Fremde Worte
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Jana Volkmann. Fremde Worte
Fremde Worte
Inhalt
1. Spielmeisterin
2. Fremdkörperin
3. Stadtstreicherin
4. Puppenspielerin
Alle Textlicht-Bücher auf einen Blick
Отрывок из книги
Die Autorin
Jana Volkmann, 1983 in Kassel geboren. Sie hat im Norden, im Westen und im Osten Deutschlands gewohnt. In Berlin hat sie Europäische Literaturen studiert und erste Prosatexte veröffentlicht. Seit 2010 liest sie regelmäßig Kurzgeschichten in Cafés, Kneipen und Kultureinrichtungen. Sie hat sich die Bühne mit unterschiedlichen Autoren geteilt und verschiedene Städte zum Lesen bereist, darunter Leipzig, Hamburg und Fribourg (CH). Mittlerweile lebt und schreibt sie in Wien und arbeitet an einer Dissertation über Hotels in der Gegenwartsliteratur. Buch: Schwimmhäute (Kurzgeschichten, 2012)
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Sie hatte ihre Grenzen immer enger um sich herum gezogen. Sie wollte nicht teilen, nicht einmal ihre Begeisterung für die Widmungen. Sie ahnte, dass es nicht dasselbe wäre, wenn ihre Freude nicht mehr diebisch im Geheimen bliebe; dass etwas mit den Widmungen geschehen würde, wenn jemand anderes sie las. Jemand anderes, dem sie trivial vorkamen und der Hannas Lesegewohnheiten verschroben, langweilig oder einfach total bescheuert fand. Sie erzählte niemandem davon. Dass es zu diesem Zeitpunkt auch gerade niemanden gab, der an ihren Flohmarktschätzen oder den Fundstücken aus dem Antiquariat besonderes Interesse zeigte, kam ihr nur gelegen. Wenn eine Freundin sie fragte, was sie gerade lese, fiel ihr immer irgendein Titel ein, der langweilig genug war, das Gespräch gleich wieder zu beenden. Sie zog behutsam einen Bannkreis um sich und die besonderen Bücher, bis kein Platz mehr für andere darin war. Niemand durfte mit hinein in ihre Geschichten, in ihr geheimes zweites Zuhause zwischen den Buchdeckeln. Die, von denen sie sich entfernte, waren ihr im Grunde schon vorher fern gewesen. Lauter ehemalige Kommilitoninnen, frühere Mitbewohner oder Leute, die sie bei einem Job kennengelernt hatte. Sie hörten alle auf anzurufen, einer nach dem anderen. Es waren schleichende, wortlose Abschiede, die niemandem von ihnen wehtaten und die sie wohl alle insgeheim ein wenig erleichterten, obwohl das natürlich niemand sagen würde, denn wenn sie es sagen würden, müssten sie es auch erklären, und es fiel ihnen allen schwer, einen Grund zu finden, weshalb sie sich plötzlich so ungeheuer fremd vorkamen. Hanna fragte sich ab und zu, ob man sich auf Partys nach ihr erkundigte. Ob man über sie sprach. Und wer. Und was sie redeten, wenn sie redeten, ob sie sich Sorgen machten, ob sie sie vermissten oder ob sie sie einfach wunderlich fanden. Ob sie sich besser fühlten ohne sie oder schlechter. Am wahrscheinlichsten war, dass sie überhaupt nicht von ihr sprachen. Wenn sie sich vorstellte, worüber und über wen sie stattdessen redeten, über alles und jeden nämlich, nur eben nicht über sie, kam ihr die ganze Welt unerreichbar fern vor, als sehe sie nur durch ein Fenster hinein. Eines, das von innen fest verriegelt war. Das waren die Momente, in denen die Widmungen ihr wie ein zweites, ein anderes Fenster erschienen. Eines, das weit offenstand, in das man hineinkriechen und sich in aller Ruhe umsehen konnte.
Es gab melodramatische Widmungen, bemüht komische, solche, die von Vertrautheit und Verbundenheit und Freundschaft erzählten. Sie waren oft peinlich. Und oft richtig gut. Alle waren anders, nie glichen sie einander. Auch wenn sich manche Floskeln wiederholten: Da war immer noch ein bisschen mehr als ein simpler Glückwunsch oder ein schmuckloser Gruß. Allein schon die verschiedenen Handschriften waren häufig gesprächiger als das, was die Wörter sagten. Gesprächig waren sie jedenfalls alle, eine Ausnahme war Hanna nie untergekommen. Auch die knappen und hastigen. Selbst die lust- und lieblosen. Die Widmungen waren Hannas Seifenoper und ihre Tragödie, ihre Telenovela, ihr Laienspiel. Groteske, Burleske und Melodram. Ihre Reality Show. Oft alles zugleich. Vor allem aber waren sie ihr Heim in einer anderen Welt, ihre Möglichkeiten.
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