Das Labyrinth

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"Das Labyrinth" von Ina Seidel. Veröffentlicht von Good Press. Good Press ist Herausgeber einer breiten Büchervielfalt mit Titeln jeden Genres. Von bekannten Klassikern, Belletristik und Sachbüchern bis hin zu in Vergessenheit geratenen bzw. noch unentdeckten Werken der grenzüberschreitenden Literatur, bringen wir Bücher heraus, die man gelesen haben muss. Jede eBook-Ausgabe von Good Press wurde sorgfältig bearbeitet und formatiert, um das Leseerlebnis für alle eReader und Geräte zu verbessern. Unser Ziel ist es, benutzerfreundliche eBooks auf den Markt zu bringen, die für jeden in hochwertigem digitalem Format zugänglich sind.

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Ina Seidel. Das Labyrinth

Das Labyrinth

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil. König Minos

Zwischenspiel

Zweiter Teil. Ariadne

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Ina Seidel

Ein Lebenslauf aus dem 18. Jahrhundert

.....

„Georgie, Panje, ist sich viel zu viel Wasser, ist sich fürchterlich!“ hatte Janusch am ersten Tage schaudernd erklärt, und George, obgleich innerlichst geneigt, ihm zuzustimmen, hatte die Hände auf den Rücken gelegt und mit vorgeschobener Unterlippe sein Magistergesicht aufgesetzt. Mein Gott, wenn das noch alles Wasser wäre, was es auf Erden gäbe, — aber bewahre, — dies war ja nicht mehr als daß ein kräftiger Walfisch es auf einen Zug austrinken könnte! Und „Täubchen schöne“ waren das da oben auch nicht, sondern Wasservögel, Möwen, vermutlich, — ja, so etwas konnte man wissen, ohne einen von den groben Matrosen zu fragen, die gleich mit der Gegenfrage bei der Hand waren, ob man wohl belieben würde, mal unterzutauchen, mal Salzwasser zu schlucken, mal sein Fell auswringen zu können? Die gelbbraunen Eulenaugen des Janusch wurden vor Staunen immer runder und das nahm George wie eine Aufforderung an seine Ehre, selbst unter keinen Umständen Verwunderung an den Tag zu legen. Am achten Tage sah man einen Zug wilder Schwäne, der von Süden kommend den Meerbusen kreuzte und sich untereinander ermutigend geheimnisvolle Töne zurief, — Namen vielleicht der unendlichen Seen Finnlands. Am Morgen darauf tauchte Kronstadt aus dem Nebel, wie das phantastische Bollwerk des Seekönigs und am Abend desselben Tages schaukelten die Reisenden auf ihren festlandungewohnten Sohlen die Newski-Perspektive hinab. Nun versagte die Haltung des nicht zu Rührenden dennoch und es war erfreulich, einen Vater zu haben, dessen Hand man ergreifen konnte, — merkwürdigerweise schien diese große Hand selbst einen gewissen Anhalt an der kleinen des Sohnes zu finden. Stumm gingen sie diese ungeheuerste aller Straßen hinunter und sahen sich immer wieder nach dem Janusch um, der unter der Last des Reisesackes gebeugt hinter ihnen drein keuchte, unterstützt von einem freundlichen schlitzäugigen Kerl, der sich mit dem übrigen Gepäck beladen hatte und jedesmal aufmunternd grinste, wenn er angesehen wurde. Übrigens gewann Herr Forster mit jedem Schritt an Sicherheit, und schon im Gasthaus Peter Bierbergs trat er auf wie der siebenfach gebrühte Weltreisende, der sich beileibe nichts vormachen läßt und alles an Erfahrung überragt. Was Peter Bierberg demütig zu stimmen schien, ihn aber nicht hinderte, die neuen Gäste unter Achselzucken und mancherlei Entschuldigungen in einem Raum mit einer vielköpfigen polnischen Familie einzuquartieren, wo Vater und Sohn zusammen ein Bett beziehen mußten und mancherlei an Schamhaftigkeit auszustehen hatten, d. h. sie schämten sich fast zu Tode, aber die dicke polnische Mama schien nur an feuriger Lebendigkeit zu gewinnen. Indes verging dieser erste Aufenthalt in St. Petersburg traumhaft schnell, und George hatte kaum Zeit sich darüber klar zu werden, daß er nun zwar wieder auf festem Lande, aber doch unendlich weit von daheim und der Mutter entfernt war, — hatte seinen kleinen Kopf kaum den Eindrücken dieser wilden großen Stadt angepaßt, ihren Palästen und stattlichen Steinhäusern, die grün oder café au lait getüncht mit ihren bunten flachen Dächern und den anspruchsvollen Säulenverzierungen ihrer Vorderseiten bereits anfingen, die alte hölzerne Stadt Peters zu verdrängen, ihren Bazaren und Kuppelkirchen, den Kanälen und vor allem der wimmelnden Newa mit ihren unheimlich schwankenden Schiffbrücken, die doch Droschken, Roß und Reiter und die ganze bunte treibende Masse des Volkes vom ersten Admiralitätsteil hinüber nach Wassilii Ostrow trugen, — mit diesem Volke endlich selbst, so vielfältig an Erscheinungen, wie es sogar der Danziger Hafen, an dessen Jahrmarktstrubel er bisher alles Wunderbare bemaß, nicht war und nie sein konnte, — er hatte also kaum begriffen, daß sein kleines Ich nun diese ungeheure, schreiende, heulende, bewegliche, geheimnisreiche Erweiterung erfahren hatte, — denn jeder Ort stürzt sich unaufhörlich nach Einheit gierig in die Gemüter, die ihn auffangen und widerstrahlen, und jedes Ich hat seine Grenzen erst da, wo sein Bewußtsein aufhört, das Bewußtsein eines Kindes aber verschwimmt mit dem Umriß seines Wohnortes, — kaum hatte er solchermaßen Nassenhuben abgestreift, mit der vertrauten Enge von Haus und Garten und dem leeren Umkreis von Kiefernheide und Ebene, — kaum Danzig verwunden, das ihm hundert Gesichter gehabt zu haben schien und ihn schmerzhaft ergriffen hatte mit seiner angehäuften Kultur, seinem katholischen Prunk und seiner Bevölkerung von lauter Pastoren und Starosten, ja, lauter Herren, wie es daheim nur zwei gegeben hatte! — kaum lag die See hinter ihm mit ihren heftigen Anforderungen an Körper und Gemüt, von denen das nil admirari dem Janusch gegenüber vielleicht die schwerste gewesen war, — denn es ist unerhört hart, mit elf Jahren beständig die Würde zu wahren, — so kam St. Petersburg wie ein kurzer Fiebertraum und schon ging es weiter. Ging weiter mit Vorspannpaß im eigenen Wagen, zweihundertfünfzig Werst in vierundzwanzig Stunden, die wachsenden Tage und die immer heller bleibenden Nächte hindurch, kaum daß es einmal ein Nachtquartier in einem schmutzigen Gasthaus gab, wo der Wirt wohl in Ehrfurcht vor dem Herrn, der in Geschäften der Krone reiste und darum nur halbes Postgeld bezahlte, erstarb und Herrn Forsters Laune dadurch prächtig anfachte, wo man aber dafür des Nachts von Ungeziefer halb gemordet wurde. Doch war der Vater unterwegs außerordentlich frisch und lebendig und benutzte die Zeit zu den eingehendsten Wiederholungen auf allen Gebieten des Wissens, er botanisierte mit George neben dem Wagen her, wenn dieser mit trostloser Langsamkeit durch die Sandwege unendlicher Wälder schaukelte, und erging sich in verzückten Rhapsodien über die Ergiebigkeit und Unberührtheit dieses Landes, sobald man mit frischem Vorspann wieder feurig dahinrollte, fleißige kleine Pferde vor sich, die ihre zottigen Köpfe begeistert warfen und schüttelten, wenn der Iswotschik sie weniger mit der langen Peitsche als mit dem zärtlich singenden Ton seiner Stimme aufmunterte. George gewöhnte sich an den Anblick von Januschs Rücken mit dem hin und her tanzenden kurzen steifen Zopf vor sich auf dem Bock und wartete oft sehnsüchtig darauf, daß der runde Kopf herumwanderte und ein von Hochachtung und Mitleid gleicherweise sprechender Blick aus Januschs Eulenaugen langsam über ihn hinwegging, — worauf er sich wieder etwas gestärkt fühlte, denn ein Leiden ohne Zeugen hätte auch den heiligen Märtyrern nicht halb so viel Spaß gemacht, dessen sei man nur gewiß! Zuhause hatte die Mutter doch manchmal bewundert, was alles er zu leisten hatte, hatte ihm an besonders harten Tagen einen Apfel zugesteckt oder gar einen Eierkuchen gebacken, — sehr heimlich freilich, und dann hatten sie ihn zusammen am Herde verspeist, weder Rieken noch Fieken durften das wissen, auch nicht Malchus, der Knecht oder Mareiken, die Magd. Hier aber mußte man die Lippen zusammenpressen, tief durch die Nüstern schnaufen, um einen Augenblick Zeit zu gewinnen, und dann seine Antwort hervorschnurren, ganz ausgeliefert diesen undurchdringlichen blauen Porzellanaugen und im Banne der starken Hand, die ungeduldig am Wagenschlag trommelte und so leicht von dort abglitt und Georges Kopf traf, der sich dann geduldig duckte, — nein, hierbei sollte Janusch keinen Anlaß haben sich umzudrehen, und es ging, es ließ sich wahrhaftig aushalten, diese Kopfnüsse lautlos hinzunehmen! Zu größeren Exekutionen, wie der Vater sie sonst als Unterbrechung der Arbeitsstunden liebte, war ja in der Kibitka Gottseidank kein Platz; der Vater sah ganz davon ab, nachdem er sich in den ersten Tagen hart am Ellbogen gestoßen hatte, — ein Zeichen, daß auch er sich beherrschen konnte, wenn es sein mußte. George wußte schon von zuhause her, daß man am besten dabei fuhr, wenn man dem Gewaltigen diente, als sei dies ganz selbstverständlich; nun aber bildete er die Kunst, dem Riesen alles an den Augen abzusehen und seinen Wünschen lautlos zuvorzukommen, vollends aus. Der Riese war zuweilen äußerst schlechter Laune, — schön war das Reisen, ja, und wissenschaftlich war das Land ergiebig wie ein Pudelpelz an Flöhen, aber es war doch auch geradezu widerwärtig groß und es nahm gar kein Ende mit lichten wehenden, wehenden Birkenwäldern, mit den bunten hölzernen Dörfern, mit der unendlichen mattgrünen Ebene, hinter der der Horizont sich immer weiter hinausschob, wiewohl man an jedem Abend glaubte, man würde morgen im ewigen Osten landen und hätte die Wolga längst im Schlaf überschritten. Zudem widerstand ihm einstweilen die landesübliche Kost, er verachtete Schtschi und Kascha, vor Kwas aber ekelte er sich geradezu und behauptete lärmend, es sei unsittlich, diesen gegorenen Unrat zu trinken, man könne nicht wissen, welche Ingredenzien dazu verwendet würden. Einzig die Malinowka fand einige Gnade vor ihm, er pflegte sie allenthalben ernsthaft zu fordern und legte starke Verstimmung an den Tag, wenn dieses aus Kirschsaft, Zucker und Wein gebraute Getränk nicht zu bekommen war. Endlich kam er dahinter, daß die Russen Meister in der Kunst der Pastetenzubereitung waren; nun war freilich alles gut, und sobald er so weit war, zu wissen, daß sich die verschiedensten Piroggen, seien sie mit Pilzen, Fischen, Fleisch oder Speck und Rosinen gefüllt, auch als Reisevorrat mitnehmen ließen, gewann er einen bedeutenden Überschuß an Spannkraft. Er sorgte für den Vorratskorb und allenfalls für die Kiste, die die Bücher und seine wissenschaftlichen Notizen enthielt, welche George an den spärlichen Rasttagen nach seinem Diktat sorgfältig ins Reine schreiben mußte. Die Sorge für das übrige Gepäck überließ er dem Janusch und erklärte ihn für einen exemplarisch vortrefflichen Bedienten, ohne zu bemerken, daß sein kleiner Sohn den besten Teil der notwendigen Arbeit verrichtete, denn der Janusch war den mannigfachen Besitztümern gegenüber, die die Zivilisation seiner Herrschaft erforderte, ziemlich ratlos und hatte nicht Zeit, über diese Ratlosigkeit hinauszuwachsen, wie man bald erfahren wird. So begnügte er sich mit der Pflege des Schuhzeuges und dem Zuschnallen und Schleppen der Koffer, während George stillschweigend für Sauberkeit und geglättete Lage der Kleider sorgte. Als Herr Forster ihn einmal bei diesem Geschäft zu bemerken geruhte, stellte er nachdenklich fest: „Wie sehr du deiner Mutter gleichst, mein Sohn!“ legte weiter keinerlei Ergriffenheit an den Tag, machte aber in Zukunft George für jeden Flecken auf den Kleidern verantwortlich. Endlich erreichten sie Nishni-Nowgorod. Hier klaffte ein Riß in der farblosen Haut der Ebene und die Seele Rußlands lag bloß, starrend bunt, asiatisch üppig, wie das Innere der märchenhaften Kirchen: Edelsteinhöhlen, von Rubinlicht durchblutet, — wie die Völker, die hier zusammenströmten mit dem Geruch unübersehbarer Pferdeherden und des Leders, mit unerhörter Farbenfreude in den Gewändern und dem leisen Geklirr von silbernen Kettchen und Klapperwerk an den hohen bunt aufgenähten Mützen ihrer Weiber. Zudem strotzte alles von Fettigkeit und Schmutz, aber den Reisenden, von Staub, Wind und blendender Sonne gedörrt wie sie waren, tat die feuchtigkeitsgesättigte Luft der Stromniederung wohl und unter den Segenswünschen des Iswotschik, — ja, er würde warten, bei Gott, nicht rühren würde er sich aus seiner Herberge! am Ufer würde er stehen und sich blind schauen, bis das hochverehrte Väterchen wieder flußaufwärts gefahren käme! möchte es nur gefahren kommen, möchte es nur! — bestiegen sie eine Schaluppe und der Strom nahm sie auf. Wasser! hieß wiederum die Losung, aber anders war ihr Klang als zuvor auf der See, anders, zielbewußter und beseelter schien diese rastlos vorwärts sich wälzende Flutmasse in der ungeheuren Schwermut ihres Willens, der nichts wußte von der tobenden Regellosigkeit des Meeres. Nicht daß George es sich klar gemacht hätte, aber er verstand, — er verstand! Er kauerte hinter einer Rolle von Tauen am Bug des Schiffes und blickte grade aus, es war alles so sanft und ernst, wie die Wasser sich um die flachen Inseln teilten, wie die Schilfwälder meilenweit wogten und raschelten, wie große Stelzvögel majestätische Kreise darüber zogen. Er blickte nach Osten, wo die Wasserfläche in die unendliche Ebene überging und mit dem Horizont verschmolz; im Westen aber stand abends der Himmel tiefgolden hinter der schwarzen ruhigen Festigkeit der Berge. Dann begannen die Burlaki zu singen, während sie Anker warfen, und auch das verstand er, ohne vielleicht ein einziges Wort zu erfassen, er hockte nur da, ein sehr kleiner Junge trotz Schoßrocks und Haarbeutels, hatte den Kopf auf die Knie gelegt und weinte. Es war ihm aber gar nicht schmerzlich zumute, nur so, als müsse nun endlich alles leichter werden, und das war doch so gut, — so gut. Irgend etwas streichelte ihn, nahm ihn und wiegte ihn ein, die übermäßige Spannung, die ihn seit Beginn der Reise bis an die Grenze seiner Fähigkeit gestrafft hatte, löste sich, der „Herr Magister“ zog sich völlig ins Wesenlose zurück, ein Knabe blieb, kindlich, zutraulich oder unartig, kurz, er fiel an seine eigene Natur zurück und das nach sieben Jahren zum erstenmal, denn im Grunde hatte er sich von ihr entfernt, damals, als er so plötzlich lesen konnte, — ach ja, wie war es nur gekommen? — als es mit dem Spielen vorbei gewesen war. Dazu kam, daß es dem Vater ähnlich erging wie ihm selber, Herr Forster verbrachte ganze Tage in träumerischem Vorsichhinstarren und ließ sich die Sonne auf den breiten Rücken brennen, wobei er manchmal blinzelte und mauzend gähnte wie ein träger Kater. Zwischendurch erhob er sich allerdings, reckte sich, daß die Gelenke krachten, rieb sich gewaltig die Hände und begann dann eine hastige Teilnahme für die vorübergleitenden Ufer an den Tag zu legen, fragte den Steuermann, der unbewegten Gesichtes Auskunft gab, leidenschaftlich aus und stand gebückt, auf dem linken hochgestellten Knie ein Schreibtäfelchen, in das er eifrig Notizen eintrug. Es war aber nicht die Rede davon, sie auszuarbeiten, wie George immer heimlich fürchtete, wenn er den Vater bei dieser Beschäftigung sah, sondern Herr Forster blieb sanft und faul und ward nur ein wenig munterer, wenn angelegt wurde und man an Land ging, was alle zwei bis drei Tage einmal geschah. Alsdann suchte man sich Reittiere zu verschaffen oder ging zu Fuß landeinwärts in die wilden Wälder oder die öden Steppen hinein, sammelte Pflanzen und stellte Tieren nach, bei welcher Gelegenheit Janusch wie wild hinter der armen Tschokuschka, dem allerliebsten Zwerghasen her war, dessen wachtelschreiähnlichen Lockruf er nachzuahmen verstand und dessen unterirdische Laufgräben und Höhlen er mit dachshundgleicher Spürnase aufzufinden wußte. Er gab sich dieser Unterhaltung mit einer Art weinerlicher Leidenschaft hin und George fühlte es wohl, Janusch hatte keine andere Freude mehr, Janusch war bitter enttäuscht und suchte hier eine Entschädigung für seinen Tatendurst und seinen Ehrgeiz, denen ein Leben auf dem Kutscherbock und auf der Ruderbank zu eng war. Dies war klar, obgleich Janusch sich nie darüber äußerte, aber sein mürrisches Schweigen, diese finstere Majestät seiner Verdrießlichkeit lasteten schwer auf George, gerade weil er selbst so vergnügt war und sich mit ängstlicher Seele bemühte, auch seine Umgebung heiter zu wissen, als läge in deren Unzufriedenheit eine Gefährdung dieses harmonischen Zustandes. Um die Wahrheit zu sagen, der Janusch haßte das Wasser, und nun hatte er die Ostsee gerade überstanden und war schon wieder in so einen hölzernen Trog gebannt, der auf dem widerwärtigen Element schwamm und schwankte, daß einem vom bloßen Zusehen übel werden konnte. Ja, wohl hatte er daheim die Pferde in die Schwemme geritten, aber das war auch bei Gott etwas ganz anderes gewesen, da war er der Herr von Pferd und Wasser, diesem Tümpel, dessen Blutegel und schlammgrüne gelbbauchige Salamanderchen er alle persönlich kannte. Nun, und dann, so halbnackt und naß wie irgend ein Wasserteufel ins Dorf zurückgaloppieren, schreiend, peitschenknallend und fratzenschneidend, daß alle Kinder und Mädels Reißaus nahmen, — das war doch etwas anderes als so tagaus tagein, so wiegala wogala in diesem verdammten Kasten sitzen zu müssen. Der Janusch grollte. Der Janusch starrte den Treidelpferden nach, die so geduldig am Ufer gingen und die schwer beladenen Barken zogen, und beneidete die Bauern, die sie trieben. Tausendmal mehr noch aber beneidete er andere Leute, die man zum erstenmal Anfang August auf dem westlichen Ufer antraf, wo man eines Abends schon von weit her eine Wolke schweben sah, eine Wolke von Rauch und Staub, die als sie näher hinzukamen, von der sinkenden Sonne ganz golden durchglüht war, und darin tummelte sich ein Gewimmel von Menschen und Tieren, entstanden, wie Pilze aufschießend, dunkele, runde und zugespitzte Zelte und war ein Geschrei, Gebrüll und Gewieher, von Peitschenknallen und Flintenschüssen zerrissen, daß George und Janusch sogleich an Jahrmarkt dachten und George wahrnahm, wie der Janusch ganz glühende Augen bekam und ungebeten des Vaters große Stulpenstiefel bereit stellte, dann aber von einem Fuß auf den andern tanzte und sich durchaus geberdete wie ein Hund, der die Anstalten eines Aufbruches wittert und noch nicht genau weiß, ob er mitgenommen werden wird. Herr Forster enttäuschte ihn denn auch nicht, und obgleich der Steuermann murrte, man würde sich dies ganze Gesindel auf den Hals laden, ließ er angesichts des Kalmückenlagers anlegen und ging mit den beiden Knaben hinüber, unbewaffnet und seelenruhig wie auf seiner Dorfstraße zuhause. Tief befriedigt kehrte er zurück, hatte aber nichts dagegen, daß sogleich der Anker gelichtet und alsdann noch die halbe Nacht stromabwärts gefahren wurde. Selbst auf dieser Strecke folgte ihnen auf dem linken Ufer ein Haufe halbwüchsiger Knaben und Kinder zu Fuß und zu Pferde, von großen weißen Windhunden geisterhaft begleitet und umschwärmt, während die Schaluppe auf dem Wasser dahinglitt und Strom und Steppe in dem grenzenlosen, vom silberbläulichen Mondlicht erfüllten Rund der Himmelskugel lagen. Janusch war ganz aufgeregt, er hockte neben George und flüsterte mit heiserer Stimme von allem, was sie gesehen hatten, wobei er immer wieder ins Polnische verfiel und zu den am Ufer Dahinreisenden hinüberstarrte, mit bebenden Nüstern die Luft einziehend, als hoffte er den ihm so köstlichen Geruch des Lagers noch einmal zu spüren, nach Pferden, nach Leder, nach Schafmist, nach Milch, säuerlich und gegoren. Und dann war auch hier alles so himmlisch fettig gewesen, sogar in dem Tee, der ihnen feierlich in der Kibitka des Chans dargeboten worden war und der aus einer kunstvollen kupferbeschlagenen Lederkanne herauskam, war zerlassene Butter gewesen und außerdem Milch und Salz; man trank ihn aus Bechern, die gleichfalls von hornhartem Rindsleder waren. Alle diese gelbbraunen glänzenden Gesichter mit den schwarzen strähnigen Haaren, den blanken Äuglein und den breiten Mäulern waren dem Janusch ansprechend und zutrauenerweckend erschienen, die langen dünnen Schnurrbärte der Männer ehrfurchteinflößend und die Rüstung des Chans und seiner Umgebung mit Ringpanzer und rundem Helm, Bogen, Pfeilen und kurzem Feuergewehr gewaltig und königlich. Er hatte das weiße Kamel aus Buchara angestaunt, das ihn hochmütig übersah, denn es war ja das weiße Kamel und es durfte allein den kleinen zweiräderigen Wagen schleppen, der die Heiligtümer enthielt, den fetten kleinen Buddha aus vergoldetem Holz, die Räucherfässer und die Schriftrollen, unter denen der Schamane jetzt zornig hantierte; denn ihm gefiel der Besuch eines friedlichen fremden Mannes nicht, er hielt ihn für einen andern Zauberer. Aber auch die gewöhnlichen Kamele waren sehenswert, wie sie geduldig niederknieten und sich mit vorgebogenem Halse die unerhörten Lasten abnehmen ließen, — ganze Häuser trugen sie an den Seiten ihrer wunderlichen Höcker, überhaupt, was waren das für Tiere? Die Pferde waren zottiger und wilder, die Rinder kleiner und hochbeiniger als zuhause, die Ziegen hatten keine Hörner und die Schafe so fette Schwänze, — kurz, es war alles, alles anders und doch berauschend, schwindelerregend schön, es war kaum ein Unterschied zwischen Mensch und Vieh, alles umdrängte, beschnüffelte und betastete einen, man kam sich gegenseitig nahe, man roch und schmeckte sich und das war es, was Janusch seit Monaten entbehrte, ja, das war es, und so war er jetzt wie betrunken. Er aß Schafkäse und Dörrfleisch und trank gegorene Stutenmilch, er kroch in jedes Zelt hinein, wo auf den Dreifüßen frischer Tschipan in flachen eisernen Schalen gebraut wurde, und die blanken Knöpfe an seinem grünen Kamisol verhalfen ihm zu einem billigen Vorrang vor dem mausegrauen George, der hinter ihm herging, sich unbehaglich fühlte und den Vater herbeisehnte, der endlos mit dem Chan um Waffen und Ledergefäße handelte, ja, dem es sogar gelang, gegen ein Bernsteinkettchen, nach dem es einer schiefäugigen kleinen Dame gelüstete, einer Lieblingstochter des kahlköpfigen Oberhauptes offenbar, eine Gebetsmühle einzutauschen, sehr zum Ärger des Schamanen, der dem Chan die Verfolgung aller bösen Geister prophezeite und hinter den Gästen dreinräucherte, am liebsten entschieden das ganze Lager abgebrochen und an einem andern unentweihten Ort wieder aufgeführt hätte. — Nein, George hatte eine verschwiegene, aber sehr starke Abneigung gegen alle diese bunten Zaubervölker, von denen immer neue auftauchten, so daß nach ein paar Tagereisen die Städte und Dörfer ihr Gesicht wechselten; er liebte es gar nicht, mit dem Vater in die Hütten zu gehen und Gemeinschaft zu haben mit Morduanen, Tschuwaschen und Baschkiren oder wie sie sonst hießen, er hielt sie in der Tiefe seines Herzens allesamt für Räuber, von denen ihm Akim, ein alter Schiffer, mit dem er sich notdürftig verständigen konnte, mehr durch aufgerissene Augen, emporgehobene Hände, dumpfe Kehltöne und eine Gebärde, die das Halsabschneiden anschaulich wiedergab, erzählt hatte. Er kam sich merkwürdigerweise am sichersten vor, wenn weit und breit kaum eine menschliche Ansiedlung zu erblicken war, wenn die Strombreite sich bis zum Horizont ausdehnte, rastlos vorwärts ziehend, das erhabene Antlitz voll der Farbe des Himmels, — wenn ringsum nichts war, als das Rucken der Ruder oder das Knarren des Segelgestänges, das leise hinstreichende Rauschen und Glucksen am Kiel, der Schrei eines Wasservogels und die schläfrige Unterhaltung der Matrosen. Vielleicht auch ihr Gesang am späten Nachmittag oder an einem Morgen, wenn der Himmel mit seinen Wolkenmassen allzu niedrig über der Ebene hing, daß alles so erdrückend traurig ward und die Seele sich aufzulösen suchte, — dann ward in diesem Gesang alles eins, Himmel und Erde, Strom und Mensch, und die sanft bewegte dunkele Linie der Berge war wie eine schwermütige Begleitung, wenn die Töne verschwommen von dort zurückkehrten. Da waren die graugrünen Weiden auf den langen niedrigen Sandinseln, sie spiegelten sich im stillen Wasser und ließen ihre langen Zweige von der Strömung mitschleifen; da waren Fischer, die im Wasser wateten, die ihre Netze stellten und ihre Hütten am Ufer hatten, kaum als Menschen empfunden, sondern als eine Äußerung der Landschaft, — da waren die Mündungen einströmender kleiner Flüsse, von Schilfwäldern verborgen, schamhaft, wie ein Verschmelzen der Liebe. Da war der Geruch nach Teer und Werg und bittrem Holzrauch, von der feuchten Reinheit des Gewässers durchatmet, und zuweilen auch der nach Fischen und faulenden Pflanzen. Das alles war gut, zärtlich und gelinde, George lächelte viel ohne eigentlichen Grund, er saß und besah seine Hände, sehr kleine Hände, wie er fand, sie erinnerten ihn irgendwie an Fieken, die Schwester, die doch noch ein Kind war. Und siehe, da fiel es ihm ein, mitten auf der Wolga fiel es ihm ein, daß er ja selbst nur ein Jahr älter als Fieken sei! Er wunderte sich einen Augenblick, vergaß es aber wieder. Dort handelte der Vater mit einem Bord an Bord mit ihnen fahrenden Fischer um Wälshaut zum Schließen seiner Weingeistflaschen, in denen er gefangenes Gewürm aufhob. George mußte dabei sein, stand daneben, lauschte dem Handel und einem Streit über den Goldfisch, die Beschanaja Ryba, — „Verzehre ihn nicht, Väterchen, er macht toll und Gott gnade deiner hohen Familie!“ Ein Fressen für die Heiden sei er, die Morduanen und Tschuwaschen, — Väterchen lachte und ließ ihn zum Abend bereiten, fand ihn aber langweilig im Geschmack und zog auf die Dauer Sterlett vor, — George lächelte träumerisch und ging zum Bug zurück, wo auch Akim hockte und Körbe aus Weiden flocht, — da saß er und wartete, daß die Seele wiederkehrte, der scheue Vogel, der ihn jetzt dauernd umschwärmte und Wohnung machen wollte, da Formeln und Vokabeln nicht mehr den Platz ausfüllten.

War nun in mühseliger Arbeit das kärgliche Tageslicht erschöpft, gegen drei Uhr nachmittags also, so begann der Vater auf seinem Sessel unruhig zu werden und langsamer zu schreiben, er blickte aus dem Fenster zum Himmel, der sich über dem stumpfblauen Weiß der Dächer golden und rosig zu färben begann, und plötzlich stand er auf und begann sehr eilfertig seine äußere Erscheinung zu verschönern, wozu George schon am frühen Morgen das Notwendige bereit gelegt hatte, vor allem die apfelgrüne Schoßweste aus Seidensamt mit den Knöpfen aus Bergkristall, die der Vater neulich in dem großen englischen Bazar der Brüder Hawksford erstanden hatte, nachdem er wohl eine Stunde lang die zwölf Säle dieses Wunderhauses durchkreist hatte und immer wieder vor der Weste gelandet war, bis er endlich entschlossen sagte: „George, dein Urgroßvater war Engländer!“ Und hiermit waren die letzten Bedenken, sich für acht Rubel zum Besitzer dieses köstlichen Kleidungsstückes zu machen, überwunden gewesen. —

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