von den Verhafteten englisch spreche. Ich meldete mich daraufhin. Der Oberst kam auf mich zu und fragte dabei den Ob.Lt. Bilettre, ob wir auch SS seien, was von diesem verneint wurde. Sodann fragte er mich, warum ich in die NSDAP eingetreten sei. Ich antwortete ihm, dass ich schon im Jahre 1932 eingetreten sei, weil ich seinerzeit der Meinung gewesen wäre, dass die Partei eine gute Sache ‚a good thing‘ sei. Ich hätte aber später keinerlei Amt innerhalb der Partei bekleidet. Die weitere Frage lautete, warum ich dann nicht ausgetreten sei. Ich erwiderte, dass dies unmöglich war, worauf der Oberst antwortete: ‚Sie wollen sagen, es sei zu gefährlich gewesen?‘ und hinzufügte, wir alle hätten nicht verdient, den heutigen Tag zu überleben. Ich möchte dies auch meinen Kameraden klarmachen. […] Ich selbst und meine beiden Mithäftlinge wurden am 15. Mai plötzlich auf den Hof gerufen, wo wir von Ob.Lt. Bilettre gefragt wurden, ob wir uns bisher politisch aktiv betätigt hätten bzw. zukünftig aktiv betätigen wollten. Als wir dies verneint hatten, wurde uns erklärt, dass wir entlassen seien und in 2 Minuten aus dem Lager verschwinden sollten. Dabei wurde mir noch gesagt, dass ich mich nach einer anderen Unterkunft für mich und meine Familie umsehen solle, da ich meine Wohnung räumen müsse. Letzteres wurde dann jedoch nicht Wirklichkeit.“74. 74 Kreisarchiv Zollernalbkreis Sammlung „Unternehmen Wüste“. Christian Zehs Bericht vom 28.01.1946, S. 7. Der Bericht ist die Schilderung eines fürchterlichen Theaters Delètres vor einem höher gestellten Offizier, der willkürlichen Macht vor einem Mächtigeren, dessen Worte die Verbrecher zu noch mehr Grausamkeiten anstachelten. Vorgeblich geht es um Gesinnung oder politisches Handeln während der NS-Zeit und in der Zukunft, dies sind jedoch vorgeschobene Gründe für barbarisches Tun. Zwar wurde Christian Zeh entlassen, aber die Barbarei ging zwei Wochen später weiter: „Anfang Juni wurde ich dann nochmals nachts um 11 Uhr aus dem Bette heraus festgenommen und mit weiteren 7 Männern aus Dotternhausen im Garten des Eckhauses, das früher von Ortsgruppenleiter Maurer und Prof. Meier-Grolmann bewohnt war, von nachts ½ 12 Uhr bis am nächsten Morgen etwa um ½ 10 Uhr in einem 2 Mann-Bunker eingesperrt. Infolge der furchtbaren Enge waren alle, die in dieser Nacht mit eingesperrt waren, am nächsten Vormittag mehr tot als lebendig. Einer von den Beteiligten, ein gewisser Koch …, der an einem Herzfehler litt, starb im Verlauf der sich anschließenden Misshandlungen, wobei wir von den Tschechen u. a. auch durch das Dorf geführt wurden, an einem Herzschlag. Die zuletzt erwähnte Aktion war seitens der Tschechen offenbar so gedacht, dass die daran Beteiligten lächerlich gemacht werden sollten, denn ich musste z. B […] im Schlafanzug und Bademantel mit marschieren, während man einem anderen einen Brautschleier und einen Zylinder aufgesetzt hatte. Die damals in Dotternhausen liegenden französischen Besatzungssoldaten reagierten […] absolut ablehnend gegen diese Veranstaltung der Tschechen und haben sich […] empört über die Veranstaltung geäußert.“ Warum haben die Franzosen nicht eingegriffen? Diese große Frage bleibt unbeantwortet. Die Differenzierung zwischen den handelnden Tschechen und den empört zusehenden französischen Soldaten bei den Erniedrigungen der Dotternhausener Männer spricht nicht unbedingt für die Angehörigen der Besatzungsmacht. Geht es beim Abfassen des Berichts im Januar 1946 darum, die Franzosen nicht zu schlecht aussehen zu lassen? Das Erlebnis als solches ist noch Jahre später immer wieder Erinnerungsanlass zwischen Christian Zeh und Viktor Rebstock.75. 75 Kreisarchiv Zollernalbkreis Sammlung „Unternehmen Wüste“, S. 8 f. Wolfgang Zeh, Sohn von Christian Zeh, kann sich an Gespräche zwischen beiden erinnern, in denen oft dieses Bunkererlebnis thematisiert wurde. Mündlich dem Verfasser erzählt. Dessen Name ist fast zwei Jahre später wieder auf den „Lohnlisten für Drainagearbeiten am Ehrenfriedhof Schömberg“ vom 3. Juli 1947 zu lesen: Er ist der Vorarbeiter, der die Namen und Arbeitsstunden der Männer aus den verschiedenen Orten, die alle im Zusammenhang mit dem „Schwarzen Lager“ standen, registrierte und für die „Richtigkeit“ der daraus resultierenden Geldbeträge unterschrieb. Die Arbeitsleistung war durch die Militärregierung angeordnet worden wie 1945 die „Umbettung“ der KZ-Opfer von Schörzingen in zeitlicher Nähe zu der Suche nach den Opfern des „Schwarzen Lagers“. 1946 wurde auch das Ausgraben der Leichen im Schönhager Loch, Schömberg, angeordnet mit dem Ziel, den „Ehrenfriedhof“ Schömberg für die Opfer der Konzentrationslager Schömberg und Dautmergen anzulegen. Hier mussten die Männer von Mai bis September 1947 unter Rebstocks Leitung arbeiten,76 auch die aus den benachbarten Dörfern. Denn alle Männer, wie die Listen verdeutlichen, hatten der Anordnung der Militärregierung Folge zu leisten. 76 Dokumente aus dem Stadtarchiv Schömberg zum „Ehrenfriedhof“, bis heute Bezeichnung für den KZ-Friedhof Schömberg

Ernst Frey war kein Dotternhausener, aber laut Liste „zuletzt wohnhaft“ in Dotternhausen. Er wohnte „am Bahnhof Nr. 178“, einer Adresse, die der Sprengmeister Peter Hellmuth, sein Arbeitskollege, angab, als er erst im August 1945 Freys Tod dessen Mutter Sybille Frey mitteilte. Der Brief beschreibt die Umstände des Todes und Begräbnisses:

„Als Arbeitskamerad Ihres Sohnes Ernst Frey […] habe ich Ihnen eine traurige Nachricht mitzuteilen. Am 17. Mai morgens um ½ 8 Uhr hatte man Ernst wegen angeblicher Misshandlung von bei Ernst beschäftigten K.Z.Häftlinge (meistens Polnische Juden) verhaftet und in das Gefangenenlager nach Dormettingen (ca. km von hier) gebracht. Da waren nun noch viele Deutsche, aber meistens politische Gefangene. Einige Tage später traf ich auf der Straße einen von den, welche Ernst verhaftet und abgeführt hatten, und derselbe erklärte mir auf meine Anfrage wo Ernst sei, kurz Frey ist tot. Ich habe nun sehr oft Nachforschungen angestellt, und endlich vorige Woche habe ich von Polen, welche Wachdienst hatten, die Bestätigung erhalten, daß Ernst tot ist, und am 19. Mai (Pfingstsamstag) morgens begraben worden ist. Der Pole zeigte mir auch die Stelle, wo Ernst begraben war und zwar auf einem Feld in der Nähe des Gefangenenlagers. […] Ich habe nun die nötigen Schritte zu einer Umbettung unternommen […] und so haben wir Ernst am 15.8.45 (6 Gefängnishelfer) heute ausgegraben, und in einen Sarg gelegt, zum Friedhof nach Dotternhausen mit einem Leichenwagen bringen lassen. Um ½ 11 Uhr heute Mittag war die Beerdigung. […] Er ist nun von dem Pfarrer von Erzingen, welcher sich auch viele Mühe machen musste, um die Beschaffung der Genehmigung bei der franz. Kreiskommandantur in Balingen zur Umbettung (zu bekommen), beerdigt worden. Es war eine große Beerdigung, da 2 Menschen [der andere ist Lohnbuchhalter Haase vom Zementwerk] beerdigt wurden, welche das gleiche Schicksal traf; und die Anteilnahme der Einwohner von Dotternhausen war groß. Kränze u. Blumen brachte man in großer Zahl. Da Ernst ja hier auch bekannt war. Der Pfarrer von Erzingen hatte eine sehr ergreifende Leichenrede gehalten. […] Wir mußten auch für die Leute welche das Ausgraben besorgten Alkohol u. Rauchwaren besorgen, denn es war keine schöne Arbeit. Da die armen Menschen doch schon 3 Monate fast in der Erde lagen ohne Sarg u.s.w. Aber das alles haben wir gerne gethan, zuerst als Mensch u. auch als Arbeitskamerad; und vor allen Dingen für seine Hinterbliebenen. Es ist nun doch ein Trost für Euch alle. Ihr wißt das Ernst leider tot ist, aber Ihr wißt auch jetzt, daß er kirchlich beerdigt ist, und könnt an sein Grab gehen, und beten. Möge Ihm die Erde leicht sein, er war ein guter Arbeitskamerad.“ In einem weiteren Brief desselben Tages geht es im Zusammenhang mit der Sterbeurkunde um bestimmte Fragen zur Person des Toten, die er, Hellmuth, nicht habe beantworten können. Wenn er Freys Mutter als Todesursache „Herzkreislaufschwäche“ vorschlägt, so bietet er die während der NS-Zeit immer wieder benutzte verschleiernde Todesart an, er schreibt an eine völlig Unbekannte und fügt deshalb immer wieder Erklärungen hinzu

„Dann die Todesursache. Er starb ja im Lager wie und wodurch wird wohl niemals aufgeklärt werden. Denn Zeugen sind wohl keine mehr da. Als Todesursache kann angegeben werden: 1) Herzkreislaufschwäche oder 2) Infolge Inhaftierung im Gefangenenlager Dormettingen. Sie können mir auch eine andere Todesursache angeben, wenn Ihnen keine der vorerwähnten zusagt. Ich bitte Sie, sobald wie möglich nach hier zu kommen, wegen der Beantwortung der Fragen, damit die Sterbeurkunde fertiggestellt werden kann; und ich noch hier bin. Hätte die Sterbeurkunde heute 16/8 gerne mitgenommen, aber ich konnte die Fragen nicht beantworten. Ich habe alle Vorlagen für Ausgraben, Sarg u.s.w. vorgelegt, und Sie haben keine Kosten zu bezahlen, bekommen das Geld von der Firma in Bochum zurück. Nochmals meine innige Anteilnahme bei dem schweren Verlust.“77. 77 Handgeschriebene Briefe von Peter Hellmuth mit dem Datum 15.08. 1945. Dem Verfasser überlassen von Ernst Freys Tochter Sibylle Jöhring, 44628 Herne. Rechtschreibung beibehalten. Dass Ernst Frey denunziert worden war, hing mit seiner Tätigkeit bei der DÖLF zusammen, denn Dokumente vom April und Mai 1944 sind sowohl von Fortmann als auch von Frey unterschrieben. Als Schachtmeister78 hatte er genügend Befugnisse, die auch in einem Schreiben an der Bürgermeister der Stadt Schömberg zum Ausdruck kommen: darin geht es um den „Einsatz russischer Fachkräfte“. Aus dem Verteiler geht hervor, dass die organisatorische Spitze mit den Initiatoren des späteren Unternehmens „Wüste“ Hauptmann von Kruedener und Dr. Sennewald die Zuzugsgenehmigung für russische Ingenieure erwirken wollte. Allerdings bezeugt Georg Bader als ehemaliger Angehöriger der DÖLF in einer Aussage von 1961, dass sein „Personalchef Frey“ hieß, sodass es sich wohl um einen Vorgesetzten gleichen Namens handelt.79 Ernst Frey hatte die Firma Wilhelm Wahmann, Gesellschaft für Tief- und Eisenbahnbau mbH. aus Bochum-Laer, mit mehreren anderen Angestellten nach Süddeutschland geschickt. Sie sollten beim Aufbau zunächst der DÖLF selbst, danach bei den „Wüste“-Fabriken und Meiler mitwirken. Hier kam er nicht nur mit den Verantwortlichen von „Wüste“, sondern auch mit KZ-Häftlingen der „Wüste“-Lager zusammen, sodass der Denunziant die „Misshandlung von KZ-Häftlingen, polnischen Juden“, als Verhaftungsgrund angeben konnte. Ein weiterer Grund war sicherlich, dass Ernst Frey ab Ende Januar die OT-Uniform anziehen musste. 78 Schachtmeister war Ernst Frey, geb. 17.06.1899, bereits seit 1926. Der Bergmännische Begriff wird auch bei der Verschwelung von Ölschiefer verwendet. „Schachtmeister“ weist auf einen „Schachtofen“, der eine vertikale Achse hat wie der „Hubofen“, mit dem die DÖLF die Vertikalschwelung in ihrer Versuchsanlage in Schömberg erprobte und durchführte, bis das „Wüste“-Unternehmen die horizontale Meiler-Schwelung nach Sennewald einführte, von der auch Frey in Briefen an seine Frau berichtete. Frey war 1937 von einer Landwehrübung zurückgestellt worden, ein Bild vom 01.02.1940 zeigt ihn in Wehrmachtsuniform, kurz danach hatte er die 43-Jahr-Grenze für den aktiven Wehrdienst erreicht, war jedoch weiter av. = arbeitsverwendungsfähig. 79 Aussage Georg Baders vor dem Kriminalkommissariat Rottweil, Kriminalaußenstelle Schwenningen am 16. Januar 1961, S. 1. Staatsarchiv Sigmaringen Ho 400 T2 943. In einem Brief an seine Frau schreibt er am 21. Januar 1945: „Wahrscheinlich werden wir diese Woche noch als O.T. eingekleidet. Was sie noch alles mit uns vorhaben, weiß ich jetzt selbst noch nicht. Die Baustelle ist momentan gar nicht so kriegswichtig wie anfangs. Nächsten Sonntag müssen wir exerzieren statt arbeiten.“

Als Schachtmeister, dessen Skepsis in diesem Brief deutlich wird, hatte er mit dem Arbeitskollegen, Sprengstoffmeister Peter Hellmuth, zu tun: Ein „Sprengstofferlaubnisschein Nr. 11“ vom 13. September 1944 für die DÖLF macht den Zusammenhang mit dem Zementwerk deutlich: Die „nach einer Sprengung übriggebliebenen Sprengstoffe dürfen vorübergehend in dem Sprengstofflagerraum des Portlandzementwerkes Dotternhausen aufbewahrt werden.“ Ein Schlüssel für das Sprengstofflager wurde Emil Kuhi aus Estland, der mit seinen estnischen Landsleuten „Wüste“ 8 aufbaute, am 21.04.45 von Frey übergeben und von Kuhi per Zettel bestätigt: „Hiermit bestätige ich dass ich den Schlüssel von dem Sprengstofflager der Fa Wahmann empfangen habe.“

Während die anderen Angehörigen der Firma Wahmann nach Bochum „abgerückt“ waren, blieben Ernst Frey und Peter Hellmuth in Dotternhausen. Letzterem gegenüber habe Frey „öfters“ gesagt, „er hätte nichts zu befürchten von den Häftlingen nach dem 20.04. und es kam doch leider anders, vielleicht war er doch schon mal etwas grob und die haben ihm das nachgehalten, und mußte dafür sterben; weil er in mancher Beziehung auch nur für seine Firma strebte.“80 Der Brief ist von hilfloser Sprachlosigkeit geprägt, der den nicht erwarteten Tod zu erklären versucht. 80 Brief Peter Hellmuths an Freys Mutter in Klosterreichenbach, S. 4. Dass einige der Opfer des Schwarzen Lagers den Hass unterschätzten, ist nach dem Ende der Naziherrschaft vermutlich mit den Gefühlsschwankungen zwischen „Wir sind noch einmal davongekommen“ und „Was passiert, wenn sie uns kriegen?“ zu erklären. Dass das Rachebedürfnis einen derartigen Grad erreichen würde, konnten sich viele nicht vorstellen. Die durch das Regime bedingten Verflechtungen von zivilen Firmen, der Bauindustrie mit staatlichen Organisationen, besonders der Staatspartei, ließen die späteren Opfer des Schwarzen Lagers als Teile des Ganzen erscheinen, waren sie doch ehemalige Vorgesetzte, die Arbeitern, egal welcher Provenienz, Anweisungen oder Befehle erteilten. Sie waren jedoch ebenso in den Funktionen, die sie hatten, Repräsentanten des Regimes, das den Untergebenen Zwangsarbeit zugemutet hatte. Justiziabel sind deshalb bestimmte Verhaltensweisen der Vorgesetzten in keinem Fall. Sieht man in die Liste der Opfer, so finden sich ehemalige Amtsträger in Partei und Verwaltung, findet sich bloße Parteimitgliedschaft (vgl. unten) oder die Zugehörigkeit zur Industrie, DÖLF oder Zementwerk. Doch durch nichts und in keiner Weise sind dadurch die Brutalität der Gewalttaten und das Morden gerechtfertigt. Willkür und Machenschaften der Nazi-Diktatur wurden ihnen nun stellvertretend angelastet, obwohl Verbrecher wie Delètre und Milan Kovar sicher gar keine Gründe brauchten für ihre Mordtaten. Nach der Meldung durch Peter Hellmuth wurde der Totenschein für Ernst Frey in Dormettingen ausgestellt mit der Todesursache „im illegalen Gefangenenlager Dormettingen ermordet“, wahrscheinlich „erschossen“, wie in einem anderen Dokument überliefert ist. Ernst Frey bekam in Dotternhausen, seinem letzten Wohnort, ein Grab und einen Gedenkstein. Seine Ehefrau hatte bewirken können, dass dieses zunächst nicht „abgeräumt“, sondern als „Kriegsgrab nach dem Gräbergesetz“ anerkannt und in „öffentliche Pflege“ bis 1977 gestellt wurde. Deshalb befindet sich heute an exponierter Stelle neben dem Hauptkreuz des Dotternhausener Friedhofs ein Gedenkort an Ernst Frey.81. 81 Dokumente des Schriftverkehrs von Elisabeth Frey mit dem Regierungspräsidium Tübingen 05.09.1968, dem Landratsamt Balingen 13.08.1969 und dem Bürgermeister Dotternhausen 22.07.1977

Täbingen, Gösslingen, Zepfenhan, Zimmern. Die Verhaftungen und die Misshandlungen im „Schwarzen Lager“ Dormettingen betrafen nicht nur Menschen aus Schömberg und Dotternhausen, sondern auch aus kleineren Gemeinden, Täbingen, Gösslingen und anderen. Betrachtet man die Lage der Orte, aus denen die Opfer stammten, so ergibt sich ein Ring um den Hauptort Schömberg, was wiederum auf die DÖLF und auf die beiden Konzentrationslager auf der Gemarkung der Stadt hinweist. Die Gründe für die Morde in den Dörfern hängen wiederum mit der Funktion der Opfer während des „Dritten Reiches“ zusammen. Das Muster des „verabscheuungswürdigen Denunziantentums“ ist auch in den Dörfern zu sehen. Der „frühere Stützpunktleiter und Landwirt Christian Trick“, „früherer Ortsgruppenleiter“, schreibt, die „Verhaftung (der Männer) am 23. April 1945 abends gegen 8 Uhr“ sei „wohl der dunkelste Fleck in Täbingens Geschichte“, denn „es existierte eine Liste“, die „nachher niemand geschrieben haben“ wollte, mit den Namen der zu Verhaftenden. „Bei meiner Ankunft im Rathaus [von Täbingen; Erklärung des Verf.] gab es nach dem ‚Hände hoch‘ zuerst eine Leibvisitation nach Waffen. Hauptlehrer Richard Krämer sass bereits im Ratszimmer, er war gewöhnlicher Pg. (= Parteigenosse) und trat erst 1938 der Hitlerpartei bei, er hatte als Lehrer am Ausbruch des Krieges keinen Einfluss und keine Schuld, so wenig, wie ich und die beiden Landwirte Martin Völkle, welcher als Ortsbauernführer die Belange der Landwirtschaft zu vertreten hatte, ebensowenig Georg Seemann, welcher die Sammelgelder der N. S. Volkswohlfahrt nach einer Sammlung an den Kreis weiterleitete. […] Wir wurden für verhaftet erklärt und […] ins Lager Dormettingen gefahren. […] Richard Krämer und Martin Völkle wurden als Erste von Wachmannschaften weggebracht. […] Morgens gegen 4 Uhr krachten Schüsse, darauf hörten wir schreien. Wir waren gleicher Meinung, das ist Richard Krämer. Wir wurden leider, früh morgens gegen 7 Uhr, als die Barackentür aufging in unserer Annahme nicht getäuscht, denn da sahen wir, wie Richard Krämer strampelnd am Boden lag und bereits mit dem Tode rang. […] Einen kleinen Augenblick sah ich Krämer noch einmal sitzend, legte sich wieder nieder und hörte auch bald mit strampeln auf. Vier Mann von der Organisation Todt mussten ihn auf einer Decke hinaustragen und begraben. Der einzige Augenzeuge Martin Völkle erzählte nachher, wie Krämer in jener Nacht in’s Verhör genommen und misshandelt und wie er auf dem Wege zum Abort meuchlings mit acht Schüssen niedergeschossen wurde.“82. 82 Trick-Bericht 1972, S. 30. Rechtschreibung beibehalten. Vgl. Anm. 66. Die Liste der im Lager Inhaftierten (siehe dort) beginnt mit den drei Täbingern, denn nach der Nacht vom 23. auf den 24. April 1945 hatten sie „Glück im Unglück, dass (sie) an jenem Morgen das Lager Dormettingen zusammen mit den gefangenen deutschen Soldaten verlassen durften, um den Marsch in die französische Kriegsgefangenschaft anzutreten“, wo sie im Lager Troncais, „ca.100 km südöstlich von Vichy […] am 1. Mai (ein)marschierten“. Georg Seemann „starb nach etwa 5 Monaten an Unterernährung“, Martin Völkle „kehrte infolge Krankheit nach fast 2 jähriger Gefangenschaft“, Trick „nach 3 ½ Jahren wieder in die Heimat zurück“83. 83 Ibidem S. 37. Was Völkle und Trick nach ihrer Rückkehr aus Frankreich erzählten, ist ungewiss, weil sie nur eine Nacht Augen-oder Ohrenzeugen waren. Dass die Täter in Krämers Kopf achtzehn Nägel hämmerten, was die Schmerzensschreie in der Nacht, die man bis Schömberg gehört habe, erklärt, konnten die Täbinger selbst nicht wissen. „Die Leiche des Lehrers Richard Krämer aus Täbingen […] hatte 18 Nägel im Kopf.“ Deshalb „gehörten starke Nerven dazu, bei der Ausgrabung der Leichen nicht von Entsetzen überwältigt zu werden“84. Das Urteil des Prozesses gegen Helmer-Sandmann enthält ebenso den Hinweis auf die Schreie, die man bei Ostwind „Unterluft“ aus Dormettingen gehört habe. 84 Zeitungsbericht vom 24.03.1951, Nummer 46, „Der Schleier um das ‚Schwarze Lager‘ Dormettingen wird gelüftet“. Ein darauf basierender Bericht „Siebzehn Tote klagen an“, ebenso aus dem Jahr 1951 „von unserem Deutschland-Korrespondenten“ mit der Zwischenüberschrift „18 Nägel im Kopf“ Wenn der Bericht erwähnt, Krämer sei auf dem Weg zum Abort „meuchlings“ erschossen worden, heißt das, dass er von hinten ermordet wurde, „auf der Flucht“, was während der Nazizeit durchaus „legitim“ und duldenswert, wenn nicht sogar erwünscht war. Krämer konnte den Gang zum Abort gar nicht mehr antreten, weil er bereits tödlich verletzt worden war. Warum waren acht Schüsse nötig? Weil ein Mensch sicher schon mit nur einem Nagel getötet werden kann, ist die Monstrosität der 18 Nägel im Kopf nur dadurch erklärbar, dass Krämer die tödlichen Verletzungen durch die Schüsse zugefügt worden sind, dass aber das erste Opfer des Lagers vier Tage nach dem Einmarsch auch allen Hass auf sich gezogen hatte, der in den Kopf-Nagelungen nach dem Tod Ausdruck fand. Weil Delètre mit seinen Henkern nicht den Anschein von Rachemord erwecken wollte, ließ er die Leiche Krämers sofort verscharren. Ebenso wenig wie Karl Maurer sich Schnittwunden nach seinem Tod hat zufügen können, war es Krämer möglich, noch den Abort aufzusuchen. Das „Schwarze Lager“ offenbarte sich als Instrument von Verbrechern, die es ohne Legitimation seitens der Besatzungsmacht oder einer deutschen Behörde85 in gewissenloser anarchischer Willkür betrieben. Auf der Liste der Opfer des Schwarzen Lagers (siehe dort) ist als Todesursache „erschossen“ angegeben. 85 Ibidem. Der Zeitungstext benutzt die Formulierung: „Akkreditiv“ = Beglaubigungsschreiben, zu „akkreditieren“ Bei dem Landwirt Peter Klug, der in Gösslingen Bürgermeister und Ortsgruppenleiter gewesen war, wurden wie im Fall Kirchhardt (s. u.) wirkliche oder angebliche ehemalige KZ-Häftlinge dazu benutzt, Rache zu nehmen. Nachdem Klug, der aus dem Wehrmachtsdienst schnell zu seiner Frau und seinen vier Kindern nach Hause hatte zurückkehren wollen, am 6. Mai trotz Warnungen wieder nach Gösslingen gekommen sei, seien „zwei ehemalige Schömberger KZ-Insassen, die in Täbingen bei Frau Trick wohnten“, verständigt worden. Diese Männer, der eine aus Mannheim, der später angeklagte „kriminelle Zuchthäusler Alfred Maurer“ (s. u.), und der andere aus Heilbronn, hätten dann Peter Klug „nach Täbingen in das Haus Trick gebracht und […] ihn dort in unmenschlicher Weise misshandelt“86, „derart, dass die Hausfrau später noch an der Zimmerdecke Blutspritzer fand. Abends brachten sie ihn in den Ortsarrest und anderntags ins Lager Dormettingen, wo ihn ein noch größeres Martyrium erwartete.“ Weil in Täbingen diese drei ehemaligen KZ-Häftlinge auch eine Kommandantur im Haus des „Stützpunktleiters“ Trick betrieben hatten, ähnlich handelten wie Delètre mit seinen Helfershelfern, wurde der Mythos geboren, dass die Täter nur aus deren Reihe stammen könnten. 86 Wie Anm. 78. Siegfried Klug, der Sohn des Ermordeten, erzählt, sein Vater habe, nachdem die Nachricht von seiner Rückkehr aus dem Krieg sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen hatte, nicht warten wollen, bis die regulären französischen Truppen im Ort gewesen seien, die eine Ermordung durch Delètre und Co wohl nicht zugelassen hätten. In anderen Fällen, an anderen besetzten Orten war dies jedoch genau so. Peter Klug wird auch in dem Bericht von Eggert erwähnt, der beide Bürgermeister, ihn und Rebstock aus Dotternhausen, zusammen in erbärmlichem Zustand gesehen habe; beide hätten „zu der Zeit weder gehen noch stehen“ können. Für Rebstock ist auf dem Totenschein der Pfingstsonntag, 20. Mai, als Todesdatum angegeben, für Peter Klug der 25. Mai 1945, als Todesursache, er sei „erschossen“ worden. Noch 1947 wird in einem Schreiben an das Amtsgericht Rottweil nach der „Todeszeit des Peter Klug, früheren Bürgermeisters in Gößlingen“ geforscht, denn obwohl die „Ausgrabung der Leichen […] unter franz. Gendarmerie geschehen (sei), im Beisein von Gend.-Meister Rösch in Schömberg“87, habe es keine „Todesanzeige beim hiesigen Standesamt“ gegeben. 87 Karl Rösch, geb. 1894 in Obermarchtal, gehörte ab 1920 der Gendarmerie an und wurde 1932 von Blaubeuren nach Bodnegg versetzt. Als Polizist erstattete er mehrfach Anzeige beim Landratsamt Ravensburg, weil er von Quälereien eines achtjährigen jüdischen Jungen durch seine Mitschüler gehört hatte. Deshalb wurde Rösch wegen dieses Mutes vom NS-Bürgermeister wie von der Kreisleitung bekämpft mit der Folge, dass 1938 sich die Ravensburger Kreisleitung an die Gestapo in Friedrichshafen wandte mit der Aufforderung und Anweisung, Karl Rösch künftig nicht mehr mit der Bearbeitung von vertraulichen und die Partei betreffenden Angelegenheiten zu betrauen. Obwohl Rösch 1937 noch in die Partei eintrat, wurde er 1939 zur Strafe für sein couragiertes Handeln nach Schömberg versetzt, war als Gendarmeriemeister wichtig für Schömberg und Nachbargemeinden, die keine Polizei hatten. Im Bericht Eggerts sagt dieser, sein eigenes Schicksal betreffend, er habe sich nach der Ermordung Richard Krämers am Tag seiner überraschenden Entlassung aus dem Schwarzen Lager, ebenfalls am Pfingstsonntag, vor Milan Kovar hinknien und schwören müssen, dass er „von dem was hier vorgefallen ist, nie ein Wort erzählen“ dürfe. Der Widerspruch zur Anweisung Delètres für Völkle zeigt: Die Willkür der Täter ist nicht nur durch Misshandlungen und Morde offenkundig, deren Allmachtsgebaren zeigt sich an unerwarteten Entlassungen wie bei einem Selbstherrscher, der Menschen begnadigt oder töten lässt. Bemerkung zu den Bildern der Seeger-Presse 1951: In gestellten Posen versuchen nach fünf Jahren die Beteiligten ihre damalige Situation zu demonstrieren. Die Presse bedient dabei den Voyeurismus und die „Betroffenheit“ der Leser. Die Texte benennen Schuldige, zeigen die Opfer, von denen viele beim Prozess als Zeugen ausgesagt hatten, weil sie gequält und eingesperrt worden waren. Die allgemeine Neugier auf die Vorgänge und Taten des Schwarzen Lagers wurde gespeist durch das Bewusstsein: Wir sind noch einmal davongekommen. Gleichwohl soll auf die „Bestie Mensch“ verwiesen werden

Demonstrationsbilder aus einer Illustrierten der Seeger-Presse Albstadt Ebingen von 1951 zum Prozess von Helmer-Sandmann. Überschrift: „BESTIE MENSCH“

Das einzige Opfer, das in Dormettingen selbst gewohnt hatte, war der Bauführer Albert Schneider, geb. am 19.09.1900 in Zwickau, der „im Mai 1945“ „gestorben“ sei. Als ehemaliger OT-Mann hatte er den Hass auf sich gezogen, ihm wurde der „Schädel eingeschlagen“

Rudolf Rohrbach

Von Rohrbach, dem Chef des Portlandzementwerkes, im Zusammenhang mit dem „schwarzen Lager Dormettingen“ zu sprechen, ist wichtig, weil er nicht nur am Rand in die Ereignisse hineingezogen war: Mehrere seiner Angestellten – die Totenliste weist darauf hin – waren ins Lager verschleppt und ermordet worden. Er selbst kam nach einem Tag frei. Wendelin Müller, der Altbürgermeister von Irslingen, berichtete als Zeuge im Prozess gegen Helmer-Sandmann, dass Maurer zu Rohrbach befragt worden sei.96 Hatte man mit dessen Verhaftung gerechnet? Wusste man von dem sehr engen Dienstverhältnis der beiden, Maurers und Rohrbachs? Ist die Frage möglicherweise Anzeichen einer Verhaftung in Stellvertretung? Schließlich war Rudolf Rohrbach als Gauamtsleiter der NSDAP für Technik in Stuttgart der prominenteste Nationalsozialist in der Raumschaft gewesen. Bezeichnenderweise taucht er auf keinem der Fotos, die beim Bau der Schömberger Schlichemtalsperre von Erwin Krauß, einem der verantwortlichen Baumeister, von August 1941 bis Januar 1943 gemacht wurden, selbst nicht auf, seinem Vertrauten Karl Maurer jedoch wurde in Rohrbachs Auftrag vom verantwortlichen Stuttgarter Architekten Deutelmoser erklärt, wo der künftige Stausee für das Zementwerk Rohrbachs angelegt werde (siehe Abbildung 12) Maurer in der Position Rohrbachs, seine Tätigkeit für diesen, könnte ihm möglicherweise zu Verwechslung oder Verhängnis geworden sein. 96 Wendelin Müller am 20.09.1950 im Zusammenhang mit dem Prozess Helmer-Sandmann. Staatsarchiv Sigmaringen 9/720/1/A/4. Rohrbach selbst gibt Auskunft in einem Brief vom 13.08.1945 an den französischen Kommandanten Wegmann im Gouvernement Militaire in Balingen.97. 97 Rudolf Rohrbach am 13.08.1945 an Kommandant Wegmann: Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Es sind die Akten zur politischen Säuberung der von Rohrbach selbst so genannten „Entnazifizierungssache“

Übersetzung: Brief Rohrbachs an „Commandant Wegmann. Gouvernement Militaire. Balingen“, Balingen, 13.08.45 1. Monsieur le Commandant d’ armes, Nach meiner ersten Befragung am 22. April 1945 2 durch einen Hauptmann in Schömberg 3 wurde ich auf Empfehlung des französischen Kommissars von Dotternhausen-Dormettingen, M. Philippe Couzon 4, nicht verhaftet. Am 25. April 1945 wurde ich von einem neuen Kommissar, M. de Lettre 5, wegen meiner ehemaligen Funktionen inhaftiert. Nach einem Tag im Lager von Dormettingen wurde ich nach Rottweil gebracht 6, wo ich im Gefangenenlager bis zum 4. Juli 1945 in Haft war. Vom 7. bis zum 17. Juli fand in Paris bezüglich meiner einmaligen bedeutenden Entwicklungen zur Nutzung von Ölschiefer 7, besonders der mineralischen Rückstände ein technisches Verhör statt. Ich wurde im Flugzeug nach Karlsruhe und im Auto nach Rottweil gebracht 8 und dort am 18. Juli wieder freigelassen 9, unglücklicherweise ohne französische Papiere. Nach einer erneuten Verhaftung am 19. Juli durch den Colonel Gignoux wurde ich sehr speziell nach meinen Funktionen und meiner Führung (Verhalten gegenüber der Belegschaft) durch die Sicherheitsbehörde in Rottweil befragt. Ich kam, nachdem die Haft durch die zivile Sicherheitsbehörde in Rottweil aufgehoben worden war, am 31. Juli 1945 wieder frei. Als ich am 4. August zurückkehrte, um meine Bescheinigungen, die ich Colonel Gignoux zwei Wochen zuvor gegeben hatte, zu holen, wurde ich erneut verhaftet. Man sagte mir, die Bevölkerung wolle meine Rückkehr nicht. Das war eine traurige und unverständliche Denunzierung. Es sind nur zwei Leute, deren üble Geschäfte durch meine Rückkehr gestört würden/wurden, wohingegen alle anderen mich beglückwünscht hatten. Aus diesen Gründen bitte ich Sie, Gerechtigkeit zu üben und mich so bald als möglich in die Freiheit und an die Arbeit zu entlassen. 10. Wollen Sie, Herr Kommandant, den Ausdruck meiner großen Hochachtung entgegennehmen. Kommentierung des Briefes entsprechend der Nummerierung: 1 Bereits das Datum zeigt, dass im August 1945 für niemanden mehr Gefahr bestand, noch einmal in das „Schwarze Lager“ geschafft zu werden, weil die illegale Kommandantur und Herrschaft des Leutnant Delètre nicht mehr existierte. 2/3 Schon zwei Tage nach der Besetzung wurde Rohrbach am 22. April in Schömberg, wohl auf der dortigen Kommandantur, von einem Hauptmann Philippe Couzon verhört. Ein Stempel mit der Bezeichnung „Commandant d’ armes Schömberg“ der „Republique Française“ auf einem früheren Dokument zeigt, dass die behördliche Machtübernahme durch die Franzosen in Schömberg funktionierte. Die Besatzungsmacht wusste demnach genau, auf wen sie zu achten hatte, denn an diesem Tag, 22.04., ging bereits der Betrieb im PZW trotz der Bombardierungsschäden eingeschränkt weiter. 4 Philippe Couzon wird hier als Kommissar von Dotternhausen-Dormettingen bezeichnet. Es ist deshalb anzunehmen, dass hier der „Commissaire de Sûreté“ (der Sicherheit) vom „Gouvernement Militaire de Balingen“ gemeint ist. 5 Delètre hatte in den genannten Apriltagen die „Villa Rohrbach“ für sich beschlagnahmt (s. o.), um die illegale „Kommandantur“ zu errichten. 6/7 Wenn Rohrbach nach Rottweil in ein „Gefangenenlager“ kam, wurde er den Verbrechern des „Schwarzen Lagers“ bewusst entzogen, weil die Besatzungsmacht Rudolf Rohrbach noch benötigte und Delètre sich nicht gegen die offizielle Politik der legalen Militärverwaltung stellen konnte und weil das technische Wissen Rohrbachs gefragt war, damit die Ölschieferangelegenheiten weitergeführt werden konnten. Offensichtlich war man während Rohrbachs Aufenthalt vom 7. bis 17. Juli 1945 in Paris sehr daran interessiert gewesen, von ihm wegen seiner „einzigartigen und wichtigen Entwicklungen“ genaue Einzelheiten zu erfahren. Zu den speziellen Fragen gehörte mit Sicherheit das Problem der „mineralischen Rückstände“ bei der. Ölschieferverschwelung. Es zeigt, wie genau man der Technik nachspürte, die von Rohrbach im PZW während des Krieges entwickelt worden war. Sein Zement- und Ölschieferschwelwerk hatte als einziges überhaupt Schieferöl produziert, im Gegensatz dazu war der Fehlschlag der „Wüste“-Fabriken zur Ölgewinnung offensichtlich, wenn auch noch nicht abgestellt. 8 Die Reise per Flugzeug von Paris nach Karlsruhe und die Autofahrt nach Rottweil zeigen, wie sehr sich die Besatzungsmacht unter Zeitdruck setzte, was die „Ölgewinnung aus Schiefer“ betraf. Es zeigt ebenso auch die bevorzugte Behandlung Rohrbachs. Allerdings schweigt Rohrbach über die Einzelheiten dieser gezielten Aktion der Franzosen. Abenteuerlich ist die Schilderung ohnehin. 9 Rohrbach weiß genau, dass er trotz offensichtlicher Bevorzugung durch die Besatzungsmacht ohne deren Dokumente nichts in Sachen Zementwerk/Rohrbach bewirken kann. Die Franzosen halten ihn hin: Der Hinweis Gignouxs zur angeblich ablehnenden Haltung der Dotternhausener Bevölkerung zeigt, dass er Rohrbach durchschaut, der sich seines Beliebheitsstatus bewusst ist und in dem Brief entsprechend larmoyant äußert. Nach erneuter Verhaftung und Befragung am 19. Juli durch einen Colonel Gignoux, den Beauftragten der Sicherheitsbehörde, zu seinen Funktionen während der NS-Zeit wurde Rohrbach ins Gefängnis Rottweil geschickt, wo er bis zum 31. Juli blieb. Die zivile Sicherheitsbehörde hatte ihn als Zivilgefangenen dorthin beordert, scheinbar der militärischen Macht nicht mehr unterstellt. Das ist ein Irrtum, denn in seinem Bemühen, wieder zurück nach Dotternhausen zu kommen, wurde er am 4. August erneut verhaftet mit der Bemerkung des Colonel Gignoux, die Bevölkerung wolle seine Rückkehr nicht. 10 Die Absicht des Briefes ist deshalb die Bitte an den Kommandanten Wegmann, dass „Gerechtigkeit geschaffen“ und er, so schnell wie möglich, in „Freiheit und Arbeit“ zurückgeschickt werde. Nimmt man seine eigenen Worte, so wird ihm eine Behandlung zuteil, die zweifelsohne „spéciale et particulière“ ist

Diesem Schreiben, in Kopierstift oben als „dossier Rohrbach“ gekennzeichnet, sind die „Rohrbach betreffenden Notizen“ in Schreibschrift unbekannter Hand beigefügt. Sie ordnen Rohrbach weiterhin als „ehemaligen Nazi-Chef“ wegen seiner Funktionen in der „Nazi-Partei“ ein, sodass er interniert bleiben solle.98 Die Notizen nehmen auf den Bericht Gignouxs Bezug und legen die weiteren Maßnahmen für Rohrbach fest. Das Hin und Her von militärischer und ziviler Behörde, von den verschiedenen Arrestierungsorten Rottweil und Balingen manifestieren die Schwierigkeit der Beurteilung Rohrbachs als wichtigsten regionalen Vertreter des Nationalsozialismus einerseits, als bevorzugten Gesprächspartner in Sachen Ölschiefer andererseits. Die Notizen zeigen, wie genau die Besatzungsmacht hingeschaut hat. 98 Eigenhändiger Brief Rudolf Rohrbachs in französischer Sprache an Wegmann vom Gouvernement Militaire in Balingen vom 13.08.1945. Im „dossier Rohrbach“ wird dieser Brief mit dem Wissen über Rohrbach kombiniert und in Kopierstift kommentiert. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Das Bündel enthält das Spruchkammerverfahren zur Entnazifizierung Rohrbachs. Übersetzung der Notizen: Anmerkung Rohrbach betreffend. Rohrbach ist als ehemaliger Oberbereichsführer und (siehe Gignoux-Bericht mit Bleistift in den Text eingefügt) Volkssturmführer eine wichtige Persönlichkeit. Er wurde er am 20. Juli verhaftet und ins „B DOC“ Rottweil überstellt. Weil er nicht unter dem Verdacht der Spionage stand, wurde er wieder freigelassen trotz seiner Funktionen in der Nazi-Partei. Er wurde erneut am 5. August im „PC 65“ in Balingen inhaftiert, welches er aufsuchte, um die Papiere zu reklamieren, die ihm bei der ersten Verhaftung abgenommen worden waren. Er gab den Namen eines sogenannten Altpeter99 an, der zahlreiche Auskünfte über ölfördernde Industrie in Deutschland mitbringe. 99 Dr. Julius Altpeter, geb. 30.04.1897, ist laut Études et Travaux als ehemaliger „Abteilungsleiter im Reichspatentamt“ und „Leiter der Abteilung Mineralöl im Reichsamt für Wirtschaftsausbau“ Rohrbach sehr gut bekannt. Dieser beruft ihn als promovierten Chemiker zum „Leiter des Zentralbüros“ zur ZV in Dotternhausen. Études et Travaux, Vertrauliches Exemplar Nr. II Band I, S. 1, „Mitarbeiter an den von der Zentralverwaltung durchgeführten Forschungen und Verwirklichungen“ mit Altpeter an erster Stelle (alphabetische Reihe). Altpeter stirbt 1967 (am Rand) erledigt […] Der per Telefonanruf verständigte Chef des EM des CC5 hat sich bemüht, einen Offizier kommen zu lassen, der mit diesem Fachgebiet vertraut ist, um. Altpeter und Rohrbach selbst zu verhören, die sich ebenfalls mit dieser Industrie beschäftigten. Wenn Rohrbach verhört worden ist, wurde er in das Büro der „securité“ beim Gouvernement Militaire in Balingen zurückgeschickt, das einverstanden ist, ihn einzubehalten aufgrund seiner Position als Nazi-Größe. Wie wichtig das PZW für die Alliierten war, zeigt die Tatsache, dass der amerikanische „Military Intelligence Service TIIC Liquid Fuels & Lubricants Subcommittee“ die „Enemy Documents Captured by Oil Mission“ sofort nach dem 20. April beschlagnahmte und für sich beanspruchte. Der kommissarische Leiter des Werkes, Wesolofsky, hatte die Aufgabe, in Rohrbachs Abwesenheit die Produktion von Schieferöl und die Geschichte des Werkes zu erklären: das Dokument hat das Datum 5. Mai 1945.100 Die US-Amerikaner und die mit ihnen verbündeten Franzosen hatten demnach ein sehr großes Interesse daran, dass Rohrbachs Wissen für sie in der französischen Besatzungszone ausgebeutet werde. So ist auch zu erklären, dass das Zementwerk nur einen Tag nach der Bombardierung den Betrieb zur Produktion am 22. April wiederaufnahm, obwohl es ja teilweise zerstört war. 100 Das Dokument „Military Intelligence Service TIIC Liquid Fuels & Lubricants Subcommittee“, „Enemy Documents captured by Oil Mission“ zeigt bereits im Titel das Vorhaben der USA, dass es um Öl-Herstellungsverfahren geht. Im Internet einsehbar unter „Technische Beschreibungen TOM-123-001-200. Das Dokument enthält 200 Mikrofilmseiten. Als ehemaliger „Gauamtsleiter für Technik“ in Stuttgart als „Oberbereichsleiter“, als Präsident der „Gauwirtschaftskammer“ von Januar 1943 bis 1945 galt Rohrbach als „einer der prominentesten Nationalsozialisten in Württemberg“, wie das Spruchkammerverfahren zur politischen Säuberung in der später revidierten „Entscheidung“ vom 26.04.1948 feststellte: deshalb war klar, dass das Gouvernement Militaire die Internierung im Lager Balingen anordnete. Dessen „Lagerspruchkammer“ stellte am 11. Oktober 1948 ein „Arbeitszeugnis zur Vorlage bei der Spruchkammer“ für Rohrbach aus, weil dieser Widerspruch gegen die „Entscheidung“ angemeldet hatte. Das Dokument des Interniertenlagers Balingen bestätigt die Chronologie der Gefangenschaft: „Herr Rudolf Rohrbach […] wurde am 25.4.45 in Internierungshaft genommen. In dieser befindet sich Herr Rohrbach heute noch […] (und) befindet sich seit seiner Zugehörigkeit zum Lager Balingen in immerwährendem Arbeitseinsatz […] (Er)war u. a. im Zementwerk Dotternhausen beschäftigt, dann als Hilfsarbeiter bei der Gutsverwaltung Oberhausen, gegenwärtig als Maurer auf dem Häsenbühlhof in Isingen.“ In Haft verblieb Rohrbach bis zum Beginn des Jahres 1949, seine „Entnazifizierungssache“ wurde erst am 27.12. 1949 neu entschieden, er wurde als „Minderbelasteter“ eingestuft, dem eine „Bewährungsfrist“ auf vier Jahre eingeräumt wurde, allerdings mit einer Geldbuße von 5000 DM und den Kosten des Verfahrens von 30000 DM belegt. Wichtiger war ihm sicher die Revision der Maßnahmen, die in der ersten „Entscheidung“ angeordnet waren, nämlich „Einziehung des gesamten Vermögens, dauernde Aberkennung der Fähigkeit, Vermögen durch Erbgang, Vermächtnis oder Schenkung zu erwerben. Leitende und selbstständige Tätigkeit […] auf Lebenszeit untersagt.“101 Während er für seine Rehabilitierung kämpfte, wurde der Verkauf der Schlichem-Talsperre Schömberg an das Land Württemberg-Hohenzollern abgewickelt. 101 Dokumente zum Spruchkammerverfahren Rohrbach, Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Noch während des Revisonsverfahrens war er als Internierter, also als ein von den Franzosen so bezeichneter „criminel de guerre“, „Kriegsverbrecher“, vom französischen Sequesturverwalter der württembergischen Ölschieferwerke mit Entwicklungsarbeiten für diese Werke beschäftigt. Er ist „an den von der Zentralverwaltung durchgeführten Forschungen und Verwirklichungen“ als „Sekretär der Abteilung Études et Travaux“ aufgeführt, unter der Leitung von Capitaine J. Couderc, einem Schieferölspezialisten. Um den Betrieb seines eigenen Werkes durfte er sich nicht mehr kümmern.102 Obwohl offiziell in Gefangenschaft zur „l’épuration“ („Säuberung“), war Rohrbach der Besatzungsmacht wichtig wegen seiner Kenntnisse über die Produktion von Schieferöl aus Ölschiefer. Trotz seiner NS-Vergangenheit, die sehr wohl bekannt war, wurde er von Couderc in der „Zentralverwaltung“ eingestellt. Laut Lohnliste des Jahres 1945 waren dem „Sekretär“ Rohrbach sowohl eine Sekretärin als auch eine „franz. Korrespondentin“ zugeteilt. Die Protektion durch die Sieger, die das Ölschieferwissen ausbeuten wollten, war enorm. Couderc habe ihn, Rohrbach, im September 1945 im Interniertenlager Balingen aufgesucht und ihm die „technische Leitung“ übertragen.103. 102 „Technische Forschungen und Verwirklichungen industriellen Maßstabes ausgeführt in den Jahren 1945–1948 von der Zentralverwaltung der württembergischen Ölschieferwerke in Dotternhausen“, 1948, „Vertrauliches Exemplar“ in deutscher Übersetzung der „DEUX ANS DE RECHERCHES TECHNIQUES et de REALISATIONS INDUSTRIELLES“, angelegt von der „SÉQUESTRE FRANÇAIS de MINES ET USINES A SCHISTES BITUMINEUX de WÜRTTEMBERG“ 1945–1948, Tome I–III. Leihgabe aus dem Zementwerk Dotternhausen, wohin die „Zentralverwaltung der württembergischen Ölschieferwerke“, abgekürzt „ZV“, am 31. Oktober 1945 verlegt worden war. Die vorher selbstständigen Firmen DBHG (= Deutsche Bergwerks-und-Hüttengesellschaft m.b.H.), die DÖLF (= Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft m.b.H.), die KÖU (= Kohle-Öl-Union der Kommanditgesellschaft von Busse), die Lias-Ölschiefer-Forschungsgesellschaft m.b.H. und das Portlandzementwerk wurde unter französischer Ägide zusammengefasst. – 80 „Criminels de guerre“ aus Reutlingen und 75 politische Häftlinge aus dem Lager Balingen mussten ab August 1946 in Schömberg die „Umbettungen“ vom Verscharrungsort „Schönhager Loch“ zum KZ-Friedhof Schömberg vornehmen. 103 Rohrbach, Ein Zementwerk entsteht. 1987, S. 37

Couderc selbst hatte den Versuch unternommen, den sog. „Hubofen“ vom Gelände der DÖLF in Schömberg nach Schörzingen zu verlegen, um die Bemühungen der Kohle-Öl-Union zur Schieferölproduktion zu optimieren, allerdings ohne Erfolg, denn in Schörzingen „fiel praktisch kein Öl an“, wie den Protokollen der Langzeitschwelung zu entnehmen ist. Umso wichtiger war das Schieferöl produzierende Zementwerk Dotternhausen. Das PZW und „Wüste“ (Kürzel WE) Rohrbach hatte es im Krieg geschafft, schwarze Zahlen zu schreiben, denn das Werk war das einzige im Ölschieferbereich, das kontinuierlich Öl produzierte im Gegensatz zu den meisten „Wüste“-Werken, von denen ja im März 1945 ohnehin nur die Werke 2, 4, 8 und 9 in Betrieb genommen waren. „Wüste“ 8 (Dormettingen) war so nahe am Schieferbruch für das Zementwerk angelegt, dass dessen Abbaufeld und damit aus der Sicht Rohrbachs der Rohmaterial-Bestand gefährdet schien. Besonders der „Wüste“-Repräsentant SS-Hauptsturmführer von Kruedener habe seine Arbeit boykottiert, weil dieser an den Ölschieferpatenten seiner „Pionierarbeit“ interessiert gewesen sei. So sei für ihn „eine belastende Nachbarschaft“, die „sich bald zu einer gefährlichen entwickeln sollte“104, entstanden. Besonders v. Kruedener versuchte mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mitteln, sich des PZW zu bemächtigen und dem Unternehmen „Wüste“ einzuverleiben. Deshalb sollten die im Werk beschäftigten russischen Kriegsgefangenen durch KZ-Häftlinge wie in den Wüstewerken ersetzt werden. Bei einem Erfolg Kruedeners hätten sich die Zuständigkeiten geändert, denn Kriegsgefangene gehörten in den Bereich der Wehrmacht, KZ-Gefangene in den der SS. „Am verhängnisvollsten wirkte sich jedoch eine letzte Maßnahme für das Werk aus: Mit den zunehmenden Fliegerangriffen wurde von Herrn v. Kruedener ein reichlicher Flakschutz von einer Batterie v. 9 Rohren für jedes im Bau befindliche Wüstewerk besorgt, während dem im Betrieb befindlichen Werk Dotternhausen ein solcher verweigert wurde. In der Folge war das Werk 4 Jabo-Angriffen schutzlos preisgegeben; der letzte dieser Angriffe […] führte zur Stillegung.“105. 104 Rohrbach, Ein Zementwerk entsteht, 1987, S. 33 ff. 105 Christian Zeh, ehemaliger kaufmännischer Leiter des PZW, schreibt dies am 29.09.1948 im Rückblick. Er ist ein wichtiger Zeuge im Spruchkammerverfahren für Rohrbach. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Gegen eine andere Art der Benachteiligung versuchte sich Rohrbach in einem Schreiben an den „Reichsstatthalter und Gauleiter Wilhelm Murr Reichsverteidigungskommissar“ vom 8.2.1945 zu wehren: Es ging um die Erfüllung des „Einberufungs-Solls“, das dem Werk nicht zugemutet werden könne, weil „die zweite Rate der SE-VI-Aktion für den Gau Württemberg allein“ nicht zu leisten sei. Das PZW verfüge „als neu erstelltes Werk über keinen Arbeiterstamm in älteren Jahrgängen“. Die Hälfte der Belegschaft, der „wesentliche Teil der Betriebsarbeiter besteht aus kriegsgefangenen Russen. Die wenigen deutschen Führungskräfte im Betrieb bestehen aus den Schichtmeistern und einigen Maschinenwarten, außerdem einigen Handwerkern in der Werkstatt“: Deshalb könnten auf keinen Fall dem Betrieb die Fachleute entzogen werden „Die SE-VI-Aktion vom 10.7.1944 riss ein besonders großes Loch in den Facharbeiterstand (Abgabe von 20 Prozent aller Uk-Gestellten vom Jahrgang 1906 und jünger); die SE-VI-Aktion (12.1. 45) zog noch einmal bis zu zwölf Prozent der restlichen Uk-Gestellten vom Jahrgang 1901 und jünger aus der Rüstungsindustrie ab.“106 Anstelle seiner Männer, so fährt Rohrbach fort, solle die DÖLF „zur Einberufungsaktion“ herangezogen werden, denn dort seien „mehrere 100 Ingenieure […], von denen ein großer Teil wegen Mangel an Beschäftigung ständig beurlaubt“ sei. Rohrbach polemisiert gegen die DÖLF und präzisiert die Vorwürfe durch ein weiteres Schreiben an Murr, in dem er darauf verweist, dass bereits im November 1944 Geilenberg selbst „sehr energisch verlangt (habe), dass entbehrliche Kräfte der Doelf abgegeben werden, damit diese nicht ein Sammelbecken für Drückeberger werde“107. Die das PZW existenzbedrohende Anordnung und ebenso die Ressentiments gegen die Verantwortlichen von „Wüste“ sind offensichtlich. 106 Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939–1942, 2003, S. 244, Anm. 98. 107 Schreiben vom 08.02.1945 mit dem Rohrbach-Kürzel f/O für Rudolf und seine Sekretärin Ott. Der zweite Brief an Murr vom 01.03.1945 hat die Anrede „Gauleiter!“ Selbstverständlich konnte sich Rohrbach später in seinem Spruchkammerverfahren auf die Aussage von Männern, die er zurück in den Betrieb geholt und dem Wehrdienst entzogen hatte, zu seinen Gunsten verlassen: Karl Wenzelburger, Zementmeister im PZW seit April 1941, „vom Heeresdienst […] für den Betrieb wieder zurückgeholt“, nimmt dies als Beweis, „dass Herr Rohrbach allein auf das fachliche Können seiner Männer Wert gelegt hat und nicht auf deren politische Einstellung“108. Die 1946 abgegebene Aussage Wenzelburgers dokumentiert die Nähe zu Rohrbach, dessen ideologische Neutralität und Unbestechlichkeit herausgestellt werden sollte. 108 „Erklärung“ Karl Wenzelburgers am 2. April 1946 für Rohrbach. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Der Zusammenhang mit den angeblichen Gründen für die Verschleppung Karl Maurers als ehemaliger Ortsgruppenleiter ins „Schwarze Lager“, er sei schuld an den Einberufungen der Uk-Gestellten (s. o.), wird implizit deutlich. Um diesen Betrieb, den er aufgebaut hatte, ging es Rohrbach auch, als er 1948 auf dem Häsenbühlhof der Familie Frommer als Maurer beim Bau des Schweinestalls und Kellers arbeitete, zeitweise freigestellt aus dem Internierten-Lager Balingen. Er hatte sich dorthin melden können, um in der Nähe seines Werkes und seiner Familie zu sein, sonntags habe er diese aufsuchen dürfen. So sei er über die Vorgänge im PZW unterrichtet gewesen.109. 109 Frieda Frommer, geb. 1910, Bäuerin des Häsenbühlhofes, zum Verfasser am 10.02.1999. Rohrbach selbst war sich des Vertrauens seiner Mitarbeiter, auch im Zusammenhang mit dem „Schwarzen Lager“, sicher: „Ich konnte im April 1945 furchtlos am Ort meiner Tätigkeit bleiben und noch zwei Tage nach der Besetzung mit den 150 russischen Kriegsgefangenen in meinem Werk eine Besprechung durchführen.“ Diese eigene Einschätzung, geschrieben an den Staatspräsidenten Bock am 29.07.1947, ist im Zusammenhang mit den beiden Spruchkammerverfahren zu beurteilen, dessen erste Bewertung Rohrbach zu bekämpfen suchte. Er konnte dies zwei Jahre nach den Ereignissen behaupten, weil er ja tatsächlich nicht länger als einen Tag im „Schwarzen Lager“ gewesen und auch von ehemaligen Kriegsgefangenen unbehelligt geblieben war. Die Selbstbewertung Rohrbachs steht im Gegensatz zu der am 27.05.1948 im Spruchkammerverfahren geäußerten Ansicht des Laboranten Wilhelm Biek, eines beratenden Ingenieurs für die baustofferzeugende und verarbeitende Industrie. Dieser sagte aus, dass nämlich „Herr Rohrbach den Kriegsgefangenen nicht freundlich gesinnt war und gegen Kriegsende Mauser-Pistolen an leitende Angestellte verteilen ließ“. Das gleiche Dokument beurteilt Rohrbach denn auch als „guten Blender und Regisseur […], der es verstand, die Kenntnisse seiner Mitarbeiter zu nutzen“110, was ja nicht verwerflich ist. Der endgültige Ausgang des Entnazifizierungsverfahrens nach Rohrbachs Einspruch spricht jedoch eine eigene Sprache: für Dotternhausen und die ganze Region hatte das Zementwerk eine wesentliche Funktion, denn sicher wollte man nach dem Neuanfang der Währungsreform 1948 nicht daran erinnert werden, dass 1946 „Dotternhausen als ‚Naturschutzgebiet für Nationalsozialisten‘ zu betrachten“ war, wie es Fritz Fortmann formulierte, der zu diesem Zeitpunkt als Vertreter der DÖLF aus der Zentralverwaltung ausschied.111 Ausgerechnet der DÖLF-Direktor Fortmann möchte sich als Widerstandskämpfer darstellen, der es mit Ex-Nazis nicht aushalte! Betrachtet man die Liste der bei der ZV angestellten und am Anfang von „Études et Trauvaux“ genannten Mitarbeiter, so ist auffällig, dass sehr viele ihre Laufbahn in Ämtern oder Betrieben der chemischen und Öl-Industrie der NS-Zeit wie z. B. IG-Farben oder im estnischen Kiviöli begonnen hatten.112 Fortmann nimmt hierauf Bezug, obwohl er vor seiner Anklage im Rastatter Prozess sich als möglichst unschuldiger Nichtnazi gerieren wollte. 110 Wilhelm Biek (Jahrgang 1904), als beratender Ingenieur für die baustofferzeugende und verarbeitende Industrie Mitglied des Ausschusses, der die Nazi-Belastung Rohrbachs zu untersuchen hatte. Stellungnahme vom 27.05.1948. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Er ist Angestellter und Mitglied des Betriebsrats im PZW. 111 Fritz Fortmann an den Vorsitzenden der Entnazifizierungskommission Ludwig Rominger über sein Ausscheiden aus der Geschäftsführung der ZV: Schreiben vom 8. Februar 1946. Tatsächlich enthält der Personalordner des Zementwerks bei dem Chemiker Dr. Wuhrer den Hinweis, dass er in Auschwitz gewesen ist. 112 Reichsamt für Wirtschaftsausbau, IG-Farben, DBHG, Zement- und Teerindustrie

Allerdings hatten seit der Einstellung des Talsperrenbaus während des Krieges in Schömberg seit der ersten Jahreshälfte 1943 sich die Fakten verändert: Mangel an Arbeitskräften, Maschinen und Kraftstoffen evozierten Maßnahmen der NS-Staatsführung. Schreiben von Januar 1944 dokumentieren in den Briefköpfen den Gesamtzusammenhang im Regime: „Der Beauftragte für den Vierjahresplan“, „der Generalbevollmächtigte für Sonderfragen der chemischen Erzeugung“, „der Generalbevollmächtigte für Rüstungsaufgaben, Reichsminister Speer“ zeigen in der Prominenz des NS-Personals, wie das Zement- und Ölschieferschwelwerk Rohrbachs in das Machtgefüge der Ölschieferfabriken eingefügt wurde, denn „Lias-Frommern“, „Rohrbach-Dotternhausen“, „Ölschiefer-Schömberg“ und „SS-Bronnhaupten“ werden für die Verteiler Dr. Sennewald und Hauptmann v. Kruedener in Zusammenhang gebracht: das „Wehrmachtsbauvorhaben“ Zementwerk und „kriegswichtige Bauwerk“ Schlichemtalsperre Schömberg sollten den Krieg noch gewinnen helfen durch Eingliederung in das sinnlose Unternehmen „Wüste“ Fast zum gleichen Zeitpunkt, ziemlich genau ein Jahr nach dem Ende des „Schwarzen Lagers“ Dormettingen, gab am 14.04.1946 der noch von Delètre [sic!] eingesetzte Dotternhausener Bürgermeister Waller, gefragt vom Betriebsrat des Portlandzementwerks, eine Beurteilung Rohrbachs zur Kenntnis: „Herr Rohrbach gilt in der Gemeinde als aufrichtiger, charaktervoller Mann, zuvorkommend gegen jedermann. Als früherer Parteigenosse der N.S.D.A.P. hat Rohrbach niemand belästigt wegen seiner antinationalsozialistischen Einstellung, auch ist hier nichts bekannt, über eine belästigende Haltung gegenüber Personen in hiesiger Gemeinde, die wegen ihrer religiösen Einstellung während der Naziherrschaft bei den damaligen Machthabern schwarz angeschrieben waren.“113 Die Einschätzung erscheint glaubhaft, wenn auch wechselseitige Abhängigkeiten während des Krieges und in der Nachkriegszeit bei der Beurteilung eine wichtige Rolle gespielt haben dürften. In der neuen allgemeinen Wahrnehmung gilt als positiv, dass der damalige Nazi-Funktionär Rohrbach niemanden, der Nicht-Nazi war, behelligt hat. 113 Schreiben vom 14.04.1946 Gemeinde Dotternhausen. Der Bürgermeister an den Betriebsrat im Portlandzementwerk mit dem Betreff „Ihre Anfrage vom 13.04.1946. R. Rohrbach“. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2 Nr. 660. Selbstverständlich war der Gründer des Zementwerkes für Dotternhausen, wo er den gewünschten Standort für seinen Betrieb gefunden hatte, ein angesehener wohlgelittener Mann, dem immer die Belange der Firma und ihrer Mitarbeiter eine Herzensangelegenheit waren, und selbstverständlich war für das gesamte Dorf von Wichtigkeit, dass ohne Rohrbach der Ort nicht prosperiert hätte. Techniker, Ingenieure, Arbeiter waren durch das neu gegründete Werk angezogen worden, Rohrbach hatte Arbeitsplätze geschaffen, die Angestellten konnten in der neu gegründeten „Siedlung“ Häuser bauen, sodass der Urheber dieses Wohlstands ein begründetes Renommee bei den meisten Gemeindebürgern besaß. Nach dem für den „Military Intelligence Service“ angelegten Bericht Wesolofskis vom 5. Mai konnte Rohrbach einerseits Dotternhausener Firmen in den Aufbau des Werkes integrieren, andererseits waren Unternehmen aus ganz Deutschland beteiligt.114 Beim Bau des Stausees Schömberg für das Zementwerk waren ebenso regionale wie Firmen aus ganz Deutschland vertreten, angefordert und eingebunden durch die Beziehungen Rohrbachs. 114 Vgl. Anm. Military Intelligence Service. Mikrofilm S. 000030 = S. 54, wo Wesolofski über die „Geschichtliche Entwicklung des Werkes“ schreibt. Dass er Männer, die zur Wehrmacht eingezogen waren, wieder in den Betrieb zurückholte, förderte sein Renommee und war nützlich für die Revision des Entnazifizierungsspruches. Der katholische Pfarrer von Dormettingen, Kammerer Johannes Haug (s. o.), lobte, weil seine eigene „Verfolgung von Seiten des Naziregimes“ ihm „ein Recht dazu“ gegeben habe, Rohrbachs Besonnenheit beim sogenannten „Umsturz“: „In den kritischen Tagen des Einmarsches 1945 hat er als Leiter des Volkssturms Dotternhausen keinen Befehl zum Widerstand gegeben“ und „bereits vorher in den Übungsstunden eine vernünftige Haltung eingenommen.“ Pfarrer Haug betont im gleichen Schreiben, Rohrbach habe ihn gegen den „damalige(n) Ortsgruppenleiter“ mit seinen „christentumsfeindlichen Allüren“ – wahrscheinlich ist der im „Schwarzen Lager“ ermordete Maurer gemeint – „in Schutz genommen“.115. 115 Befragung und Aussage des Pfarrers Haug, der über die Taten im Schwarzen Lager Bescheid wusste (vgl. Aussage Zeh), aber sich offenbar zu den Gefangenen und Opfern äußerte (s. o.)

Prozess gegen Helmer-Sandmann. Die Dokumente in den Gerichtsakten verdeutlichen die Bemühungen der deutschen Gerichte, im Abstand von wenigstens einem Jahrfünft, Licht in das Geschehen um das „Schwarzlager“ – so eine Bezeichnung der 50er-Jahre – zu bringen. Allerdings waren die Haupttäter zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr (er-)greifbar. Ab 1. Januar 1950 war das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ vom 31.12.1949 in Kraft. Eines der beiden ersten Gesetze der neuen Bundesrepublik amnestierte alle vor dem 15.09.1949, dem Tag der Wahl Konrad Adenauers zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Dieses Gesetz ergänzte das „Entnazifizierungsgesetz“ vom 5. März 1946, das zwischen Hauptschuldigen, Belasteten, Minderbelasteten, Mitläufern und Entlasteten unterschied. In den Prozessakten im Verfahren gegen Helmer-Sandmann von 1951, der einzigen authentischen Quelle zu den Biografien, befinden sich Angaben zu Delètre und Kovar: Der Erste war 1947 hingerichtet worden, der Zweite war unauffindbar. Delètre trug die „Dienstgradabzeichen eines französischen Oberleutnants“. „Über die Persönlichkeit Deletres ließ sich nach der Mitteilung des französischen Gerichts erster Instanz in Reutlingen vom 18. Mai 1951 […] feststellen, dass Deletre nie französischer Offizier gewesen ist. Er hiess in Wahrheit Alfons Scheerer und ist 1920 in Basse-Lutz (Mosel) in Frankreich geboren, liess sich aber 1941 als deutscher Staatsangehöriger anerkennen und machte Dienst im Sicherheitsdienst (SD). Er wurde auf verschiedenen SD-Schulen ausgebildet und arbeitete in mehreren europäischen Ländern für den SD. Er wurde mit dem Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern und mit der Heydrich-Medaille ausgezeichnet. Im Jahre 1944 wurde er jedoch wegen einer angeblichen Abtreibung, die er an einer als Schreibkraft ebenfalls beim SD tätigen Frau vorgenommen haben soll, verhaftet und in das Lager Struthof und später in die Lager Gaggenau und Lauffen verbracht. Aus dem Letzteren scheint es ihm gelungen zu sein, zu entkommen oder entlassen zu werden, denn im April 1945 tauchte er in Dormettingen auf, wo er sich unter seinem richtigen Namen Scheerer einmietete. Seinen Namen änderte er aber sofort nach dem Einmarsch der Franzosen in Deletre um. Er wurde später durch die französischen Behörden verhaftet und durch den Gerichtshof in Metz am 18. April 1947 wegen meist in Frankreich begangener Straftaten, wie z. B. wegen Teilnahme an Morden, Folterungen, Zwangsverschleppungen usw., zum Tode verurteilt und am 27. Juli 1947 hingerichtet.“116. 116 Urteil des Schwurgerichts Rottweil zu Helmer-Sandmann, S. 13. In einem Schreiben des Oberstaatsanwalts Dr. Keppner, Hechingen, vom 21. Oktober 1958 sind biografische Details zu Milan Kovar, dem zweiten Haupttäter des Schwarzen Lagers, des „Büttels“ Delètres, überliefert „Milan Kovar (Kowar) ist am 29.4.1922 in Zneimo – CSR – geboren und Schneider von Beruf. Er war im Winter 1944/1945 bei einem aus Tschechen und Polen bestehenden Arbeitskommando, das zur deutschen Wehrmacht zählte. Es handelte sich um ehemalige Kriegsgefangene, die sich später für Deutschland einsetzten. Sie kamen nicht an die Front, sondern wurden als Arbeiter verwendet. So war Kovar bis zum Zusammenbruch im Ölschieferwerk bei Dotternhausen, Kreis Balingen, beschäftigt. Hernach war er noch einige Monate im sogenannten illegalen KZ-Lager Dotternhausen, wo er verschiedene Tötungen begangen haben soll. Im Sommer 1945 verschwand er dann aus dem Kreis Balingen.“117. 117 An die Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministeriums des Innern, Köln, Ludwigstraße 2 in der „Anzeigensache gegen Milan Kovar wegen Mords“

Er war „vor dem Einmarsch der Franzosen nicht KZ-Häftling, sondern bei einer tschechischen Arbeitskompanie, deren Angehörige freie Bewegungsmöglichkeiten hatten, wurde in der Nacht vom 8./9. Juli 1945 von einem in einem Kraftwagen fahrenden französischen Offizier, den Kovar auf der Straße von Schömberg nach Balingen anzuhalten versuchte, angeschossen und wegen der dabei erhaltenen Schulterverletzung ins Krankenhaus Balingen verbracht, aus dem er, nachdem er inzwischen ebenfalls von den französischen Behörden verhaftet worden war, am 29. Juli 1945 entflohen ist. Die nach seinem jetzigen Aufenthaltsort angestellten Ermittlungen sind erfolglos geblieben.“ „Milan war der Führer der Tschechen in Dotternhausen und trug später französische Uniform“, sei jedoch „bei seiner (erneuten) Verhaftung durch die französische Gendarmerie bei Unterdigisheim, Kreis Balingen, erschossen und dort beerdigt worden“. Christian Trick erwähnt eine andere Variante, dass nämlich der „Henker von Dormettingen“ „ganz ungestraft noch 1950, wie zu erfahren war, als Auswanderer vom Münsinger D.P.-Lager nach Australien“ gelangt sei, obwohl es „kaum einen Menschen auf dieser Welt (gibt), welcher noch schrecklichere Verbrechen und Greueltaten begangen hat“. Viel Spekulation und Mutmaßung umranken demnach die Erzählungen über das Schicksal und die Fluchtorte Kovars. Besonders seine Beziehungen zu Frauen dürften bemerkenswert gewesen sein: Sein besonders gutes Aussehen wird selbst von Opfern erwähnt. „Wenn irgend eine Kommission den Auftrag bekommen hätte, aus einem Garderegiment den schönsten jungen Mann herauszufinden, die hätte es bestimmt schwer gehabt, einen solch schönen jungen Mann wie Milan Kovar zu finden“, schreibt Heinrich Eggert in seinem Bericht. „Umgekehrt in ihm saß der leibhaftige Satan.“118 Dieser Einschätzung dürften viele gefolgt sein. Seinem Aussehen habe er es andererseits verdankt, dass er mehrere Dotternhausenerinnen als Freundinnen hat haben können, „drei Stück“, wo doch jeder der Tschechen nur „ein hiesiges Mädchen als Freundin“ gehabt habe. Das tschechische „Arbeitskommando“ war der SS unterstellt, deren Mitglieder – etwa 50 Mann – die dunkelbraunen Uniformen mit Schiffchen oder Schirmmützen trugen. Im Schwesternhaus, dem St.-Anna-Stift, waren sie einquartiert. Zur Weihnachtsfeier 1944 wurden junge Frauen, weil sie einem Singkreis angehörten, eingeladen; sie hätten gesungen und seien wieder gegangen, ohne mit den Männern in Berührung gekommen zu sein.119 Um einen möglichen Kontakt ging es, weil Fotografien im Haus Burg, wo Milan Kovar in Dotternhausen wohnte, gefunden worden waren, „auf welchen […] Mädchen in allen Stellungen fotografiert waren, teilweise waren es schändliche Bilder, vor welchen anständige Menschen zurückschrecken würden. Diese Aufnahmen machte Milan.“ 118 Trick-Bericht, S. 3; Eggert-Bericht, S. 8. 119 Emilie Hoch, Dotternhausen, Hauptstraße Nr. 125. Den 24. Januar 1956 „An die Staatsanwaltschaft z. Händen v. Herrn Oberstaatsanwalt Keppner“ „zu den Akten Milan Kowa“. Staatsarchiv Sigmaringen. Außerdem habe es ein Bild Milans in Postkartengröße gegeben, das eine der Frauen angeblich auf der Kommode stehen hatte.120 Kovars Flucht aus dem Krankenhaus Balingen wird damit erklärt, er sei im August 1945 von mehreren jungen Frauen, die ihn besucht hatten, vielleicht unbeabsichtigt gewarnt und dazu veranlasst worden, das Weite auf Nimmerwiedersehen zu suchen. Kovar war und blieb verschwunden. 120 Erklärung der „verh. Hausfrau Uttenweiler, Leonie, geb. Edele, geb. 23.02.1928 in Dotternhausen […] hat nach Ermahnung zur Wahrheit folgendes angegeben“ am 21.12.1955. Wer zu den ehemaligen Mitgliedern des SS-Arbeitskommandos in Dotternhausen gehörte, ist unterschiedlich überliefert. Die Nationalität war klar, es waren „Tschechen und Polen […], ehemalige Kriegsgefangene, die zu Arbeitszwecken eingesetzt“ wurden. Der „Kommandoführer […] hieß Walter.“ „Die Einheit trug dunkle Uniformen mit SS-Mützen und SS-Rangabzeichen. Walter trug regelrechte SS-Uniform […] (im) Rang eines Oberscharführers.“ Dieser habe als Vorgesetzter „den Milan einmal einige Tage wegen einer Verfehlung im Ortsarrest eingesperrt und ihm nicht zu essen gegeben“. Unmittelbar vor dem Umsturz sei das Arbeitskommando am 18. oder 19. April abgezogen, angeblich nach Ulm. Walter, der Ranghöchste des tschechischen Kommandos habe sich dort mit seiner Braut erschossen. Vier Mann jenes Arbeitskommandos hätten in Frommern eine Panne vorgetäuscht und seien dann, anstatt der Einheit nachzufolgen, nach Dotternhausen zurückgekehrt.121 Milan Kovar, einer der vier, kam offenbar in den Ort zurück, um Rache zu nehmen. Weil er sich jedoch nicht mehr an dem Vorgesetzten seines Kommandos rächen konnte, machte er anstelle des SS-Mannes Walter Bürgermeister Rebstock für seinen Ortsarrest verantwortlich. Die Rückkehr Milan Kovars und seiner drei tschechischen Landsleute nach Dotternhausen fällt mit der Zerstörung des Schornsteins im Zementwerk zusammen. Trotz dieser für das Zementwerk chaotischen Situation hätten die vier zurückgekehrten Männer des Kommandos in der Kantine gegessen und dort in der Baracke gewohnt, bis die Franzosen kamen. Sie standen also zur Verfügung des fürchterlichen Delètre/Scheerer, dem sich andere Zurückgekehrte oder Gebliebene anschlossen, um das Lager Dormettingen zu übernehmen. Der spätere Bürgermeister Waller war noch in Gefangenschaft, und die Kommandantur unter Delètre habe dafür gesorgt, dass dieser aus Pforzheim von den Franzosen und Tschechen an Christi Himmelfahrt 1945 geholt und für das Bürgermeisteramt bestimmt wurde. 121 Aussage der „Bürgermeisterstochter Resch, Gertrud, geb. Waller, geb. 13.4.29“ vor dem Kriminalsekretär der LPD (Landespolizeidirektion) Südwürttemberg-Hohenzollern in Tübingen am 05.01.1956. – Im Personalordner des Zementwerks findet sich ein Dokument zu einem SS-Unterscharführer Walter, der „Sonderkommando z. b. V. im Arbeitsstab Geilenberg“ angehörte und mit v. Kruedener korrespondierte. Allerdings ist ungewiss, ob Walter auch in der hiesigen Gegend war. Der SS-Rang ist ebenso nicht derselbe, dürfte jedoch nicht so wichtig sein. Die Namensähnlichkeit des Arbeitskommandochefs, SS-Oberscharführers Walter, mit dem späteren Rathauschef Waller ist verwirrend, weil dadurch auch bei den Aussagen Verwechslungen möglich gewesen sein könnten. Die Täter des „Schwarzen Lagers“, das auch als „Straflager“ [sic!] bezeichnet wurde, hätten sich, um ihre Morde zu rechtfertigen, auf eine Liste gestützt, auf der „die Dorfbewohner“ unterschrieben hätten, wer nicht wieder ins Dorf zurückkehren solle. Demnach differenziert in Bezug auf die Täter die Anklageschrift gegen Helmer-Sandmann auch zwischen dem Lagerkommandanten Delètre, dem Tschechen Milan Kovar und der „wachhabenden Mannschaft, bestehend aus Franzosen, Polen, Holländer, Tschechen usw.“, die allerdings „unbekannt“ seien. Erwähnt ist nicht, dass eine ehemalige französische SS-Truppe von sechs Mann, deren Ältester etwa 25 Jahre alt war, von Schlägern des Schwarzen Lagers in einem Akt grausamster Rache misshandelt wurde: Eine SS-française ist als solche schon ungewöhnlich. Diese Männer, wahrscheinlich der „Légion des voluntaires français contre le bolchevisme“ (Französische Freiwilligen-Legion gegen den Bolschewismus) hatten sich der Waffen-SS unterstellt und mit ihr kollaboriert. Sieger über Deutschland waren ebenso Franzosen, Grund genug, die jungen Männer mit fürchterlichen Schlägen zu bestrafen. „Insbesondere konnte beobachtet werden, dass […] Franzosen unter den Häftlingen, die wie es hieß, der SS angehört haben sollen, besonders heftig misshandelt wurden“, schreibt Christian Zeh in seinem Bericht vom Januar 1946 (s. o.). Ob es sich bei den französischen SS-Männern um versprengte Teile der 33. Waffen-Grenadier-Division der SS „Charlemagne“ handelte, ist ungewiss.122 Die Misshandelten werden sich auch möglichst schnell nach Frankreich abgesetzt haben. 122 Den Hinweis auf „Charlemagne“ verdankt der Verfasser Zvi Golany, der sich nach seinem Großvater Moses Levin erkundigte. Dieser war im KZ Dautmergen gewesen. Zvi Golany steht im kanadischen auswärtigen Dienst in Riga. Noch einmal sollte man sich vor Augen halten: Das „Wachpersonal“ des Dormettinger Lagers, unter ihnen auch Franzosen, veranstaltete die „Begrüßungsabende“, bei denen die Häftlinge so schlimm geschlagen wurden, dass sie sich „kaum noch aufrechthalten konnten“. Beim morgendlichen „Exerzieren“ wurden sie wiederum mit Schlägen dazu getrieben, auf einem mit kantigen Vorlagesteinen ausgelegten Straßenstück zu robben und über den Kopf zu rollen. Beim „Exerzieren mussten die Häftlinge häufig auch noch unter einem Lattenrost hindurchkriechen“ und „einigemale […] auch in eine Abortgrube oder über eine kleine Hürde kopfüber in eine Abwassergrube springen, was zur Folge hatte, dass ihre Wunden zu eitern begannen.“ „Nach dem Exerzieren wurden die Häftlinge, die infolge der körperlichen Anstrengung schwitzten, einmal nackt, ein andermal in Kleidern mit Wasser aus einem an einen Hydranten angeschlossenen Schlauch abgespritzt. Sie mussten dazu singen, wobei ihnen der Wasserstrahl direkt in den Mund gehalten wurde.“ Aus Schömberg ist der Satz überliefert: „Bei Unterluft hörten wir die Menschen schreien“, der bestätigt wird durch den Text des Urteils: „Die Schreie der Misshandelten waren in Dormettingen und Dotternhausen, bei besonderer Windrichtung sogar in dem mehr als 1 km entfernten Schömberg zu hören“, gemeint ist „d’r Unterluft“, der Ostwind

Weil andere Täter nicht mehr zu ergreifen waren, hielt sich die deutsche Nachkriegs-Justiz an den dritten der Verdächtigen und Angeklagten, den Schlosser Franz Helmer-Sandmann. Dieser „ist eines Verbrechens der Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge und eines Verbrechens der schweren Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig“, „wird hiewegen zu der Gesamtzuchthausstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt“, „im übrigen freigesprochen“. Das 37 Seiten lange Urteil des Schwurgerichts Rottweil nach Verhandlungen vom 1.–6. Oktober 1951 stellt die Biografie des Täters in den Gesamtzusammenhang der Zeit, offenbart die Interdependenz zwischen Vita, Ausbildung, Beruf und der „Karriere“ während des Krieges, die keine militärische war

Franz Felix Johannes Helmer Sandmann, geb. am 15.01.1907 in Greven, Westfalen, machte sich 1932 nach Schlosserlehre, Ingenieur-Prüfung, Tätigkeit als Heizungsmonteur in Holland in Dortmund-Lünen als Heizungsingenieur und Schlossermeister selbstständig. Eigenen Angaben zufolge stellte er sich zu Beschäftigungen bei der Mineralöl-Bau-GmbH zur Verfügung, die ihn für Arbeiten bei der Errichtung verschiedener Hydrier-Werke einsetzte. 1942 wurde er zur Luftwaffe eingezogen und zunächst in Deutschland, später in Italien, Finnland und Lappland eingesetzt, bis er im Frühjahr 1944 auf Veranlassung des Rüstungsministeriums uk gestellt wurde und am 15.04.1944 zur Deutschen Ölschiefer-Forschungsgesellschaft (DÖLF) nach Schömberg kam, wo er zunächst als Leiter der maschinentechnischen Abteilung tätig war. Im Oktober 1944 wurde ihm die Transport-Abteilung übertragen. Seine Tätigkeit bei der DÖLF wurde Ende 1944 bis Januar 1945 durch einen Sonderauftrag beim Rüstungsministerium Berlin unterbrochen (s. u. Aussage v. Kruedeners). Warum Helmer-Sandmann erst 1942 in den Krieg musste, kommt im Urteil nicht zur Sprache. Die Zugehörigkeit zur NSDAP war bekanntermaßen wichtig, galt sie den offiziellen wie inoffiziellen Häschern doch als Verhaftungsgrund. So wurden Listen mit ehemaligen Parteimitgliedern in allen Orten gemacht, und wer zur SS gehört hatte, war besonders „gefährdet“. Deshalb dichtete man Helmer möglicherweise die SS-Mitgliedschaft an, Hinweise dafür sind vage. Polizeimeister Karl Rösch erinnerte sich 1950, eine SS-Uniform in Helmers Wohnung gesehen zu haben: „Getragen hat er diese SS-Uniform meines Wissens nie.“ Dagegen ist sich Rösch ziemlich sicher, was Helmers Verhältnis zur DÖLF angeht, denn er habe den „Eindruck (gehabt), dass Helmer darüber verärgert war, dass er im Versuchswerk nicht so zum Zuge gekommen ist, wie er sich das vorgestellt hatte und dass daher seine Einstellung zur Partei rührte“ Zum Zeitpunkt der „Überrollung“ war Helmer auf dem Sonthof wohnhaft. In dessen Nähe waren die Fahrzeuge der Ölschieferwerke untergebracht. Dorthin hatte sie Helmer als Verantwortlicher schaffen lassen, um sie vor dem Zugriff der Sieger zu verstecken. „Es war dies geschehen, weil beim Einmarsch der Alliierten Truppen auf dem Sonthof SS-Leute gewesen sein sollten.“ Er wurde am 22. April festgenommen und nach Schömberg in den Ortsarrest gebracht, wo schon andere Männer eingesperrt waren, weil mittlerweile die Franzosen die Verwaltung übernommen hatten. Sein DÖLF-Kollege Fritz Fortmann bildete mit einem Zivilfranzosen die Ortskommandantur in Schömberg im Café Baier oder im „Konsum“.123 Ein französischer Offizier veranlasste die Freilassung Helmers. Einige Tage später zog Helmer vom Sonthof nach Dotternhausen […] in die Villa Burg. Von diesem Zeitpunkt ab habe Helmer bei der vorgeblichen Kommandantur mitgewirkt und eine bedeutsame Rolle gespielt.124. 123 Aussage Josef Seifried, geb. am 19.07.1895, vor der Staatsanwaltschaft Rottweil am 04.11.1950. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29 T2 Nr. 1048, S. 112. Vgl. oben die Aussagen zum Ort der Schömberger Kommandantur. 124 Paraphrase einer Aussage von Polizeimeister Rösch auf dem Rathaus Schömberg am 22. Juni 1950. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29 T2 Nr. 1048, S. 85 ff. Genau dies ist die entscheidende Frage, die das Gericht zu klären hatte. Obwohl vor Gericht die Taten Delètres und Kovars bei der „Erforschung des Sachverhalts“ ausführlich zur Sprache kamen und obwohl auch klargestellt wurde, dass sich Helmer „dieser Gruppe Ausländer […] Ende April–Anfang Mai aus freien Stücken angeschlossen und an verschiedenen Straftaten mitgemacht“ hatte, beteuerte dieser, er sei bei der Kommandantur „nur ein kleiner Angestellter ohne irgendwelche Einflussmöglichkeiten auf die Geschehnisse“ gewesen, „ein kleines Licht bei der Kommandantur […], welches sein Gehalt von der DÖLF weiterhin bezog“. Umstritten war, ob Helmer selbst Vernehmungen durchgeführt, ob er selbst „Verhaftungen verfügt“ oder „Freilassung angeordnet“ hatte. Der Polizist Rösch, der ihn mutmaßlich von Schömberg nach Dotternhausen gebracht hatte, beschreibt ein dreifaches Zusammenwirken von Delètre als Kommandanten, von Kovar als seinem „Adjutanten“ und Helmer, der „allgemein als Gerichtsoffizier angesehen“ worden sei.125. 125 Ibidem. Die Rolle Helmer-Sandmanns bei der Ermordung Philipp Ludwigs ist nach Rösch zweifellos auf dessen persönliche(s) Betreiben zurückzuführen, weil, wie die Anklageschrift es formulierte, das Verhältnis zwischen beiden „nicht gut“ war. Ludwig war zeitweilig der Vorgesetzte Helmers gewesen. Behauptet hatte Helmer jedoch, Ludwig sei schuldig am Tode vieler ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge, eine Lüge, die die Mörder zum Morden anstachelte. Zu dem persönlichen Verhältnis Philipp Ludwigs zu Helmer-Sandmann wurde Hans-Joachim von Kruedener, dem Koordinator von „Wüste“, befragt, und der antwortete, Helmer sei 1944 von der DÖLF aus durch Ludwig nach Berlin abgestellt bzw. abgeschoben worden, als dort für die Bearbeitung von Beschaffungsfragen eine Hilfskraft benötigt worden sei. Nach 2–3 Wochen habe er, Kruedener, Helmer wieder nach Schömberg zurückgeschickt, weil dieser sich als unzulänglich erwiesen habe. Wenn Helmer Ludwig den Tod auch nur eines einzigen KZ-Häftlings anlaste, dann bürge er (K.) persönlich dafür, dass diese Beschuldigung frei erfunden sei. Ludwig habe die Lage der Häftlinge verbessern wollen, seine Bemühungen (hätten sich) auf eine Beschränkung der Arbeitszeit von 10 auf 8 Stunden bezogen.126 Kruedener weiß, was man 1950 in Bezug auf KZ-Häftlinge zu sagen hatte! Ausgerechnet seine Aussage sollte also die Rechtfertigungen Helmer-Sandmanns als Auslassungen seiner Frustration widerlegen. 126 Schreiben des Staatsanwalts vom 24.01.1952 an das Justizministerium Tübingen im Revisionsverfahren, in dem an die Aussage v. Kruedeners in der Voruntersuchung erinnert wird. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T4 Nr. 685. Ähnlich raffiniert hatte Helmer ehemalige KZ-Häftlinge dazu gedrängt, den Bauunternehmer Kirchhardt, der früher mit ihm am gleichen Arbeitsplatz gestanden hatte, aus Metzingen zu holen und ins Schwarze Lager zu bringen, wo dieser in einer Weise misshandelt wurde, dass er „schließlich dem Irrsinn“ verfiel. Die bewusste Irreführung der zunächst zögernden ehemaligen KZ-Häftlinge durch Helmer, die über seine Befehlsgewalt nicht unterrichtet waren, jedoch den Auftrag im Glauben an seine Rechtmäßigkeit127 ausführten, hat sicherlich dazu beigetragen, dass bis heute kolportiert wird, ehemalige Häftlinge der „Wüste“-Lager seien zurückgekommen und hätten das illegale Dormettinger Lager betrieben. In dieser Vereinfachung und Verkürzung trifft das nicht zu. 127 Urteil zu Franz Helmer-Sandmann. Ibidem. Wilhelm Kirchhardt. Im Fall Wilhelm Kirchhardt spielten ehemalige KZ-Häftlinge, instrumentalisiert von Helmer-Sandmann, bei dessen Verhaftung eine Rolle, „durch die klare, eindeutige, beschworene Aussage des Zeugen Kaltenbach überführt, dass er die ehemaligen von Kaltenbach zum Angeklagten gebrachten KZ-Häftlinge am 16. Mai 1945 veranlasst hat, Kirchhardt in das Lager zu holen“128. 128 Hinweis auf die Aussage des Zeugen Kaltenbach im Urteil Helmer-Sandmann, S. 30. Luise Kirchhardt schilderte in einem Schreiben vom 22. Juni 1945, einen Monat nach der Verhaftung und dem Tod ihres Mannes, dem Metzinger Bürgermeister, was sie erlebt hatte, denn es wiederholte sich die Camouflage mit bekannten Personen

Der Bericht ist als „Abschrift“ charakterisiert, beim Datum ist eine 5 übertippt durch eine 6: „Bericht an den Herrn Bürgermeister. der Stadt Metzingen“129. 129 Schreiben von Luise (fälschlich Lisel) Kirchhardt vom 22.06.1945. Stadtarchiv Metzingen M 1-1 322 Brief Kirchhardt „Am 16.5.1945 trafen vor meinem Hause in Metzingen Christian-Völterstrasse 7 drei bewaffnete Zivilfranzosen mit einem PKW 1 ein und nahmen meinen Mann in Haft. Mein Mann hat die Franzosen wiedererkannt als ehemalige Häftlinge der Schwelanlage Schömberg, wo er ebenfalls beschäftigt war. Auf mein dringendes Befragen nach dem Grund der Inhaftierung gaben die Franzosen an, dass mein Mann zur Vervollständigung von Unterlagen 2 bezüglich des Konzentrationsteillagers in Schömberg 3 ebendort vernommen werden sollte. Er würde jedoch noch am selben Abend nach Metzingen zurückgebracht werden. Als mein Mann jedoch am 23.5.1945 noch nicht zurückgekommen war 4, lief ich in meiner grenzenlosen Aufregung zu Fuss und ohne Genehmigung nach Schömberg. 5 Am 24.5.1945 erfuhr ich durch den mir bekannten Ingenieur Helmer Sandmann, dass mein Mann in das Lager Dormettingen eingeliefert worden sei. Ich dürfte das Lager jedoch nicht betreten 6. Helmer Sandmann war über diese Vorgänge im Bilde, da er bei der französischen Zivildelegation 7 tätig ist. Am 25.5.1945, als ich in Schömberg eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen wollte, wurde mir zunächst von dem französischen Zivildelegierten wegen nicht genehmigter Einreise nach Schömberg eine Geldstrafe von 20.- RM auferlegt 8. Auf meine Fragen bezüglich meines Mannes gab man mir keine Antwort, sondern ich wurde ohne eine Grundangabe bis zum 29.5.1945 auf einem Strohlager in Haft genommen 9. Bei der Freilassung bekam ich einen Passierschein nach Metzingen mit der Bemerkung, dass ich die Rückwanderung sofort anzutreten hätte. Auf dieser Reise erfuhr ich noch von Helmer Sandmann in Dormettingen 10, dass mein Mann nervenkrank in das Krankenhaus Rotes Münster bei Rottweil eingeliefert worden sei und bestimmt noch bis Ende der Woche zurückkäme 11. Als mein Mann am 4.6.1945 immer noch nicht zu Hause war, stellte ich in Metzingen den Antrag auf einen Passierschein nach Rottweil. Ich erhielt ihn am 15.6.1945 und begab mich sofort in Begleitung von Frau Wieland aus Metzingen das zweite Mal auf die Suche nach meinem Mann. In Dormettingen erklärte Helmer Sandmann auf meine Vorhaltungen bezüglich seiner damaligen Angaben, dass mein Mann das Krankenhaus in Rottweil noch immer nicht verlassen konnte 12. Am 16.6.1945 suchte ich meinen Mann in Rottweil. Sein Name war jedoch in sämtlichen dort befindlichen Krankenhäusern einschliesslich des Roten Münsters vollständig unbekannt. Ich kehrte daher noch am selben Tage nach Schömberg zurück und bat den mir bekannten Herrn Fortmann, mir zu helfen 13. Auf Antrag wurde Herr Fortmann mit mir zu einer Besprechung mit dem französischen Zivildelegierten in Dormettingen auf Sonntag, den 17.6.1945 um 10 Uhr bestellt. Weder Herr Fortmann noch ich wurden jedoch zu dieser festgesetzten Zeit empfangen. Es war damit nicht möglich, irgendwelche klare Auskunft über meinen Mann zu erhalten 14. Gerüchteweise und angeblich nicht erlaubterweise erfuhr ich von einigen schon äußerlich übel zugerichteten Leidensgenossen meines Mannes, die mir verständlicherweise ihre Namen nicht nennen wollten 15, dass mein Mann auf Verlangen des Häftlingsvorarbeiters Brauer in das Lager Dormettingen eingeliefert wurde. Brauer ist von meinem Mann anerkanntermassen immer besonders gut behandelt worden. Er erhielt von ihn (ihm) trotz strengsten Verbots zusätzliche Lebensmittel und Rauchwaren. Angeblich ist Brauer inzwischen von seinen eigenen Kameraden erschossen worden 16. Durch die unmenschliche Behandlung im Lager Dormettingen, wo der Dienstplan offenbar in Misshandlungen bestand 17, ist mein Mann nervenkrank geworden. In diesem Zustand ist er dann anscheinend erschossen und eingegraben worden 18. Da die Behauptungen des vorstehenden Absatzes in diesem Bericht allem Anschein nach richtig, jedoch nicht bestätigt sind, bitte ich dringendst um Nachforschung des Schicksals meines Mannes und im Falle seines Ablebens um die Überlassung seiner Leiche 19. Ich habe vier kleine Kinder und weiss nicht wie ich sie ohne die Hilfe meines Mannes ernähren soll. Deshalb glaube ich, dass mein Antrag besonders berechtigt ist und von der Militärregierung der ich ihn vorzutragen bitte, genehmigt und unterstützt werden kann. Hochachtungsvoll (gez.) Liesel Kirchhardt 20. Kommentierung des Berichts entsprechend. der Nummerierung. 1 Der 16. Mai 1945 war der Mittwoch vor Pfingsten, an dem die „Zivilfranzosen“ in Metzingen auftauchten. Bei der DÖLF, der erwähnten „Schwelanlage“, waren nicht nur KZ-Insassen des KZ Schömberg, sondern auch „Ostarbeiter“ und zivile Arbeiter angestellt, in der NS-Bezeichnung AZA = ausländische Zivilarbeiter. Frau K. hatte wohl über ihren Mann Kenntnis von der Unterscheidung zwischen „KZ-Häftling“ und zivilen Arbeitern. Von diesen Zivilarbeitern aus verschiedenen Nationen ist auch in anderen Berichten die Rede. Dass die Männer für die Fahrt nach Metzingen einen Pkw zur Verfügung hatten, liegt an der Tatsache, dass Helmer-Sandmann hinter der Aktion stand, sie als Schergen, die von ihm ausgesandt waren, benutzte, wie in seinem Prozess mehrfach bezeugt ist. Die Bewaffnung beweist, dass sie in der Absicht kamen, Kirchhardt zu verhaften. Offensichtlich kannten die Franzosen Wilhelm Kirchhardt von Schömberg her, wo dieser als Bauunternehmer für die DÖLF gearbeitet hatte. Im KZ Schömberg gab es ein Kommando „Barackenbau“ für Kirchhardt, das von Schömberg aus das neue KZ Dormettingen aufzubauen hatte und im Bau von Luftschutzstollen und -unterständen eingesetzt war. Noch am 17.04.1945 wird die Zahl der Männer, die für Kirchhardt arbeiteten, mit 23 angegeben. Weil Frankreich nun die Besatzungsmacht war, war es für Helmer-Sandmann opportun, Franzosen zu benutzen. Was die Verhaftung Kirchhardts in Metzingen betrifft, so erinnert sich der damals achtjährige Sohn Wolfgang Kirchhardt, geb. am 14.04.1937, bei der Verhaftung dabei gewesen zu sein, sein Vater habe gerade Granatsplitter an einer Hauswand „am letzten Haus Richtung Reutlingen bei dem Architekten Schulz“ entfernen wollen130. 130 Hinweise von Wolfgang Kirchhardt, dem ältesten Sohn, im Gespräch mit dem Verfasser am 01.03.2016. Die Zahlen der für Kirchhardt im „Barackenbau“ arbeitenden Männer stammen aus den Aufzeichnungen des luxemburgischen Lagerältesten Roger Hoffman, der dies in den „Verschidden Détailler“ aufgeschrieben hatte, abgedruckt bei Opfermann, Leitfaden. S. 24 und 25. – Ein Dokument des „Betriebsleiters Versuchsanlage Schömberg“ vom 16.04.1945 zeigt den „Arbeitseinsatz für Dienstag, den 17. April 1945“, den letzten Tag des KZ Schömberg, unter der Überschrift „Bauwesen“ auch die Tätigkeit für die „Fa. Kirchhardt“: Sie baut Luftschutz = „LS-Stollen Ausgang IV“ mit 12 Häftlingen und 2 Arbeitern und „LS-Unterstände“ mit 8 Häftlingen und einem Arbeiter und einem Häftlings-Capo. 2 Der Grund für die Verhaftung war eine vorsätzliche Täuschung, aber offensichtlich musste Kirchhardt den fadenscheinigen Gründen der Männer glauben, mit denen er zusammengearbeitet hatte, weil es sich um angebliche Vertreter der Besatzungsmacht handelte. 3 Der Begriff „Konzentrationsteillager“ ist ungewöhnlich, verrät jedoch Kenntnisse darüber, dass Schömberg ein Außenlager von Natzweiler war: Dies hatte Luise Kirchhardt in Schömberg während des Arbeitsaufenthalts ihres Mannes erfahren. 4/5 Luise K. musste eine Woche lang über Pfingsten in völliger Ungewissheit über das Schicksal ihres Mannes zusammen mit ihren vier Kindern warten, wodurch ihre Panik von Tag zu Tag größer geworden sein dürfte, zumal die Kinder, weil sie zu jung waren, ihr keine große Stütze sein konnten. Deshalb schrieb sie von „grenzenloser Aufregung“, die sie dazu veranlasste, „ohne Genehmigung“ sich nach Schömberg, das sind 60/70 km, aufzumachen, nicht „zu Fuss“, sondern mit dem Fahrrad, was ihr Sohn Wolfgang heute bestätigt. Dies war ein Verstoß gegen die „Bekanntmachung betreffend den Verkehr der Zivilbevölkerung“ vom 21. April 1945, der es zivilen Personen verbot, „außerhalb der Gemeinde zu verkehren“. Die jeweiligen Kommandanturen konnten Passierscheine ausstellen,131 Frau K. versäumte es jedoch in konfuser Angst, sich in Metzingen um diese Laissez-passer-Bescheinigung zu bemühen. 131 „AVIS concernant la circulation des civils“, „Bekanntmachung betreffend den Verkehr“ auf „Befehl der Militärregierung“, „Par ordre du Gouvernement Militaire“ Landau, 21. April 1945. Es ist anzunehmen, dass im württembergischen Teil der französischen Besatzungszone diese „ordre“ bekannt war. 6/7 Erst neun Tage nach der Verhaftung ihres Mannes erfuhr sie von Helmer-Sandmann, den sie kannte, dass er sich im Lager Dormettingen befinde. Dieser war als Kumpan Delètres und Kovars sicherlich über die Ereignisse im „Schwarzen Lager“ bestens informiert. Der Begriff „französische Zivildelegation“ bezieht sich entweder auf die Kommandantur der Besatzungsmacht in Schömberg oder auf die illegale in Dotternhausen. 8 Die verhängte Geldstrafe wegen der nicht genehmigten Reise – das verbotene Benutzen des Fahrrads wird verschwiegen – zeigt die Bemühungen der Besatzungsmacht, Deutsche von unerlaubter Mobilität abzuhalten. Für Frau K. dürfte die Strafe eher eine zusätzliche Schikane gewesen sein, hatte sie doch immer noch nichts über ihren Mann in Erfahrung gebracht. Die Aufenthaltsgenehmigung für Schömberg wird sie bekommen haben. 9 Gipfel der Willkür und Grausamkeit: Sie selbst wurde inhaftiert und musste auf einem Strohlager mehrere Tage verbringen, vermutlich auf Anweisung Helmer-Sandmanns. Wo dieses war, bleibt unklar, und ist an sich merkwürdig, sehr undurchsichtig und mysteriös. Was in den Tagen ihrer Haft geschah, erwähnt sie nicht. Warum sie dies fast nebenbei abtut, bleibt dunkel: Hätte Ausführlichkeit nicht ihr Anliegen beim Bürgermeister befördert? 10/11 Nach der Freilassung mit einem Passierschein nach Metzingen ausgestattet, unterbrach Frau K. die Heimreise – vermutlich in Helmers Pkw – in Dormettingen, weil ja angeblich ihr Mann dort war. Noch einmal wurde sie belogen: Kirchhardt sei als „nervenkrank“ ins Rottenmünster eingewiesen worden, werde bald entlassen, was nicht sein konnte, da Kirchhardt zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Seine Frau war bereit, die Lüge zu glauben. 12 Weil sie das fürchterliche tagelange Warten auf Nachricht nicht mehr aushalten konnte, beantragte und bekam sie einen Passierschein nach Rottweil, machte sich einen Monat nach der Verhaftung ihres Mannes „das zweite Mal auf die Suche“. Auf dem Weg wandte sie sich wieder an Helmer-Sandmann, den sie zur Rede stellte und der sie wiederum belog. 13 Auf eigene Faust, nur in „Begleitung von Frau Wieland aus Metzingen“ – eine Verwandte, Freundin? –, suchte sie im Rottenmünster, der „Nervenklinik“, und in den anderen Rottweiler Krankenhäusern nach ihrem Mann, erfolglos, weil man von Kirchhardt nichts wissen konnte. 14 In Schömberg bat sie Fritz Fortmann, den sie von der Zusammenarbeit mit ihrem Mann kannte, um Hilfe, die letzte Hoffnung für sie, die jedoch auch nicht in Erfüllung ging. Wer der „französische Zivildelegierte“ in Dormettingen war, den sie mit Fortmann aufsuchen wollte, aber von dem sie beide nicht empfangen wurden, bleibt unklar: dass es sich noch um Delètre handeln könnte, ist unmöglich, weil das illegale „schwarze Lager“ Dormettingen Mitte Juni 1945 schon kassiert war. Es muss sich also um einen Vertreter des Gouvernement Militaire Balingen gehandelt haben. Die Rolle Fortmanns bleibt dubios, er will jedoch vor der Frau „bella figura“ machen. 15 Offenbar bekam Luise K. „gerüchteweise“ Informationen über ihren Mann. Vermutlich hörte sie sich in Schömberg um und bekam gesagt, dass Männer aus diesem Ort „schon äusserlich übel zugerichtet“ aus dem Lager Dormettingen zurückgekommen waren. Dass sie die Gebrüder Wuhrer, die gleichzeitig mit Kirchhardt im Lager (vom 16.05. bis 19.05.) gewesen waren, befragen konnte, ist sehr unwahrscheinlich, sie glaubte jedoch den mündlichen Berichten und nennt diese Männer mit der späteren Kenntnis von der Folterung und Ermordung ihres Mannes „Leidensgenossen“. Wenn Luise K. von dem Wissen, zu dem sie „angeblich nicht erlaubterweise“ gekommen sei, spricht, könnte es sich um die Anweisung der Täter, Delètres und Kovars, handeln, nichts von den Taten im Lager zu erzählen, wovon z. B. im Eggert-Bericht die Rede ist. Angst spielt sicher eine große Rolle. 16 Es hört sich wie ein Topos einer Undankbarkeitsgeschichte an, wenn von dem „Häftlingsvorarbeiter“ Brauer, von Kirchhardt in besonderem Maße bevorzugt, als Denunziant gesprochen wird, der dann später „angeblich“ […] „von seinen eigenen Kameraden erschossen worden“ sei. Arno Schreiber, der zur gleichen Zeit wie Kirchhardt im Lager Dormettingen war, sagte in einer „Erklärung“ 1950 aus, seine „Vorstellungen beim Lagerpersonal und der Hinweis, dass doch Kirchhardt auch den Häftlingen zusätzlich Verpflegung beschaffte, obwohl dies strafbar war, nützten leider nichts“132. 132 „Erklärung“ Arno Schreibers Balingen, 06.02. 50 vor dem Bürgermeistersamt. StAM (= Stadtarchiv Metzingen) M 48-2 Bü 707 Sterbeurkunde Kirchhardt. Mit diesem Brauer kann der Schömberger KZ-Häftling Erwin Brauer, geb. 09.02.1909, gemeint sein, der nach dem Natzweiler Nummernbuch die Nummer 6328 und die Bezeichnung BV erhielt, als er am 26.11.1943 nach Natzweiler kam. In einer Spalte ist vermerkt, dass er nach Schömberg verschickt wurde, wo das „Bahnhofs“-KZ für die DÖLF Ende 1943 eröffnet wurde. Als BV (= befristete Vorbeugehaft) wurden Häftlinge, später „Berufsverbrecher“ mit grünem Winkel bezeichnet, die sich oft besondere Rechte innerhalb des Lagers oder auf Baustellen erschleichen konnten, weil sie im Gegensatz zu den politischen Häftlingen mit roten Winkeln opportunistisch bereit waren, mit dem NS zu kollaborieren. Erwin Brauer wird im Urteil gegen Franz Helmer-Sandmann in der Totenliste des „Schwarzen Lagers“ als „SS-Mann“ bezeichnet, allerdings mit dem Namen „Braun“, der am 20. Mai 1945 ermordet wurde. In dessen Totenschein (Nr. 42) vom 31.12.1945 ist handschriftlich vom Standesbeamten und Bürgermeister Berner im Juni 1951 vermerkt, dass „auf Grund der Mitteilung des Kriminalkommissariats Rottweil“ der Tote „nicht Braun, sondern in Wirklichkeit Brauer geheißen hat“. In dem Dokument von 1945 wird er als „Schutzhäftling“ bezeichnet. Wie es 1951 zur Kennzeichnung als SS-Mann kam, bleibt unklar.133. 133 Nummernbuch von Natzweiler von Nr. 1–6499, in Kopien dem Verfasser vorliegend. – „Befristete Vorbeugehaft“ für (Klein-)Kriminelle geht in der NS-Zeit von der Vorstellung der „Volksgemeinschaft ohne Verbrecher“ und von der Polizei als „Arzt am Volkskörper“ aus. Das 1933 erlassene „Gewohnheitsverbrechergesetz“ regelt dann auch den Sprachgebrauch in Richtung „Berufsverbrecher“ Bemerkenswert ist jedenfalls, woher Frau Kirchhardt vom Tod Brauers wusste. 17/18 Weil Luise Kirchhardt sehr misstrauisch war, ob das, was sie über ihren Mann gehört hatte, richtig war und den Tatsachen entsprach, glaubte sie den Lügen nicht, denn sie hatte keine Bestätigung für das Gehörte erhalten. Ihr Wortgebrauch in diesem Abschnitt des Briefes mit den Formulierungen „gerüchteweise“, „angeblich“, „anscheinend“ „allem Anschein nach“ drücken ihre massiven Zweifel aus. Dennoch setzte sie sich dem wahnwitzigen Lügengebäude aller Beteiligten aus, musste es tun, um das Anliegen ihres Briefes nicht zu gefährden. Deshalb die Bitte an den Bürgermeister um „Nachforschung“, welches Schicksal ihr Mann wirklich erlitten habe. Sie rechnete mit seinem Tod und bat, dass ihr seine Leiche überlassen werde. Dies ist in einer Sprache abgefasst, die sich dem geschäftsmäßigen Stil von Bürokraten mit vielen Nominalisierungen anzugleichen sucht: Sie wollte mit ihrer Bitte auf keinen Fall ein Verschulden irgendjemandes andeuten, niemandem zu nahe treten. Diese Geschäftsmäßigkeit macht schaudern, ist wohl nur mit dem Adressaten Bürgermeister, hinter dem die Besatzungsmacht steht und der nichts falsch machen will, zu erklären. 19/20 Alles läuft auf die Bitte am Schluss hin, weil es um die Versorgung ihrer Kinder geht: Der Bürgermeister soll bei der Militärregierung intervenieren, damit sie ihren Antrag auf Unterstützung der vielköpfigen Familie durchbekommt. Wegen des Todes des Ernährers waren sie und ihre Kinder in der Existenz bedroht. Beim Verfassen des Briefes dürfte ihr jemand geholfen und geraten haben, möglichst ohne Emotion nüchtern bürokratische Floskeln und verschleiernde Formulierungen zu verwenden. Nur so ist die erschreckende Sachlichkeit angesichts der Ungeheuerlichkeit dieses Schicksals zu verstehen. Offenbar dauerte das Bemühen um Unterstützung noch einmal fast fünf (!) Jahre: 1950 bezeugte Friedrich Coehne, ein ehemaliger Angestellter der DÖLF, in einem „Leumundszeugnis“ für Wilhelm Kirchhardt, diesen als „achtbaren Menschen, auch politisch Andersdenkenden gegenüber“ kennengelernt zu haben. Coehnes Unterschrift wurde durch den Schömberger

Siegfried Haas. Das Schicksal des Rottweiler Künstlers Siegfried Haas (1921–2011) kann für die Behandlung in einem französischen Lager der Nachkriegszeit stehen: „Siegfried Haas kommt am 5. Mai (1945) in französische Gefangenschaft, in ein Vernichtungslager mit dem Namen ‚Rache für Buchenwald‘. Von den ersten neuntausend Mann bleiben am Ende nur noch neunzig übrig. Insgesamt vierzehn Monate verbringt Siegfried Haas in diesem Lager.“140 Seine Zeichnungen, die dem Verfasser vorliegen, sind mit den französischen Namen „Brioude Hte. Loire“, „Clermont-Ferrand“, „Le Puy“ und der Jahreszahl 1945 versehen. Eine spätere Zeichnung vom 8. März 1998 erzählt in Bildern von „Mutzig Mai Juni 1945“ mit dem Text „Vengeance pour Buchenwald“ davon, wie Haas an den Füßen aufgehängt und geschlagen wird, weil man ihn für einen SS-Mann gehalten habe. Glücklicherweise sei er bald ohnmächtig geworden, erklärte er dem Verfasser. Haas schilderte – die Bilder zeugen davon –, wie er erst dem Hunger ausgesetzt und später wieder aufgepäppelt worden sei. Der Tod des Täbingers Georg Seemann durch Verhungern (s. o. S. 36) wird so bestätigt. 140 Gabriele Frommer: Siegfried Haas – eine biographische Skizze. In: Siegfried Haas Bildhauer, Zeichner, Maler. Herausgegeben von Gabriele und Harald Frommer. Lindenberg im Allgäu, 2008, S. 19. Was den Namen des Lagers anbelangt, dürfte die Ortsbezeichnung „Dotternhausen“ als französisches Kriegsgefangenenlager, die man im Internet findet, verwechselt worden sein mit „Dormettingen“ oder „Dautmergen“, den KZ-Bezeichnungen aus der NS-Zeit

Berücksichtigt man Haas’ Erzählungen und Zeichnungen, wird deutlich, dass die französische Besatzungspolitik zunächst nicht sicher war, wie sie in ihren Lagern „Säuberung“ von Nazis durchführen wollte. Trifft deshalb der „Improvisationscharakter der französischen Säuberungspolitik“ für den „Service Epuration“ in einer deutschen „Zusammenbruchsgesellschaft“ zu? Die Entnazifizierungspolitik sei zwei Direktiven des Leiters der zivilen Besatzungsverwaltung, Emile Laffon, vom 19.09. und 31.10.1945 gefolgt; sie können demnach für die Verantwortlichkeit im Lager Dormettingen nicht angeführt werden141. 141 Rainer Möhler: Politische Säuberung im Südwesten unter französischer Besatzung, erschienen als Band 46 der Reihe „Geschichtliche Landeskunde“ an der Universität Mainz, 1995, spricht von dem „Improvisationscharakter der französischen Säuberungspolitik“ innerhalb des „Service Epuration“, der Entnazifizierungspolitik in der französischen Zone. Allez Hopp! Du SS Nous le savons =wir wissen es; Du Racist=Rassist; Prenez la matraque=nimm die Peitsche; Revanche contre Hitler= R. gegen Hitler; Vengeance pour Buchenwald=Vergeltung für B.; assez!=Genug; ça suffit=das reicht!

Ist es demnach richtig, bei den Taten im „Schwarzen Lager“ von einer „petite revanche“ der Franzosen zu sprechen, welche die „Quälereien“ der „Bewacher“ „einige Tage lang in Dormettinger Baracken unkontrolliert geduldet“ hätten, wie Rohrbach im Rückblick von 40 Jahren die Morde kommentiert?142 Fast jedes Wort dieser Einschätzung beschönigt die Taten, verdrängt und verharmlost in unzulässiger Weise das Mordgeschehen zu Petitessen, die den Opfern in schlimmster Weise menschenverachtend die Empathie verweigern. 142 Rudolf Rohrbach in: „Ein Ölschieferwerk entsteht“, 1987, S. 44. Französische Besatzungspolitik. und deren Folgen. In seinem Buch „Besetzt: Französische Besatzungspolitik in Deutschland“ nennt Volker Koop Gründe für eine mögliche „Revanche“ Frankreichs: „Zur Bilanz der deutschen Besetzung gehört […], dass bis zur Befreiung Frankreichs 175000 Geiseln von deutschen Soldaten auf französischem Boden erschossen und rund 75000 Juden aus Frankreich deportiert wurden – was meist den sicheren Tod bedeutete. Weitere 4000 starben in französischen Internierungslagern oder wurden hingerichtet. 4,5 Millionen Franzosen hatten in dieser Zeit Zwangsarbeit für Nazi-Deutschland leisten müssen.“143 „Allein angesichts der […] Daten zu den französischen Opfern und Kriegslasten wird verständlich, dass die Franzosen, als sie dann an der Seite der anderen westlichen Alliierten in Deutschland einmarschierten und eine eigene Besatzungszone erhielten, zunächst wenig Anlass hatten, ihren vorherigen Peinigern mit besonderer Nachsicht zu begegnen.“144. 143 Volker Koop: Besetzt. Französische Besatzungspolitik in Deutschland. Berlin-Brandenburg, 2005, S. 13. – Vgl. zwei Aufsätze von Christine Glauning im Katalog zum 50. Jahrestag des Kriegsendes Reutlingen 1930–1950. 12. Vom politischen Haftlager zum Spruchjammer, S. 316 und 13. Französische Soldaten und deutsche Frauen. Zwischen Gewalt und Liebe, S. 325. Stadtarchiv Reutlingen, Nr. 3757. 144 Koop a. a. O., S. 13. In Bezug auf die Täter des „Schwarzen Lagers“ Dormettingen scheint Delètre demnach sich wie andere Sieger verhalten zu haben, weil in der französisch besetzten Zone wohl eine „allgemein übliche Plünderung“ teilweise wegen der schlechten Versorgungslage üblich war, dass „französische Soldaten selbst (es waren), die solche Raubzüge unternahmen“145. Nach überkommenem Sieger-Muster handelte auch Delètre, denn „auf eine gewisse Selbstdarstellung legten französische Offiziere generell Wert, nicht zuletzt auf ‚Ehrerbietung‘ durch die deutsche Bevölkerung“146. 145 Gerhard Junger: Schicksale 1945. Das Ende des 2. Weltkrieges im Kreise Reutlingen, S. 203. 146 Koop, a. a. O., S. 39 ff. Welche Folgen hatte die Erfahrung des Todes im „Schwarzen Lager“ für die Frauen und Männer selbst, für deren Familien? Hatten sie nur Glück gehabt oder Fürsprecher? Traumata blieben, aber wo Aufklärung nötig gewesen wäre, wurden auch Stereotype tradiert und die Entstehung von Mythen gefördert. Von Selbsttötungen der Inhaftierten ist nichts bekannt, aber die schlimmen Erlebnisse, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Folter und Schläge sind bezeugt. Manche Männer litten bis an ihr Lebensende an den Folgen. In vielen Familien herrschte das Schweigen über die erlittenen Schrecken, die Tabuisierung der Gräuel, meist war die Sprachlosigkeit größer als der Wille zur Aufklärung. Einige Dotternhausener verfassten unmittelbar nach der Rückkehr Berichte, die das Erlebte zu bewältigen und gleichzeitig die Erinnerung daran zu bewahren suchten. Hier muss man unterscheiden zwischen den frühen Berichten, deren Verfasser auch im Prozess noch einmal zu Wort kamen, und den Legenden, die sich im Zusammenhang mit der Lektüre der Zeitungsberichte bildeten. Die Reflexion über die Denunzianten, die die Opfer auf Listen gesetzt hatten, hat sicherlich die Frage der Schuld und der Sühne immer wieder aufgerührt. Auch Ferdinand Wesolowski wird zu diesen gerechnet, denn die Witwe Maria Maurer sagte in ihrer Befragung aus: „Ich bin der festen Überzeugung, daß mein Mann nur auf Betreiben des Wesolowski, des Emil R. und Lotte R. […] verhaftet wurde. W. war nämlich Untergebener meines Mannes im Zementwerk.“147 Allerdings zeigt das Mikrofilm-Dokument (s. o.), dass Wesolofski im Auftrag der Amerikaner und Franzosen handelte, als Nicht-Parteigenosse für die Sieger, deshalb wohl auch für die illegale Kommandantur Verhaftungen vornahm, weil er an Stelle von Rohrbach die kommissarische Leitung des Zementwerks übernommen hatte. Das ihm am 6. Juni 1946 ausgestellte „Zeugnis“ stellt selbstverständlich keine Beziehung zum „Schwarzen Lager“ her, aber es ist anzunehmen, dass er sich „pragmatisch“ verhielt, sowohl in Bezug auf die Täter der illegalen Kommandantur wie auf die Verantwortlichen des Zementwerks, die ihm das Zeugnis ausstellten. In der Erinnerung hat der Name bis heute einen negativen Beigeschmack.148. 147 Maria Maurers Befragung im Prozess gegen Helmer-Sandmann. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/Bd. 2 Nr. 1048. 148 Durchschlag des Zeugnisses vom 6. Juni 1946. Das Schreiben stammt aus einem noch erhaltenen Personalordner des Zementwerkes aus dem Jahr 1945 mit dem Zeichen: „Z. V. TECHN. PERS. 1945“. – Im Gespräch mit dem Verfasser erinnert sich Wolfgang Zeh, Sohn des im „Schwarzen KZ“ eingesperrten Christian Zeh, an diese negative Konnotation des Namens. Die Besatzungsmacht Frankreich verurteilte in einem der Rastatter Prozesse den meistgenannten Denunzianten Fritz Fortmann 1947 zu fünfjähriger Gefängnisstrafe, das Strafmaß sei für diesen „Judas“ – der Schwarzwälder Bote schreibt am 29.03.1951 vom „Judaslohn“149 – jedoch so gering ausgefallen, weil er den französischen Richtern gedient habe. Als 1950 der Prozess gegen Helmer-Sandmann angestrengt wurde, war Fortmann bereits wieder in Freiheit, seine Adresse ist nicht mehr das Gefängnis Wittlich, sondern Gelsenkirchen-Buer. 149 Schwarzwälder Bote, Donnerstag, 29. März 1951, Nr. 48, S. 3. Man sollte differenzieren: Dass Fortmann auch anders beurteilt wurde, bekunden von ihm vorgeschlagene Entlastungszeugen aus Schömberg in Rastatt: Dr. Joseph Fricker, Maria Besenfelder, Elfriede Koch. Wie haben sich Gemeindemitglieder zu anderen angeblichen Denunzianten verhalten, warum wurden überhaupt solche Listen gemacht? Bevorzugungen von Parteigenossen während der NS-Zeit, kolportierte oder wirkliche, dürften Neid und Missgunst verursacht haben, sodass die Verhaftungen von Regime-Profiteuren als richtig angesehen wurden. Den Rollentausch zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen früherem französischem Hilfsarbeiter, der nun Hilfspolizist oder sogar Ortskommandant z. B. in Zepfenhan geworden war, konnte man als Folge des verlorenen Krieges begreifen. Gab es Empathie oder die Scheu, Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, oder war es nur Voyeurismus, wenn z. B. das „Ortsgespräch“ in Dotternhausen mehr wusste oder zu wissen vorgab als die betroffenen Familien, die den Verlust des Mannes/Vaters verkraften mussten und wenig Hilfe erhielten, besonders nicht in emotionaler Hinsicht? Die räumliche Enge der Orte ließ ja fast alle an allem teilhaben, sodass man sich noch bei den Zeugenaussagen fünf bis zehn Jahre später an beobachtete und gehörte Wortgefechte erinnern wollte, die zu Protokoll gegeben wurden. Wie roh muss die damalige Gesinnung gewesen sein, wenn noch 1956 berichtet wird, dass, als „Bürgermeister Rebstock dann tot war“, „die Schwägerin des Bürgermeisters Waller am nächsten Morgen nach der hl. Messe auf der Orgel in der hiesigen (d. i. der Dotternhausener) Kirche ‚Großer Gott, wir loben Dich‘“ gespielt habe, „vor lauter Freude, dass sie es nun geschafft haben, dass Bürgermeister Rebstock nun nicht mehr im Wege sei“. Welch eine Kombination: heilige Messe und „Tedeum“ über den Tod eines in der Folter ermordeten Mannes, dessen familiäre Situation folgendermaßen beschrieben ist: „eine erwachsene Tochter und drei Schulbuben, seine anderen beiden Söhne waren in Gefangenschaft und die Frau […] lag schwerkrank im Krankenhaus“. Als sie vom „Unheil ihrer Familie erfuhr […] starb (sie) einige Monate später“150. Für den neuen Prozess – „Des Schwarzen Lagers zweiter Akt“ – wurde 1957 vor dem Schwurgericht Hechingen diese Quelle nicht verwendet, möglicherweise, weil sie als nicht sehr glaubwürdig angesehen wurde? 150 Emilie Hoch, das ist die Schwägerin Karl Maurers, an die Staatsanwaltschaft 24. Januar 1956, S. 3. Angebliche Belastungsschreiben gegen F. X. Rebstock und Karl Maurer, „beide (hätten) die Leute von Dotternhausen während des Krieges benachteiligt“, wurden auf der Kommandantur abgegeben mit dem Ziel, den beiden Männern zu schaden. Die Desavouierung von Begriffen, Haltungen und Tugenden durch die Propaganda- und Hetzsprache des „Drittes Reiches“ steht außer Frage. Wie lange die NS-Sprache in der Nachkriegszeit trotz des Schocks der Niederlage fortwirkte und andauerte, lässt sich nur vermuten, ebenso, ob das zynische Motto mehrerer Konzentrationslager „Jedem das Seine“ auch weiterhin in den Köpfen als Rechtfertigungsgrund Bestand hatte, zumal der gefürchtete Ort oft nicht als „KZ“, sondern als verharmlosend und euphemistisch „Konzertlager“ bezeichnet wurde. Was bewegte den Pfarrer Pischel von Dotternhausen, im gleichen Dokument von 1956 (s. o.) genannt, dazu, sich dafür einzusetzen, dass Bürgermeister Rebstock abgesetzt wurde, weil angeblich „das ganze Dorf“ der Meinung der Denunziantin sei? War es für Pischel notwendig, sich der Ansicht der durch Milan „verhetzten“ vielen anzupassen, den „Bürgermeister ins Lager zu bringen“, auch auf die Gefahr hin, dass dieser „den Kamin hoch gelassen“ wird? Konnte der Pfarrer qua Amt zwischen Gut und Böse unterscheiden und duldete deshalb, dass „Großer Gott, wir loben Dich“ auf der Orgel seiner Kirche im Zusammenhang mit der Ermordung Rebstocks gespielt wurde? Die Sprache verrät, dass Vernichtung und Verbrennung von „Feinden“ zweifelsohne bei der Bevölkerung bekannt, zum Drohen geeignet und verinnerlicht waren: Streichers Hetzblatt „Der Stürmer“, überhaupt alle Propaganda zur „Ausmerzung“ hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Gegner kamen dorthin, „wohin sie gehören“, und das seit zwölf Jahren. Warum also nicht auch das im Regime erfolgreiche Verhaltens- und Denkmuster weitertragen, obwohl es eigentlich mit der Niederlage obsolet geworden war? Erschrak der Pfarrer, als man den ermordeten Karl Koch „auf einer Ziehkarre tot nach Hause“ brachte? Der bereits erwähnte Zeuge Otto Fischer sagte 1950: „Der damalige und inzwischen verstorbene Pfarrer von Dotternhausen (habe) es abgelehnt“, „sich für die Freilassung des Maurer und Rebstock bei der Kommandantur zu verwenden“, es (wäre) „dem Pfarrer ohne weiteres möglich gewesen […], die Freilassung des Rebstock und Maurer zu erwirken. Warum er dies aber nicht gemacht hat, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Montagemeister Otto Fischer, geb. am 21.11.1897, war vom Kriminalpolizeimeister Fauster auf seiner Arbeitsstelle in Frommern bei der LIAS aufgesucht worden, damit er eine Aussage zu Helmer-Sandmann und dem „Schwarzen Lager“ macht.151 Er bestätigt die Angaben von Emilie Hoch. 151 Frommern, Krs. Bal., den 28.10.50. „Auf seiner Arbeitsstelle in Frommern aufgesucht erklärte der verh. Montagemeister Fischer, Otto, geb. am 21.11.1897 in Ellrich/Harz, wohnh. Dotternhausen, Hauptstr. 125. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048. Aus dem Kollektiv der „wachhabende(n) Mannschaft (des KZ), bestehend aus Franzosen, Polen, Holländer(n), Tschechen u.s.w.“, wie das Urteil zu Helmer-Sandmann es ausdrückte, wurden in der sprachlichen Überlieferung durch Verkürzung nur noch „Ausländer“ oder „KZ-Häftlinge“ als Täter, die sich nach den erlittenen Demütigungen während des Naziregimes hätten rächen wollen. Das scheint begreiflich und eine fast logische Folge, verkürzt jedoch die Tatsachen auf eine „Wie-du-mit-so-ich dir“-Kausalität, die der Komplexität der Geschehnisse nicht gerecht wird. Es war opportun, das Verhalten der deutschen Landsleute und das eigene zu tabuisieren, nur hinter vorgehaltener Hand Namen zu nennen, weil das bei der „Vergangenheitsbewältigung“ praktisch und geboten war, weil diese gar nicht stattfinden sollte. Man stellte sich selbst einen „Persilschein“ aus, möglicherweise beeindruckt und eingeschüchtert durch nun bekannte Untaten, dass man nicht darüber sprechen wollte. War es Ausdruck der Scham, dass man sich im NS-Regime etabliert und mit ihm arrangiert hatte, oder Gleichgültigkeit, weil man als Besiegte eh nichts machen könne gegen die Sieger? Der Polizeibeamte Rösch hatte der Staatsmacht im NS-Regime gedient, was er jetzt nicht verleugnen musste/wollte, weil er als Zeuge gegen die Nazis benötigt wurde. Mit seiner Strafversetzung von Ravensburg nach Schömberg, die er wegen seines menschlichen Verhaltens einem jüdischen Jungen gegenüber auszuhalten hatte, war nach dem Ende des Naziregimes ein Seiten- oder Gesinnungswechsel vielleicht gar nicht vonnöten und geschah unmerklich, weil der Gendarm in jedem Staat als anerkannter Diener und Informant für „Ordnung“ auch in Schuldfragen für Gerechtigkeit sorgt. Rösch trug jedenfalls als Beamter dazu bei, dass in der Erinnerung an die illegale Kommandantur Dotternhausen diese „aus ehemaligen KZ-Häftlingen und sonstigen Ausländern gebildet“ worden sei: Rösch konnte 1950 Delètre dazuzählen, weil er als Prozess-Zeuge, Polizist und Staatsdiener wusste, dass dieser im KZ Natzweiler gewesen war; Daten der Vita wurden während des Prozesses gegen Helmer-Sandmann ja öffentlich gemacht. Diesen ebenso als Ausländer zu kennzeichnen, der die „Plünderungen allesamt angeordnet und geleitet“ hatte, dokumentiert eine andere Absicht.152 Es ist eine verbale Abgrenzung und Distanzierung des Zeugen im zeitlichen Abstand von fünf Jahren gegenüber den „Unseren“, den Hiesigen, die als Opfer der KZler und Ausländer angesehen wurden. 152 Polizeimeister Karl Rösch, damals 57 Jahre alt, wurde im Schömberger Rathaus am 22. Juni 1950 befragt. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T2 Nr. 1048. Angaben zu seiner Biografie s. S. 56, Anm. 81. Rösch153 war deshalb ein wichtiger Zeuge für beide Seiten staatlicher Obrigkeit sowohl für die NS- als auch für die Nach-Nazi-Zeit, weil er als Gendarm und Wachtmeister nicht nur für Schömberg, wo er wohnte, sondern auch für Dotternhausen und Dormettingen zuständig war. Als von Ravensburg, wo er sich als Polizist gegen die verordnete Nazi-Ideologie eingesetzt hatte, nach Schömberg Zwangsversetzter hütete er sich, noch einmal mit den höhergestellten Mächtigen in Konflikt zu geraten. Auf dem dortigen Bürgermeisteramt machte er die offiziellen Anzeigen von den letzten fünf der im Schwarzen Lager Ermordeten, deren Sterbeurkunden jedoch das Datum vom 31.12.1945 tragen: „Eingetragen auf mündliche Anzeige des Meisters der Gendarmerie Rösch“, der auch bei vier Opfern die Todesursache angab: „Im Gefangenenlager ermordet von Tschechen“. Es sind „der Russe Konstantin Daniu“, der „Franzose Norbert Nicol“, „Häftling Müller“, „Schutzhäftling Erwin Braun/Brauer“. Bei „Bauführer Albert Schneider“ fehlt der Hinweis auf die Täter. Die Angabe der Mörder fehlt bei allen anderen Todesurkunden: bis zum Jahresende 1945 wurde so das Gerücht, dass Ausländer für die Taten verantwortlich seien, in offiziellen Dokumenten als Tatsache bestätigt. 153 Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T2 Nr. 2594/418

Rösch war ebenso Zeuge für die Toten der „Wüste“-Lager, denn er kannte den Verscharrungsort und wusste, in welchem Zustand die Leichen ins „Schönhager Loch“ geschafft und in Gruben geworfen worden waren. Karl Rösch sagte 1965 im Hechinger Prozess dazu aus, man habe die Toten wie bei einer Wand „aufeinandergelegt und dann Chlorkalk draufgeschmissen und Erde, und wenn wieder frische gekommen sind, dann hat man sie wieder vorne hingebeigt (geschichtet) und wieder Chlorkalk und so sind sie auch ausgegraben worden nachher.“154. 154 Rösch im Prozess 1965. Ein wichtiger Zeitzeuge für NS- wie Nachkriegszeit ist auch Dr. Joseph Fricker, der für zwölf Ortschaften im Umkreis von Schömberg als Arzt zuständig war. Er wurde beim Ausstellen von Totenscheinen benötigt, wenn er auch bei der Bezeichnung der Todesursache nicht (immer) die eigentliche, sondern die von der SS gewünschte aufzuschreiben hatte, z. B. „Lungenentzündung“, obwohl die Leichenschau offenkundig die tödlichen Verletzungen infolge von Schlägen ergeben hatte. Die Vertuschungsabsicht der SS sei dadurch konterkariert worden, dass in der Beschreibung der Leiche die wirklichen Gründe des Todes offenbart worden seien.155 Bei der Untersuchung der Leiche Karl Maurers des durch Folter und Tottrampeln ermordeten Opfers aus dem Schwarzen Nachkriegslager konnte er sich nicht entschließen, die vorgetäuschte Selbsttötung zu dementieren. Aus Selbstschutz hütete sich der Arzt, die Todeslesart der Mörder anzuzweifeln. Heute wissen wir mehr als der Arzt damals, sein ärztlicher Befund wurde jedoch als gegeben angenommen und tradiert, sodass 1951 noch im Urteil gegen Helmer-Sandmann davon die Rede ist, man habe nicht ausschließen können, dass Maurer sich selbst getötet habe. Viele Zeugen hatten dies als keinesfalls möglich erklärt. 155 Gespräch mit Dr. Elmar Fricker, Schömberg, am 14.02.2014, dem Sohn des Dr. Joseph Fricker. Während des Prozesses gegen Helmer-Sandmann waren viele NS-Gesetze zwar abgeschafft, ein Nazi-Denken dürfte jedoch ebenso bei Zeugen, Angeklagten,

KZ-Friedhofsfeiern, Erinnerung an „Schwarzes Lager“

Anhang mit ergänzenden Dokumenten. zu Ernst Frey, Dotternhausen:

Vollständiger Brief des Arbeitskollegen Hellmuth über den Tod Ernst Freys vom 15.08.1945:

Dotternhausen (b/Balingen) 15.8.1945. Geehrte Frau Frey. Witwe. Freudenstadt. Als Arbeitskamerad. Ihres Sohnes Ernst Frey, welcher bei mir in. der Firma W. Wahmann, Bochum hier in. Dotternhausen mitbeschäftigt war, habe ich Ihnen. eine traurige Nachricht mitzuteilen. Am 17. Mai morgens. um ½ 8 Uhr hatte man Ernst wegen angeblicher Misshandlung von bei Ernst beschäftigten. K.Z. Häftlinge (meistens Polnische Juden) verhaftet. und in das Gefangenenlager nach Dormettingen (ca: 3 klm von hier) gebracht. Da waren nun noch viele. Deutsche, aber meistens politische Gefangene. Einige Tage später traf ich auf der Straße. einen von den(en), welche Ernst verhaftet und abgeführt hatten, und derselbe erklärte mir auf meine. Anfrage wo Ernst sei, kurz Frey ist tot. Ich habe. nun sehr oft Nachforschungen angestellt, und endlich. vorige Woche habe ich von Polen, welche Wachdienst. hatten, die Bestätigung erhalten, daß Ernst tot ist, und am 19. Mai (Pfingstsamstag) morgens begraben. worden ist. Bitte wenden

2. Seite. Der Pole zeigte mir auch die Stelle wo Ernst begraben war und zwar auf einem Feld in der Nähe des Gefangenenlagers. Vor ca. 14 Tagen hatte man auch ein(en) Mann welcher in dem Gefangenenlager verstorben war, und auch in dem Feld begraben war, ausgegraben und auf dem Friedhof in Dotternhausen beigesetzt. Bei diesem Ausgraben fand man auch die Leiche von Ernst, welcher direkt neben dem vorerwähnten Mann lag und von einem Baggerführer welcher von der Firma Wahmann ebenfalls ist, und bei dem Ausgraben zugegen war direkt erkannt und mir sofort Mitteilung gemacht. Ich habe nun die nötigen Schritte zu einer Umbettung unternommen. Es war sehr viel Lauferei u.s.w. und so haben wir Ernst am 15.8.45 (6 Gefängnishelfer (eingefügt)) heute ausgegraben, und in einen Sarg gelegt, zum Friedhof nach Dotternhausen mit einem Leichenwagen bringen lassen. Um ½ 11 Uhr heute Mittag war die Beerdigung (es waren 2 arme Menschen welche in dem Lager gestorben waren. Der andere wurde ebenfalls mit Ernst ausgegraben, und war ein Buchhalter auf dem Zementwerk hier. Er ist nun von dem Pfarrer von Erzingen, welcher sich auch viele Mühe machen musste, um die Beschaffung der Genehmigung bei der franz. Kreiskommandantur in Balingen zur Umbettung, beerdigt worden. Es war eine große Beerdigung, da 2 Menschen beerdigt wurden, welche das gleiche Schicksal traf; und die Anteilnahme der Einwohner von Dotternhausen war groß. Kränze und Blumen brachte man in großer Zahl. Da Ernst ja hier auch bekannt war

3. Seite den 15.8.1945. Der Pfarrer von Erzingen hatte eine sehr. ergreifende Leichenrede gehalten, und die Menschen. auf dem Friedhof waren sehr ergriffen davon; denn hier. in Dotternhausen ist doch alles katholisch. Nach der. Beerdigung ging der Pfarrer mit zu den Leuten. wo ich wohne. Dieselben sind ebenfalls evangelisch. Dort hatte der Pfarrer mit uns Mittag gegessen. und war bis um 5 Uhr bei uns. Erwähnen möchte ich. noch, daß die Frau wo ich wohne, sich auch sehr viele. Mühe u.s.w. machte, damit alles zur Beerdigung. in Ordnung war. Wir mußten auch für die Leute. welche das Ausgraben besorgten Alkohol u. Rauchwaren. besorgen, denn es war keine schöne Arbeit. Da die. armen Menschen doch schon 3 Monate fast in der. Erde lagen ohne Sarg u.s.w. Aber das alles haben. wir gerne gethan, zuerst als Mensch u. auch als. Arbeitskamerad; und vor allen Dingen für seine. Hinterbliebenen. Es ist nun doch ein Trost für Euch. alle. Ihr wißt das Ernst leider tot ist, aber Ihr. wißt auch jetzt, daß er kirchlich beerdigt ist, und. könnt an sein Grab gehen, und beten. Möge Ihm. die Erde leicht sein, er war ein guter Arbeitskamerad. und wie wir von den Leuten wo er wohnte hier. in Dotternhausen, hatte er Ihr viel von seiner. Familie erzählt. Bitte wenden

4. Seite. Ich habe nun Gelegenheit diesen Brief an Euch nach Freudenstadt gelangen zu lassen, da bei dem Schreiner wo ich Ernst seinen Sarg machen ließ, ein Mädchen aus Freudenstadt zu Besuch ist, und hat sich erboten, diesen Brief an Euch mitzunehmen. Ich selbst bin in der Nähe von Bochum zu Hause u. warte auf meinen Passagierschein, wir waren noch mit 10 Mann hiergeblieben als der Umsturz am 20. April kam, und die Firma mit den anderen Leuten abrückte nach Bochum. Ernst sagte mir öfters, er hätte nichts zu befürchten von den Häftlingen nach dem 20.4. und es kam doch leider anders, vielleicht war er doch schon mal etwas grob und die haben Ihm das nachgehalten, und mußte dafür sterben; weil er in mancher Beziehung auch nur für seine Firma strebte. Nun ist er tot. Und hoffentlich zeigt sich die Firma, wo er doch bald. 20 Jahre treu u. fleißig sich einsetzt für Ihr Wohl, von der angenehmen Seite, und vergißt seine Leute. nicht, welche sozusagen Ihr Leben für sie hingaben. Wie nun ich bereitzt erwähnt habe. warte ich auf meinen Schein für die Heimfahrt. und werde Ernst seiner Frau in Herne die traurige. Mitteilung machen müssen. Sollte ich nun nicht mehr. hier sein, wenn jemand nach hier kommt, so bitte. ich nach den Leuten zu gehen wo ich wohnte, bei. Frau Fuß am Bahnhof Dotternhausen. Ich hoffe in. 8 Tagen von hier abfahren zu können. Es müssen für. die Sterbeurkunde noch einige Fragen zu beantworten. sein, welche ich auf dem weißen Papier aufgeführt habe. und müssen zum Bürgermeister nach Dormettingen.“

Ernst Frey – Brief an seine Frau Liesbeth. vom 17. Februar 1945: „Dotternhausen, den 17. Febr. 45. Lb. Liesbeth & Klaus-Dieter! Am Mittwochabend kam Ede, einer aus Balingen und einer aus Bochum hier an. Den Brief, die Schuhe, die Wurst, Taback & Zigaretten von Ede erhalten. Besten Dank für alles. Blos kann ich nicht verstehen warum Du die Wurst geschickt hast. Die hättet Ihr zwei doch selbst brauchen können. Also laß das bitte in Zukunft sein. Ich muss eben mit dem auskommen was ich hier bekomme. Zudem bin ich jetzt in einem guten Haus wo zugleich was für uns abfällt. Deine Raucherkarte kannst mir in Zukunft schicken. Meine Fam(ilie) Edele hat in Balingen gute Bekannte die ein Zigarrengeschäft haben. Da werden uns dann die Raucherkarten nicht verfallen. Mit den Schuhen will ich mal sehen wie ich es mache. Schicken werde ich sie jedenfalls nicht … (ul wegen Knickfalte im Brief) … und dorthin fahre. Bis jetzt war ein Nachbar von hier in Freudenstadt Soldat. Wäre der auf Urlaub gekommen dann hätte ich Diesem die Schuhe mitgegeben zum Bertle (?). Den kannte ich selbst persönlich. Aber leider ist er jetzt weg von Freudenstadt. Lb.Lisbeth, Du fragst in dem Brief wann ich in Reichenbach angekommen sei. Ja hast Du denn den Brief von mir und Berta nicht erhalten? Darin waren doch auch 3 Bilder von der Brigitte & Sybille. Und in diesem Brief habe ich doch sicher geschrieben wann ich dort angekommen bin. Den 1. Abend um 1 Uhr war ich in Heidelberg. Am 2. Abend ebenfalls um 1 Uhr war ich in Freudenstadt Hbf. Von dort ging ich Morgens um 3 Uhr zum Bethle (?) und bin dann mit dem 1. Zug Morgens nach B. gefahren. Na jetzt bist Du wohl beruhigt wenn Du weißt wann ich dort angekommen bin. Über Rastatt konnte ich nicht fahren da es vom Feind beschossen wurde. Somit mußte ich über Pforzheim nach Eutingen fahren. Und in Pforzheim lag ich von Morgens 8 – bis Abends 6 Uhr. Kaum 2 Stationen von Pforzheim weggefahren, war Alarm. Dann ist der Zug wieder zurück in einen Tunnel gefahren wo wir 2 Stunden gelegen haben. Man konnte auch in dem Tunnel hören wie draußen 3 Bomben gefallen sind. Am Mittwochabend wurde auch Ede sein Zug von Tübingen nach Balingen beschossen. Dabei soll es 2 Tote gegeben haben. (Soldaten.) Frl. S…erl(?) ist am Mittwoch auch wieder hier angekommen. Habe aber noch nicht mit Ihr gesprochen. Das Büro soll jetzt auch wieder da weg. Es ist Ihnen zu nahe am Zementwerk. Und daß das einmal dem Erdboden gleichgemacht wird davon sind hier alle fest überzeugt. Denn die Bomben am 9. Febr. haben doch fast alle dem Zementwerk gegolten. Also kann ich auch froh sein daß ich damals da heraus mußte. Auch Müller und seine Frau bleiben nicht mehr dort. Die Frau geht schon Morgens um 7 Uhr dort schon weg ins Dorf und bleibt bis Abends ½ 6 Uhr. Vielleicht wäre sie heute froh wenn Sie noch hier wohnen könnte wo ich heute bin. Aber unter dem Schlafzimmer hat es Ihr zu sehr nach Schweinestall gerochen. Heute hatten wir blos einmal Voralarm. Aber sonst geht die Sirene auch 5 und 6mal am Tage. Hauptsächlich in Rottweil, Horb und Schwenningen sind schon viel Bomben gefallen. Und diese Städtchen sind ja alle nicht so weit von hier. Größere Verbände lassen auch hier nichts fallen. Meist sind es die Störflugzeuge die hier die Bomben abwerfen. Auch unser Betrieb wird davon nicht verschont bleiben. Am 9. Febr. habe ich gesehen wie ein Blindgänger von dem Berg herunterkam wo ich damals arbeitete als Du bei mir warst. Im Meilerfeld blieb Er direkt oben auf dem Boden liegen. Auch in unserem Nachbarmeilerfeld sind schon Bomben gefallen. Hier hört man kaum die Sirene dann sind die schnellen Flugzeuge auch schon hier. Lb. Liesbeth, es ist heute schon Sonntagnachmittag 5 Uhr. Gestern Abend mußten wir vom schreiben weg zum Essen kommen. Heute mußten wir bis 1 Uhr arbeiten. Es geht jetzt ganz toll bei uns mit der Arbeit. Denn Morgen oder Dienstag wird der erste Meiler angesteckt. Dann wird das Öl blos so fließen. Ich bin gespannt ob wirklich soviel herauskommt wie Sie sich davon versprechen. 10 Maschinen und 4 Bagger sind am laufen. Diese Woche hatten wir das schönste Frühlingswetter. Aber heute scheint keine Sonne. Heute Morgen hatte es den Anschein als ob es regnen wollte. Der Schnee ist jetzt alle weg. Für unsere Arbeit können wir auch nur gutes Wetter gebrauchen. Gestern und heute war ich im Meilerfeld am arbeiten. Aber ein Schlamm und Morast von dem Schneewasser daß einem die Gummistiefel stecken geblieben wären wenn man nicht mit den Händen nachgeholfen hätte. Lb. Liesbeth, am Donnerstag erhielt ich auch Deinen Brief vom 5. Febr. Habe ich Dir denn nicht geschrieben daß den Kindern soweit alles gepaßt hat. Eine von den Zweien (?) hat wohl einmal gesagt daß Ihr (durchgestrichen) Sie der Schuh drücken würde. Nun ja ich werde bei Berta anfragen wie es mit den Schuhen ist. Jedenfalls kommen diese hier nicht früher nach dort als es unbedingt notwendig ist. Und an Gerda(?) Ihrem roten Kleid und Mantel ist bestimmt auch nichts mehr dran. Von Ernst habe ich erst einen Brief von Norden bekommen. Na hoffentlich gefällt es ihm gut bei der Marine von der Er immer geschwärmt hat. Das Essen ist auch bei der Marine immer noch besser als bei jeder anderen Waffengattung. Ich bin froh daß Er jetzt von Münster aus freigelassen ist. Am Dienstag hatte ich schon einen Brief nach Dort aufgesetzt. Den wollte ich als heute schreiben. Aber jetzt ist dies ja hinfällig geworden. Wie Du mir schreibst fallen in Herne jetzt mehr Bomben als die ganzen Jahre zusammen. Heute kommen alle die Städte dran die überhaupt bisher noch nicht gewußt haben was Fliegerangriff heißt. In Appenweiher waren sie auch für kurze Zeit drin. Aber deshalb braucht man für die Kinder noch keine Angst haben. Und wenn auch wo wären sie heute in Deutschland noch sicher untergebracht. Doch bald nirgends. Dem Ernst seinen Anzug würde ich vorläufig noch in Herringssen (?) lassen. Dann hast Du wenigstens keine Arbeit damit. Und dort ist er immer noch besser aufgehoben als in Herne. Auch ist ja dort mein Umfang noch bei dem Schneider. Ecke(?) Lietje sitzt bei mir am Tisch und schreibt seiner Marta einen großen Brief. Auf der Baustelle gefällt es ihm bis jetzt ganz gut. Vorläufig ist Er noch im Lager bis sich was in Privat für Ihn findet. Der Klaus-Dieter kennt aber seinen Papa schlecht. Da sieht man wieder daß man selbst seinen Kindern fremd wird. Ich mußte aber doch über das Dieterle lachen als ich es gelesen habe. Vielleicht verwechselt mich die Mama auch mal mit einem Anderen! „Oder doch nicht“! Dir und Klaus-Dieter recht herzl. Grüße und Küsse. Euer Ernst & Papa. Auch viele Grüße an Hagenmr.(?)“ Weitere Dokumente und Bilder zu den Ukrainerinnen bei der Firma Wuhrer und Söhne:

Ukrainerinnen in Arbeitskleidung

Ukrainerinnen in Sommerkleidung

Ewgenia Sinijawskaja im Winter 1943/44 und 2018 am 95. Geburtstag

Erklärung italienischer und französischer ehemaliger KZ-Häftlinge des KZ Schömberg für Lia Ziegler vom 8. Mai 1945:

Außenseite: Traduction (= Übersetzung) S.V.P. Rendres un Matelas a Mademoiselle Ziegler. Bitte der Frau dem Fräulein Ziegler ein Matraze zurückgeben. P. K. Ginoux. Stempel „COMMANDANT D’ARMES SCHÖMBERG“ mit dem Innenstempel „RÉPUBLIQUE FRANÇAISE“ Der Tintenkleks hat sich durch die Faltung auf Vor- und Rückseite übertragen. Das oft gefaltete Dokument ist teilweise brüchig

Kommentar. Die Ortsangabe „Schömberg bei Rottweil“ entspricht dem offiziellen Gebrauch zur Kennzeichnung dieses Schömbergs. Das Dokument trägt das Datum des offiziellen Waffenstillstands des Zweiten Weltkrieges, des 8. Mai 1945. Unterzeichnet ist das Dokument offensichtlich von zwei ehemaligen KZ-Häftlingen, die ihre Nummern als Kennzeichnung hinzugefügt haben: Johann Minesso mit der Nummer 6429 (geb. am 24.04.1920, seit 01.12.1943 in Schömberg) Leo Lorenzo mit der Nummer 6459 (geb. am 08.08.1912, gleicher Transport) Beide Italiener schreiben in fehlerhaftem Französisch, um der französischen Besatzungsmacht die Lektüre zu erleichtern. Das Dokument trägt einerseits einen Stempel der Stadt Schömberg (ohne Nazi-Zeichen!), andererseits einen Stempel Gouvernement Militaire de Balingen mit der Spezifizierung Commissaire de Sûreté (Kommissar der Sicherheit). Dieser Kommissar unterschreibt mit „Vu le 15. Mai 1945“, „gesehen am 15. Mai“, also eine Woche später. Wegen des großen „D“ könnte es sich bei dem Unterzeichnenden um Daniel Capitaine, einen Offizier für DPs, handeln. Neben dem Stempel der Stadt Schömberg unterschreibt ein weiterer ehemaliger Häftling aus Schömberg, nämlich Roger Bailly, allerdings erst August 1946: „Vu le 27.8.46 de passage …“ „Gesehen am 27.8.46 während der Durchreise. Der Leutnant R. Bailly Ex-23.197 politischer Häftling des Lagers Schömberg. Aus Dankbarkeit auch für die gute Sorge zu den französischen Kameraden und für den Willen zu tun, was rechtens ist.“ Die Unterschrift R. Bailly ist ergänzt durch den Zusatz „Leutnant R. Bailly. EM 7 Region Dijon“ Roger Bailly, geb. am 13.05.23 in Châlon-sur-Saône, gehörte einem der Transporte ins KZ Schömberg an, nach dem Nummernbuch Steegmanns ist er vom September 44 bis 07.04.1945 im Lager, in der Liste „Les arrivées de Dijon“ für den 23.08.1944 aufgeführt, der Beruf ist mit „militaire“ angegeben, also ist er Berufssoldat und als Leutnant der Besatzungsmacht noch einmal nach Schömberg zurückgekehrt. Er kannte wohl Lia Ziegler, die für das KZ Schömberg zwangsverpflichtet war; ihr wurden gute Beziehungen zu den Deutsch sprechenden Luxemburgern des Lagers nachgesagt, besonders zu Rudy Mach, Nr. 2297, für den sie Medizin besorgt haben soll. Am 20. April 1945 war die französische Armee in Schömberg eingetroffen, war teilweise weitergezogen, sodass sich die Truppen am 08.05. „wieder“ in Schömberg aufhielten

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