Das Wirthshaus an der Heerstrasse

Das Wirthshaus an der Heerstrasse
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Иван Тургенев. Das Wirthshaus an der Heerstrasse

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Schon zwanzig Jahre vor dem Zeitpunkte, mit welchem unsere Erzählung beginnt, stand auf demselben Flecke ein anderes Wirthshaus, welches allerdings kein dunkelrothes Dach hatte, das dem Hause Naoum Iwanow’s das Ansehen eines Herrenhofes gab, sondern von schlichter Bauart war, mit strohbedeckten Wetterdächern im Hofe, statt der Balkenmauern geflochtene Wände, und ohne die Zier eines dreieckigen griechischen Giebels auf gedrechselten Pfeilern ruhend – allein es war immerhin ein geräumiges solides Absteigequartier, warm und von den Reisenden gern besucht.

Der Wirth hieß damals Akim Ssemenow und war Leibeigener einer in der Nachbarschaft begüterten Dame, Elisabeth Prochorowna Kuntze, Wittwe eines Stabsoffiziers. Dieser Akim war ein sehr intelligenter und thätiger Bauer, der noch in jungen Jahren mit zwei schlechten Pferden vor seinem Wagen auszog, um Kleinhandel zu treiben, nach einem Jahre mit drei ziemlich guten Pferden zurückkehrte und seit der Zeit sich fast sein ganzes Leben hindurch auf der großen Heerstraße umhertrieb, der Reihe nach Kasan und Odessa, Orenburg und Warschau besuchte, selbst in’s Ausland bis »Lipetzk« (Leipzig) kam, und zuletzt ein paar riesige Telegen mit zwei Dreigespannen stattlicher Hengste fuhr.

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Obgleich fremdes Blut in ihren Adern floß, so stand Lisaweta Prochorowna doch, als Herrin, einer gebotenen russischen Edeldame durchaus nicht nach. Sie bewohnte fast ohne Unterbrechung ihr hübsches, durch die Ersparnisse ihres Mannes (der als Ingenieuroffizier Gelegenheit zu Nebenverdiensten hatte) wohlerworbenes Landgut, welches sie selbst verwaltete und zwar durchaus nicht ungeschickt. Lisaweta Prochorowna ließ sich nie den kleinsten Vortheil entgehen, aus Allem wußte sie Nutzen zu ziehen. Hierin, sowie darin, daß sie immer einen Pfennig für einen Groschen ausgab, zeigte sich ihr deutscher Ursprung; in allem Uebrigen war sie durchaus russificirt. Sie hielt ein sehr zahlreiches Hofgesinde und besonders viele Mädchen, welche ihr Brod nicht umsonst aßen. Vom Morgen bis zum Abend kamen sie nicht dazu ihren arbeitsgekrümmten Rücken gerade zu biegen. Sie fuhr gern spazieren oder auf Besuch mit Livreebedienten hinter dem Wagen. Sie hörte gern Klatschereien und Ohrenbläserei und verstand sich selbst vortrefflich darauf. Sie fand ein Vergnügen darin, irgendeinen von ihren Leuten nach Laune mit Gunst zu überhäufen und ihn dann plötzlich wieder fallen zu lassen. Mit einem Worte: Lisaweta Prochorowna spielte ganz die große Dame. Gegen Akim war sie sehr gnädig; er bezahlte seinen hohen Grundzins immer auf das pünktlichste, und sie unterhielt sich freundlich mit ihm und lud ihn sogar oft scherzend ein, sie zu besuchen. Aber gerade im Hause seiner Herrin erwartete Akim das Unglück.

Unter dem weiblichen Dienstpersonal Lisaweta Prochorowna’s befand sich ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen, eine Waise, Namens Dunascha. Sie hatte ein ganz angenehmes Aeußere, war hübsch gewachsen und von behendem Wesen. Ihre Züge waren nicht gerade regelmäßig, aber ansprechend: der frische Teint, die üppigem helllockigen Haare, die lebhaften grauen Augen, das kleine Stumpfnäschen, die blühen den Lippen vereinten sich mit einem gewissen – ungezwungenen, halb spöttischen, halb herausfordernden Ausdruck ihres Gesichtes, sie zu einer anziehenden Erscheinung zu machen. Dazu kam, daß sie, obgleich eine Waise, zurückhaltend, ja fast hochmüthig im Umgange war, eingedenk ihres Ursprunges von alten Hofbediensteten ersten Ranges. Ihr Vater Arefi hatte nämlich dreißig Jahre hindurch des Amt einer fürstlichen Haushofmeisters bekleidet und ihr Großvater Stephan war Kammerdiener des Fürsten gewesen, der in demselben Leibgarderegimente, welches die Kaiserin Katharina als Oberst befehligte, den Rang eines Sergeanten hatte.

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